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Rechtswissenschaftliches Institut Römische Rechtsgeschichte 14. Nov. 2011 Lehrstuhl für Römisches Recht, Privatrecht und Rechtsvergleichung Prof. Dr. iur. Ulrike Babusiaux

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Rechtswissenschaftliches Institut

Römische Rechtsgeschichte14. Nov. 2011

Lehrstuhl für Römisches Recht, Privatrecht und Rechtsvergleichung

Prof. Dr. iur. Ulrike Babusiaux

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§ 10 Ius novum beim Testament

− Überwindung bestehender Testamentsregeln durch das Kaiserrecht (cognitio extra ordinem)

− inbes. Konkurrenz von Testamenten und Fideikommissen erlaubt Flexibilisierung des Rechts

Formerfordernisse werden zurückgedrängt

erbrechtliche Verbote werden bedeutungslos

neue Zuwendungsformen werden geprägt

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Quellentext 41 = D. 30.118 Nerat. 10 reg.

(1)Inskription:

Neratius = Neratius Priscus (ca. 57 – 133 n. Chr.); im consilium des Trajan und Hadrian.

regulae = Buch zu Rechtsregeln

(2)Paraphrase:

Verschiedene Arten, ein Fideikommiss wirksam zu errichten:

«ich verlange/bitte, dass du gibst»

«ich will, dass meine Erbschaft Titius gehört»

«ich weiss, dass du meine Erbschaft an Titius herausgeben wirst»

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(3) Interpretation:

− Fideikommisse können in beliebiger Form errichtet werden (auch mündlich)

− sie bedürfen nicht einmal der befehlenden Form (vgl. aber Legat)

− es genügt sogar die Aussage über ein erwartetes Verhalten des Erben, um die Verpflichtung entstehen zu lassen

Weitreichender Spielraum der juristischen Interpretation von Verhalten und Erklärungsakten des Erblassers

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Quellentext 42 = D. 36.1.18.1 Ulp. 2 fideic.

(1)Inskription:

Ulpians Buch über Fideikommisse (= juristische Monographie) = Heranziehung von Julians Digesten (kasuistisches Werk)

(2)Paraphrase:

Ein Fideikommiss, mit dem jemand verpflichtet wird, die Erbschaft an Titius herauszugeben, ist auch dann wirksam, wenn Titius den Verpflichteten zum Erben eingesetzt hat.

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(3) Interpretation:

− was könnte gegen die Wirksamkeit des Fideikommisses zugunsten des Titius sprechen?

Vergleich mit dem Erbrecht: semel heres, semper heres = einmal Erbe, immer Erbe (u.a. Verbot der Vor- und Nacherbfolge)

− warum hält Julian (und mit ihm Ulpian) dieses Fideikommiss trotzdem für wirksam?

Anerkennung des wirtschaftlichen und sozialen Bedürfnisses, im Ergebnis Erbschaften auf Zeit an verschiedene Personen zu vergeben

erbrechtliche Verbote und Vorschriften gelten im Recht der Fideikommisse nicht (cognitio extra ordinem)

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Quellentext 43 = D. 31.69pr. Pap. 19 quaest.

(1)Inskription:

Papinian = Aemilius Papinianus; Quaestiones =

Rechtserörterungen (Problemata)

(2) Paraphrase:

− die Bitte des Erblassers: «ich bitte dich, Lucius Titius, mit 100 zufrieden zu sein» ist als Fideikommiss wirksam

− betrifft die Bitte einen Miterben (Teilungsanordnung), so ist sie als Fideikommiss zugunsten der anderen Miterben anzusehen (Lucius Titius muss dann die Erbschaft an sie herausgeben, darf sich aber 100 vorbehalten)

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(3) Interpretation:

Verbot der Erbeinsetzung auf eine Sache (certa res); zulässig ist allein die Einsetzung auf einen Bruchteil des Vermögens (oder als Alleinerbe)

ursprüngliche Folge: Unwirksamkeit des Testaments

Regel des Sabinus: Streichung der certa res, so dass auf eine Sache eingesetzter Erbe Miterbe wird (nach Anteilen, nicht nach Einzelsachen)

neue Deutung Papinians: Auslegung der Einsetzung auf eine Sache als Fideikommiss zugunsten der übrigen (Miterben oder gesetzlichen Erben) mit Präfideikommiss zugunsten des Eingesetzten

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Quellentext 44 = D. 36.1.30 Marcian. 4 inst.

(1) Inskription:

Marcianus = severischer Jurist (noch nach Septimius Severus; wohl unter Caracalla und Alexander Severus).

Institutiones = Lehrbuch, das auch die institutiones Justinians beeinflusst hat; enthält viel kaiserrechtliche Bezugnahmen.

(2) Paraphrase:

- Aufhebung eines früheren durch ein späteres Testament gilt selbst dann, wenn das spätere Testament Erben auf bestimmte Sachen eingesetzt hat (Reskript des Septimius Severus und des Caracalla).

- Zitat der Konstitution an Cocceius Campanus, insbesondere Wirksamkeit des späteren Testaments, auch wenn Erben auf bestimmte Sachen eingesetzt waren; Auslegung der Einsetzung auf eine bestimmte Sache als Fideikommiss zugunsten der übrigen; insoweit Aufrechterhaltung des ersten Testaments.

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(3) Interpretation:

Reskript des Septimius Severus und des Caracalla an Cocceius Campanus:

Erstes Testament: Zweites Testament:

Einsetzung von A und B als Erben Einsetzung von C als Erbe

auf das kampanische Grundstück

Prinzipienkonflikt:

− das spätere Testament hebt das frühere auf

− die Erbeinsetzung auf eine bestimmte Sache ist unwirksam

Lösung (vgl. Papinian Quellentext 43):

− das zweite Testament ist als Fideikommiss zugunsten der im ersten Testament genannten Erben wirksam

− i.E. sind damit beide Testamente wirksam, soweit sie sich nicht widersprechen.