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In der vorangegangenen Folge unserer Serie „Qualifiziert Ernährungsberatung in der Apotheke“ (DAZ Nr. 21/2005, S. 57ff) wurden die Pathogenese der rheumatoiden Arthritis und der Einfluss ver- schiedener Fettsäuren dargestellt. Dabei konnte gezeigt werden, dass eine Verminderung der vor allem in fett- reichen Fleisch- und Wurstwaren vorkommen- den Omega-6-Fettsäure Arachidonsäure bei gleichzeitiger Erhöhung der Aufnahme an der langkettigen Omega-3-Fettsäure Eicosapenta- ensäure (EPA) die medikamentöse Therapie unterstützt. Da entzündliche Prozesse mit einem erhöhten Anfall freier Radikale einher- gehen, stellt sich die Frage, inwieweit die Zufuhr von Antioxidanzien zur Verbesserung der Symptomatik beiträgt. Besonders Vitamin E wird in dieser Hinsicht kontrovers beurteilt. Nachfolgend soll der mögliche Nutzen dis- kutiert werden. Im An- schluss daran finden sich konkrete Ernährungsempfehlungen für die tägliche Beratungspraxis in der Apotheke. Entzündliche Prozesse und freie Radikale Charakteristisch für das Krankheitsbild der rheu- matoiden Arthritis (RA) ist die überschießende Entzündungsreaktion in den betroffenen Gelenken. Sie ist auf die immunologische Genese der Er- krankung (s. Teil 1 der Beitragsserie, DAZ Nr. 45/2004, S. 43ff) zurückzuführen. Dabei kommt es auch zur Aktivierung von Makrophagen und neu- trophilen Granulozyten, deren Sauerstoffaufnahme innerhalb von Sekundenbruchteilen um das Hun- dertfache zunimmt („respiratory burst“) (siehe Kasten „Respiratory burst von Leukozyten und Bildung von Superoxidanionen“ und Abb. 1). Der hieraus resultierende oxidative Stress ist charakte- ristisch für die rheumatoide Arthritis [44, 100]. Die vermehrt gebildeten freien Radikale beeinflus- sen den Krankheitsverlauf über verschiedene Mechanismen negativ: J Sie aktivieren die Phospholipase A 2 , wodurch die Freisetzung von Arachidonsäure aus den Membranphospholipiden und die Bildung pro- inflammatorsicher Eicosanoide verstärkt werden [2]. J Sie schädigen verschiedene Biomoleküle des Gelenks und der angrenzenden Knochen. Ins- besondere Proteoglykane, Hyaluronsäure, Lipi- de und Proteine wie das Kollagen sind hiervon betroffen [41, 53, 60, 99]. J Sie induzieren den Transkriptionsfaktor NF-κB und steigern dadurch die Bildung proinflamma- torischer Verbindungen wie Zytokine und Che- mokine [23, 75]. J Sie senken durch erhöhten Verbrauch lokal die Konzentration der Antioxidanzien in den betrof- fenen Geweben. Dadurch verstärkt sich der oxi- dative Stress weiter, wodurch wiederum das Entzündungsgeschehen potenziert und Gewebe- und Knorpelschäden längerfristig begünstigt werden (Abb. 2). E RNÄHRUNG HEUTE Rheumatoide Arthritis – Bedeutung von Antioxidanzien und anderen Mikronährstoffen Nr. 24 | 16.06.2005 145. J AHRGANG | DEUTSCHE APOTHEKER ZEITUNG | 0000 | 1 Qualifizierte Ernährungs- beratung in der Apotheke, Teil 10 Alexander Ströhle, Maike Wolters und Andreas Hahn 1 Die Serie im Überblick Von unserer Serie „Qualifizierte Ernährungsberatung in der Apotheke“ sind bisher erschienen: J Teil 1: Von den Grundlagen zur Anwendung (DAZ Nr. 45/2004, S. 43ff) J Teil 2: Vitamine in der Prävention (DAZ Nr. 49/2004, S. 65ff) J Teil 3: Neue Erkenntnisse zu Vitamin D und Vitamin B 12 (DAZ Nr. 2/2005, S. 49ff) J Teil 4: Sekundäre Pflanzenstoffe – die neuen „Vitamine“? (DAZ Nr. 5/2005, S. 73ff) J Teil 5: Mineralstoffe – ist eine Supplementierung immer sinnvoll? (DAZ Nr. 8/2005, S. 52ff) J Teil 6: Selen und Zink in Prävention und Therapie (DAZ Nr. 11/2005, S. 62ff) J Teil 7: Ernährung und Osteoporose – Bedeutung von Calcium und Vitamin D (DAZ Nr. 15/2005, S. 74ff) J Teil 8: Ernährung und Osteoporose – Vitamin K, Fluorid und Phytoestrogene (DAZ Nr. 18/2005, S. 57ff) J Teil 9: Rheumatoide Arthritis – diätetisch beein- flussbar (DAZ Nr. 21/2005, S. 57ff) 1 Korrespondenzautor: Prof. Dr. Andreas Hahn, Universität Hannover, Institut für Lebensmittelwissenschaft, Abteilung für Ernährungsphysiologie und Humanernährung, Wunstorfer Str. 14, 30453 Hannover, Tel. 05 11 / 7 62 50 93, Fax 05 11 / 7 62 57 29, E-Mail: [email protected]

