11
Einige Bemerkungen zur Regierung von Maximinus Thrax von WILLEM DEN BOER , Leiden Bereits im vierten nachchristlichen Jahrhundert wurde die Geschichte der römischen Kaiserzeit in Perioden eingeteilt; das Jahr 235 n. Chr. stellt darin eine scharfe Zäsur dar 1 . In Wirklichkeit gab es mehr Konti- nuität als Veränderung. Es ist offenkundig, daß die schnelle Aufeinanderfolge der Usurpa- toren die gleichmäßige Entwicklung einer neuen Verwaltung verhinderte. Mit mindestens fünf Aufgaben mußte sich ein neuer Herrscher ausein- andersetzen: 1. mit der militärischen Lage an den Grenzen; 2. mit seiner Beziehung als Oberbefehlshaber zu seinen Truppen; 3. mit den finanziel- len Schwierigkeiten, die vor allem durch die hohen militärischen Aus- gaben verursacht wurden, und die durch Steuern ausgeglichen werden mußten; 4. mit der Beziehung zu den steuerpflichtigen Bürgern und Bewohnern der Provinzen; 5. mit dem politischen Verhalten zu dem noch stets von altem Glanz umstrahlten oligarchischen Bollwerk, dem Senat. Es ist auffällig, daß die Regierungsjahre der ersten Nachfolger der Dynastie der Severi nicht nur in der Antike, sondern auch in der Moderne ohne Berücksichtigung der unverkennbaren Tatsache beschrie- ben wurden, daß diese fünf Hauptprogrammpunkte nicht zu gleicher Zeit zu praktischen Maßnahmen ausgearbeitet werden konnten. Maximi- nus, „der Thraker", benötigte Zeit, und er konnte nicht wissen, daß ihm gerade eine längere Amtsperiode nicht beschieden war. Wie jeder, 1 Aurelius Victor, De Caesaribus 24. Brought to you by | St. Petersburg State University Authenticated | 134.99.128.41 Download Date | 12/5/13 3:27 PM

Romanitas - Christianitas (Untersuchungen zur Geschichte und Literatur der römischen Kaiserzeit. Johannes Straub zum 70. Geburtstag am 18. Oktober 1982 gewidmet) || Einige Bemerkungen

  • Upload
    gerhard

  • View
    212

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Einige Bemerkungen zur Regierung von Maximinus Thrax

von W I L L E M DEN B O E R , Leiden

Bereits im vierten nachchristlichen Jahrhundert wurde die Geschichte der römischen Kaiserzeit in Perioden eingeteilt; das Jahr 235 n. Chr. stellt darin eine scharfe Zäsur dar1. In Wirklichkeit gab es mehr Konti-nuität als Veränderung.

Es ist offenkundig, daß die schnelle Aufeinanderfolge der Usurpa-toren die gleichmäßige Entwicklung einer neuen Verwaltung verhinderte. Mit mindestens fünf Aufgaben mußte sich ein neuer Herrscher ausein-andersetzen: 1. mit der militärischen Lage an den Grenzen; 2. mit seiner Beziehung als Oberbefehlshaber zu seinen Truppen; 3. mit den finanziel-len Schwierigkeiten, die vor allem durch die hohen militärischen Aus-gaben verursacht wurden, und die durch Steuern ausgeglichen werden mußten; 4. mit der Beziehung zu den steuerpflichtigen Bürgern und Bewohnern der Provinzen; 5. mit dem politischen Verhalten zu dem noch stets von altem Glanz umstrahlten oligarchischen Bollwerk, dem Senat.

Es ist auffällig, daß die Regierungsjahre der ersten Nachfolger der Dynastie der Severi nicht nur in der Antike, sondern auch in der Moderne ohne Berücksichtigung der unverkennbaren Tatsache beschrie-ben wurden, daß diese fünf Hauptprogrammpunkte nicht zu gleicher Zeit zu praktischen Maßnahmen ausgearbeitet werden konnten. Maximi-nus, „der Thraker", benötigte Zeit, und er konnte nicht wissen, daß ihm gerade eine längere Amtsperiode nicht beschieden war. Wie jeder,

