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Rehabilitation bei Sturzangst BIS Tagung 2018, 20.-21.4. Stuttgart Karin Kampe & Dr. Klaus Pfeiffer

Rehabilitation bei Sturzangst - bis.trittsicher.orgbis.trittsicher.org/media/i.7_rehabilitation_bei_sturzangst_pfeiffer_kampe_fuer... · Questionnaire Revised (FFQ-R) (Bower et al

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Rehabilitation bei Sturzangst

BIS Tagung 2018, 20.-21.4. Stuttgart

Karin Kampe & Dr. Klaus Pfeiffer

Delbaere BMJ 2010

gering

hoch

PhysiologischesSturzrisiko

gering hochWahrgenommenes Sturzrisiko

Risiken über-schätzend, ängstlich

Risiken unter-schätzend

rüstig, fit

Sturzrisikenwahrnehmend

Physiologisches und wahrgenommenes Sturzrisiko

(Allgemeinbevölkerung, > 65 Jahre)

Risiken unterschätzend

Sturzrisiken angemessen

wahrnehmend

Physiologisches und wahrgenommenes Sturzrisiko

(Patient/innen nach Hüftfraktur, > 65 Jahre)

Risiken überschätzend

Förderung einer flexiblen und kontextspezifischen Wahrnehmung

Stürze ↑ Vermeidung ↑

Posttraumatische Symptome nach sturzbedingter Fraktur

bei kognitiv nicht beeinträchtigten sturzängstlichen Patienten (N = 116)

▪ Belastende Erinnerungen an das Sturzereignis(28,7% gelegentlich, 20% häufig)

▪ Vermeidung von Aktivitäten, die Erinnerungen an das Sturzereignis auslösen(21,7% gelegentlich, 22,6% häufig)

▪ Situationen, die an das Sturzereignis erinnern lösen belastende körperliche Reaktionen aus(13,9 % gelegentlich, 4,3% häufig)

▪ Situationen, die an das Sturzereignis erinnern lösen belastende psychische Reaktionen aus (22,6% gelegentlich, 14,8% häufig)

Sturzangst Assessment (Aufnahme Reha)

Frage(bogen) Items Beispielitem

Falls Efficacy Scale –International (FES-I Short) (Kempen et al. 2008)

7 Welche Bedenken haben Sie zu stürzen, wenn Sie eine Treppe hinauf oder hinunter gehen.

Kurzform günstiger, problematisch bei erst teilmobilisierten Patient/innen

Perceived Ability to Manage Falls (PAMF)(Lawrence et al. 1998)

5 Wie überzeugt sind Sie, dass Sie einen Weg finden können, Ihr Sturzrisiko zu verringern?

Im Rahmen von sturzpräventiven/-edukativen Ansätzen

Einzelfragen Haben Sie in der Regel Angst davor hinzufallen?

Haben Sie irgendeine Aktivität vermieden, weil Sie Angst hatten zu stürzen?

Frage splitten, vor dem Sturz und aktuell.

Ergänzen mit Frage zu aktuell erlebten sturzkritischen Situationen

Fear of Falling Questionnaire Revised (FFQ-R) (Bower et al. 2015)

6 z.B. Falls ich stürze, werde ich mich wahrscheinlich auf irgendeine Art verletzen.

Deutschsprachige Version wird derzeit noch validiert. (Dautel et al. in Vorb.)

Fallbeispiele aus der Reha von Hüftfrakturpatienten

Patient soll sich nach dem Aufstehen aus dem Rollstuhl an der Lehne eines Stuhl festhalten.

Der Patient zeigt massive

Angstsymptome, versteift sich, zittert,

kann das Gleichgewicht nicht mehr halten.

Trotz gegebener Gehfähigkeit weigert sich Frau S. mit dem Rollator zum

Speisesaal zu gehen.

Sie äußert dahingehende Bedenken, dass sie plötzlich große Angst zu

stürzen bekommen könne und dann Gefahr liefe hinzufallen.

Sie benutze deshalb lieber den Rollstuhl, da die Krankenpfleger sich

weigern würden, sie auf die gewünschte Weise zu begleiten.

