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Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 15 (1992): Rezensionen 61 Rezensionen Rolf Winau: Medizin in Berlin. Mit einem Geleitwort des Regierenden Burgermeisters von Berlin Eberhard Diepgen. Berlin/New York: Walter de Gruyter 1987. 374 Seiten, 277 Abbildungen. DM f2s. Medizin in Berlin - hinter diesem knappen Titel ver- birgt sich mehr als eine nur lokalhistorische Darstel- lung. Denn seit gut 300 Jahren war die Berliner Medi- zin - dieser Titel hatte den Inhalt des Buches besser getroffen - von uberregionaler Bedeutung. Mark- steine ihrer Entwicklung waren die Griindung des Collegiummedicum durch das fortschrittliche Medizi- naledikt von 1685 sowie die Errichtung des fieatrum anutomicum, des Collegium medico-chirurgicum, der Charitk (1713 bis 1727) und schliefllich der I'bpiniire (1795) als medizinische Ausbildungsstatten. Das pragmatische Konzept dieser Institutionen ver- band sich auf fruchtbare Weise mit den humanisti- schen Idealen, die 1810 bei der Griindung der Uni- versitat Pate gestanden hatten: Nun feierte auch die wissenschaftliche Forschung in Berlin Triumphe. Neben dem institutionellen Rahmen stellt Winau einige Personlichkeiten vor, die auf unterschiedliche Weise die Berliner Medizin reprisentiert haben, vom Scharlaran - den Dr. Eisenbarth (s. 112) hatte der Autor jedoch nicht als solchen bezeichnen sollen - uber den volkstumlichen ,,alten Heim" bis zum No- belpreistriger. Die gute Lesbarkeit des Buches resultiert vorrangig aus der glucklichen Gliederung und Aufbereitung des Stoffes: Kurze, in sich geschlossene Abschnitte mit wechselnder Thematik lassen den Leser nicht er- miiden - ein Kunstgriff, der mehr auf ein breites Publikum als auf den Fachhistoriker zielt, ohne den letzteren auszuschliefien. Bedauerlich ist es jedoch, dafl der Text nicht mit Anmerkungen versehen wurde bzw. dai3 die Bibliographie nicht thematisch geordnet wurde. Trotz dieses Einwandes darf das Buch als gelungen gelten, unter anderem auch wegen der vielen Bilddokumente. Wolfgang Caesar, Stuttgart Patricia Vottiner-Pletz: Lignum sanctum. Zur therapeutischen Verwendung des Guajak vom 16. bis 20. Jahrhundert. Frankfurt am Main: Govi Verlag 1990. 311 Seiten, 17 Abbildungen. Obwohl Guajak heute nur noch im Homoopathi- schen Arzneibuch enthalten ist, gehort diese vor nahezu 500 Jahren in den Arzneischatz eingefuhrte Droge ohne Frage zu den kulturhistorisch besonders interessanten Arzneimitteln. Die Tatsache, dafi die Droge bei ihrer Einfuhrung in Europa als viel- geriihmtes Antisyphilitikum galt, lafit die vorliegende Arbeit, die unter Leitung von Peter Dilg am Institut fur Geschichte der Pharmazie Marburg entstand, auch fur die Medizinhistoriographie als relevant er- scheinen. Am Anfang der Darstellung stehen Angaben zu den botanischen Merkmalen, zur sprachlichen Her- kunft sowie zur Anwendung der Droge bei den In- dianern. Es folgen Ausfuhrungen uber die Einfuh- rung des Guajak in den europaischen Arzneischatz, wobei die Autorin eine grofie Anzahl von zeitgenos- sischen Quellen auswertet, die von U. von Huttens beriihmter Schrift bis zur botanischen Fachliteratur - interessanterweise fehlt sie bei den drei ,,Vatern" der Botanik (Brunfels, Bock und Fuchs) - reichen. Eine Tabelle (S. 48ff.) vermittelt eine Ubersicht uber die Beschreibung des Guajak in der botanischen, nach Landern (Spanien, Frankreich, Italien, Schweiz, 0 VCH Verlagsgesellschaft mbH, D-6940 Weinheirn 1992 Deutschland, Niederlande, Grofibritannien) geord- neten Fachliteratur. Ein weiterer Abschnitt behandelt, ausgehend von den unterschiedlichen Hypothesen uber das erste Auftreten der Syphilis in Europa, die Verwendung der Droge in der SyphilisTherapie. Die Verfasserin stellt die einzelnen Arzneiformen vor, in denen Guajak vor und nach 1600 als Antisyphilitikum an- gewendet wurde; zur Erganzung finder sich im An- hang ein Rezepturteil. Dafi Guajak auch in zahlrei- chen anderen Indikationsgebieten (z. B. als Diureti- kum und als Antiphthisikum) Anwendung fand, durfte weniger bekannt sein und wird deshalb in einem weiteren Abschnitt behandelt. Das letzte Kapitel, das der Chemie und Pharmako- logie der Droge gewidmet ist und eine intensive Be- schaftigung der Autorin auch mit neuerer Literatur belegt, zeigt, dafi die Wirkung des Guajak, insbeson- dere bei nichtluetischer Indikation, nicht nur auf einem Placebo-Effekt beruht. Das Buch vermittelt somit zugleich am Beispiel einer Droge einen gelungenen Uberblick uber ein halbes Jahrhundert Arzneimittelgeschichte. Christoph Friedrich, Greifswald 0170-6233/92/0401-0061 $03.50+.25/0

Rolf Winau: Medizin in Berlin. Mit einem Geleitwort des Regierenden Bürgermeisters von Berlin Eberhard Diepgen. Berlin/New York: Walter de Gruyter 1987. 374 Seiten, 277 Abbildungen

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Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 15 (1992): Rezensionen 61

Rezensionen

Rolf Winau: Medizin in Berlin. Mit einem Geleitwort des Regierenden Burgermeisters von Berlin Eberhard Diepgen. Berlin/New York: Walter de Gruyter 1987. 374 Seiten, 277 Abbildungen. DM f2s.