Rheumatoide Arthritis — Bedeutung von Antioxidanzien und ... · In der vorangegangenen Folge unserer Serie ªQualifiziert Ern−hrungsberatung in der ApothekeÒ (DAZ Nr. 21/2005,

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In der vorangegangenen Folge unsererSerie „Qualifiziert Ernährungsberatung in derApotheke“ (DAZ Nr. 21/2005, S. 57ff) wurden

die Pathogenese derrheumatoiden Arthritisund der Einfluss ver-schiedener Fettsäuren

dargestellt. Dabei konnte gezeigt werden,dass eine Verminderung der vor allem in fett-reichen Fleisch- und Wurstwaren vorkommen-den Omega-6-Fettsäure Arachidonsäure beigleichzeitiger Erhöhung der Aufnahme an derlangkettigen Omega-3-Fettsäure Eicosapenta-ensäure (EPA) die medikamentöse Therapieunterstützt. Da entzündliche Prozesse miteinem erhöhten Anfall freier Radikale einher-gehen, stellt sich die Frage, inwieweit dieZufuhr von Antioxidanzien zur Verbesserungder Symptomatik beiträgt. Besonders VitaminE wird in dieser Hinsicht kontrovers beurteilt.

Nachfolgend soll dermögliche Nutzen dis-kutiert werden. Im An-schluss daran finden

sich konkrete Ernährungsempfehlungen fürdie tägliche Beratungspraxis in der Apotheke.

Entzündliche Prozesse und freie Radikale

Charakteristisch für das Krankheitsbild der rheu-matoiden Arthritis (RA) ist die überschießendeEntzündungsreaktion in den betroffenen Gelenken.Sie ist auf die immunologische Genese der Er-krankung (s. Teil 1 der Beitragsserie, DAZ Nr.45/2004, S. 43ff) zurückzuführen. Dabei kommt esauch zur Aktivierung von Makrophagen und neu-trophilen Granulozyten, deren Sauerstoffaufnahmeinnerhalb von Sekundenbruchteilen um das Hun-dertfache zunimmt („respiratory burst“) (siehe

Kasten „Respiratory burst von Leukozyten undBildung von Superoxidanionen“ und Abb. 1). Derhieraus resultierende oxidative Stress ist charakte-ristisch für die rheumatoide Arthritis [44, 100].Die vermehrt gebildeten freien Radikale beeinflus-sen den Krankheitsverlauf über verschiedeneMechanismen negativ:J Sie aktivieren die Phospholipase A2, wodurch

die Freisetzung von Arachidonsäure aus denMembranphospholipiden und die Bildung pro-inflammatorsicher Eicosanoide verstärkt werden[2].

J Sie schädigen verschiedene Biomoleküle desGelenks und der angrenzenden Knochen. Ins-besondere Proteoglykane, Hyaluronsäure, Lipi-de und Proteine wie das Kollagen sind hiervonbetroffen [41, 53, 60, 99].