1 Aurelius Victor, De Caesaribus 24.

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 12/5/13 3:27 PM

350 Willem den Boer

der Regierungsverantwortlichkeit trägt, mußte er Prioritäten setzen. In Germanien forderte die Lage an den Grenzen seine ganze Aufmerk-samkeit. Deshalb war ihm auch die Beziehung zu seinen Truppen wich-tig. Die Ernennung seines Sohnes Maximus zum Caesar fast unmittelbar nach seiner Machtübernahme entsprach diesen Überlegungen. Eine Dynastie war ausgestorben, eine neue Dynastie mußte gegründet werden. Den Truppen war in erster Linie an einer Stabilität der Befehlshaber-schaft gelegen, die durch eine Herrscherdynastie gewährleistet schien. Die Anerkennung durch den Senat, die mühelos erfolgte, muß den Kaiser bewogen haben, seine Reise nach Rom aufzuschieben, obwohl diese Ehrenbezeugung für das alte Kollegium ohne Zweifel seine Position gestärkt hätte.

Man kann es ihm jedoch schwerlich anrechnen, daß er sich nach der Anerkennung seiner Herrschaft anderen, dringenderen Angelegenheiten zuwandte. Die Lage an den Grenzen Germaniens war beunruhigend genug. Der Loyalität seiner Soldaten war er sicher: ein siegreicher Feld-herr kann sich auf seine Truppen verlassen, die von den Erfolgen profi-tieren. Erst wenn der Sold ausbleibt, entstehen Schwierigkeiten. Aus-drücklich ist festzustellen, daß audi die Truppen aus dem Osten, die Alexander Severus gedient hatten, keinerlei Mißtrauen, geschweige denn mangelnde Disziplin oder Aufsässigkeit zeigten, solange sie bezahlt wurden. Erst als der Kaiser die Steuerschraube anzog, um die finanziel-len Forderungen zu erfüllen, widersetzten sich die Bürger und Bauern, die diese Lasten tragen mußten. Die Geldquellen strömten dadurch träger, die Truppen wurden unruhig. In dieser Reihenfolge spielten sich die für den Kaiser verhängnisvollen Ereignisse ab. Unruhe unter den Steuerzahlern, Geldmangel, Insubordination unter den Truppen. Aber dann sind wir bereits im Jahre 238. Diese Entwicklung war 235 noch nicht vorherzusehen, aber selbst wenn man sie hätte vorhersehen können, so wäre doch die Zeit, die dem Kaiser vergönnt war, zu kurz gewesen, um die Entspannung herbeizuführen, die zur Beruhigung der Soldaten und Steuerzahler nötig gewesen wäre. Die vornehmen Mitglieder des Senats schrieben die abgekühlte Beziehung zum Kaiser seiner Unfreund-lichkeit und Nachlässigkeit zu, und der Groll, der daraus entstand, er-klärt ihre Bereitschaft, Gegenkaiser anzuerkennen, die ihnen wohl nahe standen.

Die Berücksichtigung dieser Umstände, dieser notwendigen Entschei-dung für Prioritäten, eine Entscheidung, die fehlschlug, muß jeder

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 12/5/13 3:27 PM

Einige Bemerkungen zur Regierung von Maximinus Thrax 351

Erörterung von Maximinus' unglücklichen Regierungsjähren voraus-gehen. Namentlich Herodian und die vita der Maximini lassen dies außer acht, und sie sind deshalb als Quellen, vor allem in ihrer Beurtei-lung der kaiserlichen Maßnahmen, sehr unzuverlässig. Aus all dem ergibt sich, daß im Jahre 235 die Feldzüge im Westen und Nordwesten im Mittelpunkt standen. Erst danach kam die Beziehung zu den Legionen, was nicht verwundert, da sie sich loyal verhielten. Der Kaiser hätte Legionen, die aus dem Osten stammten, namentlich der Legio secunda Parthica, nicht völlig vertraut, wenn er sich nicht auf sie hätte verlassen können. In der Zivilverwaltung und der Steuerpolitik war 238 bereits viel geschehen, was 235 nicht vorherzusehen war. Man darf den Auf-stand von 238 nicht in das Jahr 235 zurückprojektieren. Der Kaiser be-gann als Anführer des g e s a m t e n Heeres, und die Bürger warteten ab.

