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RUDOLF STEINER GESAMTAUSGABE VORTRÄGE VORTRÄGE ÜBER NATURWISSENSCHAFT Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaitung Buch:321 Seite: 1

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RUDOLF STEINER GESAMTAUSGABE

VORTRÄGE

VORTRÄGE ÜBER NATURWISSENSCHAFT

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RUDOLF STEINER

Geisteswissenschaftliche Impulse

zur Entwickelung der Physik

Zweiter naturwissenschaftlicher Kurs

Die Wärme auf der Grenze positiver

und negativer Materialität

Vierzehn Vorträge, gehalten

in Stuttgart vom 1. bis 14. März 1920

2000

RUDOLF STEINER VERLAGDORNACH / SCHWEIZ

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 3 21 Seite: 3

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Nach vom Vortragenden nicht durchgesehenen Nachschriftenherausgegeben von der Rudolf Steiner-Nachlaßverwaltung

Die Herausgabe besorgten G. A. Baiaster und A. Dollfus

1. Auflage, Dornach 1925

2., neu durchgesehene AuflageGesamtausgabe Dornach 1972

3. Auflage, Gesamtausgabe Dornach 1982

4. Auflage, Gesamtausgabe Dornach 2000

Bibliographie-Nr. 321

Zeichnungen im Text nach den Wiedergaben derTafelzeichnungen Rudolf Steiners in den Vortragsnachschriften

ausgeführt von Hedwig Frey

Alle Rechte bei der Rudolf Steiner-Nachlaßverwaltung, Dornach/Schweiz© 1972 by Rudolf Steiner-Nachlaßverwaltung, Dornach/Schweiz

Printed in Germany by Greiserdruck, Rastatt

ISBN 3-7274-3210-1

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Vetwaltung Buch:321 Seite:4

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Tu den Veröffentlichungenaus dem Vortragswerk von Rudolf Steiner

Die Gesamtausgabe der Werke Rudolf Steiners (1861-1925) gliedertsich in die drei großen Abteilungen: Schriften - Vorträge - Künst-lerisches Werk (siehe die Übersicht am Schluß des Bandes).

Ursprünglich wollte Rudolf Steiner nicht, daß seine frei gehal-tenen Vorträge - sowohl die öffentlichen als auch die für die Mit-glieder der Theosophischen, später Anthroposophischen Gesell-schaft - schriftlich festgehalten würden, da sie von ihm als «münd-liche, nicht zum Druck bestimmte Mitteilungen» gedacht waren.Nachdem aber zunehmend unvollständige und fehlerhafte Hörer-nachschriften angefertigt und verbreitet wurden, sah er sich veran-laßt, das Nachschreiben zu regeln. Mit dieser Aufgabe betraute erMarie Steiner-von Sivers. Ihr oblag die Bestimmung der Stenogra-fierenden, die Verwaltung der Nachschriften und die für die Her-ausgabe notwendige Durchsicht der Texte. Da Rudolf Steiner nurin ganz wenigen Fällen die Nachschriften selbst korrigiert hat,muß gegenüber allen Vortragsveröffentlichungen sein Vorbehaltberücksichtigt werden: «Es wird eben nur hingenommen werdenmüssen, daß in den von mir nicht nachgesehenen Vorlagen sichFehlerhaftes findet.»

Über das Verhältnis der Mitgliedervorträge, welche zunächstnur als interne Manuskriptdrucke zugänglich waren, zu seinenöffentlichen Schriften äußert sich Rudolf Steiner in seiner Selbst-biographie «Mein Lebensgang» (35. Kapitel). Der entsprechendeWortlaut ist am Schluß dieses Bandes wiedergegeben. Das dortGesagte gilt gleichermaßen auch für die Kurse zu einzelnen Fach-gebieten, welche sich an einen begrenzten, mit den Grundlagender Geisteswissenschaft vertrauten Teilnehmerkreis richteten.

Nach dem Tode von Marie Steiner (1867-1948) wurde gemäßihren Richtlinien mit der Herausgabe einer Rudolf Steiner Ge-samtausgabe begonnen. Der vorliegende Band bildet einen Be-standteil dieser Gesamtausgabe. Soweit erforderlich, finden sichnähere Angaben zu den Textunterlagen am Beginn der Hinweise.

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INHALT

ERSTER VORTRAG, Stuttgart, 1. März 1920 11Wärmeempfindung und Thermometer. Der Achilles-mit-der-Schild-krote-Schluß. Tragik des von der Anschauung verlassenen Denkens.Atomismus. Kosmische Theorien. Konstitution der Sonne: Materiemit negativem Index. Gegensatz vom Sehen der Farben und derWärmeempfindung. Mechanische Wärmetheorie. Nichtumkehrbar-keit organischer und großer anorganischer Prozesse; von Differen-zieren und Integrieren gegenüber der Wirklichkeit.

ZWEITER VORTRAG, 2. März 1920 30Wärmeausdehnung in ein, zwei und drei Dimensionen. Die Vernach-lässigung der höheren Potenzen kaschiert Wesentliches. IndividuelleAusdehnung bei festen und einheitliche bei gasförmigen Körpern alsSymptom. Accademia del Cimento am Übergang zur neueren Physik.Reiche Einzelbeobachtungen neben verarmten Vorstellungen. Dasunregelmäßige Verhalten des Wassers. Kosmische Kräfte in der Phy-sik der Griechen. Ihre spätere Verlegung in die Atome.

DRITTER VORTRAG, 3. März 1920 46Stillstand der Temperaturzunahme beim Schmelzen und Sieden. Ver-schwinden von Punkten in eine höhere Dimension. Die GoetheschePhysik. Die Temperatur als vierte Dimension bei Crookes. Indivi-duelle Gestalt beim festen Körper, Druck beim Gas.

VIERTER VORTRAG, 4. März 1920 - . . 60Zusammenhang von Druck und Volumen bei Gasen. Das Wärme-wesen im Zusammenhang mit mechanischen Tatsachen. Verlassen desdreidimensionalen Raumes. Das Urteil: Wärme verwandelt sich inArbeit. Isolierte Sinnesorgane für Licht und Ton, der ganze Menschals Organ für Wärme und Druck. Bewußte passive Vorstellungenfiltriert aus Wahrnehmungen der höheren Sinne. Unwahrnehmbar-keit des Willens nach innen und der Elektrizität nach außen.

FÜNFTER VORTRAG, 5. März 1920 75Höhere Vorstellungen und Sinneswahrnehmung, mathematische Vor-stellungen und Wille. Uberbrückung des Dualismus. Das Memoriereneines Gedichtes. Abstraktes Denken und imaginatives Denken. Er-kenntnis von Raum und Zeit einerseits, von Masse andererseits.Kant. Eigene Gestalt bei festen Körpern und die Niveaufläche beiFlüssigkeiten. Gas und Kosmos. Kardinalausnahme des Wassers.

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SECHSTER VORTRAG, 6. März 1920 92

Dampfdruck. Schmelzen des Eises unter Druck. Erniedrigung desSchmelzpunktes beim Legieren. Fallinien fester Körper und ihreNiveauflächen. Bei Flüssigkeiten sind diese materiell. Feste Körper:Bild der Flüssigkeit; Flüssigkeit: Bild des Gases; Gas als Bild derWarme.

SIEBENTER VORTRAG, 7. März 1920 102

Schmelzen des Eises unter Druck als Bild der Luft. Herauswerfen derEssentialität aus den Begriffen in der modernen Naturwissenschaft.Ed. v. Hartmann. Bedeutung neuer Forschungsinstitute. Erwärmungvon Wasser durch Arbeit. Fester Planet: Schwerkraft; gasförmigerPlanet: negative Schwere; flüssiger Planet: Nullsphäre. PolyedrischeGestalt, Negativgestalt, Kugel oder Nullsphäre. Beziehung zu fest,gasig, flüssig. Wärmenacht und Wärmetag.

ACHTER VORTRAG, 8. März 1920 117

Dampfmaschine. Umwandlung von Wärme in Arbeit und umgekehrt.Die beiden Hauptsätze der Wärmetheorie bei Ed. v. Hartmann.J. R. Mayer. Kampf um ein «abgeschlossenes System» beim festenKörper. Schema der Körperzustände: Gestalt im Festen und Ver-dichten-Verdünnen im Gas, Flüssigkeit dazwischen; die Wärmezwischen Verdichten-Verdünnen und Materiell werden—Geistig-werden. Das gewöhnliche Spektrum und der geschlossene Farben-kreis Goethes. Vergleich mit dem Schema der Körperzustände.

NEUNTER VORTRAG, 9. März 1920 132

Wasserrad und Dampfmaschine. Leistung beruht auf Niveaudiffe-renz. Heranbringen der physikalischen Erscheinungen an den Men-schen. Der Weg J. R. Mayers. Die Gebiete der Körperlichkeit:eines hat im andern sein Bild. Polarisationsfiguren. Verdichten -Verdünnen und Ton. Regenbogen und Nebenregenbogen. Beim ge-wöhnlichen Spektrum bleibt etwas im Unbekannten. Weltenkreisungim Zusammenhang der physikalischen Gebiete.

ZEHNTER VORTRAG, 10. März 1920 148

Absonderung der Wärmewirkung aus einem Lichtzylinder durchAlaun. Wärmedurchgang durch eine Eislinse. Über Wärmeleitung.Die Zustandsgebiete der Körperlichkeit und der Mensch. Gestal-tungskraft — Vorstellung; Wärme — Wille. Negative Materie im Men-schen. Saugwirkung statt Druckwirkung.

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ELFTER VORTRAG, 11. März 1920 162

Der rote, blaue und grüne Teil des Spektrums. Absonderung derWärmewirkung durch Alaun, der chemischen Wirkung durch Äsku-lin, der Lichtwirkung durch Jod. Das gewöhnliche Spektrum ist Er-gebnis irdischer Kräfte. Vergleich mit der Einwirkung des Magneten.Verdunkelung - Erhellung. Materialisierung - Entmaterialisierung.Wärme als intensive Bewegung statt extensiver Bewegung der Atome.Wille und Vorstellung. Wärme an der Grenze der Druck- und Saug-wirkungen. E. Mach über die Grenze des Energiesatzes. Wärme alsphysisch-geistiger Wirbel.

ZWÖLFTER VORTRAG, 12. März 1920 176Durchsichtigkeit. Wärmeleitungsgleichung. Erweiterung auf die denverschiedenen Teilen des Spektrums entsprechenden Effekte. Positiv,negativ, imaginär. Uberimaginare Zahlen und die Zusammenbiegungdes Spektrums. Stellung des Lebens zur anorganischen Natur.

DREIZEHNTER VORTRAG, 13. März 1920 189

Versuch mit Alaun, Jodtinktur, Äskulin. Wärme wirkt im Gas —Licht geht unbeteiligt durch: Bild von Bild. Chemische Effekte imFlüssigen. Lebenseffekte im Festen fehlen. Wärme als Gleichgewichts-zustand zwischen Ätherischem und Ponderabel-Materiellem. Hin-weis auf die Physik der Vergangenheit und der Zukunft. Nullsphäreals räumliche Grenze der gegenwärtigen Physik. Zur Entropie.

VIERZEHNTER VORTRAG, 14. März 1920 201

Im Spektrum zeigen sich die Effekte rein. Chemischer Effekt — che-mische Vorgänge; Chemischer Effekt - Tonwirkungen. Das Ergreifendes Effektes durch die Erde in dem einen, das peripherische Wirkenin dem andern Fall. Ponderable und imponderable Wirkungen.Niveaudifferenzen innerhalb eines Wirklichkeitsgebietes und vonGebiet zu Gebiet. Tonwahrnehmung. Raumerfüllung - Raument-leerung. Erde und Planeten. Kosmische Wirkungen werden in dieAtome verlegt. Zerreißen des Raumes, Blitz. Abstrakte Vorstel-lungen - wirklichkeitsgemäßes Denken. Volkshochschulen, Aka-demiewesen, Technik. Die Keimung in mikroskopischer Beobach-tung und ihre kosmischen Ausgangspunkte.

Hinweise 219

Rudolf Steiner über die Vortragsnachschriften 237

Übersicht über die Rudolf Steiner Gesamtausgabe 239

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ERSTER VORTRAG

Stuttgart, 1. März 1920

Die naturwissenschaftlichen Betrachtungen, die bei meinem letztenAufenthalt hier gepflogen worden sind, sollen jetzt eine Art von Fort-setzung erfahren. Ich werde ausgehen diesmal von demjenigen Kapitelphysikalischer Betrachtungen, das insbesondere wichtig sein kann fürdie Grundlegung einer naturwissenschaftlichen Weltanschauung über-haupt, nämlich von der Betrachtung der Wärmeverhältnisse der Welt.Ich werde heute in einer Einleitung versuchen, Ihnen gerade darzu-legen, inwiefern durch eine solche Betrachtung, wie wir sie jetzt pfle-gen wollen, eine Anschauung geschaffen werden kann für die Bedeu-tung der physikalischen Erkenntnisse innerhalb einer allgemein mensch-lichen Weltanschauung und wie dadurch der Grund gelegt werdenkann zu einer Art pädagogischer Impulse für den naturwissenschaft-lichen Unterricht. Wie gesagt, heute wollen wir von einer Art prinzi-pieller Einleitung ausgehen und sehen, wie weit wir damit kommen.

Die sogenannte Wärmelehre hat ja im 19. Jahrhundert eine Gestaltangenommen, durch die einer materialistischen Betrachtung der Weltaußerordentlich viel Vorschub geleistet worden ist. Aus dem GrundeVorschub geleistet worden ist, weil die Wärmeverhältnisse in der Weltvor allen Dingen Veranlassung dazu geben, den Blick abzuwenden vonder eigentlichen Natur der Wärme, von der Wärme Wesenheit, und ihnhinzulenken auf die mechanischen Erscheinungen, die aus den Wärme-verhältnissen sich ergeben.

Wärme, sie kennt der Mensch zunächst dadurch, daß er die Empfin-dungen hat, die er mit kalt, warm, lau und so weiter bezeichnet. Allein,die Menschen werden sehr bald darauf aufmerksam, daß mit dieserEmpfindung etwas zunächst Vages gegeben zu sein scheint, etwas je-denfalls Subjektives. Wer das einfache Experiment macht - wir brau-chen es hier nicht zu machen, es würde uns nur aufhalten, aber es kannes jeder für sich selber immer machen -, kann sich von folgendem über-zeugen:

Denken Sie sich, Sie haben hier ein Gefäß, mit Wasser gefüllt, von

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irgendeiner ganz bestimmten Temperatur t, rechts davon haben Sieein Gefäß, ebenfalls mit Wasser gefüllt, mit einer bestimmten Tempe-ratur t - f das heißt, mit einer Temperatur, die wesentlich niedriger

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T-lf'-"-'•••-->r r••ivj-:^'.

ist als jene in dem ersten Gefäß. Dann haben Sie weiter ein Gefäß mitWasser der Temperatur t + t'. Wenn Sie nun Ihre beiden Arme nehmenund die Finger eintauchen in die zwei äußeren Gefäße zunächst, so neh-men Sie empfindungsgemäß den Wärmezustand der zwei Gefäße wahr.Sie können dann die eben eingetauchten Finger in das mittlere Gefäßeintauchen, und Sie werden sehen, daß dem Finger, der in die Flüssig-keit niedriger Temperatur eingetaucht war, die Temperatur im mittle-ren Gefäß verhältnismäßig warm erscheint, während dem Finger, der indie wärmere Flüssigkeit eingetaucht war, die Temperatur kalt erscheint.So daß also dieselbe Temperatur verschieden erscheint für die subjek-tive Empfindung, je nachdem man vorher der einen oder anderenTemperatur subjektiv ausgesetzt war. Jeder Mensch weiß ja auch,daß, wenn er in einen Keller geht, das verschieden sein kann, je nach-dem ob er im Sommer oder im Winter in den Keller geht. Geht er imWinter hinein, so kann ihm unter Umständen, selbst wenn das Thermo-meter dieselbe Temperatur zeigt, der Keller warm erscheinen, wäh-rend, wenn er im Sommer hineingeht, ihm der Keller kühl erscheint.Und daraus schließt man zunächst nur: Ja, die subjektive Empfindungvon Wärme ist nicht maßgebend; es handelt sich darum, irgendwieobjektiv feststellen zu können, wie der Wärmezustand irgendeinesKörpers oder irgendwo ist. Nun, ich brauche ja hier nicht auf dieelementaren Erscheinungen einzugehen, und auch nicht auf die ele-mentaren Werkzeuge des Wärmemessens. Die müssen als bekannt vor-ausgesetzt werden. Daher kann ich einfach sagen: Wenn man nun

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objektiv mit dem Thermometer den Stand der Temperatur eines Kör-pers oder eines Raumes mißt, so hat man das Gefühl: Ja, da mißt maneben die Grade vom Nullpunkt nach aufwärts oder abwärts, und manbekommt ein objektives Maß für den Wärmezustand. Man macht dannin seinen Gedanken einen wesentlichen Unterschied zwischen dieserobjektiven Feststellung, an der gewissermaßen der Mensch nicht be-teiligt ist, und der subjektiven Feststellung durch die Empfindung, ander der Mensch beteiligt ist.

Nun, für alles das, was man während des 19. Jahrhunderts ange-strebt hat, kann man sagen, ist diese Auseinanderhaltung etwas ge-wesen, was in einer gewissen Beziehung fruchtbar war, was seine Er-folge gezeitigt hat. Aber wir sind jetzt in einer Zeit, wo man auf ge-wisse Dinge durchaus aufmerksam werden muß, wenn man in frucht-barer Weise auf diesem oder jenem Gebiet des Wissens oder der Lebens-praxis vorwärtskommen will. Und daher müssen heute aus der Wis-senschaft selbst heraus gewisse Fragen gestellt werden, die man einfachunter dem Einfluß solcher Konklusionen, wie ich sie dargelegt habe,übersehen hat. Eine Frage ist die: Ist ein Unterschied, ein wirklich ob-jektiver Unterschied zwischen dem Konstatieren durch meinen Orga-nismus gegenüber der Temperatur eines Raumes oder Körpers und demKonstatieren dieser Temperatur durch das Thermometer, oder täuscheich mich - es kann mir nützlich sein für das Leben, diesen Unterschiedzu machen —, wenn ich diesen Unterschied in meine Ideen und Begriffe,die dann die Wissenschaft ausbauen soll, hineintrage? - Es wird derganze Kursus dazu dienen müssen, zu zeigen, wie heute solche Fragenaufgestellt werden müssen. Denn ich werde, ausgehend von den prin-zipiellen Fragen, aufzusteigen haben zu denjenigen Fragen, die heute,weil man solche Dinge nicht berücksichtigt hat, einfach dem prakti-schen Leben in wichtigen Gebieten entgehen. Wie sie auf dem Gebieteder Technik dem Leben entgehen, werden Sie noch sehen. Jetzt willich nur prinzipiell auf folgendes aufmerksam machen: Unter den Be-trachtungen, die ich gleich nachher charakterisieren will, ist eigentlichganz verlorengegangen die Aufmerksamkeit auf das Wärmewesenselbst. Und dadurch ist verlorengegangen die Möglichkeit, dieses Wär-mewesen in ein Verhältnis zu bringen zu derjenigen Organisation, mit

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der wir es in bestimmten Gebieten der Lebenspraxis vor allen Dingenin ein Verhältnis bringen müssen: zum menschlichen Organismusselbst. Wenn wir heute bloß roh - es soll ja nur einleitungsweise sein -charakterisieren, auf was es ankommt, so müssen wir aufmerksam ma-chen darauf, daß wir ja in ganz bestimmten Fällen verpflichtet sindheute, die Temperatur des eigenen menschlichen Organismus zu mes-sen, zum Beispiel wenn er in Fieberzuständen ist. Daraus können Sieersehen, daß das Verhältnis des unbekannten, zunächst unbekanntenWärmewesens zum menschlichen Organismus eine gewisse Wichtigkeithat. Das Radikalste, wie es sich bei chemischen und technischen Pro-zessen verhält, will ich später betrachten. Aber man wird niemals seineAufmerksamkeit in der richtigen Weise auf diese Beziehung des Wär-mewesens zum menschlichen Organismus richten können, wenn manvon einer mechanischen Auffassung des Wärmewesens ausgeht, weilsich einem dann die Tatsache entzieht, daß im menschlichen Organis-mus, je nach den Organen, eine ganz verschiedene Wärmeempfänglich-keit besteht für das Wärmewesen selbst, daß das Herz, die Leber, dieLunge ganz verschiedene Kapazitäten haben, sich zum Wärmewesenzu verhalten. Daß man daher ein wirkliches Studium gewisser Krank-heitssymptome ohne diese verschiedenen Wärmekapazitäten der ein-zelnen Organe nicht pflegen kann, das entzieht sich der Betrachtungeinfach dadurch, daß durch die physikalische Anschauung von derWärme keine Grundlage dazu geschaffen ist. Wir sind heute nicht inder Lage, die physikalische Anschauung, die wir im Laufe des 19. Jahr-hunderts von der Wärme ausgebildet haben, hineinzutragen in das Ge-biet des Organischen. Das ist heute demjenigen bemerklich, der einAuge hat für die Schäden gegenwärtiger physikalischer sogenannterForschungen für die höheren Zweige, sagen wir der Erkenntnis desorganischen Wesens selber. Deshalb müssen gewisse Fragen aufgewor-fen werden, Fragen, die vor allen Dingen bezwecken klare, durch-schaubare Begriffe. An nichts leiden wir heute mehr, gerade in densogenannten exaktesten Wissenschaften, als an unklaren, undurch-schaubaren Begriffen.

Was heißt es denn eigentlich, wenn ich sage: Wenn ich den Fingerhier eingetaucht habe rechts und links (siehe Zeichnung Seite 12), so

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habe ich, wenn ich die beiden Finger dann in ein Gefäß mit einer Flüs-sigkeit von bestimmter Temperatur eintauche, verschiedene Empfin-dungen; was heißt es denn? Ist wirklich objektiv in der Begriffsfest-stellung ein Unterschied gegenüber der sogenannten objektiven Fest-stellung durch das Thermometer? Denken Sie sich doch einmal: Sietauchen statt des Fingers hier (siehe Zeichnung, rechts) das Thermo-meter ein und Sie tauchen es da (Mitte) ein, so werden Sie verschiedeneThermometerstände bekommen, je nachdem Sie hier oder da eintau-chen. "Wenn Sie die beiden Thermometer nehmen statt der beiden Fin-ger, so wird auch die Quecksilbersäule andere Tatsachen vollziehen indem einen und in dem anderen Thermometer. Sie werden hier (rechts)einen tieferen und hier (links) einen höheren Thermometerstand ha-ben, der eine wird dann heraufgehen, der andere wird hinuntergehen.Sie sehen, die Thermometer machen nichts anderes, als was Ihre eigenenEmpfindungen machen. Für die Feststellung eines Anschauungsbegrif-fes besteht kein Unterschied zwischen den beiden Thermometern undden Empfindungen Ihrer Finger. Da und dort wird genau dasselbe fest-gestellt, nämlich: Der Unterschied gegenüber dem früheren Stand. Unddas, worauf es ankommt bei unserer Empfindung, das ist, daß wir nurin uns keinen Nullpunkt tragen. Würden wir einen Nullpunkt in unstragen, würden wir also nicht bloß das, was unmittelbare Anschauungist, konstatieren, sondern eine Vorrichtung in uns haben, die Tempe-ratur, die wir subjektiv empfinden, auf einen Nullpunkt in unsselbst zu beziehen, dann würden wir durch das, was eigentlich nichtdazu gehört, was mit den Vorgängen nichts zu tun hat, dasselbe kon-statieren können, was wir durch die Thermometer konstatieren kön-nen. Sie sehen also, für die Feststellung des Begriffs liegt ein Unter-schied nicht vor.

Das ist dasjenige, was als Frage heute gestellt werden muß, wennman überhaupt in der Wärmelehre auf klare Begriffe kommen will.Denn all diese Begriffe, die da existieren, sind im wesentlichen unklar.Aber glauben Sie nicht, daß das keine Folgen hat. Daß wir keinenNullpunkt in uns feststellen können, hängt zusammen mit unseremganzen Leben. Könnten wir einen Nullpunkt in uns feststellen, so wür-den wir einen ganz anderen Bewußtseinszustand, ein ganz anderes See-

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lenleben haben müssen. Gerade dadurch, daß sich dieser Nullpunkt beiuns verbirgt, gerade dadurch leben wir in unserem Leben.

Denn sehen Sie, vieles im Leben beruht ja darauf beim mensch-lichen Organismus - und beim tierischen Organismus schließlich auch -,daß wir gewisse Prozesse in uns nicht wahrnehmen. Wenn Sie allesdasjenige in subjektiven Empfindungen erleben müßten, was in IhremOrganismus vorgeht, denken Sie, was Sie da alles zu tun hätten. Den-ken Sie an den ganzen Verdauungsprozeß, wenn Sie den in allen Ein-zelheiten mitmachen müßten. Vieles von dem, was zu unseren Lebens-bedingungen gehört, beruht gerade darauf, daß wir gewisse Dingenicht in unserem Bewußtsein mitmachen, die sich in dem Organis-mus vollziehen. Dazu gehört einfach, daß wir keinen Nullpunkt be-wußt in uns tragen, daß wir kein Thermometer sind. So daß eine solcheUnterscheidung des Objektiven und Subjektiven, wie sie gemachtwird, einfach für die weitergehenden Betrachtungen des Physikalischennicht mehr ausreicht.

Das ist dasjenige, was eigentlich im Grunde genommen eine Frageist, die locker ist in der menschlichen Betrachtungsweise seit dem altenGriechentum, die aber locker gelassen werden konnte. Nicht mehrlocker bleiben kann sie für die Zukunft. Denn schon die alten Griechen-philosophen, Zeno vor allen Dingen - ich muß heute darauf aufmerk-sam machen, trotzdem es Ihnen pedantisch erscheinen wird —, sie ha-ben auf gewisse Vorgänge im menschlichen Denken hingewiesen, diein einer eklatanten Weise in Widerspruch stehen mit dem, was äußereWirklichkeit ist. Ich brauche nur an den Achillesschluß zu erinnern, auf

Aden ich oftmals aufmerksam gemacht habe. Nehmen wir an, wir ha-

ben hier den Weg 5, den der Achilles (̂ 4) durchmacht, sagen wir in einer

bestimmten Zeit. So schnell kann er laufen. Und hier haben wir die

Schildkröte (S). Die hat den Vorsprung (AS). Achilles lauft der Schild-

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kröte nach. Nehmen wir den Moment, da Achilles hier in S ankommt.Die Schildkröte lauft weiter. Der Achilles muß ihr nachlaufen. In derZeit, in der er diese Strecke (A S) durchläuft, ist die Schildkröte hierangekommen (in 1), und in der Zeit, in der er diesen nächsten Raum(S 1) durchläuft, ist sie hier angekommen (in 2). Und so läuft immerdie Schildkröte ein kleines Stückchen vorwärts. Der Achilles muß ersthinter ihr her laufen, was sie schon durchlaufen hat. Und Achilles kannder Schildkröte nie nachkommen.

Dieses wird gewöhnlich nun von den Menschen so behandelt, wieganz gewiß manche Gemüter auch derer, die jetzt hier sitzen, die Sachebehandeln. Ich sehe es Ihnen an. Sie denken: Das weiß ich ja ganzgenau, der Achilles hat ganz natürlich die Schildkröte bald eingeholt,und die Sache ist einfach dumm, wenn man die Schlußfolgerung macht:Der Achilles muß immer das frühere Stück durchlaufen, die Schild-kröte ist voraus, er kommt nie nach. Es ist einfach dumm - sagen dieLeute. Das geht aber nicht, daß man so sagt, denn die Schlußfolgerungist absolut zwingend und bindend, es läßt sich dagegen nichts sagen.Und es ist nicht etwa dumm, wenn dieser Schluß gemacht worden ist,sondern es ist ein außerordentlich - in der menschlichen Ratio - ge-scheiter Schluß, denn er ist absolut bindend, und man kommt nicht überihn hinweg. Worauf beruht denn aber das Ganze? Solange Sie bloßdenken, können Sie nicht anders denken, als dieser Schluß besagt. AberSie denken nicht so, weil Sie einfach die Wirklichkeit anschauen undwissen: Der Achilles kommt der Schildkröte selbstverständlich baldnach. Und da verwuseln Sie das Denken mit der Wirklichkeit, lassensich auf das Denken nicht mehr ein. Den Menschen ist es ja nicht darumzu tun, sich auf das Denken einzulassen, und dann sagen sie: Der, derso denkt, ist einfach dumm. - Durch das Denken kriegt man nichts an-deres heraus, als daß der Achilles der Schildkröte nicht nachkommt.Worauf beruht das aber? Das beruht darauf, daß, wenn wir unser Den-ken gerade konsequent auf die Wirklichkeit anwenden, dann das, waswir konstatieren, falsch wird gegenüber den Tatsachen der Wirklich-keit. Es muß falsch werden. Sobald wir unser rationalistisches Denkenauf die Wirklichkeit anwenden, hilft uns nichts darüber hinweg, daßwir falsch sogenannte «Wahrheiten» konstatieren. Denn wir müssen

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einfach schließen, daß, wenn der Achilles der Schildkröte nachläuft,er jeden Punkt zu durchmessen hat, den die Schildkröte auch durch-gemacht hat. Das ist ideell durchaus richtig. In Wirklichkeit aber machter das nicht, er berührt nicht die Punkte. Seine Beine schreiten weiteraus als die der Schildkröte. Er macht das nicht durch, was die Schild-kröte durchmacht. Wir müssen uns also anschauen, was der Achillestut. Wir können uns nicht darauf einlassen, bloß darüber zu denken.Dann kommen wir zu anderen Resultaten. Diese Dinge berühren dasGewissen der Menschen manchmal recht wenig, in Wahrheit aber sindsie außerordentlich bedeutsam. Und gerade heute, in der gegenwärtigenZeit wissenschaftlicher Entwickelung, sind sie von der allergrößten Be-deutung. Dann erst, wenn wir einsehen, wieviel Wirklichkeit in unse-rem Denken über die Naturerscheinungen ist, wenn wir übergehen vonden Anschauungen zu der sogenannten Erklärung, dann kommen wirmit den Dingen zurecht.

Nicht wahr, das Anschauliche, das ist etwas, was einfach beschrie-ben zu werden braucht. Daß ich folgendes machen kann, das brauchteinfach beschrieben zu werden: Hier habe ich eine Kugel. Wenn ichsie durch dieses Loch werfe, geht sie durch. Das ist jetzt die Anschauung.Wir wollen jetzt einfach diese Kugel etwas erwärmen. Sie sehen, ichkann die Kugel jetzt auf das Loch legen, sie geht zunächst nicht durch.Sie wird erst wiederum durchfallen, wenn sie genügend abgekühlt ist.In dem Augenblick, wo ich sie abkühle, indem ich Wasser darauf gieße,geht sie wieder durch. Das ist die Anschauung. Das ist dasjenige, wasich einfach zu beschreiben brauche. Nehmen wir aber an, ich fangejetzt an zu theoretisieren. Ich will es zunächst ganz roh machen, es

handelt sich ja um eine Einleitung: Das wäre also die Kugel, die Ku-gel bestünde aus einer gewissen Anzahl von kleinen Teilen, von Mo-lekülen, Atomen - wie Sie wollen. Das ist etwas, was nicht mehr An-

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schauung ist, was ich dazutheoretisiere. In diesem Augenblick bin ichverlassen von der Anschauung. Und in diesem Augenblick bin ich ineiner außerordentlich tragischen Rolle. Die Tragik empfinden nur die-jenigen, die auf solche Dinge eingehen können. Denn wenn Sie unter-suchen, ob Achilles die Schildkröte erreichen kann oder nicht, so kön-nen Sie anfangen zu denken: Der Achilles muß den Weg der Schild-kröte durchmessen, also wird er sie nie einholen. Das kann man striktebeweisen. Nun machen Sie das Experiment. Sie setzen die Schildkrötehin und den Achilles oder jemand anderen, auch wenn er nicht soschnell läuft wie Achilles. Sie können jederzeit beweisen, daß die An-schauung Ihnen das Gegenteil von dem liefert, was Ihnen die Schluß-folgerung liefert. Sie werden sehr bald die Schildkröte einholen.

Wenn Sie aber nun über die Kugel theoretisieren wollen, wie ihreAtome und Moleküle angeordnet sind, wo Sie auch die Anschauungverläßt, da können Sie nicht hineinschauen und nachsehen, da werdenSie nur theoretisieren können, und das ist auf diesem Gebiet nicht bes-ser als das, was Sie gegenüber dem Wegstück, das von Achilles nichtdurchmessen ist, anführen. Das heißt: Sie tragen die ganze Unvoll-kommenheit Ihrer Ratio hinein in Ihr Nachdenken über dasjenige, wasnicht mehr anschaulich ist. Das ist das Tragische. Wir bauen undbauen Erklärungen auf, indem wir das Anschauliche verlassen, undglauben es dadurch gerade erklären zu können, daß wir Hypothesenund Theorien aufstellen. Und die Folge davon ist, daß wir dann ge-nötigt sind, unserem bloßen Denken zu folgen, daß dieses Denken unsaber in dem Augenblick verläßt, wo wir über die Anschauung hinaus-kommen. Es stimmt nicht mehr mit der Anschauung überein.

Auf diesen Unterschied habe ich schon im vorigen Kursus hinge-wiesen, indem ich die scharfe Grenze gesetzt habe zwischen dem Pho-ronomischen und dem Mechanischen. Die Phoronomie beschreibt bloßBewegungsvorgänge oder Gleichgewichtsvorgänge, aber sie beschränktsich darauf, das Anschauliche zu konstatieren. In dem Augenblick, woSie von der Phoronomie zur Mechanik übergehen, wo der Kraft- undMassebegriff einzuführen ist, in dem Augenblick können wir nichtausreichen mit dem bloßen Denken, sondern wir beginnen einfach ab-zulesen von dem Anschaulichen, was vorgeht. Wir können in den

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einfachsten physikalischen Vorgängen, in denen die Masse eine Rollespielt, mit dem bloßen Denken nichts mehr anfangen. Und diejenigenTheorien, die im Laufe des 19. Jahrhunderts aufgebaut worden sind,trotzdem sie sich - das macht nichts aus - für eingeschränkte Gebieteals praktisch erwiesen haben, sind so entstanden, daß eigentlich, um siezu verifizieren, notwendig wäre, bis in die Moleküle und Atome hineinExperimente zu machen. Das gilt in bezug auf das Kleine, das gilt aberauch in bezug auf das Große. Sie erinnern sich, daß ich in meinen Vor-trägen oftmals aufmerksam gemacht habe auf etwas, das uns jetzt miteinem ganz wissenschaftlichen Charakter in diesen Betrachtungen ent-gegentreten wird. Ich habe oftmals gesagt: Aus dem, was der Physikerheute über Wärmeverhältnisse und auch über einige andere Dinge, diedamit verknüpft sind, heraustheoretisiert, macht er sich gewisse Vor-stellungen über die Sonne. Er beschreibt mit einem gewissen Anspruchdarauf, daß die Sache stimme, wie die physikalischen Verhältnisse, wieer sagt, auf der Sonne sind. Nun habe ich immer gesagt: Die Physikerwürden außerordentlich erstaunt sein, wenn sie das Experiment aus-führen könnten, wirklich zur Sonne hinauf zu kutschieren und sähen,wie nichts von dem, was sie aus irdischen Verhältnissen heraus rechnenoder theoretisieren, mit den Wirklichkeiten der Sonne übereinstimmt.Heute haben die Sachen tatsächlich schon eine ganz bestimmte prak-tische Bedeutung, namentlich gegenüber der wissenschaftlichen Zeit-entwickelung. Erst in diesen Tagen ging ja die Nachricht durch dieWelt, daß mit großen Mühen die Ergebnisse englischer Forschungenüber die Ablenkung des Sternenlichtes im Weltenraum auch in Berlinvor einer Gelehrtengesellschaft vorgeführt werden konnten. Da wurdemit Recht auf folgendes hingewiesen. Es wurde gesagt: Ja, die For-schungen von Einstein und anderen über die Relativitätstheorie habeneine gewisse Bestätigung erfahren, aber etwas Endgültiges würde manerst sagen können, wenn man soweit wäre, daß man spektralanalytischuntersuchen könnte, wie es sich eigentlich mit dem Sonnenlicht letzt-lich, namentlich bei Gelegenheit der Sonnenfinsternis, verhält. Dawürde man nämlich etwas sehen, was heute noch nicht mit den gang-baren physikalischen Instrumenten konstatierbar ist. — Das war dieNachricht, die sich anknüpfte an die letzte Sitzung der Berliner Phy-

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sikalischen Gesellschaft. Das ist außerordentlich interessant. Denn esmuß natürlich der nächste Schritt der sein, nach einer Möglichkeit zusuchen, wirklich spektralanalytisch das Sonnenlicht zu untersuchen.Der Weg muß der nach Meßinstrumenten sein, die heute noch nichtda sind. Dann wird man gewisse Dinge, die heute aus geisteswissen-schaftlichen Grundlagen heraus schon gewonnen werden können, ein-fach nachträglich bestätigen können, wie das ja bei vielen Dingen derFall war, die im Laufe der Jahre entstanden sind, die auch, wie Siewissen, durch physikalische Experimente in der letzten Zeit herausge-kommen sind. Dann wird man einsehen lernen, daß es einfach unmög-lich ist, dasjenige, was man imstande ist herauszurechnen aus- den Be-obachtungen namentlich der Wärmeerscheinungen in der irdischenSphäre, auf die Verhältnisse des Weltraumes, auf die Sonnenverhält-nisse zu übertragen und sich vorzustellen, daß die Sonnenkorona unddergleichen entsteht aus Antezedenzien heraus, die entnommen sindder Betrachtung der irdischen Verhältnisse. Gerade wie uns unser Den-ken irreführt, wenn wir das Anschauliche verlassen und in die Weltder Moleküle und Atome hineintheoretisieren, so führt es uns auch irre,wenn wir ins Makrokosmische hinausgehen und das, was wir durch An-schauung in irdischen Verhältnissen festsetzen, auf so etwas wie dieSonne übertragen. Da glaubt man, daß man in der Sonne etwas wie eineArt glühenden Gasballes habe. Von einem glühenden Gasball kannnicht die Rede sein bei der Sonne. Man hat etwas ganz anderes in derSonne vorliegend. Denken Sie sich einmal: Wir haben irdische Mate-rie. Jede irdische Materie hat einen bestimmten Intensitätsgrad ihresWirkens, ob man den auf diese oder jene Weise mißt, auf Dichtigkeitoder dergleichen, darauf kommt es nicht an. Sie hat eine gewisse In-tensität des Wirkens. Diese kann auch zu Null werden, das heißt, wirkönnen dem scheinbar leeren Raum gegenüberstehen. Aber damit hates nicht seinen Schluß, ebensowenig wie es einen Schluß hat - nun,schauen wir einmal auf das Folgende; denken Sie sich, Sie sagen: Ichhabe einen Sohn. Der Kerl ist eigentlich ein leichtsinniges Tuch. Ichhabe ihm ja ein kleines Vermögen übergeben, aber nun hat er ange-fangen, es auszugeben. Mehr als bis Null kann er nicht heruntergehen.Er kann einmal nichts mehr haben, damit tröste ich mich, er kommt

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eben einmal bei Null an. - Ja, aber nachher kann ich eigentlich eineEnttäuschung erleben: Der Kerl fängt an, Schulden zu machen. Dannbleibt er nicht bei Null stehen, dann wird die Geschichte noch schlim-mer als Null. Und das kann eine sehr reale Bedeutung haben. Denn alsVater werde ich eigentlich weniger haben, wenn der Kerl Schuldenmacht, als wenn er bei Null stehen bleibt.

Sehen Sie, dieselbe Betrachtungsweise liegt zugrunde gegenüber denSonnenverhältnissen. Man geht nicht einmal zur Null, sondern nurbis zur größtmöglichen Verdünnung; man spricht von dünnem, glü-hendem Gas. Aber man müßte erst bis Null gehen und dann darüberhinaus. Denn das, was man in der Sonne finden würde, wäre über-haupt nicht vergleichbar mit unserem Materiellen, wäre auch nichtvergleichbar mit unserem leeren Raum, der der Null entspricht, son-dern es geht darüber hinaus. Es ist in einem Zustand negativer mate-rieller Intensität. Da, wo die Sonne ist, würde man ein Loch finden,in den leeren Raum hineingehend. Es ist weniger als leerer Raum da.So daß alle Wirkungen, die auf der Sonne zu beobachten sind, als Saug-wirkungen betrachtet werden müssen, nicht als Druckwirkungen oderdergleichen. Die Sonnenkorona darf also nicht so betrachtet werden,wie heute der Physiker sie betrachtet, sondern sie muß so betrachtetwerden, daß man das Bewußtsein hat, es geschieht nicht dasjenige,als was es sich darstellt, etwa Druckwirkungen mit dem Index nachaußen, sondern es liegen Saugwirkungen von dem Loch im Raum, vonder Negation der Materie vor. Da verläßt uns die Ratio. Da verläßtuns unser Denken gegenüber dem Makrokosmischen, wie es uns ver-läßt gegenüber dem Mikrokosmischen. In dem Falle, den ich ange-deutet habe, können wir nur theoretisieren über das Atomistische.

Wir erleben, indem wir subjektiv die Wärmezustände unserer Um-gebung beurteilen, gar nicht wirkliche Wärmezustände, sondern wirerleben Differenzen. Das Thermometer zeigt auch Differenzen, es istkein Unterschied. Wir erleben die Differenzen zwischen unserem eige-nen Wärmezustand und demjenigen, in den wir hineinkommen. DenTatsachen nach tut das auch das Thermometer. Nur haben wir durchDinge, die nichts mit diesen vorliegenden Tatsachen zu tun haben,durch die Feststellung eines Nullpunktes, die Sache kaschiert. Hier

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liegt etwas vor, was außerordentlich wichtig ist zu berücksichtigen.Wenn wir unsere Aufmerksamkeit den Lichterscheinungen zuwenden,so liegt die Sache so, daß wir die Lichterscheinungen im wesentlichenverfolgen mit einem Organ, das sehr stark isoliert ist in unserem Orga-nismus. Ich habe das im vorigen Kursus charakterisiert. Dadurch beob-achten wir eigentlich niemals Licht - Licht ist Abstraktion —, sondernwir beobachten Farbenerscheinungen. Wenn wir Wärme beobachten,subjektiv, so ist dasjenige, was Empfindungsorgan bei uns ist, was Auf-fassungsorgan ist, unser ganzer Organismus. Unser ganzer Organis-mus entspricht da unserem Auge. Er ist nicht ein isoliertes Organ. Wirsetzen uns als Ganzes dem Wärmezustand aus. Indem wir mit einemGlied, zum Beispiel mit einem Finger, uns der Wärme aussetzen, istdas nichts anderes als wie ein Teil des Auges gegenüber dem ganzenAuge. Während also das Auge ein isoliertes Organ ist und dadurchsich für uns die Welt des Lichtes in den Farben verobjektiviert, ist beider Wärme ein solches nicht der Fall. Wir sind gleichsam ganz Wärme-organ. Aber dadurch tritt uns auch nicht so isoliert von draußen ent-gegen dasjenige, was die Wärme macht, wie uns isoliert entgegentrittdasjenige, was das Licht macht. Unser Auge ist objektiviert in unseremOrganismus. Was die Wärme Analoges macht - weil wir es selbst sind,können wir es nicht erleben. Denken Sie einmal, Sie würden mit demAuge keine Farben sehen, sondern nur Helligkeit unterscheiden, unddie Farben als solche würden ganz subjektiv bleiben, bloß Gefühlebleiben: Sie würden niemals Farben sehen. Sie würden von Hell-Dun-kel reden, aber die Farben würden nichts in Ihnen bewirken. So ist esbei der Wahrnehmung der Wärme. Jene Differenzierungen, die Siebeim Licht wegen der Isolierung des Auges wahrnehmen, die nehmenSie in der Welt der Wärme nicht mehr wahr. Die leben aber in Ihnen.Wenn Sie also von Blau und Rot sprechen bei der Farbe, so haben Siedieses Blau und Rot außen. Wenn Sie von dem Analogen bei der Wärmesprechen, so haben Sie, weil Sie das Wärmeorgan selbst sind, das, wasanalog bei der Wärme blau und rot wäre, in sich, Sie sind es selbst.Daher sprechen Sie nicht davon. Und das macht, daß für die Betrach-tung des objektiven Wärmewesens eine ganz andere Methode notwen-dig ist als für die Betrachtung des objektiven Lichtwesens. Und nichts

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hat, ich möchte sagen, so verführend in der Betrachtungsweise des19. Jahrhunderts gewirkt, als überall schematisch zu vereinheitlichen.Sie finden überall in den Physiologien eine «Sinnesphysiologie». Alsob es so etwas überhaupt gäbe! Als ob es etwas gäbe, wo man einheitlichsagen kann, es gilt für das Ohr wie für das Auge oder gar für den Ge-fühls- oder Wärmesinn. Es ist ein Unding, von einer Sinnesphysiologiezu sprechen und zu sagen, eine Sinneswahrnehmung ist dies oder jenes.Man kann nur sprechen von der isolierten Wahrnehmung des Auges,von der isolierten Wahrnehmung des Ohres, von der isolierten Wahr-nehmung unseres Organismus als Wärmeorgan und so weiter. Das sindganz verschiedene Dinge, und man kann nur wesenlose Abstraktionenaufstellen, wenn man von einem einheitlichen Sinnesvorgang spricht.Aber Sie finden heute überall die Neigung dazu, diese Dinge zu ver-einheitlichen. Und so kommen dann Schlüsse zustande, die eigentlich,wären sie nicht so schädlich für unser ganzes Leben, im Grunde ge-nommen humoristisch wären. Wenn einer sagt: Da ist ein Bub, einanderer Bub hat ihn durchgeprügelt. - Und daneben wird behauptet:Gestern hat er Schlage bekommen von seinem Lehrer, der Lehrer hatihn durchgeprügelt. Ich habe in beiden Fällen das Prügeln beobachtet.Es ist kein Unterschied. Ich schließe daraus, daß der Lehrer von ge-stern und der böse Bub, der heute die Prügel austeilte, von derselbeninneren Wesenheit sind. - Das wäre ein Unding, nicht wahr, das wäreganz unmöglich. Aber man macht folgendes Experiment. Man weiß,daß, wenn man Lichtstrahlen in einer gewissen Weise auf einen Hohl-spiegel fallen läßt, sie parallel gehen; wenn man sie durch einen weite-ren Hohlspiegel auffangen läßt, sie sich im Brennpunkt vereinigen undLichterscheinungen hervorrufen. Man macht dasselbe mit den soge-nannten Wärmestrahlen. Man kann wiederum konstatieren: Man läßtdie Strahlen durch Hohlspiegel auffangen, sich im Brennpunkt ver-einigen — man kann es mit dem Thermometer konstatieren, daß daeine Art Wärmebrennpunkt entsteht. Das sei dieselbe Geschichte wiebeim Licht, also beruhe das Licht und die Wärme auf ein und dem-selben. Die Prügel von gestern und die Prügel von heute beruhen aufein und demselben. Wenn man im Leben eine solche Schlußfolgerungausführen würde, würde man ein Tor sein. Wenn man sie in der Wis-

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senschaft ausführt, wie es heute überall gemacht wird, ist man keinTor, sondern oftmals eine tonangebende Persönlichkeit.

Dennoch, es kommt heute darauf an, nach klaren, durchschaubarenBegriffen zu streben, und ohne diese klaren, durchschaubaren Begriffekommen wir nicht weiter. Sonst wird niemals durch eine physikalischeWeltanschauung eine Grundlage geschaffen werden für eine universelleWeltanschauung, wenn man nicht gerade auf physikalischem Gebietversucht, zu klaren, anschaulichen Begriffen vorzudringen. Sie wissenja, und es ist auch durch meinen letzten Kursus hier klar geworden,bis zu einem gewissen Grade wenigstens klar geworden, daß auf demGebiete der Lichterscheinungen Goethe ein wenig Ordnung geschaffenhat, daß aber diese Dinge nicht anerkannt sind.

Auf dem Gebiet der Wärmeerscheinungen ist es nun ganz besondersschwierig, weil in der nachgoetheschen Zeit ja die Wärmeerscheinungenvollständig in das Chaos der theoretischen Anschauungen eingelaufensind und im 19. Jahrhundert die sogenannte mechanische Wärmetheo-rie Unfug über Unfug gestiftet hat; auf der einen Seite dadurch, daßsie Anschauungsbegriffe geliefert hat auf einem Gebiet, wo die An-schauung nicht hinreicht, und für jeden, der glaubt, auch denken zukönnen, aber es in Wirklichkeit nicht kann, leicht erlangbare Begriffegeliefert hat. Es sind die Begriffe, durch die man sich vorgestellt hat:Ein Gas in einem allseitig geschlossenen Gefäß besteht aus Gasteilchen,

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aber diese Gasteilchen sind nicht in Ruhe, sondern sie sind in fort-währender Bewegung. Und natürlich, wenn diese Gasteilchen in fort-währender Bewegung sind, wird in den meisten Fällen, da die Gas-teilchen klein sind und ihre Entfernungen verhältnismäßig groß vor-gestellt werden, so ein Gasteilchen sich durchschlängeln, wird langenicht auf ein anderes auftreffen, aber zuweilen dann doch. Es prallt

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dann zurück, und so stoßen sich dann da drinnen die Gasteilchen. Siekommen in eine Bewegung. Sie bombardieren sich fortwährend gegen-seitig. Da geben sie, wenn man die verschiedenen kleinen Stöße sum-miert, einen Druck auf die Wand. Anderseits hat man die Möglichkeitzu messen, wie hoch die Temperatur ist. Dann sagt man sich: Nun ja,da sind die Gasteilchen drinnen in einem bestimmten Bewegungszu-stand, sie bombardieren sich. Das Ganze ist in aufgeregter Bewegung.Das stößt sich gegenseitig und stößt auf die Wand. Erwärmt man, sokommen sie immer schneller und schneller in Bewegung, stoßen immerstärker und stärker an die Wand, und man hat die Möglichkeit, zusagen: Was ist also Wärme? - Bewegung der kleinsten Teile. Es ist ge-wiß, daß heute unter der Macht der Tatsachen solche Vorstellungenschon etwas abgekommen sind, allein sie sind nur äußerlich abgekom-men. Die ganze Denkweise ruht doch noch auf demselben Grunde.Man ist sehr stolz geworden auf diese sogenannte mechanische Wärme-theorie, denn sie soll ja außerordentlich viel erklären. Sie soll zum Bei-spiel erklären: Wenn ich einfach mit dem Finger über irgendeine Flächestreiche, so wird die Anstrengung, die ich anwende, die Arbeit, dieWucht verwandelt in Wärme. Ich kann zurückverwandeln Wärmein Arbeit, zum Beispiel bei der Dampfmaschine, wo ich durch dieWärme Vorwärtsbewegungen wahrnehmen kann. Und man hat sich diegangbare, höchst bequeme Vorstellung gebildet: Ja, wenn ich äußer-lich das beobachte, was da im Raum geschieht, so sind es mechanischeVorgänge. Die Lokomotive und die Waggons bewegen sich vorwärtsund so weiter. Wenn ich dann, sagen wir, durch irgend etwas Arbeitleiste und daraus Wärme entsteht, so ist eigentlich nichts anderes ge-schehen, als daß die äußerlich wahrnehmbare Bewegung sich verwan-delt hat in die Bewegung der kleinsten Teilchen. Das ist eine bequemeVorstellung. Man kann sagen: Alles in der Welt beruht auf Bewe-gung, und es verwandelt sich bloß die anschauliche Bewegung in dieun anschauliche Bewegung. Diese wird dann als Wärme wahrgenom-men. Aber die Wärme ist doch nichts anderes als Stoßen und Drängender kleinen Gasrüpel, die sich stoßen, die an die Wand stoßen und soweiter. Es ist die Wärme allmählich verwandelt worden im Wesen indas, was jetzt geschehen würde, wenn diese ganze Korona plötzlich

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anfinge, sich gegenseitig in Bewegung zu setzen, wenn sie sich fort-während stoßen würde, an die Wand stoßen würde und so weiter. Dasist die Clausiussche Vorstellung von dem, was in einem gasgefülltenRaum vorgeht. Das ist die Theorie, die herausgekommen ist dadurch,daß man den Achillesschluß angewendet hat auf Unanschauliches,und nicht bemerkt, wie man derselben Unmöglichkeit unterliegt, wiewenn man das Denken anwendet auf Achilles und die Schildkröte.Das heißt, es wird nicht so, wie man denkt. Im Inneren eines gaser-füllten Raumes geht es anders zu, als wir uns ausmalen, wenn wir dieunanschaulichen Begriffe auf Anschauung übertragen.

Das wollte ich heute einleitungsweise sagen. Sie werden daraus er-sehen, daß im Grunde genommen die ganze methodische Art der Be-trachtung, die namentlich im Laufe des 19. Jahrhunderts sich heraus-gebildet hat, in ihren Grundfesten wankt. Denn es beruht ein großerTeil dieser Betrachtungsweise darauf, daß man einfach dasjenige, wasman beobachtet als anschauliches Faktum, sich so vorstellt, daß manden Ausdruck, auch den rechnerischen Ausdruck des Anschauens, soüberleitet, daß man Differentialvorstellungen daraus bekommt. Wennman das, was man als konstatierbares Faktum hat gegenüber einemgasgefüliten Räume unter einem bestimmten Druck, rechnerisch aus-drückt, so kann man dadurch, daß man die Vorstellung zugrunde legt:Da geschehen die Bewegungen der kleinsten Teile, es in Differential-vorstellungen umwandeln und kann sich dann dem Glauben hingeben,daß, wenn man wiederum integriert, man etwas über die Realität her-ausbekomme. Man muß einsehen, daß, wenn man den Übergang voll-zieht von gewöhnlichen rechnerischen Vorstellungen zu Differential-gleichungen, daß man diese Differentialgleichungen, ohne aus derWirklichkeit vollständig herauszufallen, nicht wiederum in Integral-rechnungen behandeln darf. Das liegt der Physik im 19. Jahrhundertzugrunde, daß man durch ein falsches Verständnis über die Beziehungder Integrale zu den Differentialen sich gegenüber der Wirklichkeitfalschen Vorstellungen hingegeben hat. Man muß sich klar darübersein: In gewissen Fällen darf man differenzieren, aber was die Diffe-rentialzustände ergibt, darf nicht gedacht werden, als ob es zurück-integriert werden könnte, denn da kommt man nicht in die Wirklich-

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keit hinein, sondern zu etwas Ideellem. Es ist gegenüber der Natur vongroßer Wichtigkeit, daß man das durchschaut.

Denn, sehen Sie, wenn ich einen bestimmten Verwandlungsvorgangausführe, wenn ich sage, ich leiste Arbeit, bekomme Wärme, so kannich aus dieser Wärme wiederum Arbeit bekommen, und wir werdensehen, in welchem Maße das innerhalb der unorganischen Natur gilt,gerade an den Wärmeerscheinungen. Aber ich kann nicht ohne weitereseinen organischen Prozeß umkehren. Auch große anorganische Pro-zesse kann ich nicht umkehren, zum Beispiel sind planetarische Pro-zesse nicht umkehrbar. Wir können uns nicht jenen Prozeß umgekehrtvorstellen, der verläuft von der Wurzelbildung einer Pflanze bis zurBlüte, bis zur Fruchtbildung. Der Prozeß verläuft vom Keime bis zurFruchtbildung, er kann nicht zurückverlaufen wie ein Prozeß in derunorganischen Natur. In unsere Rechnungen fließt das nicht ein. Dennschon, wenn wir sogar im Unorganischen bleiben, gilt es für gewissemakrokosmische Prozesse nicht. Ich kann heute in keiner Rechnungs-formel, wenn ich sie aufstellen könnte für das Wachstum einer Pflanze -sie würde aber sehr kompliziert ausfallen -, gewisse Werte negativ ein-setzen; dies deckt sich nicht mit der Wirklichkeit. Die Gestaltung derBlüte aus der Gestaltung des Laubblattes könnte ich nicht negativ ein-setzen. Ich würde nicht den Prozeß umkehren können. Ich kann auchgegenüber den größeren Erscheinungen der Welt den realen Prozeßnicht umkehren. Das berührt aber nicht die Rechnung. Wenn ich heuteeine Mondfinsternis einzusetzen habe, kann ich einfach berechnen, wieeine Mondfinsternis vor unserer Zeitrechnung, zu Thaies' Zeiten war undso weiter, das heißt, ich kann in der Rechnung selbst durchaus denProzeß umkehren, aber in der Wirklichkeit würde der Prozeß nichtumkehrbar sein. Wir können nicht vom gegenwärtigen Stadium derWeltentwickelung durch Umkehrung des Prozesses zu den früherenStadien, zum Beispiel zu einer Mondfinsternis, die sich zu Thaies* Zei-ten zugetragen hat, zurückschreiten. Eine Rechnung kann ich vor-wärts und rückwärts behandeln, mit der Wirklichkeit deckt sich meistnicht, was ich mit der Rechnung erfasse. Diese Rechnung schwebt überder Wirklichkeit. Man muß sich klar darüber sein, inwiefern unsereVorstellungen und Rechnungen nur Vorstellungsinhalte sind. Trotz-

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dem sie umkehrbar sind, gibt es keine umkehrbaren Prozesse in derWirklichkeit. Das ist wichtig, denn wir werden die ganze Wärmelehreauf Fragen dieser Art aufgebaut sehen: Inwiefern sind innerhalb desGebietes der Wärmeverhältnisse Naturprozesse umkehrbar, und inwie-fern sind sie es nicht?

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Z W E I T E R VORTRAG

Stuttgart, 2. März 1920

Schon gestern wurde berührt, daß unter dem Einfluß des Wärmewesenssich dasjenige, was wir im gewöhnlichen Leben Körper nennen, aus-dehnt. Wir wollen heute zunächst davon ausgehen, wie sich sogenanntefeste Körper unter dem Einfluß des Wärmewesens ausdehnen. Wirhaben zu diesem Zweck hier, damit wir uns die Dinge auch einprä-gen und sie dann auch in entsprechender Weise im Unterricht verwer-ten können - es ist ja einfach und elementar zunächst -, eine Eisen-stange eingespannt. Diese Eisenstange wollen wir erhitzen und ihreAusdehnung anschaulich machen dadurch, daß hier an dieser Markeder Hebelarm, der hier angebracht ist, die Längenänderung anzeigenwird. Wenn ich hier mit dem Finger drücke, so bewegt sich dieser Zei-ger nach aufwärts.

•«f.

Sie werden sehen, daß, wenn wir diesen Stab hier erhitzen, sich die-ser Zeiger ebenfalls aufwärts bewegen wird, was Ihnen ein Beweis seinwird, daß der Stab sich ausdehnt. Sie sehen schon, wie der Zeiger nachaufwärts rückt. Und Sie sehen, daß mit der fortgehenden Erwärmungder Zeiger mehr und mehr nach aufwärts rückt, was Ihnen ein Beweisist, daß die Ausdehnung mit der Temperatur wächst. Würde ich stattder Substanz dieses Körpers irgendein anderes Metall verwendet ha-ben und wir würden dann genau messen, so würden wir eine andereAusdehnung bekommen. Wir würden finden, daß verschiedene solcheKörper sich in verschieden starker Weise ausdehnen. So daß wir zu-nächst zu konstatieren hätten, daß die Ausdehnungsfähigkeit, die

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Stärke der Ausdehnung von der Substanz abhängt. Wir sehen zunächsthier ab davon, daß wir eigentlich einen Zylinder vor uns haben. Wirstellen uns zunächst vor, daß wir einfach einen Körper von einer be-stimmten Länge ohne Dicke und Breite vor uns haben, und wir be-obachten zunächst die Ausdehnung nur nach einer Dimension. Wennwir uns das veranschaulichen, so bekommen wir folgendes: Wenn hier

l

l

ein Stab festgehalten wird, und wir ihn nur eigentlich als eine Längebetrachten, wollen wir zunächst für die Temperatur, den Wärmegrad,von dem wir ausgehen, die Länge dieses Stabes mit /0 bezeichnen. Undwir bezeichnen dann die Länge des Stabes, die er bekommt, wenn wirseine Temperatur zunächst um 1 Grad erhöhen mit /. Nun sagte ich,daß die Stäbe sich verschieden stark ausdehnen, je nachdem sie von dereinen oder anderen Substanz sind. Wir können nun immer das Maßder Ausdehnung, also hier von a nach b, uns angeben durch einen Bruch,der das Verhältnis der Ausdehnung zu der ursprünglichen Stablängebezeichnet. Wir wollen das, also diese verhältnismäßige Stärke derAusdehnung, mit <x bezeichnen. Dann haben wir die Länge, die derStab hat, nachdem er sich ausgedehnt hat, also die Länge /, uns zusam-mengesetzt zu denken aus seiner ursprünglichen Länge /0 und aus demStückchen, das er in seiner Länge hinzubekommen hat durch die Aus-dehnung. Dieses müssen wir dazurechnen. Dadurch, daß ich <x alsBruch bezeichnet habe, der das Verhältnis angibt zwischen der Aus-dehnung und der ursprünglichen Länge, dadurch bekomme ich, indemich l0 mit cc multipliziere, die Tendenz der Ausdehnung des Stabes, undich habe, weil ja die Ausdehnung um so bedeutender wird, je höher die

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Temperatur wird, das zu multiplizieren mit der Temperaturzunahmet. So daß ich sagen kann: Die Stablänge / nach der Ausdehnung

/ = /0 + /0 oc t = l0 (1 + oct).

Das heißt, will ich feststellen die Lange eines Stabes, der sich durchErwärmung ausgedehnt hat, so muß ich seine ursprüngliche Länge miteinem Faktor multiplizieren, der hier angegeben wird durch 1 plus dieTemperatur, multipliziert mit der verhältnismäßigen Ausdehnungs-fähigkeit der betreffenden Substanz. Die Physiker sind gewohnt wor-den, das et für die betreffende Substanz den Ausdehnungskoeffizientenzu nennen.