Medizin in Berlin - hinter diesem knappen Titel ver- birgt sich mehr als eine nur lokalhistorische Darstel- lung. Denn seit gut 300 Jahren war die Berliner Medi- zin - dieser Titel hatte den Inhalt des Buches besser getroffen - von uberregionaler Bedeutung. Mark- steine ihrer Entwicklung waren die Griindung des Collegium medicum durch das fortschrittliche Medizi- naledikt von 1685 sowie die Errichtung des fieatrum anutomicum, des Collegium medico-chirurgicum, der Charitk (1713 bis 1727) und schliefllich der I'bpiniire (1795) als medizinische Ausbildungsstatten.

Das pragmatische Konzept dieser Institutionen ver- band sich auf fruchtbare Weise mit den humanisti- schen Idealen, die 1810 bei der Griindung der Uni- versitat Pate gestanden hatten: Nun feierte auch die wissenschaftliche Forschung in Berlin Triumphe.

Neben dem institutionellen Rahmen stellt Winau einige Personlichkeiten vor, die auf unterschiedliche

Weise die Berliner Medizin reprisentiert haben, vom Scharlaran - den Dr. Eisenbarth (s. 112) hatte der Autor jedoch nicht als solchen bezeichnen sollen - uber den volkstumlichen ,,alten Heim" bis zum No- belpreistriger.

Die gute Lesbarkeit des Buches resultiert vorrangig aus der glucklichen Gliederung und Aufbereitung des Stoffes: Kurze, in sich geschlossene Abschnitte mit wechselnder Thematik lassen den Leser nicht er- miiden - ein Kunstgriff, der mehr auf ein breites Publikum als auf den Fachhistoriker zielt, ohne den letzteren auszuschliefien. Bedauerlich ist es jedoch, dafl der Text nicht mit Anmerkungen versehen wurde bzw. dai3 die Bibliographie nicht thematisch geordnet wurde. Trotz dieses Einwandes darf das Buch als gelungen gelten, unter anderem auch wegen der vielen Bilddokumente.

Wolfgang Caesar, Stuttgart

Patricia Vottiner-Pletz: Lignum sanctum. Zur therapeutischen Verwendung des Guajak vom 16. bis 20. Jahrhundert. Frankfurt am Main: Govi Verlag 1990. 311 Seiten, 17 Abbildungen.

Obwohl Guajak heute nur noch im Homoopathi- schen Arzneibuch enthalten ist, gehort diese vor nahezu 500 Jahren in den Arzneischatz eingefuhrte Droge ohne Frage zu den kulturhistorisch besonders interessanten Arzneimitteln. Die Tatsache, dafi die Droge bei ihrer Einfuhrung in Europa als viel- geriihmtes Antisyphilitikum galt, lafit die vorliegende Arbeit, die unter Leitung von Peter Dilg am Institut fur Geschichte der Pharmazie Marburg entstand, auch fur die Medizinhistoriographie als relevant er- scheinen.

Am Anfang der Darstellung stehen Angaben zu den botanischen Merkmalen, zur sprachlichen Her- kunft sowie zur Anwendung der Droge bei den In- dianern. Es folgen Ausfuhrungen uber die Einfuh- rung des Guajak in den europaischen Arzneischatz, wobei die Autorin eine grofie Anzahl von zeitgenos- sischen Quellen auswertet, die von U. von Huttens beriihmter Schrift bis zur botanischen Fachliteratur - interessanterweise fehlt sie bei den drei ,,Vatern" der Botanik (Brunfels, Bock und Fuchs) - reichen. Eine Tabelle (S. 48ff.) vermittelt eine Ubersicht uber die Beschreibung des Guajak in der botanischen, nach Landern (Spanien, Frankreich, Italien, Schweiz,

0 VCH Verlagsgesellschaft mbH, D-6940 Weinheirn 1992

Deutschland, Niederlande, Grofibritannien) geord- neten Fachliteratur.

Ein weiterer Abschnitt behandelt, ausgehend von den unterschiedlichen Hypothesen uber das erste Auftreten der Syphilis in Europa, die Verwendung der Droge in der SyphilisTherapie. Die Verfasserin stellt die einzelnen Arzneiformen vor, in denen Guajak vor und nach 1600 als Antisyphilitikum an- gewendet wurde; zur Erganzung finder sich im An- hang ein Rezepturteil. Dafi Guajak auch in zahlrei- chen anderen Indikationsgebieten (z. B. als Diureti- kum und als Antiphthisikum) Anwendung fand, durfte weniger bekannt sein und wird deshalb in einem weiteren Abschnitt behandelt.

Das letzte Kapitel, das der Chemie und Pharmako- logie der Droge gewidmet ist und eine intensive Be- schaftigung der Autorin auch mit neuerer Literatur belegt, zeigt, dafi die Wirkung des Guajak, insbeson- dere bei nichtluetischer Indikation, nicht nur auf einem Placebo-Effekt beruht.

Das Buch vermittelt somit zugleich am Beispiel einer Droge einen gelungenen Uberblick uber ein halbes Jahrhundert Arzneimittelgeschichte.

Christoph Friedrich, Greifswald

0170-6233/92/0401-0061 $03.50+.25/0