Es ist nicht nötig, den Machtkampf von 238, der in Afrika ausbrach, hier zu rekapitulieren2. Wichtig jedoch erscheint mir, auf verallgemei-nernde Oberflächlichkeiten der Forschung hinzuweisen. Ich nenne nur einige. Man sollte dem Beinamen Thrax keinesfalls große Bedeutung beimessen; er ist in zeitgenössischen Quellen nirgends bezeugt3. Dieser Name schien zu suggerieren, daß der Kaiser von vermeintlich thrakischer Abstammung den östlichen Truppen feindlich gesinnt gewesen sei und ihnen Truppen aus dem Balkan vorgezogen hätte. Man bringt dies ge-wöhnlich mit den „Säuberungen" am Hof in Zusammenhang, von denen die recht orientalisch gefärbte nähere Umgebung des Alexander Severus betroffen gewesen sei. Auf diese Annahme komme ich im zweiten Teil meines Artikels zurück. Ebensowenig wie bei den Soldaten kann man bei den Oligarchien der Provinzregierungen, in den Städten und Provinz-verwaltungen von einer Feindschaft speziell zwischen dem Kaiser und dessen „thrakischen" Vertrauten einerseits und den „Orientalen" anderer-seits sprechen. Auch bei den Aufständen gegen die hohen Steuern han-delte es sich nicht um ein „orientalisches" Komplott. Man hat den Kaiser „einen entschiedenen Gegner der Orientalen und ihres Anhangs" ge-

2 S. F. KOLB, „Der Aufstand der Provinz Africa Consularis im Jahr 238 n. Chr.", Historia 26 (1977), 440—477, der auf vortreffliche Weise die wirtschaftlichen und sozialen Hintergründe behandelt. Für das Verhältnis zum Senat: K. DIETZ, Senatus contra principem. Untersuchungen zur senatorischen Opposition gegen Kaiser Maxi-minus Thrax, München 1980.

3 Der Name stammt aus der Epit. 25, 1.

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 12/5/13 3:27 PM

352 Willem den Boer

nannt4. Für diese Behauptung finden sich jedoch keinerlei Belege. In den drei Jahren seiner Regierungszeit gibt es, wenn überhaupt, nur sehr wenige spektakuläre personale Änderungen. Sogar auf höchster Ebene, bei der Ernennung der Statthalter im Osten, besteht kein Unterschied zur früheren Politik. Audi die Legionen orientalischer Herkunft werden, wie gesagt, ohne Bedenken eingesetzt, und dies gilt auch für die höheren militärisdien Ränge. SYME hat deshalb mit Recht die vorsichtig formu-lierte Schlußfolgerung gezogen: „On first impression the evidence fails to indicate startling promotions and the intrusion of military upstarts. Rather perhaps continuity of the administration, which need not sur-prise5."

Zu Ehren des Jubilars, der die Geschichtsquellen des dritten Jahr-hunderts so erfolgreich neu untersucht hat, will ich hier auf zwei For-schungsergebnisse näher eingehen, die einen Beweis für diese Kontinuität liefern, und die in d i e s e m Zusammenhang vielleicht zu wenig be-achtet worden sind.

I Ein Papyrusfragment im Besitz der Preußischen Staatsbibliothek

gibt uns das seltene Zeugnis einer persönlichen Mitteilung, einen Beweis für die Ruhe und Kontinuität am Beginn dieser drei Regierungsjahre®. Das Fragment ist leider nicht datiert. Der Text lautet wie folgt:

έπεί γν[ώ]στ[ης έγενόμην του] εύανγελ[ίο]υ περί τοΰ άνη-γορεϋσθαι Καίσαρα τον τοΰ θεοφιλεστάτου κυρίου ημών Αύτοκράτορος Καίσαρος Γαΐου Ιουλίου Ούήρου Μαξιμίνου Εύσεβοΰς Εύτυχοΰς Σεβ[αστο]ΰ παΐδα Γάϊον Ίούλιον Ούήρον Μάξιμον Σεβαστόν, χρή, τιμιώτατε, τάς θεάς κωμάζεσθαι. ΐν'

[ο]ΰν είδης και παρατύχης

4 J . VOGT, RAC II 1183. s R. SYME, Emperors and Biography, Oxford 1971, 163 ff. • Einem größeren Publikum bekannt geworden durch die Publikation von A. DEISS-

MANN, Licht vom Osten, Tübingen 1923, 313—4 = SB I 421. Bei DEISSMANN findet man die ältere Literatur; s. auch RE X 827 (E. HOHL).