Nun habe ich hier einen Stab betrachtet. Stäbe von keiner Breiteund keiner Höhe haben wir in Wirklichkeit nicht. Wir haben in Wirk-lichkeit ja Körper von drei Dimensionen. Wir können, wenn wir nunübergehen von dieser Längenausdehnung zunächst wiederum zur nurgedachten Flächenausdehnung, diese Formel in der folgenden Weiseumwandeln: Nehmen wir an, wir betrachten statt wie hier die Längen-ausdehnung nun die Flächenausdehnung. Hätten wir also hier eine

/f

Fläche, so müßten wir uns klar sein, daß die Fläche sich ausdehnt nachzwei Dimensionen, also nach der Erwärmung etwa diese Größe hätte.Wir hätten dann nicht nur die Längenausdehnung nach /, sondern auchdie Breitenausdehnung nach b. Und wenn wir die Längenausdehnung

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zuerst betrachten, hier /0, so würden wir haben wiederum die Ausdeh-nung nach dieser Richtung, die ich jetzt angegeben habe, nach /. Undwir haben

/ = /0 (1 + et t). (1)

Betrachten wir jetzt auch die Breitenausdehnung b0, die sich ausge-dehnt hat zu b, so müßte ich jetzt schreiben — es ist ja selbstverständlich,daß das Ausdehnungsgesetz dasselbe bleibt -

b = bo(l+xt). (2)

Nun wissen Sie, daß die Fläche sich ergibt, indem ich die Länge mitder Breite multipliziere. Ich bekomme also den ganzen Inhalt derFläche, der hier der ursprüngliche ist, indem ich bQ mit /0 multipliziere,und hier denjenigen nach der Ausdehnung, indem ich auch nun/0 (1 4- a t) multipliziere mit bQ (1 + <xt).

+oct). (3)

Das heißt, ich bekomme: / b — l0 bQ (1 + a t)2, (4)

das heißt aber ausgeschrieben: / b =l0 b0 (1 +2 <x t + <x2 t2). (5)

Damit würde ich die Formel haben für die Ausdehnung einer Fläche.Wenn Sie sich nun zu der Fläche noch hinzudenken eine Dicke, so

habe ich diese Dicke in derselben Weise zu behandeln. Ich würde dannnoch d hinzuzufügen haben und erhalte:

= lobodQ(l +3oct + 3oc2t2 + ocH3). (6)

Und wenn Sie diese Formel anschauen, dann bitte ich Sie besondersim Auge zu behalten das Folgende: Wenn wir hier die ersten zwei Glie-der dieser Formel (6) betrachten, dann werden Sie das t höchstens in derersten Potenz finden. Wenn Sie das dritte Glied betrachten, finden Siedas t in der zweiten Potenz, und das letzte t in der dritten Potenz. Diesebeiden letzten Glieder der Formel für die Ausdehnung bitte ich Sieganz besonders zu berücksichtigen. Merken Sie sich, daß, wenn wirdie Ausdehnung eines dreidimensionalen Körpers haben, wir für dieseneinen Formelausdruck bekommen, der die dritte Potenz der Tempera-

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tur enthält - ich will etwas absehen von der zweiten Potenz der Tem-peratur. Es ist außerordentlich wichtig, daß gerade festgehalten werdean diesem Umstand, daß wir hier die dritte Potenz der Temperaturbekommen.

Da ich immer Rücksicht darauf nehmen muß, daß wir ja hier in derWaldorfschule sind und alles auch auf das Pädagogische hin orientiertsein muß, ist es nötig, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß wenn Sienun dieselbe Herleitung, die ich hier gemacht habe, in den gebräuch-lichen Handbüchern der Physik studieren, Sie in der Art, wie ich hierdie Sache dargestellt habe, einen beträchtlichen Unterschied zu derSchilderung in den gebräuchlichen Handbüchern der Physik findenwerden. Ich will Ihnen jetzt mitteilen, wie die Darstellung in dengebräuchlichen Handbüchern der Physik gegeben wird. Da wird ge-sagt: <x ist eine Verhältniszahl - es ist ja in der Regel ein Bruch. DieAusdehnung ist sehr klein im Verhältnis zu der ursprünglichen Längedes Stabes. Wenn ich einen Bruch habe, der im Nenner eine größereZahl hat als im Zähler, dann bekomme ich, wenn ich quadriere oderkubiere, eine viel kleinere Zahl. Denn quadriere ich ein Drittel, so be-komme ich schon ein Neuntel, und kubiere ich gar ein Drittel, so be-komme ich ein Siebenundzwanzigstel. Das heißt, die dritte Potenzist schon ein sehr, sehr kleiner Bruch, oc ist ein Bruch, der einen sehrgroßen Nenner hat in der Regel. Deshalb sagen die gebräuchlichenHandbücher der Physik: Wenn ich nun das Quadrat bilde, <x2 odergar a3, mit dem ich zu multiplizieren habe das t3, so sind das sehr kleineBrüche, die kann man einfach weglassen. So daß also die gebräuchli-chen Handbücher der Physik sagen: Wir lassen diese letzten Gliederder Ausdehnungsformel einfach weg und schreiben / • b • d — das ist jadas Volumen, das ein sich ausdehnender Körper durch eine bestimmteTemperatur annimmt, ich will also V schreiben -:

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In dieser Art wird die Formel geschrieben für die Ausdehnung einesfesten Körpers, indem man sich einfach darauf beruft, daß der Bruchoc quadriert und namentlich kubiert so kleine Zahlen gibt, daß mandiese weglassen kann. Sie wissen, so ist es dargestellt in den gebräuch-

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liehen Physikbüchern. Nun, damit streicht man weg das Allerwich-tigste, worauf es ankommt, wenn man nun wirklich sachgemäß Wärme-lehre treiben will. Das wird sich uns zeigen, indem wir weiter vor-rücken.

Ausdehnung durch das Wärmewesen habenja nicht nur die festen Körper, sondern auchdie Flüssigkeiten. Sie haben hier, damit Sie essehen können, eine gefärbte Flüssigkeit. Wirwerden diese gefärbte Flüssigkeit erwärmen(siehe Zeichnung). Sie werden nun sehen, daßnach einiger Zeit die gefärbte Flüssigkeitssäulein die Höhe steigt, und daraus werden Sie ent-nehmen, daß Flüssigkeiten sich ebenso ausdeh-nen wie feste Körper. Sie sehen, die gefärbteFlüssigkeit steigt, also die Flüssigkeit dehnt sichaus durch Erwärmung.

Nun, ebenso können wir untersuchen dieAusdehnung eines luftförmigen Körpers. Da-zu haben wir hier in dem Kolben Luft, die ein-fach von außen hineinkommt (siehe ZeichnungSeite 36). Wir schließen nun die im Kolben be-findliche Luft ab und erwärmen diese Luft.Wir haben hier ein kommunizierendes Gefäß.Die Eigenschaft der kommunizierenden Gefäßeist ja, daß das Niveau der Flüssigkeit, die darinist, auf beiden Seiten gleich ist, also beide Schen-kel umfaßt. Sie werden nun sehen, was ge-schieht, wenn wir einfach die hier drinnen be-findliche Luft, also einen luftförmigen Körper, erhitzen. Wir werdenes dadurch erreichen, daß in dem Gefäß (siehe Zeichnung Seite 36) er-wärmtes Wasser ist von einer Temperatur von 40°. Sie sehen, schonrückt rechts die Quecksilbersäule hinauf. Warum rückt sie hinauf?Weil der luftförmige Körper, der in diesem Kolben hier ist, sich aus-dehnt. Die Luft strömt hier heraus, drückt auf dieses Quecksilber(links), auf der anderen Seite wird die Quecksilbersäule durch den

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Druck gehoben, und Sie sehen daraus, daß dieser luftförmige Körpersich ausgedehnt hat. So daß wir also sagen können: Sowohl feste, wieflüssige, wie luftförmige Körper dehnen sich durch Einwirkung desuns noch unbekannten Wärmewesens aus.

Nun aber tritt uns hier sogleich, wenn wir vorrücken von dem Stu-dium der Ausdehnung bei festen Körpern, durch das Studium der Aus-dehnung bei Flüssigkeiten zu dem Studium der Ausdehnung bei luft-förmigen Körpern, etwas sehr Bedeutsames entgegen. Ich habe frühergesagt, daß das <x hier, die Verhältniszahl der Ausdehnung zur ur-sprünglichen Länge des Stabes, für verschiedene Substanzen verschie-den ist. Wenn wir, was ja weitere Experimente in Anspruch nehmenwürde, die wir hier nicht ausführen können, nun auch das a unter-suchen würden für verschiedene Flüssigkeiten, würden wir noch fürdas oc verschiedene Werte bekommen für verschiedene Flüssigkeitssub-

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stanzen. Wenn wir aber das a untersuchen für luftförmige Körper, na-

mentlich für Gase, so zeigt sich das Eigentümliche, daß nun das ot nicht

mehr für verschiedene luftförmige Körper verschieden ist, sondern daß

das a, der Ausdehnungskoeffizient, wie man es nennt, für die verschie-

denen Gase dasselbe ist, nämlich annähernd -r=z. Diese Tatsache ist

von einer ganz eminenten Wichtigkeit. Wir sehen daraus, daß, indemwir vorrücken von den festen Körpern zu den luftförmigen Körpern,eigentlich neue Verhältnisse unter dem Einfluß des Wärmewesens ein-treten. Wir sehen daraus, daß sich die verschiedenen Gase nicht ver-halten nach ihrer verschiedenen Substantialität, sondern daß sie sichverhalten dem Wärmewesen gegenüber einfach nach ihrer Eigenschaft,Gase zu sein, daß das Gaswerden etwas ist, was gewissermaßen als einegemeinschaftliche Eigenschaft über alle Körper kommen kann. Ja, wirsehen daraus, daß das Gaswerden etwas ist, was alle Gase, die uns imirdischen Umkreis bekannt werden können, wenigstens in bezug aufdiese Eigenschaft ihrer Ausdehnungsfähigkeit, zu einer Einheit zusam-menfaßt. Halten Sie fest, daß wir einfach an der Ausdehnungsfähig-keit durch die Wärme dazu kommen, sagen zu müssen, daß sich, indemman sich von den festen Körpern her den Gasen nähert, die differen-zierte Ausdehnungsfähigkeit, die wir bei festen Körpern finden, in eineArt Einheit, in eine einheitliche Ausdehnungsfähigkeit umwandelt beiGasen, daß also mit dem festen Zustand verknüpft ist in unserem irdi-schen Bereich eine Differenzierung der Körperlichkeiten, wenn ichmich vorsichtig ausdrücke. Ich könnte auch sagen, daß verknüpft istmit dem Festwerden eine Individualisierung der Körperlichkeit. Aufdiesen Umstand wird sehr wenig hingewiesen in der neueren Physik.Es wird nicht darauf hingewiesen, weil man wichtigste Dinge einfachdadurch kaschiert, daß man gewisse Größen wegstreicht, mit denenman nichts Rechtes anfangen kann.

Tiefer hineinsehen in dasjenige, um was es sich da handelt, kannman nur dann, wenn man ein wenig zu Hilfe ruft die Geschichte derphysikalischen Entwickelung. Alle die Vorstellungen, die heute inPhysikbüchern und überhaupt in der Behandlung der Physik herr-schend sind, sind ja im Grunde genommen noch nicht alt. Sie rühren

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im wesentlichen aus dem 17. Jahrhundert her, und zwar haben sie ihrenGrundcharakter bekommen durch alles dasjenige, was man im 17. Jahr-hundert unter dem Neuaufleben eines gewissen wissenschaftlichen Gei-stes in Europa veranstaltet hat durch die Accademia del Cimento inFlorenz, die 1657 gegründet worden ist und in der außerordentlich vieleExperimente auf den verschiedensten Gebieten gemacht worden sind,namentlich aber auf dem Gebiete des Wärmewesens, auf dem Gebieteder Akustik, des Tonwesens und so weiter. Wie jung unsere gebräuch-lichen Vorstellungen sind auf diesem Gebiete, das zeigt sich ja, wennman ein wenig eingeht auf gewisse spezielle Veranstaltungen der Acca-demia del Cimento. Da wurde zum Beispiel zuerst eigentlich dieGrundlage gelegt für unsere moderne Thermometrie. Da wurde zuerstbemerkt, wie in einer Glasröhre, die unten mit einem Zylinder abge-schlossen ist, was Sie ja an jedem Thermometer sehen können, wie da dieErwärmung auf Quecksilber, mit dem die Glasröhre gefüllt ist, wirkt.Da wurde man zum Beispiel erst aufmerksam darauf, daß ein schein-barer Widerspruch besteht zwischen der Anschauung, die man sonstgewonnen hat, also etwa durch ein solches Experiment, wo eine Flüssig-keit sich einfach ausdehnt, und dem, was sich besonders stark zeigte,indem man einen Versuch, der belehrend sein sollte, machte. Manwar so im allgemeinen zu der Anschauung gekommen: Flüssigkeitendehnen sich auch aus. Aber indem man den Versuch anstellte mitQuecksilber, fiel es zunächst unter der Erwärmung, und dann erststieg es. Man mußte dafür erst eine Erklärung im 17. Jahrhundert fin-den, die man ja leicht dafür finden konnte dadurch, daß man sichsagte: Wenn ich erhitze, so erhitze ich zunächst das äußere Glas. Dasdehnt sich aus. Der Raum, den das Quecksilber ausfüllt, wird größer;es sinkt zuerst, und der innere Körper beginnt erst etwas zu steigen,wenn die Erwärmung nach dem Inneren vorgedrungen ist. - Solche Be-griffe bekam man überhaupt erst seit dem 17. Jahrhundert. Aber mitdiesem 17. Jahrhundert war man auch gegenüber all den Ideen, durchdie man das Physikalische zu begreifen versuchen sollte, dadurch garsehr in Rückstand gekommen, daß sich ja bis zu dieser Zeit, zur eigent-lichen Renaissance, Europa so wenig gekümmert hat um wissenschaft-liche Begriffe dieser Art. Es war die Zeit, in der sich hat ausbreiten

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müssen das Christentum, das in einer gewissen Weise verhindert hat,daß Begriffe sich festlegen konnten, sich ausbilden konnten über physi-kalische Erscheinungen. Dann, als die Renaissance kam, als man be-kannt wurde mit den Vorstellungen, die im alten Griechenland schonda waren, war man etwa in der folgenden Lage: Auf der einen Seite,aufgemuntert durch allerlei bereitwillige Unterstützungen, bildetensich solche Institute wie die Accademia del Cimento, und da konnteman nun experimentieren. Man konnte unmittelbar anschaulich ma-chen, wie die physikalischen Erscheinungen verlaufen. Auf der ande-ren Seite aber wurde man entwöhnt, sich Begriffe zu machen über dieDinge. Man wurde entwöhnt, die Erscheinungen wirklich denkend zuverfolgen. Man nahm wieder die alten griechischen Vorstellungen, diejetzt vielfach wie aufgefangen wurden, auf, aber man verstand sienicht mehr. Und so nahm man auch die Vorstellung von Feuer oderWärme, ohne irgendwie das unter diesem Begriff verstehen zu können,was man im alten Griechenland darunter verstanden hat. Und es bil-dete sich jetzt jene tiefe Kluft zwischen dem Denken und dem, wasfür die Anschauung durch das Experiment gegeben werden kann. DieseKluft tat sich immer mehr und mehr auf gerade seit dem 17. Jahrhun-dert. Die Experimentierkunst wurde dann besonders im ^.Jahrhun-dert vervollkommnet, aber klare, deutliche Begriffe gingen nicht pa-rallel dieser Vervollkommnung der Experimentierkunst. Und heutestehen wir, indem uns solche klare, deutliche, anschaubare Begriffefehlen, vielfach vor jenen Erscheinungen ratlos, die das gedankenloseExperimentieren im Lauf der Zeit hervorgebracht hat und die im wei-teren sich nur fruchtbar der menschlichen Geistesentwickelung einver-leiben können, wenn wiederum der Weg gefunden wird, nicht nur zuexperimentieren und den Verlauf des Experiments äußerlich anzu-schauen, sondern in den inneren Gang des Naturgeschehens wirklicheinzutreten.

Sehen Sie, beim Eindringen in den inneren Gang des Naturgesche-hens kommt dann so etwas außerordentlich stark in Betracht, daßin bezug auf die Ausdehnungsfähigkeit vollständig neue Verhältnisseeintreten, wenn wir von den festen Körpern zu den Gasen hinaufdrin-gen. Aber man wird niemals ohne die Erweiterung unseres ganzen phy-

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sikalischen Vorstellungslebens solche Dinge, wie sie heute eigentlichden Tatsachen nach schon vorliegen, wirklich bewältigen können. Zudiesen Tatsachen, die wir schon angeführt haben, kommt ja noch eineandere, die außerordentlich bedeutsam ist.

Nicht wahr, wie eine allgemeine Regel kann man sich bilden ausdem, was wir jetzt schon hier dargestellt haben, den Satz: Erwärmenwir Körper, so dehnen sie sich aus; erkalten sie dann wiederum, so zie-hen sie sich zusammen. So daß der allgemeine Satz gebildet werdenkönnte: Durch Erwärmung dehnen sich Körper aus, durch Erkaltungziehen sich Körper zusammen. Nun wissen Sie aber aus der elemen-taren Physik, daß es von diesem Satz Ausnahmen gibt, vor allen Din-gen eine Kardinalausnahme, die bezüglich des Wassers selber. Wennman Wasser zur Ausdehnung bringt und zum Wiederzusammenziehen,so zeigt sich das Merkwürdige, daß, wenn man Wasser von einer Tem-peratur von 8° hat und es dann erkaltet, es sich zusammenzieht. Das istselbstverständlich, möchte ich sagen. Aber wenn man dann weiter ab-kühlt, zieht es sich nicht zusammen, sondern dehnt sich wieder aus. Sodaß Eis, das aus dem Wasser entsteht - wir werden über diese Ent-stehung noch zu sprechen haben -, weil es ausgedehnter und damit we-niger dicht ist als das Wasser, auf dem Wasser schwimmen kann. Eineeigentümliche Erscheinung, daß Eis auf dem Wasser schwimmen kann!Sie rührt davon her, daß dieses allgemeine Gesetz der Ausdehnbarkeitund Zusammenziehbarkeit eben für das Wasser eine Unregelmäßigkeitaufweist, daß das Wasser im allgemeinen diesem Gesetz nicht so ohneweiteres folgt. Es wäre ja auch mit unserer ganzen Natureinrichtungeigentümlich bestellt, wenn das anders wäre, wenn diese Ausnahmenicht bestünde. Wenn Sie ein Bassin, einen Teich und so weiter beob-achten, so werden Sie sehen, daß selbst bei strengem Winter nur eineEisdecke da ist, und das Wasser nicht bis unten gefriert. Daß untendas Wasser ungefroren bleibt, das geschieht aus dem Grunde, weil dassich oben zunächst bildende Eis schwimmt und dadurch eine Deckebildet, und daß dadurch das darunter befindliche Wasser vor der wei-teren Abkühlung bewahrt bleibt. Sie haben immer oben eine Eisdeckeund unten ein geschütztes Wasser. Diese Unregelmäßigkeit, die hierauftritt, hängt also mit etwas zusammen, was eigentlich - wenn ich

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den etwas spießbürgerlichen Ausdruck gebrauchen darf - mit demHaushalt unserer Natur außerordentlich viel zu tun hat. Nun, sehenSie, die physikalische Betrachtungsweise, zu der wir hier unsere Zu-flucht nehmen wollen, die muß durchaus so sein, wie ich es beim letztenKursus schon angedeutet habe. Wir müssen es vermeiden, den Weg zudem Achilles-und-der-Schildkröte-Schluß hin zu machen. Wir müssenes vermeiden, abzusehen von dem Anschaulichen, wir müssen durchausden Versuch machen, im Anschaulichen, das heißt, in dem mit der An-schauung Konstatierbaren zu verbleiben. Daher werden wir uns immerstreng an das Anschauliche halten und versuchen, aus dem Anschau-lichen heraus eine Erklärung für die Erscheinungen zu finden. Undbesonders solche Dinge, die einfach in der Anschauung sich ergeben,wie die Ausdehnung und eine solche Unregelmäßigkeit in der Aus-dehnung, wie sie uns beim Wasser, also bei einer Flüssigkeit entgegen-tritt, solche tatsächlichen Dinge wollen wir uns vor Augen stellen undinnerhalb der Tatsachenwelt verbleiben. Das ist auf dem physika-lischen Gebiet wirklicher Goetheanismus.

Halten wir also dasjenige, was nun nicht eine Theorie ist, sondernwas eine in der Außenwelt konstatierbare Tatsache ist, fest: Mit demÜbergang in den gasigen Zustand tritt eine Vereinheitlichung sämt-licher Substanzen auf der Erde ein. Und mit dem Übergang in denfesten Zustand nach unten tritt ein Individualisieren, eine Differen-zierung nach Individuen ein. Wenn wir uns nun fragen: Wie kann daseigentlich sein, was kann da zugrunde liegen, daß mit dem Übergangaus dem festen in den gasförmigen Zustand durch den flüssigen hin-durch eine Vereinheitlichung eintritt, dann kommen wir aus unserenheute gangbaren Begriffen heraus überhaupt außerordentlich schwerzu einem Ausweg. Wir müssen da schon, um im Anschaulichen stehen-bleiben zu können, anfangen, schwerwiegende Fragen zu stellen. Wirmüssen zunächst fragen: Woher haben wir denn überhaupt die Mög-lichkeit, Körper zum Ausdehnen zu bringen und damit allmählich zurVergasung und zu der charakterisierten Vereinheitlichung? Sie brau-chen nur eine Umschau zu halten über all dasjenige, was Sie wissenkönnen über die physikalischen Vorgänge der Erde, so werden Sie sichsagen müssen: Ohne daß Sonnenwirkung da wäre, könnten wir all

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diese Erscheinungen, die auch unter dem Einfluß des Wärmewesensstattfinden, auf der Erde überhaupt nicht haben. Sie müssen den Blickdarauf wenden, welche ungeheure Bedeutung die Sonne in ihrem gan-zen Wesen für die irdischen Erscheinungen hat. Und wenn Sie dies, wasalso wiederum in das Gebiet des Tatsächlichen gehört, ins Auge fassen,so werden Sie sich sagen müssen: Gerade jene Vereinheitlichung, die daauftritt bei dem Übergang von dem festen durch den flüssigen in dengasförmigen Zustand, sie könnte nicht eintreten, wenn die Erde nursich selbst überlassen wäre. Wir können nur Anhaltspunkte gewinnenzu Vorstellungen über diese Sache, wenn wir über die irdischen Ver-hältnisse hinausgehen. Damit ist aber etwas außerordentlich Schwer-wiegendes gesagt. Denn mit diesem Übergang des physikalischen Den-kens durch die Denkweise der Accademia del Cimento und alles des-sen, was damit zusammenhängt, wurden die alten Vorstellungen, diein Griechenland durchaus noch üblich waren, entkleidet alles Außer-irdischen. Und Sie werden schon sehen, daß wir in den nächsten Tagenohne historische Hilfe, rein aus der Sache heraus, zu demselben kom-men werden. Aber ich werde vielleicht leichter zu Ihrem Verständnisden Zugang gewinnen, wenn ich diesen kleinen historischen Exkursnoch einschalte, den ich jetzt machen will.

Ich sagte schon: Die eigentliche Bedeutung derjenigen Begriffe undIdeen, durch die man noch im alten Griechenland die physikalischenErscheinungen hat begreifen wollen, ist verlorengegangen. Man hatbegonnen zu experimentieren, und hat, ich möchte sagen, wortwört-lich, ohne den inneren Gedankenweg, der in Griechenland noch ge-macht worden ist, die Vorstellungen, die Ideen aufgenommen. Dadurchvergaß die Menschheit gewissermaßen alles dasjenige, was mit diesenphysikalischen Vorstellungen im alten Griechenland noch verbundenwar. Das alte Griechenland hat noch nicht gesagt: fest, flüssig, gas-förmig -, sondern dasjenige, was das alte Griechenland gesagt hat,können wir in unserer Sprache übersetzen damit, daß wir sagen:

Was fest war, bezeichnete das alte Griechenland mit Erde.Was flüssig war, bezeichnete das alte Griechenland mit Wasser.Was gasförmig war, bezeichnete das alte Griechenland mit Luft.

Und es ist ganz unrichtig, zu glauben, daß, wenn wir unsere Wort-

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bedeutungen Erde, Wasser, Luft haben, und dann irgendwo in älterenSchriften, die noch von der griechischen physikalischen Anschauungbeeinflußt sind, die entsprechenden Worte wiederfinden, daß sie danndasselbe bedeuten. Wir müßten, wenn wir irgendwo in alten Schriftenden Ausdruck «Wasser» sehen, ihn übersetzen mit Flüssigkeit, wennwir den Ausdruck «Erde» sehen, mit festen Körpern. Nur dadurchwürden wir richtig die alten Schriften übersetzen. Aber darin liegt et-was sehr Bedeutsames. Dadurch, daß der feste Zustand - wie gesagt,wir wollen das in den nächsten Tagen aus der Sache selbst heraus fin-den, ich will heute nur durch diesen historischen Exkurs zu ihrem Ver-ständnis den Zugang gewinnen -, dadurch, daß der feste Zustand mitErde bezeichnet wurde, drückte man insbesondere aus, daß dieser festeZustand allein gebunden ist an die Gesetzmäßigkeit unseres irdischenPlaneten. Man bezeichnete das Feste deshalb als Erde, weil man da-durch ausdrücken wollte: Wenn ein Körper fest wird, so gerät er ganzund gar unter den Einfluß der irdischen Gesetzmäßigkeit. Wenn da-gegen ein Körper Wasser wird, dann steht er nicht mehr bloß unterdem Einfluß der irdischen Gesetzmäßigkeit, sondern unter dem Ein-fluß des ganzen Planetensystems. Die Kräfte, die sich geltend machenin einem flüssigen Körper, in dem Wasser, die sind nicht bloß von derErde herrührend, sondern von dem Planetensystem. Da wirken hineindie Kräfte von Merkur, Mars und so weiter in das, was flüssig ist. Abersie wirken so, daß sie gewissermaßen von den Richtungen her, in denendiese Planeten stehen, eben wirken, und eine Art Resultierende in jederFlüssigkeit werden.

Man hatte also das Gefühl, indem man nur die festen Körper alsErde bezeichnete, daß nur diese unter dem Einfluß der irdischen Ge-setzmäßigkeit stehen; daß, indem ein Körper schmilzt, er unter Gesetz-mäßigkeiten gerät, die außerirdische sind. Und indem man gar diegasförmigen Körper Luft nannte, da hatte man - wie gesagt, ich stellees Ihnen jetzt historisch dar - die Empfindung: Ein solcher Körpersteht unter dem Einfluß des vereinheitlichenden Sonnenwesens. Erwird hinausgehoben aus dem Irdischen und aus dem bloß Planetari-schen und steht unter dem Einfluß des vereinheitlichenden Sonnen-wesens. Und man hatte von dem irdischen Luftwesen auch die An-

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schauung, daß an seiner Konfiguration, seiner inneren Beschaffenheitund Substantialität die Kräfte der Sonne im wesentlichen tätig sind.Die alte Physik hatte einen kosmischen Charakter. Die alte Physikwar geneigt, mit Kräften, welche dem Gebiete des Tatsächlichen an-gehören, zu rechnen. Denn der Mond, der Merkur, der Mars und soweiter sind Tatsachen. Aber indem man verloren hatte die Quelle zudieser Anschauung und zunächst nicht entwickeln konnte das Bedürf-nis nach neuen Quellen, verlor man vollständig die Möglichkeit, andereVorstellungen zu gewinnen als diese: Wie die festen Körper, selbstin ihrer Ausdehnungsfähigkeit, in ihrer ganzen Konfiguration undGestaltung abhängig sind von der Erde, so auch die flüssigen und luf t-förmigen. Sie werden zwar sagen, es fällt keinem Physiker ein, abzu-sehen davon, daß die Sonne die Luft erwärmt und so weiter. Das tuter zwar nicht, aber, indem er dabei von Vorstellungen ausgeht, wie iches gestern charakterisiert habe, indem er sich die Sonne in ihrer Er-wärmefähigkeit nur nach dem Muster der aus dem Irdischen gewon-nenen Begriffe vorstellt, verirdischt er die Sonne, statt das Terrestri-sche durch das Solare zu erklären.

Das ist nun das Wesentliche, daß in der Zeit vom 15. bis 17. Jahr-hundert vollständig verlorengegangen ist das Bewußtsein, daß unsereErde ein Körper im ganzen Sonnensystem ist, daß dann auch jedeseinzelne auf der Erde zu tun haben muß mit dem ganzen Sonnen-system und daß das Festwerden der Körper geradezu darauf beruht,daß sich gewissermaßen das Irdische emanzipiert von dem Kosmischen,daß es sich herausreißt, sich selbständige Gesetze gibt, während zumBeispiel das Gasförmige, die Luft, in seiner Gesetzmäßigkeit unter demEinfluß des für die ganze Erde einheitlichen Sonnenwesens bleibt. Dasist es, was dann dazu geführt hat, daß man genötigt worden ist, für dieDinge, die früher aus dem Kosmischen erklärt worden sind, irdischeErklärungen zu finden. Da man abgesehen hat davon, die Kräfte zusuchen, die vom Planetensystem ausgehen müssen, wenn ein festerKörper, zum Beispiel Eis, flüssig wird, zu Wasser wird, indem man ab-gesehen hat, sie im Planetensystem zu suchen, mußte man sie hinein-verlegen in das Innere des Körpers selber. Man mußte nachdenken,nachspintisieren darüber, wie ein solcher Körper aus Molekülen und

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Atomen zusammengesetzt ist. Und man mußte diesen unglückseligenMolekülen und Atomen die Fähigkeiten zuschreiben, die von innenheraus nun bewirken sollten, daß ein Festes in Flüssiges, ein Flüssigesin Gasförmiges übergeführt wird, die Fähigkeiten, die man früherhergeleitet hatte von dem, was tatsächlich im Raum gegeben war, aberallerdings im außerirdischen Kosmos. So muß man verstehen den Über-gang der physikalischen Vorstellungen, wie er sich insbesondere ge-zeigt hat im krassen Materialismus aller Abhandlungen der Accademiadel Cimento, die etwa zehn Jahre geblüht hat, von 1657 bis 1667. Manmuß sich vorstellen, daß dieser krasse Materialismus dadurch ent-standen ist, daß man allmählich verloren hat Ideen, die veranschau-lichen den Anschluß unseres Irdischen an das Kosmische, das Außer-irdische. Heute stehen wir vor der Notwendigkeit, hier wiederum Um-kehr zu schaffen. Man wird aus dem Materialismus nicht herauskom-men, wenn man sich nicht wiederum in die Lage versetzt, wenigerphiliströs zu sein gerade auf dem Gebiete der Physik. Das Philiströseliegt nämlich darin, daß man von konkreten zu abstrakten Begriffenübergeht, denn niemand liebt die abstrakten Begriffe mehr als derPhilister. Er möchte alles mit ein paar Formeln, mit ein paar abstrak-ten Begriffen umfassen. Aber auch die Physik selber wird nicht weiter-kommen, wenn sie fortspinnt in solchen Anschauungen - ich will nichteinmal bloß die Theorien anführen -, wie sie seit dem Materialismusder Accademia del Cimento gang und gäbe geworden sind. Vorwärtskommen wir dadurch, daß wir gerade in einem solchen Gebiet, wieder Wärmelehre, den Anschluß wiederum zu gewinnen versuchen anumfassendere, weiter ausgreifende Ideen, als sie die neuere materiali-stische Physik gehabt hat.

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D R I T T E R VORTRAG

Stuttgart, 3. März 1920

Wir werden heute, um auf das Ziel zuzusteuern, dem wir in den erstenTagen unserer Betrachtungen schon nahekommen müssen, noch ei-nige Erscheinungen uns ansehen, welche die Beziehung des Wärme-wesens zum sogenannten Aggregatzustand betreffen, also zu dem, was,wie ich Ihnen gestern gesagt habe, in der alten physikalischen Welt-anschauung bezeichnet wurde als Erde, Wasser, Luft. Sie wissen ja,daß Erde, Wasser, Luft oder, wie wir es heute nennen, feste, flüssigeund gasförmige Körper, in andere überzuführen sind. Dabei zeigt sichaber mit Bezug auf das Wärmewesen eine ganz besondere Erscheinung.Ich will die Erscheinung zunächst beschreiben, und wir wollen sie danneinfach konstatieren: Nehmen wir irgendeinen festen Körper und er-wärmen wir ihn, so wird er eben immer wärmer und wärmer, bis er zueinem Punkte kommt, an dem er übergeht aus dem festen in den flüssi-gen Zustand. Wir können nun, wenn wir ein Thermometer zu Hilfenehmen, konstatieren, wie, während der Körper immer wärmer undwärmer wird, das Thermometer steigt. In dem Augenblick, in demder Körper beginnt flüssig zu werden, also zu schmelzen, hört dasThermometer auf zu steigen. Es wartet, bis der ganze Körper flüssiggeworden ist, und es steigt erst wieder innerhalb der Flüssigkeit, dieaus dem Körper geworden ist. So daß wir sagen können: Währenddes Vorganges des Schmelzens zeigt sich an dem Thermometer keinAnsteigen der Temperatur. Dabei darf man aber nicht glauben, daßdas Wärmewesen selber unbeteiligt ist. Wenn wir nun keine Wärmezuführen würden, so würde das Schmelzen aufhören. Wir müssen alsoWärme zuführen, um das Schmelzen bewirken zu können, aber dieseWärme zeigt sich nicht am Thermometer, sondern es fängt erst an,daß sich wiederum Wärme am Thermometer zeigt, wenn das Schmel-zen vollzogen ist und nun weiter erwärmt wird die Flüssigkeit, die ausdem festen Körper entstanden ist. Diese Erscheinungen müssen zu-nächst einmal genau ins Auge gefaßt werden. Denn Sie sehen, daßdurch diese Erscheinungen in dem Fortgang des Aufsteigens der Tem-

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peratur eine Unterbrechung eintritt. Wir wollen eine Anzahl solcherErscheinungen zusammenstellen, die uns dann, ohne daß wir über-gehen zu irgendwelchen ausgedachten Theorien, zu einer Anschauungüber das Wärmewesen werden führen können. Wir haben hier vorbe-reitet zunächst diesen festen Körper, Natriumthiosulfat. Wir werdendiesen Körper zum Schmelzen bringen. Sie sehen hier eine Temperaturvon etwa 25°. Nun handelt es sich darum, daß wir diesem KörperWarme zuführen, und ich bitte irgend jemand, als Delegierten sichhierher zu begeben, um zu sehen, wie während des Schmelzens diesesKörpers die Temperatur tatsächlich nicht steigt. (Inzwischen ist dasThermometer auf 48 °, den Schmelzpunkt des Natriumthiosulfats, ge-stiegen und dieses ist geschmolzen.) Jetzt steigt das Thermometer rasch,weil das Schmelzen vollzogen ist, während es früher stehenblieb wäh-rend des ganzen Schmelzvorganges.

Nun wollen wir einmal diesen Vorgang uns einfach versinnlichen.Wir können das auf folgende Weise tun. Das Ansteigen der Tempe-ratur wollen wir auffassen als eine Linie, die in dieser Weise ansteigt.

punktSiede-p unkt

Nehmen wir an, wir seien mit der ansteigenden Temperatur bis zumsogenannten Schmelzpunkt gekommen. Hier beginnt der Körper zuschmelzen. Die Temperatur bleibt, soweit sie durch das Thermometergezeigt wird, stehen. Wenn ich jetzt weiter erhitze, steigt die Tempe-ratur wieder an. Man würde sehen, daß sich durch das Ansteigen derTemperatur, das heißt durch das Zuführen weiterer Warme, die be-

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treffende Flüssigkeit ausdehnt. Nun handelt es sich darum, daß wireinen solchen flüssig gewordenen Körper weiter erhitzen. Dann steigtdie Temperatur wiederum und zwar von demselben Punkte aus, andem sie beim Schmelzen war (punktierte Linie). Sie steigt, so langeder Körper nun flüssig bleibt. Wir können zu einem zweiten Punktkommen, in dem die Flüssigkeit beginnt zu sieden, zu verdampfen. Wirhaben wieder dieselbe Erscheinung: Das Thermometer hört auf, eine Er-höhung der Temperatur anzuzeigen. So lange, bis die Flüssigkeit ver-dampft ist. In dem Augenblick, wo die Flüssigkeit verdampft ist, wür-den wir, wenn wir das Thermometer in den Dampf hineinhalten könn-ten, wiederum sehen, wie das Thermometer ansteigt (strichpunktierteLinie). Sie könnten hier wiederum beobachten, daß während des Ver-dampfens das Thermometer nicht ansteigt. Ich habe also hier einezweite Grenze, an der die Thermometererhöhung stehenbleibt.

Nun, zu dieser Erscheinung, die ich Ihnen eben vorgeführt habe,bitte ich Sie, eine andere hinzuzunehmen, die Ihnen aus dem gewöhn-lichen Leben sehr gut bekannt sein kann: Wenn wir den festen Körpernehmen, der unseren Ausgangspunkt bildete, so ist dieser, wie Sie wissen,so, daß er seine Form, die er einmal hat, durch sich selbst beibehält (1).

Wenn ich irgendeinen festen Körper hierher lege, so bleibt er, wie erist. Wenn Sie eine Flüssigkeit nehmen, also dasjenige, was durch denSchmelzpunkt hindurchgegangen ist bei der Erwärmung, so wissen Sie,daß ich eine Flüssigkeit nicht hinlegen kann stückweise, sondern ichhabe nötig, sie in einem Gefäß zu halten, und sie bleibt in der Form desGefäßes und bildet oben eine horizontale Niveaufläche (2). Wenn ichein Gas nehme, Dampf, der durchgegangen ist durch den Siedepunkt,so kann ich den nicht behalten in einem solchen Gefäß. Da geht er mirfort. Einen solchen Dampf kann ich nur aufbehalten in einem Gefäß,

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das allseitig geschlossen ist, sonst geht mir der Dampf nach allen Sei-ten hin fort (3). Das gilt wenigstens zunächst für den oberflächlichenAnblick, und wir wollen von diesem oberflächlichen Anblick zunächsteinmal ausgehen. Und jetzt bitte ich Sie, folgende Erwägungen mit mirzu machen. Diese Erwägungen stellen wir an, um durch ihr Zusam-menbringen zuletzt uns wirklich zu einer Art Erfassung des Wärme-wesens hinbegeben zu können. Wodurch habe ich denn überhaupt dieansteigende Temperatur konstatiert? Ich habe sie konstatiert durchdie Ausdehnung des Quecksilbers. Diese Ausdehnung des Quecksilbershat sich vollzogen im Raum. Und wenn auch das Quecksilber bei un-serer mittleren Temperatur eine Flüssigkeit ist, so müssen wir uns dochklar sein, daß, wenn es auch zusammengehalten wird in dem Gefäß,sich doch die Ausdehnungen nach den drei Dimensionen summieren,und wir bekommen sie als Ausdehnung nur nach der einen Seite her-aus. Wir haben doch bei der Ausdehnung des Quecksilbers nach dendrei Dimensionen diese nur reduziert auf die eine Dimension hin, so daßwir also das Ansteigen der Temperatur konstatieren durch die Aus-dehnung eines Körpers.

Gehen wir von dieser Betrachtung aus, die wir zugrunde gelegt ha-ben, und sehen wir uns das Folgende an: Nehmen wir einmal eineLinie (siehe Zeichnung) - man kann eine Linie natürlich nur denken -und sagen Sie sich, auf dieser Linie lägen eine Anzahl Punkte, a3 b, c, d

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fund so weiter. Wenn Sie zu diesen Punkten kommen wollen, so könnenSie durchaus in dieser Linie bleiben. Wenn Sie zum Beispiel hier ste-hen (a), können Sie zu dem Punkt c gelangen, indem Sie die Linie

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durchlaufen. Sie können zurücklaufen und wiederum den Punkt a er-reichen. Kurz, wenn ich die Punkte a} b, c, d erreichen will, kann ichdurchaus in der Linie bleiben. Anders liegt das, wenn wir den Punkt eoder den Punkt / ins Auge fassen. Sie können nicht bei der Linie ver-bleiben, wenn Sie zu dem Punkt e und zu dem Punkt / gelangen wol-len. Sie müssen aus der Linie herausgehen, um zu dem Punkt e undzu dem Punkt / zu gelangen. Sie müssen also irgendwie auf der Linielaufen und dann aus der Linie heraustreten, um zu diesen Punkten zugelangen.

Jetzt nehmen Sie an, Sie betrachten eine Fläche, sagen wir dieFläche der Tafel, und ich registriere wiederum auf der Fläche der Ta-fel eine Anzahl Punkte: a, b, c. Um diese Punkte zu erreichen, könnenSie durchaus in der Fläche der Tafel bleiben. Wenn Sie hier sind (X),

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können Sie den Weg machen, der gar nicht aus der Tafel herausgeht,zu jedem dieser Punkte. Sie können aber nicht, wenn Sie in der Tafelverbleiben wollen, zu dieser Spitze, die hier ist (vor der Tafel) und dieeinen weiteren Punkt darstellt, gelangen. Da müssen Sie aus der Tafelherausgehen. Auf diese Weise ist es möglich, sich eine Anschauung überdie Dimensionalität des Raumes zu machen, indem man sich sagt: FürPunkte, die in der ersten Dimension liegen, ist es möglich, durch dieseeine Dimension auch zu ihnen zu gelangen. Für Punkte aber, die außer-halb der einen Dimension liegen, kann man nicht, ohne aus dieser Di-mension zu gehen, zu diesen Punkten gelangen. Ebenso kann man nichtzu Punkten, die in der dritten Dimension liegen, durch ein Durchlaufen

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der Fläche gelangen. Was tritt ein, wenn ich nur von den Punkten eund / mit Bezug auf die eine Dimension rede, in der die Punkte a} b, c,d liegen? Denken Sie sich einmal ein Wesen, welches in der Lage wäre,nur eine einzige Dimension zu beobachten, welches keine Vorstellunghätte von einer zweiten und dritten Dimension. Ein solches Wesenwürde, geradeso wie Sie im dreidimensionalen Räume sich bewegen,sich nur in der einen Dimension bewegen. In dem Augenblick, wo die-ses Wesen den Punkt a mitnimmt (siehe Zeichnung Seite 49) bis hierher(b) und der Punkt dann abweicht und nach e geht, in dem Augenblickwürde der Inhalt dieses Punktes für dieses Wesen einfach verschwin-den. Er ist nicht da für ein solches Wesen, das nur wahrnehmen könntein einer solchen Dimension, in dem Augenblick, wo er aus dieser einenDimension herausgeht. Ebenso sind alle Punkte, die außerhalb derbeiden Dimensionen der Fläche liegen, nicht da für ein Wesen, das nurin den zwei Dimensionen der Fläche wahrnehmen kann. Und wennein Punkt, der in der Fläche liegt, sich einfallen läßt, aus der Flächeherauszugehen, so würde dieses Wesen kein Mittel haben, um diesenPunkt weiter zu verfolgen. Er würde aus dem Bereich seines Raumesverschwinden. Ein solches Wesen, ein Wesen, das nur wahrnehmenkönnte in einer einzigen Dimension, was würde es denn für eine Geo-metrie haben? Es würde nur eine eindimensionale Geometrie haben.Es würde nur innerhalb der einen Dimension von Entfernungen unddergleichen und ihren Gesetzen reden können. Ein Wesen, das nurin zwei Dimensionen wahrnehmen kann, würde nur von den Ge-setzen der ebenen Figuren sprechen können, würde nur eine zwei-dimensionale Geometrie haben. Wir Menschen haben eine dreidi-mensionale Geometrie zunächst. Ein Wesen mit einer eindimensio-nalen Geometrie hätte gar keine Möglichkeit, irgendwie dasjenige geo-metrisch zu versinnlichen, was ein Punkt tut, der aus der einen Dimen-sion hinausgeht. Ein Wesen mit einer zweidimensionalen Geometriehätte keine Möglichkeit, das zu verfolgen, was ein Punkt tut, der ausden zwei Dimensionen herausgeht und nachher da ist (vor der Tafel).Wir Menschen - ich sage es noch einmal — haben eine dreidimensionaleGeometrie. Nun könnte ich ebensogut, weil ich es ja eigentlich zu tunhabe, wie schon früher gesagt, bei der Ausdehnung des Quecksilbers

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mit drei Dimensionen, die nur auf eine Dimension reduziert sind,könnte ich, wie ich hier, nur durch die Tafel veranlaßt, auf zwei Di-mensionen eine Linie gezogen habe, sie auch so ziehen, daß ich sie aufein Raumkoordinatensystem bezöge. Ich hätte hier eine Abszissenachse,

eine Ordinatenachse und senkrecht darauf eine dritte Achse, und ichwürde diese Linie als eine Raumlinie ziehen können. In dem Augen-blick, in dem ich ankomme entweder bei dem Schmelzpunkt oderSiedepunkt, bin ich nicht in der Lage, irgendwie mit dem Ziehen dieserLinie fortzufahren.

Es gäbe, theoretisch, hypothetisch ausgedrückt eine Möglichkeit,fortzufahren. Nehmen wir einmal an, ich könnte die Sache so machen:Sagen wir, das Ansteigen der Temperatur würde durch diese Linie dar-gestellt (siehe Zeichnung Seite 53). Ich müßte dann, indem irgendwelcheFaktoren gleichbleiben, anderes hier verändern und könnte dann voneinem anderen Punkt oben fortfahren. So würde ich noch einen An-haltspunkt haben, in meiner Welt zu bleiben. Aber einen solchenAnhaltspunkt habe ich nicht. Denn ich muß einfach, wenn ich dieseTemperaturkurve zeichne, von demselben Punkte ausgehen, auf demdie Temperatur steht, nachdem der betreffende Körper geschmolzenoder verdampft ist (x x in der Zeichnung), von demselben Punkt, aufdem sie angekommen ist, wenn das Schmelzen oder Verdampfen be-gonnen hat. Sie sehen daraus, daß ich hier mit Schmelzpunkt und Siede-punkt einfach zu etwas genötigt bin, das sich mit nichts vergleichenläßt als mit der Lage, in der ein eindimensionales Wesen ist, wenn ihmein Punkt aus seiner einen Dimension heraus in die zweite Dimension

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hinein verschwindet, oder ein zweidimensionales Wesen, wenn ihm einPunkt in die dritte Dimension verschwindet. Wenn der Punkt wie-derum hereinkommt und von derselben Stelle aus weitergeht, wennalso der Punkt a hierher verschleppt ist (siehe Zeichnung Seite 49), hin-ausgeht, und nun gewartet wird und der Punkt wiederum zurück-kommt, so muß ich von derselben Stelle seinen Lauf weiterverfolgenin der einen Dimension drinnen. Rein erscheinungsgemäß gesprochen,liegt mir ja nichts anderes vor, wenn mir die Erwärmung verschwindetbeim Schmelzpunkt und Siedepunkt, als daß meine Temperaturkurveunterbrochen wird und ich sie von demselben Punkte aus nach einigerZeit fortsetzen muß. Aber dasjenige, was während der Unterbrechungmit der Wärme geschieht, das fällt ebenso aus dem Bereich heraus, indem ich meine Kurve ziehe - und ich sage ausdrücklich, ich kann sieals Raumkurve ziehen. Es ist zunächst - ich sage zunächst - Analogievorhanden zwischen diesem Verschwinden des Punktes a aus der erstenin die zweite Dimension hinein und dem, was da geschieht mit derdurch das Thermometer angezeigten Wärme, während das Thermo-meter stillsteht beim Schmelzpunkt und Siedepunkt.

Nun handelt es sich darum, mit dieser Erscheinung eine andere inZusammenhang zu bringen. Sehen Sie, auf dieses In-Zusammenhang-Bringen der Erscheinungen kommt nämlich alles an; nicht auf dasAusdenken irgendwelcher Theorien, sondern auf das Zusammenbrin-gen der Erscheinungen, so daß sie sich gegenseitig beleuchten und er-klären. Das ist der Unterschied der Goetheschen Physik von der heute

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herrschenden, daß die Goethesche Physik die Erscheinungen einfachzusammenstellt, damit sie sich gegenseitig beleuchten, während dieheutige Physik, wenn sie überhaupt wagt, zu Theorien überzugehen,darauf aus ist, zu den Erscheinungen hinzu zu theoretisieren, hinzu zuphantasieren. Denn Atome und Moleküle sind ja im wesentlichen nichtsanderes, als zu den Erscheinungen hinzuerfunden, hinzuphantasiert.

So wollen wir denn eine andere Erscheinung zusammenhalten mitdem Verschwinden der durch das Thermometer konstatierbaren Er-wärmung während des Schmelzens. Diese andere Erscheinung trittuns entgegen, wenn wir unsere gestrige Formel ins Auge fassen:

V = Vo (1 + 3 oc t + 3 a2 t2 + <%3 *3).

Von dieser Formel sagte ich gestern, daß Sie insbesondere die zweiletzten Glieder ins Auge fassen sollen. Es ist besonders wichtig füruns heute, das £3 einmal ins Auge zu fassen, die dritte Potenz der Tem-peratur. Nehmen Sie einmal eine gewöhnliche Raumdimensionalität.Bei dieser gewöhnlichen Raumdimensionalität sprechen Sie, wenn esein mathematischer Körper ist, von Länge, Breite und Höhe. Das sindja im wesentlichen die drei Raumdimensionen. Nun können wir, wennwir einen Stab erwärmen, wie wir das gestern getan haben, die Aus-dehnung dieses Stabes betrachten. Wir können auch die Temperaturdieses Stabes betrachten. Aber wir können eines nicht herbeiführen:daß der Stab, wahrend er sich ausdehnt, nicht Wärme in seine Um-gebung abgibt, daß er nicht Wärme ausströmt, ausstrahlt. Das könnenwir nicht verhindern. Wir können unmöglich eine Wärmeausdehnunguns denken - bitte auf das Wort zu achten - nur nach einer Dimension.Wir können wohl eine reine Raumausdehnung - das tut man ja immerin der Geometrie - nach einer Dimension, nämlich als Linie denken,wir können aber niemals einen Wärmezustand auch nur denken, dersich bloß längs einer Linie ausdehnt. Wir können, wenn wir dies be-achten, nicht sagen, daß der Fortgang der Wärme - als Kurve jetztgedacht, nicht im Raum — wirklich etwas anderes als versinnbildlichtist durch diese Kurve, die ich hier aufgezeichnet habe (siehe Zeich-nung Seite 53). Ich fasse nicht den ganzen Vorgang der Wärme durchdiese Kurve ins Auge. Da ist noch irgend etwas anderes im Spiel als

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dasjenige, was ich durch diese Kurve ins Auge fassen kann. Und das,was da im Spiel ist, das muß die ganze Natur und Wesenheit desjenigenändern, was ich eigentlich durch diese Kurve abbilde, welche ich alsSymbolum gebrauche für die Darstellung des Wärmezustandes, gleich-gültig ob ich sie geometrisch oder arithmetisch fasse.

Wir haben also das Eigentümliche hier, daß, wenn wir durch un-sere landläufigen geometrischen Linien erfassen wollen den Wärme-zustand, insofern er durch die Temperatur zum Vorschein kommt, wirihn nicht voll erfassen können. Das aber hat eine andere Wirkung. Den-ken Sie sich einmal, Sie haben eine Linie (siehe Zeichnung). DieseLinie hat eine bestimmte Länge /. Erheben Sie diese Linie zum Qua-drat, so können Sie dieses i2 aufzeichnen durch diese Quadratfläche.

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Nehmen Sie an, Sie bilden l3, so können Sie sich diese dritte Potenz auf-zeichnen durch den Würfel, durch den Raumkörper. Aber nehmen Siean, ich bilde die vierte Potenz /4, was soll ich denn jetzt tun, wenn ichweiterzeichnen will? Ich kann von der Linie zur Fläche, von der Flächezum Körper übergehen, aber was kann ich denn jetzt tun, um zur vier-ten Potenz überzugehen, wenn ich nach derselben Methode weiter-rücken will? Ich kann da nichts machen innerhalb unseres dreidimen-sionalen Raumes. Das gilt zunächst für mathematische Raumgrößen.Aber wir haben gesehen, daß der Wärmezustand, insofern er durchdie Temperatur zur Anschauung kommt, gar nicht ausdrückbar istdurch Raumgrößen. Da ist noch etwas anderes drinnen. Sonst könnteein Wärmezustand, der längs eines Stabes ist, aufgefaßt werden alsbloß längs eines Stabes verlaufend. Das ist aber unmöglich. Die Folgedavon ist, daß ich, wenn ich konsequent zu Werke gehe, nicht in derLage bin, die Potenzierungen des t in derselben Weise aufzufassen, wieich die Potenzierung der Raumgrößen auffasse. Ich bin nicht in der

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Lage, dasselbe zu denken über die Potenzierung des t, wie ich denkeüber die Potenzierung des / oder irgendeiner anderen bloßen Raum-größe. Und wenn zum Beispiel - ich will das heute zunächst einmalnur hypothetisch behandeln -, wenn ich zum Beispiel nur die eine Po-tenz, die erste Potenz von dem t hätte, und diese nicht ausdrückbarwäre als Linie, so könnte die zweite Potenz t2 nicht ausdrückbar seinals Fläche. Und die dritte Potenz t3 könnte schon gar nicht durch eineRaumgröße ausdrückbar sein. Ich würde, wie ich bei mathematischenRaumgrößen erst aus dem Raum herauskomme, nachdem ich die drittePotenz gebildet habe, vielleicht schon bei der zweiten Potenz aus un-serem Raum herauskommen, und bei der dritten nicht mehr drinnensein.

Also denken Sie sich, Sie müßten sich das t in ganz anderer Naturvorstellen als Raumgrößen. Sie müßten das gewöhnliche t schon alsetwas Quadriertes auffassen, als eine zweite Potenz, und Sie müßtendas quadrierte t schon als dritte Potenz auffassen und das kubierte tals vierte Potenz, wobei Sie aus unserem gewöhnlichen Raum heraus-kommen. Denken Sie, dann würde diese Formel ein ganz besonderesGesicht bekommen. Dann würde das letzte Glied, das in dieser Formeldrinnen ist, mich zwingen, aus dem dreidimensionalen Raum heraus-zugehen. Ich würde dann, indem ich einfach rechne, genötigt sein, mitdem letzten Glied meiner Formel aus dem dreidimensionalen Raumherauszurücken. Das sage ich jetzt rein hypothetisch, also als Mög-lichkeit, wie man das ja tut bei mathematischen Formeln. Nicht wahr,wenn Sie ein Dreieck betrachten und konstatieren, daß das Dreieckdrei Winkel hat, so haben Sie zunächst ein gedachtes Dreieck. Weil dasDenken zu bequem ist, zeichnen Sie es sich auf, um es zu versinnlichen.Aber die Zeichnung hat damit nichts zu tun. Sie haben gegeben: DieSumme der Winkel ist 180°. Oder: In einem rechtwinkligen Dreieckist das Quadrat über der Hypotenuse gleich der Summe der Quadrateüber den beiden Katheten. Das ist etwas, was man zunächst eben be-handelt, wie ich jetzt das t in seiner Potenz behandelt habe. Jetzt ge-hen wir zurück und sehen uns dasjenige an, was wir als Erscheinungkonstatiert haben. So macht man es ja in der Geometrie: Wenn ich aneiner Brücke oder sonstwo nötig habe, ein Dreieck zu beobachten, so

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verifiziert sich das, was ich am abstrakten Dreieck gedacht habe. Wasich am abstrakten t gedacht habe, das hat zunächst - wir wollen derWirklichkeit immer näher auf den Leib rücken, aber schrittweise -eine gewisse Ähnlichkeit mit dem, was dargestellt ist beim Schmelzenund Verdampfen. Ich war nicht imstande, das Schmelzen und Ver-dampfen in die drei Raumdimensionen hineinzukriegen. Die kann ichnur hereinkriegen, indem ich aufhöre, die Kurve zu ziehen, und siedann wiederum fortsetze. Wenn nun die Voraussetzungen zutreffen,die ich vorhin machte, dann wäre ich auch genötigt, bei der drittenPotenz, bei dem Kubus der Temperatur, aus dem dreidimensionalenRaum hinauszugehen.

Sehen Sie, da habe ich Ihnen einen Weg gezeigt, der in einer ge-wissen Weise eingeschlagen werden muß, wenn man versuchen will,die Erscheinungen, die sich dem Wärmewesen gegenüber zeigen, ein-fach zusammenzustellen, um durch diese Zusammenstellung etwasÄhnliches zu gewinnen wie im vorhergehenden Kursus für die Betrach-tung des Lichtwesens. Von ganz anderen Voraussetzungen ist der Phy-siker Crookes ausgegangen. Und merkwürdig ist, daß er durch seineErwägungen immerhin zu einem ähnlichen Resultat gekommen ist wiedas, was wir jetzt bloß hypothetisch hingestellt haben, dessen Wirk-lichkeit wir dann zu Leibe rücken werden in den nächsten Betrachtun-gen. Auch er kommt dazu, die Veränderungen der Temperatur über-haupt als etwas zu betrachten, was zu tun hat mit einer Art viertenDimension des Raumes. Es ist heute wichtig, auf diese Sache hinzuwei-sen aus dem Grunde, weil ja die Relativisten, Einstein an der Spitze,indem sie über die drei Dimensionen des Raumes hinausgehen, sich ge-nötigt sehen, zur Zeit überzugehen und diese als vierte Dimension zubezeichnen, so daß man in den Einsteinschen Formeln überhaupt alsvierte Dimension die Zeit bezeichnet findet, während Crookes sichgenötigt fand, als die vierte Dimension die Ab- oder Zunahme desWärmezustandes anzusehen. Das als eine historische Einschiebung.

Zu diesen Erscheinungen bitte ich Sie jetzt dasjenige zu nehmen,was ich auch früher erwähnt habe. Ich habe gesagt: Einen gewöhn-lichen festen Körper kann ich hinlegen, er wird seine Form behalten,das heißt, er hat einen bestimmten Umriß. Einen flüssigen Körper muß

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ich in ein Gefäß hineinlaufen lassen. Er bildet immer eine Niveau-fläche und nimmt im übrigen die Form des Gefäßes an. So ist es nichtbeim gas- oder dampfförmigen Körper. Der dehnt sich nach allen Sei-ten aus. Ich muß, um ihn zu begrenzen, ihn in ein allseitig geschlosse-nes Gefäß einfassen. Dieses allseitig geschlossene Gefäß gibt ihm seineForm, so daß ich bei einem Gas eine Form nur habe, wenn ich es all-seitig einschließe.

Wenn ich einen festen Körper habe, so hat er seine Form ebendadurch, daß er ein fester Körper ist. Er hat sie gewissermaßen vonselbst. Ich lasse die Flüssigkeit als Zwischenzustand jetzt aus und willals die Gegensätze den festen und den gasförmigen Körper beschrei-ben. Der feste Körper versorgt sich gewissermaßen selbst mit dem, wasich beim gasförmigen zufügen muß: die Wandung von allen Seiten.Nun tritt aber beim Gas etwas Besonderes auf. Wenn Sie ein Gas, stattdaß sie es da drinnen haben, in ein kleineres Gefäß einschließen — die-selbe Gasmenge, dadurch daß Sie von allen Seiten die Wand zusam-mendrücken -, so müssen Sie eben drücken, müssen Druck ausüben.

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Das heißt nichts anderes als: Sie müssen den Druck des Gases über-winden. Sie haben es zu tun an den Wänden, die die Formung bilden,mit einem Druck. Wir können also sagen: Ein Gas, welches das Be-streben hat, nach allen Seiten davonzulaufen, das wird durch denWiderstand der Wände zusammengehalten. Dieser Widerstand ist vonselbst da, indem ich einen festen Körper habe. So daß ich, indem ichgar nichts theoretisiere, sondern einfach den ganz gewöhnlichen Tat-bestand ins Auge fasse, einen polarischen Gegensatz von Gas und festemKörper so definieren kann, daß ich sage: Dasjenige, was ich von außenhinzufügen muß beim Gas, ist beim festen Körper von selber da. Aber

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nun können Sie, indem Sie das Gas abkühlen, zurückgehend wiederumzum Siedepunkt, aus dem Dampf die Flüssigkeit gewinnen; indem Sieweiter abkühlend zurückgehen bis zum Schmelzpunkt, können Sie ausder Flüssigkeit wiederum die festen Körper gewinnen. Das heißt, Siekönnen einfach durch Vorgänge, die zusammenhängen mit dem Wär-mewesen, das hervorrufen, daß Sie nicht mehr nötig haben, von außendie Formung zu bilden, sondern daß die Formung sich von innen vonselbst bildet. Da ich nichts anderes getan habe, als den Wärmezustandzu verändern, so ist es ja selbstverständlich, daß diese Formung irgend-wie mit der Änderung des Wärmezustandes zusammenhängt. Beim fe-sten Körper ist etwas da, was beim gasförmigen noch nicht da war.Wenn wir dem festen Körper entgegenhalten irgendeine Wand, drücktder feste Körper auf diese Wand zunächst nicht, wenn wir nicht selberandrücken. Wenn wir dem Gas entgegenhalten eine feste Wand, drücktdas Gas immer auf die feste Wand. Sie sehen, wir kommen da zu demBegriff des Druckes und müssen dieses Entstehen des Druckes in Zu-sammenhang bringen wiederum mit dem Wärmezustand. Wir müssenalso sagen: Es muß aufgesucht werden eine bestimmte Beziehung zwi-schen der Formung des festen Körpers und dem Entgegenwirken durchden Wändedruck gegen das allseitige Zerfließen des Gases. Wenn wirdiese Beziehungen aufsuchen, können wir hoffen, in das Wesen desZusammenhanges zwischen der Wärme und den Körpern wirklich ein-zudringen.

