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179 Stahlbau 75 (2006), Heft 2 Nather, F., Lindner, J., Hertle, R.: Handbuch des Gerüstbaus. Verfah- renstechnik im Ingenieurbau. Berlin: Ernst & Sohn 2005. 518 S., zahlr. Bilder u. Tab. Geb. ISBN 3-433-01323-3. 129,– 2 Gerüste, insbesondere Traggerüste, sind anspruchsvolle Ingenieurbauwerke. Da sie nur temporäre Aufgaben zu erfüllen haben, ist dies der Öffentlichkeit wenig bewußt, denn sie verschwinden, sobald sie ihre Aufgabe erfüllt haben. Und aus der Forderung nach Wiederverwendung folgen Besonderheiten, wie vor allem Typisierung und Lösbarkeit derVerbin- dungen. Mit dem Gerüstbau ist so ein Sonder- gebiet vor allem des Stahlbaus, aber auch des Holz- und des Aluminiumbaus ent- standen, für das es bisher keine zusam- menfassende Darstellung gab. Daher ist es sehr zu begrüßen, daß drei im Gerüst- bau vielseitig erfahrene Autoren sich der Mühe unterzogen haben, das umfangrei- che Handbuch zu verfassen. Die Autoren behandeln das ganze Ge- biet von den leichten Arbeits- und Schutz- gerüsten über die typisierten Traggerüste bis hin zu den schweren Sonderkonstruk- tionen, wie z. B. den verschiebbaren Ver- legegeräten für den Betonbrückenbau. Sie widmen sich den verschiedenen Son- dergebieten, von denen ich beispielhaft mit den Klettergerüsten und den Geräten für den Tunnelbau hier nur zwei nennen kann. Auf der anderen Seite erfassen sie Baurechtsfragen, Baubestimmungen, Werkstoffe, Konstruktion, Standsicher- heitsnachweise, auch mit Hilfe von Versu- chen, und rechtfertigen damit auch den Untertitel „Verfahrenstechnik im Ingeni- eurbau“, obwohl die Gerüste für dieses umfassende Gebiet nur einen Ausschnitt darstellen. Die Verfasser runden ihre Dar- stellungen durch einen Blick in die Ge- schichte des Gerüstbaus und die Analyse von Schadensfällen ab. Die vielen Zeichnungen und Dia- gramme sowie die Fotografien erleich- tern das Verständnis, und die zahlrei- chen Literaturhinweise ermöglichen – was aber nur in Einzelfällen notwendig sein wird – die Ermittlung zusätzlicher Informationen. Rezensionen Eberhard Pelke, seit 1990 Dezernent im Hessischen Landesamt für Straßen- und Verkehrswesen Klaus Stiglat, bis 2001 Partner der Ingenieurgruppe Bauen Karlsruhe — Mannheim — Berlin. Die beiden letztgenannten Persönlich- keiten haben sich um die am 3. 12. 2002 eröffnete Brückenausstellung des Stra- ßenmuseums Germersheim große Ver- dienste erworben. In ihnen fokussiert sich das heute nicht mehr selbstverständ- liche Zusammenspiel zwischen Bauwis- senschaften, Bauverwaltungen und freien Bauingenieurbüros. Wieland Ramm gibt in seinem Beitrag einen Einblick in die statische Tragwirkung von Brückensystemen, der pädagogisch exzellent aufbereitet ist und jedem Leser das Kräftespiel durch Zeichnungen sinnlich erfahrbar macht. Für das Kapitel „Die eisernen Brücken“ zeichnet Eberhard Pelke ver- antwortlich. Es ist ein chronologischer und faszinierender Par-Force-Ritt durch die Geschichte. Den abgebildeten Brückenbauwerken sind zumeist Por- traits ihrer Ingenieure beigefügt. Klaus Stiglat schließlich spannt den Bogen von den steinernen Gewölben zu den Betonbrücken. In den ihm eigenen sou- veränen Schreibstil, die sich mit kriti- scher Intelligenz verbindet, gelingt ihm eine leicht faßliche Kurzgeschichte des Massivbrückenbaus. Unterstützt wurde dieses sehr emp- fehlenswerte Buch von folgenden Inge- nieurorganisationen: Hessisches Landesamt für Straßen- und Verkehrswesen,VBI (Verband Be- ratender Ingenieure) Hessen, VPI (Verei- nigung der Prüfingenieure für Baustatik) Hessen, VPI