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 12/5/13 3:27 PM

Einige Bemerkungen zur Regierung von Maximinus Thrax 353

Die Übersetzung von DEISSMANN:

Da zu meiner Kenntnis gebracht worden ist die Freudenbotschaft, daß zum Kaisar ausgerufen worden ist unseres gottgeliebtesten Herrn, des Selbstherrschers Kaisar Gaios Julios Veros Maximinos des Frommen Glückseligen Augustus, Sohn Gaios Iulios Veros Maximos Augustus, so ist es notwendig, Geehrtester, die Götinnenprozession abzuhalten. Damit Du nun orientiert bist und dabei sein kannst

Wie in den epigraphischen Texten heißt hier der Sohn Maximus und nicht Maximinus, wie in HA und Aurelius Victor 29,1.

Er wurde von seinem Vater zum Caesar ausgerufen, vermutlich zu Anfang seiner Regierung und sicher nicht, wie DEISSMANN annimmt, nach dem Tod seines Vaters7. Mit dem Namen des Kaisers ist kein Hin-weis verbunden, der auf seinen Tod deutet, wie dies in P. Giss. 3 für Trajan der Fall ist, πατρός θεοΰ. Eine solche Datierung würde zudem nicht mit den anderen Fakten übereinstimmen, die alle vom gleichzeiti-gen Tod des Vaters und des Sohnes sprechen. Der Papyrus ist meines Erachtens kurz nach der Machtübernahme im Jahre 235 geschrieben. Die Rangbezeichnung des Sohnes als zweiter Mann im Reich, Caesar Augu-stus, unterscheidet sidh von der des Kaisers selbst als Imperator Augustus8. Wenn die Benennung richtig ist, führt auch der zweite Mann des Reiches den Titel Augustus; allerdings n i c h t den Titel αυτοκράτωρ.

Die offizielle Ernennung von Maximus zum Caesar veranlaßt den Verfasser der Papyruszeilen, einen Freund oder Bekannten zu einem Volksfest einzuladen. Ob beide ein bestimmtes Amt bekleiden, ist nicht ersichtlich. Das Epitheton τιμιώτατος gibt keinen Aufschluß über Rang oder Würde®. Nur eine gewisse Höflichkeit drückt sich in diesem Wort

7 DEISSMANN, op. cit. 313: „Das nicht lange nadi dem Tode des Maximinus Thrax (238 n. Chr.) geschriebene Blatt."

8 Die Auswertung kleinasiatischer Münzen brachte bereits W. ENSSLIN ZU demselben Ergebnis in bezug auf die Erhebung von Maximus zum Caesar CAH XII (1939), 74. Der Papyrus wird auch von ENSSLIN nicht erwähnt.

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 12/5/13 3:27 PM

354 Willem den Boer

aus, mehr nicht, wie auch in dem Wort τιμιότης10. Der einzige soziale Hinweis darauf, warum der Brief geschrieben wurde, liegt in den Worten τάς ·θεάς κωμάζεσθαι (10—11). Diese Aufforderung könnte bedeuten, daß der Adressant der νεωκόρος eines Heiligtums ist und als solcher einen Aufzug organisieren kann, in dem „die Göttinnen" mitgeführt werden. Wer diese Göttinnen sind, geht aus dem Text nicht hervor.

Wohl kann man feststellen, daß diese Aufforderung als selbstver-ständlich betrachtet wird und nicht motiviert zu werden braucht. Die Feier des Bandes mit dem Kaiserhaus ist keine Pflicht, sondern eine Freude. 235 — in dieses Jahr muß meines Erachtens der Papyrus datiert werden — gibt es keinen Widerstand oder ein vorsichtiges Abwarten unter der ägyptischen Bevölkerung. Nachdem Anfang 235 (die Tatsachen weisen auf den Januar) die Machtübernahme stattgefunden hatte, folgte Ägypten dem neuen Herrscher ohne Zögern. Man wird selten einen Be-weis für die Ruhe unter der (niederen) Bevölkerung aus nicht offiziellen Stücken finden. Dieser Papyrus bildet eine solche seltene Ausnahme. Daß drei Jahre später der Aufstand gegen die hohe Steuerlast zwar audi in Afrika, aber weit ab von Ägypten ausbrach, sollte nicht dazu verleiten, die Aufrichtigkeit der Festfreude von 235 von vornherein in Frage zu stellen. Es waren übrigens nicht nur auf ein Fest erpichte kleine Leute, die sich ohne Mühe Maximinus treu zeigten. Audi militärische Kommandanten hielten ihm bis zum Schluß die Treue; unter ihnen befand sich der spätere Kaiser Decius, Legat von Tarraconis11. Man kann darüber streiten, ob Maximus den Namen Augustus führte, wie der Papyrus sagt12.