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V I E R T E R VORTRAG

Stuttgart, 4. März 1920

Sie werden vielleicht bemerkt haben, daß es bei diesen Betrachtungenim wesentlichen auf eine gewisse Zielsetzung ankommt. Wir wolleneine Reihe von Erscheinungen aus dem Gebiete des Wärmewesens sozusammenstellen, daß wir zuletzt herausfinden können, worin diesesWärmewesen eigentlich besteht. Wir haben uns im wesentlichen bisherbekanntgemacht mit gewissen Zusammenhängen, die uns durch Er-scheinungen innerhalb des Gebietes des Wärmewesens entgegentretenkönnen, und wir haben namentlich beobachtet, in welchem Zusam-menhange das Wärmewesen mit der Ausdehnungsfähigkeit der Körpersteht. Wir haben dann versucht, zunächst einige Bildvorstellungen fest-zusetzen über die Gestalt eines festen Körpers, eines flüssigen Körpersund eines luft- oder gasförmigen Körpers. Und ich habe auch gespro-chen über die Zusammenhänge des Wärmewesens mit diesen ja an denKörpern hervorzurufenden Verwandlungen: dem Übergang vom fe-sten in den flüssigen, in den gas- oder dampfförmigen Zustand. Nunmöchte ich Ihnen jetzt vorführen diejenige Erscheinung, die uns wirdzeigen können, welche Verhältnisse auftreten, wenn wir es zu tun ha-ben mit Gasen, mit Dämpfen, von denen wir ja schon wissen, daß sieeinen gewissen Zusammenhang haben mit dem Wärmewesen dadurch,daß wir durch das Wärmewesen den gasförmigen Zustand hervorrufenkönnen, daß wir wiederum durch eine gewisse Veränderung des Wär-megrades aus einem dampf- und gasförmigen Körper einen flüssigenherstellen können. Sie wissen, daß, wenn wir einen festen Körper ha-ben, wir unmöglich diesen festen Körper mit einem anderen festen Kör-per durchdringen können. Die Beobachtung solcher einfacher elemen-tarer Verhältnisse ist außerordentlich wichtig, wenn wir eindringenwollen in das eigentliche Wärmewesen. Dasjenige, was hier jetzt vorge-führt werden soll, das soll zeigen, wie Wasserdampf, den wir hier er-zeugen, zunächst hier herübergeht in diesen Kolben und dann eben indiesem Kolben drinnen sein wird. Wir werden also diesen Kolben mitWasserdampf allmählich anfüllen und werden nun von der ande-

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ren Seite zuleiten einen anderen Dampf, dessen Bildung Sie verfolgenkönnen dadurch, daß er hier in einem gefärbten Zustand ist. (Das Ex-periment wird vorgeführt.) Sie sehen also, trotzdem wir den Kolbengefüllt hatten mit Wasserdampf, ging der andere Dampf von der ande-ren Seite in den mit Wasserdampf gefüllten Raum hinein, das heißt:Ein Gas hindert nicht, daß ein anderes Gas in denselben Raum ein-dringt, in dem schon eines drinnen ist. Wir wollen auch diese Erschei-nung zunächst als eine solche festhalten, wollen uns also klar darübersein, daß gas- oder dampfförmige Körper in einem bestimmten Maßefüreinander durchdringlich sind.

Ich will Ihnen nun eine andere Erscheinung vorführen, welcheIhnen zeigen soll noch einen anderen Zusammenhang des Wärmewesensmit anderen Tatsachen. Wir haben hier in der linken Röhre Luft,

die einfach in demselben Zustand ist wie die äußere Luft, von derwir fortwährend umgeben sind. Ich muß erwähnen, daß diese äußereLuft, von der wir fortwährend umgeben sind, unter einem gewissen

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Druck, unserem gewöhnlichen Atmosphärendruck steht, der ja fort-während auch auf uns selbst drückt. So daß wir sagen können: DieLuft, die wir hier drinnen haben, links, ist unter genau demselbenDruck wie die äußere Luft selbst, was sich dadurch zeigt, daß dieQuecksilbersäule links und rechts auf demselben Niveau stehen bleibt -daraus, daß links und rechts die Quecksilbersäule gleich hoch steht,ersehen Sie, daß hier (rechts) die äußere Luft, die ja noch von obenfreien Zugang hat, unter genau demselben Druck steht wie die Lufthier in dem allseitig geschlossenen Glasrohr (links). Wir wollen nuneine Veränderung dadurch hervorrufen, daß wir den Druck, der aufdie Luft in dem linken Glasrohr ausgeübt wird, vergrößern. Das kön-nen wir dadurch erreichen, daß wir die rechte Röhre hier heben (Zeich-nung rechts). Indem wir diese gehoben haben, haben wir links hinzu-gefügt zu dem gewöhnlichen Atmosphärendruck noch jenen Druck,der von der erhöhten Quecksilbersäule herrührt. Also einfach das Ge-wicht der Quecksilbersäule von hier (a) bis hierher (b) habe ich hinzu-gefügt. Dadurch aber, daß wir auf diese Weise den Druck, der auf dieseLuft hier ausgeübt wird, vermehrt haben um jenen Druck, der ent-spricht dem Gewicht dieser Quecksilbersäule, ist, wie wir sehen, derRauminhalt, das Volumen, wie man es nennt, in der anderen Glas-röhre ein kleinerer geworden, so daß wir sagen können: Wenn wirauf ein Gas einen erhöhten Druck ausüben, so nimmt sein Volumen,sein Rauminhalt ab. Dieses müssen wir als eine weitere Erscheinungfesthalten, müssen festhalten, daß Rauminhalt und auf das Gas ausge-übter Druck sich in einem umgekehrten Verhältnis zueinander ver-halten. Je größer der Druck, desto geringer der Rauminhalt; je größerder Rauminhalt wird, desto geringer muß der Druck sein, der auf dasGas ausgeübt wird. Wir können aus dieser Erscheinung die Gleichungableiten, daß sich der Rauminhalt Vx zu dem Rauminhalt V2 verhältwie umgekehrt der Druck P2 zum Druck P1

woraus folgt:

Daraus ergibt sich also als ein relativ allgemeines Gesetz - wir können

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ja immer nur von relativen Gesetzen sprechen, bei späteren Betrach-tungen werden wir dann sehen warum -, daraus ergibt sich für den Zu-sammenhang zwischen Volumen und Druck bei Gasen, daß das Pro-dukt aus dem Volumen und aus dem Druck für Gase konstant bleibt,wenn wir die Wärme dieselbe sein lassen. Solche Erscheinungen müssen,wie gesagt, zusammengestellt werden, um uns dem Wesen der Wärmezu nähern. Weil wir ja durch unsere Betrachtungen zugleich auch eineGrundlage für die pädagogische Behandlung in der Schule schaffenwollen, andererseits uns Erkenntnisse verschaffen wollen, handelt essich darum, daß wir auf der einen Seite kennen die Denkweise der ge-genwärtigen Physik und auf der anderen Seite uns bekanntmachen mitdem, was zu geschehen hat, damit man aus verschiedenen, ich könntesagen, Hindernissen herauskommt, die in der gegenwärtigen Physikfür eine wirkliche Erkenntnis des Wärmewesens waltend sind.

Wenn Sie sich vergegenwärtigen, daß wir es zu tun gehabt habenim wesentlichen neben dem Wärmewesen mit Volumenausdehnung,mit Veränderung also des Raumes und mit Veränderung des Druckes,so müssen Sie sich sagen, es sind uns aufgetreten — ich muß nämlich,um unser Ziel zu erreichen, möglichst genau sprechen, was sonst ge-wöhnlich nicht geschieht auf diesem Gebiete - im Verlauf unserer Be-trachtung über das Wärmewesen mechanische Tatsachen: Raumände-rungen, Druckänderungen. Mechanische Tatsachen sind uns entgegen-getreten. Nun stand für die moderne Physikentwickelung diese Tat-sache da, daß auftrat, wenn man das Wärmewesen betrachtete, mecha-nisches Geschehen. Dieses mechanische Geschehen wurde gewissermaßenüberhaupt dasjenige, an dem man die Wärmeerscheinungen beobachtete.Das Wärme wesen läßt man gewissermaßen in der Sphäre des Unbekann-ten stehen, und man betrachtet im wesentlichen die mechanischen Vor-gänge, die unter dem Einfluß des Wärmewesens sich abspielen. Man be-trachtet, indem man von der Wärmeempfindung als von etwas angeb-lich Subjektivem absieht, bei der Veränderung des Wärmezustandes -des Wärmeempfindens - die Ausdehnung, sagen wir des Quecksilbers,also etwas, das in das Gebiet der mechanischen Erscheinungen gehört.Man betrachtet dann die Abhängigkeit des Wärmezustandes, sagen wireines Gases, von den Druckverhältnissen, was wir noch weiter verfol-

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gen werden, und haben es da wieder zu tun damit, daß man eigentlichetwas Mechanisches betrachtet und das Wärmewesen gewissermaßenlinks liegen läßt. Wir haben gestern gesehen, daß es eigentlich einenguten Grund hat, warum dieses Wärmewesen links liegen gelassen wor-den ist. Denn wir haben gesehen, wie dieses Wärmewesen in dem Au-genblick, wo wir es in die Rechnung einführen, den gewöhnlichen Rech-nungen Schwierigkeiten macht, wie wir zum Beispiel eine dritte Po-tenz der Temperatur gar nicht in derselben Weise behandeln könnenwie eine gewöhnliche dritte Raumpotenz. Und da die landläufige Wär-melehre mit den Potenzen der Temperatur nichts hat anfangen können,hat sie in der Ausdehnungsformel, wie ich Ihnen ja auch in den frühe-ren Betrachtungen gesagt habe, die zweite und dritte Potenz der Tem-peratur einfach gestrichen.

Nun brauchen Sie sich aber nur zu überlegen, daß uns ja in derSphäre der äußeren Natur der Wärmezustand immer entgegentritt anäußeren mechanischen Vorgängen, vor allen Dingen an Raumvorgän-gen. Die Raumvorgänge sind schon da. An den Raumvorgängen er-scheint dann die Wärme. Das bedingt, daß wir, durch diese einfacheÜberlegung gezwungen, die Wärme so behandeln müssen, wie wir be-handeln jene Raumlinie, die uns aus der ersten Potenz einer Ausdeh-nung in die zweite Potenz der Ausdehnung führt. Wenn wir die erstePotenz der Ausdehnung, die Linie, betrachten, und wir wollen zurzweiten Potenz in der Betrachtung übergehen, so müssen wir aus derLinie hinausgehen. Wir müssen also zu der einen Dimension die andere

hinzufügen, wir müssen irgendwie aus der ersten Potenz in die zweiteübergehen. Wir müssen uns die Richtlinie der zweiten Potenz ganz an-ders denken, als wir uns die der ersten Potenz denken. Genau dasselbeaber müssen wir machen, wenn wir einen Temperaturzustand betrach-

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ten. Gewissermaßen ist die erste Potenz da in der Ausdehnung. DieVeränderung der Temperatur ist etwas, was im Verhältnis zur Ausdeh-nung so erscheint, wie hier die zweite Richtlinie zur ersten Richtlinieerscheint. Ich kann auch gar nicht anders, als die Zeichnung so machen,daß ich, indem ich zur Ausdehnung die Temperaturänderung hinzu-füge, zu der Abszissenlinie die Ordinatenlinie hinzufüge. Das aber be-dingt, daß wir genötigt sind, alles dasjenige, was aus dem Wärmewesenheraus auftritt, also die Temperaturänderung, nicht als erste Potenz zubehandeln, sondern schon von vornherein als zweite Potenz, und diezweite als eine dritte. Und wenn wir die dritte Potenz der Temperaturhaben, so können wir nicht mehr in unserem gewöhnlichen Raum drin-nen bleiben. Eine einfache Überlegung, die allerdings durch etwas sub-tile Begriffe angestellt werden muß, zeigt Ihnen, daß es unmöglichist, wenn wir die im Raum, also in der dritten Dimension, waltendeWärme betrachten, zu bleiben bei der dritten Dimension des Raumes.Sie zeigt Ihnen, daß in dem Augenblick, wo wir es mit den drei Dimen-sionen des Raumes zu tun haben, wir genötigt sind, wenn wir die Wär-mewirkung betrachten, aus dem Räume selber hinauszugehen.

Nun macht sich ja die moderne Physik zur Aufgabe, behufs Erklä-rung der Erscheinungen innerhalb des dreidimensionalen Raumes zubleiben. Und indem sie sich diese Aufgabe setzt, muß sie, da man in-nerhalb des dreidimensionalen Raumes das Wesen der Wärme nichtfinden kann, an dem Wärmewesen vorübergehen. Sie kann das Wär-mewesen nur durch seine Äußerungen im dreidimensionalen Raum er-fassen.

Sehen Sie, hier liegt ein sehr wichtiger Punkt, wo gewissermaßenschon innerhalb der unorganischen Naturerscheinungen, der physikali-schen Erscheinungen, eine Art Rubikon zu einer höheren Weltanschau-ung überschritten werden muß. Und man muß schon sagen: Weil sowenig der Versuch gemacht wird, hier an diesen Punkten zu einerKlarheit zu kommen, deshalb herrscht auch diese Klarheit so wenigauf dem Gebiete unserer höheren Weltanschauung. Denken Sie sich nureinmal, wenn die Physiker ihren Studenten beibringen würden, daßman einfach aus den gewöhnlichen Raumverhältnissen, in denen sichdie mechanischen Vorgänge abspielen, herauskommen muß, indem man

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die Wärmeerscheinungen beobachtet, dann würden diese Lehrer derPhysik hervorrufen bei denjenigen Menschen, die als erkennende Men-schen gelten, weil sie so etwas wie Physik sich angeeignet haben, sie wür-den die Vorstellung bei ihnen hervorrufen, daß man schon nicht in Wirk-lichkeit Physik kennenlernen kann, ohne aus dem dreidimensionalenRaum hinauszukommen. Und dann würde es viel leichter sein, einehöhere Weltanschauung zu begründen vor den Menschen der Welt.Denn diese Menschen der Welt würden sagen, selbst wenn sie nichtPhysik gelernt haben: Wir können das zwar nicht beurteilen, aber die-jenigen, die Physik gelernt haben, die wissen, daß man zunächst durchdie Physik von dem Raum zu anderen Verhältnissen aufsteigen mußals denjenigen, die sich im Raum selber abspielen können. Daher hängtauch so sehr viel daran, daß wir in der Physik solche Verhältnisse be-kommen, wie sie hier in diesen Betrachtungen werden versucht wer-den. Es würde sich sonst immer das herausstellen, daß auf der einenSeite versucht würde, in der populären Welt eine auf geistigen Grund-lagen fußende Weltanschauung zu verbreiten, daß dann aber die Phy-siker geltend machen würden: Wir erklären alle Erscheinungen durchrein mechanische Vorgänge. - Das führt dazu, daß die Menschen dannsagen: Ja, im Räume sind überhaupt nur mechanische Vorgänge; Le-ben muß auch mechanischer Vorgang sein, Seelenvorgänge müssenauch nur mechanische Vorgänge sein, Geistesvorgänge auch. - Die«strenge Wissenschaft» will nichts wissen von irgendwelchen geistigenGrundlagen der Welt. Und die «strenge Wissenschaft» wirkt als einebesonders intensive Autorität aus dem Grunde, weil die Leute sienicht kennen. Denn dasjenige, was man kennt, das beurteilt man ge-wöhnlich und läßt sich von ihm nicht eine autoritative Gewalt auf-zwingen. Dasjenige, was man nicht kennt, dem verfällt man gewöhn-lich als der Autorität. Würde mehr getan werden zur Popularisierungder sogenannten «strengen exakten Wissenschaft», dann würde dieautoritative Gewalt gewisser Leute, die hinter Mauern im Besitz dieser«exakten Wissenschaft» sind, wesentlich schwinden.

Es hat sich nun im Laufe des 19. Jahrhunderts hinzugefügt zu denTatsachen, die wir schon beobachtet haben, eben noch die andere,die ich auch schon angedeutet habe, die darin besteht, daß man nicht

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nur mechanische Vorgänge auftreten sieht im Verlauf der Vorgängemit dem Wärmewesen, sondern daß man auch zunächst Wärme über-führen kann in mechanische Vorgänge, was Sie ja sehen bei der ge-wöhnlichen Dampfmaschine, wo erhitzt wird und der mechanischeVorgang der Fortbewegung eintritt; daß man umgekehrt mechanischeVorgänge, Reibung und dergleichen wiederum überführen kann inWärme, indem dasjenige, was der mechanische Vorgang ist, bewirkt,wie man sagt, das Auftreten von Wärme. So daß man also Wärme-vorgänge und mechanische Vorgänge ineinander umwandeln kann.Wir wollen heute die Sache zunächst einmal vorläufig, präliminarischbetrachten und dann auf einzelne Erscheinungen eingehen, die in die-ses Gebiet gehören.

Man hat dann auch des weiteren gefunden, daß nicht nur Wärme-vorgänge, sondern auch elektrische Vorgänge, Vorgänge, die in dasGebiet der Chemie gehören, sich umwandeln lassen in mechanischeVorgänge. Und daraus hat sich dasjenige entwickelt, was man gewohntworden ist im Laufe des 19. Jahrhunderts eben die mechanische Wärme-theorie zu nennen. Diese mechanische Wärmetheorie hat also zunächstals ihre erste Grundlage: Wärme und mechanische Leistung, sagen wir,können ineinander umgewandelt werden. Nun müssen wir zunächsteinmal uns dieses Urteil etwas näher ansehen. Ich kann Sie wirklichnicht davon befreien, Sie auf die elementaren Bestandteile der Urteilezu führen, welche in das Gebiet der Physik gehören. Würden wir ge-rade bei diesen entscheidenden Betrachtungen uns nicht darauf ein-lassen, die elementaren Urteilsbestände aufzusuchen, so würden wirüberhaupt verzichten müssen, gerade im Gebiet des Wärmewesens, dasein entscheidendes ist, irgendeine Klarheit hervorzurufen. Wir müssendaher schon die Frage auf werfen: Was heißt es denn überhaupt, wennich irgendwo aufzeige, daß Wärme, die ich hervorrufe wie in derDampfmaschine, äußere Bewegung, also äußere mechanische Arbeiterzeugt? Was heißt das, wenn ich es umwandle in das Urteil: DurchWärme ist äußere mechanische Arbeit geleistet worden? Unterscheidenwir einmal klar dasjenige, was wir als Tatsachen konstatierbar haben,und dasjenige, was wir dann als ein Urteil an diese Tatsachen ange-fügt haben. Wir haben konstatiert, daß sich ein Vorgang, der sich als

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ein Wärmevorgang zeigt, hinterher offenbart durch einen Arbeitsvor-gang, durch einen mechanischen Vorgang. Nun wurde daran das Ur-teil gefügt, der Wärmevorgang, die Wärme als solche, habe sich um-gewandelt in den mechanischen Vorgang, in die mechanische Arbeits-leistung.

Ja, wenn ich in dieses Zimmer hereintrete und in diesem Zimmerirgendeine Temperatur finde, die mir behaglich ist, so trete ich hereinund sage mir innerlich, vielleicht ganz unbewußt, ohne daß ich mirdas selbst ausspreche: In diesem Zimmer ist es mir behaglich. Ich setzemich hin an den Schreibtisch und schreibe irgend etwas. Das ist ent-standen im Gefolge desjenigen, was vorher geschehen ist - ich bin indas Zimmer getreten, der Wärmezustand hat auf mich gewirkt. Hin-terher ist das entstanden, was ich niedergeschrieben habe. Ich könnteIhnen in einer gewissen Weise ja sagen: Nun, wenn ich hier Keller-wärme gefunden hätte, so hätte ich mich aus dem Staube gemacht undhätte nicht diese Arbeit vollzogen, die Arbeit des Niederschreibens des-sen, was dann herausgekommen ist. Wenn ich nun an diese Tatsachedas Urteil anfüge: Die Wärme, die mir zugeführt worden ist, hat sichin die Arbeit, die hinterher sichtbar geworden ist, verwandelt —, dannhabe ich offenbar in meinem Urteilsbestand etwas ausgelassen. Allesdasjenige, was ich nur durch mich vollziehen konnte, habe ich ausge-lassen. Ich muß aber alles das, was ich ausgelassen habe, wenn ich einetotale Wirklichkeit ins Urteil hereinbekommen will, aufnehmen. DieFrage entsteht nun: Wenn in der ganzen äquivalenten TatsachenfolgeWärme vorhanden ist, die ich hervorgerufen habe wie in der Dampf-kesselheizung, und nachher Arbeit entsteht, die Fortbewegung der Lo-komotive, und ich einfach sage, es habe sich die Warme in Arbeit ver-wandelt, habe ich nicht vielleicht da denselben Fehler gemacht wieden, den ich mache, wenn ich in dem vorhergehenden Urteil einfachspreche von der Verwandlung des Wärmezustandes in die Wirkung,die aber nur dadurch eingetreten ist, daß ich selbst mich eingeschaltethabe? Es ist scheinbar vielleicht sogar trivial, auf eine solche Sacheaufmerksam zu machen, aber diese Trivialität wird gerade in der gan-zen mechanischen Wärmetheorie übersehen, vergessen. Und daraufkommt außerordentlich viel an. Darauf kommt es an, daß man zwei

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Dinge miteinander verbindet, das erste, daß in dem Augenblick, woman aus der Sphäre der mechanischen Vorgänge übertritt in die Sphäre,wo Wärme wirkt, man überhaupt den dreidimensionalen Raum ver-lassen muß. Und zweitens, daß man also einfach, indem man die äuße-ren Naturerscheinungen beobachtet, dasjenige vielleicht nicht hat, wasman in dem Fall als Einschiebsel hat, wenn sich Wärme in mein Schreib-produkt verwandelt. Wenn sich Wärme in mein Schreibprodukt ver-wandelt, dann kann ich an meiner äußeren leiblichen Offenbarung be-obachten, daß sich etwas eingeschaltet hat. Wenn ich aber einfach derTatsache gegenüberstehe, daß ich den dreidimensionalen Raum ver-lassen muß, sofern sich mir Wärme in äußere Leistung verwandelt, sokann ich doch sagen: Vielleicht das Wichtigste, was zu dieser Umwand-lung führt, vollzieht sich außerhalb des dreidimensionalen Raumes.Dasjenige, was dem entsprechen würde, daß ich mich einschalte, voll-zieht sich außerhalb des dreidimensionalen Raumes. Und ich begehedieselbe Oberflächlichkeit, wenn ich einfach von der Umwandlung derWärme in mechanische Arbeit rede, wie ich sie begehe, wenn ich vonder Umwandlung der Wärme in mein Schreibprodukt rede und dabeivergesse, daß ich selber eingeschaltet bin.

Das hat aber eine sehr bedeutende, universelle Konsequenz, dennes nötigt mich dazu, daß ich mich bei der äußeren Natur auch in ihrenleblosen, in ihren unorganischen Erscheinungen geführt denke in einWesen, das sich selbst nicht innerhalb des dreidimensionalen Raumesausdrückt, das gewissermaßen waltet hinter dem dreidimensionalenRaum. Und dieses ist ein Entscheidendes in bezug auf die Beobachtungdes Wärmewesens selber.

Wir können jetzt, indem wir dieses als Elementarbestandteil desUrteils im Wärmegebiet aufgewiesen haben, ein wenig wiederum zu-rückblicken auf das, was wir schon angedeutet haben: auf des Men-schen eigenes Verhältnis zum Wärmewesen. Wir können vergleichenandere Wahrnehmungssphären mit der Wahrnehmungssphäre des Wär-mewesens. Ich habe schon darauf hingewiesen, daß, indem wir zumBeispiel Licht wahrnehmen, wir diese Wahrnehmung des Lichtes undder Farbe gebunden sehen an abgesonderte Organe, die einfach in un-seren Organismus hineingelegt sind, so daß wir nicht davon sprechen

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können, daß wir mit unserem ganzen Organismus gegenüberstehendem Farben- beziehungsweise Lichtwesen, sondern daß wir nur miteinem Teil unseres Organismus dem Licht- oder Farbenwesen gegen-überstehen. Ebenso ist es bei den akustischen, bei den Tonerscheinun-gen. Wir stehen mit einem Teil, mit den Gehörorganen, dem Tonwesengegenüber. Dem Wärmewesen stehen wir gegenüber mit unserem gan-zen Organismus. Dadurch ist aber unser Verhältnis zum Wärmewesenbedingt. Und wenn wir genauer zusehen, wenn wir versuchen, dieseTatsache, ich möchte sagen, in Menschenerkenntnis umzuwandeln, somüssen wir sagen: Wir sind eigentlich dieses Wärmewesen ja selbst.Insofern wir hier im Räume als Mensch wandeln, sind wir dieses Wär-mewesen ja selbst. In dem Augenblick, wo Sie sich die Temperatur umein paar hundert Grade erhöht denken würden, würden Sie nichtidentisch sein können mit dem Temperaturzustand, ebensowenig wennSie sich die Temperatur um hundert Grade vertieft denken. So gehörtdas Wärmewesen zu dem, in dem wir stets drinnenstehen, das wir alsselbstverständliches Wesen erleben, das wir aber nicht ins Bewußtseinhereinnehmen. Nur wenn Abweichungen vom normalen Zustand ein-treten, werden sie uns in irgendeiner Form bewußt.

Nun kann, angeknüpft an diese Tatsache, eine zweite beobachtetwerden. Das ist diese: Wenn Sie irgendwie an einen erwärmten Gegen-stand herantreten und den Wärmezustand mit Ihrem Organismus be-obachten - Sie können es tun mit der Fingerspitze, auch mit der Zehen-spitze, Sie können es tun an einem anderen Ort Ihres Organismus, mei-netwillen mit dem Ohrläppchen; gewissermaßen mit dem ganzen Or-ganismus können Sie den Wärmezustand wahrnehmen. Aber Sie kön-nen noch etwas anderes mit Ihrem ganzen Organismus wahrnehmen.Sie können das wahrnehmen, was auf Ihren Organismus drückt. Undda sind Sie wiederum nicht gebunden im strengen Sinne, so wie zumBeispiel bei der Farbenwahrnehmung an das Auge, an ein bestimmtesGlied Ihres Organismus. Es wäre ja sehr angenehm, wenn wenigstenszum Beispiel der Kopf ausgenommen wäre von dieser Druckwahrneh-mung. Wir könnten ihn dann nicht in unbehaglicher Weise anschlagenund die Folgen davon tragen müssen. Wir können sagen: Es bestehteine innige Verwandtschaft in der Art unseres Verhältnisses zur Außen-

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weit zwischen den Wärmeempfindungen und den Druckempfindun-gen. Wir haben heute gesprochen von Druckverhältnissen im Ver-hältnis zur Volumenänderung. Wir kommen jetzt zurück auf unsereneigenen Organismus und finden die Wärmeverhältnisse in einer innigenVerwandtschaft mit den Druckverhältnissen. Solch eine Tatsache müs-sen wir auch zur Begründung des Folgenden durchaus ins Auge fassen.

Aber es gibt noch etwas anderes, was wir unseren folgenden Be-trachtungen vorausschicken müssen. Sie wissen, gerade in den ge-bräuchlichen Handbüchern über physikalische, physiologische Vor-gänge wird eigentlich recht viel Wesens davon gemacht, daß wir be-stimmte Organe haben, oder uns selbst haben zur Wahrnehmung dergewöhnlichen Sinnesqualitäten. Wir haben das Auge für die Farbe,das Ohr für den Ton, das Geschmacksorgan für gewisse chemischeVorgänge und so weiter; wir haben verteilt über unseren ganzen Or-ganismus gewissermaßen das einheitliche Wärmeorgan, aber auch daseinheitliche Druckorgan. Nun wird gewöhnlich darauf aufmerksamgemacht, daß aber auch noch anderes wahrgenommen wird, wofürwir, wie man nun sagt, keine Organe haben: Magnetismus, Elektrizität,die wir nur in ihren Wirkungen wahrnehmen, die gewissermaßen drau-ßen stehenbleiben, die wir nicht unmittelbar wahrnehmen. Man sagtdann wohl auch: Wenn unser Auge nicht lichtempfindlich, sondernelektrizitätsempfindlich wäre, so würde es, wenn es hinschaut aufeinen Telegraphendraht, die strömende Elektrizität drinnen wahrneh-men. Es würde die Elektrizität nicht bloß in Wirkungen, sondern sowie die Farben- und Lichtvorgänge unmittelbar wahrnehmen. Daskönnen wir nicht. Wir können also nur sagen: Elektrizität zum Bei-spiel ist etwas, wofür wir zur unmittelbaren Wahrnehmung keine Or-gane haben. Es gibt also Naturqualitäten, zu deren Wahrnehmung wirOrgane haben, und Naturqualitäten, zu deren Wahrnehmung wir keineOrgane haben. - So sagt man.

Nun handelt es sich darum, ob sich nicht vielleicht für den, deretwas unbefangener die Erscheinungen betrachtet als diejenigen, diezu diesem Urteil kommen, doch noch etwas anderes ergibt. Sie wissenja alle, wie innig zusammenhängt dasjenige, was wir unsere gewöhn-lichen passiven Vorstellungen nennen, durch die wir die Welt wahr-

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nehmen, mit den Eindrücken des Auges, des Ohres, weniger schon zu-sammenhängt mit dem, was wir durch Geschmack und Geruch wahr-nehmen. Versuchen Sie nur einmal, rein aus dem Sprachbestand her-aus, sich die Summe Ihres höheren Vorstellungslebens einmal zu zie-hen, so werden Sie sehen, daß man noch in den Worten, die wir zurRepräsentierung unserer Begriffe brauchen, überall die Reste der hö-heren Sinnesqualitäten wahrnehmen kann. Sogar wenn wir das sehrabstrakte Wort «Sein» aussprechen, so hängt seine Bildung zusammenmit «Ich habe gesehen». Ich nenne dasjenige das Seiende, was ist, wasich gesehen habe. Im «Sein» steckt noch das «Gesehenhaben» drinnen.Und ohne daß man dabei in den Materialismus verfällt - wir werdensehen, aus welchem Grunde man ihm nicht zu verfallen braucht -,kann man sagen, daß unsere Vorstellungswelt eigentlich eine Art Fil-trieren des Sehens und Hörens, schon weniger des Riechens undSchmeckens ist, denn weniger solche Sinnes Wahrnehmungen stecken inunserer Vorstellungswelt drinnen. Dadurch, daß unser Bewußtseininnig zusammen ist mit diesen unseren höheren Sinnesqualitäten, nimmtauch unser Bewußtsein dieses passive höhere Vorstellungswesen auf.

Allein, wir haben innerhalb unseres Seelenwesens von der anderenSeite her auch unseren Willen, und Sie werden sich erinnern, wie oftich gerade in den anthroposophischen Vorträgen betont habe, daßdem Willen gegenüber der Mensch eigentlich schläft. Er wacht imGrunde genommen nur im Gebiete seiner höheren passiven Vorstellun-gen. Was Sie wollen, nehmen Sie ja auch nur durch diese Vorstellun-gen wahr. Sie haben die Vorstellung: Ich hebe dieses Glas auf. Ja, wasdarin Vorstellungsbestandteile sind, das ist durchaus etwas, worin dieReste der Außenwahrnehmungen sind. Sie stellen sich etwas vor, wasdurchaus in das Gebiet der Sichtbarkeit gehört. Auch wenn Sie es den-ken, haben Sie das Nachbild des Sichtbaren. Solch ein Nachbild inunmittelbarer Art können Sie sich nicht verschaffen von dem eigent-lichen Willensvorgang, von dem, was nun geschieht, indem Sie denArm ausstrecken, mit der Hand das Glas umfassen, es heben. Das istein vollständig im Unbewußten bleibender Vorgang, was sich da ab-spielt zwischen Bewußtsein und feineren Vorgängen in dem Arm. Dasbleibt so unbewußt, wie uns die Schlafzustände, in die wir verfallen

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vom Einschlafen bis zum Aufwachen, unbewußt bleiben. Aber kannman denn leugnen, daß diese Vorgänge, wenn wir sie auch nicht wahr-nehmen, doch da sind? Diese Vorgänge müssen doch innig verbundensein mit unserem Menschenwesen, denn wir sind es doch, die das Glasheben. Wir werden also im Gebiet unseres Menschenwesens geführtvon dem, was unmittelbar im Bewußtsein lebt, zu den Willensvorgän-gen, die gewissermaßen aus dem gewöhnlichen Gebiet des Bewußtseinsherausragen. Nehmen wir an, alles das, was über dieser Linie liegt, sei

im Gebiete des Bewußtseins. Was unterhalb liegt, also in die Willens-vorgänge sich einsenkt, sei außerhalb des Bewußtseins. Gehen wir nunvon da ab zum Gebiet der äußeren Naturerscheinungen: Wir findenunser Auge innig verbunden mit den Farbenerscheinungen, etwas, waswir im Bewußtsein überschauen; wir finden unser Ohr verbunden mitden Tonerscheinungen, etwas, was wir mit dem Bewußtsein über-schauen. Dunkel, aber immerhin noch für das Bewußtsein traumhaftüberschaubar, ist Schmecken und Riechen. Wir haben wieder etwas,was durchaus in das Gebiet des Bewußten hereingehört, aber mit derAußenwelt sich innig berührt.

Indem wir aber übergehen zu magnetischen und elektrischen Er-scheinungen, entzieht sich uns dasjenige, was in Elektrizität und Ma-gnetismus und so weiter lebt, demjenigen, was wir überschauen in un-

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mittelbarem Zusammenhang unserer Organe mit der Natur. Es ent-zieht sich uns. Da sagen eben die Physiker, die Physiologen: Wir habendafür keine Organe, das kann nur äußerlich wahrgenommen werden,es sondert sich von uns ab, es ist da draußen (siehe Zeichnung, oben). -Wir haben also ein Gebiet, dem wir uns nähern, wenn wir nach derAußenwelt hingehen. Da haben wir Lichterscheinungen, Wärme-erscheinungen. Die Elektrizitätserscheinungen, wo entschlüpfen sie unsdenn? Wir spüren nicht mehr den Zusammenhang mit den Organen.Wir haben in uns, indem wir Licht- und Tonerscheinungen verarbei-ten, filtrierte Abdrücke in unserem Vorstellen. Wenn wir aber da hin-untergehen (unten, rot), entschlüpft unser eigenes Wesen uns in denWillen hinein.

Ich werde jetzt etwas Paradoxes sagen, aber denken Sie es durchbis morgen. Denken Sie, wir wären nicht lebendige Menschen, sondernlebendige Regenbögen, und wir würden mit unserem Bewußtsein ge-rade sitzen im grünen Teil des Regenbogens, des Spektrums. Wir wür-den mit unserem Unbewußten angrenzen auf der einen Seite an dasBlauviolett des Regenbogens, das würde uns entschwinden nach dereinen Seite hin wie die Elektrizität; nach der anderen Seite würdenwir angrenzen an Gelb und Rot, das würde uns entschwinden, wie nachinnen unser Wille. Wenn wir Regenbögen wären, würden wir Grünnicht wahrnehmen, so wie wir das, was wir unmittelbar sind, nichtwahrnehmen unmittelbar; wir erleben es. Wir würden aber angrenzen,indem wir hier gewissermaßen aus dem Grün herausgehend ins Gelbübergehen, an das eigene Innere. Wir würden sagen: Ich, Regenbogen,nähere mich meiner Röte, die ich aber als Inneres nicht mehr wahr-nehme; ich, Regenbogen, nähere mich meinem Blauviolett, was sich miraber entzieht. Ich bin da mitten drinnen. - Wären wir also denkende,lebendige Regenbögen, so würden wir so im Grün drinnensitzen undauf der einen Seite den blauvioletten Pol haben, auf der anderen Seiteden rotgelben Pol, wie wir jetzt als Menschen mit unserem Bewußt-sein irgendwo sitzen, auf der einen Seite die Naturqualitäten haben,die sich uns so entziehen wie Magnetismus und Elektrizität, auf deranderen Seite die inneren Qualitäten, die sich uns so entziehen wiedie Willenserscheinungen.

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F Ü N F T E R VORTRAG

Stuttgart, 5. März 1920

Ich hätte Ihnen gerne heute noch einige Versuche vorgeführt, die jeneTatsachenreihe ergänzen würden, die wir brauchen zu unserem Ziel,allein es ist das heute noch nicht möglich, und ich muß daher den Vor-trag etwas anders einrichten, als ich es beabsichtigt hatte, zum Teil,weil es uns nicht gelungen ist, die Apparate in den nötigen Zustandzu versetzen, dann auch, weil man keinen Alkohol bekommen konnte,wie es uns ja auch gestern an Eis fehlte.

So werde ich im wesentlichen in jener Betrachtung fortfahren, mitder ich gestern begonnen habe. Sie brauchen nur einen Blick zurück-zuwerfen auf alle diejenigen Tatsachen, die wir uns vor Augen gestellthaben zum Zwecke eines Überblickes über das Verhalten verschiede-ner Körper zu dem Wärmew.esen, und Sie werden sehen, daß gewissetypische Erscheinungen uns eben entgegentreten so, daß wir sagen kön-nen: Es besteht ein Ausdruck in diesen Erscheinungen, der zusammen-hängen muß mit dem zunächst uns unbekannten Wärmewesen, mitseinem Verhältnis zum Druck, der auf irgendeinen Körper ausgeübtwerden kann, auch zur Gestaltungsfähigkeit, die ein fester Körper zumBeispiel annehmen kann, und eben zum Wärmegrad, zum Wärmezu-stand, ebenso zur Größe des Rauminhaltes, zum Volumen. Wir könnenja verfolgen, wie auf der einen Seite feste Körper sich verflüssigen.Wir können sehen, wie während der Verflüssigung des festen Körperseine Temperaturerhöhung äußerlich durch Thermometer oder Tempe-raturmesser nicht zu konstatieren ist, so daß gewissermaßen die Wär-mezunahme stillsteht, bis die Verflüssigung zu Ende ist. Wenn wir esdann mit einer Flüssigkeit zu tun haben, dehnt sich diese wieder weiteraus unter der Wärmezunahme.' Wir können andererseits sehen, wie einflüssiger Körper sich in Dampf oder Gas verwandelt und wie diesel-ben Erscheinungen gewissermaßen des Verschwindens und Wiederauf-tretens der Temperatursteigerung eintreten, wenn der ganze Körperin den gasigen Zustand übergegangen ist. Wir haben da - Sie können essich ja selbst vor Augen führen, was damit zusammenhängt - eine Tat-

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sachenreihe, die wir gewissermaßen mit den Augen, den Sinnen undmit den Instrumenten verfolgen können. Dann haben wir gestern auf-merksam gemacht auf gewisse innere Erlebnisse, die der Mensch selberunter dem Einfluß des Wärmewesens macht, die er aber auch machtunter dem Einfluß anderer Sinnesqualitäten, wie des Lichtes, des To-nes, die er hat an solchen äußeren Vorgängen, wie Magnetismus undElektrizität, die es nicht bis zu einer wirklichen Sinnesempfindung,wenigstens unmittelbar, bringen, weil, wie die gebräuchliche Physiksagt, dazu bei dem Menschen keine Organe vorhanden sind. Wir sehenja das, was Elektrizitätswirkungen, was magnetische Wirkungen sind,nur mittelbar, indem wir konstatieren, wie die magnetischen Körperandere Körper anziehen, und wir sehen bei den Elektrizitätsvorgän-gen die verschiedensten Wirkungen. Allein, ein unmittelbares Wahr-nehmungsvermögen, wie wir es für Licht und Ton haben, haben wir fürElektrizität und Magnetismus nicht.

Wir haben uns dann besonders vor Augen geführt und müssen be-sonders festhalten, daß ja unsere eigentlichen passiven Vorstellungen,durch die wir uns erkennend die Welt vergegenwärtigen, eigentlichdestillierte höhere Sinneswahrnehmungen sind. Sie werden überall se-hen, wo Sie prüfen, daß Sie solche höheren Vorstellungen haben. Siewerden sehen, wie schließlich doch - ich habe das gestern sogar fürden Seinsbegriff erwähnt - Ihre höheren Vorstellungen hinterher de-stillierte Wahrnehmungen der höheren Sinne sind. Sie können nochanklingen hören Töne in den Bezeichnungen, die wir haben in den hö-heren Vorstellungen, Sie können überall noch durchscheinen sehen, wasdiese Vorstellungen vom Licht her haben. Nur bei einer ganz bestimm-ten Reihe von Vorstellungen können Sie das nicht, wie Sie das sehrbald bemerken werden. Sie können es nicht bei den eigentlich mathe-matischen Vorstellungen. Bei diesen mathematischen Vorstellungen -ich meine, insofern es bei ihnen auf Mathematisches ankommt — ist einZurückführen auf irgend etwas Tonliches oder Sichtbares nicht vor-handen. Wir dürfen dabei natürlich keine Verwechslung begehen. DerMensch wird sofort an Tonliches erinnert, wenn er von Schwingungs-zahlen der Tonwellen redet. Das meine ich hiermit natürlich nicht. Ichmeine alles dasjenige, was man an mathematischen Vorstellungen ge-

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winnt und was rein mathematisch ist, also zum Beispiel den Inhalt despythagoreischen Lehrsatzes, oder daß die Summe der Winkel einesDreiecks 180° ist, oder daß das Ganze größer ist als seine Teile undso weiter. Dasjenige, was diesen rein mathematischen Vorstellungenzugrunde liegt, das führt nämlich zuletzt nicht zurück auf Gesehenesoder Gehörtes, sondern das führt, wenn man es letztlich verfolgt, ei-gentlich zurück auf Willensimpulse in uns, so sonderbar das zunächsterscheint. Sie werden überall sehen, wenn Sie sich wirklich aneigneneine Art Psychologie dieser Dinge, daß Menschen, wenn sie ein Drei-eck zeichnen - das äußere Dreieck ist ja nur eine Versinnlichung -, daßsie in der Vorstellung, die sie gewinnen, die dreifach um die Ecke ge-gangene Entfaltung ihres Willens vorstellen, eine dreifach um die Eckegegangene Entfaltung durch die Handbewegung oder durch das Ge-hen, durch das Sich-Wenden. Das, was Sie da als Willensvorstellungendrinnen haben, das tragen Sie in Wirklichkeit in ganz rein mathemati-sche Vorstellungen hinein. Das ist ja der eigentliche Unterschied zwi-schen den anderen Vorstellungen und den mathematischen Vorstellun-gen, jener Unterschied, der zum Beispiel Kant oder anderen Philoso-phen so viel Kopfzerbrechens macht. Sie können unterscheiden dasinnerlich Zwingende der mathematischen Vorstellungen von dem bloßEmpirischen, dem Nichtzwingenden der anderen Vorstellungen. Die-ser Unterschied rührt davon her, daß die mathematischen Vorstellun-gen so eng gebunden sind an uns selbst, daß wir unser Willenswesen insie hineintragen und nur das, was wir innerhalb der Willenssphäre er-fahren, in die mathematischen Operationen hineinlegen. Deshalb er-scheinen die Ergebnisse uns so gewiß. Und was wir nicht so eng mituns verbunden fühlen, sondern nur dadurch fühlen, daß ein Organ ein-gelagert ist an einer Stelle, das erscheint uns ungewiß und empirisch.Das ist der wirkliche Unterschied. Nun muß ich Sie darauf aufmerk-sam machen, daß, wenn wir in diese Willenssphäre hinuntergehen, woheraufdämmert in der Abstraktheit die Summe unseres rein mathema-tischen, geometrischen Vorstellens, wir in das Gebiet des Willens kom-men, der in seinem eigentlichen Verlauf, wie er in unseren Organenwaltet, uns innerlich so unbekannt ist, wie Elektrizität und Magne-tismus uns äußerlich unbekannt sind. Und ich habe das gestern zu ver-

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anschaulichen versucht dadurch, daß ich Sie aufforderte, sich vorzu-stellen, Sie wären ein lebendig denkender Regenbogen und würden inder Farbe des Grün Ihr Bewußtsein halten, daher das Grün nichtwahrnehmen, sondern nach beiden Seiten hin ins Unbekannte eintau-chen. Ich habe das Rot verglichen mit dem Eintauchen in die unbe-kannte Willenssphäre, und das Blauviolett mit dem Eintauchen nachaußen in die elektrische, magnetische und ähnliche Sphären.

Nun, ich schaltete hier an dieser Stelle unseres Kursus diese, ichmöchte sagen, psychologisch-physiologische Betrachtungsweise ein,weil es ganz wesentlich ist, daß bei allen zukünftigen physikalischenBetrachtungen das eigentlich Physikalische wiederum zurückgeführtwerde auf den Menschen. Es ist unmöglich, daß jene Konfusionen,welche die Physik heute aufweist, hinauskommen aus der Physik, wennwir nicht wiederum anknüpfen an den Menschen. Das werden wirbei der weiteren Verfolgung der Wärmeerscheinungen sehen. Aber dieseAnknüpfung an den Menschen ist, wenigstens dem heutigen Denken,nicht gar so leicht, und zwar aus dem Grunde, weil der Mensch heutewirklich nicht sehr gut die Brücke zu schlagen versteht zwischen dem,was er äußerlich in der Welt der Raumerscheinungen oder überhauptder äußeren Sinneserscheinungen wahrnimmt, und dem, was er inner-lich erlebt. Es ist heute ein solcher Dualismus vorhanden zwischenalledem, was wir uns als Wissen aneignen über die äußere Welt undalledem, was wir innerlich erleben, daß diese Brücke außerordentlichschwer zu schlagen ist. Aber sie muß gerade zum Heil der physika-lischen Wissenschaft geschlagen werden. Daher muß angeknüpft wer-den, mehr zur Veranschaulichung als zur Erklärung, an eine Erschei-nung im Menschen selbst, durch die sich wenigstens in etwas begreif-lich wird machen lassen, wie wir uns eigentlich bei der Betrachtungso schwerwiegender physikalischer Erscheinungen, wie denen des Wär-mewesens, zu verhalten haben. Ich möchte Sie da auf folgendes hin-weisen:

Nehmen Sie an, Sie lernen ein Gedicht auswendig. Sie werden, in-dem Sie dieses Gedicht auswendig lernen, zunächst nötig haben, sichdie Vorstellungen zu vergegenwärtigen, die diesem Gedicht zugrundeliegen, und Sie werden zunächst immer sehr versucht sein, während

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Sie das Gedicht dann rezitieren, diese Vorstellungen in sich ablaufenzu lassen. Aber Sie werden auch wissen, daß, je öfter Sie das Gedichtrezitieren, namentlich wenn ein Zeitraum dazwischen liegt, dann eineZeit kommt, wo Sie sich bis zu einem gewissen Grade ersparen, dieVorstellungen in derselben Intensität innerlich ablaufen zu lassen, wieSie sie zuerst haben ablaufen lassen. Und es kann — man verachtet dasja sehr, aber wir wollen es doch besprechen —, wenigstens in Annähe-rung, asymptotisch, möchte ich sagen, eine Zeit kommen, wo wir im-stande sind, ohne weiter nachzudenken, was das Gedicht enthält, eseinfach mechanisch herzusagen. Gewiß wir werden uns, weil wir jaMenschen sind, dieser Stufe des rein mechanischen Hersagens schonaus dem Gemütszustand nicht gern nähern wollen, aber wenigstensdenkbar ist es, daß wir es bis zu dieser Force bringen, daß wir garnicht mehr nachzudenken brauchen, sondern, wenn wir die erste Zeileanschlagen, läuft das Gedicht herunter, ohne daß wir viel nachden-ken. Verspüren Sie* daß das ein Endzustand ist, dem man sich nähert,wie sich die Asymptote der Hyperbel nähert. Das aber führt Sie dar-auf, daß, wenn wir ein Gedicht sprechen, wir es doch im Grunde ge-nommen mit dem Ineinanderlaufen zweier verschiedener Tätigkeitenunseres Organismus zu tun haben: mit einem mechanischen Ablaufengewisser Vorgänge unserer Organisation und mit dem Begleiten diesesmechanischen Ablaufens durch unsere seelischen Vorstellungen. Mitetwas also, von dem wir ganz gut sagen können, daß es als Mechanisch-Äußerliches im Räume abläuft, und auf der anderen Seite mit etwas,was als Seelisches sich ganz dem Wesen des Raumes entzieht.

Wenn Sie nun - in Gedanken können Sie das ja tun - auf dasjenige,was mechanisch, was physikalisch abläuft, bloß hinhören zum Beispielbei der Rezitation eines Gedichtes in einer Sprache, die Sie nicht ver-stehen, dann haben Sie einen mechanischen, einen physikalischen Ab-lauf. In dem Augenblick, wo Sie sich denken dasjenige, was innerlichbegleitet diesen mechanischen Ablauf, haben Sie ein Seelisches, welchesSie nicht zu den Raumerscheinungen dazubringen können. Sie könnennicht die Gedanken, mit denen der rezitierende Mensch seine Rezita-tion begleitet, in den Raum hinaus so versetzen, wie die mechanischenVorgänge des Sprachablaufes, des Wortablaufes.

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Ich mache Sie nun aufmerksam auf ein Analogon: Wenn wir ver-folgen die Erwärmung, die wir einem festen Körper zufügen, bis erzu seinem Schmelzpunkt kommt, wird die Temperatur immer höherund höher. Wir können das am Thermometer verfolgen, dann sehenwir, daß das Thermometer stehenbleibt, bis der Körper geschmolzenist. Wenn er geschmolzen ist, fängt das Thermometer wieder an zu stei-gen. Es ist ja unmöglich zunächst, zu verfolgen thermometergemäß,was mit dem Wärmewesen geschieht, während der Körper schmilzt.Ein Analogon besteht nun zwischen dem, was wir äußerlich verfolgenkönnen mit dem Thermometer, den äußeren physikalischen Vorgän-gen und dem, was wir an der Wortfolge verfolgen können physikalisch,und ein Analogon besteht zwischen dem, was sich uns entzieht, dem,was der Rezitierende in seiner Vorstellung erlebt, und dem, was mitdiesem Wärmewesen geschieht, während das Schmelzen vor sich geht.Sie sehen, hier haben wir ein Beispiel, wo wir wenigstens zunächst ana-log zurückführen können eine äußerliche Beobachtung auf etwas amMenschen. Wir haben nicht so naheliegende Beispiele für dieses Brük-kenschlagen bei anderen Gebieten der menschlichen Betätigung, wiebeim Sprechen, weil wir da beim Menschen auf der einen Seite, wennauch fast in unendlicher Entfernung, die Möglichkeit haben, daß wirdas Auswendiggelernte nur herunterratschen mechanisch, und auf deranderen Seite nicht herunterratschen, sondern, ohne daß wir sprechen,nur innerlich denken, wodurch sich das dem Raum entzieht. Wir ha-ben bei anderen Sphären nicht diese menschliche Betätigung, wir habennicht die Möglichkeit, geradezu zu sehen, wie das eine in das andereübergeht. Vor allen Dingen wird uns das nicht so leicht, wenn wir dasWärmewesen verfolgen wollen, weil wir da schon physiologisch-psy-chologische Untersuchungen anstellen müssen, wie sich das Wärme-wesen verhält, wenn wir es selber in uns aufgenommen haben.

Ich habe Ihnen gestern, nur um etwas zu veranschaulichen, gesagt:Ich trete in einen Raum, der behaglich erwärmt ist. Ich setze mich hinund schreibe etwas. Ich kann nicht so leicht den Zusammenhang fin-den zwischen dem, was ich da erfahre, erlebe, indem ich in den warmenRaum trete, und dem, was innerlich in mir vorgeht, wenn ich meineGedanken niederschreibe. Ich kann nicht so leicht den Zusammenhang

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konstatieren, wie ich den Zusammenhang konstatieren kann zwischendem Abratschen der Sprache und dem Denken innerlich. Deshalb wirdes natürlich schwierig, durch inneres Erleben irgend etwas zu finden,was dem Wärmeerlebnis von außen im rein inneren Erleben entspre-chen würde. Dennoch handelt es sich darum, daß wir uns allmählichannähern an Vorstellungen, die uns auf diesem Wege weiterführenkönnen. Und da möchte ich zunächst aufmerksam machen auf etwas,was Sie aus der Anthroposophie heraus wissen.

Sie wissen, wenn wir den Versuch machen, unsere Gedanken durchMeditation weiterzuführen, weiterzuführen an innerer Intensität, alsowenn wir unser Denken so bearbeiten, daß wir immer wieder und wie-derum in den Zustand hineinkommen, wo wir wissen, daß wir inner-lich Seelentätigkeit anwenden, ohne den Körper zu Hilfe zu nehmen,dann geschieht das nicht, ohne daß sich unser ganzes inneres Seelen-leben verwandelt. Man kann nicht mit den gewöhnlichen abstraktenGedanken in eine höhere Region des menschlichen Seelenlebens kom-men. Die Gedanken werden dann bildlich, und man muß sie erst ausdem imaginativen Element zurückversetzen in unser abstraktes Ele-ment, wenn man sie denen vortragen will, die nicht mit dem Imagi-nativen bekannt sind. Aber Sie brauchen nur einmal eine Darstellungdurchzusehen, die sich bemüht, möglichst sachlich zu sein, wie zum Bei-spiel meine «GeheimWissenschaft im Umriß», die deshalb die reinenAbstraktlinge so schockiert hat. Da muß schon der Versuch gemachtwerden, die Dinge ins Bildliche hinüberzuführen, wie ich es bei derSaturn- und Sonnendarstellung habe tun müssen im äußersten Maße.Da finden Sie lauter bildliche Vorstellungen in das andere hineinge-mischt. Das wird den Menschen sehr schwer, ins Bildliche überzugehen,weil man da nicht mehr die Dinge ins Abstrakte hinüberleiten kann.Dem liegt nämlich zugrunde, daß, wenn wir abstrakt denken, wennwir uns bewegen in engen Vorstellungen, die die Menschen heute ammeisten gewohnt sind und die am liebsten in der Wissenschaft, nament-lich in der Naturwissenschaft, angewendet werden, das durchaus Vor-stellungen sind, zu denen wir unseren Körper gebrauchen. Wir könnenzum Beispiel durchaus nicht den Körper entbehren, wenn wir das-jenige, was heute als physikalische Gesetze in den Physikbüchern steht,

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durchdenken wollen. Da müssen wir so denken, daß wir unseren Kör-per als Instrument haben. Wenn man in die Sphäre des Imaginativenhinaufkommt, dann müssen die abstrakten Vorstellungen sämtlich ver-wandelt werden, weil man da eben nicht mehr den Körper verwendetzum inneren Seelenleben.

So können Sie also jetzt hinschauen auf, ich möchte sagen, das ganzeGebiet des imaginativen Denkens. Dieses Gebiet des imaginativenDenkens hat in uns selber nichts mehr zu tun mit demjenigen, was nochan unsere äußere Leiblichkeit gebunden ist. Wir steigen auf in eineRegion, wo wir erleben als seelisch-geistiges Wesen, ohne daß das zutun hat mit unserer äußeren Leiblichkeit. Das heißt aber mit anderenWorten: Wir kommen in dem Augenblick, wo wir aufsteigen ins Ima-ginative, aus dem Raum hinaus. Wir sind dann selbst nicht mehr imRaum.

Sehen Sie, das hat eine sehr bedeutsame Konsequenz. Ich habe Ihnenbeim vorigen Kursus einen strengen Unterschied machen müssen zwi-schen alldem, was bloß phoronomisch ist, und dem, wo dann Mecha-nisches, wie zum Beispiel die Masse, in unsere Betrachtung eintritt. So-lange ich beim Phoronomischen bleibe, brauche ich mir die Dinge nurin Gedanken auf eine Tafel, auf ein Blatt aufzuzeichnen, und ich be-komme die Veranschaulichung dessen, was ich in dem Gebiete der Be-wegung, des Rauminhaltes und so weiter denken kann. Aber ich mußeben dann bei dem bleiben, was räumlich und zeitlich anschaulich ist.Warum ist das so? Das ist so aus einem ganz bestimmten Grunde. Siemüssen sich nämlich klar sein darüber: Alle Menschen, wie sie hier aufder Erde leben, sind wie Sie selber im Raum und in der Zeit drinnen.Sie nehmen einen gewissen Raum ein und verhalten sich als Raum-körper zu anderen Raumkörpern. Also, indem Sie über den Raumreden, sind Sie gar nicht in der Lage, etwas ernsthaftig, wenn Sie dieDinge vorurteilslos betrachten, in Kantischen Vorstellungen hinzustel-len. Denn wenn der Raum in uns sein könnte, so könnten wir nicht sel-ber im Raum drinnen sein. Wir können uns nur einbilden, daß der Raumin uns ist. Wir werden von dieser Vorstellung, von dieser Einbildung so-fort geheilt, wenn wir uns klarwerden, daß dieses Drinnensein imRaum für uns eine sehr reale Bedeutung hat. Wenn der Raum in uns

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wäre, könnte es keine Bedeutung haben, ob ich in Moskau oder in Wiengeboren bin. Das hat aber eine sehr reale Bedeutung, wo ich in denrealen Raum hineingeboren bin. Ich bin auch als irdisch-empirischerMensch durchaus ein Ergebnis der Raumtatsachen, das heißt, ich ge-höre als Mensch den Verhältnissen an, die sich im Raum ausbilden.

Ebenso ist es mit der Zeit. Sie alle wären andere Menschen gewor-den, wenn Sie zwanzig Jahre früher geboren worden wären. Das heißt:Ihr Leben hat nicht die Zeit in sich, sondern die Zeit hat Ihr Leben insich. Sie stehen also als empirischer Mensch im Raum und in der Zeitdarinnen. Und indem wir reden über Raum und Zeit, auch wennwir unsere Willensimpulse in der Geometrie, wie ich es eben erwähnthabe, bildhaft ausdrücken, so ist das deshalb, weil wir selber in denRaumverhältnissen und Zeitverhältnissen drinnenleben und dadurchmit ihnen gerade verwandt sind und so a priori über sie reden können,wie wir das in der Mathematik tun.

Wenn Sie übergehen nur schon zu dem Begriff der Masse, da gehtes nicht so. Da müssen Sie sich sagen: Sie machen als Mensch mit Be-zug auf die Masse - gestatten Sie den trivialen Ausdruck, die Öster-reicher werden mich verstehen —, Sie machen sich mit Bezug auf dieMasse eine Extrawurst zurecht, während Sie nicht sagen können, daßSie ein Stück des Raumes oder der Zeit herausreißen, sondern in demallgemeinen Raum und der Zeit leben Sie drinnen. Sie gehören dazu.Sie nehmen in der Tat, schon wenn Sie essen und trinken, aus der all-gemeinen Masse etwas heraus und machen es zu Ihrer eigenen Masse.Diese Masse ist dann in Ihnen. Es ist gar nicht zu leugnen, daß dieseMasse mit all ihren Betätigungen, all ihren Potentialen in Ihnen tätigist. Das ist etwas, was in Ihnen ist. Aber es ist zu gleicher Zeit dasjenige,worüber wir nicht so reden können, wie über Raum und Zeit. Geradeindem Sie selber teilnehmen, ich möchte sagen, mit Ihrem inneren Ei-gentum an der Masse, indem Sie sie in sich erleben, gestattet Ihnen dieseMasse gar nicht, daß sie in Ihnen so bewußt wird wie Raum und Zeit.Wir kommen also da, wo wir gerade unser eigenes haben von der Welt,in die uns unbekannten Gebiete hinein. Das hängt ja damit zusammen,daß zum Beispiel unser Wille im höchsten Grade von Massevorgängenin uns abhängig ist. Aber die Massevorgänge sind uns gerade unbe-

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kannt. Bezüglich ihrer schlafen wir gerade. Und wir verhalten uns zueinem Massevorgang in uns, während unser Wille tätig ist, nicht an-ders als zwischen Einschlafen und Aufwachen in der Welt irgendwo.Wir wissen von dem einen und anderen nichts. Es ist zwischen diesenbeiden Verhaltungen des menschlichen Bewußtseins kein unmittelba-rer Unterschied.

So kommen wir dazu, das Physikalische an den Menschen allmäh-lich heranzurücken. Es ist dasjenige, wovor sich die Physik so scheut:es an den Menschen heranzurücken. Aber man kommt auch auf keineandere Weise dazu, über die Welt wirklich sachgemäße Vorstellungenzu gewinnen, als indem man ebenso verwandt wird mit dem in derWelt, mit dem man zunächst unverwandt ist, wie man verwandt istmit Raum und Zeit. Über Raum und Zeit reden wir aus unserer, sagenwir, Vernunft heraus. Daher die Gewißheit der mathematischen undphoronomischen Wissenschaften. Über dasjenige, was wir bloß äußer-lich durch unsere Sinne erfahren und was mit der Masse verknüpft ist,können wir nur eben wiederum zunächst durch Erfahrung reden. Aberwir würden anfangen, ebenso darüber reden zu können, wenn wir denZusammenhang zwischen der Tätigkeit irgendeines Masseteiles in unsund der Tätigkeit der äußeren Masse ebenso klar auseinandersetzenkönnten wie das offenbare Verhältnis zwischen uns und der Zeit oderzwischen uns und dem Raum. Das heißt, wir müßten so innig ver-wachsen mit der Welt auch für die physikalischen Vorstellungen, wiewir verwachsen mit der Welt für die mathematischen oder phorono-mischen Vorstellungen.

Das ist aber das Eigentümliche, daß wir, während wir vom eigenenLeibe unabhängig werden, worinnen alles sitzt, was wir so verschlafenwie die Willenserscheinungen, während wir aufrücken zum imagina-tiven Vorstellen, wir einen Schritt hinein in die Welt machen. Wirkommen immer wiederum näher dem, was eigentlich sonst unbekanntin uns waltet, und es gibt keinen anderen Weg, in die Objektivität derTatsachen hineinzukommen, als in uns selber mit unserer eigenen inne-ren Seelenentwickelung vorwärts zu schreiten. Während wir uns vonunserer eigenen Materialität entfernen, nähern wir uns immer mehrund mehr demjenigen, was draußen in der Welt vorgeht.

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Allerdings, die elementarsten Erfahrungen auf diesem Gebiet sindnicht so ganz leicht zu machen, denn man muß sich schon darauf ver-legen, Dinge zu bemerken, die eigentlich gewöhnlich nicht in Augen-schein genommen .werden. Aber- ich möchte Ihnen da etwas verraten,was Sie vielleicht schon in Erstaunen versetzt. Nehmen Sie an, Siekommen auf dem Gebiet des imaginativen Vorstellens ein Stück wei-ter, Sie kommen wirklich hinein in das imaginative Vorstellen. Datritt etwas in Ihnen ein, was Sie eben vielleicht etwas in Erstaunenversetzen wird. Es wird Ihnen jetzt leichter als früher, ein Gedicht,das Sie gelernt haben, bloß äußerlich hinzuratschen, nicht schwererwird es Ihnen, sondern leichter. Ja, wenn Sie sich ganz genau beob-achten, ohne Schonung Ihres Seelenegoismus, so werden Sie sogar fin-den, daß Sie viel mehr Neigung haben, ein Gedicht herunterzuratschen,ohne es mit Gedanken zu verfolgen, wenn Sie eine okkulte Entwicke-lung durchgemacht haben, als wenn Sie eine solche nicht durchge-macht haben. Sie verachten auch nicht mehr so stark dieses Ins-Mecha-nische-Ubergehen, wenn Sie eine okkulte Entwickelung durchgemachthaben, als vorher. Das sind solche Dinge, wie man sie eigentlich ge-wöhnlich nicht voraussetzt, die man aber meint, wenn man immerwiederum sagt: Die Erlebnisse bei der okkulten Entwickelung sindeigentlich entgegengesetzt den Vorstellungen, die man sich gewöhn-lich zuerst macht, wenn man noch nicht eingetreten ist in eine okkulteEntwickelung.

Und so ist es auch, daß, wenn man nur eine weitere Stufe überschrei-tet, man auch dahin kommt, nun die eigenen Vorstellungen wiederumim gewöhnlichen Leben leichter beobachten zu können. Deshalb kommtfür jeden, der okkult etwas vorschreitet, sehr leicht die Gefahr - er istin der Regel, wenn er eine ordentliche okkulte Schulung durchmacht,durch diese Schulung geschützt, aber es kommt die Gefahr -, nachherein materialistischer Mensch zu werden. Die Versuchung, ein Materia-list zu werden, ist gerade für den, der eine okkulte Entwickelung durch-macht, außerordentlich naheliegend. Ich werde Ihnen an einem Fallsagen, warum.