Rheinland-Pfalz, VPI Baden- Württemberg, VSVI (Vereinigung der Straßenbau- und Verkehrsingenieure) Rheinland-Pfalz und Saarland, VSVI Hessen sowie die Ingenieurkammern Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Hessen. Früher beschränkte sich das Ver- ständnis von „Engagement“ auf das ge- sellschaftskritische Wirken eines Albert Camus oder Jean-Paul Satre und andere französische Intellektuelle. Mit ihrem Engagement setzen die Autoren und Unterstützer des vorliegenden Buches ein Zeichen zur Erschließung der kultur- historischen Dimension des Brücken- baus, die für die Fortentwicklung der Ingenieurbaukunst unhintergehbar ist. [1] Pelke, E.: Die Geschichte der Brücken im Straßenmuseum Germers- heim. Bautechnik 80 (2003), H. 10, S. 731—737. Karl-Eugen Kurrer, Berlin Pauser, A.: Brücken in Wien. Ein Führer durch die Baugeschichte. Wien/NewYork: Springer-Verlag 2005. 294 S., zahlr. farb. Abb., Br., 14 ¥ 24 cm. ISBN 3-211-25255-X. 29,80 2 Brücken in der Stadt fordern den Bauin- genieur heraus, durch Konstruktion und Form von Brückenbauwerken dem stadt- räumlichen Umfeld zu entsprechen — ja sogar neue Akzente zu setzen, welche die urbane Qualität zu steigern vermag. Brük- ken in Wien aber setzen tiefere Kenntnis und schöpferische Auseinandersetzung mit dem genius loci dieser Stadt voraus. Wie kein anderer erfüllt der Ingenieur- baukünstler und Grandseigneur des österreichischen Brückenbaus Alfred Pauser jene Voraussetzungen spielend. Ihm sind Brückenbauwerke gelungen, in denen Anmut und Gesetz sich zum Ganzen fügen. Bauwerke, die zum Ver- weilen einladen: „Verweile doch, du bist so schön!“ (Goethe). Zum Verweilen lädt der vorliegende Brükkenführer ein. Dort beschreibt Al- fred Pauser insgesamt rd. 140 Brücken der Stadtbahn, im Wiener Donauraum, im Wiental, im Zuge der Südosttangente und Stadtgebiet. Charakteristisch dabei ist, daß der Autor jedes Brückenbauwerk nicht positivistisch als Faktum be- schreibt, sondern in klarer Sprache die historische Bewegung herausarbeitet und dem Leser das Tor zur sinnlichen Erkenntnis der beschriebenen Bauwerke öffnet. Wer ist nicht fasziniert von Pau- sers 1969 bis 1971 entstandenen Erdber- ger Brücke, in deren Schalentragwerk Anmut und Gesetz sich im Beton- brückenbau auf gültige Weise gebunden haben (S. 133–135)? Den Brückenbe- schreibungen vorgeschaltet sind die Ka- pitel über die Geologie des Wiener Beckens (von G. Sochatzky verfaßt), die Baustoffe und ihr Einfluß auf die Trag- werkswahl, die Wirkungs- und Verhal- tensweisen von Tragwerkstrukturen sowie die Bauweisen, Bau- und Grün- dungsverfahren, Fahrbahnkonstruk- tionen. Die konziliante Tonalität von Pausers Sprachduktus, die kenntnisreiche Aus- wahl historischer Abbildungen und die einfachen, aber nicht zu einfach gestal- teten technischen Zeichnungen mit den farblich hervorgehobenen Baustoffen er- geben ein Buchkunstwerk seltener Qua- lität, das in der umfassenden Brückenli- teratur ohne Vorbild ist. Leserinnen und Leser, die mehr als nur den genius loci des Stephansdoms, Otto Wagners Ring, der Hofburg oder der Schloßanlagen erfahren wollen fin- den in Pausers Brückenführer einen zu- verlässigen Begleiter durch Raum und Zeit der Wiener Brückenwelt. „Die Inge- nieurkunst ist deshalb undankbar, weil man Wissen besitzen muß, um ihre Schönheiten zu verstehen“ (W. G. Schuchow). Jenes Wissen stellt Alfred Pauser für den Brückenbau für alle Le- serinnen und Leser mit einer Leichtig- keit zur Verfügung, die zum Lesen und zur Entdeckung der Brückeningenieur- kunst verführen. Prädikat: Besonders wertvoll. Karl-Eugen Kurrer, Berlin

