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3|2011 G 3777 FACHZEITSCHRIFT DES BDP ZEITSCHRIFT DES BERUFSVERBANDES DEUTSCHER PSYCHOLOGINNEN UND PSYCHOLOGEN E.V. 36. JAHRGANG MÄRZ 2011 reportpsychologie WWW.BDP-VERBAND.DE Bedarfsplanung dringend reformbedürftig Hartz-IV-Empfänger fit für den Job durch »Bridges« TBS-TK-Rezension OPQ32 WOGE WOGE

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Report Psychologie 3/2011 - Leseprobe: Bedarfsplanung dringend reformbedürftig.

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G 3777FACHZEITSCHRIFT DES BDPZEITSCHRIFT DES BERUFSVERBANDES DEUTSCHERPSYCHOLOGINNEN UND PSYCHOLOGEN E.V.36. JAHRGANGMÄRZ 2011

reportpsychologieW W W . B D P - V E R B A N D . D E

Bedarfsplanung dringend reformbedürftig

Hartz-IV-Empfänger fit für den Job durch »Bridges« TBS-TK-Rezension OPQ32

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Liebe Leserin, lieber Leser,derzeit sind seitens der Politik die Reformder Bedarfsplanung und der Entwurf einesVersorgungsgesetzes angekündigt. Deshalbhaben wir für die Rubrik »Fokus« diesesThema gewählt. Bisher misst sich dieBedarfsplanung keineswegs an dem Bedarfder Bevölkerung, sondern an der Zahl der Behandler, für die 1999 bei den Psychologischen Psychotherapeutinnenund -therapeuten und 1997 bei den psychotherapeutisch tätigen Ärzten eine

bestimmte Anzahl als 100-Prozent-Versorgung festgelegt wurde.Überversorgung besteht demnach überall dort, wo diese Zahl umzehn Prozent überschritten wird. Dass die Bedarfe sich sowohl insgesamt als auch bei bestimmten Patientengruppen (z.B. Älteren,Jugendlichen, Psychotikern, Depressiven usw.) enorm verschobenhaben, wird bei dieser Rechnung nicht abgebildet. Die pauschaleAussage, Berlin sei zu 158 Prozent überversorgt, spiegelt in keinerWeise den von Patienten und Psychotherapeuten real erlebten Versorgungsbedarf wider (monatelange Wartezeiten auf einen Therapieplatz). Ebenso krass ist das in ländlicheren Gegenden, wowie in Lüchow-Dannenberg die absolute Zahl von jetzt ca. 20Behandlern auf 10 0000 Einwohner eine angebliche Überversorgungin Höhe von mehr als 400 Prozent begründet. Bedarfsplanung solltetatsächliche Bedarfe abbilden, auch wenn sie nicht immer alle bedienen kann. Sie sollte aber auf epidemiologischer und konkreterVersorgungsforschung beruhen. In den Vordergrund müssen dieKrankheiten der Patienten, nicht die Bedürfnisse des Systems treten.Dass es am Ende auch ökonomische Grenzen geben kann, leuchtetein. Nur wird dies gegenwärtig nicht offen angesprochen, sondernder Bevölkerung wird mit der Behauptung von Überversorgung Sandin die Augen gestreut. Der Anteil behandlungsbedürftiger Patientenist in den vergangenen Jahren gestiegen. Für Kinder und Jugendlichebesteht laut Bella-Studie des Robert-Koch-Instituts ein Behandlungs-bedarf von rund zehn Prozent. Nach Ihle und Esser (2002) liegt diesersogar bei 18 Prozent. Bei der erwachsenen Bevölkerung ist es noch drastischer. Jacobi et al. (2004) fanden heraus, dass 31 Prozent der 18- bis 65-Jährigen an einer psychischen Störung leiden (ohne posttraumatische Belastungsstörungen und Persönlichkeitsstörungen). In der Gruppe der über 60-Jährigen sind es 25 Prozent, die eine psychische Störung aufweisen (Bickel et al., 2003). Um die Bedarfsplanung sinnvoll zu reformieren, müssen demografische Entwicklungen (Alter, Gender, Migration, soziale Schicht) der einzelnen Bedarfsgebiete einbezogen werden. Das Versorgungssystemist auch von einer starken Fraktionierung mit erheblichen Schnittstellenproblemen zwischen und innerhalb der Sektorengekennzeichnet. Beim Wechsel zwischen den Sektoren kommt es zuWartezeiten und Brüchen in der Behandlungsstrategie. Es ist notwendig, die Patientinnen und Patienten und nicht nur das System in den Fokus zu nehmen. Ich bin überzeugt, dass dann auch eher der psychotherapeutische Nachwuchs und ebenso die kreative Vielfalt der psychotherapeutischen Verfahrenberücksicht werden würden.

Ihr Heinrich BertramBDP-Vizepräsident

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102 Nachrichten aus den Sektionen und Landesgruppen

108 Bedarfsplanung dringend reformbedürftigInterview mit Eva Schweitzer-Köhn

111 Zum Behandlungsbedarf an klinisch-psychologischen Interventionen

114 So bekommen Hartz-IV-Empfänger doch einen JobVon Matthias Schmidt, Technische Universität Dresden

130 Situation von Psychologischen Psychotherapeuten im Krankenhaus verbessert sich

132 Keine Kostenerstattung durch private Krankenversicherung ohne vorherige Bewilligungvon Psychotherapie

133 Forum zu gesellschaftlichen Trends und Perspektiven der Psychologie

134 Langsam wächst Bewusstsein für Datenprobleme

134 Aus Pressemitteilungen des BDP135 Die Wiederkehr der Folter

119 Akademie aktuell125 TBS-TK-Rezension 128 Leserbriefe129 Neue Mitglieder137 Marktplatz139 Stellenmarkt145 Fort- und Weiterbildungsangebote149 BDP-Termine152 Impressum