J Sie induzieren den Transkriptionsfaktor NF-κBund steigern dadurch die Bildung proinflamma-torischer Verbindungen wie Zytokine und Che-mokine [23, 75].

J Sie senken durch erhöhten Verbrauch lokal dieKonzentration der Antioxidanzien in den betrof-fenen Geweben. Dadurch verstärkt sich der oxi-dative Stress weiter, wodurch wiederum dasEntzündungsgeschehen potenziert und Gewebe-und Knorpelschäden längerfristig begünstigtwerden (Abb. 2).

ERNÄHRUNG HEUTE

Rheumatoide Arthritis –Bedeutung von Antioxidanzienund anderen Mikronährstoffen

Nr. 24 | 16.06.2005 145. JAHRGANG | DEUTSCHE APOTHEKER ZEITUNG |0000|1

Qualifizierte Ernährungs-

beratung in der Apotheke,

Teil 10

Alexander Ströhle,

Maike Wolters und

Andreas Hahn1

Die Serie im Überblick

Von unserer Serie „Qualifizierte Ernährungsberatungin der Apotheke“ sind bisher erschienen:J Teil 1: Von den Grundlagen zur Anwendung

(DAZ Nr. 45/2004, S. 43ff)J Teil 2: Vitamine in der Prävention

(DAZ Nr. 49/2004, S. 65ff)J Teil 3: Neue Erkenntnisse zu Vitamin D und

Vitamin B12 (DAZ Nr. 2/2005, S. 49ff)J Teil 4: Sekundäre Pflanzenstoffe –

die neuen „Vitamine“? (DAZ Nr. 5/2005, S. 73ff)J Teil 5: Mineralstoffe – ist eine Supplementierung

immer sinnvoll? (DAZ Nr. 8/2005, S. 52ff)J Teil 6: Selen und Zink in Prävention und Therapie

(DAZ Nr. 11/2005, S. 62ff)J Teil 7: Ernährung und Osteoporose –

Bedeutung von Calcium und Vitamin D (DAZ Nr. 15/2005, S. 74ff)

J Teil 8: Ernährung und Osteoporose – Vitamin K, Fluorid und Phytoestrogene (DAZ Nr. 18/2005, S. 57ff)

J Teil 9: Rheumatoide Arthritis – diätetisch beein-flussbar (DAZ Nr. 21/2005, S. 57ff)

1 Korrespondenzautor: Prof. Dr. Andreas Hahn, Universität Hannover, Institut fürLebensmittelwissenschaft, Abteilung für Ernährungsphysiologieund Humanernährung, Wunstorfer Str. 14, 30453 Hannover, Tel. 05 11 / 7 62 50 93, Fax 05 11 / 7 62 57 29, E-Mail: [email protected]

menhang näher beleuchtet werden.Daten aus In-vitro-Untersuchungen undtierexperimentellen Studien belegen,dass sich mehrere der oben genanntenproinflammatorischen Prozesse durchVitamin-E-Gaben vermindern lassen. Soist etwa bekannt, dass Vitamin E die Ra-dikalentstehung bei bereits vorhandenerEntzündung hemmt und der gesteigertenOxidation von Membranlipiden und an-deren Biomolekülen entgegenwirkt [15,20]. In enger Verbindung mit den anti-oxidativen Effekten von Vitamin E stehtdessen Fähigkeit, redoxsensitive Tran-skriptionsfaktoren wie z. B. NF-κB zuhemmen. Dadurch unterdrückt Vitamin Edie Synthese von Proteinen, wie sie beiradikalinduzierten Entzündungsprozes-sen vermehrt entstehen [22]. Zudemkonnte gezeigt werden, dass Vitamin Edie Signaltransduktion beeinflusst, ver-mutlich über eine Hemmung von Pro-teinkinasen. In Zusammenhang damitsteht die Unterdrückung der Phospholi-pase-A2-Aktivität und die verminderteBildung von Eicosanoiden aus Arachi-donsäure [10]. Auch die Lipoxygenasewird durch Vitamin E inhibiert, was denEffekt auf die Eicosanoidsynthese nochverstärkt [28]. Gestützt werden diese Be-funde durch eine Analyse der Framing-ham-Osteoarthritis Study. Hier war einehohe Aufnahme an Antioxidanzien, da-runter Vitamin E, mit einem positivenEinfluss auf den Krankheitsverlauf beiArthrose assoziiert [79]. Die klinische Bedeutung dieser Befundeist bisher nicht abschließend geklärt undhängt offenbar stark von der individuel-len Ausgangssituation ab. Zudem ist esschwierig, die Ergebnisse einzelner Stu-dien zu vergleichen, da oftmals erhebli-

