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Ihre Experten: Agnes Anna Jarosch und Hans-Uwe L. Köhler Agnes Anna Jarosch wird als Leiterin des Deutschen Knigge-Rates, Buchautorin, Rednerin und Trainerin regelmäßig in den Medien (Presse, Rundfunk, Fern- sehen) zitiert und um Rat gefragt. Sie ist Chefredak- teurin von „Der große Knigge“ und Ihre Ansprech- partnerin für alle inhaltlichen Fragen und Anmer- kungen zu dieser Ausgabe. Im Experten-Interview: Hans-Uwe L. Köhler gehört zur deutschen Trainer- Elite und wurde 2010 mit dem Innovationspreis der German Speakers Association (GSA) ausgezeich- net. Er ist Redner, Bestseller-Autor und Erfinder des LoveSelling ® -Modells. A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z Suchwortverzeichnis Tipps & Trends Führen mit Werten F 85/1 www.stil.de Ausgabe 5/2011 35 Renaissance der 7 Primärwerte: Wie Sie mit Werten führen – nicht nur im Beruf „Was sind Ihre Werte?“ Die wenigsten Führungskräfte könnten auf diese Frage spontan eine Antwort geben. Sie kennen ihre Ziele und beherrschen das Handwerkszeug, mit Zielen zu führen. Doch wie lassen sich Ziele ohne geklärte Wertebasis formulieren? Dieser Beitrag liefert Anregungen, wie das Zusammenspiel zwischen „Führen mit Zielen“ und „Führen mit Werten“ gelingen kann. Ein Beitrag nicht nur für Führungskräfte. Die Themen: „Führen mit Zielen“ versus „Führen mit Werten“ . . . . . . . . . . . . 2 Aktuelle Studie: Zusammenhang zwischen Werten und Zielen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 „Was, bitteschön, sind Werte?“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Fundamente der Führung: Die 7 Primärtugenden . . . . . . . . . . . 6 DARUM GEHT ES:

Renaissance der 7 Primärwerte: Wie Sie mit Werten führen – nicht …€¦ · „Führen mit Zielen“ versus „Führen mit Werten“ . . . . . . . . . . . . 2 Aktuelle Studie:

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Page 1: Renaissance der 7 Primärwerte: Wie Sie mit Werten führen – nicht …€¦ · „Führen mit Zielen“ versus „Führen mit Werten“ . . . . . . . . . . . . 2 Aktuelle Studie:

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ortverzeichnisTipps &

Trends

Ihre Experten: Agnes Anna Jarosch undHans-Uwe L. Köhler

Agnes Anna Jarosch wird als Leiterin des Deutschen Knigge-Rates, Buchautorin, Rednerin und Trainerin regelmäßig in den Medien (Presse, Rundfunk, Fern-sehen) zitiert und um Rat gefragt. Sie ist Chefredak-teurin von „Der große Knigge“ und Ihre Ansprech-partnerin für alle inhaltlichen Fragen und Anmer-kungen zu dieser Ausgabe. Im Experten-Interview: Hans-Uwe L. Köhler gehört zur deutschen Trainer-Elite und wurde 2010 mit dem Innovationspreis der German Speakers Association (GSA) ausgezeich-net. Er ist Redner, Bestseller-Autor und Erfinder des LoveSelling®-Modells.

Renaissance der 7 Primärwerte:Wie Sie mit Werten führen –nicht nur im Beruf

„Was sind Ihre Werte?“ Die wenigsten Führungskräfte könnten auf diese Frage spontan eine Antwort geben. Sie kennen ihre Ziele

und beherrschen das Handwerkszeug, mit Zielen zu führen. Doch wie lassen sich Ziele ohne geklärte Wertebasis formulieren? Dieser Beitrag liefert Anregungen, wie das Zusammenspiel zwischen „Führen mit Zielen“ und „Führen mit Werten“ gelingen kann. Ein Beitrag nicht nur für Führungskräfte.

Die Themen: „Führen mit Zielen“ versus „Führen mit Werten“ . . . . . . . . . . . . 2 Aktuelle Studie: Zusammenhang zwischen Werten

und Zielen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 „Was, bitteschön, sind Werte?“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Fundamente der Führung: Die 7 Primärtugenden . . . . . . . . . . . 6

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F 85/2 Führen mit Werten

„Führen mit Zielen“ versus„Führen mit Werten“Lange Zeit waren Unternehmen der Ansicht, dass es ge-nügt, die Angestellten mit Zielen zu führen. Ziele werdennach der SMART-Formel entwickelt, wobei SMART dieAbkürzung ist für

Spezifisch (konkret, präzise, eindeutig)

Messbar (in welchen Einheiten wird der Erfolg/dieVerbesserung gemessen)

Anspruchsvoll (herausfordernd und motivierend)

Realistisch (erreichbar)

Terminiert (verbindlich)

Beispiele für SMARTe Ziele

privat: „Bis zum 1. August 2011 werde ich komplettrauchfrei sein und ohne Nikotin auskommen.“

beruflich: „In den nächsten 14 Tagen werde ich jedenTag eine Stunde meiner Arbeitszeit in die Telefonakquisiti-on investieren und jeden Tag mindestens fünf potenzielleNeukunden anrufen.“

SMARTe Ziele sind aus der Unternehmenspolitik nichtmehr wegzudenken, doch sie sollten nicht das einzigeFührungsinstrument sein. Denn obwohl viele Führungs-kräfte und Angestellte SMARTe Ziele formuliert haben,mangelt es an innerem Antrieb. Leistungsträger betreiben„Job-Hopping“ und wechseln alle paar Jahre das Unter-nehmen. Viele Angestellte machen Dienst nach Vor-schrift, aber ohne Begeisterung.

Um das Thema „Führen mit Werten“ für Unternehmerund Entscheidungsträger schmackhaft zu machen, wirddie werteorientierte Führung häufig in den Kontext deswirtschaftlichen Erfolgs gestellt:

SMART-Formel

Ziele genügen nicht

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Führen mit Werten F 85/3

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Wie lassen sich Leistungsträger langfristig an ein Un-ternehmen binden?