Sehen Sie, im gewöhnlichen Leben liegt ja wirklich das vor, daß

Theoretiker behaupten, das Gehirn denkt. Aber im gewöhnlichen Le-

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ben hat das noch kein Mensch wahrgenommen. Im gewöhnlichen Le-ben kann man gut einen Dialog führen, den ich mit einem Jugendfreundin meiner Kindheit geführt habe, der ein krasser Materialist war undes immer mehr und mehr wurde. Der sagte: Wenn ich denke, denktmein Gehirn. - Ich sagte dazumal immer: Ja, aber wenn du neben mirgehst, sagst du doch immer: Ich will das. Ich denke. Warum sagst dudenn nicht: Mein Gehirn will das. Mein Gehirn denkt. Dann lügst duja fortwährend. - Das ist aus dem Grunde, weil der, der theoretischerMaterialist ist, ganz natürlich niemals die Möglichkeit hat, Vorgängedes Gehirns zu beobachten. Er kann die materiellen Vorgänge nichtbeobachten. Daher bleibt der ganze Materialismus bei ihm Theorie.In dem Augenblick, wo man nämlich etwas vorschreitet vom imagi-nativen zum inspirierten Vorstellen, kommt man dazu, nun wirklichParallelvorgänge im Gehirn beobachten zu können. Da wird einemwirklich dasjenige, was in der Materialität der Leiblichkeit ist, auchanschaulich. Abgesehen davon, daß dasjenige, was man da anschaut inder eigenen Tätigkeit, außerordentlich versucherisch ist, erscheint es ei-nem immer wieder und wiederum als bewundernswert. Denn dieseTätigkeit des Gehirns ist ja in der Anschauung etwas viel Bewunderns-würdigeres, als alles, was die theoretischen Materialisten davon be-schreiben können. Also liegt die Versuchung vor, weil man zu der an-schaulichen Betätigung des menschlichen Gehirns kommt, gerade dannMaterialist zu werden. Man ist nur davor auch, wie gesagt, schon ge-schützt. Aber indem ich Ihnen diese Stufe der okkulten Entwickelungdargelegt habe, habe ich Sie zu gleicher Zeit dahin geführt, Ihnen zuzeigen, wie mit der okkulten Entwickelung man gleichzeitg die Mög-lichkeit gewinnt, nun auch in die materiellen Vorgänge tiefer sich hin-einzubewegen. Das ist das Eigentümliche. Wer bloß als Abstraktlingzum Geiste sich erhebt, wird ziemlich ohnmächtig den Naturerschei-nungen gegenüber. Wer sich wirklich zum Geist erhebt, der kommtdazu, gerade tiefer in die Natur hineinschauen zu können. Er ver-wächst dann mit den anderen Erscheinungen der Natur, wie er vor-her nur mit Raum und Zeit verwachsen war.

Das, was wir da anschaulich gemacht haben, müssen wir jetzt aufdie eine Seite stellen gewissermaßen, und das, was uns bis jetzt in den

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Wärmeerscheinungen entgegentritt, das müssen wir auf die andereSeite stellen. Was ist uns in den Wärmeerscheinungen entgegengetreten?Nun, wir verfolgen das Ansteigen der Temperatur, indem wir einenfesten Körper erwärmen bis zum Flüssigwerden. Wir verfolgen, wie dieTemperatursteigerung verschwindet für eine Zeit, dann wiederum er-scheint, bis der Körper zu sieden, zu verdampfen beginnt. Und wennwir sie dann wieder weiter verfolgen, können wir noch etwas anderesbeobachten. Wir können verfolgen — an dem Experiment, das wir aus-führen wollten und demnächst ausführen werden, wird sich das klarzeigen -, daß wir eben ein Gas oder einen Dampf allseitig einschlie-ßen müssen, wenn es seine Form haben soll, wie aber auch dieses Gasoder dieser Dampf allseitig drückt auf die Umgebung, allseitig sichzu zerstreuen strebt, und wie wir ihm nur dadurch eine Form beibrin-gen, daß wir diesem Druck einen Gegendruck entgegensetzen, also nurdadurch, daß wir sie ihm von außen beibringen. In dem Augenblick,wo wir durch Temperaturerniedrigung den Übergang zum festen Kör-per finden, besorgt er es für sich selbst, sich die Form zu geben. Wirerleben, indem wir rein Temperatursteigerung und Temperaturgefälle

Niveaufläche.

< -

4-

erleben, äußerlich ein Formen, ein Bilden. Wir erleben ein Sich-Ge-stalten und eine Auflösung der Gestalt. Das Gas löst uns die Gestaltauf, der feste Körper bildet uns die Gestalt. Wir erleben auch denÜbergang zwischen beiden und gerade diesen Übergang in außeror-dentlich interessanter Weise. Denn denken Sie einmal, wenn Sie denzwischen dem festen Körper und dem Gas in der Mitte stehenden Zu-stand ins Auge fassen, das Wasser, den flüssigen Körper, so müssen Sie

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ihn nicht in einem allseitig geschlossenen Gefäß aufbewahren, sondernin einem Gefäß, das nur von unten und von den Seiten geschlossenist. Oben bildet er die Niveaufläche, auf der die Schwerlinie, die Ver-bindungslinie eines Teilchens mit dem Mittelpunkt der Erde, immersenkrecht steht, so daß wir sagen können, wir haben hier einen Über-gangszustand zwischen Gas und festem Körper. Beim Gas haben wirnirgends eine solche Niveaufläche. Beim Wasser haben wir noch dieeine Niveaufläche. Beim festen Körper haben wir dasjenige, was wirbeim Wasser nur nach oben haben, rundherum.

Sehen Sie, das ist ein außerordentlich interessanter und bedeutungs-voller Zusammenhang. Denn der weist uns darauf hin, daß der festeKörper eigentlich überall so etwas wie eine Niveaufläche hat, aber siesich durch seine eigene Wesenheit besorgt. Wodurch besorgt denn dasWasser sich diese Niveaufläche? Es steht eben auf ihr senkrecht dieSchwerlinie der Erde. Es besorgt sich diese Niveaufläche durch die ganzeErde. So daß wir sagen können: Wenn wir Wasser haben, so nimmtein Punkt dieses Wassers zu der ganzen Erde dasjenige Verhältnis an,das ein Punkt eines festen Körpers zu irgend etwas in seinem Innerenhat. Dadurch ist der feste Körper etwas Abgeschlossenes, was das Was-ser nur darstellt in seinem Verhältnis zur Erde. Und das Gas streikt.Das geht dieses Verhältnis zur Erde gar nicht mehr ein. Das entziehtsich diesem Verhältnis zur Erde. Das hat nirgends eine solche Niveau-fläche.

Sie sehen aber daraus, daß wir in die Notwendigkeit versetzt sind,zu einem alten Begriff wiederum zurückzugehen. Ich habe Sie auf-merksam gemacht in einer der vorigen Stunden, daß man noch in deralten griechischen Physik den festen Körper die Erde genannt hat. Dashat man nicht getan aus jenen oberflächlichen Vorstellungen heraus,die man heute oftmals mit solchen Dingen verbindet, sondern das hatman deshalb getan, weil man sich bewußt war: Der feste Körper be-sorgt für sich selbst etwas, was beim Wasser durch die Erde besorgtwird. Er übernimmt für sich selber die Rolle des Erdigen. Man hatbloß ein Recht zu sagen: Das Erdige sitzt in einem festen Körper. ImWasser sitzt es nicht ganz drinnen, sondern die Erde behält sich dieRolle, eine Niveaufläche zu bilden, selber vor.

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Sie sehen also, schon indem man vom festen Körper zum Wasservorschreitet, macht sich die Notwendigkeit geltend, unsere Betrach-tungen nicht nur auszudehnen auf das, was wir vor uns haben, sondernwir können gar nicht über das Wasser eine Auskunft bekommen, wennwir nicht das ganze, über die Erde verbreitete Wasser als Einheit auf-fassen und diese seine Einheit zum Mittelpunkt der Erde in Beziehungbringen. Ein Stück Wasser ebenso physikalisch zu betrachten wie einStück festen Körpers, ist ein Unsinn, ein ebensolcher Unsinn, wie einStück meines kleinen Fingers, das ich abschneiden würde, für sich alsOrganismus zu betrachten. Es stirbt ja sogleich ab. Es hat als Organis-mus nur eine Bedeutung mit dem ganzen Organismus zusammen. DieBedeutung, die der feste Körper für sich hat, hat das Wasser für sichnicht. Es hat sie erst im Zusammenhang mit der ganzen Erde. Und soist es für alles auf der Erde befindliche Flüssige überhaupt.

Und wiederum, wenn wir vom Flüssigen zum Gasförmigen über-gehen, kommen wir dazu, daß sich das Gasförmige dem irdischen Ge-biet entzieht. Es bildet keine gewöhnliche Niveaufläche. Es nimmt teilan all dem, was nicht irdisch ist. Das heißt: Wir müssen das, was imGas wirkt, nicht bloß auf der Erde suchen, sondern wir müssen dieUmgebung der Erde zu Hilfe nehmen, müssen in weite Räume gehen,und da die Kräfte suchen. Es gibt, wenn wir die Gesetze des Gasigenkennenlernen wollen, nichts anderes als eine astronomische Betrach-tungsweise. So sehen Sie, wie das hineingestellt wird in den ganzenErdenzusammenhang, wenn wir diese Erscheinungen betrachten, diewir bisher nur aufgeführt haben. Und wenn wir an solch einen Punktkommen, wie der Schmelz- oder Siedepunkt ist, da treten Dinge ein,die uns jetzt ganz merkwürdig werden müssen. Denn, geraten wirzum Schmelzpunkt, so kommen wir von dem Erdigen eines festen Kör-pers, wo er für sich selbst die Gestalt, den Zusammenhang besorgt, hin-ein in dasjenige, was allirdisch ist. Die Erde fängt an, den festen Kör-per zu kapern, indem er in den flüssigen Zustand übergeht. Aus seinemeigenen Bereich geht der feste Körper in den Wirkungsbereich der gan-zen Erde über, wenn wir beim Schmelzpunkt ankommen. Er hört auf,eine Individualität zu sein. Und wenn wir den flüssigen Körper inden gasförmigen Zustand überführen, dann kommen wir dazu, daß

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auch jenes Verhältnis zur Erde, das durch die Bildung der Niveau-fläche sich äußert, gelöst wird, daß in dem Augenblick, wo wir zumGas übergehen, der Körper in den Bereich des Außerirdischen kommt,sich gewissermaßen abhebt vom Irdischen. Wenn wir einem Gas ge-genüberstehen, haben wir in den Wirkungskräften des Gases das, wassich der Erde schon entzogen hat. Wir können also, gerade wenn wirdiese Erscheinungen betrachten, gar nicht umhin, von dem gewöhn-lichen Physikalisch-Irdischen in das Kosmische überzutreten. Dennwir stehen nicht mehr in der Realität drinnen, wenn wir auf das, waswirklich wirkt in den Dingen, nicht aufmerksam werden.

Aber nun treten uns ja andere Erscheinungen gegenüber. NehmenSie eine solche Erscheinung, wie die ist, die Sie ja genau kennen, aufdie ich ja aufmerksam gemacht habe: daß das Wasser sich sehr merk-würdig verhält, daß Eis auf dem Wasser schwimmt, also weniger dichtist als Wasser, daß es aber, indem es vom festen in den flüssigen Zu-stand übergeht und seine Temperatur erhöht, sich zusammenzieht, dich-ter wird. Dadurch nur kann Eis auf Wasser schwimmen. Da haben wiralso zwischen 0 und 4 Grad etwas, wo das Wasser sich wiederum ent-zieht den allgemeinen Vorgängen, die uns sonst bei Temperaturerhö-hungen entgegentreten, daß ein Körper dünner und dünner wird durchErwärmung. Dieses Spatium von 4 Graden, wo das Wasser immerdichter wird, ist sehr lehrreich. Was sehen wir denn in diesem Spatium?Da sehen wir, wie das Wasser kämpft. Es ist als Eis ein fester Körpermit seinen inneren Zusammenhängen, eine Art Individualität. Jetztsoll es selbstlos in den ganzen Bereich der Erde übergehen. Diese Selbst-losigkeit will es sich nicht gleich gefallen lassen. Es kämpft gegen diesesÜbergehen in eine ganz andere Sphäre. Solche Dinge müssen durch-aus beachtet werden. Dann aber wird es auch anfangen Sinn zu haben,darauf hinzuschauen, wie unter gewissen Verhältnissen, also sagenwir beim Schmelzpunkt und Siedepunkt, die thermometrisch konsta-tierbare Wärme zurücktritt, verschwindet. Sie verschwindet so, wieuns die leibliche Wirksamkeit verschwindet, indem wir ins Imagina-tive aufsteigen. Wir werden auf diese Dinge noch eingehen. Es wirdIhnen nicht so sehr paradox erscheinen, wenn wir versuchen, zu ver-folgen, was denn nun wird, wenn ein Wärmezustand es uns notwen-

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dig macht, die Temperatur in die dritte Potenz zu erheben, das heißtalso in die für diesen Fall vierte Dimension, also aus dem Raum her-auszugehen. Wir wollen uns nun diese Voraussetzung zunächst einmalvor die Seele stellen und dann morgen darüber weiter reden. Es könnteja auch, wie die Tätigkeit unseres Leibes übergeht ins Geistige, wennwir ins Imaginative hineinkommen, ebensogut ein Übergang stattfin-den zwischen dem Äußerlich-Sichtbaren, was da im Wärmebereich vorsich geht, und Erscheinungen, die dahinterstehen, auf die nur hingedeu-tet wird, wenn die Wärme als thermometrisch meßbare Warme vorunseren Augen verschwindet. Wir müssen fragen: Was wird hinterdem Vorhange getan? Was unterrichtet uns über die Vorgänge, die hin-ter diesem Vorhang vor sich gehen? Das ist die Frage, die wir uns heutestellen wollen. Morgen sprechen wir dann darüber weiter.

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S E C H S T E R VORTRAG

Stuttgart, 6. März 1920

Wir werden heute zunächst einige Erscheinungen anschauen, welcheaus dem Gebiet der Zusammengehörigkeit von Wärme, Druck undAusdehnung der Körper sind. Denn Sie werden sehen, daß durch diezusammenschauenden Betrachtungen desjenigen, was wir erfahrenkönnen an solchen Erscheinungen, sich uns gerade der Weg eröffnenwird zum Verständnis dessen, was das Wärmewesen eigentlich ist.Wir werden zunächst einmal die Erscheinung betrachten, die sich hierergibt durch den Inhalt dieser drei Rohren (siehe Zeichnung, 1, 2, 3).In der ersten Röhre rechts (1) haben wir eine Quecksilbersäule, wieman sie in einer Barometerröhre hat, und oben etwas Wasser. Wasser,welches in einer solchen Weise in einem Raum drinnen ist, verdunstetfortwährend. Wir haben das Wasser in dem sogenannten Vakuum, indem leeren Raum, und wir können sagen, Wasser verdunstet. Die kleineMenge Wassers, die dadrinnen ist, verdunstet fortwährend. Wir kön-nen diese Verdunstung durch die Anwesenheit des Wasserdampfes, derdrinnen ist, konstatieren: Wenn Sie vergleichen die Quecksilbersäulein ihrer Höhe, wie sie hier in dieser Röhre (1) ist, mit der Quecksilber-säule hier drinnen {b)y die unter dem normalen Luftdruck steht, überwelcher also kein verdunstetes Wasser, also kein Wasserdampf ist, sowerden Sie sehen, daß diese Quecksilbersäule (1) tiefer steht wie jene(b). Diese Quecksilbersäule kann natürlich nur tiefer stehen als die-jenige im Barometer, wenn ein Druck vorhanden ist, der oben ausge-übt wird, während hier oben (b) kein Druck von irgend etwas vorhan-den ist. Es ist ein leerer Raum, so daß diese Quecksilbersäule nur ent-gegensteht, als ihm das Gleichgewicht haltend, dem äußeren Atmo-sphärendruck. Hier (1) wird sie heruntergedrängt. Wenn wir abmes-sen, werden wir finden, daß wir hier (b) von dieser Höhe ab eine hö-here Quecksilbersäule haben. Um was sie hier (1) niedriger ist, wirddurch den Druck, die sogenannte Spannkraft des darin befindlichenverdunstenden Wassers bewirkt, das heißt, es wird die Quecksilbersäuleheruntergedrängt. Wir sehen also, daß Dampf immer auf die Wände

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?'ff

5.

Barometer Wasser Alkohol /\cther

drückt, und zwar wird ein bestimmter Druck unter einem bestimmtenWärmezustand ausgeübt. Das können wir dadurch konstatieren, daßwir den oberen Teil dieser Glasröhre erwärmen. Sie werden sehen,wenn die Temperatur höher wird, wird die Quecksilbersäule sinken,das heißt, der Druck wird größer werden. Wir werden also sehen, daßein Dampf um so mehr auf die Wand drückt, je höher seine Tempera-tur ist. Sie sehen die Quecksilbersäule jetzt schon sinken, und sehen,wie die Spannkraft, die Druckkraft mit der Temperatur wächst. DasVolumen, das dann der Dampf einnehmen will, wird vergrößert.

In der zweiten Röhre (2) haben wir über dem Quecksilber Alkohol.Wiederum sehen Sie den Alkohol da drinnen einen gewissen Raum-inhalt hindurch flüssig. Er verdunstet ebenfalls, daher ist auch dieseSäule weniger hoch als die linke am Barometer. Wenn ich abmesse,werde ich aber auch finden, daß sie hier weniger hoch ist, als früher dieQuecksilbersäule unter dem Einfluß des verdunsteten Wassers war.Wir müssen warten, bis hier (1) die Säule wiederum so hoch steigt, als

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sie vor der Erwärmung war. Dann werden wir finden, daß die Span-nung auch abhängt von der Substanz selber-, die wir verwenden. DieseSpannung ist also größer bei Alkohol als bei Wasser. Auch hier (2)könnte ich wiederum erwärmen. Sie werden sehen, daß die Spannungwesentlich höher wird, wenn wir die Temperatur erhöhen. Wenn wirden Dampf soweit abkühlen, daß wir ihn wieder unter derselben Tem-peratur haben wie früher, dann steigt das Quecksilber, also bei gerin-gerem Druck, geringerer Spannkraft. Sie sehen, die Säule steigt.

In der dritten Röhre (3) haben wir unter sonst gleichen Verhält-nissen Äther eingefüllt, der wiederum verdunstet. Sie sehen, die Säuleist hier sehr niedrig. Daraus ersehen Sie, daß, wenn wir Äther untersonst gleichen Verhältnissen zum Verdunsten bringen, er wesentlichanders als verdunstendes Wasser drückt. Es hängt also der Druck, derauf die Umgebung von einem Gase ausgeübt wird, von der Tempera-tur ab, aber auch von der Substanz selber. Auch hier könnten Sie sehen,daß das Volumen, wenn wir erwärmen, wesentlich größer wird, daßder verdunstende Äther also wesentlich stärker drückt. Wir wollen auchhier wiederum die Erscheinungen festhalten, da wir gerade durch dieÜberschau über die Erscheinungen zu unserem Resultat kommenwollen.

Nun, eine Erscheinung, die ich Ihnen besonders vorführen will, istdiese: Sie wissen aus den vorhergehenden Betrachtungen und auchsonst aus der Elementarphysik, daß wir feste Körper in flüssige, flüssigein feste Körper überführen können, indem wir sie über den sogenann-ten Schmelzpunkt bringen nach oben oder unten. Nun, wenn ein flüs-siger Körper wiederum fest wird, also unter den Schmelzpunkt herun-tergebracht wird, so tritt er uns zunächst als fester Körper entgegen.Das Merkwürdige, und was wir wieder ins Auge zu fassen haben beiunserer Überschau, ist dieses, daß, wenn wir jetzt beim festen Körpereinen stärkeren Druck anwenden, als derjenige war, unter dem er sichverfestigt hat, er wiederum flüssig werden kann. Also, er kann untereiner tieferen Temperatur wieder flüssig werden, als diejenige ist, beider er zum festen Zustand übergeht. Sie wissen, bei 0° geht Wasserüber in den festen Zustand, wird zu Eis. Es müßte also das Eis bei allenTemperaturgraden, die unterhalb Null liegen, ein fester Körper sein.

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Wir werden nun hier an diesem Eis ein Experiment machen, durch dasSie sehen werden, daß wir es flüssig machen können, ohne daß wirdie Temperatur erhöhen. Würden wir es unter gewöhnlichen Verhält-nissen flüssig machen wollen, so würden wir die Temperatur erhöhenmüssen, aber wir werden die Temperatur nicht erhöhen, sondern wirwerden auf das Eis einen mächtigen Druck ausüben. Diesen Drucküben wir dadurch aus, daß wir dieses Gewicht anhängen. Es wird hierdas Eis zerschmelzen. Sie werden also sehen, daß das Eis hier durch-geschnitten wird, weil es sich unter dem von dem Drahte ausgeübtenDruck verflüssigt. Sie werden nun erwarten, daß, indem dieser Eis-block durch den Druck zu Wasser wird in der Mitte, nun links undrechts die beiden Eisstücke herunterfallen. Wenn wir schneller machenwürden, würden wir das Experiment gelingen sehen. (Das Zerschnei-den des Eisblockes geht so langsam vor sich, daß erst am Ende derStunde darüber folgendes hinzugefügt wird:) Wenn Sie jetzt hierher-treten, werden Sie sehen, daß, wenn Sie auch warten würden, bis derSchnitt richtig durchgeführt ist, Sie doch nicht zu fürchten hätten, daßzwei Eisstücke herunterplumpsen würden. Es wird sofort wiederumüber dem Draht das Eis zusammenwachsen, und der Draht geht ganzdurch, fällt unten durch, und der Eisblock bleibt ganz. Sie sehen dar-aus, daß da, wo der Druck ausgeübt wird durch Vermittlung des Drah-tes, Flüssigkeit entsteht. Aber in dem Augenblick, wo der Druck nichtmehr ausgeübt wird, hat sich darüber die Flüssigkeit sogleich wiederumzum Eis verfestigt, das heißt, es wächst wiederum zusammen. Diese Ver-flüssigung des Eises durch den Draht hält eben nur an - wenn dieTemperatur dieselbe bleibt - unter dem Einflüsse des betreffendenDruckes. Man kann also auch einen festen Körper unterhalb seinesSchmelzpunktes zurückverflüssigen. Er braucht aber dann die Fort-dauer dieses Druckes, um flüssig zu bleiben. Hört der Druck auf, danntritt wiederum der feste Zustand ein. Das ist das, was Ihnen entgegen-getreten sein würde, wenn Sie hier noch einige Stunden warten würden.

Das dritte, was wir uns vor Augen führen wollen und was eineweitere Stütze sein wird für unsere Betrachtungen, das ist das Folgende:Wir könnten irgendwelche geeignete Körper nehmen, denn im Prin-zip gilt es eigentlich für alles, was wir betrachten wollen, für alle die-

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jenigen Körper, die miteinander eine Legierung eingehen, das heißt,sich so verbinden können, daß sie sich durchdringen, ohne chemischeVerbindung zu werden. Wir haben hier in einem Probiergläschen Blei.Blei ist nun ein Körper, der bei 327 °C schmilzt, also übergeht aus demfesten in den flüssigen Zustand. In einem anderen Probiergläschen ha-ben wir Wismut, das bei 269 °C schmilzt, und hier haben wir Zinn, dasbei 232 °C schmilzt. Wir haben also drei Körper, welche alle Schmelz-punkte haben über 200 °C. Wir werden nun diese drei Körper, indemwir sie zuerst schmelzen, also in flüssigen Zustand überführen, mitein-ander zu einer Legierung verbinden, so daß sie dann durcheinander-gehen, ohne eine chemische Verbindung zu werden. (Die drei Metallewerden einzeln geschmolzen und dann zusammengegossen.) Sie werdennun sich leicht denken können: Wenn wir irgendeines dieser drei Me-talle, die ja durchaus einen Schmelzpunkt über 200 °C haben, einfachin kochendes Wasser hineintun, so bleibt es fest, denn das Wasser hatnur einen Schmelzpunkt von 0° und einen Siedepunkt von 100°, eskann also keines dieser drei Metalle in diesem Wasser zum Schmelzenkommen. Nun werden wir aber den Versuch machen, in eben siedendesWasser die Legierung, die Ineinanderfügung der drei Metalle hinein-zubringen, also in Wasser von 100 °C. Schon jetzt kann konstatiertwerden, was da eigentlich zugrunde liegt. Wir halten das Thermometerherein in die Legierung der drei Metalle und stellen fest in dem nochflüssigen Metallgemisch drinnen eine Temperatur von 175 °. Sie sehendaraus: Keines der einzelnen Metalle würde bei dieser Temperaturnoch flüssig sein, jedes wäre schon fest. Die Legierung der drei Me-talle ist noch flüssig. So daß wir schon daraus sagen können: Wennwir Metalle durcheinandermischen, so kann die Erscheinung eintreten,daß der Schmelzpunkt, der Punkt, bei dem das Metallgemisch flüssigwird, tiefer ist als der Schmelzpunkt eines jeden der einzelnen Metalle.Sie sehen also, wie sich Körper gegenseitig beeinflussen. Und wir wer-den gerade aus dieser Erscheinung eine wichtige Grundlage zu schöpfenhaben in unserer Überschau über die Wärmeerscheinungen.

Nun geben wir die noch flüssige Metallegierung bei 100° glatt hin-ein in das siedende Wasser, das also ebenfalls 100° hat. Und jetzt lassenwir das Wasser auskühlen. Beobachten wir nun die Temperatur. Es ist

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die Metallegierung drinnen noch flüssig, sie wird dann fest werden.Das heißt, wir kommen zum Schmelzpunkt herunter, und wir könnendann, indem das Wasser unter den Siedepunkt geht, konstatieren andem Punkt der Temperatur, auf dem das Wasser angekommen ist,wann die Metallegierung fest wird, also wo sie ihren Schmelzpunkthat. Sie sehen also: Der Schmelzpunkt des Metallgemisches ist tiefer alsder Schmelzpunkt jedes einzelnen Metalles.

Nun, wir haben diese Erscheinungen wiederum zu den anderenhinzugefügt, um eben eine weiter ausgebreitete Grundlage für die Über-schau zu haben, und wir können jetzt noch einige Betrachtungen an-knüpfen an dasjenige, was wir uns schon gestern vor Augen geführthaben über den Unterschied des festen, des flüssigen, des gas- oderdampfförmigen Zustandes. Sie wissen, daß feste Körper, namentlicheine größere Anzahl von Metallen und andere mineralische Körper,nun nicht in unbestimmter Gestalt, sondern in ganz bestimmten Ge-stalten, in sogenannten Kristallen, auftreten. So daß wir sagen können:Unter den gewöhnlichen Verhältnissen, unter denen wir auf der Erdeleben, treten uns die festen Körper in Kristallform, also in ganz be-stimmten Gestaltungen entgegen. Das muß natürlich darauf aufmerk-sam machen, nachzudenken darüber, wie solche Kristallgestaltungenentstehen, welche Kräfte bei diesen Kristallgestaltungen zugrunde lie-gen. Wir müssen nun, um Vorstellungen über diese Dinge zu gewinnen,darauf sehen, wie sich nun etwa die ganze Summe von auf der Erd-oberfläche befindlichen und nicht mit der Erdenmasse direkt zusam-menhängenden festen Körpern verhalten. Sie wissen, wenn wir einenfesten Körper irgendwo in der Hand halten und lassen ihn los, so fällter zur Erde. Man deutet das in der Physik gewöhnlich so, daß mansagt: Die Erde zieht diese festen Körper an, sie übt eine Kraft aus. Un-ter dem Einfluß dieser Kraft, der Schwerkraft oder Gravitation, fälltder Körper zur Erde.

Wenn wir irgendeinen flüssigen Körper haben und ihn dann ab-kühlen, so wird er uns, wenn er fest wird, auch auftreten können inbestimmten Kristallgestalten. Die Frage wird nun entstehen: Wie istüberhaupt das Verhältnis derjenigen Kraft, welcher alle festen Körperzunächst unterliegen, der Schwerkraft, zu den Kräften, welche ja doch

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auch da sein müssen, und auf eine bestimmte Art bewirken müssen, daßsich feste Körper in kristallinischen Gestalten ausleben? Sie könnensich leicht denken, die Schwerkraft als solche, durch die ein Körperzur Erde fällt - wenn wir überhaupt von einer solchen Schwerkraftreden wollen zunächst —, sie kann es nicht sein, die zu gleicher Zeit mitder Bildung der Kristallformen etwas zu tun hat. Denn dieser Schwer-kraft unterliegen alle Kristallformen; wie ein Körper äußerlich auchgestaltet sein mag, er folgt dieser Schwerkraft. Wir finden, wenn wireine Anzahl von festen Körpern so behandeln, daß wir ihnen ihre Un-terlage entziehen, daß sie alle in parallelen Linien zur Erde fallen.Wir können dieses Fallen etwa in der folgenden Weise darstellen. Wirkönnen sagen: Welche Gestalt auch immer irgendwelche feste Körperhaben, sie fallen zur Erde in der Richtung einer Senkrechten auf die

Erdoberfläche. Wenn wir nun andererseits wiederum die Senkrechteziehen auf diese zueinander parallelen Linien, bekommen wir eine zurErdoberfläche parallele Fläche. Wir können alle möglichen senkrech-ten Schwerlinien, die wir durch irgendwelche Körper bekommen, sobehandeln, daß wir eine gemeinsame, zur Erdoberfläche parallele, aufdiese Schwerlinien senkrechte Flache ziehen. Diese Fläche ist zunächsteine gedachte. Wir fragen uns: Wo ist diese Fläche wirklich? Sie ist beiflüssigen Körpern wirklich. Eine Flüssigkeit, die ich nehme, die ich inein Gefäß gebe, bei der kann ich sehen, wie das, was ich sonst als eineSenkrechte auf die einzelne Schwerlinie ziehe, als Flüssigkeitsniveauwirklich vorhanden ist.

Wie ist denn das eigentlich, was bedeutet das denn eigentlich? Die-ses, was wir jetzt zusammengestellt haben, ist etwas ungeheuer Schwer-

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wiegendes. Denn denken Sie sich einmal das Folgende: Es würde je-mand sagen, wie um Ihnen zu erklären, wie es sich verhält mit derNiveaüf lache der Flüssigkeit: Da ist ein Gefäß, da drinnen habe icheine Flüssigkeit, die bildet eine Niveaufläche. Jedes Teilchen der Flüs-sigkeit hat das Bestreben, zur Erde hinzufallen. Dadurch, daß dieKräfte in der Flüssigkeit selber verhindern, daß die Teilchen zur Erdehinfallen, dadurch wird die Niveaufläche gebildet. Die ist da wirk-lich vorhanden. Die Flüssigkeit macht, daß das entsteht.

Denken Sie, wenn Sie nun die Anfangslage von festen Körpernnehmen, die Sie fallen lassen, so zeichnet Ihnen die Natur selber dashin, was Sie hier behufs dieser Erklärung hingezeichnet haben. UndSie müssen sich die Niveaufläche dazudenken. Ich sagte daher früher:Bei festen Körpern ist die Niveaufläche zunächst gedacht als die Senk-rechte auf die Schwerlinie. Wenn Sie diesen Gedanken durchdenken,finden Sie das Merkwürdige, daß dasjenige, was Sie sonst machen, umGedanken hineinzubringen in die Flüssigkeit, das macht eine Anzahlvon festen Körpern vor Ihnen. Die zeichnen Ihnen gewissermaßen dasauf, was in der Flüssigkeit materiell da ist. Wir können sagen: DerKörper von niedrigerem Aggregatzustand, der feste Körper in seinemVerhalten auf der Erdoberfläche, der verrät uns wie im Bilde das-jenige, was eigentlich bei der Flüssigkeit da ist, was bei der Flüssigkeitmateriell ist, das die Verwirklichung dieser Linie als Fallinie verhin-dert. Das wird bildlich, wenn ich den festen Körper in seinem ganzenVerhältnis zur Erde betrachte.

Denken Sie, was ich dadurch kann. Dadurch würde ich, wenn ichmir aufzeichne die Schwerlinien und die Niveaufläche unter dem Ein-druck des Fallens eines Systems von festen Körpern, dadurch würdeich ein Bild bekommen der Schwerkraftwirkung. Das würde direktein Bild sein der flüssigen Materie.

Wir können weitergehen. Wenn wir bei irgendeiner Temperaturdas Wasser nur genügend lang da (in einer Schale) drinnen lassen -deshalb sagte ich, die Dinge sind alle relativ -, so trocknet es aus. Ir-gendwie verdunstet das Wasser immer, das heißt, es ist eigentlich nurein relativer Zustand vorhanden, bei dem wir sagen können: Das Was-ser bildet eine Niveaufläche, es muß in seiner Form nur von den ande-

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ren Seiten gehalten werden, während es nach der einen Seite eine Ni-veaufläche bildet. - Es verdunstet fortwährend, im Vakuum alsoschneller. Deshalb können wir sagen: Wenn wir hier Linien zeichnen,

nach denen das Wasser eigentlich fortwährend strebt, so müssen dasKraftlinien des Wassers sein, deren Richtung als Weg dann wirklichauch eingehalten wird, wenn das Wasser verdunstet. Wenn ich aber dieseLinien, nach denen das Wasser strebt, einzeichne, bekomme ich nichtsanderes als ein Bild eines Gases, das in einem allseitig geschlossenenRaum ist, und nach allen Seiten wirklich strebt, nach allen Seiten zer-stiebt. An der Oberfläche des Wassers ist ein Streben danach, das, wennich es einzeichne, um das Streben zu erklären, ein Bild ist von dem, waswirklich vorgeht, wenn ich ein Gas freilasse, und es sich nach allenSeiten verbreitet. So daß ich wieder sagen kann: Dasjenige, was ichan der Flüssigkeit bemerke als Kraft, das ist mir ein Bild desjenigen,was beim Gas materielle Wirklichkeit ist.

Wir haben eine kuriose Tatsache: Wenn wir in einer gewissen Weiserichtig Flüssigkeiten betrachten, so nehmen wir wahr in diesen Flüs-sigkeiten Bilder des gasförmigen Zustandes. Wenn wir feste Körperrichtig betrachten, nehmen wir wahr Bilder des flüssigen Zustandes.In jedem folgenden Zustand nach unten entstehen Bilder des vorher-gehenden Zustandes. Dehnen wir das bis nach oben aus. Wir könnensagen: Im festen Körper entdecken wir die Bilder des Flüssigen. Imflüssigen Körper entdecken wir die Bilder des Gasförmigen. Im gas-förmigen Körper entdecken wir die Bilder der Wärme. Das wird das-

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jenige sein, was wir insbesondere morgen näher durchzuführen habenwerden. Aber ich will noch das sagen: Wir haben versucht, heute denGedankenübergang zu finden von den Gasen zur Wärme. Es wirdmorgen schon noch klarer werden. Und wenn wir diesen Gedanken-weg weiter verfolgen werden:

im Festen die Bilder des Flüssigenim Flüssigen die Bilder des Gasförmigenim Gasförmigen die Bilder der Warme

dann haben wir ja einen wichtigen Schritt gemacht. Wir haben dieMöglichkeit gewonnen, an den Bildern, die sich uns an dem Gaszu-stande ergeben werden, in dem menschlichen Beobachtungsfelde Offen-barungen der Wärme, und zwar des wirklichen Wärmewesens, dann zuhaben. Wir gewinnen die Möglichkeit, das, wovon wir jetzt immersagen mußten, daß es ein zunächst Unbekanntes ist, dadurch aufzu-klären, daß wir in der richtigen Weise seine Bilder im gasförmigenZustand suchen. Wir müssen die Bilder des Wärmewesens bei denKörpern des gasförmigen Zustandes suchen. Allerdings, wir müssen dasrichtig tun. Wenn man einfach den Umfang der Erscheinungen, denwir schon beobachtet haben, so beschreibt, wie es die gegenwärtigePhysik gewohnt ist, wenn man so von den Gasen redet, kommt manzu nichts. Aber wenn man richtig ins Auge faßt dasjenige, was sich unsfür die Körper unter dem Einfluß von Druck und Temperatur erge-ben hat, dann werden wir sehen, wie wir tatsächlich vor dem Ergeb-nis stehen werden, daß uns zunächst das Gasige verrät, was eigentlichdas Wärmewesen ist.

Nun wirkt aber das Wärmewesen weiter beim Erkalten in flüssigeund feste Zustände hinein. Und wir werden in die Notwendigkeit ver-setzt werden, nun zu verfolgen - am gasigen Zustand werden wir dasam besten anschaulich sehen können -, was das Wärmewesen ist; amflüssigen und festen Zustand werden wir sehen müssen, ob das Wärme-wesen eine besondere Veränderung für sich selbst erlebt, um dann durchdiesen Unterschied, wie es sich offenbart im Gasförmigen, wo es unsseine Bilder zeigt, und im Flüssigen und Festen, auf das wirkliche We-sen der Wärme selbst zu kommen.

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S I E B E N T E R VORTRAG

Stuttgart, 7. März 1920

Sie erinnern sich noch, wie wir gestern hier den Eisblock hatten, vondem man zunächst hatte vermuten können, daß, wenn wir ihn miteinem Draht durchschneiden, der von einem Gewicht beschwert ist,links und rechts der halbe Block herunterfalle. Sie haben sich schon,trotzdem wir den Versuch nur im Beginn zeigen konnten, überzeugt,daß das gar nicht der Fall ist, daß gewissermaßen, nachdem durch denDruck eine Verflüssigung eingetreten ist in der Richtung des Durch-ganges des Drahtes, sofort wiederum oben der Eisblock zusammen-wächst. Das heißt, daß nur durch den Druck eine Verflüssigung einge-treten ist, daß aber deshalb, weil wir das Eis als Eis erhalten, sofortwiederum das Wärmewesen sich hier so betätigt - ich will meine Aus-drücke ganz genau gebrauchen -, daß eben der Block wiederum sichzusammenfügt.

Nicht wahr, das überrascht Sie furchtbar zunächst? Aber es über-rascht Sie nur aus dem Grunde, weil Sie es nicht in der Art, wie manes nötig hat bei einer wirklich sachgemäßen Verfolgung der physika-lischen Erscheinungen, betrachten. In einem anderen Falle machenSie das Experiment fortwährend und sind gar nicht verwundert dar-über, nämlich wenn Sie den Bleistift nehmen und durch die Luft fah-ren, so durchschneiden Sie sie fortwährend, und hinterher schließt siesich wiederum. Sie haben gar nichts anderes getan, als dasselbe Experi-ment, das wir gestern mit dem Eisblock gemacht haben, ausgeführt,nur in einer etwas anderen Sphäre, einem etwas anderen Gebiet. Wirkönnen aber aus dieser Betrachtung verhältnismäßig viel lernen, dennwir sehen daraus, daß, wenn wir einfach mit dem Bleistift durch dieLuft fahren — wir wollen jetzt nicht untersuchen, durch welches Ver-hältnis -, sich durch die Eigenschaften des Materiellen der Luft selbstder Schnitt, den wir bewirkt haben, wiederum schließt. Bei Eis könnenwir aus den Verhältnissen heraus nicht anders als denken, daß da dasWärmewesen daran beteiligt ist, daß es dasselbe tut, was die Luftselbst tut. Sie haben darin nur eine weitere Ausführung desjenigen,

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was ich Ihnen gestern gesagt habe. Wenn Sie sich denken die Luft, undSie denken sie durch einen durchgeführten Schnitt getrennt und sichimmer wieder vereinigend, so führt die Luftmaterie alles das aus, wasSie dabei wahrnehmen. Wenn Sie einen festen Körper, also Eis nehmen,so ist die Wärme so darin betätigt, wie die materielle Luft hier selber.Das heißt: Es entsteht Ihnen ein richtiges Bild von dem, was in derWärme vorgeht, und Sie haben wiederum bestätigt, daß wir, indemwir den gasigen, den dampfförmigen Zustand betrachten - Luft istdampfförmig, gasig eigentlich -, wir in dem materiellen Vorgang desGases selbst dasjenige haben, was ein Bild sein kann dessen, was imWärmewesen vor sich geht.

Und wenn wir dann an einem festen Körper die Wärmeerscheinun-gen anschauen, haben wir im Grunde genommen nichts anderes, alsdaß wir auf der einen Seite den festen Körper haben, auf der anderenSeite dasjenige, was im Gebiete des Wärmewesens sich vollzieht. Wirsehen gewissermaßen anschaulich für unser Auge als Erscheinungeninnerhalb des Wärmegebietes dasjenige sich abspielen, was wir sonstim Gas sich abspielen sehen. Daraus können wir neuerdings schließen —nicht einmal schließen, wir geben nur das Anschauliche wieder -, wirkönnen neuerdings sagen: Wollen wir uns dem wahren Wesen derWärme nähern, so müssen wir versuchen, so gut wir es können, einzu-dringen in das Gebiet innerhalb des gasigen Körpers. Und in dem, wasin dem gasigen Körper geschieht, werden wir einfach Abbilder sehenvon dem, was innerhalb des Wärmewesens vor sich geht. So daß unsdie Natur wie vor Augen zaubert, indem sie uns gewisse Erscheinungenin den gasigen Körpern offenbart, dasjenige, was Bild ist der Vorgängeim Wärmewesen. Sehen Sie, was uns da leitet, liegt ja allerdings weitab von der gegenwärtigen Betrachtungsweise, wie sie auf dem Gebietder Naturwissenschaften eigentlich, wirklich der Naturwissenschaften,nicht bloß der Physik, üblich ist. Aber wozu führt schließlich eine sol-che Betrachtungsweise? Ich habe hier ein Werk von Eduard von Hart-mann, in dem er ein Spezialgebiet von seinem Gesichtspunkte aus be-handelt, eben gerade die moderne Physik. Ein Mann, der nun wirklichsich ganz aus dem Geiste der Gegenwart heraus einen breiten Horizontverschafft hat, so daß er als, sagen wir, Philosoph sich in die Lage ver-

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setzt hat, etwas über die Physik zu sagen. Nun ist es interessant, wieaus dem ganzen Geiste der Gegenwart heraus solch ein Mensch überdie Physik spricht. Er beginnt gerade im ersten Kapitel: «Physik istdie Lehre von den Wanderungen und Wandlungen der Energie undvon ihrer Zerlegung in Faktoren und Summanden.» Er muß natürlich,indem er dieses sagt, gleich folgendes hinzufügen, er sagt: «Physik istdie Lehre von den Wanderungen und Wandlungen der Energie undvon ihrer Zerlegung in Faktoren und Summanden. Die Gültigkeit die-ser Definition ist unabhängig davon, ob man die Energie als ein selb-ständiges Letztes auffaßt, das nur von uns gedanklich zerlegt wird,oder ob man sie als ein aus anderweitigen Faktoren wirklich entstan-denes Produkt ansieht, und unabhängig auch davon, ob man dieseroder jener Ansicht über die Konstitution der Materie huldigt. Sie setztnur voraus, daß alle Wahrnehmung und Empfindung auf Energie zu-rückweist, daß die Energie Ort und Gestalt ändern kann, und daß sieihrem Begriff nach zerlegbar ist.»

Was heißt das, wenn man so etwas sagt? Das heißt: Man machtden Versuch, dasjenige, was man physikalisch vor sich hat, so zu defi-nieren, daß man ja nicht nötig hat, auf sein Wesen einzugehen. Manbildet eine Definition, die durch ihre besondere Eigenart es unnötigmacht, auf das Wesen einzugehen, denn man schließt das Wesen aus.Man bildet einen Energiebegriff und sagt: Alles, was uns entgegentrittäußerlich physikalisch, ist nur eine Umwandelung dieses Energiewe-sens. Das heißt, man wirft aus seinen Begriffen alle Essentialität her-aus und glaubt ganz sicher zu sein, wenn man nichts mehr erfaßt, daßman dann wenigstens sichere Definitionen gibt. Das ist aber in unserephysikalischen Vorstellungen gerade in einer furchtbaren Weise ein-gezogen. Es ist so eingezogen, daß wir kaum heute leicht in die Lagekommen, solche Versuche zu machen, welche uns das, was ist, wirk-lich veranschaulichen. Es sind schon alle unsere Versuchswerkzeuge,wie wir sie uns für unsere physikalischen Untersuchungen verschaffenkönnen, so eingerichtet, daß sie gewissermaßen auf die theoretische An-schauung der gegenwärtigen Physik dressiert sind. Wir können nichtleicht dasjenige, was wir heute zur Hand haben, dazu verwenden, umin das Wesen der Dinge physikalisch einzudringen. Das Heil wird nur

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allein darin bestehen, daß zunächst eine gewisse Anzahl von Menschensich findet, die sich bekanntmacht mit den notwendigen methodischenKonsequenzen eines wirklichen Eingehens auf das Wesen der physi-kalischen Erscheinungen, und daß diese Anzahl von Menschen sichdazu findet, auch schon die Versuchseinrichtungen, ja schon die Ein-richtungen der Werkzeuge zu den Versuchen, so zu machen, daß manallmählich in das Wesen eindringt. Wir brauchen tatsächlich nicht bloßeine Umwandelung unserer Weltanschauung in Begriffen, wir brau-chen heute durchaus selber von unseren Gesichtspunkten aus For-schungsinstitute. Wir werden nicht so schnell die Menschen von an-throposophischen Gesichtspunkten aus erreichen können, wie es not-wendig ist, wenn wir nicht auf der anderen Seite die heute gewohntenGedankenrichtungen dadurch aus ihren eingefahrenen Geleisen her-ausbringen können, daß wir den Leuten einfach ebenso durch den Ver-such zeigen «das ist richtig, was wir über die Dinge sagen», wie heuteder Physiker imstande ist, durch dasjenige, was ihm schon die Fabrikeneinrichten, den Menschen zu zeigen, scheinbar zu zeigen, daß dasstimmt, was er ihnen sagt. Dazu aber ist natürlich wirklich notwendig,daß wir erst vordringen zum wirklich physikalischen Denken. Undzum wirklich physikalischen Denken gehört ja, daß wir uns in eineVorstellungsrichtung hineinbringen, wie ich sie in diesen Tagen, undinsbesondere gestern, zuerst angedeutet habe.

Nicht wahr, der heutige Physiker sieht einfach auf dasjenige hin,was geschieht, und er wird dann, wenn er auf das hinsieht, was ge-schieht, möglichst bestrebt sein, abzustreifen das, was er wahrnimmt,und nur auf das hinzuschauen, was er errechnen kann. So macht erauch diesen Versuch, den wir heute möglichst früh vor unsere Seelestellen wollen, möglichst früh aus dem Grunde, weil er sich ja aucherst ausbauen wird im Verlaufe der Stunde. Wir bringen hier ein ro-tierendes Schaufelrad in eine Flüssigkeit, so daß wir, indem wir dasRad in Drehung versetzen durch diesen Umsetzungsapparat, eine me-chanische Arbeit verrichten - wir lassen sie von der Maschine verrich-ten. Dadurch aber, daß diese mechanische Arbeit eingreift in die Ge-schehnisse im Wasser, in das das Schaufelrad eingetaucht ist, dadurchwerden wir eine erkleckliche Erwärmung des Wassers hervorrufen, und

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wir haben den einfachsten, elementarsten Versuch vor uns, durch den,wie man sagt, mechanische Arbeit in Wärme oder, wie man auch sagt,in thermische Energie umgewandelt wird. Wir haben jetzt eine Tem-peratur von 16 ° und werden nach einiger Zeit die Temperatur wieder-um untersuchen.

Nun kommen wir noch einmal zurück zu dem, was wir schon aus-gesprochen haben. Wir haben gewissermaßen das physikalische Schick-sal der Körperlichkeit dadurch zu erfassen versucht, daß wir dieseKörperlichkeit durchgeführt haben durch den Schmelzpunkt unddurch den Siedepunkt, wodurch der feste Körper zum flüssigen, derflüssige zum gasförmigen wird. Ich will in vereinfachten Ausdrückenjetzt sprechen. Wir haben gesehen, daß das Wesentliche des festen Kör-pers ist: das Gestalthaben. Er emanzipiert sich gewissermaßen vondem, was gestaltbildend bei einer Flüssigkeit ist, wenigstens relativ ge-staltbildend ist, wenn die Flüssigkeit nicht durch die Zeit zum Ver-dunsten gebracht wird. Der feste Körper hat also seine feste Gestaltirgendwie; die Flüssigkeit muß in ein Gefäß eingeschlossen werden undunterliegt für ihre Niveaubildung, die sich überall an der Oberflächedes festen Körpers ebenso zeigt, den Kräften der ganzen Erde. Das ha-ben wir uns ja vor die Seele geführt. So daß wir nicht anders könnenals sagen: Indem wir eigentlich im Grunde die Summe alles Flüssigenauf der Erde betrachten, wir diese Summe alles Flüssigen auf derErde, wenn wir sie wirklich physikalisch betrachten wollen, mit derErde als eine Körperlichkeit anzusehen haben. Das Feste emanzipiertsich nur von diesem Verbundensein mit der Erde, es individualisiertsich, nimmt seine eigene Gestalt an. Wenn wir nun, zunächst beibehal-tend die Ausdrucksweise der gebräuchlichen Physik, in dem, was manSchwerkraft nennt, die Ursache für die Niveaubildung der Flüssigkeitsehen, so muß man doch, wenn man im rein Anschaulichen stehenbleibt, dasjenige, was man sonst einfach im rechten Winkel der Niveau-bildung entgegensetzt, in irgendeiner Weise hineinverlegen in den in-dividualisierten festen Körper. Man muß in irgendeiner Weise den-ken, daß dasjenige, was hier mit der Niveaubildung zu tun hat und wasman sich denkt alstSchwerkraft der Erde, in irgendeiner Weise auch imfesten Körper irgendwo drinnensitzt und die verschiedenen Niveaus

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bewirkt, daß also der feste Körper gewissermaßen die Schwerkraftindividualisiert. Wir sehen also, daß der feste Körper die Schwerkraftfür sich in Anspruch nimmt. Aber wir sehen auf der anderen Seiteja auch, daß die Niveauwirkung aufhört in dem Augenblick, wo wirzum Gas übergehen. Das Gas bildet kein Niveau. Wollen wir eine Ge-stalt des Gases haben» eine Grenze seines Rauminhaltes, so müssen wirdas durch den Einschluß in ein Gefäß von allen Seiten her bewirken.So daß wir also, indem wir von der Flüssigkeit zum Gas übergehen,die Niveaubildung aufhören sehen. Wir sehen das Hinausstreben auchüber diesen noch irdischen Rest von Gestaltenbilden, der im Niveausich äußert, und wir sehen, wie alle Gase, die uns schon dadurch alseine Einheit entgegengetreten sind, daß sie sich in dem gleichen Aus-dehnungskoeffizienten offenbarten, zusammen als ein einheitlich Ma-terielles von der Erde sich emanzipieren.

Nun fassen Sie diesen Gedanken ganz streng: Sie stehen hier alsMensch, also als Kohlenstofforganismus, auf der festen Erde, sindunter den Erscheinungen, die die festen Körper der Erde bewirken.Diese unterliegen als solche der Schwerkraft, die sich angeblich über-all äußert. So daß Sie eigentlich, indem Sie auf der Erde als Menschstehen, um sich herum haben die festen Körper, die sich in irgend-einer Weise die Schwerkraft angeeignet haben müssen zu ihrer Ge-staltbildung. Aber in den Erscheinungen, die diese festen Körper be-wirken in dem Fallen, wie ich es gestern gesagt habe, zu dem Sie sichein ideelles Niveau hinzuzudenken haben, das Sie überall bilden kön-nen, in dem haben Sie etwas, was Sie sich denken können als eine ArtKontinuum, als etwas, was sich überall ausbreitet, was gewissermaßeneine unsichtbare Flüssigkeit ist. So daß die festen Körper, sofern sieauf der Erde sich bewegen und Erscheinungen hervorrufen, in derSumme dieser Erscheinungen eine Flüssigkeit darstellen. Sie machendas gleiche, was eine materielle Flüssigkeit in sich macht. So daß wireigentlich sagen können: Indem wir auf der festen Erde stehen, nehmenwir dasjenige wahr und nennen es Schwerkraft, was beim Wasser ni-veaubildend ist.

Nun denken Sie sich aber, wir wären in der Lage als Menschen, aufeinem flüssigen Weltkörper zu leben, wir würden so organisiert sein,

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daß wir auf einem flüssigen Weltenkörper leben würden. Dann würdenwir über der Niveaubildung dieser Flüssigkeit sein müssen. Und wirwürden dann, ebenso wie wir jetzt im Verhältnis sind zu dem Flüssigen,im Verhältnis zum Gasförmigen sein, das aber nach allen Seiten strebt.Das heißt aber nichts Geringeres, als daß wir da keine Schwerkraftwürden wahrnehmen können. Zu reden von der Schwerkraft würdeaufhören, einen Sinn zu bekommen. Schwerkraft nehmen also nur die-jenigen Wesen wahr und ihr unterliegen nur diejenigen Körperlichkei-ten, die auf einem Planeten sind, der fest ist. Wesen, welche lebenkönnten auf einem Planeten, der flüssig ist, würden nichts wissen voneiner Schwerkraft. Man könnte nicht davon reden. Und Wesen, dienun gar auf einem Weltkörper leben, der gasig ist, die würden dasentgegengesetzte der Schwerkraft, das Streben nach allen Seiten vomZentrum weg, als das Normale ansehen müssen. Wenn ich mich para-dox ausdrücken will: Bei Wesen, die einen gasförmigen Planeten be-wohnten, müßten die Körper, statt hinzufallen zum Planeten, fort-während abgeschleudert werden. So daß wir, wenn wir den Übergangfinden jetzt in wirklich physikalisches Denken, nicht bloß in mathe-matisches Denken, das sich außerhalb des Wirklichen stellt, sondernwenn wir wirklich physikalisch denken, wir uns sagen müssen: Wir be-ginnen, indem wir auf einem festen Planeten stehen, um uns dieSchwerkraft zu haben. Und indem wir vom festen zum gasförmigenPlaneten schreiten, gehen wir durch eine Art Nullzustand hindurch

und kommen zu einem entgegengesetzten Zustand, zu einer räumlichenKraftäußerung, welche nur negativ im Verhältnis zur Schwerkraftaufgefaßt werden könnte.

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Sie sehen also, wir kommen, indem wir da durch das Materielledurchgehen, tatsächlich zu einem Nullpunkt im räumlichen Sein, zueiner Nullsphäre im räumlichen Sein, so daß wir von der Schwerkraftnur als von etwas sehr Relativem sprechen können. Ja, aber sehen wirdenn nicht, wenn wir einem Gas Wärme zuführen — wir haben dieVersuche darnach gemacht -, Wärme, die seine Zerstreuungskraft im-mer erhöht, schon das Bild, das ich Ihnen entworfen habe? (SieheZeichnung Seite 100.) Liegt nicht dasjenige, was da im Gas tätig ist,schon jenseits der Nullsphäre, zu der die Schwere hintendiert? Kön-nen wir nicht, indem wir innerhalb der Erscheinungen bleiben, uns wei-ter denken, daß, indem wir den Übergang finden von einem festen zumgasförmigen Planeten, wir durch einen Nullpunkt hindurchgehen? Un-terhalb die Schwerkraft; oberhalb verwandelt sich diese Schwerkraftfür das physikalische Denken zu ihrem Gegenteil, zur negativenSchwerkraft. Aber wir finden sie, wir brauchen sie gar nicht zu denken.Das Wärmewesen tut dasselbe, was diese negative Schwerkraft tut.Wir sind jetzt gewiß noch nicht am Ziel angekommen, aber wir habendoch soviel schon erreicht, daß wir das Wesen der Wärme relativ er-fassen können insoweit, daß wir sagen können: Das Wesen der Wärmeäußert sich gerade so, wie die Negation der Schwerkraft, die negativeSchwerkraft. Wenn man also in physikalischen Formeln, die dieSchwerkraft in sich enthalten, eine Schwerkraftgröße negativ einsetzt,so muß dem wirklichkeitsgemäßen Denken nach diese Formel nichtmehr vorstellen Schwerkraftlinie oder Schwerkraftgröße, sondernWärmekraftlinie und Wärmekraftgröße. Sie sehen also, daß man aufdiese Art die Mathematik erst beleben kann. Man kann einfach dieFormeln nehmen, die sich uns ergeben aus etwas, was wir rein mecha-nisch als ein Schwerkraftsystem betrachten. Setzen wir in diesen For-meln die Größen negativ, so sind wir genötigt, dasjenige, was früherSchwerkraft war, als Wärme anzusehen. Daraus ersehen Sie aber, daßwir nur dadurch, daß wir die Erscheinungen in ihrem Konkreten er-fassen, zu wirklichen Resultaten kommen. Wir sehen, indem wir vonden festen Körpern zu den flüssigen übergehen, wie sich die Gestaltunter dem Einfluß des Flüssigwerdens auflöst. Die Gestalt verliert sich.Wenn ich einen Kristall auflöse oder zum Schmelzen bringe, verliert

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er die Gestalt, die er vorher gehabt hat. Er nimmt diejenige Gestalt an,die er zunächst, weil er eben in das Allgemeine, in Flüssigkeit übergeht,unter dem Einfluß der Erde bekommt. Der Körper nimmt eine Ni-veaufläche der Erde an und muß in einem Gefäß aufbewahrt werden.

Aber es zeigt sich - wir wollen die Sache zunächst auch wiederumbloß der Erscheinung nach festhalten, wir können es später konkreterbegreifen -, wenn die Flüssigkeitsmenge nur genügend klein ist, daßder Tropfen entsteht, die Kugelform. Flüssigkeiten haben also, wennsie genügend klein sind, die Möglichkeit, sich auch von der allgemeinenSchwerkraft zu emanzipieren und in einem Spezialfall dasjenige sichanzueignen, was sonst bewirkt, daß polyedrisch bestimmte Gestaltenin den Kristallen erscheinen. Aber die Flüssigkeiten haben dann dieEigentümlichkeit, sich eine einheitliche Gestalt zu bilden, die Kugel-form. Und wenn ich nun diese Kugelform mir ansehe, ist sie gewisser-maßen die Zusammenfassung, die Synthese aller polyedrischen For-men, aller Kristallformen.

Wenn ich nun weitergehe von der Flüssigkeit zum Gas, so habe ichdas Auseinanderstreben, die Auflösung der Kugelform, aber jetzt nachaußen. Nun kommen wir allerdings zu einem etwas schwierigerenBegriff: Denken Sie sich einmal, Sie stehen irgendeiner einfachen Ge-stalt, einem Tetraeder gegenüber, und Sie würden das Tetraeder soumkehren, wie man einen Handschuh umkehrt. Dann würden Sie näm-lich allerdings bemerken, wenn Sie es umkehren wollten im ganzen,daß Sie durch die Kugelform durchgehen müßten, und daß dann derNegativkörper erscheint, für den alle Verhältnisse negativ sind, dergewissermaßen so ist, daß, wenn Sie hier das Tetraeder haben, irgend-wie ausgefüllt, so müßten Sie sich diesen Negativkörper so vorstellen,daß der ganze übrige Raum ausgefüllt ist. Da ist es gasig. Nun denkenSie sich in diesem angefüllten Raum ein tetraedrisches Loch ausgespart.Da ist es hohl. Sie müßten dann, wenn Sie die Sache real auffassen, inalle Größen, die sich auf dieses Tetraeder beziehen, die Werte negativeinsetzen. Dann kriegen Sie das Negativtetraeder, das ausgesparte Te-traeder, während sonst im Tetraeder Materie drinnen ist. Aber der Zwi-schenzustand, wo das positive Tetraeder in das negative Tetraeder über-geht, das ist die Kugel. Jeder polyedrische Körper geht in seine Nega-

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tion über, indem er durch die Kugel wie durch einen Nullpunkt, eineNullsphäre schreitet.

Jetzt verfolgen Sie das im Konkreten bei den Körpern. Sie habendie festen Körper mit Gestalten; sie gehen durch die Flüssigkeitsform,das heißt Kugelform durch und werden Gase. Wollen wir die Gaserichtig betrachten, so müßten wir sie als Gestalten betrachten, aberals Negativgestalten. Wir kommen also da zu Gestaltungen hinaus, diewir nur erfassen können, wenn wir durch die Nullsphäre ins Negativehineinkommen. Das heißt: Indem wir uns zu den Gasvorgängen, dieBilder der Wärmevorgänge sind, begeben, kommen wir durchaus nichtin ein Gestaltenloses, es wird uns nur schwieriger sie zu erfassen, alsdie Gestalten unserer Umgebung, die positive Gestalten sind, nichtnegative Gestalten sind. Ja, aber zu gleicher Zeit sehen wir daraus,daß jeder Körper, in dem überhaupt das Flüssige irgendwo in Betrachtkommt, in einem Zwischenzustand ist. Er ist in dem Zwischenzustand,von Gestaltetem zu dem, was wir gestaltlos nennen, also zu negativGestaltetem, überzugehen.

Haben wir irgendwo ein Beispiel, wo wir so etwas verfolgen können,in dem, was in unserer allernächsten Umgebung ist, was wir anschauen,aber nicht eigentlich erleben? Wir bleiben doch, wenn wir neben der Ver-flüssigung eines festen Körpers oder der Verdampfung eines flüssigenKörpers stehen, so ziemlich in demselben Erlebniszustand, wie wir vor-her waren. Aber können wir so etwas irgendwie miterleben? Wir könnenes miterleben und wir erleben es fortwährend mit. Wir erleben es dadurchmit, daß wir Erdenmenschen sind und daß die Erde zwar in der Nähe,in der wir sie bewohnen, tatsächlich ein grundfester Körper ist, und dann

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stehen Körper darauf, die in unserer Umgebung die verschiedenen Er-scheinungen bewirken, die wir dann anschauen. Aber außerdem istdas Flüssige eingebettet in das Irdische und gehört dazu, und auch dasGasförmige gehört dazu. Und es besteht tatsächlich ein großer Unter-schied zwischen dem, was ich nennen möchte, damit wir einen Aus-druck dafür haben - wir werden uns diesen Dingen schon nähern -,was ich nennen möchte Wärmenacht und Wärmetag. Was ist dieWärmenacht? Die Wärmenacht ist gegenüber der Lichtnacht dasje-nige, was eben unter dem Einfluß des Wärmewesens des Kosmos ge-schieht mit unserer Erde. Was kann da geschehen? Nun, wir werdenin der nächsten Zeit die Erscheinungen auf der Erde so verfolgen, daßwir wirklich sehen werden, was aber sehr leicht mit dem Gedankenauch zu erreichen ist: Unter dem Einfluß der Wärmenacht strebt dieganze Erde - wir könnten uns ja zunächst beschränken, indem wirsagen: die Erdatmosphäre - nach Gestalt. Während der Wärmenacht,also während wir dem Sonnenwesen nicht ausgesetzt sind mit unseremErdenwesen, während das Erdenwesen sich selbst überlassen ist, wäh-rend es sich emanzipieren kann von den Einwirkungen des kosmischenSonnenwesens, strebt es nach einer festen Gestalt, wie der Tropfennach einer festen Gestalt strebt, wenn er sich der umliegenden Schwer-kraft entziehen kann. Wir haben also, indem wir statt der Lichtnachtdie Wärmenacht in Betracht ziehen, das fortwährende Bestreben derErde nach Gestalt. Aber es ist nicht ganz richtig gesprochen, wenn ichsage: Es strebt die Erde nach der Tropfenform. Sie strebt nach vielmehr in der Wärmenacht: nach Gestaltung, nach Kristallisation. Unddasjenige, was wir nächtlich erleben, das ist ein fortwährendes Auf-tauchen von Kraftlinien, die nach Kristallisation streben, während beiTag unter dem Einfluß des Sonnenwesens ein fortwährendes Auflösendieses Kristallisationsstrebens da ist, ein fortwährendes Uberwinden-wollen der Gestalt.