Antioxidanzien – sinnvoll bei Gelenkerkrankungen?Die biochemischen Zusammenhänge verdeutli-chen, warum Antioxidanzien eine Bedeutung beider diätetischen Behandlung der RA zukommenkönnte. Tatsächlich zeigten Studien mit Rheuma-Patienten, dass die Vitamin-E-Plasmaspiegel [35,105] sowie die Konzentration von Vitamin E inder Gelenkflüssigkeit deutlich erniedrigt sind [17,35]. So war z. B. in einer Untersuchung von Fair-burn et al. (1992) die Vitamin-E-Konzentration beiArthritikern etwa fünffach niedriger als bei Gesun-den. Dies lässt darauf schließen, dass Rheumatikereinen gegenüber Gesunden erhöhten Grundbedarfan Antioxidanzien aufweisen. Darüber hinausstellt sich die Frage, ob die zusätzliche Zufuhr vonAntioxidanzien – jenseits des Ausgleichs oder derVermeidung eines Mangels – einen therapeuti-schen Nutzen aufweist. Exemplarisch soll nachfol-gend die Rolle von Vitamin E in diesem Zusam-

ABB. 1: DIE RHEUMATOIDE ARTHRITIS ist durch eine überschießendeEntzündungsreaktion gekennzeichnet. Dabei werden unter anderemMakrophagen und neutrophile Granulozyten aktiviert und deren Sauer-stoffaufnahmekapazität innerhalb von Sekundenbruchteilen um dasHundertfache gesteigert (s. a. nebenstehenden Kasten).

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Respiratory burst von Leukozyten und Bildung von Superoxidanionen

Charakteristisch für Leukozyten ist, dass ihr Sauer-stoffverbrauch nach Aktivierung innerhalb von Sekun-den um bis zum 100fachen ansteigt. Dieses als respi-ratory burst bezeichnete Phänomen ist mit der Bil-dung freier Radikale verbunden. Dabei laufen folgendeReaktionen ab (Abb. 1). Nach der Stimulation setzenLeukozyten aus ihren Membranen Inositol-1,4,5-tri-phosphat frei. Dieses wirkt als Botenstoff und mobili-siert Calcium aus intrazellulären Speicherkomparti-menten. Calcium aktiviert eine membranständige Pro-teinkinase C, die die Phosphorylierung eines cytosoli-schen Proteins katalysiert. Dadurch bildet das Proteinmit einem weiteren Protein ein Dimer. Dieses bindetan die Untereinheit einer in der Membran lokalisier-ten NADPH-abhängigen Oxidase und führt so zur Akti-vierung des Enzyms. Eine Kette von Redoxreaktionenschließt sich an. Am Ende wird molekularer Sauer-stoff zum Superoxidanionradikal reduziert.

che methodische Unterschiede bestehen [95, 100].In einer Übersicht wird über teils gute Erfolge beiaktivierten Arthrosen berichtet, wo eine schmerz-lindernde Wirkung sowie eine Verbesserung derBeweglichkeit durch die hoch dosierte Gabe vonVitamin E (bis zu 1500 Internationale Einheiten –IE – pro Tag, entsprechend etwa 1000 mg Toco-pheroläquivalent – TÄ) zu beobachten war [100].Allerdings wurde hierzu kritisch angemerkt, dassdie Studien häufig erhebliche Mängel aufweisen,insbesondere was Patientenzahl und Behandlungs-dauer anbelangt [95]. Vor diesem Hintergrundverwundert es nicht, dass zwei neuere Studien, indenen 500 IE Vitamin E/d(335 mg TÄ) an Patientenmit Osteoarthritis verab-reicht wurden, keinen Ef-fekt zeigten [18, 130]. Ins-gesamt ist damit der Nut-zen einer hochdosiertenGabe von Vitamin E beiArthrosen höchst fraglich.Hiervon abzugrenzen istdie Frage, inwieweit Pa-tienten mit rheumatoiderArthritis von hohen Vit-amin-E-Gaben profitieren.Dazu liegen mehrere Inter-ventionsstudien vor, in de-nen die Wirksamkeit einerVitamin-E-Supplementie-rung (bis 1600 IE/d; etwa1000 mg TÄ/d) untersuchtwurde. Positive Resultateergaben sich in Bezug aufMorgensteifigkeit,Schmerzempfinden und