Wie lassen sich Krankheitstage reduzieren und Burn-out-Fälle vermeiden?

Wie lässt sich die „innere Kündigung“ von Mitarbei-tern verhindern?

Kann die Mitarbeiter-Identifikation mit dem Unterneh-men gesteigert werden?

Zuerst die Ziele oder zuerst die Werte?

Tatsächlich gibt es einen nachweislichen Zusammenhangzwischen unternehmerischen Zielen und Werten. Ein kon-sequentes Führen mit Werten erfordert jedoch, nicht etwadie Werte in den Dienst der Ziele zu stellen, sondern dieZiele anhand der Werte zu überprüfen und sie daraus ab-zuleiten.

Nutzen Sie denBeitrag auch privat

expertinnen

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Nicht nur für Vorgesetzte:Bieten Sie Führung!

Sie müssen keine Führungskraft mit Personalverant-wortung sein, um mit Werten zu führen. Jeder Menschhat die Möglichkeiten, Führung anzubieten oder zu ver-weigern, zum Beispiel bei

der Erziehung von Kindern und Enkeln,

der Ausführung eines Ehrenamts,

der Organisation einer Familienfeier oder

der Beratung eines Kollegen.

Nutzen Sie die Erkenntnisse aus diesem Beitrag, umauch in ganz alltäglichen Situationen des Privat- undBerufslebens werteorientierte Führung anzubieten.

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F 85/4 Führen mit Werten

rächen sich 94 Prozent an den Vorgesetzen,

schädigen 88 Prozent zur Vergeltung die Firma,

reduzieren 48 Prozent ihre Arbeitsleistung,

reduzieren 47 Prozent ihre Arbeitszeit,

liefern 38 Prozent keine Qualitätsarbeit mehr ab und

identifizieren sich 78 Prozent nicht mehr wie vorher mit der Firma.

Aktuelle Studie: Zusammenhang zwischen Werten und ZielenWie sieht der Zusammenhang zwischen Werten und demobersten Ziel in der freien Wirtschaft – der Gewinnmaxi-mierung – aus?

Die beiden US-Management-Professorinnen ChristinePorath und Christine Pearson von der University ofSouthern California/Los Angeles und der ThunderbirdSchool of Global Management/Arizona haben in einemZeitraum von zwölf Jahren 9.000 Angestellte in den USAzum Verhalten von Führungskräften befragt. Sie erforsch-ten, inwieweit diskriminierende, rüpelhafte, arrogante undrespektlose Führungskräfte ihr Unternehmen schädigen.

Einige Studienergebnisse

Von den 9.000 Befragten waren laut Studie 99 Prozentschon einmal Zeuge gewesen, wie rüpelhafte Chefs ande-re Kollegen schlecht behandelten. 50 Prozent der Befrag-ten fühlen sich mindestens einmal in der Woche ungehö-rig behandelt. Von diesen 50 Prozent

Offensichtlich ist die Wertebasis für viele Führungskräftein den USA ungeklärt. Die Studie belegt: Diskriminieren-des und respektloses Verhalten von Führungskräften ist ander Tagesordnung – es verursacht große Schäden undhohe Kosten für das Unternehmen. Da liegt die Vermu-

Rüpelhafte Chefsin den USA

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Page 5: Renaissance der 7 Primärwerte: Wie Sie mit Werten führen – nicht …€¦ · „Führen mit Zielen“ versus „Führen mit Werten“ . . . . . . . . . . . . 2 Aktuelle Studie:

Führen mit Werten F 85/5

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tung nahe, dass auch in Deutschland eine fehlende Werte-orientierung in der Führung negative Auswirkungen aufden Unternehmenserfolg hat. Auch in Deutschland ist dieMitarbeiter-Motivation gering, wie der „Gallup Engage-ment Index“ beweist.

Positiv formuliert, lautet die Hypothese: Der Unterneh-menserfolg kann langfristig gefördert und gesichert wer-den, wenn Vorgesetzte im Unternehmensalltag nicht nur dieSMARTen Unternehmensziele verfolgen, sondern auch diefundamentalen Unternehmenswerte vorleben.

„Was, bitteschön, sind Werte?“Bei den Werten lassen sich die sogenannten Primär- unddie Sekundärwerte unterscheiden.

Sekundärwerte sind die Tugenden, die Sie sehr schnell aneinem anderen Menschen wahrnehmen können. Sie erle-ben, dass ein neuer Geschäftspartner pünktlich zum Ter-min erscheint, dass er gepflegt gekleidet ist und eine höf-liche Sprache wählt.

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Der „Gallup Engagement Index 2010“

Das Gallup Institut führt jährlich eine repräsentativeUmfrage unter Arbeitnehmern in Deutschland durch,um den Grad ihrer emotionalen Bindung an das Unter-nehmen zu ermitteln.

Die Ergebnisse der Umfrage 2010 belegen, dass geradeeinmal 13% eine hohe emotionale Bindung an ihr Un-ternehmen haben. 66% der Angestellten fühlen sichwenig an ihr Unternehmen gebunden, 21% haben inner-lich gekündigt und machen „Dienst nach Vorschrift“.

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F 85/6 Führen mit Werten

Die Sekundärwerte liegen überder Wasseroberfläche. Sie sind offensichtlich.

Im Verborgenen liegen die Primärwerte,

die Gewicht haben und Halt geben.

Das Eisberg-Modell:Primär- und Sekundärwerte

Im Idealfall leiten sich die Sekundär- von den Primärtugenden ab.