9 Mein Kollege P . J . SIJPESTEIJN teilte mir freundlicherweise mit, daß dieses Wort aus diesem Grund nicht von O. H O R N I C K E L , Ehren- und Rangprädikate in den Papyrus-urkunden, Diss. Gießen 1930, aufgenommen wurde; im Gegensatz zu θεοφιλέστα-τος, das in diesem Papyrus zuerst als ein kaiserliches Epitheton bezeugt ist (s. HOR-NICKEL, op. cit., 16—17).

1 0 P . J . SIJPESTEIJN wies mich (per litteras) auf H . ZILLIAKUS, „Untersuchungen zu den abstrakten Anredeformen und Höflichkeitstiteln im Griechischen", hin. Soc. Scient. Fennica. Comm. Hum. Lett. XV. 3. Helsingfors 1949. S. PREISIGKE-KIESSLING, Wör-terbuch III, Abschnitt 9 (p. 200), für τιμιώτατος, ein a l l g e m e i n e s und von jedem gebrauchtes Wort.

11 SYME, op. cit., 196, wo man die wichtigsten Literaturhinweise findet (Anm. 9); cf. auch op. cit., 192, aufgrund von AE 1951, 9.

12 Daß Maximus nicht A u g u s t u s war, begründet H O H L (RE X 869, Zeile 34) cf. ibid., Zeile 45 if. wie folgt: „Besonders lehrreich für diesen übertreibenden Sprach-gebrauch ist der schon erwähnte Papyrusfetzen: auch hier bekommt Maximus das Prädikat σεβαστός, obgleich er wohl doch eben erst zum Caesar proklamiert ist."

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 12/5/13 3:27 PM

Einige Bemerkungen zur Regierung von Maximinus Thrax 355

I I Eine andere Stelle, die erörtert zu werden verdient — auch wegen

der anhaltenden Unsicherheit der Interpretation in Einzelfragen — ist Eus. Η. Ε., VI 28. Eine der neuesten und wichtigsten Studien hierüber übersetzt sie wie folgt: „Nachdem der römische Kaiser Alexander Severus 13 Jahre die Herrschaft innegehabt hatte, folgte ihm Kaiser Maximinus. Dieser aber entfachte aus Groll gegen das Haus Alexanders, das in der Mehrzahl aus Gläubigen bestand, eine Verfolgung. Allein die „Archontes" der Kirche als Urheber der Lehre nach dem Evangelium befahl er hinzurichten. Damals verfaßte Origenes seine Schrift „Uber das Martyrium" und widmete sie Ambrosius und Protoktet, einem Presbyter der Gemeinde in Cäsarea. Denn für beide war die Lage während der Verfolgung nicht wenig gefahrvoll geworden. Doch zeich-neten sich, wie berichtet wird, beide Männer während derselben durch ihr Bekenntnis aus. Indes regierte Maximinus nicht länger als drei Jahre. Origenes gibt im 2. Buch seines Kommentares zum Johannesevangelium und in verschiedenen Briefen Aufzeichnungen über diese Zeit der Ver-folgung."

Eine aufschlußreiche Differenz in der Interpretation entzündet sich an den Worten: „das Haus Alexanders, das in der Mehrzahl aus Gläubi-gen bestand" (προς τον 'Αλεξάνδρου οίκον, έκ πλειόνων πιστών συνεστώτα). Daß das ,Haus' des Kaisers die ganze Hofhaltung (domus) umfaßt, bietet keine Veranlassung zu Meinungsverschiedenheit. Hingegen ist auch die folgende Übersetzung dieser Stelle möglich: „daß die Familie Alexanders mehrere Gläubige zählte". Der Autor, dem ich diese Uber-tragung entlehne, ist ein Vertreter der Auffassung, die mit HA v. Max. 8 f. (bes. 9, 7) und Herodian VII 1 übereinstimmt13, daß es ein Miß-trauen, das sich bis zu Haß und Wut steigerte, gegen den ,alten' Hof gegeben habe, gegen die ministri und amici des Alexander Severus, be-sonders gegen Personen aus der Senatoren-Schicht. — Mir erscheint der Versuch bedenklich, die drei genannten Quellen — Eusebius, die vita und Herodian — auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Eusebius spricht von Gläubigen und von Archonten der K i r c h e . Dies erwähnen

13 A. LIPPOLD, „Maximinus Thrax und die Christen", Historia 24, 1975, 479—492, bes. 481; ein früherer Beitrag „Der Kaiser Maximinus Thrax und der römische Senat", in Bonner H A Colloquium 1966/67, 1968, 79. Die beste Behandlung in großen Geschichtswerken des römischen Altertums ist die von W. ENSSLIN in C A H 12, 1939, 75 ff.