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Der drohende Ärztemangel bei Hausärzten undeinigen Facharztgruppen hat dazu geführt,

dass die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV)über eine Reform der Bedarfsplanung nachdenkt. BisOstern wollen die Regierungsparteien gemeinsameEckpunkte für ein GKV-Versorgungsgesetz vorlegen.Wie sehr sind Psychotherapeuten davon betroffen,und wie wichtig ist es aus Ihrer Sicht, dass der BDP indieser Frage klar Position bezieht?Eine Reform ist dringend geboten. Die Bedarfsplanung imBereich der psychotherapeutischen Versorgung ist drin-gend verbesserungsbedürftig. Im Moment sieht es jedocheher nur nach einer Umverteilung in allen Bereichen aus.Dort, wo nach der Bedarfsplanungsrichtline zu viele Ärzteund Psychologische Psychotherapeuten niedergelassensind, sollen künftig Praxen von den Inhabern, die ihrePraxistätigkeit aufgeben wollen, aufgekauft und ge-schlossen werden. Ein Prozent der Gesamtvergütung solldafür bereitgestellt werden. In schlechter versorgten Ge-bieten ist angedacht, Niederlassungen zu fördern. Das istm.E. keine Bedarfsplanung, sondern Verwaltung desMangels. Ich vermisse eine komplexe Herangehensweise,die tatsächliche Bedarfe, Kostenfaktoren, Einsparpoten-ziale z.B. durch bessere Prävention oder einen kritische-ren Blick auf Arzneimittel(kosten) umfasst. Es ist wichtig,dass die im VPP organisierten Psychologischen Psycho-therapeuten im BDP dazu Position beziehen; genausowichtig ist die Rückendeckung durch den Gesamtver-band. Übrigens haben BDP und VPP in der Vergangen-heit bereits mehrfach dazu Position bezogen. Ich erinnerean eine Stellungnahme des BDP zur Einschätzung der Be-darfsdeckung in Bezug auf Psychotherapie bei Kindernund Jugendlichen 2004/05, an die BDP-Berichte 2007und 2008, an mehrere Pressemitteilungen und Presse-texte, in denen BDP- und VPP-Funktionäre sich mit derkritischen Versorgungssituation, die ja eine Folge derbisherigen Bedarfsplanung ist, auseinandergesetzt ha-ben. Selbstverständlich findet die Auseinandersetzungmit dem Thema auch in den Psychotherapeutenkam-mern und anderen Gremien statt, in denen der VPP ver-treten ist. Und schließlich informieren wir in allen Kon-takten mit Politikern über die tatsächlich vorhandene Lü-cke in der psychotherapeutischen Versorgung.

In allen Papieren, die mir zu einer bevorstehenden Reform der Bedarfsplanung von Parteien, der KBV, derGesundheitsministerkonferenz und anderen vorliegen,wird von einer Überversorgung gesprochen. Der KBV-Vorsitzende Dr. Andreas Köhler sagt, er wolleÄrzte – gemeint sind damit auch die PsychologischenPsychotherapeuten – dahin kriegen, wo Bedarf ist, undsichere damit Versorgung und Wirtschaftlichkeit.

Beschreibt das aus der Sicht des BDP und insbesondereder Psychotherapeuten im Verband das Kernproblemder gegenwärtigen Bedarfsplanung?Keineswegs. Noch existiert im psychotherapeutischenBereich faktisch eine Unterversorgung – generell undüberall. Besonders stark können schwer psychischKranke oder Behinderte betroffen sein oder Menschenin sozialen Brennpunkten und in strukturschwachenGegenden.

Zwischenfrage: Sie haben anders als einige Ihrer Kolleginnen und Kollegen offenbar kein Problem mitdem Begriff »Versorgung« als Symptom für einen vormundschaftlichen Staat?Ich sehe keinen Grund, mit dem Begriff ein Problem zuhaben. Ich denke, Gesundheitsversorgung als staatlicheAufgabe ergibt sich aus dem Anspruch, ein Sozialstaatzu sein. Zudem sind die Gesundheit der Bevölkerungund eine gute Gesundheitsversorgung wesentlicheStandortfaktoren.

Die KV – und damit zurück zur Bedarfsplanung –spricht aber dennoch von Überversorgung, nennt sogarZahlen. Berlin gilt mit 158 Prozent als überversorgt.Insbesondere die Bezirke Charlottenburg/Wilmersdorf,wo ein Psychotherapeut auf 580 Einwohner kommt,sowie Steglitz/Zehlendorf und Tempelhof/Schönebergwerden genannt.Es gibt bundesweit Gegenden mit besserer und schlech-terer Versorgung. Allerdings klagen auch die Praxen inden angeblich überversorgten Regionen nicht über Pa-tientenmangel oder mangelnde Wirtschaftlichkeit. DerFehler liegt im System oder, anders gesagt, in der Art,wie der Bedarf bisher ermittelt wurde, wobei das Wort»ermittelt« völlig falsche Assoziationen auslöst. Die tat-sächlichen Bedarfe werden bisher überhaupt nicht er-mittelt. Die bisherigen Verhältniszahlen basieren beiden Psychotherapeutinnen und -therapeuten auf der am31. August 1999 – nach Verabschiedung des Psychothe-rapeutengesetzes – zugelassenen Zahl von Behandlern.An diesem Tag waren noch längst nicht alle Anträgedurch die Zulassungsausschüsse bearbeitet. In Berlinwar der Zulassungsausschuss noch im September be-schäftigt, in Köln hatte man am 31. August gerade malden Buchstaben M erreicht, von den Widersprüchen,die bis ins Jahr 2000 gingen und darüber hinaus, ganz zuschweigen. Trotzdem wurde die im August 1999 zuge-lassene Zahl von Behandlern willkürlich als 100-Pro-zent-Marke festgelegt. Die vor dem Psychotherapeu-tengesetz bestehende Versorgung durch Delegations-psychologen und die, die im Rahmen der Kostenerstat-tung gearbeitet haben, wurde damit nicht erfüllt. Bei

Bedarfsplanungdringend reformbedürftig Eva Schweitzer-Köhn kritisiert aktuelle Planungspraxis scharf

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den Ärztinnen und Ärzten beruhen die Planzahlen aufeiner Analyse der AOK aus dem Jahr 1977.