Und wenn wir von der Wärmemorgendämmerung und -abend-dämmerung sprechen, müssen wir eigentlich davon sprechen, daß beider Wärmemorgendämmerung, nachdem die Erde in der Wärmenachtsich zu kristallisieren versucht hat, dieser Kristallisationsprozeß sichwiederum auflöst und die Erde bei der Wärmemorgendämmerung durch

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die Kugelgestalt durchgeht, mit ihrer Atmosphäre; dann versucht sie sichzu zerstreuen. Es kommt wiederum nach dem Wärmetag eine Wärme-abenddämmerung. Die Erde versucht wiederum eine Kugel zu bildenund sich während der Nacht zu kristallisieren, so daß wir die Erde ein-zufangen haben in einen kosmischen Prozeß, der darin besteht, daßwährend der Wärmenacht die Erde sich zusammenzuziehen versucht,daß, wenn der Gang fortgesetzt und die Sonne zum Verschwinden ge-bracht werden könnte, die Erde zum Kristall werden könnte. Das wirdzur rechten Zeit verhindert, indem die Erde wieder durchgeführt wirddurch die Wärmemorgendämmerung, durch die Kugelform, dann derVersuch der Erde entsteht, sich in den Weltenraum zu zerstreuen, biswiederum den Kräften entgegengewirkt wird durch die Wärmeabend-dämmerung. Wir haben es also nicht zu tun bei unserer Erde mit ir-gend etwas, das wir als ein Festbegrenztes im Weltenraum hinzeichnenkönnten, sondern wir haben es mit etwas zu tun, das im Kosmos fort-während schwingt, Wärmetag und Wärmenacht durchschwingt.

Sehen Sie, auf solche Dinge hin werden wir unsere Forschungsinsti-tute einzurichten haben. Wir werden zu unseren gewöhnlichen Ther-mometern und Hygrometern und so weiter hmzuzuerfinden haben In-strumente, durch die wir werden zeigen können, daß gewisse Vor-gänge, die sich innerhalb des Irdischen, namentlich innerhalb des flüs-sigen und gasförmigen Irdischen vollziehen, bei Nacht anders sich voll-ziehen als bei Tag.

Sie sehen also: Hier führt uns eine sachgemäße physikalische Be-trachtungsweise dazu, nun wirklich endlich einmal da zuzugreifen unddurch entsprechende Meßinstrumente jene feinen Unterschiede zu de-monstrieren, die sich ergeben zwischen Tag und Nacht für alle Erschei-nungen, die namentlich innerhalb des Flüssigen und Gasförmigen sichvollziehen. Wir werden in der Zukunft müssen ein gewisses Experi-ment machen bei Tage, es in der entsprechenden Stunde in der Nachtwiederholen, und wir werden müssen feine Meßinstrumente haben,welche uns die Erscheinungen verschieden zeigen bei Tag und beiNacht. Denn bei Tag sind nicht jene Kräfte, die die Erde zu kristalli-sieren streben, durch unsere Erscheinungen durchgehend, die bei Nachteben da sind. In der Nacht treten Kräfte auf, die aus dem Kosmos

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kommen. Und diese kosmischen Kräfte, die die Erde zu kristallisierenversuchen, die müssen das in den Erscheinungen zeigen. Und da er-öffnet sich uns der Experimentierweg, um wiederum für die Erde ihrenZusammenhang mit dem Weltall zu konstatieren.

Sie sehen, diejenigen Forschungsinstitute, die im Sinne unserer an-throposophisch orientierten Weltanschauung in der Zukunft einge-richtet werden müssen, sie werden bedeutsame Aufgaben haben. Siewerden wirklich müssen mit Dingen rechnen, mit denen man gegen-wärtig in den allerseltensten Fällen rechnet bei gewissen Erscheinungen.Natürlich bei Lichterscheinungen tun wir es heute schon, wenigstensbei gewissen Erscheinungen, indem wir künstlich Nacht hervorrufenmüssen, das Zimmer verdunkeln und so weiter, aber bei anderen Er-scheinungen, die sich unterhalb einer gewissen Nullsphäre vollziehen,versuchen wir das nicht. Statt dessen kommen wir dann zu der Idee,dasjenige, was wir finden würden als anschauliche Ergebnisse, wennwirklich anschauliche existieren würden, zu verlegen ins Innere derKörper und zu reden von allerlei Kräften, die sich abspielen zwischenAtomen und Molekülen. Das ganze beruht nur darauf, daß wir glau-ben, wir könnten bei Tage alles erforschen. Wir werden Unterschiedezum Beispiel der Kristallisationsgestalten auf diese Weise erst heraus-finden, daß wir dasselbe Experiment erst ausführen bei Tage, unddann ausführen bei Nacht. Das ist dasjenige, auf was im besonderenaufmerksam gemacht werden muß. Nun wird auf diesem Wege sicherst eine wahre Physik ergeben. Denn heute stehen im Grunde ge-nommen die physikalischen Erscheinungen chaotisch nebeneinander.Wir sprechen von mechanischer Energie, sprechen von akustischerEnergie zum Beispiel. Aber es wird dann, wenn wir über diese Dingephysikalisch forschen, durchaus nicht in der richtigen Weise bedacht,daß ja alle mechanischen Energien sich nur abspielen können da, woauf irgendeine Weise feste Körper sind. Akustische Energien aber wei-sen immer darauf hin, daß wir ja nicht mehr in der Sphäre der festenKörper sind, so daß dann die Flüssigkeitssphäre zwischen der rein me-chanischen Energie und der akustischen Energie drinnen liegt.

Ja, aber wenn wir nun hinauskommen aus dem Gebiet, in dem wiram leichtesten die akustische Energie beobachten, bei luftförmigen Kör-

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pern, dann kommen wir ja, als zu dem nächstanstoßenden sogenanntenAggregatzustand, zu der Wärme, die so übergelagert ist dem Gas, wieder flüssige Körper dem festen Körper. Und wir würden also, wennwir das äußerlich auffassen würden, haben:

xWärmeartiges

Gasförmiges Akustisches

Flüssiges

Festes Mechanisches

Wir würden innerhalb des Festen als Charakteristisches das Mecha-nische finden. Wir würden innerhalb des Gasförmigen das Charakte-ristische des Akustischen finden. Wie wir das Flüssige ausgelassen ha-ben, müssen wir hier die Wärme auslassen, und hier oben etwas anderes,was ich zunächst als x bezeichnen würde, finden. Wir würden alsoauf der anderen Seite des Wärmewesens noch etwas zu suchen haben.Zwischen diesem x und unseren gewöhnlichen, in der Luft sich voll-ziehenden akustischen Erscheinungen, würde das Wärmewesen liegen,wie zwischen den gasförmigen und festen Körpern das flüssige Wesenliegt. Sie sehen, wir versuchen das Wärmewesen auf irgendeine Weiseeinzufassen, uns ihm anzunähern auf irgendeine Weise. Und wenn Siesich sagen: Es liegt die Flüssigkeit zwischen dem Gasförmigen und demFesten, also muß zwischen dem x und dem Gasförmigen das Wärme-wesen liegen —, so müssen Sie auf eine ähnliche Weise die Übergängedurch das Wärmewesen hindurch zu dem x suchen. Sie müssen alsoetwas finden, was jenseits des Wärmewesens eben liegt, wie zum Bei-spiel die Tonwelt, insofern sie sich durch die Luft äußert, diesseits desWärmewesens liegt.

Damit sehen Sie aber den Versuch, wirklich solche physikalischeBegriffe zu bilden, welche hinausgehen aus dem bloß Abstrakten undzu erfassen suchen das Physikalische. So wie die Geometrie die Raum-formen ja wirklich erfaßt, aber niemals mechanische Begriffe etwasanderes als die Bewegung fester Körper erfassen können, so erfassen

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solche Begriffe, wie wir sie uns jetzt bilden, tatsächlich das physika-lische Wesen. Sie tauchen in das physikalische Wesen unter. Und nachsolchen Begriffen muß man streben. Daher würde ich glauben, daßes geradezu im rechten Sinn zu dem gehört, was sich herausbildenkönnte aus dem Universellen, aus dem heraus die Freie Waldorfschulegedacht ist, wenn man versuchen würde, nun wirklich auch das Ex-perimentelle auszudehnen in der Weise, wie das heute angedeutet wor-den ist, wenn man dasjenige, was sehr vernachlässigt worden ist in un-seren physikalischen Erscheinungen, die Zeit und den Zeitverlauf, indas physikalische Experiment hineinbeziehen würde.

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A C H T E R VORTRAG

Stuttgart, 8. März 1920

Wir haben gestern das Experiment gemacht, das zeigen soll nach dengebräuchlichen Anschauungen, wie sich mechanische Arbeit, die wirhervorgerufen haben, indem wir ein Schaufelrad zur Drehung unddamit zur Reibung an einer Wassermasse gebracht haben, in Wärmeumwandelt. Wir haben Ihnen gezeigt, daß das Wasser, an dem sichdas Schaufelrad rieb, wärmer wurde.

Heute wollen wir gewissermaßen das Umgekehrte machen. Wirhaben gestern gezeigt, daß irgendwie gesucht werden muß eine Erklä-rung dafür, daß, wenn wir jetzt die Tatsachen besser aussprechen alsdurch den Gedanken der bloßen Verwandlung, unter dem Einflußeiner geleisteten Arbeit Wärme entstehen kann. Jetzt wollen wir einenumgekehrten Vorgang verfolgen. Wir wollen hier zunächst Dampf er-zeugen, wollen also richtig auf dem Weg eines VerbrennungsprozessesDruck erzeugen, Spannung hervorrufen - also ein Mechanisches ausder Wärme - und wollen nach demselben Prinzip, nach dem alleDampfmaschinen bewegt werden, umsetzen diese Wärme auf dem Um-weg des Druckes in mechanische Arbeit. Dadurch, daß wir den Druckwirken lassen nach der einen Seite hier auf die Fläche unten, dadurchwird dieser Kolben hier in die Höhe getrieben (siehe Zeichnung Seite118). Dadurch, daß wir wiederum abkühlen den Dampf, wird derDruck vermindert, der Kolben geht wiederum zurück, und wir bekom-men die mechanische Arbeit, die auf- und absteigende Bewegung. Wirwerden dabei verfolgen können, wie das Wasser, das wiederum entsteht,wenn wir hier abkühlen, das Kondensationswasser, in dieses Gefäß hin-eingeht, und wir werden dann untersuchen, ob nun, nachdem wir denganzen Vorgang sich haben abwickeln lassen, die Wärme, die wir hiererzeugt haben, sich ganz umgewandelt hat in solche Arbeit, in die Ar-beit des Auf-und-Abbewegens dieses Kolbens, oder ob uns irgendwieeine Wärme verlorengegangen ist. Die Wärme, die verlorengeht, die sichnicht umwandelt, würde in der Hitze des Wassers erscheinen müssen.Es würde dann das Kondensationswasser in dem Fall, wo die ganze

1 17Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch:321 Seite: 117

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I)beweglicher

Kolben

5ai/gpumpe

Vakuum

Kondenswasser

Wärme verwendet wird zur Erzeugung von mechanischer Arbeit, un-fähig sein, eine Erhöhung der Temperatur aufzuzeigen. Findet eine Er-höhung der Temperatur statt, das heißt, können wir an diesem Thermo-meter konstatieren, daß das Wasser über die gewöhnliche Temperaturerwärmt ist, dann rührt diese Erwärmung her von der Wärme, die wirangewendet haben. Dann hat sich nicht die ganze Wärme in Arbeit ver-wandelt, wir waren nicht imstande dazu, es ist noch etwas übrigge-blieben. Wir wollen also konstatieren, ob die ganze Wärme in Arbeitverwandelt werden kann, oder noch etwas übrigbleibt und sich an derErwärmtheit des Kondensationswassers zeigt. Das Wasser hat 20°,wir werden dann sehen, ob das Kondensationswasser wirklich bis 20 °abgekühlt ist, also alle Wärme zur Arbeit verwendet wird, oder ob dieTemperatur dieses Kondensationswassers steigt und dadurch Wärmeverlorengehen würde. Jetzt kondensieren wir den Dampf, das Kon-denswasser tropft hinüber, und auf diese Art kann natürlich jetzt eineMaschine getrieben werden. Wenn der Versuch vollständig gelingt,können Sie sicher sein, daß das Kondenswasser hier eine wesentliche

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Erhöhung der Temperatur aufzeigt, und es ist dieses der Weg, aufdem man zeigen kann, daß, wenn man den zum gestrigen umgekehrtenVersuch macht, Wärme überzuführen in mechanische Arbeit, die ebendann besteht, daß der Kolben sich auf und ab bewegt, daß es dannunmöglich ist, alle Wärme, die man erzeugt hat, vollständig in mecha-nische Arbeit überzuführen; daß, wenn Wärme in mechanische Arbeitübergeführt wird, immer Wärme zurückbleibt, daß wir also in jedersolchen zur Erzeugung mechanischer Arbeit verwendeten Wärme ei-nen Teil haben, der als Rest bleibt, sich nicht umwandeln läßt in me-chanische Arbeit. Wir wollen zunächst auch hier nur die Erscheinungfesthalten, aber jetzt uns die Gedanken vorführen, welche sich diegebräuchliche Physik und diejenigen, die auf ihr mit ihren Anschau-ungen fußen, über die ganze Sache machen.

Wir haben es zunächst mit der ersten Tatsache zu tun, daß wirüberhaupt verwandeln können, wie man sagt, Wärme in mechanischeArbeit, und mechanische Arbeit in Wärme. Daraus hat sich, wie ichja schon erwähnte, die Ansicht gebildet, daß jede solche Form vonsogenannter Energie - Wärmeenergie, mechanische Energie, und mankönnte das Experiment auch für andere Energien machen — in eineandere sich umwandeln läßt. Von dem Maße der Umwandlung wollenwir jetzt absehen, und nur an der Tatsache festhalten. Nun sagt dergegenwärtige physikalische Denker: Es ist also unmöglich, daß, wennirgendwo eine Energie erscheint, eine Kraftwirkung erscheint, diesevon irgend etwas anderem herkommt als von einer schon vorhandenenanderen Energie. Wenn ich also irgendwo ein in sich geschlossenesSystem von Energien habe, zunächst von Energien einer bestimmtenForm, und es treten andere Energien mit auf, so müssen diese die Um-wandlung der schon vorhandenen Energien des geschlossenen Systemssein. Nirgends kann in einem geschlossenen System eine Energie andersdenn als Umwandlungsprodukt erscheinen. Eduard von Hartmann,der, wie ich schon angedeutet habe, die gegenwärtigen physikalischenAnsichten in seine philosophischen Begriffe faßt, hat diesen soge-nannten ersten Satz der mechanischen Wärmetheorie ausgesprochenmit den Worten: «Ein Perpetuum mobile der ersten Art ist eine Un-möglichkeit.» Was wäre ein Perpetuum mobile der ersten Art? Ein Per-

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petuum mobile der ersten Art wäre eben eine Einrichtung, wodurcheine Energie als solche in einem geschlossenen Energiesystem entstehenwürde. So daß also Eduard von Hartmann die hierauf bezügliche Tat-sachenreihe eben dahin zusammenfaßt, daß er sagt: «Ein Perpetuummobile der ersten Art ist eine Unmöglichkeit.»

Nun kommen wir zu der zweiten Tatsachenreihe, die sich uns durchdas heutige Experiment veranschaulicht hat: "Wir können in einem insich scheinbar geschlossenen System von Energien die eine Energie indie andere umwandeln. Dabei zeigt sich, daß die Umwandlung aberdoch gewissen Gesetzmäßigkeiten unterliegt, die mit der Qualität derEnergien zusammenhängen, und zwar so, daß eben Wärmeenergie sichnicht ohne weiteres ganz umwandeln läßt in mechanische Energien,sondern immer ein Rest bleibt. So daß es also unmöglich ist, Wärme-energie in einem geschlossenen System so in mechanische Energie um-zuwandeln, daß nun wirklich alle Wärme als mechanische Energie er-scheint. Würde man dies erreichen können, daß alle Wärme als me-chanische Energie erscheint, dann würde man wiederum die mecha-nische Energie umwandeln können in Wärme. Es würde möglich sein,daß in einem solchen geschlossenen System eine Energiequalität in dieandere sich umwandeln würde. Man würde damit die Möglichkeitgeboten haben, immer das eine in das andere umzuwandeln. Eduardvon Hartmann drückt wiederum diesen Satz so aus, daß er sagt: Einsolches geschlossenes System, in dem man zum Beispiel die ganze vor-handene Wärme umwandeln könnte in mechanische Arbeit, wo manmechanische Arbeit wiederum umwandeln könnte in Wärme, wo alsoein Kreislauf entsteht, wäre ein Perpetuum mobile der zweiten Art.Aber auch ein solches Perpetuum mobile der zweiten Art ist eineUnmöglichkeit, sagt er, und dies sind im Grunde genommen für dieDenker des 19. Jahrhunderts und des angehenden 20. Jahrhunderts aufdem Gebiete der Physik die zwei Hauptsätze der sogenannten mecha-nischen Wärmelehre:

«Ein Perpetuum mobile der ersten Art ist eine Unmöglichkeit.»«Ein Perpetuum mobile der zweiten Art ist eine Unmöglichkeit.» DieSache hängt sogar mit der Geschichte der Physik im 19. Jahrhundertzusammen. Der erste, der aufmerksam gemacht hat auf diese schein-

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bare Umwandlung des Wärmewesens in andere Energieformen oderanderer Energieformen in Wärme, das war ja Julius Robert Mayer,der im wesentlichen aufmerksam geworden ist auf den Zusammenhangzwischen Wärme und anderen Energieformen als Arzt, indem er inder heißen Zone eine andere Beschaffenheit des venösen Blutes bemerkthat als in der kalten Zone und daraus schloß auf eine andere Art derphysiologischen Arbeit in dem einen und in dem anderen Falle beimmenschlichen Organismus. Er hat dann hauptsächlich aus diesen seinenErfahrungen, die er vermehrt hat, später eine etwas verwuselte Theorieaufgestellt, und bei ihm hat eigentlich diese Theorie noch keinen ande-ren Umfang als den: Man könne entstehen lassen aus der einen Energie-form die andere. — Dann ist die Sache von verschiedenen anderenLeuten, unter anderen von Helmboltz, weiter ausgearbeitet worden.Schon bei Helmholtz tritt nun eine eigentümliche Form des physika-lisch-mechanischen Denkens als Ausgangspunkt der ganzen Betrach-tung auf. Nimmt man gerade die wichtigste Abhandlung von Helm-holtz, durch die er die mechanische Wärmetheorie zu stützen ver-sucht in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts, so liegt diese schon -und zwar als Postulat - dem Hartmannschen Gedanken zugrunde:Ein Perpetuum mobile der ersten Art ist eine Unmöglichkeit; weil einPerpetuum mobile unmöglich ist, müssen die verschiedenen Energie-arten nur Umwandlungen voneinander sein, es kann niemals eine Ener-gieform aus dem Nichts entstehen. Man kann den Satz, von dem manausgeht als einem Axiom: Ein Perpetuum mobile der ersten Art isteine Unmöglichkeit -, umwandeln in den anderen: Die Summe derEnergien im Weltensystem ist konstant. Es entsteht niemals eine Ener-gie, es vergeht niemals eine Energie. Es verwandeln sich nur die Ener-gien. Die Summe der Energien im Weltensystem ist konstant. - Diebeiden Sätze

«Es gibt kein Perpetuum mobile der ersten Art.»«Die Summe aller Energien im Weltenall ist konstant.»

enthalten im Grunde genommen genau dasselbe. Nun, darum handeltes sich, daß wir mit der Denkweise, die wir schon angewendet habenbei all unseren Betrachtungen, einmal in diese ganze Anschauungsartein wenig hineinleuchten.

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Man sieht hier an einem solchen Experiment, daß, wenn man denVersuch macht, Wärme in sogenannte Arbeit umzuwandeln, dannWärme gewissermaßen für die Umwandlung in Arbeit verlorengeht,daß Wärme wieder erscheint, daß also nur ein Teil der Wärme inArbeit, in eine andere Energie, in mechanische Energieformen, umge-wandelt werden kann. Man kann dann das, was man daran sieht, aufdas Weltenall anwenden. Das ist auch geschehen von den Denkern des19. Jahrhunderts. Etwa so sagten sich diese Denker: In der Welt, in deruns vorliegenden Welt, in der wir leben, ist mechanische Arbeit vor-handen, ist Wärme vorhanden. Fortwährend geschehen Prozesse, durchdie Wärme in mechanische Arbeit umgewandelt wird. Wir sehen, daßWärme da sein muß, damit wir überhaupt mechanische Arbeit erzeu-gen können. Denken Sie nur einmal, wie wir einen großen Teil unsererTechnik darauf eben gestützt haben, daß wir aus der ursprünglichenVerwendung von Wärme mechanische Arbeit zutage treten lassen.Aber dabei wird sich immer zeigen, daß wir Wärme niemals vollständigumwandeln können in mechanische Arbeit, daß immer ein Rest bleibt.Und wenn das so ist, müssen sich diese Reste so summieren, daß keinemechanische Arbeit mehr geleistet werden kann, daß wir einfach nichtmehr zurückverwandeln können die Wärme in mechanische Arbeit.Die Reste der unverwendbaren Wärme summieren sich, und das Wel-tenall geht entgegen jenem Zustand, in dem sich alle mechanische Ar-beit in Wärme verwandelt haben wird. Man hat auch gesagt, das Wel-tenall, in dem wir leben, geht seinem Wärmetod entgegen, wie man esauch etwas gelehrter nennen kann. Über den sogenannten Entropie-begriff wollen wir in einer der kommenden Betrachtungen noch spre-chen. Jetzt interessiert uns zunächst, daß man hier aus einem Experi-ment heraus Gedanken schöpfte über den Gang unseres zunächst fürden Menschen in Betracht kommenden Weltenalls.

Eduard von Hartmann hat die Sache nett ausgeführt, indem ersagt: Man sieht also - physikalisch beweisbar -, daß der Weltenprozeß,in dem wir leben, zunächst dadurch verläuft, daß in ihm Vorgängesind: auf der einen Seite Wärmeprozesse, auf der anderen Seite mecha-nische Prozesse, daß aber zuletzt alle mechanischen Prozesse übergehenwerden in Wärmeprozesse. Dann wird keine mechanische Arbeit mehr

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geleistet werden können. Das Weltenall ist an seinem Ende angekom-men. Es zeigen uns also die physikalischen Erscheinungen, sagt Eduardvon Hartmann, daß der Weltenprozeß ausbummelt. Dieses ist seineArt, über die Vorgänge, innerhalb welcher wir leben, sich auszuspre-chen. Wir leben also in einem Weltenall, das uns durch seine Prozesseerhält, aber darin besteht die Tendenz, immer bummliger zu werdenund zuletzt ganz auszubummeln - ich wiederhole nur Eduard vonHartmanns eigene Worte.

Nun müssen wir uns aber über das Folgende klar werden: Gibt esdenn irgend so etwas wie die Möglichkeit, in einem geschlossenen Sy-stem eine Summe von Prozessen hervorzurufen? Merken Sie wohl,was ich sage: Wenn ich an der Summe meiner Experimentierwerkzeugestehe, so stehe ich doch wahrlich nicht im Vakuum, im leeren Raum,und selbst dann, wenn ich glauben könnte, daß ich im leeren Raumstehe, bin ich ja noch nicht ganz sicher, ob nicht dieser leere Raumsich nur dadurch als leer zeigt, daß ich zunächst nicht wahrnehme, wasin ihm noch drinnen ist. Stehe ich denn jemals mit meinem Experimen-tieren innerhalb irgendeines geschlossenen Systems? Ist denn nicht das-jenige, was ich selbst im einfachsten Experiment verrichte, ein Eingriffin den gesamten Prozeß des Weltenalls, das mich zunächst umgibt?Darf ich anders vorstellen, wenn ich zum Beispiel hier diese ganzeSache mache, als daß das in dem Zusammenhang des ganzen Welten-prozesses etwas Ähnliches ist, wie wenn ich eine kleine Nadel nehmeund mich hier steche? Wenn ich hier steche, empfinde ich einenSchmerz, der hält mich ab, einen Gedanken zu fassen, den ich sonsterfaßt hätte. Aber ganz gewiß darf ich nicht, wenn ich das, was hiergeschieht, in seinem ganzen Zusammenhang betrachten will, bloß denDruck der Nadel und die Lädierung der Haut, der Muskeln ins Augefassen, denn ich würde ja dadurch nicht den ganzen Prozeß ins Augefassen. Der Prozeß ist damit nicht erschöpft. Denken Sie einmal, ichnehme durch eine Ungeschicklichkeit eine Nadel, steche mich, spüreden Schmerz. Ich werde abrücken. Das, was da auftritt als eine Wir-kung, das ist doch ganz entschieden nicht zu erfassen, wenn ich bloßdasjenige, was hier in diesem Hautteil vor sich geht, ins Auge fasse.Und dennoch ist das Abrücken von der Nadel nichts weiter als eine

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Fortsetzung derjenigen Prozesse, die ich beschreibe, wenn ich eben nurden ersten Teil ins Auge fasse. Wenn ich den ganzen Prozeß beschreibenwill, muß ich Rücksicht nehmen darauf, daß ich da mit meiner Nadelnicht in die Kleider gestochen habe, sondern in den Organismus, denich als Ganzes aufzufassen habe, der seinerseits wiederum reagiert alsganzer Organismus und als solcher dasjenige hervorruft, was danndie Folge des ersten ist.

Darf ich ohne weiteres hier, indem ich solch ein Experiment mirvor Augen stelle, sagen: Ich habe erwärmt, mechanische Arbeit hervor-gerufen, die Wärme, die da übriggeblieben ist im Kondensationswasser,die ist eben übriggeblieben durch sich selbst? Ich stehe ja nicht mit derganzen Einrichtung hier so im Zusammenhang, wie wenn ich sie da(in den Finger) eingebohrt hätte. Es könnte ja die Entstehung oder dasBehalten der Warme, das Auftreten im Kondensationswasser, zusam-menhängen mit der Reaktion des ganzen großen Systems auf den Pro-zeß hier, wie mein Organismus reagiert auf den kleinen Prozeß desStechens der Nadel. Dasjenige, was ich also vor allen Dingen zu be-rücksichtigen habe, ist: Daß ich niemals die Experimentalanordnung alsein geschlossenes System ansehen darf, sondern mir bewußt bleibenmuß, daß diese ganze Experimentalanordnung unter den Einflüssender Umgebung steht und auch der Energien, die eventuell aus dieserUmgebung wirken.

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Halten Sie mit diesem nun ein anderes zusammen: Nehmen Sie an,Sie haben zunächst wieder im Gefäß eine Flüssigkeit mit der Niveau-fläche, wodurch Sie voraussetzen Kraftwirkung senkrecht auf die Ni-veaufläche. Denken Sie nun, es gehe diese Flüssigkeit durch Abküh-

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lung in einen gestalteten festen Körper über. Es ist ganz unmöglich,daß Sie sich jetzt nicht denken, daß diese Richtungen hier, diese Kraft-richtungen nicht von einer anderen in irgendeiner Weise durchkreuztwerden. Denn diese Kraftrichtungen bewirken ja eben, daß ich dasWasser in einem Gefäß aufbewahren muß, daß nur durch die Niveau-fläche die Form des Wassers da ist. Wenn nun bei der Verfestigungeine geschlossene, gestaltete Form entsteht, ist es unbedingt notwendig,vorauszusetzen, daß nun Kräfte hinzutreten zu denen, die früher vor-handen waren. Das liefert die unmittelbare Anschauung, daß da Kräftehinzutreten zu denen, die früher vorhanden waren. Und zunächst istder Gedanke ganz absurd, zu glauben, daß jene Kräfte die Gestaltbewirken, die irgendwie schon im Wasser drinnen gewesen wären,denn sie hätten ja sonst, wenn sie drinnen gewesen wären, im Wasserdie Gestalt bewirken müssen. Sie sind also aufgetreten. Sie könnennicht im Wassersystem enthalten gewesen sein, sie müssen von außer-halb des Wassersystems an dieses herangekommen sein. Nehmen wirdaher die Erscheinung so, wie sie ist, so müssen wir sagen: Wenn irgend-wo eine Gestalt auftritt, so tritt sie tatsächlich als eine Neuschöpfungauf. Bleiben wir nur innerhalb desjenigen, was wir anschaulich kon-statieren können, so tritt die Gestalt als eine Neuschöpfung auf. Wirsehen es ja förmlich anschaulich, wenn wir aus einer Flüssigkeit einenfesten Körper entstehen lassen. Die Gestalt tritt anschaulich auf alsNeuschöpfung, und sie wird wieder aufgehoben, wenn wir den Körperin eine flüssige Form umwandeln. Man fasse nur so etwas einmal aufnach dem, was die Anschauung liefert. Was folgt denn aus dem ganzenVorgang, wenn man wirklich das Anschauliche in einen Begriff umwan-delt? Es folgt daraus, daß sich der feste Körper selbständig zu machenversucht, daß er versucht, in sich ein geschlossenes System zu bilden,daß er einen Kampf mit seiner Umgebung eingeht, um ein geschlosse-nes System zu werden.

Ich möchte sagen, man kann es hier mit Händen greifen, daß hierdurch die Verfestigung des Flüssigen der Versuch der Natur vorliegt,zu einem Perpetuum mobile zu kommen. Das Perpetuum mobile ent-steht nur nicht, weil das System sich nicht selbst überlassen wird, weildie ganze Umgebung darauf wirkt. So können Sie zu der Anschauung

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vorrücken: In unserem uns gegebenen Raum ist fortwährend an denverschiedenen Punkten die Tendenz vorhanden zur Entstehung einesPerpetuum mobile. Aber sofort entsteht gegen diese Tendenz eine Ge-gentendenz. So daß wir sagen können: Wenn irgendwo die Tendenzentsteht, ein Perpetuum mobile zu bilden, so bildet sich in der Um-gebung die Gegentendenz, die Entstehung des Perpetuum mobile zuverhindern. Wenn Sie die Denkweise so orientieren, dann modifizie-ren Sie die abstrakte Denkweise der modernen Physik des 19. Jahr-hunderts ganz und gar. Die geht davon aus: Ein Perpetuum mobile istunmöglich, daher - und so weiter. Wenn man in der Tatsachenwelt ste-hen bleibt, muß man sagen: Ein Perpetuum mobile will fortwährendentstehen. Nur die Konstitution des Weltenalls verhindert dies.

Und die Gestalt eines festen Körpers, was ist sie? Sie ist der Aus-druck des Kampfes. Dieses Bild, das sich im festen Körper bildet, dasist der Ausdruck des Kampfes zwischen der Substanz als Individuali-tät, die ein Perpetuum mobile bilden will, und der Verhinderung derBildung des Perpetuum mobile durch das ganze All, das relative All,in dem sich dieses Perpetuum mobile bilden will. Die Gestalt einesKörpers ist das Resultat der Verhinderung dieses Strebens, ein Perpe-tuum mobile zu werden, ich könnte auch sagen statt Perpetuum mobile,weil das vielleicht da oder dort besser gefallen würde, eine Monade,ein in sich selbst geschlossenes, seine eigenen Kräfte in sich tragendesund seine Form erzeugendes Körperwesen.

Wir kommen, und hier liegt ein entscheidender Punkt, geradezudazu, umzukehren den ganzen Ausgangspunkt nicht der Physik, inso-fern sie Experimente liefert, die auf Tatsachen beruhen, sondern derganzen physikalischen Denkweise des 19. Jahrhunderts. Sie arbeitetemit ungültigen Begriffen. Sie konnte nicht sehen, wie in der Naturdoch das Streben überall vorlag nach dem, was sie für unmöglich hielt.Es war dieser Denkweise verhältnismäßig leicht, es für unmöglich zuerklären, aber es ist nicht aus dem abstrakten Grunde unmöglich, ausdem heraus die Physiker angenommen haben, das Perpetuum mobilesei unmöglich, sondern es ist deshalb unmöglich, weil in dem Augen-blick, wo es entstehen soll an irgendeinem Körper, sogleich die Um-gebung den Neid empfindet — wenn ich jetzt einen Ausdruck morali-

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scher Art anwenden darf - und das Perpetuum mobile nicht entstehenläßt. Es ist aus einer Tatsachengrundlage, nicht aus einer logischenGrundlage heraus unmöglich. Sie können sich denken, wieviel Ver-kehrtheiten in einer Theorie stecken müssen, die abseits von der Wirk-lichkeit gerade ihre Grundpostulate aufstellt. Wenn man bei der Wirk-lichkeit stehen bleibt, kommt man eben nicht herum um dasjenige, wasich Ihnen gestern zunächst im Schema anführte. Wir werden diesesSchema in den nächsten Tagen noch weiter ausarbeiten.

Ich sagte Ihnen: Wir haben zunächst das Gebiet der festen Körper.Diese festen Körper sind diejenigen, welche in sich feste Gestalten zei-gen. Wir haben gewissermaßen anstoßend an das Gebiet der festenKörper das Gebiet der Flüssigkeiten. Die Gestalten lösen sich auf, ver-schwinden, wenn der feste Körper in die Flüssigkeit übergeht. Wirhaben den vollen Gegensatz zum Festen in dem Auseinanderstreben,in dem Die-Gestalt-Auf heben des gasförmigen Körpers: negative Ge-stalt. Wie aber äußert sich denn diese negative Gestalt? Sehen wirvorurteilslos auf gasige oder luftförmige Körper hin, betrachten wirsie zum Beispiel da, wo sich bei ihnen zeigt, wie wahrnehmbar werdenkann dasjenige, was bei ihnen der Gestalt entspricht. Ich habe Sie ge-stern hingewiesen auf das Gebiet der Akustik, der Tonwelt. Sie wissen,im Gasigen beruht das Tönende in seinem Entstehen auf den Verdich-tungen und Verdünnungen. Mit Verdichtung und Verdünnung habenwir es aber auch beim ganzen Gas zu tun, wenn wir die Temperaturändern. Suchen wir also, indem wir die Flüssigkeit überspringen, das-jenige, was dem bestimmt Gestalteten des festen Körpers im Gase ent-spricht, so müssen wir es suchen bei der Verdichtung und Verdünnung.Im festen Körper haben wir die bestimmte Gestalt; im Gas haben wirVerdichtung und Verdünnung.

Und kommen wir zu dem, was das an das Gas angrenzende Gebietist, das wie die Flüssigkeit an das Gebiet der festen Körper angrenzt -und wir wissen ja: Wie die festen Körper das Bild der Flüssigkeit ge-ben, die Flüssigkeit das Bild der Gase in ihrer Gesamtheit, so die Gasedas Bild der Wärme -, so haben wir uns das Gebiet der Wärme als dasnächste vorzustellen. Als nächstes Gebiet werde ich mir zunächst ein xzu postulieren haben. Und wenn ich zunächst nur durch Analogie -

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X I Materiellwerden - Geistigwerden

Warme

Gas Negative Gestalt Verdichtung-Verdünnung

Flüssigkeiten

Feste Körper Gestalt

wir werden sie verifizieren in den nächsten Betrachtungen - weiter-zukommen versuche, so muß ich statt Verdichtung und Verdünnungetwas weiteres suchen in diesem x-Gebiet drinnen. Ich muß für Ver-dichtung und Verdünnung etwas Entsprechendes in dem x suchen(mit Überspringung der Wärme), wie ich hier (unten) auch das Flüssigeübersprungen habe. Wenn Sie zuerst eine feste, geschlossene Gestalthaben, dann dazu kommen, daß beim Körper, der gasig ist, sich das Ge-staltete nur noch im flüssig Gestalteten der Verdichtung und Verdün-nung ausdrückt, und Sie denken sich gesteigert die Verdichtung undVerdünnung, was muß denn da werden? Solange Verdichtung undVerdünnung da ist, ist natürlich noch immer Materie da. Aber wennSie nun weiter verdünnen und immer weiter verdünnen, so kommenSie ja zuletzt aus dem Gebiet des Materiellen heraus. Und Sie müssenals die weitere Fortsetzung, einfach indem Sie in dem Charakter desGanzen bleiben, sagen: materiell werden - geistig werden. Sie kommen,indem Sie über das Gebiet der Wärme hinaufsteigen, in das x hinein;Sie kommen, einfach wenn Sie festhalten den Charakter, der da liegtim Übergang von der festen Gestalt in die flüssige Gestalt, vom Ver-dichten und Verdünnen in das Materiesein und Nicht-Materiesein hin-ein. Sie können nicht anders, als von Materiesein und Nicht-Materie-sein zu sprechen. Das heißt: Wir kommen, indem wir durch das Gebietder Wärme durchschreiten, tatsächlich in etwas hinein, was sich in ge-wissem Sinne als eine gerechte Fortsetzung erweist dessen, was wir inden unteren Gebieten beobachtet haben. Der feste Körper widerstrebtder Wärme, die Wärme wird mit ihm nicht recht fertig. Der flüssigeKörper geht schon mehr auf die Intentionen der Wärme ein. Das Gasfolgt ganz und gar den Intentionen der Wärme, es läßt mit sich ma-

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chen, was die Wärme mit ihm machen will, es ist in seinen materiellenVorgängen ganz und gar ein Bild des Wärmewesens selber. Ich kannsagen: Das Gas ist im wesentlichen in seinem eigenen substantiellenVerhalten dem Wärmewesen ähnlich. Der Ähnlichkeitsgrad der Ma-terie mit der Wärme wird immer größer, je weiter ich vorschreitevom festen Körper durch den flüssigen Körper zum Gas. Das heißt:Flüssigwerden und Verdampfen der Materie bedeutet ein Ähnlichwer-den der Materie mit der Wärme. Aber indem ich dann das Gebiet derWärme überschreite, indem also die Materie gewissermaßen ganz derWärme ähnlich v/ird, hebt sie sich selber auf. So stellt sich für michdie Wärme hinein zwischen zwei sehr stark voneinander verschiedeneGebiete, die essentiell verschieden sind: das Geistgebiet und das Ma-teriegebiet. Zwischen drinnen steht das Wärmegebiet. Nur wird unsjetzt der Übergang in die Realität etwas schwierig, denn wir habenauf der einen Seite da hinaufzusteigen in das, wo es immer geistiger zuwerden scheint, und auf der anderen Seite da hinunter, wo es scheintimmer materieller zu werden. Und da geht es scheinbar in die Unend-lichkeit hinauf, in die Unendlichkeit hinunter (siehe Pfeile im Schema).

Aber nun bietet sich eine andere Analogie, die ich Ihnen heute nochhinzeichne aus dem Grunde, weil durch anschauliche Verfolgung dereinzelnen Naturtatsachen sich in der Tat eine gesunde Naturwissen-schaft entwickeln kann und es vielleicht nützlich sein kann, die Sachesich einmal durch die Seele ziehen zu lassen. Wenn Sie das Spektrum,wie es gewöhnlich entsteht, betrachten, so haben Sie Rot, Orange,Gelb, Grün, Blau, Indigo, Violett.

ultrarot r o g gr b i v ultraviolett-< >-

Sie haben die Farbenreihe in ungefähr sieben Nuancen wie in einemBande nebeneinander verlaufend. Aber Sie wissen ja auch, daß dasSpektrum hier nicht ein Ende hat und auch hier nicht, daß wir hier(links), indem wir das Spektrum verfolgen, zu immer wärmeren undwärmeren Gebieten kommen und zuletzt ein Gebiet haben, wo nichtmehr Licht, wohl aber noch Wärme auftritt, das ultrarote Gebiet. Jen-seits des Violett haben wir auch kein Licht mehr, wir bekommen das

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Ultraviolett, das nur noch chemische, das heißt also materielle Wir-kungen entfaltet.

Aber Sie wissen ja auf der anderen Seite, daß im Sinne der Goethe-schen Farbenlehre diese Linie hier dadurch zu einem Kreis gemachtwerden kann und man die Farben anders anordnen kann, daß mannun nicht bloß betrachtet das Verhalten des Lichtes, aus dem ein Spek-trum sich bildet, sondern betrachtet die Dunkelheit, aus der ein Spek-trum sich bildet, das dann in der Mitte nicht Grün, sondern Pfirsich-blüte hat und von da ausgehend die anderen Farben. Ich bekomme,wenn ich die Dunkelheit betrachte, das negative Spektrum. Und stelle

\ \ ror

ich die beiden Spektren zusammen, so bekomme ich zwölf Farben, diesich genau unterscheiden lassen in einem Kreis: Rot, Orange, Gelb,Grün, Blau, Indigo, Violett. Hier wird das Violett immer mehr undmehr der Pfirsichblüte ähnlich, hier sind zwei Nuancen zwischen Pfir-sichblüte und Violett, hier wiederum zwei Nuancen zwischen Pfirsich-blüte und Rot, und Sie bekommen dann, wenn Sie die Gesamtheit dieserFarbennuancen verfolgen, gewissermaßen zwölf Farbenzustände, wennich den Ausdruck gebrauchen darf. Daraus können Sie ersehen, daßdas, was man gewöhnlich als Spektrum schildert, auch dadurch ent-standen gedacht werden kann, daß Sie sich denken, ich könnte durchirgend etwas diesen Farbenkreis hier entstehen lassen, und würde ihn

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immer größer und größer machen nach der einen Seite hin; dadurchwürden mir diese oberen fünf Farben immer mehr und mehr hinaus-rücken, bis sie mir zuletzt entschwänden; die untere Biegung gingenahezu in die Gerade über, und ich bekäme dann die gewöhnlicheSpektrumfolge der Farben, indem mir nur die anderen fünf Farbennach der anderen Seite entschwunden sind.

Ich stellte jetzt zuletzt die Farben hin. Könnte es nicht auch da(Schema Seite 128) mit dem Gehen ins Unendliche so etwa der Fallsein, wie hier beim Spektrum? Daß ich nämlich etwas Besonderes her-ausbekäme, wenn ich nun suchte: Was wird, wenn das, was da (Schema)in die Unendlichkeit scheinbar fortgeht, sich zum Kreis rundet und dawiederum zurückkommt? Könnte es nicht so etwas geben wie ebeneine Art von anderem Spektrum, das mir umfaßte auf der einen Seiteden Zustand von über der Wärme bis hinunter zur Materie, das ichaber nach der anderen Seite hin auch so zum Schließen bringen kannwie hier das Farbenspektrum zur Pfirsichblüte-Farbe? Diesen Gedan-kengang wollen wir morgen weiter fortsetzen.

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N E U N T E R VORTRAG

Stuttgart, 9. März 1920

Gerade wenn man von den von der heutigen Physik angenommenenVerwandlungen der Kräfte und der Energien spricht, so wird es nötig,darauf aufmerksam zu machen, in welcher Weise etwa hinzudeutenist auf dasjenige, was hinter diesen Verwandlungen eigentlich steckt.Wir werden uns in diesen Betrachtungen ganz systematisch nähern die-sem hinter den Energieverwandlungen Steckenden. Zu diesem Zweckemöchte ich heute neben das gestrige Experiment ein anderes stellen,wo wir auch Arbeit verrichten durch die Aufwendung einer anderenEnergie, als in dieser Art unmittelbar zum Vorschein kommt. Wirwerden gewissermaßen in einer anderen Sphäre hervorrufen ein Bilddesjenigen, was gestern auch geschehen ist, indem wir hier ein Rad zurDrehung bringen, zur Bewegung bringen, also eine Arbeit verrichten.Denn wir könnten ja dann die Drehung des Rades übertragen auf ir-gendwelche Maschinerie und diese Drehung des Rades als Bewegungverwenden. Wir werden die Drehung des Rades dadurch hervorrufen,daß wir in diese Schaufeln einfach Wasser hineinfließen lassen, dasdurch seine Schwerkraft uns das Schaufelrad in Bewegung bringt. DieKraft, die einfach irgendwie drinnensteckt in dem fließenden Wasser,diese Kraft ist es, welche wir in die Rotationskraft des Rades über-tragen (Experiment).

\Wir werden nun hier in diesen Trog Wasser hineinfließen lassen,um das herunterfließende Wasser früher, als das beim bisherigen Ver-such der Fall war, einem Niveau begegnen zu lassen. Das, was eigent-lich zu zeigen ist, das ist, daß dadurch, daß wir nun unten ein Niveauschaffen, wir bewirken, daß die Drehung des Rades doch eigentlichlangsamer wird, als sie früher war. Nun, sie wird um so langsamer, jemehr das untere Niveau dem oberen näherrückt, so daß wir sagen kön-nen: Wenn wir bezeichnen die Höhe von dem absoluten Wasserstandzu diesem Punkte hier (a), wo das Wasser anfließt an unser Rad, wennwir diese bezeichnen mit h, und die senkrechte Entfernung zwischendem absoluten Wasserstand und der Niveaufläche, die wir da unten

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haben, mit h\ so bekommen wir eine Differenz heraus von h-h\ und wirkönnen sagen: Dasjenige, was wir leisten können an dem Rad, wirdirgendwie zusammenhängen - in welcher Weise, werden wir eben su-chen im Laufe unserer Betrachtungen - mit der Differenz der beidenNiveaus. Wir haben auch gestern bei unserem Experiment eine Art Ni-veaudifferenz gehabt. Denn denken Sie sich, wir bezeichnen den Wärme-zustand, der in unserem Räume herrscht am Beginn unseres Experi-ments, mit t\ und wir bezeichnen den Wärmezustand, den wir her-vorrufen durch die Erwärmung, die wir bewirken, damit die mechani-sche Arbeit geleistet werden kann, die wir gestern leisteten in demauf- und absteigenden Kolben, wir bezeichnen diesen Wärmezustanddurch t, so werden wir auch in irgendeiner Weise sagen können: Vondieser Differenz zwischen t und tJ hängt die geleistete Arbeit ab, alsoauch hier von etwas, das in einer gewissen Beziehung als eine Niveau-differenz bezeichnet werden kann.

Ich muß Sie besonders aufmerksam darauf machen, daß uns zu-nächst diese beiden Versuche darauf hinweisen, wie wir es zu tun habenüberall da, wo so etwas eintritt, was man heute als Umwandlung derEnergie bezeichnet, mit Niveaudifferenz. Was nun diese Niveaudiffe-renz für eine Rolle spielt, was da eigentlich hinter der Verwandlungder Energien steckt, was sich zum Beispiel Eduard von Hartmann ersthinweggeschafft hat, bevor er an eine Definition der physikalischenErscheinungen geht, das werden wir nur finden, wenn wir, um nunden ganzen Umfang der Wärmeerscheinungen gewissermaßen zu be-

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leuchten, den gestrigen Gedankengang heute fortsetzen und zu einemgewissen Abschluß bringen. Bei diesen Dingen muß man immer wiederund wiederum hinweisen auf ein schönes Wort, das Goethe gesprochenhat im Hinblick auf die physikalischen Erscheinungen. Dieses Wort,er hat es in verschiedener Art ausgesprochen, er sagte etwa: Was isteigentlich alle Erscheinung an äußeren physikalischen Apparaten ge-gen das Ohr des Musikers, gegen dasjenige, was also als Erscheinung,als Offenbarung des Naturwirkens uns entgegentritt durch das Ohrdes Musikers selbst! - Goethe wollte eben darauf hinweisen, daß mandurchaus nicht zum Ziele kommt, wenn man die physikalischen Er-scheinungen abgesondert vom Menschen betrachtet. Die physikalischenErscheinungen im Zusammenhang mit dem Menschen, also die akusti-schen Erscheinungen im Zusammenhang mit den Gehörwahrnehmun-gen des Menschen nun in richtiger Art betrachten, das kann allein auchnach Goethes Ansicht zum Ziele führen. Aber wir haben gesehen, daßgroße Schwierigkeiten auftreten, wenn wir so etwas wie die Wärme-erscheinungen an den Menschen heranbringen und nun diese wirklichim Zusammenhang mit der Wesenheit des Menschen betrachten wollen.Und es weist auf eine solche Betrachtungsweise, ich möchte sagen, sogardie Tatsache hin, die zu der sogenannten Entdeckung der neueren me-chanischen Wärmetheorie geführt hat. Dasjenige, was da in der neuerenmechanischen Wärmetheorie spukt, das ist ja eigentlich ausgegangenvon einer am menschlichen Organismus gemachten Beobachtung durchJulius Robert Mayer. Julius Robert Mayer, der Arzt war, hat beiAderlässen, die er genötigt war in Java, also in den Tropengegenden,auszuführen, bemerkt, daß das venöse Blut dort bei Tropenleuten einerotere Färbung hat als bei Leuten in nördlicheren Zonen. Daraus hater mit Recht geschlossen, daß der Vorgang, der sich abspielt, um dieFärbung des venösen Blutes herbeizuführen, ein anderer ist, je nach-dem der Mensch in einer wärmeren oder kälteren Umgebung lebt, alsogenötigt ist, mehr Wärme oder weniger Wärme an seine Umgebungzu verlieren, also auch genötigt ist, mehr oder weniger Wärme durchdie Sauerstoffaufnahme, durch die Atmung zu ersetzen. Davon ist Ju-lius Robert Mayer ausgegangen, daß diese gewissermaßen innere Ar-beit, die der Mensch verrichtet, indem er den Prozeß, dem er unterwor-

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fen ist durch die Sauerstpffaufnahme, weiter verarbeitet, daß dieserProzeß wesentlich verinnerlicht wird, wenn der Mensch weniger ge-nötigt ist, mit der äußeren Umgebung zu arbeiten. Der Mensch brauchtin den Tropengegenden, also wenn er weniger genötigt ist, Warme anseine Umgebung zu verlieren, weniger mit dem äußeren Sauerstoff zu-sammen eine Arbeit zu verrichten, als er nötig hat, wenn er mehrWärme an seine Umgebung verliert. Und dadurch ist gewissermaßenin kälteren Zonen der Mensch so beschaffen, daß er die Lebensarbeit,die er verrichtet, um überhaupt auf der Erde da zu sein, mehr in Ge-meinschaft mit seiner Umgebung verrichtet. Er muß mehr mit demSauerstoff der Luft zusammenarbeiten in kälteren als in wärmeren Ge-genden, wo er weniger zusammen mit der Umgebung und mehr in sei-nem inneren Wesen arbeitet.

Sie sehen da zu gleicher Zeit hinein in ein Getriebe der ganzenmenschlichen Organisation. Sie sehen, daß es einfach in der Umgebungwärmer zu sein braucht, und der Mensch arbeitet mehr innerlich indi-viduell, als er arbeitet, wenn es in seiner Umgebung kälter ist und erdaher mehr in der Gemeinsamkeit mit den äußeren Vorgängen seinerUmgebung arbeiten muß. Von diesem Prozeß, der also darstellt ge-wissermaßen eine Beziehung des Menschen zu seiner Umgebung, istdie Betrachtung der mechanischen Wärmetheorie ausgegangen. DieseBeobachtung hat Julius Robert Mayer 1842 dazu geführt, zuerst seinekleine Abhandlung an die Poggendorffschen Annalen damals zu schik-ken. Von ihr ist ja ausgegangen im Grunde genommen die ganze physi-kalische Bewegung, die dann nachher gekommen ist. Grund genug, alsdazumal diese Abhandlung von Julius Robert Mayer den Poggendorf f-schen Annalen übergeben worden ist, sie zurückzuweisen als vollstän-dig talentlos. Wir haben da die eigentümliche Erscheinung, daß heutedie Physiker sagen: Wir haben die Physik auf ganz neue Bahnen ge-leitet, wir denken über die physikalischen Erscheinungen ganz andersals vor dem Jahre 1842 - aber zu gleicher Zeit darauf hingewiesen wer-den muß, daß die damaligen Physiker diese Abhandlung von JuliusRobert Mayer - und es waren eigentlich die besten Physiker, die dar-über zu entscheiden hatten - als gänzlich talentlos erklärt und sie nichtin die Poggendorffschen Annalen aufgenommen haben.

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Nun könnte man sagen: Mit dieser Abhandlung ist doch in gewisserWeise der Schluß gemacht worden mit den früheren, allerdings un-vollkommenen, aber immerhin so gehaltenen physikalischen Betrach-tungen, daß man sie in Goetheschem Sinne an den Menschen oder biszum Menschen herangebracht hat. Nach dieser Abhandlung geht einePhysik auf, welche das Heil der physikalischen Betrachtung darinsieht, daß man gewissermaßen den Menschen als nicht daseiend be-trachtet, wenn man von physikalischen Tatsachen sprechen will. Dasist ja auch das wesentliche Charakteristikum der physikalischen Be-trachtungen der Gegenwart - in manchen Publikationen wird das so-gar als etwas für das Heil der Physik Notwendiges hervorgehoben-, daßin ihnen nichts spielen soll, was irgendwie an den Menschen selber her-angebracht ist, mit dem Menschen selber, und sei es auch nur mit demeigenen organischen Prozeß, zu tun hat. Aber auf diesem Wege kannman eben zu nichts kommen. Und es wird uns die Fortsetzung des ge-strigen Gedankenganges, der ja ein aus der Tatsachenwelt herausge-holter ist, dazu führen, die physikalischen Erscheinungen an den Men-schen heranzubringen.

Ich möchte das Wesentliche noch einmal vor Ihnen entwickeln.Wir gehen aus von dem Gebiet der festen Körper, finden ein Einheit-liches, zunächst erscheinungsgemäß, in der Gestaltung. Wir gehen danngewissermaßen durch den Mittelzustand des Flüssigen, der die Gestal-tung nur noch in der Niveaubildung bewahrt, über zu den gasigenKörpern, welche dasjenige, was im Gebiet der festen Körper vorhan-den ist, als gestaltenloses Wesen nur noch haben, als Verdünnung undVerdichtung. Wir kommen dann, angrenzend an das Gasgebiet, in dasWärmegebiet, wiederum gewissermaßen, wie es das flüssige Gebiet ist,ein Mittelgebiet, und kommen dann zu unserem x. Wir haben gesterngesehen, daß, wenn wir denselben realen Gedanken fortsetzen, wirfür das x zu denken haben an Materienbildung und Entmateria-lisierung. Es ist nun ja fast selbstverständlich, daß wir von dem xweiterschreiten können zu einem y und zu einem z, geradeso wie wirweiterschreiten können, indem wir zum Beispiel im Lichtspektrumvorwärtsgehen von dem Grün ins Blau, ins Violett und zum Ultra-violett.

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y_

x Materienbildung - Entmaterialisierung

Wärmegebiet

gasige Körper Verdünnung - Verdichtung

flüssige Körper

feste Körper Gestaltung

Und nun handelt es sich darum, die gegenseitigen Beziehungen zu stu-dieren zwischen diesen verschiedenen Gebieten. Wir sehen auftretenimmer in jedem Gebiet ganz bestimmte charakteristische, ich möchtesagen Wesensträger: Wir sehen auftreten in dem untersten Gebiet einegeschlossene Gestalt, in dem gasigen Gebiet gewissermaßen eine flüs-sige Gestalt, das Verdichten und Verdünnen, das - ich will jetzt genausprechen - unter gewissen Verhältnissen die Tonwesenheit begleitet.Wir sehen dann auftreten, indem wir hindurchschreiten durch dasWärmegebiet in das ^-Gebiet, die Materialisierung und Entmateriali-sierung. Und die Frage, die da entstehen muß, ist diese: Wie wirkt nundas eine Gebiet in das andere Gebiet hinein? Nun habe ich Sie schon dar-auf aufmerksam gemacht, daß in einer gewissen Weise, wenn wir vonGas sprechen, die Vorgänge im Gasigen so gedacht werden können, daßsie in ihrem Verlauf das Bild geben desjenigen, was im Wärmewesen ge-schieht. Wir könnten sagen, das Gas wird gewissermaßen von demWärmewesen mitgerissen und fügt sich in seiner materiellen Gestaltdemjenigen, was das Wärmewesen will, so daß wir in den Vorgängeninnerhalb des gaserfüllten Raumes, den Vorgängen, die an das Gasgebunden sind, gewissermaßen Abbilder sehen desjenigen, was dieWärme tut. Wir können also sagen: Im Gas finden wir gewissermaßenBilder desjenigen, was im Wärmewesen geschieht. Es geht nicht an, dasunter einem anderen Bild vorzustellen, als daß wir uns Gas und Wärmein einer gewissen Weise voneinander durchdrungen denken, so daß

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tatsächlich das Gas ergriffen wird in seiner Raumesausdehnung vondem, was das Wärmewesen will. Gas und Wärme würden sich alsodurchdringen, würden gerade in ihrer Durchdringung uns an den Vor-gängen im Gas verraten, was eigentlich im Wärmegebiet geschieht.Wiederum können wir sagen: Die Flüssigkeit zeigt uns in einer gewissenWeise zu dem Gasigen ein ähnliches Verhältnis wie das Gasige zumWärmewesen. Das Feste zeigt uns zu der Flüssigkeit dasselbe Verhält-nis, wie die Flüssigkeit zum Gas, das Gas zur Wärme.

Was tritt denn aber im Gebiet des Festen auf? Im Gebiet des Festentreten Gestaltungen auf, richtige Gestaltungen, Gestaltungen, die insich geschlossen sind. Diese sind gewissermaßen dasjenige, was uns wie-derum Bild ist dessen, was im Flüssigen nur wirkt. Nun können wirhier gehen zu einem Gebiete U unter dem Festen, das wir zunächst hy-pothetisch annehmen, und wir wollen uns Begriffe verschaffen, umdann zu sehen, ob diese Begriffe irgendwo anwendbar sind im Reicheder äußeren wahrnehmbaren Erscheinungen. Wir wollen uns durchdie Fortsetzung dieses Gedankenganges, der ja, wie Sie wohl empfin-den, im Wirklichen wurzelt, Begriffe schaffen, von denen wir hoffenkönnen, daß sie uns dann auch wiederum, weil sie aus dem Wirklichengewonnen sind, ein Stück in die Wirklichkeit hineintragen. Was müßtedenn geschehen, wenn so irgend etwas eine Wirklichkeit wäre wie dasGebiet Uf Da müßte gewissermaßen im Gebiet U wiederum bildhaftdasjenige auftreten, was im vorhergehenden Gebiet, im Gebiet der fe-sten Körper, eigentlich äußere Tatsache ist. Es müßte dieses Gebiet Uuns wiederum das Bildgebiet geben des Gebietes der festen Körper. ImGebiet der festen Körper sind Gestalten, Gestalten, die ja aus ihreminneren Wesen heraus gestaltet sind oder wenigstens aus ihrem Ver-hältnis zur Welt - das können wir erst in den nächsten Tagen weiterverfolgen -, aber es treten Gestalten auf, es müssen Gestalten auftretenin ihren gegenseitigen Verhältnissen.

Gehen wir noch einmal zurück ins flüssige Gebiet. Da haben wirgewissermaßen durch die nach außen die Flüssigkeit abschließende Ni-veaufläche diese Flüssigkeit als einen Körper im Zusammenhang mitder ganzen Erde. Wir müssen also in der Schwerkraft etwas sehen, wasverwandt ist den Kräften, die gestaltend wirken auf den festen Kör-

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per. Wir müssen also, wenn wir den Gedankengang real fortsetzen,irgend etwas finden, was ebenso im Gebiet des U geschieht, wie die Ge-staltenbildung im Gebiet der festen Körper geschieht, dadurch, daßdas Gebiet der festen Körper das Bild gibt der Flüssigkeiten. Mit ande-ren Worten: Wir müssen die Wirkung sehen können im Gebiete U,welche die verschiedenen Gestaltungen aufeinander ausüben. Wir müs-sen irgendwie die Wirkung sehen können. Wir müssen sehen können,wie unter dem Einfluß verschieden zueinander sich verhaltender Ge-stalten irgend etwas entsteht. Es müßte im Gebiet der Wirklichkeitetwas geben, was unter dem Einfluß der verschiedenen Gestaltungenim Gebiet des Festen entsteht. Man hat heute eigentlich nur den Be-ginn eines solchen. Denn nehmen Sie irgendwie einen Körper, zumBeispiel den Turmalin, der in sich trägt ein Prinzip der Gestaltung.Lassen Sie in verschiedener Weise den gestalteten Turmalin, ich meinedie innere Tendenz des Gestaltens, so wirken, daß Gestalt auf Gestaltwirken kann, was Sie vorliegend haben, wenn Sie durch zwei Turmalinedurchschauen, wenn Sie zum Beispiel die Turmalinzange nehmen unddurchschauen: Bald können Sie durchschauen, bald verfinstert sich dasGesichtsfeld. Sie haben nur die Turmaline zueinander verdreht, habenihre gestaltende Kraft in ein verschiedenes Verhältnis gebracht. DieseErscheinung hängt innig zusammen mit derjenigen, wo, angeblichdurch den Durchgang des Lichtes durch körperliche Systeme, die ver-schieden gestaltet sind, uns die sogenannten Polarisationsfiguren er-scheinen. Diese Polarisationserscheinungen entstehen immer unter demEinfluß der Wirkung des Gestalteten aufeinander. Wir haben die merk-würdige Tatsache vorliegend, daß wir im Gebiet des Festen gleichsamhinblicken auf ein anderes Gebiet, das sich zum Festen so verhält wiedas Gebiet des Festen zum Flüssigen. Und indem wir uns fragen: Woentsteht denn unter den Einflüssen der gestaltenbildenden Kraft imGebiet des U dasjenige, was ebenso auftritt, wie wenn die Schwerkraft,die bei der Flüssigkeit nur niveaubildend ist, gestaltend im Gebietedes Festen auftritt? - so müssen wir sagen: Das geschieht, wenn wir diesogenannten Polarisationsfiguren beobachten, die in einem Gebiet lie-gen, das unterhalb des Festen sich befindet. Wir blicken da tatsächlichin ein Gebiet hinein, das unterhalb des Festen sich befindet.