Primärwerte sind die Eigenschaften, die in der Abbildungunter der Wasseroberfläche liegen. In der Regel können Sienicht sofort feststellen, ob ein Mensch ehrlich, vertrauens-würdig und loyal ist. Im Idealfall leiten sich die Sekundär-werte wie Pünktlichkeit, Höflichkeit oder Pflichtbewusst-sein von den Primärwerten ab. Ein Beispiel: Wenn Sie einenMenschen – sei es ein Mitarbeiter, ein Kollege, ein Familien-oder ein Vereinsmitglied – wirklich mögen und schätzen, er-gibt es sich von selbst, dass Sie ihn freundlich, wertschät-zend und zuvorkommend behandeln. Diese Freundlichkeitentspricht Ihrer Grundeinstellung (→ Agape). Sie müssennicht „so tun, als ob“.

Fehlen die Primärtugenden, spüren Sie in der Regel sehrschnell, dass der Schein trügt und die Höflichkeit nur auf-gesetzt ist. Sie ist nicht in der Persönlichkeit verankert.

Fundamente der Führung:Die 7 PrimärtugendenPater Anselm Grün, der als Cellerar der Abtei Münster-schwarzach für die wirtschaftlichen Belange von 20 Ab-tei-Betrieben zuständig und verantwortlich ist, spricht in

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Führen mit Werten F 85/7

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seinem Buch „Führen mit Werten“ von sieben Primärwer-ten. Dazu zählen

die 4 Kardinaltugenden der Antike Maß, Gerechtigkeit, Klugheit und Tapferkeit

sowie die 3 christlichen („göttlichen“) Tugenden Glaube, Liebe und Hoffnung.

1. Primärwert: Das Maß

Dieser Wert ist in der heutigen Zeit besonders gefährdet.Maßlosigkeit ist gesellschaftlich akzeptiert und wird wirt-schaftlich gefördert.

Beispiele gibt es viele: Geschmacksverstärker in der Nahrung sorgen dafür,

dass Menschen ihr eigenes Sättigungsmaß nicht mehrkennen.

Wirtschaftliche Gewinne können gar nicht hoch genugsein.

Die Wegwerf-Mentalität kurbelt die Wirtschaft an undwird deshalb über das Marketing gefördert.

Die Werbung appelliert auf bewusster und unbewussterEbene an die Gier und weckt Bedürfnisse, die es ohnesie nicht gäbe.

Menschen verlieren das Maß beim Arbeiten, leiden un-ter Burn-out-Syndromen und sehnen sich nach einer„Work-Life-Balance“.

Wertebasis für gesundes WachstumDas englische Wort für „Wert“ ist „Value“. Es leitet sichaus dem Lateinischen „valere“ ab. „Valere“ bedeutet„stark sein“ und „gesund sein“. Pater Anselm Grünschlussfolgert, dass Werte die Quelle eines gesunden Le-bens, also auch einer gesunden Unternehmenskultur, sind.

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F 85/8 Führen mit Werten

Um ein Übermaß an Stress und Leistungsdruck über-haupt ertragen zu können, betäuben sich viele Menschenmit Alkohol, Medikamenten oder anderen Drogen.

Maßlosigkeit macht krank

Im Praxishandbuch für Werteerziehung „Werte machenstark“ des Bayerischen Kultusministeriums spricht PaterAnselm Grün darüber, dass Zivilisationskrankheiten wieDepressionen, Panikattacken und Ängste ein Hilfeschreigegen die „Maßlosigkeit unserer Ansprüche“ seien. DieHypothese: Wer sein Maß nicht kennt, wird krank undmacht andere krank, von denen er ebenfalls Maßlosigkeiterwartet. Deswegen sind Führungskräfte, die ihr Maßnicht kennen, besonders gefährlich.

Die Kardinaltugend „Maß“ mag antiquiert klingen, ist je-doch gerade in unserer Zeit aktuell und gefragt, wie auchdie Aktion „Kenn dein Limit“ der Bundeszentrale für ge-sundheitliche Aufklärung (BZgA) mit Unterstützung desVerbandes der privaten Krankenversicherung e. V. zeigt.

Maß haltenstatt Verbote

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Aktion „Kenn dein Limit“!Die Aktion „Kenn dein Limit“(http://www.kenn-dein-limit.info) ist ein aktuelles, positi-ves, wenngleich untypischesBeispiel in den Medien. Siesoll Jugendliche vor Alkohol-missbrauch bewahren und ap-pelliert dabei auf zeitgemäßeund jugendgerechte Weise andie Kardinaltugend „Maß“.Die Aktion agiert nicht etwamit Ge- und Verboten auf derEbene der Sekundärtugenden,wie es häufig üblich ist.

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Das rechte Zeitmaß

Zur Kardinaltugend „Maß“ gehört auch das rechte Zeitmaß.Nach Phasen der Beschleunigung sind Phasen der Ent-schleunigung erforderlich. Wer nie zur Ruhe kommt, kanndie Geschehnisse nicht verarbeiten und reflektieren. Orien-tierungslosigkeit und blinder Aktionismus sind die Folge.

Eine Führungskraft, die ihr Zeitmaß nicht kennt und be-folgt, ist nicht in-takt, sondern takt-los. Sie verletzt durchihre Takt-losigkeit andere Menschen, häufig unbeabsichtigtoder sogar unwissentlich. Maßlosigkeit hat viele Facettenund kann die Ursache für die Demotivation von Mitarbei-tern sein, wie sie in der Porath/Pearson-Studie beschriebenwerden. Allein über Etiketteregeln sowie Ge- und Verbotelässt sich dieses Problem nicht lösen. Wer stattdessen seinMaß kennt und beachtet, packt das Problem an der Wurzel.

Sich zu mäßigen hat nichts mit Mittelmäßigkeit zu tun.Selbst Profisportler wissen, dass sie beim Training ihrMaß berücksichtigen und Entspannungsphasen einplanenmüssen, um sich zu steigern und die Bestleistung genaudann abzurufen, wenn es darauf ankommt.

meine empfehlung

Folgende Fragen und Anregungen helfen Ihnenbeim Reflektieren zum Thema „Maß“1. Kennen Sie Ihr Maß?2. Wann fällt es Ihnen leicht beziehungsweise schwer,

Ihr Maß zu halten?3. Wie ist es um Ihre Work-Life-Balance bestellt?4. Achten Sie im Alltag bewusst darauf, wann Ihr Limit

erreicht ist und sie genug gegessen, getrunken, ge-schlafen und gearbeitet haben?