Das heißt, der Bedarf wird festgelegt und nicht ermittelt?So kann man das sagen. Ein Psychotherapeut auf 2 577Einwohner in Kernstädten bzw. auf 23 106 Einwohner inländlichen Kreisen bedeutet nach diesem Verfahren: Die-ser Planungsbereich ist zu 100 Prozent versorgt. WeitereNeuzulassungen sind ab einem Versorgungsgrad von110 Prozent nicht mehr möglich. Wie viele Menschen tat-sächlich psychotherapeutischer Behandlung bedürfen,ob die Zahl psychischer Erkrankungen zunimmt – dasspielt alles keine Rolle. Die Wartezeiten von mehrerenWochen und Monaten, die Patienten bei Psychothera-peuten heutzutage auch dort haben, wo die Versorgungangeblich gesichert ist oder sogar eine Überversorgungbesteht, zeigen, wie unsinnig diese Herangehensweise ist.Die Bundespsychotherapeutenkammer hat daher aktuellüber die Landeskammern eine Umfrage gestartet. Durchsie sollen u.a. die Anzahl der Erstgespräche, die Existenzvon Wartelisten und Wartezeiten erfasst werden, um inder Debatte auf konkrete Daten verweisen zu können. Wir werden diesbezüglich auch nicht alles allein bewe-gen können. Der VPP wird mit anderen Psychothera-peutenverbänden zusammenarbeiten. Wir müssen dieverschiedenen Kanäle, die wir als Verband und als Sek-tion haben, nutzen.

Was steuert die Forschung zur tatsächlichen Bedarfsermittlung bei? Es gab 1991 das Forschungsgutachten zu Fragen eines Psy-chotherapeutengesetzes von Meyer, Richter, Grawe et al.Danach beträgt der Versorgungsbedarf auf dem Landfünf Prozent, in Großstädten acht Prozent. Wenn wirz.B. in Berlin das für das gesamte Jahr 2009 vorgeseheneHonorarvolumen in Höhe von rund 115 206 000 Euro fürdie genehmigte Psychotherapie nehmen, dann konntendamit gerade mal 1,04 Prozent der Einwohner von Ber-lin psychotherapeutisch versorgt werden (bei 40 Sitzun-gen/Jahr, was ungefähr der durchschnittlichen Therapie-stundenanzahl über alle Verfahren hinweg entspricht).Leider wird hier nicht nach wissenschaftlichen Erkennt-nissen entschieden, sondern nach der Geldmenge.

Die CDU spricht sich für eine Abkehr von der heutigen Systematik der Bedarfsplanung aus. Auf derjeweiligen KV-Ebene soll ein sektorübergreifenderVersorgungsausschuss eingerichtet werden. Planungs-bezirke sollen, auch bezogen auf einzelne Arztgrup-pen, kleinräumiger und flexibler gestaltet werden.Bei der Planung soll zwischen primärärztlicher Versor-gung und spezialisierter fachärztlicher Versorgung unterschieden werden. Auch das ambulante Angebotvon Krankenhäusern soll in die Planung einbezogenwerden. Zudem ist von Investitionszuschüssen undVergütungszuschlägen die Rede, wenn es um unterversorgte Gebiete geht. Bieten diese VorschlägeAnsatzpunkte, denen der Verband zustimmen kann?Kleinere, flexibler gestaltete Planungsbezirke scheinenauf jeden Fall vernünftig. Über sie könnte Unterversor-

gung in bestimmten Gebieten auch bei Psychothera-peuten erkannt und gegengesteuert werden. Sinnvoll istauch die Einbeziehung der Krankenhäuser. Bei diesemPunkt ist mir die Einbeziehung der psychiatrischen Ins-titutsambulanzen wichtig, die eigentlich nur für schwerpsychisch Kranke zuständig sind, die in der normalenambulanten Versorgung schlecht erreicht werden, inWirklichkeit aber die gleichen Patientengruppen wie dieNiedergelassenen behandeln. Der Differenzierung zwi-schen Grundversorgung und spezialisierter fachärztlicherVersorgung kann ich nur dann folgen, wenn die Psy-chotherapeuten zur Grundversorgung zählen. Und auchdann müssen die Verhältniszahlen der Bedarfsplanunggeändert werden und den tatsächlichen Bedarf wider-spiegeln. Die vom GKV-Spitzenverband vorgeseheneNeuberechnung mit Kappung auf der bisherigen Höhevon 110 Prozent ist auf keinen Fall akzeptabel. Der Land-kreis Lüchow-Dannenberg ist nach der Bedarfspla-nungsrichtlinie bei 430 Prozent Überversorgung. In ab-soluten Zahlen: Dort stehen 20 Psychotherapeuten für100 100 Einwohner zur Verfügung. Von den sowiesoschon wenigen Praxen würden nach GKV-Rechnungnoch etliche verschwinden müssen, obwohl nicht nurihre Wirtschaftlichkeit, sondern vor allem auch ihreNotwendigkeit gegeben ist.

Fast nichts habe ich in den Papieren über Fehlversor-gung gefunden. Ist es denn keine Tatsache, dass z.B. bei Diabetikern oder bei vielen Patienten mit Rückenschmerzen eine Verhaltensänderung – nachentsprechender psychologischer Diagnostik undre

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Eva-Maria Schweitzer-Köhn ist stellvertretende Bundesvorsitzende desVPP, stellvertretendeVorsitzende der Vertreterversammlungder KV Berlin, Mitglied des Beratenden Fachausschusses der KVBerlin und Sprecherindes KammerauschussesEthik, Berufsordnung,Patienten- und Menschenrechte.