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 12/5/13 3:27 PM

356 Willem den Boer

die vita und Herodian in diesem Zusammenhang mit keinem Wort. Allerdings kann man annehmen, daß eine Tradition, der zufolge Alexander Severus den Christen nicht feindlich gesinnt war und Christen in seinem οίκος hatte, ein ungünstiges Bild von dessem Nachfolger ent-warf. Neben der gewiß viel größeren Gruppe heidnischer Opfer wird es sicher auch eine Anzahl Christen gegeben haben, als Maximinus den kaiserlichen οίκος von den loyalen Anhängern Alexanders säuberte. Es ist, wie gesagt, höchst wahrscheinlich, daß Christen unter ihnen waren, aber Eusebius legt, seiner Intention gemäß, den Akzent auf diese Gruppe.

Ich möchte bereits an dieser Stelle gegen eine Methode der Textbe-handlüng protestieren, die in der Quellenforschung, sobald es sich um Eusebius handelt, bewährte Geschütze in Stellung bringt, um sogar ein Fundament von Wahrheit niederzureißen. Wenn ein Usurpator — und das war Maximinus — seine Ziele zu erreichen sucht, u. a. indem er Würdenträger des Hofes durch andere ersetzt, dann ist der gesamte οίκος von dieser Maßnahme betroffen. Die Waffen, die einem Usurpator zu Verfügung stehen, sind beschränkt; eine der nächstliegenden ist die Säuberung des Hofes. Dies ist viele Male bezeugt, aber die Glaubwürdig-keit wurde in vielen Fällen bezweifelt, mit der Begründung, daß man es mit einer Dublette zu tun habe. So wäre der Bericht über die Verfolgung unter Maximinus Thrax unter dem Einfluß der Verfolgung unter Maximinus Daja entstanden14. Man sollte jedoch seine Aufmerksamkeit auf die Vorgeschichte richten, und nicht auf einen späteren Fall, der in eine frühere Zeit zurückprojektiert worden sein soll (Maximinus Daia — Maximinus Thrax). Zahlreiche Präzedenzfälle erklären die Geschichte des Maximinus Thrax, seinen anfänglichen Erfolg, auch seinen Unter-gang. Die Präzedenzen sind nicht unhistorisch. Die, Anzahl der Variablen bei einer Usurpation ist gering; sie illustrieren die spätere Entwicklung. So stößt man, was Maximinus betrifft, auf das Beispiel von u. a. Macri-nus. Dies wurde ein für alle mal deutlich formuliert von S Y M E : „To see Maximinus in the proper perspective, sundry developments of the previous generation need to be estimated"15. Es besteht im Augenblick, wenn ich mich nicht irre, eine communis opinio, der zufolge einzelne Christen der Säuberung des Hofes zum Opfer fielen, manchmal auch örtlichen Verfolgungen gegen Christen als solche, d. h. weil sie Christen

14 LIPPOLD, Historia 1975, 491, lehnt mit Redit diese moderne Ansicht ab. 1 5 R . SYME, op . cit., 190.

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 12/5/13 3:27 PM

Einige Bemerkungen zur Regierung von Maximinus Thrax 357

waren16. Dies letztere bedeutet jedoch nicht, daß es ein Edikt gab, auch nicht, daß eine allgemeinere Verfolgung stattfand. Gerade weil es sich nur um individuelle Fälle handelt, kann man die Maßnahmen nicht in eine späte Periode der dreijährigen Regierungszeit des Maximinus ver-legen. Gegen die Freunde von Alexander Severus wird man sehr wahr-scheinlich unmittelbar nach der Machtübernahme vorgegangen sein. Man sollte deshalb die Verfolgung zumindest der letztgenannten Gruppe in das Jahr 235 datieren. Andere sporadische Verfolgungen gingen nicht vom Kaiser, sondern von örtlichen Statthaltern aus17.