5. Sind Sie in-takt? „In Takt“ zu sein, bedeutet auf den eigenen Rhythmus zu hören und ihm zu folgen.

6. Haben Sie Rituale, aus denen Sie Kraft schöpfen können? Rituale helfen Ihnen dabei, den Alltag zu rhythmisieren.

Mäßigungim Profi-Sport

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F 85/10 Führen mit Werten

DiePrüfungsaufgabe

ist gerecht.Bitte klettern Sie alle

auf diesen Baum.

„Autoritätwie Vertrauen werden

durch nichts mehrerschüttert als durch

das Gefühl, ungerechtbehandelt zu werden.“

Theodor Storm,1817–1888,

dt. Schriftsteller

2. Primärwert: Gerechtigkeit

Gerechtigkeit beinhaltet, sich selbst und anderen gerechtzu werden. Wer sich selbst nicht gerecht wird, kann auchanderen gegenüber nicht gerecht sein.

Gerechtigkeit, wie sie beispielsweise von Richtern gefor-dert wird, erfordert Weisheit (Klugheit) und Klarheit.Klarheit wiederum hängt eng mit dem rechten Zeitmaßzusammen: Ruhe und Reflektion sind Voraussetzungenfür Klarheit. Wer immer in Aktion ist, findet keinen klarenBlick.

Bitte verwechseln Sie Gerechtigkeit nicht mit Gleichma-cherei. Menschen gerecht zu führen bedeutet, ihre indivi-duellen Stärken und Schwächen zu berücksichtigen.

Gerechtigkeit impliziert, dass die Entscheidungskri-terien klar und transparent sind, dass Führungskräf-te berechenbar handeln. Wenn Gehälter nach Gut-düngen ausgehandelt werden oder Frauen für diegleiche Arbeit schlechter entlohnt werden, ist dasnicht gerecht und wird Rebellion oder innereKündigung zur Folge haben.

Gerecht ist stattdessen, wenn Mitarbeiter ihrenStärken entsprechend gefördert beziehungs-

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Gerechtigkeitist keine

Gleichmacherei.

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weise eingesetzt werden und wissen, welche nachvollzieh-baren Faktoren ihre Entlohnung, Beurteilung und Beförde-rung bestimmen.

3. Primärwert: Tapferkeit

Der Wert der Tapferkeit beinhaltet den Willen, zu sichselbst und zu seinen Überzeugungen zu stehen, sich aufKonflikte einzulassen sowie Durchhaltevermögen undGeduld zu haben. Durchhaltevermögen und Geduld sindhäufig die Voraussetzungen für Erfolg.

Vielleicht ist die fehlende Tapferkeit ein Grund dafür, dassMitarbeiter in der inneren Kündigung verharren, statt fürAnerkennung zu kämpfen oder aktiv nach Alternativen zusuchen. Tapferkeit hat viele Facetten. Sie beinhaltet denMut, zu sich selbst zu stehen oder sich nicht allen (frag-würdigen) modischen und gesellschaftlichen Trends undZwängen zu beugen. Sie umschließt die Zivilcourage,auch einmal anderer Meinung zu sein, anderen in einerMisere beizustehen und zu kämpfen. Vorbild ist, wer an-dere Menschen nicht vorschnell aufgibt, sondern sich fürdie Sache einsetzt, die er für sich als richtig erkannt hat.

meine empfehlung

Folgende Fragen und Anregungen helfen Ihnenbeim Reflektieren zum Thema „Gerechtigkeit“1. Werden Sie sich im Berufs- und Privatleben selbst

gerecht?2. Wann werden Sie sich selbst nicht gerecht? Was sind

die Gründe dafür?3. Erkennen Sie, inwiefern die Ursachen für die Unge-

rechtigkeit gegenüber anderen in der Ungerechtig-keit gegenüber sich selbst liegen?

4. Wie finden Sie Klarheit?5. Wie können Sie für Ihre Mitarbeiter berechenbar

sein und Transparenz schaffen?

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F 85/12 Führen mit Werten

4. Primärwert: Weisheit

Weisheit basiert auf Klarheit und ist die Voraussetzungfür den weisen Umgang mit sich selbst und anderen. Wermit sich selbst nicht im Reinen ist, projiziert seine Proble-me auf andere und wird dadurch zum Unruhestifter.

Wie die Porath/Pearson-Studie zeigt, sind viele Füh-rungskräfte heutzutage Unruhestifter. Die meisten von ih-nen handeln nicht mit Vorsatz misstrauisch, arrogant, un-

meine empfehlung

Folgende Fragen und Anregungen helfen Ihnenbeim Reflektieren zum Thema „Tapferkeit“

1. Stehen Sie zu sich?

2. Wann stehen Sie nicht zu sich?

3. Wofür kämpfen Sie?

4. Haben Sie Geduld und Durchhaltevermögen?

beispiel: Stellen Sie sich vor, Sie haben einem Freundvertraut, seinen Anlage-Tipp befolgt, eine große SummeGeld an der Börse angelegt und: verloren. Wenn Sie die-ses Geschehnis nicht reflektieren und sich Ihren Fehlernicht verzeihen, sondern sich über sich selbst ärgern, kanndas unangemessene Folgen für Ihr Führungsverhalten ha-ben. Womöglich werden Sie plötzlich überängstlich. Siescheuen sich, anstehende Investitionen im Betrieb zu ver-antworten, oder Sie misstrauen Ihren Mitarbeitern. Sie er-mahnen Ihre Kinder, niemandem zu vertrauen, oder Sielehnen ohne Überlegung ab, wenn ein guter Freund Sieum eine kleine Geldsumme bittet. Sie fangen an, Ihre Mit-arbeiter zu kontrollieren, und entwickeln einen Führungs-stil, der von Misstrauen geprägt ist. Weil Sie die Gescheh-nisse nicht reflektieren, werden Sie plötzlich zumUnruhestifter, der unangemessen handelt und anderenMenschen das Leben schwer macht.