Rezension: Brücken in Wien. Ein Führer durch die Baugeschichte. By A. Pauser

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Page 1: Rezension: Brücken in Wien. Ein Führer durch die Baugeschichte. By A. Pauser

179Stahlbau 75 (2006), Heft 2

Nather, F., Lindner, J., Hertle, R.: Handbuch des Gerüstbaus. Verfah-renstechnik im Ingenieurbau. Berlin:Ernst & Sohn 2005. 518 S., zahlr. Bilder u.Tab. Geb. ISBN 3-433-01323-3. 129,– 2

Gerüste, insbesondere Traggerüste, sindanspruchsvolle Ingenieurbauwerke. Dasie nur temporäre Aufgaben zu erfüllenhaben, ist dies der Öffentlichkeit wenigbewußt, denn sie verschwinden, sobaldsie ihre Aufgabe erfüllt haben. Und ausder Forderung nach Wiederverwendungfolgen Besonderheiten, wie vor allemTypisierung und Lösbarkeit der Verbin-dungen.

Mit dem Gerüstbau ist so ein Sonder-gebiet vor allem des Stahlbaus, aber auchdes Holz- und des Aluminiumbaus ent-standen, für das es bisher keine zusam-menfassende Darstellung gab. Daher istes sehr zu begrüßen, daß drei im Gerüst-bau vielseitig erfahrene Autoren sich derMühe unterzogen haben, das umfangrei-che Handbuch zu verfassen.

Die Autoren behandeln das ganze Ge-biet von den leichten Arbeits- und Schutz-gerüsten über die typisierten Traggerüstebis hin zu den schweren Sonderkonstruk-tionen, wie z. B. den verschiebbaren Ver-legegeräten für den Betonbrückenbau. Sie widmen sich den verschiedenen Son-dergebieten, von denen ich beispielhaftmit den Klettergerüsten und den Gerätenfür den Tunnelbau hier nur zwei nennenkann. Auf der anderen Seite erfassen sieBaurechtsfragen, Baubestimmungen,Werkstoffe, Konstruktion, Standsicher-heitsnachweise, auch mit Hilfe von Versu-chen, und rechtfertigen damit auch denUntertitel „Verfahrenstechnik im Ingeni-eurbau“, obwohl die Gerüste für diesesumfassende Gebiet nur einen Ausschnittdarstellen. Die Verfasser runden ihre Dar-stellungen durch einen Blick in die Ge-schichte des Gerüstbaus und die Analysevon Schadensfällen ab.

Die vielen Zeichnungen und Dia-gramme sowie die Fotografien erleich-tern das Verständnis, und die zahlrei-chen Literaturhinweise ermöglichen –was aber nur in Einzelfällen notwendigsein wird – die Ermittlung zusätzlicherInformationen.

Rezensionen

– Eberhard Pelke, seit 1990 Dezernentim Hessischen Landesamt fürStraßen- und Verkehrswesen

– Klaus Stiglat, bis 2001 Partner derIngenieurgruppe Bauen Karlsruhe —Mannheim — Berlin.

Die beiden letztgenannten Persönlich-keiten haben sich um die am 3. 12. 2002eröffnete Brückenausstellung des Stra-ßenmuseums Germersheim große Ver-dienste erworben. In ihnen fokussiertsich das heute nicht mehr selbstverständ-liche Zusammenspiel zwischen Bauwis-senschaften, Bauverwaltungen und freienBauingenieurbüros.

Wieland Ramm gibt in seinemBeitrag einen Einblick in die statischeTragwirkung von Brückensystemen,der pädagogisch exzellent aufbereitet ist und jedem Leser das Kräftespieldurch Zeichnungen sinnlich erfahrbarmacht. Für das Kapitel „Die eisernenBrücken“ zeichnet Eberhard Pelke ver-antwortlich. Es ist ein chronologischerund faszinierender Par-Force-Ritt durchdie Geschichte. Den abgebildetenBrückenbauwerken sind zumeist Por-traits ihrer Ingenieure beigefügt. KlausStiglat schließlich spannt den Bogenvon den steinernen Gewölben zu denBetonbrücken. In den ihm eigenen sou-veränen Schreibstil, die sich mit kriti-scher Intelligenz verbindet, gelingt ihmeine leicht faßliche Kurzgeschichte desMassivbrückenbaus.

Unterstützt wurde dieses sehr emp-fehlenswerte Buch von folgenden Inge-nieurorganisationen:

Hessisches Landesamt für Straßen-und Verkehrswesen, VBI (Verband Be-ratender Ingenieure) Hessen, VPI (Verei-nigung der Prüfingenieure für Baustatik)Hessen, VPI Rheinland-Pfalz, VPI Baden-Württemberg, VSVI (Vereinigung derStraßenbau- und Verkehrsingenieure)Rheinland-Pfalz und Saarland, VSVIHessen sowie die IngenieurkammernBaden-Württemberg, Rheinland-Pfalzund Hessen.