Verbrauch von entzündungshemmendenMedikamenten [33, 59, 68, 129]. Auf deranderen Seite wurde die Aussagekraftvieler der Studien in Frage gestellt, ins-besondere wegen ihrer teilweise erhebli-chen methodischen Mängel [27, 95].Eine neuere Untersuchung deutet jedochebenfalls darauf hin, dass Patienten mitentzündlichen Gelenkerkrankungen voneiner adjuvanten Vitamin-E-Supplemen-tierung profitieren [57].

Weitere Ernährungsfaktoren

Vor dem Hintergrund der gesteigertenRadikalbildung und der engen Interaktionder Vitamine E und C (Abb. 3) ist davonauszugehen, dass Rheumapatienten aucheinen höheren Bedarf an Ascorbinsäureaufweisen als Gesunde. Dabei scheinteine Zufuhr von etwa 200 mg/d ausrei-chend zu sein, um dem krankheitsbeding-ten Mehrbedarf Rechnung zu tragen [2,6]. Demgegenüber existieren keine Studi-en, die therapeutische Effekte einerHochdosissupplementierung von VitaminC bei entzündlichen Erkrankungen bele-gen [96]. Extrem hohe Dosierungsemp-

fehlungen von 1000 – 3000 mg Vitamin C/d, wiesie zum Teil für Rheumapatienten ausgesprochenwerden [42], entbehren jeder wissenschaftlichenEvidenz. Als Cofaktoren von Enzymen sind die Spurenele-mente Selen, Kupfer und Zink ebenfalls in die an-tioxidative Abwehr eingebunden. Insbesondere zuSelen liegen Studien vor, die eine höhere Zufuhrbei Patienten mit rheumatoider Arthritis als wün-schenswert erachten lassen [119, 120]. Demgegen-über ist der Einfluss von Zink auf das Erkran-kungsgeschehen nur unzureichend erforscht [96,98] (Tab. 1). Andere Verbindungen, die häufig zur

ERNÄHRUNG HEUTE

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ABB. 2: CIRCULUS VITIOSUS Die infolge einer Entzündung gebildetenSauerstoffradikale regen die Bildung proinflammatorischer Verbindun-gen an und senken durch erhöhten Verbrauch lokal die Konzentrationan Antioxidanzien. Dadurch verstärkt sich der oxidative Stress, wo-durch wiederum die Entzündung angekurbelt wird und weitere Radika-le entstehen.

ABB. 3: GUTE ZUSAMMENARBEIT Alpha Tocopherol stoppt radikalische Kettenreaktio-nen, indem es ein Wasserstoffatom seiner phenolischen Hydroxylgruppe an das Sau-erstoffradikal übergibt und dadurch selbst zum Vitamin-E-Radikal wird. Durch VitaminC wird das Vitamin-E-Radikal wieder in Alpha-Tocopherol umgewandelt. Vitamin E undC wirken somit synergistisch.

adjuvanten Therapie degenerativer und/oder ent-zündlichen Gelenkerkrankungen empfohlen wer-den, sind Gelatine und Glucosamin. Effekte undwissenschaftliche Evidenz für den klinischen Nut-zen derartiger Präparate sind in Tabelle 1 zusam-mengefasst.