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Page 13: Renaissance der 7 Primärwerte: Wie Sie mit Werten führen – nicht …€¦ · „Führen mit Zielen“ versus „Führen mit Werten“ . . . . . . . . . . . . 2 Aktuelle Studie:

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gerecht und diskriminierend. Ihr Verhalten ergibt sich ausder Tatsache, dass sie mit sich selbst und ihren Emotionennicht im Reinen sind.

Wer zum Beispiel seine Schwächen nicht reflektiert undannimmt, wird immer wieder andere klein machen müs-sen, um sich selbst erhaben zu fühlen.

Weisheit als Voraussetzung für Nachhaltigkeit

Weisheit beinhaltet darüber hinaus eine gewisse Weit-sicht. Arthur Schopenhauer hat es so formuliert: „Einwichtiger Punkt der Lebensweisheit besteht in dem richti-gen Verhältnis, in welchem wir unsere Aufmerksamkeitteils der Gegenwart, teils der Zukunft widmen, damit nichtdie eine uns die andere verderbe.“

An dieser Weitsicht mangelt es manchmal beim „Führenmit Zielen“. Ziele werden meist für einen kurz- oder mit-telfristigen Zeitraum vereinbart. Die langfristige Betrach-tung wird häufig nicht integriert. Sie wird häufig an exter-ne Gremien oder spezielle Fachausschüsse ausgelagert.Nachhaltigkeitsberichte haben nur bedingt Konsequenzenfür den operativen Führungsalltag.

Top-Manager wissen häufig um die negativen Auswirkun-gen ihrer kurzfristig erzielten Top-Renditen. Doch nochbevor das von ihnen erbaute Kartenhaus einstürzen kann,sind sie schon zur Konkurrenz gewechselt. Bei diesemBäumchen-wechsel-dich-Spiel schlägt der Top-Managerdrei Fliegen mit einer Klappe: Er feilt an seinem Image,maximiert sein Gehalt und flüchtet vor den Folgen seinereigenen Führungspolitik.

Nachhaltigkeit als Unternehmenswert

Gerade eigentümergeführte mittelständische Unterneh-men haben die Gefahren der fehlenden Weitsicht erkanntund integrieren die Nachhaltigkeit in den Führungsalltag,sie fordern das nachhaltige Denken von ihren Führungs-kräften.

Fokus auf Gegen-wart und Zukunft

Flucht vor der eige-nen Führungspolitik

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F 85/14 Führen mit Werten

Der Begriff der Nachhaltigkeit stammt ursprünglich ausder Forstwirtschaft. In Bezug auf Unternehmen bedeutetNachhaltigkeit, „Umweltgesichtspunkte gleichberech-tigt mit sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunktenzu berücksichtigen. Zukunftsfähig wirtschaften bedeutetalso: Wir müssen unseren Kindern und Enkelkindernein intaktes ökologisches, soziales und ökonomischesGefüge hinterlassen. Das eine ist ohne das andere nichtzu haben.“ (Definition des Rates für Nachhaltige Ent-wicklung.)

5. Primärwert: Glaube

Im Christentum geht es bei diesem Wert in erster Linie umden Glauben an Gott. Gefordert werden darüber hinausder Glaube an den Menschen (das Gute im Menschen)und der Glaube an sich selbst.

Die letzten beiden Punkte sind auch für Atheisten nach-vollziehbar. Eine Führungskraft, die nicht an die Stärkenund Fähigkeiten ihrer Mitarbeiter glaubt, wird ihnennichts zutrauen und sie nicht fördern. Eine Führungskraft,die hingegen nicht an sich selbst glaubt, kann ihre Füh-rungsaufgaben nicht authentisch wahrnehmen. Sie wirktauf die Mitarbeiter nicht überzeugend. Der Glaube eines

meine empfehlung

Folgende Fragen und Anregungen helfen Ihnenbeim Reflektieren zum Thema „Weisheit“

1. Wie sind Ihre langfristigen Ziele in 10, 20 oder30 Jahren?

2. Passen Ihre kurzfristigen zu Ihren langfristigenZielen?

3. Wo gibt es Widersprüche und warum?

4. Wie könnte Nachhaltigkeit in Ihrem Berufs- undPrivatleben aussehen?

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Führen mit Werten F 85/15

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Menschen manifestiert sich auf sprachlicher Ebene in densogenannten Glaubenssätzen.

Was sind Glaubenssätze?

Vereinfacht gesagt: Glaubenssätze sind Sätze, die Sieglauben. Es handelt sich dabei um Ihre inneren Einstellun-gen und Leitideen, die Sie für wahr halten. Sie sind gene-ralisierend, vereinfachend und lassen sich in zwei Katego-rien unterteilen:

die unterstützenden, motivierenden und

die destruktiven, demontierenden, einschränkenden

Glaubenssätze. Diese Überzeugungen sind nicht immerbewusst.

Häufig werden sie im Kindesalter unreflektiert von derUmwelt, den Eltern, den Lehrern, den Klassenkameradenoder von der Werbung übernommen. Ob die Glaubenssät-ze eine eher konstruktive oder mehr destruktive Wirkungentfalten, ist häufig erst durch eine genaue Analyse undPrüfung festzustellen.

Glaubenssätze sind wichtig

Kein Mensch kommt ohne Glaubenssätze aus. Sie helfenihm dabei, die Orientierung zu behalten und Geschehnisseeinzuordnen.

Angenommen, eine betrogene Frau übernimmt den Glau-benssatz „Alle Männer sind Schweine“ für sich. DieserSatz bringt den aktuellen Schmerz, die Wut, die Enttäu-schung und die Abwehrhaltung der Frau zum Ausdruck.Vielleicht kann dieser Glaubenssatz sie davor bewahren,zu schnell eine weitere destruktive Beziehung einzuge-hen. Doch spätestens wenn die Frau bereit für eine neue,harmonische Beziehung ist, sollte sie diesen Glaubenssatzüber Bord werfen. Kein liebevoller Mann wird sich voneiner Frau angezogen fühlen, die so verachtend über sei-nesgleichen denkt.