Von den beiden H E VI 28 genannten Opfern ist Ambrosius sehr wahrscheinlich mit dem Diakon Ambrosius identisch, dem Origenes seine Bücher gegen Celsus widmete (248); falls dies zutrifft, verfügen wir über keine weiteren Einzelheiten. Da beide nicht dem οΐκος des Kaisers angehörten, ist jede Datierung unsicher. Andererseits gibt es keinen Grund zur Annahme, wie man auch die Äußerung über Origenes bei Eusebius interpretiert, daß dieser „thrakische" Kaiser sich gegenüber den östlichen religiösen Bewegungen wenig tolerant gezeigt hätte und daß „mit der Erhebung des Maximinus Thrax das orientalische Element, das die tolerante Haltung der Staatsgewalt begünstigt habe, zurückge-drängt worden sei"18. Unser Papyrus hat uns einen anderen Blick auf diesen Sachverhalt ermöglicht.

Eine weitere Bemerkung betrifft den Ausdruck: κατέχει λόγος, „wie berichtet wird". Es ist meines Erachtens nicht möglich, diese Worte als ein Gerücht auszulegen. Der Text spricht von dem Mut zweier Christen in einer augenscheinlichen Lebensgefahr. Von Reserviertheit kann deshalb in der Sicht von Eusebius keine Rede sein19. Für ihn ist es kein Gerücht, sondern eine unumstößliche Tatsache. Man muß κατέχει λόγος mit dem Buch „Über das Martyrium" in Beziehung setzen, das Origenes Ambro-sius und Protoktet widmete. Dieser λόγος war in Origenes' Schrift zu

*· G. W. CLARKE, .Some victims of the Persecution of Maximinus Thrax', Historia 15, 1 9 6 6 , 4 4 5 — 4 5 3 ; R . SYME, o . e . , 1 9 2 A n m . 4 ; A . LIPPOLD, H i s t o r i a 1 9 7 5 , 4 9 1 f . ; Η. Α. POHLSANDER, .Philip the Arab and Christianity', Historia 28, 1980, 463—473, bes. 471: „Maximinus Thrax, who took measures against the Christians when he became emperor in March 235".

1 7 CLARKE, op . cit . , 4 5 0 . LIPPOLD ( 1 9 7 5 ) , 4 8 4 berücksichtigt nicht den Unterschied zwisdien den Christen am Hof und den Christen in der Provinz.

18 LIPPOLD (1975) 485 zitiert hier die Auffassung von J. MOLTHAGEN, Der römische Staat und die Christen, 1970, 73.

19 So LIPPOLD 1975, 483, Anm. 38: „Euseb teilt dies als Gerücht mit".

24 Romanitas — Christianitas Brought to you by | St. Petersburg State University

Authenticated | 134.99.128.41Download Date | 12/5/13 3:27 PM

358 Willem den Boer

finden. Und Eusebius betrachtete das, was Origenes sagte, auch in ande-rer Hinsicht, als höchste Weisheit und sicher nicht als eine bloße Ge-schichte. Ein moderner Bewunderer des Eusebius könnte das „wie be-richtet wird" vielleicht ähnlich interpretieren wie die Ausdrücke λόγω gegenüber εργω bei Herodot (Hdt. I V 8, 2), wo „die Wirklichkeit" in der Tat der „Erzählung" gegenübergestellt wird20. An keiner Stelle jedoch verwendet Eusebius dieses Stilmittel. Warum übersetzt man also diese Stelle so, daß der Eindruck entsteht, als äußere Eusebius sich hier kritisch. Dieser Gedanke ist widersinnig: Eusebius würde niemals seinen Lesern über die christlichen Opfer kaiserlicher Verfolgung mitgeteilt haben: τά δέ λόγοισι έπυνθανόμεθα (Hdt. I I 148, 5), selbst wenn man an-nimmt, er habe diese Worte gekannt.