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Beratung – viel bewirken und zum Teil teure Medikamente ersetzen könnte?Fehlversorgung ist in der Tat ein weiteres Problem. Beisomatischen Erkrankungen wird immer noch in vielenFällen die psychologische Komponente außer Acht ge-lassen und deshalb rein somatisch behandelt, was dannnicht zur Gesundung führt. Viele psychosomatischKranke können nicht angemessen psychotherapeutischbehandelt werden.

Wie beurteilen Sie die Chancen für eine besserepsychotherapeutische Versorgung durch eine Reform der Bedarfsplanung?Bei den bisherigen Vorschlägen bin ich eher skeptisch.Sie sehen lediglich eine Umverteilung vor, keine wirklichqualitativ bessere Versorgung. Dr. Andreas Köhler hat ineinem Interview gesagt, er gehe davon aus, dass esmehr Psychotherapeutensitze geben müsse. Aber wirbrauchen die Politik. Die Krankenkassen scheuen zu-sätzliche Kosten, weil sie keine Zusatzbeiträge einführen

wollen, die ihre Position im Wettbewerb mit anderenKassen schwächen. Alle möglichen Mehrkosten für einebessere Versorgung werden künftig von den Versicher-ten allein getragen werden, denn die Beiträge der Ar-beitgeber wurden eingefroren. Die Diskussion muss da-rüber geführt werden, wofür wir Geld ausgeben wollen,was Gesundheit uns wert ist, was eine gute psychothe-rapeutische Versorgung wert ist, was durch eine gutepsychotherapeutische Versorgung in Wirklichkeit an an-derer Stelle eingespart wird, welches Geld wohin verteiltwird, ob z.B. die Arzneimittelpreise in Deutschland sohoch sein müssen usw. In dieser Diskussion helfen uns keine Mythen wie derMythos von der Kostenexplosion im Gesundheitswesen,der seit Jahren gebetsmühlenartig wiederholt wird, solange, bis es alle glauben. Das Verhältnis der Gesund-heitskosten zum Bruttoinlandsprodukt ist in Wahrheitwährend der vergangenen 20 Jahre etwa gleich geblie-ben, immer um zehn Prozent. Man kann sich auch fragen,wo denn das zusätzlich verdiente Geld im gestiegenenBruttosozialprodukt geblieben ist: offensichtlich nichtbei den Löhnen und Gehältern der Versicherten, denndann wären Erhöhungen der Krankenversicherungsbei-träge überflüssig. Politiker müssen sich den Tatsachen stellen. Dazu ge-hört auch die Überalterung der Psychotherapeuten.2008 waren in Berlin fast 70 Prozent der mit Kindernund Jugendlichen arbeitenden Kollegen über 50 Jahrealt. Und bei den übrigen sieht es nicht wesentlich an-ders aus. Wir erwarten also nicht nur bei Hausärzteneine massive Unterversorgung in den nächsten zehn bis20 Jahren. Dies Landes- und Bundespolitikern deutlichzu machen, ist auch eine Aufgabe unseres Verbandes,der Verbandsführung genauso wie des VPP und derLandesgruppen. Die Einstellung von Abgeordnetenzur Bedarfsermittlung könnte ein Wahlprüfstein in die-sem Jahr sein.Das Gespräch führte Christa Schaffmann.

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So bekommen junge Hartz-IV- Empfänger doch einen Job!

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sollten aber nicht nur einfache Hilfstätigkeiten sein, son-dern vollständige, lernhaltige Tätigkeiten mit ausrei-chendem Feedback. Die Funktionen lernhaltiger Er-werbsarbeit müssen auch in Programmen für Arbeitsloserealisiert werden. Im Programm »Bridges« wurde ver-stärkt auf die Entwicklungschancen lernhaltiger Arbeit(Hacker, 2005) gesetzt. Mit dem Konzept der »Arbeit derErwerbslosen« können negative Folgen aus dem Mangelder latenten Funktionen von Erwerbsarbeit teilweisekompensiert werden. Die »Qualität der Aufgaben« ist zuberücksichtigen in der Konkretheit, in der Eindeutigkeitder Zuordnung zur Arbeitswelt sowie in einer inhaltli-chen und objektiven Beschreibbarkeit, sodass der Teil-nehmer Commitment entwickeln und erleben kann. DesWeiteren sollten diese Tätigkeiten einen angemessenenGrad an Komplexität aufweisen und genügend Hand-lungsspielräume sowie Kommunikationsmöglichkeitenbieten. Dabei sind die Besonderheiten der Zielgruppe zuberücksichtigen, da sich jüngere Arbeitslose von älterenbeachtlich unterscheiden. Junge Arbeitslose müssen spe-zielle Programme bekommen. Themen des eigenen Le-bens- und Zukunftsentwurfs sind bei jungen Menschen,

die selbst noch keine langjährigen Erfahrungen im Er-werbsleben haben, bedeutendere Lebensthemen als beiälteren. Im Programm »Bridges« hat sich gezeigt, dassjunge Arbeitslose ganz spezielle Probleme, aber auch In-teressen und Ressourcen haben.Der hier vorgestellte kombinierte Ansatz aus Beratung,Coaching, Training, Kompetenzentwicklung, Vermitt-lung und Gesundheitsförderung ist mit Sicherheit keinAllheilmittel gegen Langzeitarbeitslosigkeit, da struktu-relle Probleme des Arbeitsmarktes nicht von einzelnenPsychologen zu bewältigen sind. Jedoch hält die ange-wandte Psychologie wirksame Mechanismen und ef-fektive Wirkprinzipien für die Praxis bereit. Daher ist esgut, dass die Befunde unserer Forschung immer wiederpraktisch angewendet, angepasst und kritisch verbessertwerden. So können auch junge Hartz-IV-Empfänger ei-nen Job bekommen.