Lebensweisheiten kritisch überprüfen

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F 85/16 Führen mit Werten

wichtig: Alle Glaubenssätze sind gleichermaßen richtigund wahr. Sie sind für sich weder gut noch böse. PrüfenSie jedoch: Ist dieser Glaubenssatz in dieser Lebensphasefür mich hilfreich und nützlich?

Weitverbreitete GlaubenssätzeGlaubenssätze mit (eher)einschränkender Wirkung

Glaubenssätze mit (eher)motivierender Wirkung

Das Leben ist hart und ungerecht. Das Leben trägt mich.

Geld regiert die Welt. Liebe hält die Welt zusammen.

Hast du was, dann bist du was. Ich bin wertvoll, weil ich Werte habe.

Schuster, bleib bei deinem Leisten. Vom Tellerwäscher zum Millionär.

Geld stinkt. Geld ist weder gut noch böse.

Ich bin nicht gut genug. Egal was ich mache, ich werde Erfolg haben.

Ich muss immer Bestleistung bringen, um beachtet zu werden.

So wie ich bin, bin ich liebenswert.

Um Hilfe zu bitten ist ein Zeichen von Schwäche.

Ich darf Schwächen haben.

Nur wenn ich viel leiste, bin ich viel wert. Ich darf auch mal faul sein.

Ich bin zu dumm/arm/neurotisch, um ge-liebt zu werden. / Ich muss mich verstel-len, um geliebt zu werden.

So wie ich bin, bin ich liebenswert.

Der Mensch ist von Natur aus faul. Der Mensch ist von Natur aus gut. / Auch Faulsein gehört zum Leben.

Wenn ich scheitere, bin ich ein Versager. Scheitern gehört zum Leben dazu. / Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.

Ich kann das nicht. Ich kann alles erreichen, was icherreichen will.

Ich bin zu alt. Es ist nie zu spät, sein Leben in die Hand zu nehmen.

Ich muss mich beeilen. Wenn du es eilig hast, gehe langsam.

Das schaff ich nicht. Für jedes Problem gibt es eine Lösung.

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Führen mit Werten F 85/17

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Problematisch ist, wenn einschränkende GlaubenssätzeSie daran hindern, Ihren Wünschen und Zielen näher zukommen.

Glaubenssätze wie „Bleib, wie du bist“ oder „Ich willbleiben, wie ich bin“ können zum Beispiel einschränkendsein, da sie keine Veränderung erlauben. Überlegen Sie,inwiefern diese Glaubenssätze erweitert werden könnten.Zum Beispiel: „Sei, wer du bist, und werde, wer du seinkannst“ oder „Ich entdecke neue Facetten an mir.“

Jeder Glaubenssatz ist subjektiv wahr. Er ist wie ein Filter,wie eine Brille, durch die Sie die Welt sehen. Er beein-flusst also Ihre Sicht auf die Dinge.

beispiel: Jemand, der das Leben durch die Brille „DasLeben ist hart und ungerecht“ betrachtet, wird andere Er-lebnisse machen und andere Wahrnehmungen haben alsjemand, der durch die Brille „Der Prozess ist meinFreund/das Leben trägt mich“ schaut. Aufgrund ihrerpersönlichen Wahrnehmungen und Erlebnisse werdenbeide Personen immer wieder darin bestätigt, dass sie mitihren Ansichten Recht haben. Die Glaubenssätze werdenzu einer tiefen Überzeugung. Die Fähigkeit, den eigenenGlaubenssatz zu erkennen und ihn gegebenenfalls aufzu-geben, wird mit der Zeit immer geringer.

meine empfehlung

Folgende Fragen und Anregungen helfen Ihnenbeim Reflektieren zum Thema „Glaube“

Wählen Sie spontan zwei, drei typische Glaubenssätze,die Sie durch Ihr Leben begleiten oder begleitet haben.

Überlegen Sie:

1. Woher/Von wem kennen Sie diesen Glaubenssatz?

2. Ist dieser Glaubenssatz heute noch hilfreich für Sie?

3. Warum war er bisher wichtig für Sie?

Wie Glaubenssätze einschränken oder motivieren

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6. Primärwert: Liebe

Im geschäftlichen Kontext über Liebe zu sprechen, sorgtbei vielen Managern für Stirnrunzeln. „Dienst ist Dienst,und Schnaps ist Schnaps“ lautet der Glaubenssatz. Er be-sagt: Berufs- und Privatleben müssen getrennt werden.Zahlen, Daten und Fakten gehören ins Berufsleben, Liebeund Zuneigung ins Private.

Die Griechen unterscheiden drei Arten von Liebe: Eros,Philia und Agape.

Eros bezeichnet die leidenschaftliche Liebe, zum Bei-spiel zwischen einem Liebespaar.

Philia umschreibt die freundschaftliche Liebe, zumBeispiel zwischen Geschwistern.

Agape ist die universelle Liebe. Sie ist ebenso freund-lich wie bedingungslos und kann gegenüber allen Le-bewesen empfunden werden.

Überlegen Sie: Ist in Ihrem Unternehmen Agape anwe-send? Wäre der Unternehmenserfolg eher gefährdet odereher gesichert, wenn Sie mit Agape führen würden?

Liebe deine Kunden

Der renommierte Verkaufsprofi Hans-Uwe L. Köhler setztnicht nur auf Agape. Er geht sogar noch einen Schritt wei-ter und vergleicht das Verkaufsgespräch mit einer Liebes-beziehung. Sein Vorbild für die Verkaufsstrategie „Love-Selling®“ sind frisch verliebte Paare.