Interventionskomponenten I

Risikoverhalten

▪ Edukation(Wissen über Stürze und Sturzrisiko)

▪ Erfassung und Besprechung von Stürzen und sturzkritischen Situationen

▪ Verhaltensplanung und –anpassung(Berücksichtigung der motorischen, sensorischen und kognitiven Kapazität des Patienten)

▪ Vor Entlassung „Imagination eines Tages zuhause“ (Identifikation von Sturzrisiken und Sturzfallen)

▪ Wann soll Hilfe bzw. Begleitung angefragt werden (Hilfe ohne Ängste anfragen, auf Hilfe warten)

▪ Ggf. freiwillige, begleitete Erprobung eigener körperlicher Grenzen

Hill et al. Lancet 2015, Pfeiffer in Jamour, Betz, Becker (Hrsg.) Geriatrisch-Rehabilitatives Basis-Management. Kohlhammer 2017, Pfeiffer in Klöppel, Jessen (Hrsg.) Praxishandbuch Gerontopsychiatrie- u. –psychotherapie. Elsevier 2018

Interventionskomponenten II

Sturzangst und Aktivitätsvermeidung

▪ Psychoedukation(Sturzangst ist per se nicht problematisch, Zusammenhang von Kognition, Angst und Verhalten)

▪ Sturzangst und Aktivitätsvermeidung(Analyse von entsprechenden Situationen, Gedanken, Gefühle, Verhalten)

▪ Intervention(Kognitive Restrukturierung, graduelle Exposition (z.B. an der Treppe), ggf. Strategien zur Emotionsregulation wie akzeptanzfördernde Strategien oder Entspannungstraining)

▪ Ermutigung und Verstärkung

▪ Edukation zu Verhalten nach Sturz(Sich bemerkbar machen, Hausnotruf, Backward-Chaining)

Pfeiffer in Jamour, Betz, Becker (Hrsg.) Geriatrisch-Rehabilitatives Basis-Management. Kohlhammer 2017, Pfeiffer in Klöppel, Jessen (Hrsg.) Praxishandbuch Gerontopsychiatrie- u. –psychotherapie. Elsevier 2018

Interventionskomponenten III

Gezieltes motorisches (Selbst-)Training▪ Schwerpunkt Kraft und Balance

Förderung körperlicher (Alltags-)Aktivität▪ Setzen von für den Patienten bedeutsamen Aktivitätszielen

(inkl. Zwischenziele, Rückmeldung von Fortschritten)

Rahmenmodell

Personalitystructural & process components

Individual mobility and physical activty goals

Outcome expectations for excercise

Trainingadherence

Physicalactivity

Lower-bodyperformance

Fall risk(future falls)

Degree of exposure, environment

Depression and

anxiety

Post traumatic symptoms

Fear of falling

Falls efficacy

Fall relatedsymptoms

of fear

Lower-body performance ↓

Hip/pelvicfracture

after falling

Feartriggers

Contextual (in)sensitive & (in)flexibleappraisal processes

“Psychological flexibility”Emotionalresponses

Avoidanceresponding

Socialparticipation

Appraisal of fall risk

Interventionsmodule

Personalitystructural & process components

Individual mobility and physical activty goals

Outcome expectations for excercise

Trainingadherence

Physicalactivity

Lower-bodyperformance

Fall risk(future falls)

Degree of exposure, environment

Depression and

anxiety

Post traumatic symptoms

Fear of falling

Falls efficacy

Fall relatedsymptoms

of fear

Lower-body performance ↓

Hip/pelvicfracture

after falling

Feartriggers

Contextual (in)sensitive & (in)flexibleappraisal processes

“Psychological flexibility”Emotionalresponses

Avoidanceresponding

Socialparticipation

Appraisal of fall risk

Übungsprogramm(Kraft & Balance)

Bedeutsame Aktivitätsziele im Alltag

Sturzrisiko und -fallen

Entspannung

Emotionsregulation & Umgang mit Sturzangst

Planung/Implementierung von Training/Aktivitäten

Kampe et al. Clin Rehab 2017

Beispiel: Schritt für Schritt wieder mobil (RCT)

Intervention durch Physiotherapeuten & SportwissenschaftlerSupervision durch einen klinischen Psychologen

Studiendesign

T0-Assessment / Rehabeginn (N = 116)

Randomisation

Intervention (N = 57):

Standard Rehabilitation

Sturzangst-Intervention

Kontrolle (N = 58):

Standard Rehabilitation

T2-Assessment / 3 Monate (N = 96)

FortsetzungSturzangst-Intervention

T1-Assessment / Rahaende (N = 107)

Abbruch (N = 5)T0 nicht durchführbar (N = 3)Verlegung (N = 1) Sonstige (N = 1)

Verlegung (N = 5)Abbruch (N = 3)

Abbruch (N = 9)Entfernung wg. Umzug (N = 1)T2 nicht durchführbar (N = 1)Tod (N = 1)Sonstige (N = 1)

Einverständnis (N = 126)

Patientin 97 Jahre

„Ich habe jetzt einfach aus diesem Sturz

ein bestimmtes Angstgefühl bekommen,

das ich vorher nie hatte, wenn ich

gestürzt bin. Da bin ich eben gestürzt und

dann war der Fall erledigt. Aber das jetzt,

das ist jetzt nachhaltig. Ich bin jetzt in der

Beziehung ängstlicher geworden und

glaube auch, dass ich vorsichtiger…oder

ich bemühe mich, vorsichtiger zu sein,

jetzt.“

Sturzangst Assessment (Aufnahme Reha)