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Aber wir sehen daraus noch etwas anderes. Wir könnten ja langehineinschauen in ein solches Körpersystem, und es möchte da unterden verschiedenen Kräften das Verschiedenste vor sich gehen, was dadie Wirkungen verschiedener Gestaltungen aufeinander darstellt, wirwürden nichts sehen, wenn nicht in die festen Körper noch etwas ande-res hineindränge, als daß sich zunächst das Gebiet des Festen mit demGebiete U durchdringt. Es dringt zum Beispiel noch da hinein Licht,das uns erst diese Wirkungen der Gestaltung sichtbar macht.

Was ich jetzt ausgesprochen habe, das hat zuwege gebracht, daß diePhysik des 19. Jahrhunderts sich innerhalb des Lichtes selber zu schaf-fen machte, und dasjenige, was durch das Licht nur sichtbar wird, alseine Wirkung des Lichtes selbst ansah. Wenn man auf diese Polarisa-tionsfiguren hinschaut, muß man einen ganz anderen Ursprung als denaus dem Licht suchen. Was da geschieht, hat unmittelbar gar nichtsmit dem Licht zu tun. Das Licht dringt nur auch ein in dieses Gebiet Uund macht dasjenige, was dadurch geschieht, daß diese GestaltungenBildcharakter annehmen, sichtbar. So daß wir sagen können: Wir ha-ben es mit einer Durchdringung zu tun der verschiedenen Gebiete, diewir hier auseinandergelegt haben fächerartig, wir haben es mit einerDurchdringung dieser verschiedenen Gebiete im Wirklichen zu tun.

Und wir werden jetzt auch in einer sachgemäßen Weise zu demkommen können, was uns zum Beispiel im Gebiet des Gasigen durchdas Gestaltende noch in der gleichsam verflüssigten Gestalt auftritt.Wir werden zu besseren Begriffen geführt für das Gesagte, wo uns,wenn Verdichtung und Verdünnung auftreten, bei Gelegenheit dieserVerdichtung und Verdünnung die Tontatsachen vor die Seele tretendurch die Vermittelung des Hörorgans. Und wir werden nicht nötighaben, die Verdichtungen und Verdünnungen im Gaskörper geradezuzu identifizieren mit demjenigen, was uns als die verschiedenen Ton-wirkungen entgegentritt, sondern wir werden etwas zu suchen haben,was dann auftritt im Gebiet der Verdichtungen und Verdünnungeninnerhalb des Gases, wenn diese in entsprechender Weise da sind. Wirwerden genötigt, dasjenige, was eigentlich geschieht, so auszuspre-chen, daß wir sagen: Zunächst lassen wir im Unbestimmten dasjenige,was wir als Ton bezeichnen. Aber wenn wir im Gasigen herbeiführen

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gewisse gesetzmäßige Verdichtungen und Verdünnungen, so tritt das-jenige auf, was uns in der Tonwahrnehmung bewußt wird. Diese Art,die Sache auszusprechen, ist sie nicht ganz parallel der, wenn ich sagenwürde: Wir können uns im Weltenall vorstellen Wärmezustände vonsehr hohen Temperaturen, über 100°; wir können uns vorstellen Wär-mezustände von sehr niedriger Temperatur, tief unten, Kältezustände;zwischen drinnen finden wir ein Gebiet, in dem der Mensch sich auf-halten und sich bilden kann? - Es wird uns möglich sein, zu sagen:Wenn irgendwo im Weltenall sich abspielt eine so große Schwingung,wo übergeht der Zustand der Wärme von einer sehr hohen Tempera-tur in eine sehr tiefe, so liegt etwas dazwischen, wo der Mensch ent-stehen kann. Es ist die Gelegenheit dazu gegeben, daß der Mensch ent-stehen kann, wenn sonst irgendwelche Ursachen zur Menschheitsent-stehung da sind. Wir werden aber jedenfalls nicht sagen: Der Menschist das Abschwingen des Wärmezustandes der Körper in die tiefe Tem-peratur und das Zurückschwingen - beim Zurückschwingen würde jaauch wieder die Gelegenheit entstehen -, wir werden das nimmermehrsagen. Aber in der Physik sagen wir fortwährend: Der Ton ist nichtsanderes als die Verdichtung und Verdünnung der Luft, der Ton isteine Wellenbewegung, die sich ausdrückt in Verdichtung und Verdün-nung der Luft. Wir gewöhnen uns dadurch vollständig ab, die Sacheso anzusehen, daß wir in den Verdichtungen und Verdünnungen ein-fach den Träger sehen des Tones, nicht den Ton selbst. So daß wir unsauch für den gasigen Zustand etwas vorzustellen haben, was einfachin das Gas hineindringt, aber einem anderen Gebiet angehört, und wasim Gebiet des Gases die Möglichkeit erhält, so aufzutreten, daß eineVermittelung zwischen ihm und unserem Hörorgane möglich wird.Nur wenn man die Begriffe so formt, spricht man eigentlich über phy-sikalische Erscheinungen richtig. Wenn man die Begriffe aber so formt,daß man einfach den Ton oder die Tonbildungen identifiziert mit denLuftschwingungen, dann wird man eben dazu verführt, das Licht auchzu identifizieren mit Ätherschwingungen. Man schreitet von etwas,was nur ungenau gefaßt wird, zu dem Ausdenken, Ausphantasiereneiner Tatsachenwelt vorwärts, die eigentlich nur das Geschöpf einesungenauen Denkens ist. In vieler Beziehung ist dasjenige, von dem

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die Physik namentlich am Ende des 19. Jahrhunderts spricht, nichtsanderes als das Geschöpf eines ungenauen Denkens. Und wir stecken,wenn wir die gebräuchliche Physik verfolgen, noch tief darinnen, unsaneignen zu müssen in den physikalischen Begriffen nichts weiter alsGeschöpfe des ungenauen Denkens.

Nun handelt es sich aber darum, daß wir ja, wenn wir vorschreitenvon dem Wärmegebiet zu dem x} y} z, gewissermaßen die Aussicht ha-ben, da ins Unendliche fortgehen zu müssen, und hier (bei U) habenwir die Aussicht, ebenfalls ins Unendliche fortgehen zu müssen. Ichhabe Sie schon gestern darauf aufmerksam gemacht, daß dasselbe ja imSpektrum vorliegt, wo wir auch gewissermaßen genötigt sind, wenn wiruns das Spektrum, so wie es gewöhnlich auftritt, vor Augen stellen, beider Verfolgung des Weges vom Grün durch das Blau zum Violett, ge-wissermaßen ins Unendliche oder wenigstens ins Unbestimmte fort-zuschreiten, ebenso nach dem Rot hin. Wir können aber, wenn wir das

pfirsidjbiöt

gesamte Spektrum, das gesamte Gebiet der Farbenerscheinungen insAuge fassen, uns dieses Spektrum gebildet denken aus der wirklichvollständigen Reihe der zwölf Farben, die sich nur auf einem Kreischarakterisieren läßt, der unten Grün, oben Pfirsichblüte hat und da-zwischen die anderen Farben. Und wir können uns denken, daß sichdieser Kreis nun immer mehr vergrößert; daß Pfirsichblüte uns hiernach oben verlorengeht und einerseits hier nach dem Rot, anderer-seits nach dem Violett verläuft und über beides hinaus. Wir haben alsoim gewöhnlichen Spektrum eigentlich einen Teil von dem, was da seinwürde, wenn durch die den Menschen umgebende Erscheinungswelt

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die Vollständigkeit der Farben erscheinen könnte. Wir haben nur einenTeil davon.

Nun gibt es etwas, was höchst merkwürdig ist. Ich glaube, wennSie die gebräuchlichen Darstellungen der Optik in den Physikbüchernzur Hand nehmen und vorrücken zu dem, was da gewöhnlich gegebenwird als Erklärung einer speziellen Spektralerscheinung, nämlich desRegenbogens, wird Ihnen doch, wenn Sie es gerne haben, bei klarenBegriffen zu bleiben, etwas unbehaglich zu Mute werden. Denn die Er-klärungen des Regenbogens sind wirklich so gehalten, daß man ganzohne Bogen dasteht. Man ist genötigt, zum Regentropfen seine Zu-flucht zu nehmen und da allerlei Gänge der Lichtstrahlen im Regen-tropfen drinnen zu verfolgen, und man ist dann genötigt, sich diesesziemlich einheitliche Bild des Regenbogens zusammenzufügen aus lau-ter kleinen Bildern, die noch besonders abhängig sind von der Art, wieman dazu steht, Bildern, die eigentlich durch Regentropfen entstehen.Kurz, Sie haben in diesen Erklärungen etwas von einer atomistischenAuffassung einer Erscheinung, die ziemlich als Einheit in unserer Um-gebung wirkt. Aber noch unbehaglicher als gegenüber dem Regenbo-gen, also dem Spektrum, das die Natur selbst vor uns hinzaubert, kannuns werden, wenn wir gewahr werden, daß eigentlich dieser Regen-bogen, von dem wir sprechen, gar niemals in Wirklichkeit allein auf-tritt. Er mag noch so sehr sich verbergen, es ist immer der zweite Re-genbogen da. Und was zusammengehört, läßt sich einmal nicht aus-einanderhalten. Die beiden Regenbögen, von denen der eine nur un-deutlicher ist als der andere, die gehören notwendigerweise zusammen,und im Gebiet der Erklärungen für das Entstehen des Regenbogensdarf man nicht einmal versuchen, nur den einen Farbenstreifen erklä-ren zu wollen, sondern man muß sich klar sein darüber, daß die Totali-tät der Erscheinung - die relative Totalität - eben etwas ist, was nunin der Mitte etwas anderes ist und zwei Randbänder hat. Das eineRandband ist der etwas deutlichere Regenbogen, das andere der un-deutlichere Bogen. Man hat es zu tun mit einem Bild, das uns in dergroßen Natur erscheint und das in der Tat sich hineinstellt fast in dasganze All. Wir müssen das ansehen als etwas Einheitliches. Nun, wennwir genau zusehen, so werden wir ja ganz gut gewahr werden, daß der

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zweite Regenbogen, der Nebenregenbogen, eigentlich eine Umkehrungdes ersten ist, daß der zweite tatsächlich in einer gewissen Weise auf-gefaßt werden kann als eine Art Spiegelbild des ersten, daß er gewisser-maßen den ersten, deutlicheren Regenbogen spiegelt. Wir haben alsoda, sobald wir übergehen von den Teilerscheinungen, die in unsererUmgebung auftreten, zu einer relativen Totalität, der wir gegenüber-stehen, wenn wir unsere ganze Erde als im Verhältnis zum kosmischenSystem auffassen, etwas, was eigentlich sein Antlitz ganz verändert.Zunächst will ich nur auf diese Erscheinung hinweisen. Wir werdenim Verlauf unserer Betrachtung diesen Erscheinungen schon näher-treten.

Dadurch aber, daß uns der zweite Regenbogen auftritt, wird gewis-sermaßen die Sache, die da (siehe Zeichnung Seite 142) erscheint, zueinem geschlossenen System. Das System ist nur ungeschlossen, solangeich meinem speziell hier in meiner Umgebung auftretenden Spektrumgegenüberstehe. Und die Erscheinung des Regenbogens müßte micheigentlich dazu verführen, daran zu denken, daß ich, wenn ich mirdieses Spektrum vor Augen stelle durch ein Experiment, die Naturnur an einem Zipfel halte, daß mir irgendwo am entgegengesetzten Zip-fel etwas verlorengeht; daß da doch irgendwo noch etwas ist im Un-bekannten, daß ich eigentlich zu jedem siebenfarbigen Spektrum denNebenregenbogen dazu brauche.

Diese Erscheinung und ihre Verwandlung in Begriffe, halten Siesie zusammen mit diesem Gang unseres realen Begriffes, den wir hier(siehe Schema Seite 137) ins Auge gefaßt haben. Wir versuchen ja hier(siehe Zeichnung Seite 142) das Farbenband, das sich uns ins Unbe-stimmte erweitert, zusammenzuschlagen, indem wir das eine in dasandere hineinschlagen. Wenn wir das nun auch hier (Schema) machenwürden, was würde da werden? Da würden wir, indem wir vom fe-sten Körper in das U hinausgehen und vielleicht noch weiter den Wegda hinunter machen, ihn so machen, daß er uns von oben wieder zu-rückkommt und geschlossen würde. Aber jetzt, wenn wir diesen Wegnach unten machen und von oben wieder zurückkommen und ihnschließen, was würde sich denn da bilden? Was würde da geschehen?

Ich will einmal, um Sie darauf zu führen, das Folgende versuchen:

1 AACopyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 321 Seite: 144

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Nehmen Sie an, Sie gehen wirklich in irgendeiner die Sache versinn-lichenden Zeichnung nach der einen Richtung. Wir gehen aus, sagenwir von der Sphäre, wo wir in diesen Betrachtungen haben sagen kön-nen, die Schwerkraft wird negativ. Wir sind gewissermaßen bei einerder Sphären angelangt. Wir gehen von da aus nach unten und wirstellen uns vor, bei unserem Weg nach unten, da müßten wir ins Ge-biet der Flüssigkeit, des Festen hineinkommen. Jetzt, wenn wir aber

W*F rot

da weiter fortgehen, müßten wir eigentlich - es ist schwer, es zu zeich-nen - von der anderen Seite wiederum zurückkommen. Indem wir vonder anderen Seite wieder zurückkommen, würde sich uns dasjenige,was von der anderen Seite zurückkommt, hineinschieben in das frühereGebiet. Das heißt, indem ich da fortschreite vom Festen in das U-Ge-biet, würde ich, wenn ich den ganzen Schwanz da nehmen würde undihn umkehre und da hineinbringe, ihn hier durchstopfen müssen. Ichkönnte das Bild auch so zeichnen (siehe obere Zeichnung S. 146), daßich das Fortschreiten von der Nullsphäre durch die Flüssigkeit in dasFeste, das U-Gebiet so mache, dann wiederum zurückgehe und hierwiederum hineinkomme. So daß ich etwa sagen könnte: Ich betrachtedas Gas, das tendiert hierhin, wo ich das Blau gezeichnet habe, nachdieser Seite. Aber in der Weltenkreisung kommt von der anderen Seiteher dasjenige, was da eindringt, durchsetzt es, erscheint aber darinnur als Bild. Es imprägniert gewissermaßen dasjenige, was da zurück-

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das Jnelnanderlavfendes Weiferrprozesses

kommt, das Hingehende, und erscheint darin als Bild. Die Flüssig-keit in ihrem Wesen durchdringt das Gebiet des Festen, indem sieihm nachläuft, und erscheint darin als Gestaltung; oder irgend etwas,was in unserer symbolischen Zeichnung mehr nach oben gelegen ist,dringt in das Gasgebiet ein und erscheint darin als Ton. ÜberlegenSie sich einmal dieses Zurückkommen und dadurch Ineinanderlaufender Weltenprozesse, wodurch Sie zur Notwendigkeit geführt werden,eben nicht bloß einfach einen Weltenkreislauf sich zu denken, son-

blau

dem einen solchen Kreislauf zu denken, daß, indem das hier weiter-geht, das Weitergehende immer wiederum hereinkommt in dasjenige,was schon da war, also sich durchschiebt durch das, was schon dawar. Dann bekommen Sie eine Grundlage für reale Gedanken, die

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Ihnen zum Beispiel auch helfen werden, das Auftreten, sagen wir desLichtes, das auf einem ganz anderen Gebiet liegen muß, in der Materiezu sehen, indem die Materie einfach dasjenige ist, was davongelaufenist, während das Licht hintennachläuft und sich hineinschiebt. Da sindSie allerdings dann genötigt, wenn Sie diese Dinge mit mathematischenFormeln betrachten wollen, die mathematischen Formeln etwas zu er-weitern.

Wenn Sie wollen - es ist das alte Symbolum von der Schlange, diesich in den Schwanz beißt, das Symbol der alten Weisheit. Nur daßdie alte Weisheit das alles eben in Symbolen ausgesprochen hat undwir genötigt sind, an die realen Dinge heranzutreten.

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Z E H N T E R VORTRAG

Stuttgart, 10. März 1920

Bevor wir die Betrachtung, die wir gestern fortgesetzt haben, und anderen Ende wir nahezu stehen, weiterführen, wollen wir sie uns nochdurch einige Versuche unterstützen. Wir werden zunächst hier einenLichtzylinder erzeugen, welcher dadurch entsteht, daß wir das Lichthindurchscheinen lassen durch diesen Spalt, und in den Lichtzylinderhineinbringen hier einen Ballon, der angerußt ist, so daß das Lichtnicht durchgeht. Wir haben dasjenige, was geschieht, zum Ausdruck

Alaunlösung

gebracht an diesem Thermometer. Sie sehen, unser, sagen wir Energien-zylinder bewirkt, indem er uns hier dasjenige durchschickt, was sichdurch das Licht äußerlich offenbart, daß hier die Quecksilbersäulesinkt. Wir haben es also zu tun mit dem, was sonst eintritt unter demEinfluß einer Ausdehnung. Wir müssen also voraussetzen, daß hierWärme durchgeht und Ausdehnung bewirkt und diese Ausdehnunguns am Sinken der Quecksilbersäule anschaulich wird. So daß wiralso sagen können: Es würde ja hier, wenn wir, sagen wir durch einPrisma, das Lichtbündel auffangen würden, ein Spektrum entstehen.Wir bilden kein Spektrum, sondern wir fangen einfach das Licht auf,sammeln es, und wir bekommen dadurch, daß wir jetzt gesammelthaben, was in diesem Energienzylinder ist, hier eine starke Ausdeh-

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nung. Sie sehen, die Quecksilbersäule sinkt sehr stark. Wir stellen jetztin den Gang des Energienzylinders eine Alaunlösung, und wir wollensehen, was dadurch eintritt. Wir haben also dasjenige, was da durch-geht, was sich uns auch äußern würde durch seine Lichtseite, dadurchbeeinflußt, daß wir ihm entgegengestellt haben eine Alaunlösung, undwir wollen nun sehen, was unter dem Einfluß der Alaunlösung ge-schieht. Wir können auf diese Weise - Sie werden es zuletzt sehen -den vollkommenen Gleichgewichtszustand der rechten und linkenQuecksilbersäule wieder herbeiführen, wodurch Sie sehen werden, daßvorher Wärme durchgegangen ist und jetzt durch die Alaunlösung dieWärme abgehalten wird, also keine mehr durchgeht, sondern nur dieim Raum sonst allgemein vorhandene Wärme auch hier zum Aus-druck kommt. Es ist also in dem Augenblick, wo ich in den Energie-zylinder hineinstelle die Alaunlösung, die Wärme an ihrem weiterenFortgehen verhindert. Das heißt, ich sondere aus dem, was sich mirals Licht und Wärme zugleich kundgibt, die Wärme heraus und lassehier nur das Licht durchstrahlen - zunächst wollen wir nur dieses be-trachten, es strahlt auch noch anderes durch. Aber daraus können wirersehen, daß wir der sich ausbreitenden Licht-Wärme-Energie gegen-über so verfahren können, daß wir das Licht weitergehen lassen unddurch die in den Weg gestellte Alaunlösung die Wärme heraussondernkönnen.

Das ist das eine, was wir zunächst rein als Erscheinung festhaltenkönnen. Das andere, was wir, bevor wir in unseren Betrachtungen wei-tergehen, als Erscheinung uns vor Augen führen wollen, das ist: Wennwir das Wärmewesen untersuchen wollen, so können wir es in seinemVerhalten zunächst dadurch untersuchen, daß wir irgendeinen Körperan irgendeiner Stelle erwärmen. Wir merken dann, daß der Körpernicht bloß an der einen Stelle, wo wir ihn erwärmen, warm bleibt, son-dern daß die Wärme, die ich hinzuführe an einer Stelle, dem nächstenTeil, wiederum dem nächsten Teil und so weiter mitgeteilt wird, sodaß zuletzt über den ganzen Körper Wärme ausgebreitet ist. Nichtnur das. Wenn wir nun einen anderen Körper zur Berührung mit demersten bringen, wird auch der zweite Körper warm, er wird wärmerwerden, als er früher war, und man ist in der gegenwärtigen Physik

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gewohnt worden, zu sagen: Die Wärme erfährt eine Verbreitung durchLeitung. Man spricht von Wärmeleitung. Die Wärme wird geleitet voneiner Stelle eines Körpers zu den anderen, und sie wird auch geleitetvon einem Körper zu einem anderen Körper, der mit ihm in Berührungist. Sie können schon durch ganz oberflächliche Beobachtungen fest-stellen, daß diese Wärmeleitung eine verschiedene ist bei den verschie-denen Substanzen. Wenn Sie eine Metallstange nehmen, sie in den Fin-gern halten, mit dem anderen Ende in die Flamme hineingehen, sowerden Sie sie wahrscheinlich bald fallen lassen. Die Wärme wird sehrschnell von dem einen Ende zu dem anderen geleitet. Man sagt dann:Ein Metall ist ein guter Wärmeleiter. Wenn Sie dagegen eine Holz-stange in die Hand nehmen und in die Flamme halten, werden Sie nichtversucht sein, unter dem Einfluß der Wärmeleitung sie schnell fallenzu lassen. Holz ist ein schlechter Wärmeleiter. Und so kann man vonguten und schlechten Wärmeleitern sprechen. Nun aber klärt sich die-ses eigentlich erst durch einen anderen Versuch auf. Und diesen ande-ren Versuch, den können wir nun wiederum heute nicht machen, weiles wieder vergeblich gewesen wäre, wenn wir ein zweites Mai nochversucht hätten, Eis zu besorgen und dann gar das Eis hatten verarbei-ten müssen in bestimmter Weise. Das wäre nicht gegangen. In günsti-geren Zeiten kann auch ein solcher Versuch einmal gemacht werden:Wenn man unter gewissen Umständen aus Eis eine Linse bereitet, wieman die Glaslinse hat, und dann durch eine Wärmequelle - einfacheine Flamme -Wärme ausstrahlen läßt, so kann man gerade so, wie mannach dem gebräuchlichen Ausdruck sagt, daß sich die Lichtstrahlensammeln, auch die Wärmestrahien sammeln und kann durch ein hierhingestelltes Thermometer konstatieren, daß wirklich hier so etwaswie eine Ansammlung von Warme unter dem Einfluß der Eislinse vor-liegt, durch welche die sich ausbreitende Wärme hindurchgegangenist (siehe Zeichnung Seite 151).

Nun können Sie aus diesem Versuch leicht sehen, daß es sich hiernicht um dasselbe handeln kann, wie bei der Wärmeleitung, trotzdemdie Wärme sich ausgebreitet hat, denn sonst hätte die Eislinse nicht eineEislinse bleiben können. Es handelt sich also darum, daß wir zweierleiArten von Ausbreitung der Wärme haben: eine solche, welche im we-

it; riCopyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 321 Seite: 150

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Eisltnst

sentlichen beeinflußt diejenigen Körper, über die sich die Wärme aus-breitet, und eine solche, bei der dasjenige gleichgültig ist, was derWärme im Wege steht, wo wir also es zu tun haben müßten mit derAusbreitung des eigentlichen Wärmewesens, wo wir gewissermaßendie Wärme selber sich ausbreiten sehen. Doch müssen wir, wenn wirgenau sprechen, zuerst fragen: Was breitet sich denn eigentlich aus,wenn wir die Wärme einem Körper mitteilen und dann sehen, daßStück für Stück wärmer wird? Ist es denn nicht vielleicht ein höchstunklarer Ausdruck, wenn wir davon sprechen, daß es die Wärmeselbst ist, die sich von einem Stück des Körpers zum anderen ausdehnt,wenn wir nur am Körper selber dieses Wärmerwerden konstatieren?

Denn sehen Sie, hier muß ich wieder darauf aufmerksam machen,daß es sich darum handelt, wirklich genaue Vorstellungen und Begriffezu fassen: Nehmen Sie etwa, statt einfach hier (an einer erwärmtenStange) die Wärme zu empfinden, einen ziemlich großen Eisenstab,Metallstab, den Sie an einem Ende erhitzen, aber so, daß es nichtschadet, wenn Sie dann eine Reihe Buben darauf aufstellen. LassenSie nun die Buben - es darf aber nicht zu stark sein - schreien, wennes unten warm wird, so wird wohl zuerst der erste, dann der zweite,dann der dritte schreien und so weiter. Nacheinander schreien die Bu-ben. Aber Sie werden doch nicht versucht sein zu sagen: Das, was ichhier bei dem ersten Buben bemerkt habe, leitet sich fort auf den zwei-

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ten, auf den dritten, auf den vierten und so weiter. Aber wenn manhier (an einem Ende) erhitzt und hier (am anderen Ende) dann dieEmpfindung der Wärme hat, so sagt der heutige Physiker: Die Wärmewird einfach fortgeleitet. Während er doch eigentlich nur dasjenige,was der Körper tut, nämlich ihm die Empfindung der Wärme zu geben,so Stück für Stück beobachtet, wie hier, daß die Buben quieksen, wennsie die Wärme erfahren. Sie können doch da nicht sagen, daß sich dasSchreien fortpflanzt.

Wir wollen nun auch den Versuch machen, zu zeigen, wie verschie-dene Metalle, die hier als Stäbe vorhanden sind, in verschiedener Weisesich verhalten zu dem, was man gewöhnt ist, Wärmeleitung zu nennen,und wir werden nun wirklichkeitsgemäße Begriffe zu bringen ver-suchen. Wir geben hier heißes Wasser hinein. Dadurch, daß die Stäbe

kochendes V/asser

unten ins Wasser tauchen, werden sie erwärmt. Wir werden nun sehen,welche Wirkung das hier auf unsere Versuchszusammenstellung hat,wie ein Stab nach dem anderen sich erwärmen wird, so daß wir danntatsächlich eine Art Skala uns vorstellen können. Wir werden die Mög-lichkeit haben, die Wirkungen der Wärme fortlaufend zu zeigen beiden verschiedenen Substanzen (siehe Zeichnung. Die Stäbe sind an-gestrichen mit gelbem Quecksilberjodid, das beim Erreichen einer be-stimmten Temperatur ins Rötliche umschlägt. Der Farbumschlag steigt

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an den verschiedenen Stäben verschieden rasch in die Höhe.) Das Bleiist also hier unter diesen Metallen der schlechteste Wärmeleiter, wieman sagt. - Die Versuche werden hier gezeigt aus dem Grunde, damitwir nun-die schon öfter besprochene Überschau uns bilden können überdie Erscheinungen innerhalb des Wärmewesens, um so nach und nachaufzusteigen zur Erkenntnis dessen, was das Wärmev/esen in Wirklich-keit ist.

Nun haben wir schon durch unsere gestern fortgesetzte Betrachtunggesehen, wie wir, wenn wir das Gebiet der Körperlichkeit ins Augefassen, in einer gewissen Weise unterscheiden können das Gebiet desFesten, in dem wir im wesentlichen verfolgen können dasjenige, wassich gestaltet. Wir haben dann gewissermaßen als eine Zwischenstufedas Flüssige, und gehen dann über zu dem Gasigen. Und wir haben indem Gasigen Verdichtung und Verdünnung als dasjenige anzusehen,was im Festen der Gestaltung entspricht. Dann haben wir wieder alseine Art Zwischenzustand gerade dasjenige, was wir suchen, dieWärme. Aus welchem Grunde wir sie hierher schreiben dürfen, habenwir gesehen (siehe Schema). Dann kommen wir, wie ich gesagt habe,

x Materienbildung - Entmaterialisierung

Wärmegebiet

gasige Körper Verdünnung - Verdichtung

flüssige Körper

feste Körper Gestaltung

in eine Art x hinein, und wir würden, wenn wir den Gedankengangganz real fortsetzten, zu finden haben Materialisierung und Entmate-rialisierung, würden dann aufsteigen müssen zu einem y, zu einem z,wie ich sagte, in ähnlicher Weise, wie wir beim Lichtspektrum denÜbergang finden vom Grün durch das Blau zum Violett und dann

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scheinbar ins Unendliche hinein. Wir haben aber gestern konstatierenmüssen, daß wir auch das Gebiet des Festen hier (Schema unten)fortsetzen können in eine Art U hinein, so daß wir die Gebiete unsererKörperlichkeit durch diese dem Spektrum nachgebildete Anordnunguns vorstellen können; gerade dann uns vorstellen können, wenn wirim Wirklichen verbleiben wollen.

Nun handelt es sich darum, daß wir den Gedanken weiter verfol-gen, den wir schon gestern ausgesprochen haben: Gerade so, wie wirbeim Spektrum zusammenfassen können dasjenige, was uns nach demViolett hin entschwindet und nach dem Rot hin entschwindet, indemwir das nach links und rechts geradlinig sich ausdehnende Spektrumzusammenfassen, kreisförmig, so können wir uns die sich änderndenZustandsgebiete der Körperlichkeit nach der einen Seite und nach deranderen Seite so denken, daß sie eigentlich nicht charakterisiert wer-den durch eine Gerade, die sich nach der einen oder anderen Seite insEndlose verirrt, sondern daß dasjenige, was hier scheinbar ins Unbe-stimmte oder Unendliche geht, hier zurückgeht, ebenso dieses, undeigentlich dasjenige, was vorliegt, durch einen Kreis charakterisiertwerden kann, durch eine wenigstens in sich selbst zurücklaufende Linie.

Nun entsteht die Frage: Was können wir da finden, hier? Wennwir das gewöhnliche Spektrum betrachten, so können wir wenigstensetwas da finden. Im Sinne der Goetheschen Optik betrachtet, wissenSie, daß wir die Spektralfarben so zusammenstellen können, wenn wirdas Spektrum nicht einseitig, sondern mit all seinen möglichen Farbennehmen, daß wir auf der einen Seite haben das Grün, welches gewisser-maßen die Mittelfarbe ist, wenn wir ein Helles zum Spektrum machen,auf der anderen Seite die Pfirsichblütenfarbe, welche ebenso Mittel-farbe ist, wenn wir ein Dunkles zum Spektrum machen. Wir habenalso Grün, Blau, Violett, verlaufend bis Pfirsichblüte auf der einenSeite und auf der entgegengesetzten Seite Grün, Gelb, Orange, Rot bisPfirsichblüte. Wir können, indem wir den Kreis schließen, an der Stelle,wo er sich schließt, das Pfirsichblüt bemerken.

Wenn wir nun hier unseren Zustandskreis für die verschiedenenZustände der Körperlichkeit schließen, können wir da etwas finden?Jetzt sind wir an einem außerordentlich wichtigen Punkte. Was müs-

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sen wir hierher setzen in derselben Art, wie wir hierher beim gewöhn-lichen Spektrum, das gewissermaßen uns ein Bild geben soll für dasZustandsspektrum, die Pfirsichblütfarbe setzen? Was müssen wir hier-her setzen? Vielleicht wird Ihnen der Gedanke, der hier sich einfachherausspringend aus der Tatsachenwelt ergeben muß, nicht gar soschwer, wenn ich ihn zunächst auf die folgende Weise einzuleiten ver-suche. Was ist denn dasjenige, was wir da eigentlich vor uns haben,uns gewissermaßen entschwindend nach der einen Seite und nach deranderen Seite, wie uns das Farbenspektrum nach dem Violett auf dereinen Seite, nach dem Rot auf der anderen Seite entschwindet? Wasist das, was wir da vor uns haben? Es ist nichts Geringeres im Grundegenommen als die ganze Natur. Sie können in dem, was man als dasReich der Natur bezeichnet, nichts finden, was nicht irgendwo unter-gebracht werden muß in «Gestaltung», unterhalb von «Gestaltung»,in dem, was ich hier noch mit x, y, z bezeichnet habe und so weiter.(Siehe Schema Seite 153.) Die Natur entschwindet uns auf der einenSeite, wenn wir die körperlichen Zustände durch die Wärme hindurchverfolgen; sie entschwindet uns auf der anderen Seite, wenn wir dieGestaltungen verfolgen, zunächst die Gestaltungen des Reiches desFesten, dann des Unterfesten, die wir in den Polarisationsfiguren sehen,wo Gestalt auf Gestalt wirkt - Sie können sich diese Turmalinzangeansehen, dann sehen Sie ein Helles oder ein Dunkles. Nur durch dieDurcheinanderwirkung der Gestalten erscheint das, was einmal dun-kel, einmal hell erscheint und so weiter.

Für uns ist jetzt das Wesentliche, darauf zu kommen, was wir hier-her zu setzen haben, wenn wir die Natur verfolgen auf der einen Seitebis dahin, wo sie sich hier begegnet mit dem, was als Strömung cha-rakterisiert werden kann von der anderen Seite her. Was steht da?Da steht nämlich nichts anderes drinnen, als der Mensch als solcher.Da steht der Mensch drinnen. So steht der Mensch drinnen, daß erauffaßt dasjenige, was von der einen Seite kommt und auffaßt das-jenige, was von der anderen Seite kommt. Wie faßt er denn dasjenigeauf, was zunächst auf diesem Wege kommt (von unten)? Er ist gestaltet.Wenn wir nach seiner Gestalt fragen unter den Gestalten, die die an-deren Körper haben, so müssen wir sagen: Der Mensch hat auch eine

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Gestalt. Also dasjenige, was als gestaltende Kräfte wirkt, das ist auchin ihm. Nur müssen wir uns fragen: Gehört dasjenige, was als gestal-tende Kräfte wirkt, in die Sphäre des Bewußtseins hinein? Bei dem imMenschen entstehenden Bewußtsein nicht. Denn stellen Sie sich einmalvor, Sie würden einen Begriff von der menschlichen Gestalt nicht da-durch bekommen, daß Sie sich selbst annähernd oder daß Sie andereMenschen sehen. Durch inneres Erleben würden Sie einen Begriff vonder Gestalt zunächst nicht bekommen können. Wir sind gestaltet, aberin unserem unmittelbaren Bewußtsein haben wir die Gestalt nicht ge-geben. Was haben wir statt der Gestalt in unserem unmittelbaren Be-wußtsein? Das kann man nur erfahren, wenn man nach und nach voll-ständig unbefangen, sagen wir, die Entwickelung des Menschen selberim physischen Leben betrachtet. Zunächst, wenn der Mensch in dasphysische Leben eintritt, da muß er sich sehr plastisch verhalten zuseinen Bildungskräften, das heißt, es muß in ihm viel gestaltet werden.Je mehr wir uns nähern dem vollständigen Kindsein, desto mehr wirdin uns{ gestaltet, und unser Älterwerden ist durchaus begleitet von demZurücktreten der Gestaltungskräfte. Und in demselben Maße, als dieGestaltungskräfte zurücktreten, treten unsere bewußten Vorstellungs-kräfte auf. Sie kommen aus uns heraus, je mehr die Gestaltungskräftezurücktreten. Wir können Gestalten um so mehr vorstellen, je mehrwir die Fähigkeit verlieren, uns zu gestalten. Das ist zunächst, wenig-stens während der Wachstumsperiode des Menschen, als eine wahr-haftig ebenso deutliche Tatsache zu bemerken, wie andere deutlicheTatsachen zu bemerken sind. Daraus aber ersehen Sie, daß wir sagenkönnen: Die Gestaltungskräfte können wir erleben; dasjenige, wasdraußen die Körper gestaltet, können wir erleben. Wodurch erlebenwir dies? Dadurch, daß es in uns Vorstellung wird. Jetzt sind wir andem Punkte, wo wir die gestaltende Kraft an den Menschen heran-bringen. Die gestaltende Kraft ist nicht das, was man irgendwie er-träumen kann. Man muß die Antworten auf die Fragen, vor die unsdie Natur stellt, nicht aus dem Spekulieren oder Philosophieren, son-dern aus der Wirklichkeit heraus geben. Und in der Wirklichkeit siehtman: Die gestaltende Kraft zeigt sich uns da, wo gewissermaßen dieGestalt selber vor uns sich in unserem Vorstellen auflöst, wo sie zum

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Vorstellen wird. In der Vorstellung erleben wir das, was sich uns außenentzieht an Kraft, indem sich die Körper gestalten.

Wenn wir also den Menschen hierher (siehe den Hinweis zu Seite 157)stellen, so können wir sagen: Er erlebt von unten herauf die Gestaltenals Vorstellung. Was erlebt er denn von oben herunter, wo zunächst,wenn wir von dem Gasigen ausgehen, das Wärmeartige uns erscheint,was erlebt denn der Mensch da? Nun, hier werden Sie wiederum, wennSie unbefangen auf die Erscheinungen am Menschen selber hinschauen,nicht umhin können, sich zu fragen: Wie hängt zusammen der Willedes Menschen zunächst mit den Wärmeerscheinungen? Sie brauchenja nur, jetzt physiologisch, ins Auge zu fassen, wie wir nötig habenein gewisses Zusammenarbeiten mit der äußeren Natur, um Wärme zuerzeugen, um zum Wollen zu kommen. Aber indem wir das Wollenzur Wirklichkeit machen, erscheint gerade die Wärme. Die Wärmemüssen wir eben dadurch verwandt ansehen mit dem Wollen. Ebensowie wir die gestaltenden Kräfte außen in den Dingen verwandt an-sehen müssen mit dem Vorstellen, müssen wir alles dasjenige, was sichaußen als Wärme verbreitet, verwandt ansehen mit demjenigen, wasin uns der Wille ist, müssen Wärme also ansehen als Wille, nur daßwir eben in unserem Willen das Wesen der Wärme erleben.

Wie könnten wir also, wenn uns äußerlich Gestaltung entgegentritt,diese Gestaltung uns definieren? Wir schauen sie an, diese Gestaltung,in irgendeinem festen Körper. Wir wissen: Würde diese Gestaltungunter gewissen Bedingungen durch unseren eigenen Lebensprozeß ver-wandelt worden sein, so würde die Vorstellung entstanden sein. DieseVorstellung ist nicht drinnen in der äußeren Gestaltung. Es ist unge-fähr so, wie wenn ich das Geistig-Seelische im Tode von einem Leib-lichen sich trennen sehe. Wenn ich äußerlich die Gestaltungen in derNatur sehe, so ist dasjenige, was die Gestaltungen bewirkt, nicht da.Es ist in Wahrheit nicht da. Es ist so nicht da, wie das Geistig-Seelischein einem Leichnam nicht da ist, aber drinnen gewesen ist. Wenn ichalso mein Auge auf die äußere Natur richte, so muß ich sagen: Da istirgendwie in der Gestaltung wirksam - ich will jetzt nicht sagen, wirk-sam gewesen, sondern wirksam werdend, das werden wir noch sehen -,da ist irgendwie wirksam dasselbe, was in mir als Vorstellung lebt.

1 £7Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 321 Seite: 157

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Wenn ich in der Natur Wärme wahrnehme, so ist irgendwie wirk-sam dasselbe, was in mir als Wille lebt. Im vorstellenden und wollen-den Menschen haben wir dasjenige, was draußen in der Natur uns alsGestaltung und als Wärme entgegentritt.

Nun aber gibt es ja alle möglichen Zwischenstufen zwischen demWollen und Vorstellen. Sie werden bei einem auch nur einigermaßenvernünftigen Selbstbeobachten bald herausfinden, daß Sie eigentlichniemals vorstellen, ohne eine Willensanstrengung zu vollziehen. EineWillensanstrengung wird allerdings besonders in der Gegenwart beiden meisten Menschen als unbequem empfunden. Man gibt sich mehrdem unbewußten Willen hin, dem Gehen der Gedanken, man liebt esnicht, den Willen hineinzusenden in das Gedankengebiet. Aber ganzwillensentblößter Gedankeninhalt ist eigentlich niemals vorhanden,ebensowenig wie ein Wille vorhanden ist, der nicht durch Gedankenorientiert ist. Also, wenn wir von Gedanke und Willen, von Vorstel-lung und Willen sprechen, so haben wir es eigentlich zu tun nur mitGrenzen, mit dem, was nach einer Seite das Gedankliche, nach der an-deren Seite das Willensmäßige ausbildet. Und wir können daher sagen,daß, indem wir den gedankentragenden Willen und den willensträch-tigen Gedanken in uns erleben, wir ganz wahrhaftig und wesentlicherleben das äußere Gestalten und das äußere Wärmewesen in der Na-tur. Es gibt eben keine andere Möglichkeit, als im Menschen aufzu-suchen das Wesen desjenigen, was uns äußerlich in seinen Erscheinun-gen entgegentritt.

Und verfolgen Sie diesen Gedanken nun weiter. Wenn Sie den Zu-ständen der Körperlichkeit nach der einen Seite weiter folgen, so kön-nen Sie sagen, Sie müßten linienmäßig den Fortgang ins Unbestimmteverfolgen. Nach der anderen Seite ebenso. Wie muß es aber denn hierim Menschen sein? Gerade das Entgegengesetzte muß hier der Fall sein.Ja, wir müssen dasjenige, was wir hier (siehe Schema Seite 153) insUnendliche verfolgen, eigentlich zurückverfolgen. Statt daß es ins Un-endliche hier so geht, daß wir es eigentlich gar nicht weiter verfolgenkönnen, müssen wir hier (im Menschen) annehmen, daß es aus demRaum heraus verschwindet; ebenso dasjenige, was von unten nachoben geht, müssen wir so betrachten, daß es aus dem Raum heraus

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verschwindet. Das heißt: Die Kraft, die in der Wärme liegt, in ihrerWirkung auf den Menschen muß sie sich so äußern, daß sie in ihm ausdem Raum hinausgeht; ebenso geht die gestaltende Kraft im Menschenaus dem Raum hinaus. Das heißt, wir müssen im Menschen an einenPunkt kommen, wo dasjenige, was sonst räumlich in der Außenwelterscheint, Gestaltung und Wärmeausbreitung, aus dem Räume hin-ausgeht, wo die Unmöglichkeit eintritt, das, was wird bei dem Un-räumlichwerden, noch mathematisch festhalten zu können.

Wir sehen hier, wie ich glaube, in einer außerordentlich bedeutungs-vollen Weise, wie einfach durch eine sachgemäße Betrachtung der Na-turerscheinungen wir gezwungen werden, in dem Augenblick, in wel-chem wir an den Menschen herantreten und ihn richtig einreihen indas Dasein der Natur, aus dem Raum herauszugehen, genau so, wiewir uns den Raum hier (siehe Schema) unendlich nach oben und untenvorstellen müssen. Indem wir an den Menschen herangehen, müssenwir aus dem Raum heraus. Wir können kein Symbolum finden, wel-ches räumlich ausdrückt, wie sich die Naturerscheinungen im Men-schen begegnen. Die Natur richtig vorgestellt, bedeutet, daß wir sieverlassen müssen, wenn wir sie im Verhältnis zum Menschen vorstel-len. Wir kommen sonst, indem wir den Inhalt der Natur ins Augefassen im Verhältnis zum Menschen, gar nicht an den Menschen heran.

Was heißt nun das aber mathematisch? Nehmen Sie an, Sie bezeich-nen jene Linie, durch welche Sie hier verfolgen die Körperzuständeins Unbestimmte, Sie bezeichnen ihre aufeinanderfolgenden Werte alspositive. Dann müssen Sie dasjenige, was in den Menschen hineinwirkt,als negativ bezeichnen, und Sie müssen, wenn Sie wiederum diese Liniehier als positiv bezeichnen, dasjenige, was in den Menschen hinein-wirkt, als negativ bezeichnen. Was nun auch Positives und Negativesist - ich glaube, wir werden uns in diesen Tagen, anschließend an einenVortrag von einem der Herren, über Positives und Negatives zu unter-halten haben -, wie wir es auch aufzufassen haben, was uns hier klarvor Augen tritt, ist, daß wir das Wesenhafte an der Wärme, insoferndieses Wesenhafte der Wärme der Außenwelt angehört, ins Negativeüberführen müssen, wenn wir es im Menschen verfolgen; wie wir auchdas Wesenhafte an der Gestaltung ins Negative überführen müssen,

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wenn wir es im Menschen verfolgen. So daß sich in der Tat dasjenige,was im Menschen als Vorstellung lebt, zu dem, was in der Welt drau-ßen als Gestaltung lebt, so verhält, wie positive Zahlenreihen zu nega-tiven Zahlenreihen oder umgekehrt, sagen wir: wie Vermögen undSchulden, aber was für den einen Schulden ist, ist für den anderenVermögen und umgekehrt. Hier kommen wir darauf, daß dasjenige,was draußen in der Welt Gestaltung ist, in dem Menschen als Negati-ves lebt. Wenn wir also sagen: Draußen in der Welt lebt irgendeinKörper, der eine Materie hat, so muß ich sagen: Stelle ich nun seineGestaltung vor, so muß ich auch die Materie in irgendeiner Weise ne-gativ vorstellen. Wodurch charakterisiert sich denn mir als Menschzunächst die Materie? Sie charakterisiert sich durch ihre Druckwir-kung. Gehe ich von der durch Druckwirkung sich offenbarenden Ma-terie zu meiner Vorstellung der Gestaltung über, so muß das Negativeder Druckwirkung da sein: die Saugwirkung. Das heißt, wir könnennicht dasjenige, was im Menschen als Vorstellung geschieht, materiellvorstellen, wenn wir das Materielle in Druckwirkung symbolisiertdarstellen. Wir müssen das Gegenteil vorstellen. Wir müssen etwaswirksam im Menschen denken, was der Materie so entgegengesetzt istwie das Negative dem Positiven. Wir müssen uns dasjenige, was wirk-sam ist - wenn wir die Materie durch Druckwirkung uns symbolisie-ren -, durch Saugwirkung uns symbolisieren. Indem wir von der Ma-terie weiterschreiten, kommen wir zum Nichts, zum bloßen Raum.Aber indem wir jetzt weiterschreiten, kommen wir zum Weniger-als-Nichts, zu dem, was die Materie aufsaugt, wir kommen vom Druckzur Saugwirkung. Da sind wir bei dem, was in uns als Vorstellung sichoffenbart.

Und wenn wir auf der anderen Seite die Wärmewirkungen betrach-ten, so gehen sie wieder ins Negative über, indem sie in uns übergehen.Sie treten aus dem Raum hinaus. Sie werden, wenn ich das Bild fort-führen darf, aufgesogen von uns. Wir haben sie so, daß sie in ihremGegenbild sich darstellen. Sie sind nichts anderes - irgendein Vermögenbleibt Vermögen, wenn es auch für den anderen Schulden bedeutet.Dadurch, daß wir genötigt sind, die äußere Wärme, indem sie in unswirkt, mit negativem Vorzeichen als nichts zu bezeichnen, dadurch

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wird sie nichts anderes. Sie sehen aber wiederum: Wir sind genötigtdurch die Kraft der Tatsachen selber, uns Menschen durchaus nichtmateriell vorzustellen, sondern in uns Menschen vorauszusetzen etwas,was nicht nur keine Materie ist, sondern was in all seinen Wirkungensich zu der Materie so verhält wie die Saugwirkung zur Druckwirkung.Und stellen Sie in Reinheit unser menschliches Wesen vor, so müssenSie es sich vorstellen als dasjenige, was die Materie fortwährend ver-nichtet, aufsaugt.

Daß die moderne Physik diesen Begriff gar nicht entwickelt, diesenBegriff der negativen Materie, die sich zu der äußeren Materie so ver-hält wie eine Saugwirkung zu einer Druckwirkung, das ist das Un-glück dieser modernen Physik. Was wir ausbilden müssen, das ist: Indem Augenblick, wo wir genötigt sind, an irgendwelche Wirkungenheranzutreten, die sich im Menschen selbst offenbaren, all unseren For-meln einen anderen Charakter dadurch zu geben, daß wir für dieWillenserscheinungen negative Größen einführen gegenüber den Wär-meerscheinungen; für die Vorstellungserscheinungen negative Größeneinführen gegenüber den Gestaltungskräften.

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ELFTER VORTRAG

Stuttgart, 11. März 1920

Jetzt möchte ich gewissermaßen die Brücke schlagen, weil ich sie fürdie nächsten Betrachtungen brauchen werde, zwischen den Auseinan-dersetzungen dieses Kurses und den Auseinandersetzungen des vorigenKurses. Wir werden heute das sogenannte Lichtspektrum mit seinen Be-ziehungen zu den am Lichtspektrum uns entgegentretenden Wärme-wirkungen und chemischen Wirkungen etwas studieren. Wir könnenam einfachsten uns dasjenige, um was es sich handelt, vielleicht ver-sinnlichen, wenn wir zunächst ein Spektrum darstellen und studieren,wie das Verhalten der verschiedenen Teile des Spektrums sich uns zeigt.Wir wollen also hier ein Spektrum entwerfen, indem wir Licht durchdiesen Spalt gehen lassen. (Das Zimmer wird verdunkelt und durchdas Experiment das Spektrum gezeigt.) Sie sehen, wir haben hier einSpektrum auf dieser Platte. Sie können sich nun davon überzeugen,daß wir in den roten Teil des Spektrums hier etwas hineingehängthaben. Wir werden an diesem Instrument dann etwas beobachten kön-nen. Wir werden jetzt versuchen, Ihnen zu zeigen, wie im roten Teildes Spektrums vorzugsweise Wärmewirkungen auftreten. Diese Wär-mewirkungen können Sie jetzt schon dadurch beobachten, daß Sie se-hen, wie unter dem Einfluß des Energiezylinders, wenn ich so sagendarf, hier die Luft ausgedehnt wird, drückt und dadurch die Wein-geistsäule hier heruntersteigt und hier hinauf. Durch dieses Herun-tersteigen der Weingeistsäule wird uns gezeigt, daß hier in diesemTeil des Spektrums im wesentlichen eine Wärmewirkung da ist. Eswäre ja natürlich interessant noch zu zeigen, es läßt sich aber nichtso schnell machen, daß, wenn wir das Spektrum verschieben wür-den und dieses Instrument in dem blauvioletten Teil hätten, sich dieWärmewirkung nicht zeigen würde. Diese Wärmewirkung ist also imwesentlichen im roten Teil des Spektrums zu sehen. Und jetzt werdenwir, ebenso wie wir geprüft haben durch das Fallen der Weingeist-säule das Auftreten der Wärmewirkung im rotgelben Teil des Spek-trums, das Auftreten der chemischen Wirkung des Spektrums im Blau-

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violett prüfen, indem wir hier eine Substanz hineinstellen in den Raum,der durchmessen wird von dem blauvioletten Teil des Spektrums, undSie werden sehen, daß dadurch diese Substanz zum Phosphoreszierenaufgerufen wird, also, wie Sie aus den Betrachtungen des vorigen Kur-ses wissen, chemische Wirkungen nachgewiesen werden. Sie sehen dar-aus, daß in der Tat noch eine innere Verschiedenheit zwischen dem-jenigen Teil des Spektrums besteht, der nach der einen Seite wie insUnbestimmte verläuft, und dem anderen Teil des Spektrums, der nachder anderen Seite verläuft. Sie sehen, wie die Substanz leuchtend ge-worden ist unter dem Einfluß der sogenannten chemischen Strahlen.Wir können nun noch bewirken, daß auch der mittlere Teil des Spek-trums, der der eigentliche Lichtteil ist, abgesondert wird. Ganz wirdes uns wohl nicht gelingen, aber wir werden doch den mittleren Teilabsondern können, also Dunkelheit im mittleren Teil hervorrufen kön-nen statt der Helligkeit, indem wir einfach hineinträufeln lassen in dieSubstanz, die uns ein Schwefelkohlenstoff-Prisma gebildet hat, etwasJodtinktur. Dadurch bekommen wir die Mischung zwischen Schwefel-kohlenstoff und Jodtinktur. Sie erweist sich als eine Substanz, welchedas Licht nicht durchläßt, und wir würden, wenn wir den Versuchvollständig machen könnten - wir können es ja leider nicht, sondernwir können nur auf den Weg weisen -, vollkommen zeigen können,daß auf der einen Seite Wärmewirkungen, auf der anderen Seite chemi-sche Wirkungen auftreten, während der eigentliche Lichtteil, der mitt-lere Teil des Spektrums, verschwindet. Wenn ich Alaun in den Weghineinstellen würde, würden die Wärmewirkungen aufhören, und Siewürden dann sehen, daß die Weingeistsäuie wiederum steigt, weil derAlaun, die Alaunlösung den Durchgang der Wärmewirkungen - sowill ich vorsichtig sagen — verhindert. Es würde jetzt sehr bald, weilAlaun im Wege steht, diese Weingeistsäule wiederum steigen, weil dieErwärmung nicht stattfinden würde. Wir würden hier ein kaltes Spek-trum bekommen.

Sehr interessant ist, daß man auch verschwinden lassen kann denchemischen Teil, wenn man in den Weg der Ausbreitung des Spektrumseine Äskulinlösung stellt, die wir leider auch nicht bekommen konnten.Es bleiben die Wärmewirkungen und die Lichtwirkungen vorhanden,

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aber es hören auf die chemischen Wirkungen. Wir wollen jetzt in denWeg stellen die Auflösung von Jod in Schwefelkohlenstoff, und eswird der mittlere Teil des Spektrums verschwinden. Sie sehen deutlichden roten Teil, der aber, wenn das Experiment vollständig gelingenwürde, weg wäre, Sie sehen den violetten Teil und in der Mitte nichts.Also, es ist uns gelungen dadurch, daß wir eine Art von Fragment desVersuches ausgeführt haben, den hauptsächlichsten Lichtteil, das Mitt-lere wegzuschaffen. Wenn wir das Experiment vollständig machten, wiees einzelnen Experimentatoren, zum Beispiel Dreher in Halle vor fünf-zig Jahren gelungen ist, könnten wir auch die zwei leuchtenden Stel-len vollständig wegschaffen und dann nachweisen die Erhöhung derTemperatur, die dableibt, und auf der anderen Seite die Wirkungender chemischen Strahlen durch die «leuchtende Materie». Das ist eineVersuchsreihe, die noch nicht zu ihrem Ende gebracht ist, eine Ver-suchsreihe, die außerordentlich wichtig ist. Sie zeigt uns, wie sich hin-einstellt dasjenige, was im Spektrum wirksam gedacht werden kann,in den allgemeinen Weltzusammenhang.

Ich habe bei dem Kursus, den ich bei meinem früheren Aufenthalthier gehalten habe, gezeigt, wie auf die Spektralverhältnisse zum Bei-spiel ein kräftiger Magnet wirkt, indem sich durch die Einwirkung,durch die Kraft, die von dem Magneten ausgeht, gewisse Linien, ge-wisse Bildungen im Spektrum selber ändern. Und es handelt sich nundarum, daß man einfach den Gedankengang, der damit angeschlagenist, wiederum so erweitert, daß man in seinen Gedanken drinnen diephysikalischen Vorgänge wirklich hat. Sie wissen aus unseren Betrach-tungen, die wir jetzt angestellt haben, daß eigentlich ein vollständigesSpektrum, das heißt eine Zusammenfassung aller möglichen Farben,zwölf Farben ergeben würde, daß wir bekommen würden gewisser-maßen ein Kreisspektrum statt eines in der einen Richtung des Rau-mes ausgedehnten Spektrums. Wir würden hier Grün haben, hier Pfir-sichblüt, hier Violett und hier Rot, dazwischen die anderen Farben-nuancen, zwölf deutlich voneinander zu unterscheidende Farbennuan-cen (siehe Zeichnung Seite 165).

Nun handelt es sich darum, daß wir uns ein solches Spektrum inner-halb der irdischen Verhältnisse nur im Bilde darstellen können. Wenn

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Violett

wir in dem Bereiche des irdischen Lebens ein Spektrum darstellen,können wir es bloß im Bilde darstellen, und so bekommen wir ja im-mer das bekannte Spektrum, das verläuft in gerader Linie vom Rotdurch das Grün zu dem Blau und Violett. Also, wir bekommen einSpektrum, welches aus dem obigen, wie ich jetzt schon öfter gesagthabe, erhalten werden kann, indem der Kreis immer größer und größerwird, das Pfirsichblüt nach der anderen Seite verschwindet, das Vio-lett hier (siehe Zeichnung, rechts) ins scheinbar Unendliche geht, dasRot scheinbar hier (links) ins Unendliche weist und das Grün in derMitte bleibt.

Wir können uns die Frage vorlegen: Wie entsteht aus der Vollstän-digkeit der Farbenbildung, aus der Zwölf-Farben-Bildung, die dochmöglich sein muß, dieses fragmentarische Spektrum, dieses fragmenta-rische Farbenband? Wenn Sie hypothetisch annehmen, das vollständigeKreisspektrum würde hier (siehe Zeichnung) entstehen, so können Siesich vorstellen, daß da Kräfte wirkten, die den Kreis vergrößerten, in-dem sie ihn hier auseinanderzerrten. Dann würde ein Moment eintre-ten, wo eben wirklich das hier oben zerreißt und durch die wirken-den Kräfte der Kreis zur geraden Linie, das heißt, zur unendlichenLänge, zur scheinbar unendlichen Länge, gemacht wird.

Wenn wir im Bereich des irdischen Lebens dieses durch eine Geradezu versinnlichende Spektrum finden, so müssen wir uns fragen: Wiekann es entstehen? Es kann nur dadurch entstehen, daß aus der Voll-

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ständigkeit der Farben die bekannten sieben Nuancen herausgesondertwerden. Sie werden herausgesondert durch Kräfte, die in das Spek-trum hinein gewissermaßen wirken müssen. Diese Kräfte haben wiraber eigentlich im Bereich des irdischen Daseins schon gefunden. Wirhaben sie gefunden, indem wir auf die Gestaltungskräfte hingewiesenhaben. Das ist ja auch eine Gestaltung: Die Kreisgestalt ist doch in dieGerade-Linien-Gestalt übergeführt worden. Das ist eine Gestaltung, diewir hier angetroffen haben. Und es ist, ich möchte sagen, handgreiflich,daß irgendwie im Bereich des Irdischen Kräfte wirken, die erst unserSpektrum möglich machen, wenn wir sehen können, daß durch denEinfluß der magnetischen Kräfte das innere Gefüge des Spektrums be-einflußt, verändert wird. Wenn das so ist, so müssen wir doch anneh-men, daß in unserem Spektrum, das wir immer als primär betrachten,schon Kräfte wirksam sein können. Wir müssen also in unserem ge-wöhnlichen Spektrum nicht bloß Lichtvariationen konstatieren, son-dern wir müssen in dieses gewöhnliche Spektrum hineindenken Kräfte,welche erst notwendig machen, daß dieses gewöhnliche Spektrum sym-bolisiert wird durch eine gerade Linie.

Diesen Gedankengang wollen wir mit einem anderen verbinden, dersich uns ergeben wird, wenn wir noch einmal aufsteigen in solcherWeise, wie wir das schon öfter gemacht haben: vom fest Gestalteten

Materialisieren, entmaterialisieren; dunkel, hell

Wärme

Verdünnen, verdichten

Flüssig

Feste Gestalt

durch das Flüssige zum Verdichteten, Verdünnten, das heißt Gasigen,zum Wärmewesen, zu dem, was wir Materialisierung und Entmateria-lisierung im x genannt haben. Hier tritt uns auf eine höhere Steigerungdes Verdichtens und Verdünnens über dem Wärmewesen, wie uns dieVerdichtung und Verdünnung selber auftritt als eine Steigerung, alsgewissermaßen ein Flüssigwerden der Gestalt. Wenn die Gestalt selber

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flüssig wird, wenn wir eine variable Gestaltung haben im Gas, so istdas eine Steigerung des bestimmten Gestaltens. Was tritt hier auf? Hiertritt auf eine Steigerung des Verdünnens und Verdichtens. Halten Siedas gut fest, daß wir in ein Gebiet hineinkommen, wo eine Steigerungdes Verdünnens und Verdichtens auftritt.

Was heißt eine Steigerung des Verdünnens? Nicht wahr, wenn Ma-terie immer dünner und dünner wird, so kündigt sie uns schon an,wenn sie Materie einer gewissen Art ist, was mit ihr kämpft, wenn sieimmer dünner und dünner wird. Wenn ich sie immer dichter und dich-ter mache, dann wird sich herausstellen, daß sie mir ein hinter ihr be-findliches Licht nicht mehr durchläßt. Wenn ich sie immer dünner unddünner mache, läßt sie das Licht durch. Verdünne ich immer weiterund weiter, so kommt mir zuletzt überhaupt nur zum Vorschein dieHelligkeit als solche. Dasjenige also, was ich hier als noch im Gebietedes Materiellen liegend aufzufassen habe, das wird mir empirisch im-mer erscheinen als Auftreten der Helligkeit. Entmaterialisierung wirdmir auftreten als hell; Materialisierung wird mir immer auftreten alsdunkel. Ich habe also im Gebiet der Weltwirkungen Erhellung auf-zufassen als Steigerung der Verdünnung und Verdunkelung aufzufas-sen als eine noch nicht genügend eingetretene Verdichtung, so daß dieVerdichtung noch nicht genügend als Materie erscheint, sondern dieWirkungen erst auf dem Wege zum Materiellen sind.

Sie sehen, ich finde da oberhalb des Wärmegebietes das Lichtgebiet,und es stellt sich mir jetzt auf eine ganz naturgemäße Weise auch dasWärmegebiet in das Lichtgebiet hinein. Denn wenn Sie bedenken, daßimmer das weiter nach unten Gelegene gewissermaßen das Bild gibtdes darüber Gelegenen, so werden Sie im Wärmewesen finden müssenetwas, was gewissermaßen Bild ist der Aufhellung und der Verdunke-lung. Im Wärmewesen, das uns ja an einem Ende des Spektrums auf-tritt, werden wir finden müssen etwas, was als Bild der Erhellung undVerdunkelung auftritt. Wir werden aber auch uns klar sein müssendarüber, daß wir nicht nur auf diese Art immer den oberen Teil unseresWirklichkeitsgebietes in dem unteren finden, sondern auch den unterenTeil des Wirklichkeitsgebietes immer in dem oberen. Wenn ich einenKörper fest habe, so kann er durchaus in dem flüssigen Gebiet drinnen

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sein mit seiner Festigkeit. Dasjenige, was ihm Gestaltung gibt, kannhinaufragen in das nächste, in das nicht mehr gestaltete Gebiet. Ichmuß mir klar sein darüber, daß ich, wenn ich mit Wirklichkeiten inmeinen Vorstellungen umgehen will, ich es zu tun habe mit dem gegen-seitigen Sich-Durchdringen der Wirklichkeitsqualitäten. Das abernimmt eine besondere Form an für das Wärmegebiet. Es nimmt dieForm an, daß auf der einen Seite das Entmaterialisieren in der Wärmewirken muß von oben herunter (Pfeil), auf der anderen Seite die Ten-denz zum Materialisieren in die Wärme hineinwirkt.