Empfehlungen für die Praxis

Ziel der diätetischen Therapie der RA ist es, anti-inflammatorisch und antioxidativ wirksame Nah-rungsfaktoren gezielt zuzuführen und die Aufnah-me an arachidonsäurehaltigen Lebensmitteln zu

ERNÄHRUNG HEUTE

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Tab. 1: Weitere Nährstoffe, die mit entzündlichen oder degenerativen Gelenkerkrankungen in Zusammenhangstehen.

Substanz Biochemisch-physiologischer Hintergrund Effekt auf das Gelenk und Evidenz

Selen J Cofaktor der Glutathionperoxidase; damit ein- J In Beobachtungsstudien häufig erniedrigtegeschaltet in die antioxidative Abwehr. Selen-Plasmakonzentration bei Personen mit

J Im Selenmangel erhöhte Bildung von NF-κB RA, insbesondere in der Phase des aktuen und Induktion der Cyclooxygenase [92, 131]. Rheumaschubs [120].

J In einigen Beobachtungsstudien inverse Asso-ziation zwischen der Symptomatik und derSelen-Plasmakonzentration [2, 70, 119, 120].

J In Humanstudien inkonsistente Ergebnisseeiner Selensupplementierung auf klinischeParameter und Symptomatik [54, 84, 89, 90,118].

Zink J Cofaktor der Superoxiddismutase; damit ein- J In Beobachtungsstudien sowohl erniedrigtegeschaltet in die antioxidative Abwehr. [55, 56, 124, 132] als auch normale [107].

Zink-Plasmakonzentration bei Personen mit RA.J In Humanstudien keine positiven Effekte

einer Supplementierung auf objektive Krank-heitszeichen [94; 96].

Gelatine J Reichhaltige Quelle für Hydroxyprolin und J In kleinen Humanstudien positive Effekte aufArginin. das Beschwerdebild bei Arthrose [4, 106]

J Hydroxyprolin ist integraler Bestandteil des J Kein Effekt bei Osteoarthritis in einer großenGelenkknorpels. Multicenterstudie [82].

Glucosamin J Glucosamin ist ein Glucosemolekül, das am J Zellkulturexperimente zeigen, dass Chondro-C-Atom 2 eine Aminogruppe trägt. zyten nach Zugabe von Glucosaminsulfat

J Glucosamin dient als Baustein für die Syn- vermehrt Proteoglykane synthetisieren [11].these von Glycoproteinen, wie sie im Knorpel- J In Humanstudien an Patienten mit Osteo-gewebe zu finden sind. arthritis zeigte sich nach Supplementierung

(etwa 1500 mg/d) ein moderater Effekt auf das Beschwerdebild. Allerdings sind viele Untersuchungen von mangelhafter Qualität [78, 79, 97].

J Wirksamkeit ist bislang nur für einen bestimm-ten, in Deutschland ausschließlich in Arznei-mitteln eingesetzten Extrakt gesichert [124].

Hohe Vitamin-E-Dosen: ein Risiko für frühzeitigen Tod?

Zu Verunsicherung haben die Ergebnisse einer erst-mals im November 2004 präsentierten Studie zu mög-lichen Risiken durch hochdosiertes Vitamin E geführt.Das auch von der Laienpresse aufgegriffene Themahat bei einigen Verbrauchern geradezu panikartige Re-aktionen hervorgerufen und auch in Fachkreisen hoheWogen geschlagen. Amerikanische Wissenschaftler un-tersuchten in einer Metaanalyse von 19 zuvor veröf-fentlichten Studien mit Vitamin E, inwieweit die Gabevon Vitamin E die Sterblichkeit erhöht. Sie kamen zudem Ergebnis, dass Zufuhren von mehr als 400 IE (=268 mg TÄ/d) zu einer erhöhten Sterblichkeit führen,während niedrige Dosierungen sogar das Mortalitätsri-siko senkten [81]. Alle in die Analyse einbezogenenStudien waren an Personen durchgeführt worden, diean chronischen Erkrankungen litten bzw. mangeler-nährt waren oder einer Hochrisikogruppe angehörten.