The objective of the study was to identify key variables and activities to successfully prepare long-term unemployed youngsters (minimum one year unemployed and less than twenty-five years of age)for the labor market and to find new workplaces. For this purpose the pilot project »Bridges – Brückenin Arbeit« (»Bridges to work«) was developed. Theproject included teaching, training and coaching unitsfor the young long-term unemployed participants andwas designed to help them getting new jobs. Apartfrom developing practical skills the training also tookaccount of physical and psychological aspects of health. The pilot project »Bridges – Brücken in Arbeit« was developed on the basis of acknowledgedpsychological theories. It combines different »modules« that offer the young unemployed the possibility to learn within the process of real workand to make progress in their professional skills. The invention and assignment of so-called seniorcoaches was of special importance. The seniorcoaches acted as personal advisors for each of theyoung men and women during the whole period ofthe program. Together with their coaches they developed individual goals. Due to detailed diagnostic tests it was possible to find fitting interventions for each participant. The costs of the program were planned to be payedby succeeding to get new jobs (or job trainings) for100 of the unemployed young participants (so theywould not need social security anymore). The projecthas been evaluated with a summative evaluation following Kirkpatrick´s 4-Level-Model (Kirkpatrick &Kirkpatrick, 2006). In a two-wave panel study with aquasi-experimental research design the program wascompared to the conventional program (the

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Das Ziel dieser Studie besteht darin, junge Langzeitar-beitslose fit für den Arbeitsmarkt zu machen. Dafürwurde das Modellprojekt »Bridges – Brücken in Arbeit«entwickelt. Junge Arbeitslose sollten gezielt qualifiziert,trainiert, gecoacht und in Ausbildung oder Erwerbsar-beit gebracht werden. Das Modellprojekt »Bridges –Brücken in Arbeit« wurde konsequent nach psychologi-schen Theorien entwickelt. Es setzt sich aus mehrerenModulen zusammen, die den jungen Arbeitslosen dieGelegenheit bieten, im Prozess der Arbeit zu lernen undsich beruflich zu entwickeln. Eine besondere Bedeutungkam dabei dem individuellen Coaching durch Senior-Coaches zu. Die Senior-Coaches erarbeiteten gemein-sam mit den Teilnehmern deren individuelle Qualifikati-ons- und Entwicklungsziele. Die Coaches agierten alspersönliche Betreuer im gesamten Programmzeitraum.Durch die gründliche, individuelle und begleitende Di-agnostik der Teilnehmer, konnten auch die passendenInterventionen und Module von den Coaches gefundenwerden. Damit das Modellprojekt »Bridges – Brücken inArbeit« kostendeckend umgesetzt werden konnte, soll-ten 100 junge Arbeitslose in eine Ausbildung bzw. in Be-schäftigung integriert werden. Das Projekt »Bridges –Brücken in Arbeit« wurde summativ und in Orientie-rung am Vier-Ebenen-Modell von Kirkpatrick (Kirkpa-trick & Kirkpatrick, 2006) evaluiert. In einem quasiexpe-rimentellen Untersuchungsdesign mit drei Messzeit-punkten wurde das Programm »Bridges« mit der Inter-vention der Bundesagentur für Arbeit »Ein-Euro-Job«und einer Gruppe junger Arbeitsloser ohne Maßnahmeverglichen. Die jungen Arbeitslosen, die am Programm»Bridges« teilnahmen, erreichten überwiegend eine po-sitive Veränderung von Personmerkmalen als Vorausset-zung für eigenverantwortliches Handeln. Dies gelang ih-nen in wesentlich stärkerem Maße als den Teilnehmern

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»Ein-Euro-Job of the employment bureau«) and agroup of young unemployed with no intervention.Most of the participants of the »Bridges«-project experienced positive changes in their person variablesas the pre-condition for taking on self-responsibilityfor their lifes. They achieved much more positive results than the young men and women in the twocomparison groups. In addition, they experienced aremarkable improvement of their emotional health.The outcome of the program exceeded all expectations: instead of 100 young unemployedpeople no less than 272 people found a new job during the time of the program. In total, 484 youngunemployed participated in the program »Bridges«and the rate of integration in a job or a job trainingwas 56,2% – a notable result compared to traditionalprograms with a rate of 20 – 30% (Kieselbach, Klink,Scharf & Schulz, 1998).

des traditionellen Programms »Ein-Euro-Job« und Un-tersuchungsteilnehmern ohne Programm. Hinzu kamdie deutliche Verbesserung der seelischen Gesundheit.Das Ziel der Vermittlung von 100 jungen Arbeitslosenwurde mit 272 Integrationen mehr als nur erfüllt. Insge-samt haben an dem Programm »Bridges« 484 junge Ar-beitslose teilgenommen, und die Integrationsquote inArbeitsverhältnisse oder Ausbildung lag bei 56,2 Pro-zent im Vergleich zu herkömmlichen Programmen miteiner Quote von 20 bis 30 Prozent (Kieselbach, Klink,Scharf & Schulz, 1998).