Sie sehen, ich komme dem Wärmewesen nahe, indem ich in ihmden Aufgang sehen muß auf der einen Seite eines Strebens nach Ent-materialisierung, auf der anderen Seite eines Strebens nach Materiali-sierung. So daß ich, wenn ich nun fassen will das Wärmewesen, ich esnur so fassen kann, daß in ihm ein Leben, ein lebendiges Weben ist,welches dadurch sich offenbart, daß überall die Tendenz zum Materi-alisieren durchdrungen wird von der Tendenz zu entmaterialisieren.Jetzt merken Sie, was für ein beträchtlicher Unterschied zwischen die-sem wirklich aufgefundenen Wärmewesen ist und dem Wärmewesen,das in der sogenannten mechanischen Wärmetheorie eines Clausiusfiguriert hat. Da finden Sie, wenn Sie einen geschlossenen Raum ha-ben, atomistische oder molekulare Kügelchen, die stoßen nach allen

Seiten, rempeln sich gegenseitig an, stoßen an die Wand an und vollfüh-ren rein äußere extensive Bewegungen. Und es wird dekretiert: DieWärme besteht eigentlich in dieser chaotischen Bewegung, in diesemchaotischen sich gegenseitig Stoßen und an die Wand Stoßen der ma-teriellen Teile, über die dann nur noch ein lebhafter Streit war, ob sie

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nun elastisch oder nicht elastisch aufzufassen sind. Das ist ja nur nachdem zu entscheiden, ob man für die eine oder andere Erscheinung dieElastizitätsformel oder die für unelastische, feste Körper mehr an-wendbar findet. Es war also Ausdruck einer rein auf den Raum, aufräumliche Bewegung rücksichtnehmenden Überzeugung, wenn man ge-sagt hat: Wärme ist Bewegung. Wir müssen nun in ganz anderer Weisesagen: Wärme ist Bewegung - sie ist Bewegung, aber intensiv zu den-kende Bewegung, Bewegung, bei der in jedem Raumteil, wo Wärmeist, das Bestreben besteht, materielles Dasein zu erzeugen und materiel-les Dasein wieder verschwinden zu lassen. Kein Wunder, daß auch wirWärme brauchen in unserem Organismus. Wir brauchen einfachWärme in unserem Organismus, um das räumlich Ausgedehnte stetigüberzuführen in das räumlich Unausgedehnte. Wenn ich einfach denRaum durchschreite, ist dasjenige, was mein Wille vollführt, Raum-gestaltung. Wenn ich es vorstelle, ist etwas ganz außerhalb des Raumesda. Was macht es mir möglich als menschliche Organisation, daß ichäußerlich eingereiht bin in die Gestaltverhältnisse der Erde? Indemich auf ihr gehe, verändere ich ja die gesamte Gestalt der Erde, ichmale schwarze Punkte auf eine Stelle, ich verändere ihre Gestalt fort-während. Was macht es möglich, daß ich das, was ich im ganzen übri-gen Erdenzusammenhang bin und was sich darstellt in räumlichen Wir-kungen, daß ich das innerlich raumlos erfassen kann als Beobachter inmeinen Gedanken? Daß ich selbst mein Dasein vollbringe in dem Me-dium der Wärme, das gestattet, daß fortwährend materielle Wirkun-gen, das heißt Raumeswirkungen, übergehen in unmaterielle Wirkun-gen, also in solche Wirkungen, die keinen Raum mehr einnehmen. Icherlebe also in mir tatsächlich, was die Wärme in Wahrheit ist, intensiveBewegung, Bewegung, die fortwährend herüberpendelt aus dem Ge-biet der Druckwirkungen in das Gebiet der Saugwirkungen.

Nehmen Sie an, Sie haben hier die Grenze zwischen Druckwirkungund Saugwirkung. Die Druckwirkungen verlaufen im Raum, aber dieSaugwirkungen verlaufen als solche nicht im Raum, sondern sie ver-laufen außer dem Raum. Denn meine Gedanken sind beruhend auf denSaugwirkungen, verlaufen aber nicht im Raum. Hier habe ich jenseitsdieser Linie (siehe Zeichnung Seite 170) das Raumlose. Und wenn ich

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Qremt

des Warmev/esens

mir vorstelle dasjenige, was nun weder im Gebiet des Druckes, imRaum, noch im Gebiet des Saugens geschieht, sondern im Gebiet derGrenze zwischen beiden, dann bekomme ich dasjenige, was im Gebietdes Wärmewesens geschieht: fortwährendes Gleichgewichtsuchen zwi-schen Druckwirkungen materieller Art und Saugwirkungen geistigerArt. Es ist sehr merkwürdig, wie gewisse Physiker heute schon, ichmöchte sagen, mit der Nase auf diese Dinge gestoßen werden, wie sieaber durchaus nicht auf sie eingehen wollen. Planck, der Berliner Phy-siker, hat es einmal ausdrücklich ausgesprochen: Wenn man zu einerVorstellung desjenigen, was immer Äther genannt wird, kommen will,so ist das erste Erfordernis heute, nach den Erkenntnissen, die manaus der Physik haben kann, daß man diesen Äther nur ja nicht mate-riell vorstelle. - Das ist ein Ausspruch des Berliner Physikers Planck.Also, materiell darf der Äther nicht vorgestellt werden. Ja, aber das-jenige, was wir hier finden als jenseits der Wärmewirkungen, wohin-ein dann auch schon die Lichtwirkungen gehören, das dürfen wir sowenig materiell vorstellen, daß wir die heutige Eigenschaft des Ma-teriellen, die Druckwirkung, nicht mehr drinnen finden, sondern nurSaugwirkungen. Das heißt, wir gehen aus dem Gebiet der ponderablen

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Materie hinaus und kommen in ein Gebiet, welches natürlich überallsich geltend macht, das aber entgegengesetzt sich offenbart dem Ge-biet des Materiellen; das wir nur durch Saugwirkungen, die von jedemPunkt des Raumes ausgehen, vorstellen können, während wir das Ma-terielle selbstverständlich als Druckwirkungen vorstellen. Da aberkommen wir zum unmittelbaren Ergreifen des Wärmewesens als einerintensiven Bewegung, als eines Pendeins zwischen Saug- und Druck-wirkungen, aber nicht so, daß die eine Seite der Saugwirkungen räum-lich ist und die andere Seite der Druckwirkungen auch räumlich ist,sondern daß wir aus dem Gebiet des Materiellen, des dreidimensio-nalen Raumes überhaupt, hinauskommen, schon wenn wir die Wärmeerfassen wollen. Drückt daher der Physiker gewisse Wirkungen mitFormeln aus, und hat er in diesen Formeln Kräfte drinnen, so wirdman in dem Fall, daß diese Kräfte mit negativem Vorzeichen eingesetztwerden - wenn Druckkräfte so eingesetzt werden, daß sie als Saug-kräfte gelten können, aber zu gleicher Zeit darauf Rücksicht genom-men wird, daß man nun im Räume nicht bleibt, sondern ganz darausherauskommt ~, so wird man mit solchen Formeln erst hineinkom-men in das Gebiet der Licht- und Wärmewirkungen, das heißt derWärmewirkungen eigentlich nur halb, denn im Gebiet des Wärme-wesens haben wir das Ineinanderspielen von Saug- und Druckwir-kungen.

Diese Sache, meine lieben Freunde, nimmt sich heute noch, ichmöchte sagen, ziemlich theoretisch aus, wenn man sie so einem Audi-torium mitteilt. Es sollte aber niemals vergessen werden, daß ein großerTeil unserer modernsten Technik unter dem Einfluß der materiali-stischen Vorstellungsweise der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ent-standen ist, die alle solche Vorstellungen nicht gehabt hat, und daßdaher innerhalb unserer Technik diese Vorstellungen auch gar nichtauftreten können. Wenn Sie aber bedenken, wie fruchtbar die einsei-tigen Vorstellungen der Physik für die Technik geworden sind, sokönnen Sie sich ein Bild machen von dem, was auch als technischeFolgen auftreten würde, wenn man zu den heute in der Technik einzigfigurierenden Druckkräften - denn die räumlichen Saugkräfte, die manhat, sind ja auch nur Druckkräfte; ich meine Saugkräfte, die qualita-

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tiv entgegengesetzt sind den Druckkräften - nun auch diese Saug-kräfte wirklich fruchtbar machen würde.

Allerdings muß da hinweggeräumt werden manches, was jetzt inder Physik eben durchaus noch figuriert. Das heißt, man muß nunwirklich wegräumen den gebräuchlichen Energiebegriff, der eigentlichvon der ganz groben Vorstellung ausgeht: Wenn ich irgendwo Wärmehabe, so kann ich sie umwandeln in Arbeit, so wie wir ja gesehen ha-ben bei unserer Experimentieranordnung, daß Wärme umgewandeltwerden konnte in auf und ab gehende Bewegung des kolbenartigenKörpers. Aber wir haben dabei zu gleicher Zeit gesehen, daß da immerWarme übrigbleibt, daß wir also nur einen Teil der Wärme, die unszur Verfügung steht, wirklich in das umwandeln können, was derPhysiker mechanische Arbeit nennt, den anderen Teil können wir nichtumwandeln. Das war ja der Satz, der Eduard von Hartmann dazu ge-führt hat, eben als zweiten wichtigsten Satz der modernen Physik denhinzustellen: Ein Perpetuum mobile der zweiten Art ist unmöglich.

Andere Physiker, zum Beispiel Mach> von dem ja in der neuerenphysikalischen Entwickelung viel die Rede ist und der über mancheDinge wirklich sehr gründlich nachgedacht hat, der aber immer sonachdenkt, daß man sieht, er ist ein Mensch, der schon scharfsinnigwar, aber der seinen Scharfsinn nur geltend machen konnte unter demEinfluß der rein materialistischen Erziehungsweise, so daß immer zu-grunde liegen die materialistischen Vorstellungen, Mach sucht danndie Begriffe und Vorstellungen, die ihm zur Verfügung stehen, scharf-sinnig zu kontinuieren und anzuwenden. Dadurch ist das Eigentüm-liche bei ihm, daß er, wo es möglich ist, schon aus den gebräuchlichenphysikalischen Vorstellungen bis zu der Grenze zu kommen, wo dieZweifel entstehen, dazu kommt, die Zweifel sehr schön zu beschrei-ben. Es tritt ja dann die Trostlosigkeit ein, denn er kommt gerade nurbis an die Grenze, wo er die Zweifel hinstellt. Schon seine Ausdrucks-weise ist außerordentlich interessant. Denken Sie sich einmal, wennman nötig hat in der physikalischen Betrachtung, wo also alles hand-greiflich da ist, eine gewisse Ansicht, die man gewonnen hat, in folgen-der Weise zu stilisieren, wie Mach sie stilisiert hat. Er sagt: «Es hataber keinen gesunden Sinn, einer Wärmemenge, die man nicht mehr

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in Arbeit verwandeln kann» — wir haben gesehen, daß es eine solchegibt -, «noch einen Arbeitswert beizumessen. Demnach scheint es, daßdas Energieprinzip ebenso wie jede andere Substanzauffassung nur fürein begrenztes Tatsachengebiet Gültigkeit hat, über welche Grenze mansich nur einer Gewohnheit zu lieb gern täuscht.» Denken Sie sich: EinPhysiker, der beginnt nachzudenken über die ihm vorliegenden Er-scheinungen, und der ist genötigt zu sagen: Ja, es entsteht mir in mei-nem Tatsachenverlauf Wärme, die ich nicht mehr in Arbeit verwan-deln kann. Es hat aber dann doch keinen gesunden Sinn, die Wärmeeinfach aufzufassen als potentielle Energie, als Arbeit, die nur nichtsichtbar ist. Man kann vielleicht sprechen von der Umwandlung vonWärme in Arbeit innerhalb eines gewissen Tatsachengebietes; außer-halb desselben gilt das nicht mehr. Und man redet im allgemeinen da-von, daß jede Energie in eine andere umzusetzen ist, nur einer Ge-wohnheit zuliebe, so daß man sich dieser Gewohnheit zuliebe leichttäuscht. - Es ist außerordentlich interessant, die Physik da festzuna-geln, wo sie ertappt werden kann in den Zweifeln, die sich notwendi-gerweise ergeben müssen, wenn man nur wirklich konsequent dasjenigeins Auge faßt, was als Tatsachenreihe vorliegt. Ist denn nicht eigent-lich schon der Weg da, wo die Physik sich selber überwindet, wenn diePhysiker bereits genötigt sind, solche Geständnisse zu machen? Dennes ist ja im Grunde genommen das Energieprinzip nichts anderes alseine Behauptung. Man kann es eigentlich, wie es ein Evangelium beiHelmholtz und seinen Zeitgenossen war, nicht mehr aufrechterhalten.Es kann Gebiete geben, in denen dieses Energieprinzip nicht mehr be-hauptet werden darf.

Sehen Sie, wenn man nun fragen will: Wie könnte man einmalden Versuch machen, symbolisch - denn im Grunde genommen, wennwir anfangen etwas aufzuzeichnen, wird alles symbolisch -, wie könn-ten wir den Versuch machen, symbolisch dasjenige, was da im Gebietdes Wärmewesens auftritt, darzustellen? Wenn Sie alle diese Vorstel-lungen zusammennehmen, die ich Ihnen entwickelt habe und durchdie ich versucht habe, im Realen verbleibend heranzusteigen zum Wär-mewesen, dann werden Sie dazu kommen, dieses Wärmewesen in derfolgenden Weise sich zu versinnlichen: Stellen Sie sich einmal vor, hier

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wäre Raum (blau), der von gewissen Wirkungen, von Druckv/irkungenausgefüllt wäre; hier wäre das Raumlose (rot), das ausgefüllt wäre vonSaugwirkungen. Wenn Sie sich das nun vorstellen, dann bekommen Siehier ein Gebiet, und mit diesem Gebiet etwas anderes, was da immerhineinschlüpft und da drinnen verschwindet - wir haben ja nur inden Raum hinausprojiziert, was nur räumlich-unräumlich gedacht wer-den kann, denn der rote Teil muß unräumlich gedacht werden. SehenSie diesen Raum hier (blau und rot) an als ein Sinnbild für das, wasräumlich-unräumlich ist. Denken Sie sich also Intensives dargestelltdurch Extensives, durch das, wo fortwährend Materielles entsteht.Aber indem Materielles entsteht, entsteht auf der anderen Seite Imma-terielles, das schlüpft in das Materielle hinein, vernichtet seine Mate-rialität, und wir haben einen physisch-geistigen Wirbel, der sich soäußert, daß fortwährend dasjenige, was physisch entsteht, durch dasGeistige, das auch dabei entsteht, vernichtet wird, wir haben also eineWirbelwirkung, wo Physisches entsteht, durch Geistiges vernichtetwird; Geistiges entsteht, durch Physisches verdrängt wird. Wir habenein fortwährendes Herüberspielen des Raumlosen in das Räumliche;wir haben ein fortwährendes Auf gesogen wer den desjenigen, was imRäume ist, durch diejenige Entität, die außer dem Räume ist.

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Was ich Ihnen schildere, meine lieben Freunde, das ist, wenn Siees sich versinnlichen, hier wirbelartig zu gestalten. Aber man darf imWirbel nur sehen eine äußere, extensive Versinnlichung des Intensiven.Damit haben wir uns, ich möchte sagen, sogar schon durch Figuralesdem Wärmewesen genähert. Wir haben nun noch übrig, zu zeigen,wie dieses Wärmewesen jetzt so wirkt, daß solche Erscheinungen entste-hen können wie: die Wärmeleitung; oder daß der Schmelzpunkt einerLegierung viel tiefer liegt als der Schmelzpunkt jedes einzelnen Metal-les; oder was es eigentlich heißt, daß auf dem einen Ende des SpektrumsWärmewirkung, auf dem anderen chemische Wirkung sich zeigt.

Wir werden die Taten der Wärme suchen müssen, wie Goethe dieTaten des Lichtes gesucht hat, und werden dann zu untersuchen haben,wie die Erkenntnis des Wärmewesens sich auf die Anwendung derMathematik, auf die Imponderabilien der Physik auswirkt, das heißtmit anderen Worten: Wie wirklich reale mathematische Formeln ge-staltet werden müssen, die zum Beispiel in der Thermik, in der Optikangewendet werden können.

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Z W Ö L F T E R VORTRAG

Stuttgart, 12. März 1920

Die Versuche, die wir für heute vorhatten, müssen wir leider auf mor-gen verschieben. Sie werden morgen so weit sein, sie so zu zeigen, wieich sie haben muß, wenn ich das Ganze besprechen will, was geradedaran geprüft werden soll. Wir werden daher heute eine Betrachtungeinschieben über diejenigen Dinge, die wir auch noch brauchen, morgendann die Versuchsanordnungen machen, um die Betrachtungen über-morgen zu einem vorläufigen Abschluß zu bringen.

Dasjenige, was ich zunächst wie eine Hilfe anführen möchte fürunsere Anschauungen, die wir entwickeln müssen gegenüber dem Wär-mewesen, das ist, daß ich Sie hinzuweisen habe darauf, daß eine ge-wisse Schwierigkeit vorliegt im Verstehen dessen, was eigentlich eindurchsichtiger Körper ist. Ich rede jetzt nicht von Wärme. Aber Siewerden sehen, namentlich wenn wir diese Versuche hinter uns haben,wie wir eine Hilfsvorstellung vom Licht aus für das Verständnis desWärmewesens gewinnen werden. Es liegt eine gewisse Schwierigkeitvor, sage ich, zu verstehen, was ein relativ durchsichtiger Körper istund was ein undurchsichtiger Körper ist, also ein Körper, der uns ge-wissermaßen sich selber unter dem Einfluß des Lichtes zeigt. Ich mußetwas anders sprechen, als gewöhnlich gesprochen wird. Die Spracheder gewöhnlichen Physik würde sagen: Ein undurchsichtiger Körperist derjenige, der uns durch eine gewisse Beschaffenheit seiner Ober-fläche die Lichtstrahlen zurückwirft, die auf ihn fallen, und der da-durch als Körper sichtbar wird. - Diese Ausdrucksformen kann ichnicht wählen, weil sie ja durchaus nicht eine Wiedergabe des Tatbe-standes sind, sondern weil sie Ausdrücke sind von schon vorhandenen,bestimmten Theorien, die wir nicht ohne weiteres als selbstverständ-lich annehmen können. Denn von Strahlen zu sprechen, von Licht-strahlen zu sprechen, ist Theorie. Ich habe darüber ja in meinem vori-gen Kursus auch schon gesprochen. Alles dasjenige, was uns entgegen-tritt in der Wirklichkeit, ist nicht Lichtstrahl, sondern ist Bild, unddas ist durchaus etwas, was festzuhalten ist. Außerdem können wir

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nicht ohne weiteres sagen: Ein durchsichtiger Körper ist derjenige, derdurch seine innere molekularische Beschaffenheit das Licht durch sichdurchgehen läßt, und ein undurchsichtiger Körper ist derjenige, derdas Licht zurückwirft. Denn wie sollte denn eine Möglichkeit sein,eine solche Theorie ohne weiteres zu rechtfertigen? Und wenn Sie andas sich erinnern, was ich in diesen Tagen dargestellt habe als die Ver-hältnisse der Wirklichkeitsgebiete: feste, flüssige, gasförmige Körper;Wärmewesen; x, y, z und dann unter den festen Körpern angrenzenddas U-Gebiet, so werden Sie sehen, daß in irgendeiner Weise mit demWärmegebiet in Beziehung stehen muß das Lichtgebiet, auch in Be-ziehung stehen muß das Gebiet der chemischen Wirkungsweisen. Aufder anderen Seite muß mit dem, was uns entgegentritt, ich möchtesagen, als die flüssige Gestalt im Wärmewesen, im Luftwesen, in ir-gendeiner Beziehung stehen dasjenige, was die wahre Wesenheit desTones ist. Denn Töne erscheinen bei Gelegenheit von Verdichtungenund Verdünnungen in gas- oder luftförmigen Körpern.

Wir können also zunächst vermuten, daß irgendwo da, wo wir dasx3 y, z angenommen haben, auch die Wesenheit des Lichtes gefundenwerden kann. Aber es ist die Frage, ob wir da, wo wir die Wesenheitdes Lichtes suchen, auch zu suchen haben zum Beispiel die Wesenheitder Durchsichtigkeit gewisser Körper. Diese Wesenheit der Durch-sichtigkeit gewisser Körper ist nicht ohne weiteres aus der Wesenheitdes Lichtes heraus oder nur aus den Beziehungen des Lichtes zu denfesten Körpern zu suchen. Wir haben das CZ-Gebiet, und dieses U-Gebiet muß mit seinen Wirkungen in irgendeiner Weise ein Verhältnishaben zu festen Körpern, die an der Oberfläche der Erde sind. Undwir werden wenigstens zunächst die Frage aufwerfen müssen undnoch hinarbeiten auf die Beantwortung dieser Frage in diesen Betrach-tungen, die uns bei meiner Anwesenheit noch zur Verfügung stehen:Welchen Einfluß hat das U-Gebiet auf feste Körper, und kann unsnicht etwas von diesem Einfluß offenbaren der Unterschied, der auf-tritt zwischen durchsichtigen Körpern und den gewöhnlich undurch-sichtigen Metallen? Also solche Fragen müssen uns zunächst beschäf-tigen. Und den Weg zur Beantwortung solcher Fragen werden wirfinden, wenn wir nun versuchen, das, was sich uns gestern ergeben

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hat über das Wärmewesen, durch einige andere Begriffe noch zu er-gänzen.

Man hat ja natürlich gesehen innerhalb des Gebietes der Physikdie Tatsachen, die sich ergeben als Wärmeerscheinung. Man hat ebensolche Tatsachen gesehen wie die, die man unter dem Begriff der Wär-meleitung gedacht hat, die wir Ihnen ja auch vorgeführt haben. Manhat vor allen Dingen diese Art der Ausbreitung der Wärme bei derWärmeleitung, also bei dem Fortfließen des Wärmezustandes entwederdurch einen Körper oder über die Berührungsstelle hinaus durch zweioder mehrere sich berührende Körper, beobachtet. Man hat dieses Fort-fließen der Wärme sich so vorgestellt, wie wenn eine irgendwie ge-artete, unbestimmte Flüssigkeit, zunächst wie das Bild nur des Fort-fließens der Wärme, des Wärmezustandes, da wäre. Und nun kannman schon einmal anknüpfen an das, was ja die äußere Anschauungbietet: So wie Wasser irgendwie in einem Bach fortfließt, das heißt,an einem weiteren Punkt später ist als vorher, was ja die Natur so flie-ßend darstellt, so kann man auch folgen dem Fortfließen der Wärmevon einem Punkte zum anderen, wenn die sogenannte Wärmeleitungstattfindet. Gedanken über dieses Fortfließen des Wärmezustandes imSinne der Wärmeleitung haben sich die verschiedensten Menschen ge-macht. Ziemlich klare Vorstellungen - wir könnten auch von anderenausgehen - rühren her von Tourier, und an diese wollen wir ein weniganknüpfen und wollen dann sehen, wie wir gegenüber den Erkennt-nissen, die wir schon gewonnen haben, mit diesen Vorstellungen zu-rechtkommen.

Da können Sie sich vorstellen: Wir stehen einem abgeschlossenenKörper gegenüber, irgendeinem Metall, das hier scharf begrenzt wäredurch eine Ebene, und hier ebenfalls durch eine Ebene. Nach oben undunten können wir es uns ins Unbestimmte verlaufend denken. Wirversuchen dadurch, daß wir diese Grenze des Metalls in siedendemWasser halten, sie auf einer Temperatur U1 zu halten, die etwa in die-sem Falle 100 °C sein könnte, und versuchen die andere Grenzflächemit schmelzendem Eis so in Berührung zu halten, daß wir eine Tempe-ratur U2 haben, die im speziellen Fall 0 °C sein kann. Wir haben, wennSie sich den ganzen Sachverhalt vor Augen führen, es zu tun mit einer

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u.kochendes

-JOO°C

*

Schmelzendes

0" C

Differenz: hier Uly hier £/2; t^i-^2 gibt uns eine Temperaturdifferenz.Von dieser Temperaturdifferenz wird es abhängen, wie die "Wärme-leitung vor sich geht. Denn selbstverständlich, wenn die Temperatur-differenz groß ist, so muß die Wärmeleitung anders vor sich gehen, alswenn die Temperaturdifferenz kleiner ist. Ich brauche kein großesQuantum von Wärme, wenn diese Temperaturdifferenz kleiner ist, ichbrauche ein größeres Quantum von Wärme, wenn diese Differenzgrößer ist, um denselben Effekt zu erreichen, so daß ich also sagenmuß: Die Wärmemenge, die ich brauche, um einen gewissen Effekt zuerreichen, die wird abhängen von dieser Temperaturdifferenz U^U^.Sie wird weiter abhängen nicht nur von dieser Differenz U1-U2> son-dern wenn ich die Länge des Körpers mit / bezeichne, so wird die Wär-memenge, die ich brauche, um einen bestimmten Effekt zu erreichen,kleiner werden, wenn diese Länge groß ist, als wenn diese Länge kleinist. Das heißt: Im umgekehrten Verhältnis wird die Wärmemenge von /abhängig sein. Ich werde berechnen können für einen bestimmten Quer-schnitt, den ich als, sagen wir, q bezeichne, die Wärmemenge, die ichda brauche, um einen gewissen Effekt der Wärmeleitung zu erreichen.Je größer dieser Querschnitt ist, desto mehr Wärme werde ich brau-chen, je kleiner der Querschnitt ist, desto weniger Wärme werde ichbrauchen. Also steht q im geraden Verhältnis, ich werde damit zu mul-tiplizieren haben. Dann wird endlich die ganze Sache abhängen von

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der Zeit. Ich werde mit der Zeh zu multiplizieren haben. Das Ganzemuß ich dann selbstverständlich, da mir alle diese Größen ja nichtohne weiteres Wärme geben, mit irgend etwas, worin die Wärme schonsteckt - denn alles das ist ja nicht Wärme - mit einer Konstanten,die das Wärmemaß darstellt, multiplizieren, mit c, dann bekomme ichmeine Wärmemenge w. Diese Wärmemenge w also ist abhängig im ge-raden Verhältnis von C/j—1/2 und den anderen Faktoren, im umgekehr-ten Verhältnis von /. Sie sehen, wenn Sie in dem Zusammenhang alleanderen Faktoren mit Ux und U2 vergleichen, daß man es zu tun hatbei dem, was da eigentlich fließt, nicht direkt mit einem Wärmezu-stand, oder mit irgend etwas, was sich auf die Wärme bezieht, sondernmit einem Wärmegefälle, mit einem Niveauunterschied. Das bitte ichSie, immer ins Auge zu fassen. Genau so, wie man es mit einem Niveau-unterschied zu tun hat, wenn man etwa bei einer Schleuse Wasser vonoben nach unten stürzen läßt und ein Schaufelrad in Bewegung setzt,und wie die Triebkraft, die da entwickelt wird, abhängt von dem Ni-veauunterschied, den man in Rechnung ziehen muß, so hat man esauch hier zu tun mit einem Gefälle, und das ist, was wir besonders insAuge fassen müssen.

Nun handelt es sich darum, daß wir, wenn wir dem Wärmewesennäher kommen wollen, auch noch einer anderen Erwägung von Fou-rier nachgehen müssen, damit wir gewissermaßen rektifizierend andiesen gebräuchlichen Vorstellungen weiterschreiten und in unserenBetrachtungen mehr der Wirklichkeit gemäß fortfahren, als es diePhysiker des 19. und 20. Jahrhunderts getan haben. Ich habe jetzt ei-gentlich nur in Erwägung gezogen dasjenige, was geschieht bei derFortleitung der Wärme von einem Ende des Körpers zum anderen,aber ich nehme an, daß da in den Körpern drinnen selbst noch irgendetwas vorgeht. Ich frage nun: Wenn hypothetisch die Sache so seinwürde, daß nicht einfach gleichmäßig hier von links nach rechts derWärmefortschritt geschähe, sondern im Inneren ungleichmäßig, wiemüßte ich dann anwenden wiederum diese Formeln hier auf die inne-ren Unregelmäßigkeiten? Wenn also Unregelmäßigkeiten in der Ver-teilung der Wärme da wären, wenn die Wärme von hier hierher (ver-gleiche die Verbindungslinie im Inneren des Metalls, Zeichnung Seite

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179) geleitet würde und so weiter, so müßte ich dieses innere Lei-ten der Wärme irgendwie in Erwägung ziehen. Ich müßte dann das-jenige in Erwägung ziehen, was an Änderungen dieser Differenzen dadrinnen sich offenbart, ich müßte also in Erwägung ziehen, was in demKörper selber an Ausgleichungen von Temperaturwirkung geschieht.Dadurch würde sich, wie Sie leicht sehen können, diese meine Formelverwandeln. Ich würde zunächst sagen müssen:

Ui-Ut t

w = •£ «c* q .

Jetzt habe ich es nicht mehr mit der Länge / zu tun, die hier ist,sondern ich habe es mit kleinen Strecken zu tun. Und ich willbetrachten dasjenige, was ebenso auf diesen kleinen Strecken ge-schieht, wie es geschieht in der ganzen Breite hier durch den Faktor

——,—-. Es handelt sich also darum, daß ich das für kleine Strecken

dx darinnen betrachte. Wenn ich das tue, verwandelt sich mir dieser

endliche Quotient einfach in -v—, wobei d u der kleine Fortschritt des

Wärmezustandes sein soll. Und betrachte ich dieses für eine gewissekleine Zeit, so müßte ich noch multiplizieren mit d t - ich könnte dasd t zunächst auch weglassen, wenn ich von der Zeit absehe. So würdenwir also in diesem w haben den Ausdruck für das Wärmequantum, dasjeweils an einem Punkt, aus der Sache selbst heraus, bei innerer Arbeitder Wärme aufgewendet werden müßte, um nach allen Seiten hin etwanotwendigen Temperaturgefällen zu folgen, Temperaturgefälle auszu-gleichen. Sie müssen sich vor Augen stellen, daß diese Formel hier

w = c-q--^-dt (1)

zum Ausdruck bringen würde solche Wirkungen, die da auftreten durchdie inneren Temperaturgefälle in den Körpern.

Damit in Zusammenhang bitte ich Sie jetzt dasjenige zu betrach-ten, was wir schon gestern uns andeutungsweise vor Augen geführthaben und was uns ganz klar werden wird morgen, wenn wir die ent-sprechenden Versuchsanordnungen haben werden. Ich kann es trotz-

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dem heute schon erwähnen, daß man sich vor Augen führen muß, wieauftreten die Verhältnisse des Erwärmens, des Leuchtens, des chemi-schen Wirkens im Spektrum. Ich habe schon gestern darauf aufmerk-sam gemacht: Wenn ich ein gewöhnliches irdisches Spektrum habe,habe ich in der Mitte die eigentlichen Lichtwirkungen, nach hierhin

Wärme JLicfyf ehern« Wirkung

die Wärmewirkungen, nach hierhin die chemischen Wirkungen. Nunhandelt es sich um folgendes: Wir haben gesehen, daß, wenn wir ein Bildentwerfen wollen für dieses Spektrum, wir gar nicht dieses Bild, dasaufnehmen soll Lichtwirkungen, Wärmewirkungen, chemische Wir-kungen, zu einer geraden Linie machen können. Wir müssen hier linksherausgehen (aus der Ebene nach vorn), wenn wir die Linie für dasLicht so ziehen (horizontal), um für die Wärme das entsprechendeSymbolum zu finden. Für die chemischen Wirkungen müssen wir hier-her gehen (aus der Ebene nach hinten). Es könnte auch umgekehrtsein, aber wir wollen es zunächst so festhalten.

1

Also, wir haben keine Möglichkeit, innerhalb dieser Ebene zu blei-ben, wenn wir die Wärme symbolisch umfassen wollen; wir habenkeine Möglichkeit, in der Ebene zu bleiben, wenn wir die chemischenWirkungen symbolisch umfassen wollen. Wir müssen aus der Ebeneherausgehen. Und um dieses Ganze zu fassen, wollen wir das also unsklarmachen: Wie müssen wir das denn eigentlich bezeichnen, wenn wirirgendein Wärmequantum, das da wirksam ist im Inneren eines Kör-pers, durch diese Formel ausdrücken? Wie müßten wir das denn be-zeichnen, wenn wir ein quantitativ dazu in Beziehung stehendes che-

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misches Quantum hätten? Wir kämen nicht zurecht, wenn wir nichtirgendwie eine Bezeichnung einführen würden, die darauf hinweist,daß wir, wahrend wir mit der Wärme hinausgehen müssen, wir mitden chemischen Wirkungen hineingehen müssen. Wir kommen nichtzurecht, wenn wir das nicht ins Auge fassen. Wenn wir das w hier alseine positive Größe auffassen - wir könnten es auch als negative Größenehmen -, so dürfen wir, wenn es uns darauf ankommt, nun die ent-sprechende Verteilung der chemischen Wirkungen zu suchen, nichtanders, als das entsprechende

du j ,^v

w = —c q •-?-"• ä t (2)^ dx x J

zu bezeichnen. Das entspricht den chemischen Wirkungen.Und dieses

_i_ du jn d x

entspricht den Wärmewirkungen.In der Tat, diese Erwägungen zeigen uns schon, daß wir nicht ohne

weiteres bloß die Quantitäten wählen können, wenn wir Formeln schaf-fen wollen und wenn wir in diesen Formeln gleichzeitig ausdrückenwollen, daß wir es mit einem Beobachtungsfeld zu tun haben oder miteinem Wirkungsfeld, wo Wärme und chemische Wirkungen auftreten.Schon bei einer gewöhnlichen Verbrennung, wo wir in Beziehungbringen wollen das chemische Geschehen zu dem Wärmeeffekt, müs-sen wir, wenn wir durch Formeln arbeiten, einfach alles dasjenige, waswir für den Wärmeeffekt positiv einsetzen, für die entsprechendenchemischen Wirkungen negativ einsetzen.

Wenn Sie nun Ihre Erwägungen weiter anstellen und sehen: DieWärme biegt sich gewissermaßen heraus, die chemischen Wirkungenbiegen sich hinein (siehe Zeichnung Seite 182), dann bleibt eigentlichnur das, was im Licht vorhanden ist, in der Ebene. Aber wenn Sie sichjetzt reserviert haben das + für die Wärme, das — für die chemischenWirkungen, dann können Sie nicht mehr mit irgendeinem Positivenoder Negativen für die Lichtwirkungen auskommen, dann müssen Siealles das, was Sie nur ahnen, was heute noch nicht einmal geklärt ist,das Verhältnis von positiven und negativen Zahlen zu imaginären

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Zahlen, anwenden auf die Lichtwirkungen, und Sie müssen, wenn Siees mit Lichtwirkungen zu tun haben, sagen:

w = \f—l* c q*-A*dt. (3)

Das heißt, Sie müssen hier mit imaginären Zahlen, mit mathematischimaginären Zahlenverhältnissen rechnen, um wirklich Beziehungenzwischen Licht-, Wärme- und chemischen Effekten, die in einem ge-meinsamen Versuchsfelde sind, aufsuchen zu können.

Aber wir haben uns ja gesagt: Dieses Spektralband, das wir eigent-lich innerhalb der Erde bilden, das ist im Grunde genommen nur derauseinandergezogene Spektralkreis, und das vollständige Spektrumwürde hier oben das Pfirsichblüt haben. Wenn Sie sich durch mäch-tige Kräfte das Spektralband zum Kreis formen würden, würden Sieda oben bekommen den Zusammenschluß dessen, was scheinbar insUnendliche nach links und ins Unendliche nach rechts geht. Und die-ser Zusammenschluß, Sie können sich denken, daß man ihn nicht ein-fach durch einen Kreis bekommen kann. Denn geht man durch dieWärme, so geht man ja zugleich heraus und geht dorthin (nach vorne);und geht man durch die chemischen Wirkungen, so geht man nach deranderen Seite (nach hinten). Sie sind also jetzt in die Lage versetzt:Erstens dorthin zu gehen scheinbar ins Unendliche, und zweitens dort-hin zu gehen scheinbar ins Unendliche. Sie haben nicht nur die unange-nehme Aufgabe, wie bei einer Geraden dahin zu gehen (von links nachrechts) und den unendlich fernen Punkt aufzusuchen und auf der an-deren Seite zurückzukommen, wenn dieser unendlich ferne Punkt(rechts) derselbe ist wie der andere (links) - da sind Sie wenigstens ineiner Ebene. Aber nun irren Sie ab, gehen hierhin (links vorne) und ge-hen dorthin (rechts hinten) und können nicht zurückkommen, wenn Sienicht voraussetzen, daß die Unendlichkeit hier und dort Sie an den-selben Punkt führt. Aber während Sie dorthin gehen, spazieren Siedorthin auch fort in die Unendlichkeit. Sie gehen also so, daß Sie nichtnur nach der einen Seite in die Unendlichkeit spazieren, sondern Siespazieren auch hier hinauf (in der unteren Zeichnung Seite 182 derPfeil links, der räumlich «vorn» bedeutet) in die Unendlichkeit und

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müssen von zwei Unendlichkeiten wiederum zurückkommen (entspre-chend der Horizontalen und der Richtung der Pfeile). Sie gehen alsoeinen doppelt komplizierten Weg. Dann würden Sie erst hier diesesPfirsichblüt finden, also nicht, indem Sie einfach das zusammenbie-gen, sondern indem Sie es noch außerdem im rechten Winkel abbiegennach der einen und nach der anderen Seite.

Stellen Sie sich vor, Sie würden das Farbenband mit einem Elektro-magneten behandein, so würden Sie diesen Elektromagneten auch nochdrehen müssen. Das aber führt Sie dazu, zu sagen: Was Sie da findenwürden, könnten Sie jetzt mit all diesen Charakteren nicht bezeich-nen. Da würden Sie zu Hilfe nehmen müssen eben dasjenige, woraufgestern aufmerksam gemacht worden ist in der Diskussion: die über-imaginäre Zahl.

Nun wird es Ihnen ja vielleicht erinnerlich sein, daß wir hier dar-auf hinweisen konnten, daß diese überimaginären Zahlen strittig sind,daß man mathematisch mit ihnen nicht recht zurecht kommt, daßman sie sozusagen nicht eindeutig aufschreiben kann. Es gibt Mathe-matiker, die überhaupt bezweifeln, daß man ein Recht hat, von diesenüberimaginären Zahlen zu sprechen. Hier führt die Physik selbst aller-dings nicht gleich auf eine ordentliche Formulierung der überimagi-nären Zahlen, aber die Forderung dieser überimaginären Zahlen, sieführt dazu, einzusehen, daß es solcher überimaginären Zahlen bedarf,wenn man formelhaft ausdrücken will dasjenige, was erstens geschiehtim Felde des Chemischen, des Leuchtenden, des Wärmewesenhaften,und was dann noch dazu geschieht, wenn wir aus dem hinausgehen undoben zurückkommen. Wer nun ein Organ dafür hat, der findet hieretwas höchst Eigentümliches. Er findet etwas, von dem ich glaube,daß, wenn man es ordentlich durchdenkt, man im Grunde genommenviel davon hat für eine sachgemäße Beleuchtung der physikalischen Er-scheinungen. Das, was ich meine, ist dieses, daß man dieselben Schwie-rigkeiten hat, wenn man in der Naturwissenschaft das Unorganischebetrachtet und von den Begriffen, die man sich innerhalb des Feldesdes Unorganischen bildet, übergeht zu dem Versuch, das Leben zu be-greifen. Es geht nicht mit den unorganischen Vorstellungen. Es gehtnicht. Das zeigt sich auf der einen Seite dadurch, daß es Denker gibt,

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die sagen: Das Irdisch-Organische muß durch eine Art von Urzeugungaus dem Unorganischen hervorgegangen sein. Aber es ist unmöglich,mit dieser Anschauung zunächst irgend etwas Reales zu verbinden.Andere Denker, wie Preyer oder ähnliche, leiten alles Unorganischeaus dem Organischen her, wobei sie der Wahrheit schon näher kommen.Sie denken sich die Erde als ursprünglich lebendigen Körper, und das,was heute unorganisch ist, denken sie sich wie eine Abscheidung, etwas,was herauserstorben ist aus dem Organischen. Aber über ein gewöhn-liches Bild kommen auch diese Leute nicht hinweg. Dieselben Schwie-rigkeiten, die man da hat, wenn man auf reine Naturbegriffe geht, hatman innerhalb der Mathematik selber, wenn man versuchen will, mitgut überlegtem Formelwesen von dem, was sich erfassen läßt im Ge-biete der Wärme, im Gebiete des Leuchtenden, im Gebiete des Che-mischen übergehen zu wollen zu dem, was da irgendwo vorhanden ist,wo das Farbenband sich auf naturgemäße Weise schließen würde - wirmüssen ja voraussetzen, dieses Farbenband wird sich irgendwo schlie-ßen: Im Bereich des Irdischen wird es sich wohl nicht schließen. -Wir haben die Notwendigkeit, darauf hinzuweisen, wie die Mathe-matik durch ihre eigenen Erwägungen vor dem Lebensproblem steht.Sie kann mit dem, was ihr heute vorliegt, bezwingen dasjenige, wasinnerhalb des Lichtes, der Wärme, des Chemischen gelegen ist, sie kannnicht bezwingen dasjenige, was wir offenbar damit verbunden finden:den Abschluß des Spektrums, welcher aber nicht durch solche Formelnzum Ausdruck zu bringen ist, wie das andere.

Zunächst helfen wir uns dadurch, daß wir einfach eine Termino-logie gebrauchen. Aber Sie sehen, wir kommen jetzt zu ziemlich kon-kreten Vorstellungen schon mit dieser Terminologie. Wir sagten: EtwasWirkliches liegt zugrunde, wenn wir Formeln brauchen wie diese fürw. Wir sprechen da von Wärmeäther; irgend etwas Wirkliches liegtzugrunde, wenn wir diese Formeln (2) zu gebrauchen haben, bei denendas, was in den Formeln (1) positiv ist, negativ erscheinen muß, undsprechen dann von chemischem Äther; wir sprechen von Lichtäther,wenn wir nötig haben zum Imaginären zu schreiten in unseren For-meln; und wir sprechen tatsächlich von Lebensäther, wenn wir nötighaben mathematische Formeln zu gebrauchen, die wir noch gar nicht in

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Wirklichkeit haben, über die wir uns nicht klar sind, über die wir unsebenso unklar sind in der Mathematik, wie die Naturforscher über dasLeben sich unklar sind.

Sie sehen hier einen sehr interessanten Parallelismus zwischen demGang des Denkens innerhalb der Mathematik und dem Gang desDenkens innerhalb der Naturwissenschaft selbst, woraus Sie ersehenkönnen, daß es sich wirklich zunächst nicht um eine objektive Schwie-rigkeit handeln kann, sondern daß es sich handeln muß um eine sub-jektive Schwierigkeit. Denn ganz unabhängig von der Naturforschungtritt auf dem Gebiete der reinen Mathematik derselbe Gang des Den-kens auf, und doch wird niemand glauben, daß er aus ebensolchen Er-wägungen heraus einen schön stilisierten Vortrag halten könnte überdie Grenzen des inneren mathematischen Erkennens wie Du Bois-Rey-mond über die Grenzen des Naturerkennens. Wenigstens mit derselbenArt der Schlußfolgerung könnte man das nicht. Innerhalb des Mathe-matischen muß es möglich sein, wenn einem die Begriffe und Formu-lierungen nicht durch ihre Komplikation entschlüpfen, wenn man siefassen will, im Gebiete des rein Mathematischen muß es möglich sein,zu abschließenden Formulierungen zu kommen. Die erwähnte Schwie-rigkeit kann nur etwas sein, was mit unseren relativen Unvollkommen-heiten zusammenhängt, es kann dabei nicht gedacht werden, daß essich um wirkliche Grenzen des menschlichen Erkennens handeln könnte.Es ist sehr wichtig, so etwas gründlich ins Auge zu fassen. Denn daranzeigt sich erstens, daß die einfache Anwendung der Mathematik nichtgeht, solange wir im Physikalischen die Wirklichkeit ergreifen wollen.Denn wir können nicht einfach, wie es die Energetiker machen, sagen:Es verwandelt sich ein Wärmequantum in ein Quantum chemischerEnergie und umgekehrt. Das dürfen wir nicht sagen, sondern dann,wenn so etwas geschieht, ergibt sich die Notwendigkeit, andere Zah-lenwerte einzuführen. Dann ergibt sich die Notwendigkeit, wirklichdie Hauptsache nicht darin zu sehen, daß mechanisch die eine Energie-art die andere anregt, sondern daß man es zu tun hat mit einem wirk-lich qualitativen Umwandeln, was sich schon in der Zahl fassen läßt,wenn die eine Energie, wie man sagt, in die andere übergeht.

Würde man aufmerksam geworden sein auf dieses selbst schon in

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den Zahlen festzuhaltende qualitative Umwandeln der einen Energie-art in die andere, so würde man nicht zu der Vorstellung vorgerücktsein, die da sagt: Nun ja, so obenhin ist Wärme eben das, was wir alsWärme empfinden, ist mechanische Arbeit, was wir als solche emp-finden, ist chemische Energie, was sich zeigt in chemischen Vorgängen;innerlich ist das alles gleich. Mechanische Bewegung vollzieht sich.Wärme ist auch nichts anderes. - Auf dieses Stoßen, Drängen der Mo-leküle oder Atome gegeneinander, an die Wände und so weiter, aufdieses Streben nach einer abstrakten Einheit für alle Energien, die ebeneine mechanische Bewegung ist, würde man nicht gekommen sein, wennman gesehen hätte, daß man, schon wenn man Rechnungsansätzemacht, nötig hat, die Qualitätsunterschiede der Energien in Betrachtzu ziehen. Es ist deshalb interessant, daß Eduard von Hartmann, alser die Wärmelehre philosophisch betrachtete, nötig hatte, Definitio-nen zu finden für die Physik, die von allem Qualitativen absehen.Dann natürlich kann man in der Physik nur eine eindeutige Mathe-matik finden. Und abgesehen von den Fällen, wo sich etwas aus denrein mathematischen Beziehungen als negativ ergibt, lieben es die Phy-siker nicht, mit solchen Zahlen-Qualitätsunterschieden in der Physikselbst zu rechnen. Sie rechnen mit positiv und negativ, aber das sindDinge, die sich nur aus mathematischen Verhältnissen ergeben. Nie-mals würde man in der gewöhnlichen Energielehre gerechtfertigt fin-den, dadurch, daß eine Energie Wärme, eine andere chemische Energieist, die eine mit positivem und die andere mit negativem Vorzeichen zubezeichnen.

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D R E I Z E H N T E R VORTRAG

Stuttgart, 13. März 1920

Dasjenige, was ich gestern schon beabsichtigte, kann zunächst ausge-führt werden, weil es uns doch zu einem vorläufigen Abschluß dieserunserer Betrachtungen wird führen können. Ich werde dann noch mor-gen versuchen, die ganze Betrachtungsreihe, die wir hier währendmeiner diesmaligen Anwesenheit begonnen haben, zu Ende zu führen.Wir werden uns jetzt davon überzeugen, daß in der Tat in einer ganzbedeutungsvollen Weise innerhalb desjenigen, was wir als gewöhnlichesSonnenspektrum oder Lichtspektrum bezeichnen, sich verschlingenWärmeeffekte, Lichteffekte und chemische Effekte. Und gestern ha-ben wir ja schon gesehen, daß in einer gewissen Beziehung sich nochverschlingen müssen mit diesen Effekten die Lebenseffekte, nur daßwir ja keine Möglichkeit haben, die Lebenseffekte in derselben Weisein unser Versuchsfeld hereinzubekommen, wie die chemischen Effekte,die Lichteffekte und die Wärmeeffekte. Denn es gibt ja zunächst nichteine einfache Versuchsanordnung, welche das zwölfteilige Spektrumwirklich in seiner Wirksamkeit zeigen könnte. Das wird vorbehaltensein gerade jenem Forschungsinstitute, welches sich in den Kreis unsererUnternehmungen hereinstellen wird, damit, ich möchte sagen, nichtbloß gewisse Untersuchungen abgeschlossen werden, sondern damitsie auch gerundet werden.

Und ich möchte Sie aufmerksam machen auf noch etwas: Wennwir selbst, mit hypothetischer Hereinnahme der Lebenseffekte, dasIneinanderverschlingen von Lebenseffekten, Wärmeeffekten, Licht-effekten und chemischen Effekten innerhalb unserer - wenigstens ge-dachten - Versuchsanordnungen verfolgen, so fehlt uns darin ein wich-tiges Gebiet, welches gewissermaßen sich mehr physikalisch aufdrängt,als das Gebiet der genannten Effekte, es fehlen uns die akustischenEffekte, diese akustischen Effekte, die uns zunächst vorzüglich ent-gegentreten durch die bewegte Luft, das heißt durch einen bewegtengas- oder luftförmigen Körper. Und da entsteht dann die wichtige,grundlegende Frage: Wie kommen wir auf der einen Seite, da sie doch

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angedeutet sind im Wärme-, Licht-, im chemischen Spektrum, zu denLebenswirkungen, und wie kommen wir auf der anderen Seite zu denakustischen Wirkungen? Das ist die Frage, die sich uns einfach wieder-um durch eine Umschau über die Erscheinungen darbietet und überdie wir uns nur ebenso werden unterrichten können im Sinne einerGoetheschen physikalischen Weltanschauung, wie wir das bisher ge-tan haben, und über die wir nicht hypothetisch theoretisieren sollen.

Nun wollen wir zunächst zeigen: Wenn wir in den Gang des Licht-zylinders, den wir durch ein Prisma durchleiten, um so das Spektrumentstehen zu lassen, hineinstellen eine Alaunlösung, so nehmen wiraus dem Spektrum die Wärmewirkungen heraus. Wir lassen zuerst dasThermometer steigen infolge der Wärmewirkung, die im Spektralkör-per drinnen ist. Stellen wir nun den Alaun in den Gang des Spektral-körpers, so müssen wir, da der Alaun wegnimmt die Wärmewirkung,wieder ein Fallen der Thermometersäule beobachten können. (DasThermometer, das vorher sehr schnell gestiegen war, steigt erheblichlangsamer.) Der Beweis ist nun schon erbracht dadurch, daß das Ther-mometer langsamer steigt. Also, die Alaunlösung beseitigt die Wärme-wirkung im Spektrum. Wir können den Beweis als erbracht ansehen.Der Versuch ist auch unzählige Male gemacht worden und wohlbe-kannt.

Das zweite, was wir nun machen werden, ist, daß wir eine Lösungvon Jod in Schwefelkohlenstoff in den Gang des Lichtkegels einschal-ten. Sie werden sehen, daß dadurch der mittlere Teil des Spektrumsvollständig ausgelöscht wird. Der andere Teil wird wesentlich ge-schwächt. Nun wissen Sie ja aus den Betrachtungen, die wir im vorigenKursus angestellt haben, daß der mittlere Teil im wesentlichen dieLichtwirkungen darstellt. Durch die Lösung von Jod in Schwefel-kohlenstoff wird also das Licht ebenso aufgehalten, wie durch dieAlaunlösung die Wärme aufgehalten wird. Jetzt steigt das Thermo-meter wieder schnell, weil die Wärmewirkung wieder da ist.

Das dritte, was wir machen wollen, ist dieses, daß wir in den Gangdes Lichtzylinders einschalten eine Äskulinlösung. Die hat die Eigen-tümlichkeit, daß sie auslöscht die chemischen Effekte, so daß also aus-bleiben in den Wirkungen des Spektrums die chemischen Effekte.

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Wir können also das Spektrum so behandeln, daß wir wegschaffendurch die Alaunlösung die Wärme, den Wärmeteil;durch die Jodlösung in Schwefelkohlenstoff den Lichtteil;durch die Äskulinlösung den chemischen Teil.

Bei den chemischen Wirkungen werden wir das dadurch konstatie-ren, daß, wenn wir den chemischen Teil da haben, die Phosphoreszenzdes phosphoreszierenden Körpers eintreten wird. Sie sehen, wir habenjetzt den phosphoreszierenden Körper im Lichtkegel gehabt. WennSie mit der Hand noch verdunkeln, werden Sie sehen, daß er phospho-resziert. Jetzt muß er entphosphoresziert werden durch Wärme. Nunwollen wir ihn wieder einschalten in das Spektrum, aber in den Gangdes Lichtzylinders einfügen die Äskulinlösung. Die Wirkung ist einesehr feine. Man sieht keine Phosphoreszenz.

Stellen wir uns also jetzt einmal vor Augen, daß wir zunächst dasGebiet der Wärme, das Gebiet des Lichtes, das Gebiet der chemischenEffekte haben. Aus all den Betrachtungen, die wir angestellt haben,können Sie wenigstens schon mit einer teilweisen Sicherheit erschlie-ßen, daß zwischen diesen Gebieten eine ähnliche Beziehung, ein ähn-liches Verhältnis doch stattfinden muß, wie zwischen dem, was ichin den verflossenen Tagen bezeichnet habe als ^-Gebiet, j-Gebiet, z-Gebiet. Gerade darauf wollen wir aber zusteuern, daß wir diese beidenGebietsreihen nach und nach identifizieren können.

Wir wollen vor allen Dingen das Folgende betrachten: Es ist unsklar, wenn wir hier das Wärmegebiet haben und hier unsere x-, y-t z-Gebiete, so haben wir hier das Gasgebiet, das Gebiet der Flüssigkeiten,das Gebiet der festen Körper, und hier unser £/-Gebiet, von dem wirgesprochen haben (siehe Schema Seite 193). Nun brauchen Sie nur,indem Sie rein im Gebiet der Erscheinungen bleiben, sich vor Augenzu führen, daß wir ein gewisses sehr loses Wechselverhältnis haben be-obachten können zwischen den Wärmeeffekten und dem, was in ir-gendeiner Gasmasse vorgeht. Wir haben beobachten können, daß ingewisser Beziehung das Gas mitmacht in seinen materiellen Gestaltun-gen dasjenige, was die Wärme tut. Wir können geradezu in dem, wasdas Gas tut, den materiellen Ausdruck für dasjenige finden, was dieWärme tut. Wenn wir das, was da geschieht im Wechselverhältnis zwi-

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sehen Wärme und Gas, uns mit einem genügend realen Gedanken vorAugen führen, daß wir also wirklich einen anschaulichen Gedankenhaben für dieses Miteinandergehen der Wärmewirkungen und der ma-teriellen Wirkungen des Gasgebietes, dann werden wir in der Anschau-ung auch den Unterschied finden können zwischen dem Gebiet von xund dem Gebiet des Gases. Wir brauchen uns nur darauf zu besinnen,was wir ja unzählige Male im Leben sehen: Daß dasjenige, was wirals Licht bezeichnen, nicht in derselben Weise sich zum Gas verhältwie die Wärme. Das Gas macht nicht mit dasjenige, was das Lichtmacht. Wenn das Licht sich ausbreitet, geht das Gas nicht nach undnimmt eine größere Spannkraft an und dergleichen.

Also, wenn Licht im Gas lebt, dann ist das eine andere Beziehung,als wenn Wärme im Gas lebt. Und wie wir sagen konnten in den ver-flossenen Betrachtungen: Flüssigkeit ist zwischen Gas und Festem,Wärme ist zwischen x- und Gasgebiet; und ebenso: das feste Gebietgibt die Bilder des flüssigen Gebietes, das flüssige Gebiet die Bilder desGasgebietes, das Gasgebiet die Bilder des Wärmegebietes, so könnenwir nun sagen: Unser JC kann abgebildet werden in der Wärme, dieWärme wiederum wird abgebildet im Gasgebiet. Wir haben also gewis-sermaßen im Gasgebiet Bilder von Bildern des ^-Gebietes. ÜberlegenSie sich, daß diese Bilder von Bildern tatsächlich da sind beim Durch-gang des Lichtes durch die Luft. In der Art, wie sich die Luft mit ihrenverschiedenen Erscheinungen gegenüber dem Lichte verhält, hat man eszu tun nicht mit einem direkten Abbild, sondern tatsächlich mit einemselbständigen Verhalten des Lichtes in der Luft, im Gase, mit einem solchselbständigen Verhalten, daß wir es wirklich vergleichen können mit demFolgenden: Wir wollen etwa eine Landschaft auf ein Bild malen, hän-gen das Bild ins Zimmer und photographieren dann das Zimmer. Wennich nun das Zimmer photographiere, so werde ich dadurch, daß.ichirgend etwas im Zimmer verändere, die ganze Konfiguration des Zim-mers zu etwas anderem machen. Wenn ich gewohnt wäre, bei diesenVorträgen mich immer auf diesen Stuhl zu setzen, und mir währenddes Vortrages irgendein Übelwollender diesen Stuhl wegnähme, ohnedaß ich es bemerke, so würde ich dasjenige, was ja manchmal im Le-ben passiert, tun: mich auf den Erdboden setzen. Die Beziehung der

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Dinge zueinander im Zimmer erfährt eine reale Veränderung dadurch,daß ich irgend etwas im Zimmer verändere. Wenn ich das Bild voneiner Stelle zur anderen hänge, so werden die Verhältnisse zwischenden Gestalten, die auf dem Bilde gemalt sind, sich nicht zueinanderverändern. Dasjenige, was als Verhältnis figuriert im Bilde, ist unab-hängig von den Veränderungen, die im Zimmer geschehen. So werdenunabhängig meine Versuche mit dem Lichte in irgendeinem Raum, dermit Luft erfüllt ist. Meine Wärmeversuche werden nicht unabhängigin dem Raum, davon konnten Sie sich geradezu überzeugen, als soebendarauf aufmerksam gemacht wurde, daß das ganze Zimmer warmwurde. Aber meine Lichtversuche kann ich in ihrer eigenen Wesenheitdarstellen, kann ich abheben davon, so daß ich in der Tat, gerade wennich im lufterfüllten Raum mit x experimentiere, dieselben Beziehungenherauskriege, wie wenn ich mit dem Licht experimentiere. Ich kann

2 Leben

y chemische Effekte •<•

x Licht -<-

Wärme

Gasgebiet •<-

Flüssiges •<•

Festes

U

das x mit Licht identifizieren. Und wenn Sie den Gedankengangfortsetzen, werden Sie y mit chemischen Wirkungen identifizieren. Dasz werden wir zu identifizieren haben mit den Lebenswirkungen. Dannaber gibt es, wie Sie sehen, Beziehungen von einer gewissen Unabhän-gigkeit zwischen dem Lichtgebiet und dem Gasgebiet. Diese selbe Be-ziehung findet man, wenn man den Gedankengang fortsetzt - Sie kön-nen es selber tun, es würde uns heute zu weit führen -, wenn man diechemischen Effekte sucht im Flüssigen. Wir brauchen ja in der Tat,um chemische Wirkungen hervorzurufen, immer Lösungen. Da drin-

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I Q *

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nen verhalten sich die chemischen Wirkungen gerade so, wie das Lichtin der Luft. Wir würden das z eben mit dem Festen zu identifizierenhaben, das heißt, bezeichne ich dieses Gebiet mit 2, dieses mit y, diesesmit x, habe ich da die Wärme als Mittelzustand und bezeichne ich dasGasgebiet mit x\ das Flüssigkeitsgebiet mit y\ das feste Gebiet mit z\so habe ich jetzt mir vor Augen gestellt:

z y x Wärme x* yy zy

x in xy wie Licht in Gas,y in y' wie chemische Effekte in Flüssigkeiten,z in zJ nun zunächst wie die z-Effekte in. den festen Körpern. Wir ha-

ben sie bis jetzt nur als Gestaltungen kennengelernt.So bekommen wir gewissermaßen Ineinanderfügungen, die aber nichtsanderes sind, als der vorgestellte Ausdruck für Dinge, die ja sehr realim Leben sind:

x in xy ist einfach das lichterfüllte Gas,y in y' ist die Flüssigkeit, in der chemische Prozesse vor sich gehen.zinz':Nach der gestrigen Betrachtung werden Sie kaum mehr zweifeln kön-nen, daß wir ebenso, wie wir von der Warme aufsteigend das Lichtfinden, vom Licht aufsteigend die chemischen Effekte finden, wir vonden chemischen Effekten kommen müssen zu den Lebenseffekten. Da-von haben wir ja gestern wenigstens prälimmarisch gesprochen. So daßwir also sagen können:z in zy Lebenseffekte in festen Körpern.

Lebenseffekte in festen Körpern sind aber nicht da. Wir wissen, daßzum irdischen Leben notwendig ist wenigstens ein gewisser Grad desFlüssigen. Lebenseffekte im bloß Festen sind im irdischen Leben nichtda. Aber dieses irdische Leben zwingt uns, in einer gewissen Weiseanzunehmen, daß so etwas doch nicht außer dem Bereich jeder Wirk-lichkeit liegt, denn der Gedanke ergibt sich uns ja zugleich damit, daßwir das y in y\ das x in x' bilden.

Wir finden feste Körper, wir finden flüssige Körper, wir findenGas. Wir finden feste Körper ohne die Lebenseffekte. Die Lebenseffekte

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finden wir in der irdischen Sphäre nur neben den festen Körpern sichentfalten und mit den festen Körpern in eine Beziehung treten und soweiter. Aber im irdischen Bereich finden wir nicht ein unmittelbaresZusammenkoppeln der Lebenseffekte mit dem, was wir im irdischenBereich das Feste nennen. Da werden wir gerade durch dieses letzteGlied 2 in z\ Leben im Festen, geführt in einer gewissen Weise zu dem,was bei y in y\ x in xy der Fair sein muß: Wenn ich einen flüssigenKörper auf der Erde habe, so muß dieser, wenn auch abgeschwächt,zu dem Chemischen in demselben Verhältnis stehen, wie der feste Kör-per zum Leben steht. Und wenn ich Gas im irdischen Bereich habe, mußdas in demselben Verhältnis stehen zum Licht, wie der feste Körperzum Leben. Da werde ich darauf geführt, anzuerkennen, daß Festes,Flüssiges, Gasförmiges im irdischen Bereich in einer gewissen Weisemir durch ihre nachträglichen Beziehungen zu Licht, Chemie, Lebenetwas Erstorbenes darstellen.