Die Arbeit wurde mittlerweile von verschiedenenSeiten kritisiert. [37, 38]. So zeigten 18 der 19 in dieAnalyse einbezogenen Studien keinen statistisch signi-fikanten Anstieg der Mortalität. Zudem gelten die un-tersuchten Studien als zu heterogen, so wurden viel-fach gleichzeitig auch andere Supplemente und/oderArzneimittel verwendet. Verschiedene, im Bereich vonVitamin E ausgewiesene internationale Wissenschaft-ler kommen denn auch in einer kürzlich veröffentlich-ten Arbeit zu dem Schluss, dass selbst der vom wis-senschaftlichen Lebensmittelausschuss der EU vorge-schlagene Upper Limit of Safe Intake (UL, vgl. Teil 2der Beitragsserie, DAZ Nr. 49/2004, S. 65ff) von 300mg TÄ/d als zu niedrig anzusehen ist. Danach ist eineZufuhr von bis zu 1600 IE (1073 mg TÄ/d) für die„meisten Erwachsenen“ als sicher anzusehen [51].

minimieren. Aufgrund deshohen Risikos für Osteo-porose [52, 61, 115] undkardiovaskuläre Erkrankun-gen [29, 127] ist bei Rheu-mapatienten zudem auf eine„knochenprotektive“ und„gefäßschützende“ Ernäh-rung zu achten. All dieseAnforderungen sind mit ei-ner an die mediterrane Er-nährungsform angelehnteLebensmittelauswahl zurealisieren. Im Grundsatzgleicht diese den generellenEmpfehlungen für eine ge-sund erhaltende Ernährung,die bereits in Teil 1 und Teil8 der Beitragsserie (DAZNr. 45/2004, S. 43ff; DAZNr. 18/2005, S. 57ff) näherausgeführt worden war. Derreichliche Verzehr von Ge-müse und Obst (Calcium,Magnesium, Vitamin C,Folsäure, sekundäre Pflan-zenstoffe), mageren Milch-produkten, Samen und Nüs-sen (Calcium, Magnesium,viel Linol-, wenig Arachi-donsäure), Vollkorn- undSojaprodukten (Magnesium,Phytoestrogene, Zink), er-gänzt um Fischgerichte (Vi-tamin D, DHA und EPA)sichert die Versorgung mit

allen wünschenswerten Nährstoffen und reduziertdie Aufnahme problematischer Lebensmittelin-haltsstoffe auf ein Minimum. Dabei sollte aller-dings bedacht werden, dass bestimmte Lebensmit-tel häufig mit einer Verschlechterung der Sympto-matik einhergehen und deshalb im Einzelfall zumeiden sind (Tab. 2). Die Umsetzung einer sol-chen Ernährungsweise bedeutet für die Betroffe-nen in der Regel eine vollständige Veränderungder bisherigen Ernährungsgewohnheiten. Insbe-sondere die Forderung nach einem deutlich erhöh-ten Fischverzehr (derzeitiger durchschnittlicherVerzehr in Deutschland ca. 16 g/d) stößt bei derMehrzahl der Patienten an ihre praktischen Gren-zen [49, 104]. Bei Personen, deren Ernährungsgewohnheiten sichnicht oder nur unzureichend modifizieren lassen,ist der Einsatz von Fischölpräparaten zu empfeh-len. Diese Maßnahme ist unter ärztlicher Kontrolledurchzuführen und als adjuvant anzusehen. Siekann medikamentöse Therapien im Allgemeinennicht ersetzen, jedoch zu einer Reduktion der Me-dikation beitragen. Generell ist bei Patienten mitrheumatischen Erkrankungen der Bedarf an Anti-oxidanzien höher einzuschätzen als bei Gesunden.Bei Vitamin C ist es prinzipiell möglich, den ge-steigerten Bedarf (etwa 200 mg/d) über eine ge-eignete Nahrungszusammenstellung zu decken.Anders ist die Situation bei Vitamin E. Hier wird

Nr. 24 | 16.06.2005

Tab. 2: Lebensmittel, derenVerzehr bei Rheumatikernhäufig mit einer Verschlech-terung der Symptomatik inZusammenhang steht [48].