Baethge, M., Hantsche, B., Pelull, W. & Voskamp, U. (1989). Jugend: Ar-beit und Identität. Lebensperspektiven und Interessenorientierungen von Ju-gendlichen. Eine Studie des Soziologischen Forschungsinstituts Göttingen(SOFI) (2. durchgesehene Auflage). Opladen: Leske + Budrich.Beelmann, G. (2003). Langzeitarbeitslose Jugendliche in Deutschland. Einehandlungsorientierte Analyse personaler und situativer Faktoren. Hamburg:Verlag Dr. Kovac.Bergmann, B. (1996). Zukunft der Erwerbsarbeit: Arbeit und Erwerbslosig-keit. In: W. Hacker (Hrsg.), Erwerbsarbeit der Zukunft – auch für »Ältere«?(S. 29-41), Zürich: vdf, & Stuttgart: Teubner.Berntson, E., Näswall, K. & Sverke, M. (2008). Investigating the relationshipbetween employability and self-efficacy: A cross-lagged analysis. In: Europe-an Journal of Work and Organizational Psychology, 17, 413-425.Brenke, K. (2010). Fünf Jahre Hartz IV – Das Problem ist nicht die Arbeits-moral. Wochenbericht des DIW Berlin Nr. 6/2010.Felber, H. (1997). Berufliche Chancen für benachteiligte Jugendliche? Orien-tierung und Handlungsstrategien. München: DJI Verlag Deutsches Jugendin-stitut.Goldberg, D. P. (1978). Manual of the General Health Questionnaire. Wind-sor, England: NFER Publishing.Hacker, W. (2005). Allgemeine Arbeitspsychologie. Psychische Regulation vonWissens-, Denk- und körperlicher Arbeit. 2. vollständig überarbeitete Auflage.Bern: Huber.Hammarström, U. & Janlert, U. (2002). Early unemployment can contributeto adult health problems: results from a longitudinal study of school leavers.Journal of Epidemiology and Community Health, 56, 624-630.Kieselbach, T., Klink, F., Scharf, G. & Schulz, S. (1998). Ich wäre sonst ja niewieder an Arbeit rangekommen! Evaluation einer Reintegrationsmaßnahmefür Langzeiterwerbslose. Psychologie sozialer Ungleichheit. Weinheim: Deut-scher Studienverlag. Kirkpatrick, D. L., & Kirkpatrick, J. D. (2006). Evaluating training programs:The four levels. 3rd Edition. San Francisco: Berrett-Koehler Publishers, Inc.Krampen, G. (1991). Fragebogen zu Kompetenz- und Kontrollüberzeugun-gen (FKK). Handanweisung. Göttingen: Hogrefe.Nestmann, F. & Engel, F. (1998). Beratung. In: S. Grubitzsch & K. Weber,(Hrsg.), Psychologische Grundbegriffe: Ein Handbuch. Hamburg: Rowohlt Ta-schenbuch Verlag.Nitsche, I. & Richter, P. (2003). Tätigkeiten außerhalb der Erwerbsarbeit.Evaluation des TAURIS-Projektes (Bd. 6). Münster, Hamburg, Berlin, London:LIT Verlag.

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Allgemeine Informationen über den Test,Beschreibung des Tests und seiner diagnostischen ZielsetzungDer OPQ32 ist ein proprietäres Verfahren der SHL Group.Er will »präferierte oder typische Verhaltensstile am Ar-beitsplatz« messen. Er kann für individuelle (z.B. Perso-nalauswahl, Karriereplanung), gruppenbezogene (z.B.Teamentwicklung) und organisationale (z.B. Nachfolge-planung) Fragestellungen eingesetzt werden. Hauptziel-gruppen sind Fach- und Führungskräfte, der Anwen-dungsbereich erstreckt sich prinzipiell auf alle Berufstä-tigen mit und ohne Hochschulabschluss. Die Verhal-tensstile werden auf 32 Dimensionen erfasst. Diese Di-mensionen basieren auf einem Modell mit drei überge-ordneten Bereichen: Beziehungen, Denken und Ge-fühle/Emotionen. Durch spezifische Zuordnungen lassensich auch die Big Five nach dem Fünf-Faktoren-Modellabbilden. Der OPQ32 stellt eine Weiterentwicklung ver-schiedener Vorgängerverfahren dar und liegt in einernormativen (Likert-Skalen, OPQ32n, sechs bis acht Itemspro Dimension) und einer ipsativen Form (»forced choiceratings«, OPQ32i, 13 Items pro Dimension) vor. Für beideVarianten existieren Online-, (Pocket-)PC-basierte undPapier-und-Bleistift-Versionen. Es liegen umfangreicheNormen für verschiedene Länder, Berufsgruppen undManagementebenen vor.

Theoretische Grundlagen als Ausgangspunktder TestkonstruktionGrundlage für die Entwicklung des OPQ war eine Viel-zahl existierender Persönlichkeitsmodelle (z.B. Cattell,Eysenck). Die Entwicklung ab den 1980er-Jahren kon-zentrierte sich auf Facetten, die entweder einen empi-rischen Bezug zur beruflichen Tätigkeit und zur Leistungaufwiesen oder von den Klienten von SHL als relevanterachtet wurden. Im weiteren Verlauf wurde aufgrundder verfügbaren empirischen Informationen, dem Stre-ben nach internationaler Anwendbarkeit u.a.m. ver-schiedene Revisionen vorgenommen, die in ein neuestheoretisches Modell mündeten. Demnach würden sichdie 32 Facetten des Modells drei Domänen (Beziehun-gen zu Menschen, Denkstile, Gefühle und Emotionen)zuordnen lassen, was jedoch nicht der von den Autorendurchgeführten Faktorenlösung (verschiedene Lösun-gen mit vier bis 17 Faktoren) entspricht. Die im Manualberichtete empirische Überlappung der OPQ-Skalen

mit den Big Five zeigt aber, dass eine Anbindung an ein-geführte Modelle möglich wäre.