4. Welche Folgen hätte es, wenn Sie den Glaubenssatz beibehalten?

5. Welche Folgen hätte es, wenn Sie den Glaubenssatz aufgeben?

6. Ist es sinnvoll, den Glaubenssatz abzuändern oder gegen einen neuen zu ersetzen?

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Experten-Interview mit Hans-Uwe L. Köhler

Hans-Uwe L. Köhler ist ein wahres Multitalent: Der Verkaufs-Profi gehört zur deutschen Trainer-Elite und wurde 2010 mitdem Innovationspreis der German Speakers Association(GSA) ausgezeichnet. GSA-Vizepräsident Siegfried Haiderbezeichnet ihn als „Nummer Eins-Mann, wie er selten anzu-treffen ist“. Agnes Anna Jarosch sprach mit dem charismati-schen Redner, Bestseller-Autor und Erfinder des Love-Selling®-Modells über das Führen mit Werten und die Liebebeim Verkaufen.

Agnes Jarosch (A. J.): Herr Köhler, wie sind Sie überhauptauf die Idee gekommen, den Verkaufsprozess mit einerLiebesbeziehung zu vergleichen?

Hans-Uwe L. Köhler (er benutzt für sich die AbkürzungHULK, Anmerkung der Redaktion): Es fing damit an,dass ein Kunde einen Vortrag zum Thema „Kundenbin-dungsmanagement“ wollte. Ich untersuchte, wie Men-schen sich binden. Auf meiner Suche nach Bindungsge-schichten bin ich auf das Liebespaar gestoßen. DasLiebespaar ist das perfekte Kommunikationsmodell. Ichbrachte diese Idee auf ein Flipchart, das ich präsentierte.Durch die Unruhe im Saal spürte ich: Da habe ich etwasAußergewöhnliches gefunden.

A. J.: Stoßen Sie auf Widerstände, wenn Sie den Ver-kaufsprozess mit einer Liebesbeziehung vergleichen?

HULK: Nein, der Widerstand ist denkbar gering. Ich be-ginne mit der Frage „Wer von Ihnen war schon einmalverliebt?“ In der Regel waren das alle schon einmal. Ichhabe also zu 100 Prozent Experten im Raum. Das ist Vor-raussetzung, denn wer nicht zur Selbstliebe fähig ist, kei-ne Liebe geben und empfangen kann, kann letztendlichauch nicht erfolgreich im Verkauf arbeiten.

A. J.: Welcher Zusammenhang besteht zwischen einerLiebesbeziehung und dem Verkaufsprozess?

Hans-Uwe L. Köhler

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HULK: Stellen Sie sich vor, Sie wollen ein Auto kaufen.Wahrscheinlich haben Sie eine Vorauswahl getroffen, be-vor Sie den Händler aufsuchen. Sie wissen, welche Mar-ke, welches Modell und welche Farbe für Sie in Fragekommen. Wozu brauchen Sie dann überhaupt noch denVerkäufer? Sie brauchen den Verkäufer, weil er Ihnen dieSicherheit gibt, keine Fehlentscheidung zu treffen. Dazubenötigt er Interesse und Empathie, um Ihre Situationnachzuvollziehen. Frisch Verliebte haben dieses uneinge-schränkte Interesse aneinander. Sie besitzen die Empathie,um die Situation des anderen zu verstehen.

A. J.: Es geht also um Empathie?

HULK: Liebesfähigkeit basiert auf Empathie, auf Einfüh-lungsvermögen und Hingabe. Beobachten Sie einmal einkleines Kind beim Spielen. Es spielt mit voller Hingabe,bis es über seinem Spielzeug einschläft. Wenn wir etwasmit Hingabe tun, vergessen wir Zeit und Raum. DieseHingabe ist konstruktiv und hat nichts mit der destrukti-ven, kollektiven Selbstausbeutung zu tun, die wir oft imArbeitsleben vorfinden.

A. J.: An konstruktiver Hingabe mangelt es vielen Ange-stellten, wie zahlreiche Studien belegen.

HULK: Laut Gallup-Studie haben nur 13 Prozent derAngestellten eine hohe emotionale Bindung an ihren Ar-beitgeber, die anderen sind mehr oder weniger gleichgül-tig eingestellt und arbeiten folglich auch ohne Hingabe.Welchen Einfluss die Führungskraft auf die Emotionenund auf den Erfolg einer Mannschaft hat, lässt sich imProfisport beobachten. Durch Trainerwechsel brechenMannschaften zusammen oder sie blühen auf.

A. J.: Apropos Trainerwechsel: Trennungen sind häufigschmerzhaft. Wann ist es erforderlich, eine Beziehungaufzugeben?

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HULK: Beziehungen werden nur aufrechterhalten, wennbeide eine gemeinsame Zukunft sehen. Beschwerden undReklamationen sind ein Indiz dafür, dass jemand an derFortsetzung der Beziehung interessiert ist. Sie sind einHilfeschrei. Wer sich beschwert, kämpft um den Erhaltder gefährdeten Beziehung. Falls es jedoch partout nichtpasst, muss man sich auch im Guten von einander trennenkönnen. Menschen brauchen lange, um zu gehen. Da sindauf beiden Seiten Mut und Tapferkeit gefragt.

A. J.: Damit es nicht so weit kommt: Wie können Füh-rungskräfte ihre Mitarbeiter dabei unterstützen, eine in-takte Beziehung zu ihrem Arbeitgeber zu pflegen?

HULK: Ein Vorgesetzter ist erst einmal jemand, der denMitarbeitern aufgrund seiner fachlichen Qualifikationenvorgesetzt wird. Wie wird dieser Vorgesetzte zur Füh-rungskraft? Durch die Entwicklung seiner Sozialkompe-tenz und den liebevollen Umgang mit seinen Mitarbeitern.Der Mitarbeiter ist auf der Suche nach Sicherheit undfragt sich: Findet unser Boss den Weg in die Zukunft?Eine Führungskraft, die gute Entscheidungen trifft und ihrTeam sicher durch das Arbeitsleben führt, erntet Respektund Vertrauen.

