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03.06.12 00:43 Psychologie: Abwehr mit System - Kultur - Tagesspiegel Seite 1 von 4 http://www.tagesspiegel.de/kultur/psychologie-abwehr-mit-system/v_print/6671868.html?p= Infantiler Glaube. Die Ehrentribüne auf der Ostberliner Karl- Marx-Allee während der Militärparade am 7. Oktober 1989 mit Michail Gorbatschow und Erich Honecker. - FOTO: PICTURE-ALLIANCE / DPA http://www.tagesspiegel.de/kultur/psychologie-abwehr-mit-system/6671868.html Psychologie Abwehr mit System Was Stasi-Leute und Börsenhändler gemeinsam haben: Der Psychoanalytiker Tomas Plänkers erklärt, wie das Ausblenden und die Abspaltung unzumutbarer Informationen funktioniert. Herr Plänkers, in Ihrem Vortrag „Schöne Krankheit gestern“ vor der Psychoanalytischen Vereinigung haben Sie erstaunliche Parallelen gezogen: Was hat das Weltbild eines Stasi-Spions zu tun mit dem Funktionieren der Marktwirtschaft? Es geht um Spaltungen, einen Begriff aus der Psychoanalyse. Der überzeugte Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit rechtfertigt sein destruktives Handwerk mit der festen Annahme, einem bösen Feind gegenüberzustehen. Durch ein infantiles Gut-Böse-Schema spaltet er Relativierungen und Zweifel erfolgreich ab. Ebenso basieren viele Vorgänge unseres Wirtschaftslebens auf Abspaltungen, auf der radikalen Ausblendung von Grundlagen und Konsequenzen unseres Wohlstandes etwa. Kein Börsenhändler könnte erfolgreich mit Lebensmittelpreisen spekulieren, wenn er das, was er da tut, ernsthaft reflektieren würde. Wie kamen Sie auf den Stasi-Mann? Vor ein paar Jahren haben wir am Frankfurter Sigmund-Freud-Institut eine Studie gemacht, die auf Interviews mit ehemaligen Stasi-Mitarbeitern beruhte. Anhand eines von ihnen konnte ich die Spaltung zwischen Ideal und Wirklichkeit gut darstellen. Anders als 25.05.2012 00:00 Uhr

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Plaenkers, Psychoanalysis, Review, Tagesspiegel, German, Berlin, Congress

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  • 03.06.12 00:43Psychologie: Abwehr mit System - Kultur - Tagesspiegel

    Seite 1 von 4http://www.tagesspiegel.de/kultur/psychologie-abwehr-mit-system/v_print/6671868.html?p=

    Infantiler Glaube. Die Ehrentribne auf der Ostberliner Karl-Marx-Allee whrend der Militrparade am 7. Oktober 1989mit Michail Gorbatschow und Erich Honecker. - FOTO:PICTURE-ALLIANCE / DPA

    http://www.tagesspiegel.de/kultur/psychologie-abwehr-mit-system/6671868.html

    Psychologie

    Abwehr mit System

    Was Stasi-Leute und Brsenhndler gemeinsam haben: Der PsychoanalytikerTomas Plnkers erklrt, wie das Ausblenden und die Abspaltungunzumutbarer Informationen funktioniert.

    Herr Plnkers, in Ihrem VortragSchne Krankheit gestern vor derPsychoanalytischen Vereinigunghaben Sie erstaunliche Parallelengezogen: Was hat das Weltbild einesStasi-Spions zu tun mit demFunktionieren der Marktwirtschaft?

    Es geht um Spaltungen, einen Begriff aus

    der Psychoanalyse. Der berzeugte

    Mitarbeiter des Ministeriums fr

    Staatssicherheit rechtfertigt sein

    destruktives Handwerk mit der festen

    Annahme, einem bsen Feind

    gegenberzustehen. Durch ein infantiles Gut-Bse-Schema spaltet er Relativierungen und

    Zweifel erfolgreich ab. Ebenso basieren viele Vorgnge unseres Wirtschaftslebens auf

    Abspaltungen, auf der radikalen Ausblendung von Grundlagen und Konsequenzen unseres

    Wohlstandes etwa.