* = p < .05; ** = p< .01; *** = p<.001

Eckert et al. in preparation

Sturzangst Assessment (Aufnahme Reha)

* = p < .05; ** = p< .01; *** = p<.001

Eckert et al. in preparation

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

Aufnahme (T0) Entlassung (T1) 3 Mo Follo-up (T2)

Intervention

Kontrolle

Falls Efficacy Scale International (FES-I Short)(z.B. „Haben Sie Bedenken hinzufallen, wenn Sie sich an- oder ausziehen“ – 7 Items)

high

moderate

low

Sturzbezogene Selbstwirksamkeit

FES-I*Gruppe[p = 0,028]

11

11,5

12

12,5

13

13,5

14

Aufnahme (T0) Entlassung (T1) 3 Mo Follo-up (T2)

Intervention

Kontrolle

Perceived Ability to Manage Falls (PAMF)(z.B. „Wie überzeugt sind Sie, dass Sie es schaffen können, sicherer auf Ihren Beinen zu stehen?“ – 5 Items)

Sturzbezogene Selbstwirksamkeit

PAMF*Gruppe[p = 0,017]

11

16

21

26

31

36

41

46

Aufnahme (T0) Entlassung (T1) 3 Mo Follo-up (T2)

Intervention

Kontrolle

Gehzeit pro Tag [Min](activPal)

Aktivität

Gehzeit*Gruppe[n.s.]

6

6,5

7

7,5

8

8,5

9

9,5

10

Aufnahme (T0) Entlassung (T1) 3 Mo Follo-up (T2)

Intervention

Kontrolle

Gehgeschwindigkeit

Gehgeschwindigkeit*Gruppe[p = 0,32]

nicht durchführbar(I: 22,8%; K: 17,2%]

nicht durchführbar(I: 5,6%; K: 7,7%]

nicht durchführbar(I: 4,3%; K: 8,3%]

Zeit für 4 Meter Gehstrecke [s]

2

2,5

3

3,5

4

4,5

5

5,5

Aufnahme (T0) Entlassung (T1) 3 Mo Follo-up (T2)

Intervention

Kontrolle

Short Physical Performance Battery

SPPB*Gruppe[p = 0,016]

ANCOVAs (T0 measure covariate)

T1 (Ende Reha) Cohen‘s d

T2 (3 Monate nach Reha)Cohen‘s d

Falls Efficacy Scale International Short (-.12) (-.43)*

Perceived Ability to Manage Falls (.43)* (.42)*

Short Physical Performance Battery (.36)+ (.51)*

Walking time (24 h) [activePAL] (-.07) (-.07)

+ = p < .10; * = p < .05; ** = p< .01

Ergebnisse

Schritt für Schritt wieder mobil (RCT)

Personen mit ≥ 1 Sturz (N)

15,1%

p = 0,043

3,7%

25,0%

36,7%

n.s.

Intervention:

Knöchelfraktur (n = 1)

Rippenfraktur (n = 1)

Kontrolle:

Femurfraktur (n = 2)

Beckenfraktur (n = 1)

Wirbelfraktur (n = 1)

Während Rehabilitation Intervention Kontrolle

Intervention+354 Min (Intervention

Studie)

Routineversorgung+42 Min (Physio einzel)

+75 Min (Physio Gruppe)

Nach Rehabilitation

Intervention+104 Min (Hausbesuch)

+121 Min (3,9 Telefonate)

Stationäre Behandllungstage 194 309

Kurzzeitpflege (Tage) 95 119

+ = p < .10; * = p < .05; ** = p< .01

Interventionsdauer

Erstes Fazit & Ausblick

• Gute Adhärenz

• Positive Auswirkungen auf die sturzbezogeneSelbstwirksamkeit

• Signifikanten Effekt auf die Anzahl der Stürzer (Reha) und die Gesamtzahl der Stürze (Reha & Follow-up)

• Keinen Effekt auf die tägliche Gehzeit und Gehgeschwindigkeit(55% in der Kontrollgruppe bekommen ebenfallsPhysiotherapie)

Rückmeldungen Teilnehmer/innen

• „Sehr zu empfehlen ist die CD „Schritt für Schritt“ (Anm.: Entspannungs CD), die ich beinahe täglich höre.“

• „Ich habe nach einigen Wochen (Anm. nach 6 Wochen) mein Wunschziel erreicht, nämlich sicher am Stock zu laufen.“

• „Ich fand an diesem Therapieangebot die Anleitung zur Selbsthilfe gut.“

• „Durch die Besprechung und die Übungen wächst das Selbstbewusstsein.“

• „Wir besprachen auch die Angstsituationen – ohne bewertende Kritik, aber Güte und mit hilfreichen Vorschlägen. Erst nach diesem Besuch der Therapeutin erledigte ich diese Gänge alleine und relativ angstfrei.“

Welche Erfahrungen haben Sie selbst mit Sturzangst oder mit Patienten mit Sturzangst?