A. J.: Was bedeutet es, liebevoll mit seinen Mitarbeiternumzugehen? Sie meinen sicherlich keinen Schmuse-kurs?

HULK: Nein. Es geht um die Bereitschaft, den Mitarbei-tern beim Wachsen und beim Entfalten zu helfen, sie zuschützen und zu stützen, aber auch zu fördern und zu for-dern. Nichts anderes tun Eltern bei der Erziehung ihrerKinder. Zu jeder liebevollen Beziehung gehört, den ande-ren in seiner Entfaltung zu unterstützen, statt ihn klein zuhalten. Gemeinsam stärker werden, das ist gut.

A. J.: Danke für das Interview!

Beschwerdendienen dem Erhalt der Beziehung

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Schützen, stützen, fördern und fordern

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7. Primärwert: Hoffnung

Wenn Sie den Begriff „Hoffnungsträger“ in eine Internet-Suchmaschine eingeben, stoßen Sie auf Namen wie Ba-rack Obama, Philipp Rösler, Sebastian Vettel und LenaMeyer-Landrut.

Persönlichkeiten, in denen die Gesellschaft Potenzialeentdeckt, werden zum Träger der Hoffnung auserkorenund stehen unter dem Druck, die Masse nicht zu enttäu-schen. Das ist keine leichte Aufgabe. Kein Wunder, dassviele Menschen sich lieber an Durchschnittsleistungenorientieren und in der Masse untertauchen.

Für einige der Auserwählten ist die Hoffnung jedoch wieein Motivator, ein Funken, aus dem sich das Feuer entzün-det. Der französische Schriftsteller Luc de Clapier, Mar-quis de Vauvenargues, sieht die kühne Hoffnung unter an-derem als Basis des außerordentlichen Erfolgs. Er sagte:„Die lächerlichsten und die kühnsten Hoffnungen sindmanchmal die Ursache außerordentlicher Erfolge gewe-sen.“ Für den damals 17-jährigen Boris Becker mag eseine kühne und lächerliche Hoffnung gewesen sein, alsjüngster Wimbledon-Sieger in die Geschichte einzugehenund die gestandenen Tennis-Profis das Fürchten zu lehren.

meine empfehlung

Folgende Fragen und Anregungen helfen Ihnenbeim Reflektieren zum Thema „Liebe“

1. Trennen Sie Beruf und Privatleben? Wenn ja: aus welchen Gründen?

2. Herrscht an Ihrem Arbeitsplatz eine Ellenbogen-Mentalität oder kollegiales Miteinander?

3. Führen Sie mit Agape?

4. Wie können Sie Mitarbeiter motivieren und zu Best-leistungen anspornen, wenn Sie sie nicht mögen oder lieben?

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Führungskräfte benötigen den Mut, die Rolle des Hoff-nungsträgers für ihre Mitarbeiter zu übernehmen und da-rauf zu vertrauen, dass sie wie Phoenix aus der Asche auf-erstehen können.

Menschen, die keine Hoffnung haben, sind häufig depres-siv, krankheitsanfällig und leistungsschwach. Deshalb istes für Führungskräfte wichtig, die Rolle des Hoffnungs-trägers anzunehmen und ihren Mitarbeitern Hoffnung zuschenken. Luc de Clapier mahnt allerdings, sie nicht alsRuhekissen zu missbrauchen: „Die Hoffnung befeuert denWeisen, aber sie narrt den Vermessenen und den Trägen,die gedankenlos auf ihren Versprechungen ausruhen“. InAusnahmefällen können kühne Hoffnungen zum Erfolgführen (→ Beispiel Boris Becker), doch realitätsferneTagträume helfen nicht weiter.

Folgende Geschichte soll sich tatsächlich ereignet haben:Aus Versehen wurde ein Mann am Abend in ein Kühl-haus eingesperrt. Der Gefangene wusste, dass bis zumnächsten Morgen niemand mehr kommen würde. Erhatte keinerlei Hoffnung, die Nacht bei extremer Kältezu überleben, und schrieb einen Abschiedsbrief. Amnächsten Morgen wurde er tot aufgefunden. Sein Todüberraschte den Chef und die Kollegen sehr, da in derNacht die Kühlanlage ausgefallen war. Er hätte überle-ben können, doch er starb, weil er sich selbst bereitsaufgegeben hatte.

meine empfehlung

Folgende Fragen und Anregungen helfen Ihnenbeim Reflektieren zum Thema „Hoffnung“

1. Wer ist für Sie ein Hoffnungsträger?

2. Sind Sie Hoffnungsträger für Ihre Mitarbeiter?

3. Fühlen Sie sich in der Sicherheit der Masse wohl?

4. Haben Sie Angst vor Lächerlichkeit?

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Fazit: Ergänzen Sie die Führung mit Zielenum die Führung mit Werten

Dieser Beitrag zeigt auf, dass Führen mit Werten undFühren mit Zielen nicht widersprüchlich sein müssen,sondern sich ergänzen. Werte wie „Maß“, „Tapferkeit“und „Liebe“ klingen im geschäftlichen Kontext deplat-ziert, sind es jedoch nicht. Sie sichern die Leistungsfä-higkeit, die Motivation und den nachhaltigen geschäftli-chen Erfolg.

Übersicht:Die 7 Primärtugenden auf einen Blick

Ziehen Sie Bilanz: Überlegen Sie, welche Unterneh-menswerte in Ihrer Firma (alternativ: in Ihrer Familie, inIhrem Verein, in Ihrem Freundeskreis) gelebt werden:

1. Maß (auch: das rechte Zeitmaß)

2. Gerechtigkeit (auch: Transparenz)

3. Tapferkeit (auch: Durchhaltevermögen und Geduld)

4. Weisheit (auch: Weitblick und Nachhaltigkeit)

5. Glaube (auch: an sich selbst und die Mitmenschen)

6. Liebe (auch: Empathie und Einfühlungsvermögen)

7. Hoffnung (auch: Bereitschaft zum Außergewöhnlichen)

An welchen Werten mangelt es? Auf welche Werte wol-len Sie sich zukünftig stärker konzentrieren? „Der großeKnigge“ wünscht Ihnen viel Erfolg!

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