    Kein Brsenhndler knnte erfolgreich mit Lebensmittelpreisen spekulieren, wenn er das,

    was er da tut, ernsthaft reflektieren wrde.

    Wie kamen Sie auf den Stasi-Mann?

    Vor ein paar Jahren haben wir am Frankfurter Sigmund-Freud-Institut eine Studie

    gemacht, die auf Interviews mit ehemaligen Stasi-Mitarbeitern beruhte. Anhand eines von

    ihnen konnte ich die Spaltung zwischen Ideal und Wirklichkeit gut darstellen. Anders als

    25.05.2012 00:00 Uhr

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    ihnen konnte ich die Spaltung zwischen Ideal und Wirklichkeit gut darstellen. Anders als

    die meisten anderen war er bis zuletzt im Reinen mit sich. Er wollte mich Westdeutschen

    von seiner Sicht auf die DDR berzeugen. Im Lauf des Gesprchs zeigte sich deutlich, wie

    sich bei ihm aus einer infantilen Traumatisierung heraus bestimmte

    Spaltungsmechanismen entwickelt hatten.

    Wie kann man sich das vorstellen?

    Er hat von seinen Eltern kaum Aufmerksamkeit erhalten und litt schon als Kind an

    Asthma. Nach Freuds Grundmodell der Spaltung reagiert die Psyche auf frhkindliche

    schwere Belastungen mit dem Wunsch, diese Gefhle und Erinnerungen loszuwerden. Wir

    sprechen von projektiver Externalisierung. Auf der einen Seite also die Mutter, die in

    seiner Wahrnehmung so unertrglich schlecht ist, dass ihm die Luft wegbleibt, dass er

    asthmatisch wird, und auf der anderen Seite der Wunsch, sich eine Mutter zu erschaffen,

    die absolut ideal und gut ist. Den hat er in die Begeisterung fr die sozialistischen Ideale

    transformiert.

    Und was diese Ideale infrage stellt, wird abgespalten?

    So ist es. Der Mann konnte zwar durchaus Kritisches ber die DDR sagen. Das berhrte

    aber seine berzeugung, dass die DDR das Kostbarste ist, was die deutsche Geschichte

    hervorgebracht hat, in keiner Weise.

    Da ging es ihm hnlich wie vielen anderen.

    Ja, das ist nicht so selten, dass Menschen an der Idealisierung bestimmter Strukturen

    entgegen besserem Wissen festhalten. Das finden sie bei Sekten, Fundamentalisten,

    Parteien, die irreale Ziele verfolgen. Da gibt es immer diesen infantilen Glauben, dass sich

    die Welt in ein Land, wo Milch und Honig flieen, verwandeln liee.

    Und nur Menschen mit einer traumatischen Erfahrung in der frhen Kindheit sind dafr

    anfllig?

    Vor allem solche. Ich denke, dass ein Mensch, der sich einigermaen gesund hat

    entwickeln knnen, gegenber derartigen Heilsversprechen skeptisch ist.

    Betrachten Sie Spaltung als eine Krankheit?

    Es ist ein Abwehrmechanismus, ein sehr archaischer, unbewusster, den wir bei schweren

    psychischen Strungen stets feststellen knnen. Spaltung kann aber auch hilfreich sein.

    Das Ich schtzt sich damit vor den Zumutungen einer komplizierten, konflikthaften

    Umwelt. Die durch Spaltungen erreichte seelische Balance bewahrt den Menschen dann

    vor einem psychischen Zusammenbruch.

    Eine Krankheit also, die dem, der Bses tut, hilft, gesund zu bleiben?

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    In gewisser Weise ja. Gesund auf einem psychisch unreifen Niveau. Denn dem damit

    erreichten narzisstischen Gewinn steht der Verlust eines wesentlichen Teils der eigenen

    Persnlichkeit gegenber.

    Angewandt auf die gesamte deutsche Gesellschaft der Nachkriegszeit sprechen Sie auch

    von Spaltungsmechanismen. Inwiefern?