Welche Situationen/Aktivitäten sind bei Patienten häufig mit Sturzangst besetzt?

Mobilitätsziele: Der Lebenskompass

Kulturelle

Veranstaltungen

Gesundheit,

Fitness, Sport

Spiritualität

ReisenNatur

Einkaufen

Haushalt,

Garten

Freunde,

Bekannte

Familie,

Verwandte

Aktivitäten mit Partner

(falls vorhanden)

Verein

Sonstige Aktivitäten

Wichtigkeit

Wichtigkeit

Wichtigkeit

Wichtigkeit

Wichtigkeit

Wichtigkeit

Wichtigkeit

Wichtigkeit

Wichtigkeit

Wichtigkeit

WichtigkeitWichtigkeit

Entspannungstechniken

Angeleitete Entspannung im Rahmen der Interventionseinheiten während des Rehaaufenthalts (PMR oder Atementspannung)

Audio-Entspannung mit MP3-Player oder Walkman

CD oder Kassette für zu Hause

Techniken zur Kurzentspannung

Sturzbezogene Kognitionen

Identifikation schwieriger Situationen

In sensu exposition

In vivo Exposition

„Evaluation“

Strategien für schwierige Situationen

… über andere zu sprechen ist oft leichter!

Geschichten als Einstieg, über ein unangenehmes Thema zu sprechen

Botschaft: Du bist nicht alleine mit deiner Angst

Gemeinsam nach Lösungen suchen

Bezug zu „eigenen“ Geschichten kommt oft von ganz alleine

Storytelling

Planung von Training und Aktivitäten

Trainingsplanung

•Wann?

•Wo?

•Was brauche ich?

•Was motiviert mich?

•Was könnte mich vom Training

abhalten?

Stolperfallen/ Umgang mit Stürzen

Stolperfallen

Verhalten

Was tun nach einem Sturz

Aufstehen nach einem Sturz

Fallstudie

Frau Müller, 80 years old

Psychologin

Betreutes Wohnen

Sturz während des Aussteigens aus einem Bus

Pertrochantäre Femurfraktur, mit proximalen Femurnagelfixiert

Mobilitätsziele: Der Lebenskompass

Kulturelle

Veranstaltungen

Gesundheit,

Fitness, Sport

Spiritualität

ReisenNatur

Einkaufen

Haushalt,

Garten

Freunde,

Bekannte

Familie,

Verwandte

Aktivitäten mit Partner

(falls vorhanden)

Verein

Sonstige Aktivitäten

Wichtigkeit

Wichtigkeit

Wichtigkeit

Wichtigkeit

Wichtigkeit

Wichtigkeit

Wichtigkeit

Wichtigkeit

Wichtigkeit

Wichtigkeit

WichtigkeitWichtigkeit

Vorlesungen Uni

Selbständig Einkaufen

Besuche Kinder mit Zug

Reise Südfrankreich

Theater/Austellungen

Kochen

Wirbelsäulengymnastik

9

6

8

9

5

7

Frau Müllers Ziele

Kinder mit Zug besuchen

Reise Südfrankreich

Vorlesungen an der Uni besuchen

10 Minuten 20 Stufen

Beispiel Aktivitätsplanung

Umgang mit Sturzangst: Treppensteigen

▪ Therapeut direkt daneben

▪ Therapeut ein paar Stufen dahinter

▪ Therapeut wartet auf Treppenabsatz

▪ Therapeut beobachtet durch Fenster

▪ ohne Therapeut

Evaluation

▪Wie habe ich mich gefühlt?

▪Wie wahrscheinlich war ein Sturz?

Zuhause

Anpassung des Trainingsprogramms aufgrund von Herzproblemen

Das Haus alleine verlassen

In Begeitung rausgehen; Arm eingehakt

In Begleitung rausgehen; Arm nicht eingehakt

Treppe steigen ohne Handlauf

Alleine zur Bank gehen

In Begleitung Bus fahren

Was habe ich gelernt?

Ziele konkretisieren (lassen)

Heimtraining und Aktivitäten frühzeitig planen

„Hands off“ bei Aktivitäten und Heimtraining

Verhaltensänderung benötigt Zeit

Es zählt, wie/was der Patient denkt und fühlt

Entspannung hilfreich

Rolle der Angehörigen

Supervision sehr hilfreich

Danke für Ihre Aufmerksamkeit

[email protected]

Team: K. Pfeiffer, M. Kohler, K. Kampe, D. Albrecht, C. Becker