Zum Schluß eine kurze Bemerkung zu Origenes' Schrift. Er hat sie ohne Zweifel in einer Periode der Verfolgung verfaßt. Wie gesagt han-delte es sich nicht um eine allgemeine Verfolgung, sondern um indivi-duelle Fälle, wie unter dem Statthalter Licinianus in Kappadozien2 1 . Ambrosius, vermutlich sein Mitbürger aus Alexandria, geriet in Ge-fangenschaft. Und „Uber das Martyrium", im alten protreptischen Stil geschrieben, ist eine Schrift der Ermutigung und der Glaubenszuversicht. Mir scheint es vollkommen unbegründet, beim Lesen dieser Schrift daran zu zweifeln, daß Ambrosius zeitweilig von der Verfolgung betroffen war. Aber mit absoluter Sicherheit läßt sich dies nicht sagen. Einem Ambrosius hat Eusebius noch andere Schriften gewidmet: „Gegen Celsus", den Kommentar zum Johannesevangelium und „Uber das Ge-bet" . Die Möglichkeit bleibt bestehen, daß Ambrosius sein Beschützer war und ihm die Gelegenheit bot, diese Werke zu schreiben, aber auch dann braucht diese Beziehung, die eine Widmung veranlaßt haben könnte, eine zeitweilige Gefahr für Ambrosius als Christen nicht auszu-schließen22. Es wäre ein Zeichen von Zweifelsucht, beim Lesen von Ambrosius' Namen in den Schriften von Origenes, nicht in allen Fällen an denselben ägyptischen Beschützer zu denken.

2 0 Vgl. K . LATTE, Die Anfänge der griechischen Geschichtsschreibung, Entretiens H a r d t I V ( 1 9 5 8 ) 1 0 0 — 1 1 2 für andere Beispiele.

2 1 S. CLARKE, o p . c i t . , 4 5 0 . 2 2 Ü b e r Origenes und das M ä r t y r e r t u m im allgemeinen, siehe J . DANIFELOU, Origene

(Paris 1 9 4 8 ) , 23 und passim. Ferner J . J . O'MEARA, O r i g e n : P r a y e r and Exhor ta t ion t o M a r t y r d o m , in der Reihe: ,Ancient Christian Writers , the Works of the Fathers in translation*. Westminster (Maryland) and L o n d o n 1954 .

Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 12/5/13 3:27 PM

Einige Bemerkungen zur Regierung von Maximinus Thrax 359

Diese beiden Quellen wurden in der modernen Zeit auf verschiedene Weise interpretiert. Man tut gut daran, immer wieder auf die Unsicher-heit hinzuweisen, die aus der spärlichen Anzahl der Fakten entsteht. Andererseits trifft eine Hyperkritik überall auf Widerstand. Die tref-fendsten Beispiele in bezug auf Maximinus Thrax findet man in den Veröffentlichungen von G. M. BERSANETTI und A. BELLEZZA 2 3 . Die Untersuchung des letzteren stellt eine Rückkehr zu einem weitgehenden Akzeptieren der Uberlieferung dar. Aus dem Buch von B E R S A N E T T I

werden die Gefahren einer Hyperkritik deutlich ersichtlich: der Verfas-ser verwirft den Bericht über das loyale Verhalten von Decius gegenüber Maximinus. Er tat dies bereits 1940, er übernimmt es unverändert in seine Ausgabe von 1965, obwohl der Kronzeuge, AE 1951, 9, bereits vor langer Zeit entdeckt und veröffentlicht worden war. Nachlässig ist auch in hohem Maße, daß der Papyrus über die kultische Feier anläßlich der Erhebung von Maximus zum Caesar keine Beachtung findet. Der Hin-weis auf diesen Text stand in dem Artikel von E. H O H L in R E X 827 ff. bereits seit langem zur Verfügung.

Unsere Ubersicht über die moderne Literatur zeigt eine deutliche Rückkehr zu älteren Standpunkten. Daß Maximinus, sobald er an die Macht kam, gegen Christen vorging, ist eine unnuancierte Schlußfolge-rung24, die diesem Kaiser nicht gerecht wird, dessen Politik zwar schei-terte, aber dessen Ansichten in modernen Abwägungen seiner Regierung mit Recht mehr Verständnis gefunden haben25.

2 3 G. M. BERSANETTI, Studi sull' Imperatore Massimino il Trace. Roma 1940, 19652 . A. BELLEZZA, Massimino il Trace, Genova 1964. Das erste ist eine rigorose Quellen-behandlung zu einigen Aspekten von Maximinus' Regierung. Der erwähnte Papyrus wird nicht einbezogen.

2 4 S. Historia 1980, 471 ; vgl. oben Anm. 16. 2 5 Nach dem Abschluß dieses Beitrages erhielt ich L. DE BLOIS' Antrittsrede in Nij-

megen, mit dem Titel ,De crisis van de derde eeuw n. Chr. en de Griekse elite', Nijmegeri 1981. Diese schließt sidi (p. 10) zu Redit SYME an (op. cit., 191).

24* Brought to you by | St. Petersburg State University

Authenticated | 134.99.128.41Download Date | 12/5/13 3:27 PM