    Die vielfltigen Traumatisierungen der Nazi-Zeit waren Erfahrungen, die es nach dem

    Krieg abzuspalten galt. Das ist in Ost und West geschehen, auf unterschiedliche Weise.

    Beiden half die Blockkonfrontation, die Aufteilung der Welt in Gut und Bse und die

    Sicherheit, auf der jeweils guten Seite zu stehen. In der DDR konnte man sagen: Die Nazis

    sind allesamt im Westen. Im Westen hie es: In der DDR herrscht eine Ein-Parteien-

    Diktatur wie im Dritten Reich; projektive Externalisierungen also auf beiden Seiten. Die

    jeweils eigene Verstrickung war ausgeblendet.

    Worin bestanden die Unterschiede?

    In der DDR hat diese Form der Spaltung sehr viel strker und lnger gewirkt. Allein schon

    wegen der berhhung des sozialistischen Heilsversprechens. Hier saen die Sieger der

    Geschichte. Im Westen kam es nach einer gewissen Zeit zu einer kritischen

    Auseinandersetzung. Da gab es die Schriften von Mitscherlich, Bloch und Arendt. Von

    groer Bedeutung ist auch eine freie Presse, welche die Gesellschaft mit der Wirklichkeit

    konfrontiert. Diese Zumutung kann aber nur ertragen, wer anerkennt, dass er in einer

    komplizierten, belastenden Welt lebt.

    Dennoch sprechen Sie auch bei der Betrachtung des westlichen Modells der freien

    Marktwirtschaft von Spaltungen.

    Vor allem in Bezug auf unser Wirtschaftsmodell: Jeder Einzelne folgt seinen individuellen

    Zielen, vom Staat mglichst wenig reguliert. Er reduziert den anderen auf die Rolle des

    Konkurrenten. Das gilt ebenso fr Gruppen. So entstehen Produkte, bei denen die sozialen

    und kologischen Umstnde ihrer Herstellung ebenso ausgeblendet werden wie die Folgen

    ihres Gebrauchs. Auf den Finanzmrkten ist das extrem: hier die logischen,

    zwangslufigen Marktmechanismen und dort, abgespalten, von den Akteuren berhaupt

    nicht wahrgenommen, die katastrophalen Folgen.

    Da profitiert der Broker vom selben Defekt wie der Stasi-Mann.

    Man kann es so sagen. Es ist ja kein Zufall, in welchem Beruf wir landen. Psychoanalytiker

    sagen deshalb: Berufswahl ist Symptomwahl.

    So abgespalten und unbekannt sind die Folgen des Kapitalismus aber nicht.

    Das ist immer weniger der Fall. Globalisierung und moderne Kommunikation fhren

    dazu, dass frher Ausgeblendetes sich nicht mehr ignorieren lsst. Das bislang

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    dazu, dass frher Ausgeblendetes sich nicht mehr ignorieren lsst. Das bislang

    Abgespaltene meldet sich vehement, und damit ist das bisherige Gleichgewicht infrage

    gestellt. Die Frankfurter Innenstadt war wegen der Occupy-Proteste im

    Belagerungszustand. Selbst der Chef des Weltwirtschafsforums von Davos sagt, dass der

    alte Kapitalismus nicht mehr in unsere Zeit passt. Die Idee, dass Regulierung nottut,

    konnte man frher in den Osten abspalten. Sie gehrte ins gegnerische System des

    Sozialismus. Inzwischen ist sie wieder aktuell.

    Die Ergebnisse der Studie sind erschienen in dem Buch Verrter oder Verfhrte. Eine

    psychoanalytische Untersuchung Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi von Ingrid Kerz-

    Rhling und Tomas Plnkers, Ch. Links Verlag 2004.

    Das Gesprch fhrte David Ensikat.

    Thomas Plnkers, 61, ist Psycho-

    analytiker und

    Psychotherapeut.

    Er ist Mitarbeiter

    am Frankfurter

    Sigmund-Freud-

    Institut und

    unterrichtet in Peking.