ObjektivitätDas Benutzerhandbuch des OPQ32 gibt umfangreicheHinweise zur Durchführung, Auswertung und Interpre-tation. Folgt der Anwender den auf insgesamt neunSeiten dargestellten Hinweisen (inklusive Checklisten)zur Durchführung der verschiedenen OPQ32-Versionen,so ist von Durchführungsobjektivität auszugehen, zumaldie Durchführung eine geringe bis keine Interaktionmit dem Testleiter erfordert. Die Objektivität bei derDurchführung ohne Anwesenheit des Testleiters (»un-proctored testing«) ist relativ hoch; der Einfluss auf dieErgebnisse ist gering (in der Regel < 0,25 SD). Die Aus-wertung erfolgt bei der Papier-und-Bleistift-Version miteinem Antwortbogen, anderenfalls ist sie automatisiert.Ein Einscannen des Antwortbogens und eine anschlie-ßende automatisierte Auswertung sind möglich. DasManual des OPQ32 enthält zudem umfangreiche Anga-ben und Beispiele zur Interpretation der Ergebnisse; esbesteht die Möglichkeit, narrative, automatisierte Er-gebnisreports in verschiedenen Sprachen zu erstellen.Wird von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, sokann von hoher Interpretationsobjektivität ausgegangenwerden.

Normierung (Eichung)Der OPQ32 unterliegt einem ständigen Normierungs-prozess. Die im Manual enthaltenen Normen aus1998/99 werden durch aktuellere Normen ergänzt. DieUK-Normen aus 2000 bis 2004 beziehen sich auf die ip-sative und die normative Form des OPQ32; die interna-tionalen Normen (von 2004 bis 2008 erhoben) allerdingsnur auf die ipsative Form. Letztere beinhalten unter-schiedliche und regionalisierte Sprachversionen (z.B.Englisch US, Englisch UK, Englisch Südafrika, Franzö-sisch). Die Normen des OPQ differenzieren zudem zwi-schen spezifischen Wirtschaftsbereichen, Jobpositionenu.a.m. Insgesamt gehen in die aktuelleste Normierungmehr als 330000 Datensätze ein. Zur Normierung wirddie STEN-Skala verwendet, deren Auflösungsgrad im be-ruflichen Kontext gut geeignet ist. Standardmessfehlerwerden berichtet. Weiterhin findet der Anwender um-fangreiche Angaben zu den zu erwartenden Ge-schlechtsunterschieden in den einzelnen Normpopula-

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TBS-TKRezension

OPQ32-Occupational PersonalityQuestionnaire

C. Dormann , Institut für Psychologie der Johannes Gutenberg-Universität MainzS. Krumm , Institut für Psychologie, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Testbeurteilungssystem – Testkuratorium der Föderation deutscher Psychologenvereinigungen

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tionen. Als proprietäres Verfahren sind die Stichprobenqua Definition repräsentativ (Kunden von SHL). Beson-ders hervorzuheben ist an dieser Stelle, dass die Normenweitgehend im Kontext tatsächlicher Auswahlverfahrenerhoben wurden. Inwiefern diese Normen allerdingsfür die zahlreichen weiteren Anwendungsfelder (z.B.Personalentwicklung, Teambuilding) gültig sind, bleibtoffen. Für die normative Variante des OPQ erscheint eserstrebenswert, zukünftig ähnlich umfangreiche inter-nationale Normen bereitzustellen wie für die ipsativeVariante.

Zuverlässigkeit (Reliabilität, Messgenauigkeit)Für den OPQ32n und OPQ32i existieren unterschiedli-che Reliabilitätsschätzungen für diverse Stichprobenund für unterschiedliche Vorgabemodalitäten. Für denOPQ32n liegen sie im Durchschnitt bei über 0,80, fürden OPQ32i nicht ganz bei 0,80. Retest-Reliabilitätenliegen nur für eine kleine studentische Stichprobe im In-tervall von vier Wochen vor (0,63 < rtt < 0,92; N = 107).Werden die OPQ-Werte zu den Big Five aggregiert, er-geben sich Reliabilitäten von > 0,89 (Ausnahme: Ver-träglichkeit mit 0,85 bzw. 0,87 für den OPQ32n bzw.OPQ32i). Insgesamt sind die Reliabilitäten als zufrie-denstellend bis gut zu bezeichnen. Die Tatsache, dassbei der ipsativen Version (OPQ32i), die Forced-Choice-Items benutzt, ebenfalls gute Reliabilitäten erzielt wer-den, lässt den Schluss zu, dass die Reliabilitäten nichtdurch bloßen Content-Overlap der Items erzielt werden.Allerdings ist aufgrund der Angaben im technischenManual nur nach einigem Suchen erkenntlich, wie ak-tuell die jeweiligen Reliabilitätsprüfungen sind.

Gültigkeit (Validität)Ein herausragendes Merkmal dieses Verfahrens ist seineumfangreiche Validierung. Zur Konstruktvalidierungwurden neben der intendierten Anwendungspopulation(Manager, Vorgesetzte) auch studentische Stichprobeneingesetzt. Die Kriteriumsvalidierung erfolgte aus-schließlich an der intendierten Anwendungspopulation.Es werden auch Angaben zur inkrementellen Validität(z.B. über Leistungstests hinaus) gemacht. Für denOPQ32 gibt es neben konkurrenten Validierungen nureine retrospektive (mit früherer Leistung), aber keineprädiktive Validierung. Insgesamt zeigen die Angabenzur Kriteriumsvalidität, dass eine Kombination ver-schiedener OPQ32-Skalen in bekannter Größenordnungmit beruflicher Leistung zusammenhängt. Insgesamt ist

die Konstruktvalidität gut und die leistungsbezogeneKriteriumsvalidität gering; sie liegt damit aber im Rah-men der Kriteriumsvaliditäten, wie sie in Metaanalysenzum Zusammenhang zwischen Persönlichkeit und be-ruflicher Leistung aufgezeigt worden sind. Bezüglichder Konstruktvalidität der einzelnen Subskalen desOPQ32 präsentieren die Autoren eine große Vielzahlnicht immer einheitlich ausfallender Korrelationen mitanderen Persönlichkeitsinventaren. Zumindest für ei-nige Subskalen stehen klare Validitätsbelege daher nochaus (z.B. keiner der Validitätskoeffizienten für die Ska-len »Competitive« und »Decisive« war > .30).