Früher beschränkte sich das Ver-ständnis von „Engagement“ auf das ge-sellschaftskritische Wirken eines AlbertCamus oder Jean-Paul Satre und anderefranzösische Intellektuelle. Mit ihremEngagement setzen die Autoren undUnterstützer des vorliegenden Buchesein Zeichen zur Erschließung der kultur-historischen Dimension des Brücken-baus, die für die Fortentwicklung derIngenieurbaukunst unhintergehbarist.

[1] Pelke, E.: Die Geschichte derBrücken im Straßenmuseum Germers-heim. Bautechnik 80 (2003), H. 10,S. 731—737.

Karl-Eugen Kurrer, Berlin

Pauser, A.: Brücken in Wien. Ein Führer durch die Baugeschichte.Wien/New York: Springer-Verlag 2005.294 S., zahlr. farb. Abb., Br., 14 ¥ 24 cm.ISBN 3-211-25255-X. 29,80 2

Brücken in der Stadt fordern den Bauin-genieur heraus, durch Konstruktion undForm von Brückenbauwerken dem stadt-räumlichen Umfeld zu entsprechen — jasogar neue Akzente zu setzen, welche dieurbane Qualität zu steigern vermag. Brük-ken in Wien aber setzen tiefere Kenntnisund schöpferische Auseinandersetzungmit dem genius loci dieser Stadt voraus.Wie kein anderer erfüllt der Ingenieur-baukünstler und Grandseigneur desösterreichischen Brückenbaus AlfredPauser jene Voraussetzungen spielend.Ihm sind Brückenbauwerke gelungen, indenen Anmut und Gesetz sich zumGanzen fügen. Bauwerke, die zum Ver-weilen einladen: „Verweile doch, du bistso schön!“ (Goethe).

Zum Verweilen lädt der vorliegendeBrükkenführer ein. Dort beschreibt Al-fred Pauser insgesamt rd. 140 Brückender Stadtbahn, im Wiener Donauraum,im Wiental, im Zuge der Südosttangenteund Stadtgebiet. Charakteristisch dabeiist, daß der Autor jedes Brückenbauwerknicht positivistisch als Faktum be-schreibt, sondern in klarer Sprache diehistorische Bewegung herausarbeitetund dem Leser das Tor zur sinnlichenErkenntnis der beschriebenen Bauwerkeöffnet. Wer ist nicht fasziniert von Pau-sers 1969 bis 1971 entstandenen Erdber-ger Brücke, in deren SchalentragwerkAnmut und Gesetz sich im Beton-brückenbau auf gültige Weise gebundenhaben (S. 133–135)? Den Brückenbe-schreibungen vorgeschaltet sind die Ka-pitel über die Geologie des WienerBeckens (von G. Sochatzky verfaßt), dieBaustoffe und ihr Einfluß auf die Trag-werkswahl, die Wirkungs- und Verhal-tensweisen von Tragwerkstrukturensowie die Bauweisen, Bau- und Grün-dungsverfahren, Fahrbahnkonstruk-tionen.

Die konziliante Tonalität von PausersSprachduktus, die kenntnisreiche Aus-wahl historischer Abbildungen und dieeinfachen, aber nicht zu einfach gestal-teten technischen Zeichnungen mit denfarblich hervorgehobenen Baustoffen er-geben ein Buchkunstwerk seltener Qua-lität, das in der umfassenden Brückenli-teratur ohne Vorbild ist.

Leserinnen und Leser, die mehr alsnur den genius loci des Stephansdoms,Otto Wagners Ring, der Hofburg oderder Schloßanlagen erfahren wollen fin-den in Pausers Brückenführer einen zu-verlässigen Begleiter durch Raum undZeit der Wiener Brückenwelt. „Die Inge-

nieurkunst ist deshalb undankbar, weilman Wissen besitzen muß, um ihreSchönheiten zu verstehen“ (W. G.Schuchow). Jenes Wissen stellt AlfredPauser für den Brückenbau für alle Le-serinnen und Leser mit einer Leichtig-keit zur Verfügung, die zum Lesen undzur Entdeckung der Brückeningenieur-kunst verführen. Prädikat: Besonderswertvoll.

Karl-Eugen Kurrer, Berlin