Nahrungs- % der mittel Patienten

Fleisch 88

Mais 57

Weizen 54

Milch 37

Hafer 37

Eier 32

Roggen 32

Kaffee 32

Malz 27

Käse 24

Grapefruit 24

Tomaten 22

Erdnüsse 20

Rohrzucker 20

Zitrone 17

Butter 17

Soja 17

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einerseits angestrebt, einem erhöhten BedarfRechnung zu tragen und andererseits eine davonunabhängige therapeutische Wirkung zu erzielen.Soll beides berücksichtigt werden, wird bei RAeine Zufuhr von 200 – 400 IE/d (ca. 135 – 270 mgTÄ/d) empfohlen [15]. Diese Menge liegt weitüber dem alimentär realisierbaren Bereich und istnur über den Einsatz entsprechender Präparate zuerreichen. In diesem Zusammenhang sollte – nachverunsichernden Berichten als Folge einer Ende2004 erschieneneen Publikation zu den Risikenvon Vitamin E – auch noch einmal betont werden,dass diese Dosierungen als unbedenklich anzuse-hen sind (siehe Kasten „Hohe Vitamin-E-Dosen:ein Risiko für frühzeitigen Tod?“). Abzulehnen istdagegen die bisweilen empfohlene Supplementie-rung mit Megadosen an Vitamin E (bis zu 3000IE/Tag, entsprechend etwa 2000 mg TÄ/d) [42].Hierbei besteht sogar die Gefahr der Aktivierungder zellulären Immunabwehr mit negativen Folgenfür den Krankheitsverlauf [15]. Aufgrund der in Deutschland marginalen Selen-versorgung ist bei Patienten mit RA zudem die Er-gänzung der Ernährung mit Selen (100 – 200 µg/d)zu empfehlen. Daneben ist auf eine ausreichendeCalcium- und Vitamin-D-Versorgung zu achten,um das Osteoporoserisiko zu minimieren (sieheDAZ Nr. 15/2005, S. 74ff). Dies gilt vor allemdann, wenn Glucocorticoide zum Einsatz kom-men. Erhalten die Patienten Methotrexat, so ist dieIndikation zur Folsäuresupplementierung gegeben[86; 128]. Die dargestellten Empfehlungen zur ad-juvanten Ernährungstherapie sind auch im Kastennochmals zusammengefasst.

Literatur

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[15] Biesaslki HK, Frank J, Bolten W, Sangha O, Nagel E, AdamO (1999): Vitamin E und Erkrankungen des rheumatischenFormenkreises (Osteoarthritis [OA] und rheumatoide Arthri-tis [RA). Aktuel Ernaehr Med 24: 29 – 36

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Das vollständige Literaturverzeichnis finden Sie bei der DAZonlineim Anschluss an Teil 10 unserer Beitragsserie. www.deutsche-apotheker-zeitung.deBenutzername: apothekePasswort: daz

ERNÄHRUNG HEUTE

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Literatur

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Zusammenfassende Empfehlungen zur adjuvanten Ernährungstherapie bei rheumatoider Arthritis [48].

J Mediterran ausgerichtete Ernährung mit hohemAnteil an Gemüse, Obst, Hülsenfrüchten, Vollkorn-produkten und Nüssen.

J Reichlicher Verzehr fettreicher Seefische wieHering, Lachs und Sardine.

J Verwendung α-Linolensäurereicher Speiseöle(Raps-, Lein- und Walnussöl)

J Bevorzugung magerer Milchprodukte und Ein-schränkung des Verzehrs fettreicher Käsesortenund Fleischwaren.

J Option der kombinierten Vitamin-E- (200 – 400 IE/d,entspricht etwa 135-270 mg TÄ/d), Selen (100 –200 µg/d) und Fischölsupplementierung (bis ca.30 mg EPA und DHA/kg KG/d).

J Bei Risikogruppen (z.B. Senioren, postmeno-pausalen Frauen, Therapie mit Glukokortikoiden)und in den Wintermonaten ggf. Einsatz von Vita-min-D- (20 µg/Tag) und Calciumsupplementen(500 – 1500 mg/Tag) zur Osteoporoseprophylaxe.

J Unter Methotrexattherapie Supplementierung vonFolsäure (5 mg/Woche).

J Abklärung von Lebensmittelintoleranzen; ggf. Meiden der auslösenden Lebensmittel.