Weitere Gütekriterien (Störanfälligkeit,Unverfälschbarkeit und Skalierung)Aufgrund seiner langen anforderungsbezogenen Kon-struktionsgeschichte und seiner weiten Verbreitung er-füllt der OPQ das Nebengütekriterium der Nützlichkeit.Kritisch zu hinterfragen ist der Einsatz eines prinzipiellverfälschbaren Verfahrens zu Selektionszwecken. Beider ipsativen Version ist aufgrund des Antwortformatsmit geringerer Verfälschung zu rechnen, und die hohenKorrelationen der ipsativen mit der normativen Ver-sion sprechen indirekt auch für eine geringe Verfäl-schung der normativen Version. Ebenso belegen diegeringen Unterschiede zwischen »proctered« und »un-proctered testing« indirekt den geringen situativen Ein-fluss. Jedoch würde man sich im Manual direkte Evidenzzum Einfluss der Verfälschung (z.B. Selektion vs. Kon-sultation) wünschen.

Abschlussbewertung/EmpfehlungAls besonderes Qualitätsmerkmal des OPQ ist die um-fangreiche empirische Fundierung zu sehen. Detailliertepsychometrische Analysen (Faktorenladungen, Schwie-rigkeiten, Trennschärfen) sind zwar auch im technischenManual nicht enthalten, dieses stellt aber auf 200 Sei-ten eine Fülle von Untersuchungen zusammen, sodassan psychometrischer Qualität und praktischem Nutzenwenig Zweifel bestehen. Im Bereich der berufsbezoge-nen Diagnostik stellt der OPQ damit eine erfreulicheAusnahme dar. Lediglich bei zwei Aspekten bleibenFragezeichen. Zum einen ist die Konstruktvalidität man-cher der 32 Skalen nicht bzw. nicht ausreichend ge-klärt. Die vergleichsweise mittleren bis niedrigen Inter-korrelationen der 32 Skalen deuten aber indirekt auf de-ren diskriminante Validität hin. Zum zweiten sind diepsychometrischen Eigenschaften des ipsativen OPQ32nicht immer hundertprozentig überzeugend, was teil-weise in dem ipsativen Format begründet ist. Insgesamtkann die Konstruktion des OPQ als sorgfältig bezeich-net werden. Obwohl die Autoren zunächst ein von etablierten Mo-dellen abweichendes Modell zugrunde legen, unter-nehmen sie nachträglich viele Anstrengungen, um dieKonvergenz der Skalen des OPQ32 mit dem Fünf-Fak-toren-Modell der Persönlichkeit aufzuzeigen. Hierwürde eine größere konzeptuelle Klarheit den OPQnoch weiter von anderen Verfahren der beruflichen Di-agnostik abheben. In diesem Zusammenhang muss auchdie Darstellung der für den Anwender wichtigen Infor-

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OPQ32 Die TBS-TK-Anforderungensind erfüllt

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Föderation deutscher Psychologenvereinigungen

Allgemeine Informa-tionen, Beschreibungund diagnostischeZielsetzung

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mationen bemängelt werden: Um sich über die Durch-führungsmodalitäten, empirische Untersuchungen zurValidität, die theoretische Passung zu etablierten Per-sönlichkeitsmodellen sowie aktuelle Normen zu bei-den Formen zu informieren, müssen ein Manual (164Seiten), ein technisches Handbuch (304 Seiten) undmindestens zwei Beihefte konsultiert werden. Der praktische Nutzen des OPQ32 hängt von vielenFaktoren ab (u.a. Fragestellung und Kosten), über diekeine allgemeinen Aussagen gefällt werden können.Insgesamt bestehen für die intendierte Anwendungs-population keinerlei generelle Bedenken. Bei demOPQ32 handelt es sich um ein valides Instrument, des-sen Einsatz auch im Vergleich zu anderen Persönlich-keitsverfahren ernsthaft in Erwägung gezogen werdensollte. Interessant dürfte auch die neue, IRT-basierteVersion OPQ32r sein.

Diese Testrezension wurde im Auftrag des Testkuratoriumsder Föderation deutscher Psychologenvereinigungen(DGPs und BDP) gemäß den TBS-TK-Richtlinien (Testku-ratorium, 2009, 2010) erstellt.Testkuratorium. (2009). TBS-TK. Testbeurteilungssystemdes Testkuratoriums der Föderation Deutscher Psycholo-genvereinigungen. Revidierte Fassung vom 09. September2009. Report Psychologie, 34, 470-478.Testkuratorium. (2010). TBS-TK. Testbeurteilungssystem

des Testkuratoriums der Föderation Deutscher Psycholo-genvereinigungen. Revidierte Fassung vom 09. September2009. Psychologische Rundschau, 61, 52-56.

T E S T I N F O R M A T I O N E N

Bartram, D., Brown, A., Fleck, S., Inceoglu, I., & Ward,K. (2006). OPQ32. Technical Manual (Version 2.0). Tha-mes Ditton, UK: SHL Group.Nach Beginn der Rezension erreichte uns eine aktuali-sierte Auflage mit folgenden weiteren Verfahrenshin-weisen: SHL Group Limited (2007). OPQ32 User Manual.Thames Ditton, UK: SHL Group Limited. SHL Group Li-mited (1999–2006). OPQ32 Technical Manual. ThamesDitton, UK: SHL Group Limited. Brown, A. & Bartram,D. (2009). Development and psychometric properties ofOPQ32r. Supplement to the OPQ32 Technical Manual.Thames Ditton, UK: SHL GroupBezugsquelle: Der Test wird von SHL eingesetzt und istproprietär. Kontakt: [email protected].

Bitte zitieren Sie diesen Artikel wie folgt: Dormann, C.& Krumm, S. (2010). TBS-TK Rezension: »OPQ32«. reportpsychologie/36. Jahrgang, Heft 3, S. 125-127.

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