Man kann diesen Gedanken ja nicht so handgreiflich machen, wiees heute sehr beliebt ist in der Forderung des sogenannten Anschau-lichen. Sie müssen schon innerlich selbst mitarbeiten, wenn Sie dieseErwägungen als wirklichkeitsgemäße Erwägungen einsehen wollen.Und da werden Sie, wenn Sie diesen Gedankengang fortsetzen, finden,daß eine Verwandtschaft besteht zwischen dem Festen und dem Le-bendigen, dem Flüssigen und dem Chemischen, dem Gasförmigen unddem Lichte, daß die Wärme in einer gewissen Weise für sich dasteht,aber daß diese Beziehung im Bereich des Irdischen nicht unmittelbarsich ausdrückt. Es weist nämlich diese Beziehung, die im Irdischen ein-treten kann, auf eine solche hin, die irgendeinmal da war, die jetztnicht mehr da ist. Wir werden durch innere Verhältnisse in den Dingenin die Zeitvorstellung hineingedrängt. Wenn Sie einen Leichnam sichanschauen, so werden Sie in die Zeitvorstellung hineingedrängt. DerLeichnam ist da. Sie müssen alles dasjenige betrachten, was überhauptmöglich macht, daß der Leichnam da ist, daß er so aussieht, wie er ist,Sie müssen das Seelisch-Geistige betrachten, denn der Leichnam hatkeine Möglichkeit des Bestehens in sich. Es würde doch niemals einmenschlich geformter Körper entstehen, ohne daß das Geistig-Seelischeda ist. Dasjenige, was also der Leichnam Ihnen darbietet, das zwingt

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Sie zu sagen: Der ist so, wie er da ist, von etwas verlassen worden. -Das ist nichts anderes, als wenn Sie sagen: Das Irdisch-Feste ist vomLeben, das Irdisch-Flüssige von den Emanationen chemischer Effekte,das Irdisch-Gasförmige von den emanenten Lichteffekten verlassenworden. - Und wie wir vom Leichnam zurückblicken auf das Leben,wo der Leichnam mit dem Seelisch-Geistigen verbunden war, so blickenwir von den festen Körpern der Erde zurück, indem wir diese festenKörper zurückführen auf frühere Zustände physischer Art, wo dasFeste mit dem Leben verbunden war, wo die ganze Erde nicht ein Festesin unserem jetzigen Zustande war, geradesowenig wie der Leichnamvor fünf Tagen ein Leichnam war, wo das Feste nicht überall im Irdi-schen war, wo das Feste nur gebunden an das Leben auftreten kann;wo Flüssiges nur auftreten kann gebunden an chemische Effekte; woGasförmiges nur auftreten kann gebunden an die Lichteffekte. Wo,mit anderen Worten, kein Gas war, das nicht innerlich erglänzt, inner-lich leuchtet, das nicht gleichzeitig durch seine Verdichtungen und Ver-dünnungen innerlich leuchtet, verdunkelt, wellenartig phosphoresziert;wo nicht nur Flüssigkeit war, sondern ein lebendiges, fortwährendeschemisches Wirken; wo dem allem zugrunde lag Leben, das sich ver-festigte, wie sich Leben verfestigt zum Beispiel in der Hornbildung derRinder, wo es sich wiederum verflüchtigte, verflüssigte und so weiter -kurz, wir werden hier durch die Physik selber aus unserer Zeit her-ausgetrieben in eine Vorzeit, wo die Erde andere solcher Gebiete gehabthat, wo dasjenige, was jetzt auseinandergerissen ist: das Gebiet desGasförmigen, des Flüssigen und des Festen auf der einen Seite und dasGebiet des Lichtes, der chemischen Effekte, des Lebens auf der anderenSeite, ineinander war, nur eben nicht direkt ineinander geschoben, son-dern umgeklappt (siehe die Pfeile im Schema Seite 193). Und dieWärme ist dazwischen. Die nimmt scheinbar nicht teil an diesem Zu-sammengehörigsein von etwas mehr Materiellem, etwas mehr Äthe-rischem. Aber da sie dazwischen drinnen ist, so ergibt sich mit einerSelbstverständlichkeit, die nicht größer sein könnte, daß sie teilnimmtan beiden Naturen. Bezeichnen wir die oberen Gebiete als die Äther-gebiete, die unteren als die ponderablen Gebiete, so ist es selbstverständ-lich, daß wir die Warme auffassen als dasjenige, was nun besteht schon

1Q/1

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in seiner Wesenheit als Gleichgewichtszustand zwischen beiden, undwir haben in der Wärme gefunden dasjenige, was der Gleichgewichts-zustand zwischen Ätherischem und Ponderabel-Materiellem ist, wasalso Äther ist und zu gleicher Zeit Materie, was von vorneherein des-halb, weil es ein Duales ist, auf das hinweist, was wir überall in derWärme finden: die Niveauunterschiede, ohne die wir überhaupt imGebiete der Wärmeerscheinungen nichts machen können, gar nichtsbetrachten können.

Wenn Sie diesen Gedankengang aufnehmen, so werden Sie aufein viel Wesentlicheres und Wichtigeres geführt, als Ihnen der soge-nannte zweite Hauptsatz der mechanischen Wärmetheorie: Ein Per-petuum mobile der zweiten Art ist unmöglich - jemals geben kann.Denn er reißt wirklich ein Gebiet der Erscheinungen heraus, das mitanderen Erscheinungen verbunden ist und das-in seiner Eigenart durchdiese anderen Erscheinungen ganz selbstverständlich modifiziert wird.

Wenn Sie sich klar sind darüber, daß das Gasgebiet und das Licht-gebiet einmal eins waren, daß das Flüssigkeitsgebiet und die chemi-schen Effekte einmal eins waren und so weiter, so werden Sie die zweipolarischen Gegensätze des Wärmegebietes: das Äthergebiet und dasponderable materielle Gebiet, auch in einer ursprünglichen Einheit zudenken haben. Das heißt: Sie werden die Wärme ganz anders zu den-ken haben in Vorzeiten, als Sie sie jetzt zu denken haben. Da aber kom-men Sie darauf, sich sagen zu müssen: Dasjenige, was wir heute alsphysikalische Erscheinungen bezeichnen, was also doch nur der Aus-druck ist der physischen Entitaten, der physischen Wesenheiten, dieda sind, das hat nur eine zeitbegrenzte Bedeutung. Die Physik istnicht ewig. Sie hat keine Gültigkeit mehr für ganz andere Arten vonWirklichkeiten. Denn natürlich ist eine Wirklichkeit, wo das Gas un-mittelbar innerlich leuchtend ist, eine ganz andere Wirklichkeit alsdiejenige, wo das Gas und das Licht relativ selbständig gegeneinandersind.

Wir kommen also dahin, auf die Zeit zurückzublicken, wo es eineandere Physik gab und auf eine Zukunft zu blicken, wo es eine anderePhysik geben wird. Und unsere Physik kann nur dasjenige sein, wasuns wiedergibt die jetzige Erscheinung, das, was in unserer unmittel-

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baren Umgebung ist. Das muß aus der Physik selbst heraus gewonnenwerden, damit man nicht das Paradoxe, ja nicht nur Paradoxe, son-dern Unsinnige begeht, die physikalischen Erscheinungen unseres Er-dengebietes zu studieren, über sie Hypothesen zu machen, und danndiese Hypothesen auf die ganze Welt anzuwenden. Wir wenden unsereirdischen Hypothesen auf die ganze Welt an und vergessen, daß das-jenige, was wir an Physikalischem kennen, eben auf das Erdengebietzeitlich begrenzt ist. Und daß es räumlich begrenzt ist, das haben wirschon gesehen. Denn in dem Augenblick, wo wir hinauskommen zuder Sphäre, wo die Schwerkraft aufhört und alles nach außen strömt,in dem Augenblick hört unser ganzes physikalisches Weltbild auf.

Wir haben also zu sagen: Unsere Erde ist nicht etwa nur räumlich,sondern als physische Qualität räumlich begrenzt, und es ist ein Un-sinn, sich zu denken, daß über die Nullsphäre (siehe Zeichnung) hin-ausgehend irgendwo da draußen etwas sich finden müsse, worauf die-selben physikalischen Gesetze anwendbar sind. Ebensowenig ist eineMöglichkeit, dieselben physikalischen Gesetze in einer bestimmten Vor-zeit und nach einer bestimmten Zeit der Entwickelung als anwendbarzu denken. Das ist der Wahnsinn der Kant-Laplaceschen Theorie, daßman glaubt, man kann dasjenige, was man abstrahiert hat von den ge-genwärtigen physischen Erscheinungen der Erde, in beliebiger Weisenach rückwärts anwenden. Aber es ist auch der Wahnsinn der gegen-wärtigen Astrophysik, daß man glaubt, was man von irdisch-physi-schen Wirkungen abstrahiert hat, könne man zum Beispiel jetzt für die

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Konstitution der Sonne anwenden, man könne auf Grund der physi-kalischen Gesetze der Erde auch über die Sonne reden.

Aber ein außerordentlich Wichtiges bietet sich uns, wenn wir dieUmschau über die Erscheinungen, die wir gewonnen haben, zusammen-halten mit dem, was sich uns sonst noch ergeben hat, wenn wir alsoeine Erscheinungsreihe mit der anderen zusammenbringen. Wir habenja aufmerksam darauf gemacht, daß die Physiker zu der Anschauunggekommen sind, die Eduard von Hartmann mit dem schonen Aus-druck festgehalten hat - dem zweiten Hauptsatz der mechanischenWärmetheorie, nämlich, daß immer, wenn man Wärme in mechanischeArbeit verwandelt, Wärme übrigbleibt, also zuletzt alles in Wärmeübergehen muß und der Wärmetod eintreten muß -, diese Anschauung,die Eduard von Hartmann bezeichnet damit, daß er sagt: «Der Welt-prozeß hat die Tendenz auszubummeln.» Nun schön, nehmen wir an,solch ein Ausbummeln des Weltenprozesses finde nach dieser Rich-tung statt, was sehen wir denn auftreten? Wir sehen, wenn wir Ver-suche anstellen, die gerade den zweiten Hauptsatz der mechanischenWärmetheorie veranschaulichen sollen, Wärme auftreten. Wir sehendie mechanischen Wirkungen verschwinden und sehen Wärme auf-treten. Was wir da auftreten sehen, erfährt seinen Weitergang. Wirwürden ebenso, wenn wir aus der Wärme Licht erzeugen, zeigen kön-nen, daß alles dasjenige, was als Wärme dem Licht entspricht, nichtanders ihm entsprechen kann als die Wärme dem mechanischen Pro-zeß im Sinne des zweiten Hauptsatzes der mechanischen Wärmetheorie,nur umgekehrt. Und so wiederum das Verhältnis zwischen den Licht-erscheinungen und den chemischen Erscheinungen.

Das aber hat uns dazu geführt, zu sagen, daß wir das ganze Welt-spektrum so vorzustellen haben, daß es sich im Kreise abschließt. Also,wenn es wirklich wahr wäre, was ja nur die Zusammenfassung einergewissen Erscheinungsreihe ist, daß die Entropie unseres Weltalls ei-nem Maximum zustrebt, daß der Weltenprozeß ausbummelt, so wäredafür gesorgt, daß immer einer nachläuft. Da bummelt er aus (es wurdegezeichnet), von der anderen Seite läuft er nach, denn wir müssen ihnals einen Kreis darstellen. Würde also tatsächlich der Wärmetod aufder einen Seite eintreten, so würde auf der anderen Seite ankommen

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dasjenige, was ihn ausgleicht, was wiederum gegenüber dem WeltentodWeltenschöpfung ist. Das folgt aus der nüchternen Beobachtung derErscheinungen selber.

Das rechtfertigt auch, in der Physik schon von Betrachtungen aus-zugehen, die den Weltenprozeß nicht so betrachten, wie wir gewöhn-lich das Sonnenspektrum betrachten, indem wir ihn eben nach dereinen Seite, nach der Vergangenheit, ins Unendliche laufen lassen, wiewir das Rot verfolgen ins Unendliche, indem wir ihn nach der ande-ren Seite in die Zukunft verlaufen lassen, wie wir das Blau verfolgenins Unendliche, sondern wir müssen den Weltprozeß uns durch einenKreis symbolisieren. Nur dann kommen wir dem Weltprozeß näher,wenn wir das tun.

Nun aber, wenn wir uns den Weltprozeß durch einen Kreis sym-bolisieren, dann haben wir drinnen dasjenige, was eben in unserenGebieten gelegen ist. Aber in diesen Gebieten haben wir keine Ver-anlassung gehabt, akustische Effekte drinnen zu haben. Die liegengewissermaßen nicht auf der Ebene. Da haben wir wiederum etwasanderes. Von dem wollen wir dann morgen weiter sprechen.

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V I E R Z E H N T E R VORTRAG

Stuttgart, 14. März 1920

Ich werde nur durch einige Hinweise diese Betrachtungen heute vor-läufig abschließen können. Es ist ja selbstverständlich, daß dasjenige,was versucht worden ist in dem vorigen und in diesem Kursus, letzt-lich erst so recht herauskommen kann, wenn wir in der Lage seinwerden, die Betrachtungen fortzusetzen. Ich werde über diese Dingeam Ende der heutigen Stunde noch ein paar Bemerkungen zu machenhaben. Zunächst möchte ich Sie aber aus der ganzen Summe desjeni-gen, was wir vor unserer Anschauung vorbeigeführt haben in bezugauf die Wärmeerscheinungen und damit Verwandtes, aus dem Um-kreis der Vorstellungen, die Sie dadurch haben gewinnen können,heute auf einiges aufmerksam machen. Das ist zunächst dieses:

Wir haben, wenn wir dieses noch einmal uns vor Augen führen,Wirklichkeitsgebiete im Physischen unterschieden: Das feste Gebiet,das wir zi genannt haben, das flüssige Gebiet, das wir y* genannt ha-ben, das gasige oder luftförmige Gebiet, das wir x* genannt haben.Dann haben wir dazwischen gehabt das Wärmegebiet, haben x alsLichtgebiet gehabt, y als Gebiet chemischer Effekte, z als die Lebens-wirkungen.

z

yX

x>

?zy

Lebenswirkungen

chemische Effekte

Lichtgebiet

Wärme

gasig

flüssig

fest

Tonwirkungen

chemische Vorgänge

U

Nun haben wir ganz bestimmte Beziehungen gestern uns vor Augenführen müssen, die gewissermaßen bestehen über das Wärmegebiet

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hinüber von x zu x\ von y zu y\ Wir haben versucht, die Tatsacheuns vor Augen zu stellen, welche darauf hinweist, wie chemische Ef-fekte vorzugsweise im flüssigen Element sich verwirklichen können.Wer versucht, chemische Vorgänge zu verstehen, wird ja finden: Woauch chemische Vorgänge vor sich gehen, in einer gewissen Weise istalles, was an chemischen Verbindungen und chemischen Entbindungen,chemischen Zersetzungen entsteht, an das flüssige Element gebunden.Es muß das Flüssige seine besondere Art wirken zu lassen, in das Festeoder Gasförmige hinein fortsetzen, damit dort chemische Wirkun-gen zustande kommen. Und so können wir ein Ineinanderwirken derchemischen Effekte und des Flüssigen bei einer relativen Scheidungdieser beiden Gebiete, also ein Durchdringen und im Durchdringensich gewissermaßen binden, ins Auge fassen, wenn wir überhaupt vonunserer irdischen Chemie sprechen. Unsere irdische Chemie würdealso darstellen gewissermaßen ein Beleben des flüssigen Elementesdurch die chemischen Effekte.

Nun werden Sie sich aber leicht vorstellen können, daß, wenn wirdiese Wirklichkeitsgebiete ins Auge fassen, wir unmöglich uns denkenkönnen, daß gewissermaßen nur immer über die Wärme und das Ga-sige hinweg ein solches Gebiet in das andere wirkt, sondern es werdenauch die anderen Gebiete aufeinander wirken. Es werden auch die an-deren Gebiete gewisse Effekte hervorrufen wiederum in diesem oderjenem Wirklichkeitsfeld. So daß wir auch sagen können: Wenn auchzunächst wie durch eine innere Verwandtschaft die chemischen Effektebesonders wirken im flüssigen Medium, so müssen wir uns aber auch eineWirkungsweise vorstellen, die von den chemischen Effekten zum Bei-spiel auf das xy geht, also ein direktes Hineinwirken der chemischenEffekte in das Gasige, das Luftförmige.

Sie müssen, wenn ich jetzt sage «chemische Effekte», nur ja nichtan die chemischen Vorgänge denken. Sondern Sie müssen, wenn ichsage «chemische Effekte», an dasjenige denken, was ja wie ein inneres,durchgeistigtes Element im blauvioletten Teil des Spektrums uns klarentgegentritt, wo gewissermaßen die chemischen Effekte sich uns ineiner gewissen Selbständigkeit gegenüber dem materiellen Dasein zei-gen, während, wenn wir von chemischen Vorgängen sprechen, wir

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eigentlich schon sprechen von dem Durchdringen des Materiellen durchdie chemischen Effekte. Bei diesen müssen wir uns vorstellen etwas, wasmit unserer ponderablen Materie zunächst nichts zu tun hat, sondern siedurchdringt, also zunächst durch eine innere Verwandtschaft, derenCharakter ich Ihnen gestern zusammengestellt habe, das flüssige Ele-ment durchdringt. Aber wenn wir die Frage auf werfen: Wenn nungewissermaßen sich diese chemischen Effekte das nähere Element, dasLuftförmige, zu ihrem Wirken wählen, wenn ich den Ausdruck ge-brauchen darf, was entsteht denn dann? Dann muß - wir bleiben jaimmer im Anschaulichen — im Luftförmigen etwas entstehen, was ineiner gewissen Beziehung vorgestellt werden kann dadurch, daß wires vergleichen mit dem, was im Flüssigen besteht. Im Flüssigen packtgewissermaßen das Wesen der chemischen Effekte die Materie an,bringt die Materien so durcheinander, daß diese Materien selbst inWechselwirkungen treten. Wenn wir das flüssige Element uns vor-stellen, müssen wir uns denken, daß die Materien da drinnen selbstin Wechselwirkung treten bei den chemischen Vorgängen. Nehmen wiraber an, es kommt nicht bis dahin, daß die chemischen Effektedie Materien selber anpacken, sondern nehmen wir an, sie bearbeitendiese Materien nur von außen, sie bleiben der Materie um ein Stückfremder, als sie es im flüssigen Medium sein können, dann tritt etwasein, was sich starker als ein Nebenhergehen der chemischen Effektezeigen muß in dem luftförmigen Körper als in der Flüssigkeit. Dannmuß eine gewisse Selbständigkeit des Imponderablen gegenüber demmateriellen Träger stattfinden. Bei den chemischen Vorgängen faßtdas Imponderable die Materie scharf an. Hier werden wir auf Ge-biete gewiesen, wo ein solch scharfes Anfassen nicht ist, sondern wodas Imponderable nicht drinnen bleibt in der Materie: Das ist bei demAkustischen, bei den Tonwirkungen der Fall, Während wir in den che-misch-materiellen Wirkungen ein vollständiges Untertauchen des Im-ponderablen in die Materie haben, haben wir beim Ton ein Wahren,ein Sich-Bewahren des Imponderablen in der gasigen, der luftförmigenMaterie. Das aber führt uns jetzt zu etwas anderem. Es führt uns dazu,daß wir uns sagen müssen: Es muß doch ein Grund da sein, warumim Flüssigen das Imponderable die Materie direkt angreift, daß aber

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dann, wenn Tonwirkungen im Luftförmigen auftreten, das Imponde-rable die Materie weniger erfassen kann.

Wenn wir chemische Wirkungen betrachten und einen Sinn habenfür innerlich physikalisch Anschauliches, dann werden wir selbstver-ständlich verspüren, daß es eben einfach zum Wesen des Materiellengehört, daß die chemischen Wirkungen gerade so vor sich gehen, wiesie vor sich gehen, das heißt, das Imponderable ist da wie etwas, wasein Merkmal an der Materie ist. Das ist nicht anders möglich als da-durch, daß in diesem Falle, wenn wir es mit einer irdischen Materiezu tun haben, das Erfassen des Imponderablen durch die Erde selberstattfindet. Durch die Kräfte der Erde wird gewissermaßen der che-mische Effekt erfaßt und arbeitet in der flüssigen Materie drinnen.Sie sehen die Gestaltungskraft über das ganze Gebiet der Erde ausge-dehnt und wirksam, indem sich diese Gestaltungskraft bemächtigt desherandringenden chemischen Effektes.

Wenn wir das nur richtig verstehen, daß es hier die Kraft der Erdeist, dann müssen wir, wenn wir richtig erfassen wollen das Weben desTones in der Luft, die umgekehrte Kraft voraussetzen. Das heißt: Wirmüssen im Tone uns wirksam denken die von der Erde nach allen Rich-tungen des Weltraumes hinausgehende, die Kräfte der Erde überwin-dende Tendenz, die also das Imponderable von der Erde wegbringt.Das macht das Eigentümliche der Tonwelt aus. Das macht das Eigen-tümliche aus bei der Physik der Töne, der Akustik, daß wir auf dereinen Seite fähig sind, die materiellen Vorgänge physikalisch zu studie-ren, und auf der anderen Seite im Grunde genommen gar nichts vonirgendeiner Rücksicht zu nehmen brauchen auf diese Akustik, wennwir in der Welt der Töne mit unseren Empfindungen leben. Was gehtuns schließlich, als empfindender Mensch, wenn wir die Töne wahr-nehmen, alle Akustik an? Diese Akustik ist schön, weil sie merkwür-dige innere Regelmäßigkeiten und Gesetzmäßigkeiten uns enthüllt, aberdasjenige, was sich als das subjektive Erlebnis in der Welt der Töne dar-lebt, das ist weit, weit entfernt von dem, was sich da als Physik derAkustik abspielt im Materiellen. Und das ist aus dem Grunde, weil dasTonelement eben seine Selbständigkeit dadurch bewahrt, daß es eigent-lich uns seinem Ursprünge nach sich zeigt ebenso von der Peripherie

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des Weltenalls her bestimmt, wie sich uns die chemischen Vorgänge inder flüssigen Materie, als von dem Zentrum unserer Erde her bestimmt,zeigen.

Nun, der eine Zusammenhang, den wir ebensogut gestern schonbeim Vortrag des Herrn Dr. Kolisko hätten erwähnen können, zeigtsich aber erst, wenn wir gewissermaßen zu einer Universalbetrachtungaufsteigen: daß wir ja die Anordnung der Elemente im periodischenSystem uns unter dem Bild der Oktave vorstellen können. Darin zeigtsich eine Analogie zwischen der inneren Gesetzmäßigkeit der Töne unddem ganzen Aufbau der Materie, wie sie sich vorbereitet, chemischeVorgänge zu entfalten. Dadurch rechtfertigt sich aber auch, daß wirdas ganze Verbinden und Lösen des materiellen Daseins wie ein äußeresBild auffassen einer inneren Weltenmusik und daß diese innere Welten-musik eben nur in einem besonderen Falle sich uns enthüllt in der irdi-schen Musik. Diese irdische Musik darf am allerwenigsten etwa bloßso angesehen werden, daß wir sagen: Was in uns Ton ist, ist außenschwingende Luft. Das muß als geradeso unsinnig betrachtet werden,wie man etwa es als unsinnig empfinden würde, wenn man sagenwürde: Was du außen als Leib bist, das bist du, von innen betrachtet,als Seele, nur für dich. - Jetzt fehlt uns das Subjekt. Also dieses Fehlendes Subjektes ist auch da, wenn wir den Ton in seinen inneren Gesetz-mäßigkeiten als dasselbe, als identisch betrachten wollen mit den Ver-dünnungen und Verdichtungen der Luft, die äußerlich im luftformigenMedium seine Träger sind. Nun, wenn Sie dieses sich richtig vor Augenführen, so werden Sie sehen: Wir haben es zu tun mit einer gewissenBeziehung von y zu yy bei den chemischen Vorgängen, und wir haben eszu tun mit einer gewissen Beziehung von y zu x' bei den Tonwirkungen(siehe Schema Seite 201).

Ich habe Sie darauf hingewiesen, daß, wenn wir innerhalb des einenoder anderen Gebietes bleiben, wir immer bei dem, was wir in derAußenwelt gewahr werden, zu Niveaudifferenzen geführt werden.Nun versuchen Sie zu verspüren das mit Niveaudifferenzen Ähnlichebei dem, was uns hier entgegentritt, versuchen Sie einfach zu verspürendas Ähnliche, sagen wir mit einer Niveaudifferenz, wie sie einfach beider Schwerkraft auftritt, wo ein Wasser stürzt, wo auch die treibende

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Kraft bei einem Rade auf der Niveaudifferenz beruht. Versuchen Siesich klarzumachen, daß Temperaturdifferenz, Wärmedifferenz, Klang-differenz, der Ausgleich von Elektrizität auf Niveaudifferenz beruht.Also auf Niveaudifferenz. Wir kommen immer auf Niveaudifferenzen,wenn wir Wirkungen verfolgen. Aber was haben wir denn da? (SieheSchema, Bogen y-y**) Wir haben da eine innere Verwandtschaft zwi-schen dem, was wir im Spektrum wahrnehmen, und dem Materiellenin der Flüssigkeit. Und dasjenige, was sich uns darstellt, indem wireinen chemischen Vorgang beobachten, ist selber nichts anderes als derUnterschied des Daseins zwischen den chemischen Effekten und denKräften, die in der Flüssigkeit sind. Es ist eine Niveaudifferenz y - y\Und dann ist da eine geringere Niveaudifferenz y - x\ welche uns inden Tonwirkungen entgegentritt. So daß wir sagen können: Mit Bezugauf die Wirklichkeitsgebiete kann uns ein chemischer Vorgang eineNiveaudifferenz sein zwischen chemischen Effekten und Flüssigkeits-kräften. Und das Auftreten des Tones und Klanges in der Luft mußuns sein die Niveaudifferenz zwischen demjenigen, was in den chemi-schen Effekten gestaltend, durch die Welt schießend wirkt, aber peri-pherisch von außen, und dem Materiellen des Gases, des luftförmigenKörpers.

Auch dasjenige, was durch diese Wirklichkeitsgebiete selbst sichäußert, äußert sich dadurch, daß sich Niveaudifferenzen herausbilden.Ob wir in einem Element bleiben, in der Wärme oder gar im Gas oderim Wasser: Auf Niveaudifferenzen beruhen die Dinge. Aber daß wirüberhaupt Unterschiede wahrnehmen zwischen diesen Gebieten, dasberuht auf den Niveaudifferenzen der Effekte dieser Gebiete selber.

Wenn Sie das alles zusammennehmen, so werden Sie auf folgendeskommen: Gehen wir bis zur Flüssigkeit und ihrer relativen Oberfläche,so müssen wir sagen: Wir haben es für die festen Körper zu tun mitErdkräften. Inwiefern die Gestaltungskräfte - die figurativen Energienkönnte man sagen, wenn man den Ausdruck der heutigen Physik an-wenden wollte - verwandt sein müssen mit der Schwerkraft, ist Ihnenja vor Augen getreten in den verflossenen Betrachtungen. Gehen wiraber von da über zu den Kräften, die sich als Schwerkraft äußern,zu demjenigen, was sich uns im gewöhnlichen Leben wegen der Größe

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der Erde als Niveau charakterisiert, so finden wir eine Sphäre. Natür-lich, dasjenige, was die verschiedenen Niveauflächen des Wassers sind,bildet zusammen eine Sphäre. Nun werden Sie sehen, wenn man nach

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auswärts dringt, vom Mittelpunkt der Erde gegen diese Sphären hin-dringt, so ist das so, daß wir uns sagen müssen: Für irdische Verhält-nisse haben wir es, wenn Kräfte wirken, die im Bereich des Festen sind,zu tun mit Umschließungskräften; wenn Kräfte wirken, die in der Flüs-sigkeit sind, haben wir es zu tun mit Kräften, welche eigentlich in ihrerKonfiguration erreicht werden können, etwa indem man die Tangentehier zieht, oder die Tangentialebene legen würde. Wenn wir aber nochweiter hinausgehen, wenn wir über das Gebiet der Sphären dringen,so müssen wir doch folgendes sagen: Unter diesen Sphären haben wires mit Gestaltungskräften für unsere festen Körper zu tun, mit Gestal-tungskräften, die auf der Erde selbst noch die Körperräume abschlie-ßen. Hier (die gestrichelte Sphäre) haben wir es zu tun mit einer einzi-gen Gestalt, die vielen Gestalten verbinden sich gewissermaßen, durch-dringen sich zu der einen Gestalt, welche das flüssige Element der Erdehat. Aber wenn wir jetzt hier (außerhalb der Sphäre) hinauskommen -wie müssen wir uns denn da eine Vorstellung bilden, indem wir vorge-drungen sind heraus aus dem, was sich einzeln gestaltet, was also imInneren bewirkt, daß der feste Körper sich zusammenschließt, daß das

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Ganze eine Gestalt ist -, wie müssen wir, wenn wir da hinauskommen,uns die Sache vorstellen? So müssen wir sie uns vorstellen, daß wir dasEntgegengesetzte haben. Haben wir hier den festen Körper, mit Ma-terie ausgefüllt, dann müssen wir hier uns den Raum mit negativerMaterie ausgespart denken. Hier haben wir eine Raumerfüllung, hiereine Raumentleerung.

Das muß eine Vorstellung der Menschen werden, daß eine Raum-entleerung möglich ist. Und indem ja wahrhaftig dasjenige, was aufder Erde geschieht - ich will es heute nur so sagen, später wird es unsnoch eingehender beschäftigen -, durchaus nicht nur etwa sich zeigtals von einer Seite her beeinflußt, sonst müßten die Vorgänge auf derErde ganz andere sein, zeigt sich die Erde von allen Seiten in differen-zierter Weise beeinflußt. Es würde zum Beispiel ja nicht möglich sein,daß Unterschiede in den Kontinenten und in der Wasserverteilungzwischen Nordpol und Südpol auftreten, wenn im Umkreis nur einsolcher Hohlraum irgendwo im Räume wäre. Es müssen von verschie-denen Seiten her diese Raumaussparungen wirken. Suchen wir sie, sofinden wir sie in dem, was man in den alten kosmischen Systemen diePlaneten genannt hat, zu denen man noch die Sonne selbst gerechnethat.

Wir werden also hinausgetrieben über das Gebiet der Erde in dasGebiet des Kosmos und wir müssen den Übergang finden von der ei-nen Seite des Raumes zu der anderen Seite des Raumes, wir müssenden Übergang finden von Raumerfüllung zu Raumentleerung. Unddiese Raumentleerung müssen wir uns für unsere Erdenwirkung lokali-siert denken in den Planeten, die die Erde umgeben. Es werden daherauf unserer Erde - weil immer dasjenige, was durch die Raument-leerung hereinwirkt, gewissermaßen als Saugwirkung, und dasjenige,was hier wirkt durch die Gestaltungskräfte, als Druckwirkung er-scheint -, es werden in jedem Punkte, wo Erdengeschehen stattfindenkann, Wechselwirkungen stattfinden zwischen Irdischem und Kos-mischem. Diese Wechselwirkungen treten uns entgegen in denjenigenKonfigurationen des Erdengeschehens, die man gewöhnlich in Mole-kularkräften, Molekularanziehungen sucht, wahrend wir es wirklich somachen müßten, wie man aus anderen Erkenntnisvoraussetzungen es in

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früheren Zeiten gemacht hat. Statt daß man, wenn man etwas vor sichhat wie eine Materienwirkung, bei der ja immer Imponderables betei-ligt ist, den ganzen Kosmos sich ausdrücken läßt in seiner Wirkung,verlegt man dasjenige, was geschieht, in phantastisch ausgedachte in-nere Konfigurationen. Dasjenige, was die Sterne machen, was Riesenwirken, wenn sie in ihren gegenseitigen Beziehungen sich darstellen inden Vorgängen der Erde, das sollen die Zwerge der Atome und Mole-küle zustande bringen. Das ist eben das, was wir nötig haben: daß wirwissen, wenn wir irgend etwas hineinzeichnen oder hineinrechnen ineinen materiellen Prozeß unserer Erde, daß das nichts anderes ist alsdas Abbild von außerterrestrischen, von kosmischen Wechselwirkun-gen.

Aber nun sehen Sie, wir haben hier die Kraft, den Raum mit Mate-riellem zu erfüllen (siehe Zeichnung, links). Hier haben wir noch

immer die Kraft, den Raum mit Materiellem zu erfüllen, nur hat sichdiese Kraft ausgedehnt, und sie muß irgendwo einmal ankommen aufder anderen Seite, sie muß zur Entleerung des Raumes kommen. Esmuß da eine Region dazwischen sein, wo gewissermaßen, wenn ichmich so ausdrücken darf, der Raum zerreißt. Wir müssen uns sagen:Unser Raum, der uns um uns herum erscheint und der gewissermaßendas Gefäß ist für unsere physikalische Wirkung, der muß innig ver-bunden sein mit unseren physikalischen Wirkungen. Er muß etwas

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darstellen, was in diesen physikalischen Wirkungen drinnen ist. Aberindem wir vom Ponderablen ins Imponderable übergehen, zerreißt derRaum, und wenn er zerreißt, dann kommt durch den Riß herüber das-jenige, was nicht da ist, bevor er zerrissen ist. Nehmen wir an, wirreißen den dreidimensionalen Raum auf, und wir fragen: Was kommtdenn da heraus aus dem Riß? - Wenn ich hier in meinen Fingerschneide, kommt Blut heraus, das bleibt im dreidimensionalen Raum.Wenn ich aber den Raum selber zerschneide, kommt das heraus, wasschon im Unräumlichen ist.

Sehen Sie, hier liegt einer der Punkte, wo sich recht anschaulichzeigt, auf welchen Holzwegen die heutige physikalische Anschauungs-weise ist. Nicht wahr, wenn wir elektrische Versuche im Schulzimmermachen, dann müssen wir unsere elektrischen Apparate sorgfältig ab-trocknen, wir müssen sie zu schlechten Elektrizitätsleitern machen,sonst kriegen wir nichts fertig. Wenn sie feucht sind, kriegen wir nichtsfertig. Aber es findet sich tatsächlich die Anschauung - ich habe dasoftmals erwähnt -, als ob durch die Reibung der Wolken, die dochganz gewiß feucht sind, nach Anschauung der Physiker die Elektrizitätsich entwickelt und in Blitz und Donner zum Vorschein kommt. Das istnatürlich eine der unmöglichsten Vorstellungen, die nur überhaupt zudenken ist.

Dagegen findet derjenige, der nun, um zu einem wirklichkeitsge-mäßen Begriff zu kommen, alles das zusammenträgt, was wir hier ver-suchen, in unseren physikalischen Betrachtungen zusammenzutragen,daß in dem Augenblick, wo der Blitz erscheint, der Raum zerreißt,und dasjenige, was den Raum intensiv undimensional erfüllt, das trittheraus, wie, wenn ich mich schneide, das Blut herausdringt. Das istaber der Fall jedesmal, wenn Licht in Begleitung von Wärme erscheint:Der Raum zerreißt, der Raum enthüllt uns dasjenige, was in seinemInneren ist, während er uns in seinen gewöhnlichen drei Dimensionen,die wir vor uns haben, nur seine Außenseite zeigt. Der Raum führtuns in sein Inneres.

Wir dürfen sagen: Indem wir weiter aufsteigen vom Ponderablenins Imponderable und gerade durch das Gebiet der Wärme gehen müs-sen, finden wir, daß die Wärme überall da herausquillt, wo wir aus

imCopyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 321 Seite: 210

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den Druckwirkungen der ponderablen Materie in die Saugwirkungendes Imponderablen hineinkommen. Es quillt die Wärme überall heraus.Wenn Sie sich nun vorstellen, daß wir es zu tun haben mit dem Vor-gange, den wir vor ein paar Tagen hier als Wärmeleitung bezeichneten,so müssen Sie daran die andere Vorstellung knüpfen, daß diese Wärme-leitung ja an die ponderable Materie gebunden ist, im Gegensatz zudem, was wir ja auch aufgezeigt haben als die sich ausbreitende Wärmeselbst. Die sich ausbreitende Wärme selbst finden wir ja jetzt als das-jenige, was da herausquillt, wenn der Raum zerreißt. Wie will denn dieseWärme wirken? Sie will aus der Intensität des Raumes in die Extensivi-tät hineinwirken. Sie will gewissermaßen aus dem Inneren des Raumesin sein Außenwerk hineinwirken. Wenn sie in Wechselwirkung tritt miteinem materiellen Körper, so sehen wir die Erscheinung auftreten, diedarin besteht, daß die Eigentendenz der Wärme aufgehalten wird, ihrSaugeffekt in einen Druckeffekt umgewandelt wird, daß sich der Wel-tentendenz der Wärme entgegenstellt die individualisierende Tendenzdes Materiellen, die im festen Körper dann die gestaltende Kraft wird.Wir haben also in der Wärme, in dem Erscheinen der Wärme, sofern die-ses Erscheinen zur Wärmeleitung führt, zu suchen eine jetzt nicht inStrahlen, sondern nach allen Seiten sich bildende Ausbreitungstendenz,wir haben zu suchen ein Spiegeln der imponderablen Materie an derponderablen Materie, oder des Imponderablen an der ponderablen Ma-terie. Der Körper, welcher uns die Wärme leitet, der bringt ja eigentlichfortwährend Wärme zum Vorschein, indem er im Grunde intensivzurückstößt - nicht extensiv, wie beim Licht, das aber nur in seinenBildern uns entgegentritt - die auf sein Materielles aufstoßende im-ponderable Wärme.

Nun möchte ich Sie aber bitten, solche Vorstellungen, wie wir sieja gewohnt sind zu fassen, wirklich allmählich so zu verarbeiten, daßSie in diesem Verarbeiten wirklich merken, wie wir es zu tun habengewissermaßen mit wirklichkeitsgesättigten Vorstellungen. Und wiesolche wirklichkeitsgesättigte Vorstellungen uns hineinführen in einlebendiges Erfassen des Weltendaseins, das möge Ihnen noch einSchlußbild veranschaulichen.

Ich habe Sie ja schon aufmerksam gemacht, worauf das Wahr-

enCopyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 321 Seite: 211

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nehmen, das subjektive Wahrnehmen, das Empfinden einer Tempe-ratur beruht. Wir nehmen eigentlich die Temperaturdifferenz zwischenunserem eigenen Organismus und der Außenwelt wahr, was ja auchdas Thermometer tut, ich habe Sie darauf aufmerksam gemacht. Nunberuht aber überhaupt alles Wahrnehmen darauf, daß wir innerhalbeines gewissen Gebietes etwas sind, und dasjenige, was außerhalb die-ses Gebietes liegt, wird unsere Wahrnehmung. Wir können nicht etwaszugleich sein und es wahrnehmen, sondern wir müssen immer etwasanderes sein als dasjenige, was wir wahrnehmen. Nehmen wir alsoTöne wahr, so können wir, insofern wir Töne wahrnehmen, nichtselbst Töne sein. Und wenn wir unbefangen die Frage beantworten:Was sind wir, indem wir Töne wahrnehmen? - so können wir zu demSchlüsse kommen: Dann sind wir eben gerade dasjenige, was nun derandere Niveauunterschied ist. Diesen Niveauunterschied (y-x* imSchema Seite 201) nehmen wir wahr; y-y* nehmen wir nicht wahr,der sind wir während dieser Zeit; jene unsere Ton Wahrnehmungen be-gleitenden, ebenso regelmäßig verlaufenden chemischen inneren Vor-gänge in unserem Flüssigkeitsorganismus, die sind wir. Dasjenige, wasdie chemischen Effekte in uns bewirken, das zeichnet in die Welt hineinetwas sehr Regelmäßiges. Es ist keineswegs uninteressant, das folgendeBild zu betrachten. Sie wissen ja, der menschliche Körper besteht nurzu sehr geringen Teilen aus festen Bestandteilen, zu mehr als neunzigProzent ist er eine Flüssigkeitssäule. Das, was da - und zwar an che-mischen Vorgängen, die nur sehr feiner Art sind - in unserem Orga-nismus sich abspielt während wir eine Symphonie anhören, das ist einganz innerer, fortwährend phosphoreszierender Wunderbau. Da sindwir, was die Chemie eines Tongemäldes ist. Und dadurch nehmen wirdie Tonwelt wahr, daß wir gewissermaßen chemisch das werden, wasdie Ton weit in dem Sinne ist, wie ich das hier dargestellt habe.

Sie sehen, das Verständnis des Menschen wird wesentlich gefördertdadurch, daß man das physikalische Verständnis an den Menschenheranbringt. Nun aber handelt es sich, um so etwas zu erreichen, immerdarum, daß wir nicht jene abstrakten Vorstellungen uns bilden, dieinsbesondere in der heutigen Physik beliebt sind, sondern daß wir zuVorstellungen vordringen, die nun wirklich mit der Welt, der ob-

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jektiven Welt verwoben sind. Es ist im Grunde genommen alles das,was Geisteswissenschaft als Erkenntnisstreben, aber auch als Gesin-nungsstreben will, darauf hingehend, solches wirklichkeitsgemäßesDenken in der menschlichen Entwickelung wiederum heraufzubrin-gen. Und es ist notwendig, daß das heraufkommt. Deshalb wäre es sosehr notwendig, daß gerade solche schönen Bestrebungen, wie sie jetztwährend dieser letzten vierzehn Tage hier hervorgetreten sind, fort-gesetzt würden. Sie können ja überall sehen, wie in der Gegenwartein Altes abstirbt. Kann man es denn nicht an den physikalischen Vor-stellungen, mit denen nichts anzufangen ist, wirklich sehen, wie einAltes abstirbt? Und indem wir hier noch ganz unvollkommen - dennes können ja nur immer Andeutungen ganz unvollkommener Art sein -versuchen, das physikalische Anschauen auch aufzubauen, zeigt sichdenn darin nicht, wie sehr wir heute an einem Wendepunkte der mensch-lichen Entwickelung stehen?

Sehen Sie, meine lieben Freunde, so etwas muß uns immer daraufaufmerksam machen: Wir sollen diese Dinge fortsetzen, die jetzt ein-getreten sind dadurch, daß Herr Dr. von Baravalle, Herr Dr. Blümel,Herr Strakosch, Herr Dr. Kolisko hier auf den verschiedensten Ge-bieten angeregt haben, dasjenige, was die Entwickelung der Mensch-heit bis jetzt gegeben hat, mit einem neuen Einschlag zu versehen. Da-durch liefern wir erst die Grundlage für ein Weiterkommen. Denn se-hen Sie, draußen in der Welt reden die Leute davon, es müsse aufge-baut werden. Volkshochschulen müßten begründet werden. Ja, aber,was heißt denn das heute draußen in der Welt: Man fordert Volks-hochschulen? Die dänische Volkshochschulbewegung wird uns vorge-wiesen. Was heißt denn das alles, was da Volkshochschulen fordert?Man trägt dasjenige, was an den alten Hochschulen getrieben wordenist, in die Volkshochschulen hinein. Dadurch wird nichts Neues ge-schaffen. Dadurch wird nur von demjenigen, von dem bis jetzt nurunsere gelehrte Bildung angesteckt war, das ganze Volk angesteckt. Esgibt kaum etwas Trostloseres als den Zukunftsgedanken, daß nun das-jenige, was die Köpfe unserer Gelehrten und Gebildeten in dieser Weiseverwüstet hat, wie wir es gesehen haben, nun auch noch auf dem Wegedes Volkshochschulwesens die ganze gebildete Bevölkerung der Erde

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ebenso erstarren machen soll. Will man Volkshochschulen errichten,dann hat man vor allen Dingen dafür zu sorgen, daß dort etwas ge-lehrt werden kann, was selber in seiner inneren Konfiguration ein Auf-bau ist. Wir brauchen ja erst die Wissenschaft, die an den Volkshoch-schulen getrieben werden kann. Man möchte immer an der Oberflächebleiben, man möchte immer nur das nehmen, was da ist. Geradeso wiedie Menschen im Politischen nicht das Neue möchten, sondern immerwiederum probieren möchten mit dem Alten; wie selbst die Sozial-demokraten nicht etwas Neues aufbauen, sondern es mit dem altenStaat versuchen wollen, nur dort ihren Senf hineintragen wollen, sowill man auch in der geistigen Kulturbewegung nicht radikal nach einerErneuerung unserer Erkenntnisart streben, sondern das Alte, das Un-tergehende nun in das Volk tragen. Gerade an den physikalischen Be-trachtungen ist das ja am tiefsten und bedeutungsvollsten einzusehen.

Gewiß, Sie werden Unbefriedigendes genug da oder dort in dieserVortragsfolge finden, weil die Vorträge nur aphoristisch sein konnten,aber das eine wird sich Ihnen in dieser Vortragsfolge zeigen: daß eseinfach notwendig ist, unsere gesamte physikalische, chemische, phy-siologische und biologische Vorstellungswelt neu aufzubauen, gründ-lich neu aufzubauen. Darin kommen wir natürlich nur weiter, wennwir nicht nur das Schulwesen, sondern auch das Wissenschaftswesenselbst weiterbilden. Und wenn so etwas entstehen könnte hier an un-serer Waldorf schule, daß wir ausbauen erstens die Unterrichtsklassennach oben und zweitens ausbauen zu gleicher Zeit mit dem Schulwesendas Akademiewesen, zu dem wir einen wirklichen Keim in diesenTagen gelegt haben - denn es war so etwas wie der Keim zu einemneuen Akademiewesen -, dann würden wir eigentlich erst das erreichen,was im Grunde genommen erreicht werden soll und muß, wenn dieeuropäische Zivilisation nicht zugrunde gehen soll auf geistigem Ge-biet.

Nehmen Sie nur einmal das schreckliche Treiben in den Akademiender Welt heute: Dieses von allem wirklichen Leben ausgesogene sichgegenseitige Anlesen mit langgeschriebenen Abhandlungen in den Aka-demien, wo die Leute in schönen Sälen sitzen und sich ihre langge-schriebenen Vorlesungen vorlesen und keiner dem anderen zuhört.

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Denn das Merkwürdige ist doch das, daß der eine Spezialist auf demGebiete ist, der andere auf jenem. Da hört der Mediziner dem Mathe-matiker nicht zu, aber der Mathematiker liest. Und wenn der Medi-ziner liest, beschäftigt sich in seinen Gedanken der Mathematiker mitetwas ganz anderem. Außerdem ist das ganze nur ein äußerliches tradi-tionelles Zeichen. Da muß die Erneuerung einsetzen. Im Zentrum desgeistigen Strebens muß die Erneuerung einsetzen. Das muß durch-schaut werden. Daher kann man schon sagen: Wenn man es nochdahin bringen könnte, daß hier in Verbindung mit dem Streben nacheiner neuen Art von Wirklichkeit ein Ausbau dieses unseres Schul-gedankens geschehen könnte, dann würden wir erst das erreichen, waserreicht werden soll.

Sie sehen, es ist viel zu tun. Aber man lernt auch nur erst richtigerkennen, wieviel zu tun ist, wenn man auf die Einzelheiten eingeht.Deshalb ist es ja so unendlich bedauernswert, daß jetzt Leute, die nurdie alten Erkenntnisvorurteile der Menschheit - dazu sind sie gewor-den, denn ihre Zeit haben sie gehabt - in Phrasen umsetzen, heute tat-sächlich große Kapitalien zusammenbekommen, um ihre Akademienund dergleichen in die Welt setzen zu können. Uns wird es vorzugs-weise aus dem Grunde schwer, weil wir von der Erkenntnis durch-drungen sein müssen: Ein wirkliches Neuland ist notwendig. Wir kön-nen uns nicht der Illusion hingeben: Macht Volkshochschulen! Dennwir müssen in der Wirklichkeit leben und uns sagen, wir müssen erstetwas haben, was wir an diesen Volkshochschulen lehren sollen. Eben-so aber wie, ich mochte sagen, sogar zwischen den Zeilen der bisherigenWissenschaft, sich eine fruchtbare Technik entwickelt hat, so wird sicherst recht eine noch fruchtbarere Technik entwickeln, wenn jene Wis-senschaft populär werden wird, die wir hier zum Beispiel gerade imphysikalischen Gebiet anstreben. Sie sehen ja, überall versucht man,aus dem alten Theoretischen herauszukommen und ins Wirkliche hin-einzukommen, so daß schon die Vorstellungen mit Wirklichkeit ge-sättigt sind. Das muß auch eine Technik geben, die in ganz andererWeise verläuft als die bisherige Technik. Praxis und Erkenntnis, siehängen doch innerlich zusammen. Und wenn man an irgendeinemPunkte anfaßt dasjenige, was heute des Reformierens bedarf wie die

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 321 Seite: 215

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Physik, so merkt man gleich, was eigentlich zu geschehen hat. Wennes daher jetzt an der Zeit ist, daß wir wieder auseinandergehen, somöchte ich Sie doch darauf verweisen, daß Sie in dem, was hier nuraphoristisch vorgetragen worden ist, etwas sehen, das Sie selber anregensoll, diese Dinge weiter auszubauen. Sie werden sie ausbauen können.Unsere mathematischen Physiker, die wir ja unter uns haben, werdenin der Lage sein, die alten Formeln zu revidieren, und sie werden fin-den, daß, wenn sie hineinarbeiten in die alten Formeln die Erkennt-nisse, die sich gewinnen lassen aus den aphoristischen Andeutungen,die ich gegeben habe, diese Formeln auch gewiß Transformationen er-fahren, die aber eigentlich Metamorphosen sind, und aus denen wirdmancherlei heraussprießen, was technisch von ungeheurer Bedeutungfür die Fortentwickelung der Menschheit sein wird. Das ist ja etwas,was man nicht einmal andeuten kann, sondern worauf man zunächstnur hinzuweisen hat.

Aber wir müssen'diese Betrachtungen jetzt abschließen, deren Fort-setzung in Ihrer eigenen selbständigen Arbeit liegen muß, und die istes, die ich Ihnen besonders ans Herz legen möchte. Denn die Sachensind jetzt außerordentlich dringlich, die sich beziehen auf den Fort-schritt der Menschen auf allen drei Gebieten. Die Dinge sind heuteerstens dringlich: Wir haben wirklich keine Zeit zu verlieren, weil dasChaos ja vor der Türe steht. Das zweite aber ist: Richtiges ist dochnur zu erreichen durch eine geregelte menschliche Zusammenarbeit.Also müssen wir versuchen, dasjenige, was angeregt ist, in uns selberweiter zu verarbeiten. Und Sie werden auf der anderen Seite geradehier in der Waldorf schule finden: In dem Augenblick, wo Sie sichbemühen, gewisse rektifizierte Begriffe, die wir hier gewonnen haben,auf den Unterricht anzuwenden, geht es gleich. Sie werden aber auchfinden, insofern Sie genötigt sind, diese Dinge im Betriebe des Lebensanzuwenden, geht es auch. Und es wäre schon zu wünschen, daß manheute mit der Naturwissenschaft nicht immer nur zu einem Publikumzu sprechen hat, das ja eigentlich schon manches aufnimmt, das aberimmer sich ausgesetzt sieht - ich habe das ja schon im Verlaufe desKursus bemerkt - dem Urteil der «richtigen Wissenschafter», der«Autoritäten». Diese Autoritäten haben keine Ahnung davon, daß ja

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 3 21 Seite: 216

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in alles, was wir betrachten, im Grunde genommen alles andere fort-während hineinspielt. An der Sprache könnte man es merken.

Sehen Sie, in der Sprache lassen wir alles in gegenseitiger Wechsel-beziehung sein. Wir sprechen von einem Stoß. Nur deshalb, weil wiretwas, was ursprünglich der Stoß war, den wir selbst vollführt haben,mit dem entsprechenden Wort bezeichnen, sprechen wir von einemStoß auch in einem menschenentblößten Raum. Und wiederum um-gekehrt, wir sprechen dasjenige, was in uns geschieht, mit Wortenaus, die von der Außenwelt her genommen sind. Aber wir wissennicht, daß wir in die Außenwelt schauen sollen, zum Beispiel in denplanetarischen Kosmos, wenn wir die Konstitution des irdischen Kör-pers verstehen wollen. Und wir werden daher, wenn wir das nichtwissen, auch nicht dasjenige lernen können, worauf es ankommt. Wirkönnen zwar ganz interessantes Kleinzeug entdecken, wenn wir dasMikroskop auf irgendeinen Pflanzenkeim oder Tierembryo richten,auf irgendeine Zelle, die mikroskopisch klein ist; da entdecken wirallerlei wirklich Interessantes. Aber dasjenige, worauf es ankommt,was wir ahnen, das würden wir entdecken, wenn wir dieselben Vor-gänge, die im Mikroskop drinnen sind, überhaupt nur erst einmal se-hen würden, wenn sie sich makrokosmisch abspielen. Wenn wir erstsehen würden, wie sich fortwährend im Wechselspiel der äußeren Na-tur Befruchtungen und Entfruchtungen vollziehen; wenn wir studie-ren würden, wie die Planeten als Ausgangspunkte für die imponderab-len physikalischen Wirkungen zu erfassen sind; wenn wir erfassen wür-den den Kosmos in seinen Ausgangspunkten für das Pflanzenkeimen,für das Tierkeimen; wenn wir das alles betrachten würden im Großen,was wir heute versuchen zu sehen, wenn wir das Mikroskop auf dieZelle richten im Kleinen, wo es gar nicht ist; wenn wir versuchen könn-ten, überhaupt erst anzuschauen, was uns umgibt - dann würden wirweiterkommen. Der Weg ist heute schon klar vorgezeichnet. Durchdie Vorurteile der Menschen ist er sehr, sehr verlegt. Diese Vorurteileder Menschen werden sich schwer überwinden lassen. An uns aber istes, alles zu tun, was diese Vorurteile überwinden kann.

Hoffentlich können wir diese Betrachtungen einmal wieder fort-setzen.

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 3 21 Seite: 217

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Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 321 Seite: 218

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HINWEISE

Zu dieser Ausgabe

Den vorliegenden zweiten naturwissenschaftlichen Kurs hielt Rudolf Steinerwie den ersten Kurs an der Freien Waldorfschule in Stuttgart. Zuhörer warenungefähr derselbe kleine Kreis von Menschen, in der Hauptsache das Lehrer-kollegium der Waldorfschule, deren Leiter Rudolf Steiner war, erweitert umeinige mathematisch-naturwissenschaftlich gebildete Persönlichkeiten derAnthroposophischen Gesellschaft und wenige andere. Zu diesem Kreisekonnte gesprochen werden als zu Menschen, welche die Impulse der Geistes-wissenschaft Rudolf Steiners grundsätzlich kannten, welche über die Grund-lagen und über die konkreten Schritte seines Wirkens sich ein Urteil erwor-ben hatten und welche selber in Richtung dieser Impulse zu arbeiten willenswaren. Die Veröffentlichung solcher Ausführungen müßte Mißverständnis-sen ausgesetzt sein, wenn die Art ihrer Entstehung nicht berücksichtigtwürde. Nicht um die Darstellung einer fix und fertig neuen Physik handeltees sich, sondern um die Entwicklung weiter naturwissenschaftlicher Ge-sichtspunkte und um die daraus folgende Anregung von Forschungsarbeitbei einer Anzahl von Persönlichkeiten, welche eine gründliche fachlicheAusbildung mitbrachten. Was so als Anregung in dem bestimmten Kreisegegeben wurde, wendet sich durch die Veröffentlichung an alle, die deraufgezeigten Forschungsrichtung eine Bedeutung beizumessen in der Lagesind. Im Rahmen der Gesamtausgabe erscheint auch dieser Band in demZusammenhang, aus dem er stammt, und ist wiederum nur ein Stein imAufbau des gesamten Werkes, welches man, soweit es in Schrift und Vortragzum Ausdruck gekommen ist, als ein relatives Ganzes ins Auge zu fassenimstande ist.

Im Kurs wird ausgesprochen, daß er nach der einen Seite den Lehrernetwas bieten will für das Unterrichten, also auch auf das Pädagogische hinorientiert ist. Nur ist klar, daß es nicht darum geht, die Physik der Schuleeinfach vorzutragen, sondern, wie überall im Werk Rudolf Steiners, um eineErziehung und Schulung des Denkens und Erkennens, das zu einer erweiter-ten Wirklichkeitserfassung erst gebracht werden muß. Auf naturwissen-schaftlichem Felde und insbesondere auch in der Physik hat Goethe in seinerWeise solch eine Wirklichkeitserfassung schon getätigt. Davon ist die heutigeSchulphysik gewiß sehr weit entfernt. Doch steht auf der anderen Seite,unsere Gegenwartssituation merkwürdig beleuchtend, die Tatsache, daß eini-ge wenige, aber an der Spitze ihrer Wissenschaft stehende Physiker anfangen,für die durch anderthalb Jahrhunderte von den Wissenschaftern sozusagennur abgelehnten Forschungen Goethes ein bemerkenswertes Interesse zuentwickeln.

Wie nun aber die Ausführungen des Kurses sich entwickeln, war gewißfür die damaligen Zuhörer, und ist es für den gegenwärtigen Leser, und für

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diesen noch aus einem ganz besonderen Grund, doch überraschend. Wernämlich die Entwicklung der Physik in den Jahren nach dem Tode RudolfSteiners nimmt und mit genügend weitem Sinn etwa den 12. Vortrag liest,muß überrascht sein, wie diese mathematischen Ausführungen, welche imGanzen des Kurses fast wie eine Episode erscheinen können, präzis aufPunkte hinsteuern, an denen dann Entscheidendes in der Physik sich abge-spielt hat: die Wärmeleitungsgleichung mit imaginärem Koeffizienten unddas Hereinnehmen der überimaginären Zahlen in die Physik. Daß hier ausganz anderen Zusammenhängen heraus auf diese Punkte hingeführt wird alsspäter in der Atomphysik, eröffnet die Perspektive auf eine viel weitereBedeutung dieser Schritte, als bisher verstanden ist, wirft anderseits auchFragen auf über das eigentliche Wesen dieser neueren Atomphysik selber.Und wenn am Schluß des 11. Vortrages gesagt wird: «Daß die modernePhysik diesen Begriff gar nicht entwickelt, diesen Begriff der negativenMaterie, die sich zu der äußeren Materie so verhält wie eine Saugwirkung zueiner Druckwirkung, das ist das Unglück dieser modernen Physik», so töntdas für den heutigen Physiker doch noch sehr anders, als es für die Physikerunter den Zuhörern des Kurses sein konnte. Der Zusammenhang, aus demheraus Rudolf Steiner spricht, und der ganz andere, in welchem die Atom-physik zur Feststellung von Antimaterie geführt wurde, verbietet allerdings,«negative Materie» und «Antimaterie» gleichzusetzen. Wieder steht man vorder Frage, wie das in der Atomphysik aufgetauchte Wirklichkeitsgebiet sichverhält zu den im Kurs entwickelten Wirklichkeitsgebieten der Natur. DieseEinsicht muß sich aus einem wirklichen Verständnis des Ganges diesesKurses im Vergleich mit den Wegen der Atomphysik erschließen können.Aspekte zu einer Antwort finden sich außer im vorliegenden Kurs zahlreichverstreut über das ganze Werk Rudolf Steiners. Einen sehr prinzipiellen gibtder Vortrag «Die Atherisation des Blutes» aus dem Bande «Das esoterischeChristentum und die geistige Führung der Menschheit» (1911, GA 130), woneben der physischen und überphysischen Welt die unterphysische Weltcharakterisiert wird.

So sind bei der Veröffentlichung dieses Kurses in der Rudolf SteinerGesamtausgabe durch die Entwicklung der Physik selber Aspekte aufgetre-ten, welche zu dem etwas hinzufügen, als was diese Vorträge zu ihrer Zeiterscheinen konnten.

Zur Herausgabe dieses Kurses sind in Ergänzung des Vermerkes auf S. 5noch nähere Angaben nötig: Die Schwierigkeiten des Stenographierens beisolchen Kursen, wo gleichzeitig mit dem Sprechen auch experimentiert,geschrieben und gezeichnet wurde, sind so groß, daß eine ganz wörtlicheAufzeichnung fast unmöglich erscheint. Erschwerend für die Herausgabewar, daß keine Stenogramme vorlagen, sondern nur eine aus solchen heraus-geschriebene Nachschrift. Hat doch die Arbeit an der Gesamtausgabe ge-zeigt, daß viele sinnlose Stellen dadurch in die Nachschriften gekommensind, daß die Entzifferung der stenographischen Kürzungen durch einen der

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Sache Unkundigen erfolgt ist. Rudolf Steiner sprach einmal, als von derHerausgabe der naturwissenschaftlichen Kurse die Rede war, vom «Kohl»,der in den Nachschriften stehe, und daß er sie zuerst korrigieren müßte,damit sie sinngemäß wären. Zu dieser Korrektur ist es nicht gekommen.Wahrscheinlich ist im vorliegenden Text da und dort noch in diesem SinneUnrichtiges stehen geblieben, weil anderseits das wichtigste Bestreben derHerausgabe sein mußte, daß kein vom Redner wirklich intendierter Gedanke- und es handelt sich ja nicht um landläufige Gedanken - abgeändert werde.

In einer späten Phase standen den Herausgebern eine Reihe von Exempla-ren der ersten Auflage zur Verfügung, in welche die betreffenden Leser desKurses Korrekturvorschläge eingetragen hatten, und zwar von vereinzeltenBemerkungen zu gewissen Stellen bis zu druckfertig durchgearbeiteten Ma-nuskripten. Die Herausgeber haben diese vielen Vorschläge geprüft unddavon freien Gebrauch gemacht. Sie verdanken ihnen die Aufklärung man-cher fragwürdigen Stelle und andere wertvolle Hilfeleistungen. Zahlreichsind aber auch die Stellen, wo der gegenwärtige Text auf den Wortlaut derursprünglichen Nachschrift zurückgeht, welcher an diesen Stellen oft schonin der ersten Vervielfältigung des Kurses, aber ohne genügenden Grund,geändert worden war. Titel und Untertitel des vorliegenden Bandes stammenvon den Herausgebern. Ursprünglich war einfach vom «Zweiten naturwis-senschaftlichen Kursus» die Rede, gelegentlich auch von der «Wärmelehre».

Hinweise zum Text

Werke Rudolf Steiners innerhalb der Gesamtausgabe (GA) werden mit der Biblio-graphie-Nummer angegeben. Siehe auch die Übersicht am Schluß des Bandes.

zu Seite

11 bei meinem letzten Aufenthalt hier: Anläßlich der Vorträge vom 23. Dezember1919 bis 3. Januar 1920, erschienen in der Gesamtausgabe unter dem Titel: «Gei-steswissenschaftliche Impulse zur Entwickelung der Physik. Erster naturwissen-schaftlicher Kurs», GA 320.

Denken Sie sich, Sie haben hier ein Gefäß: Der Versuch mit den drei Gefäßenmit verschieden warmem Wasser wird schon bei Locke und Berkeley als be-kannt vorausgesetzt. Auch Ernst Mach beschreibt ihn zu Beginn seiner «Prinzi-pien der Wärmelehre; historisch-kritisch entwickelt», Leipzig 1896, um aber imwesentlichen die entgegengesetzten Gedanken wie hier daran zu knüpfen. DerVersuch wiederholt sich bis in neu erschienene Lehrbücher der Physik, um dieUnzuverlässigkeit der Sinneswahrnehmung daran zu demonstrieren.

16 ZenOy etwa 490-430 v. Chr., aus Elea, Schüler des Parmenides. Nach Aristotelesist er der Erfinder der Dialektik.

19 Auf diesen Unterschied habe ich schon im vorigen Kursus hingewiesen: Im erstennaturwissenschaftlichen Kurs, besonders im 1. Vortrag, siehe Hinweis zu S. 11.

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20 Albert Einstein, Ulm 1879 - 1955 Princeton. Begründete u. a. die «spezielleRelativitätstheorie» 1905 und 1915 die «allgemeine Relativitätstheorie».

die Nachricht, die sich anknüpfte an die letzte Sitzung der Berliner Physikali-schen Gesellschaft: Die Sitzung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft zuBerlin hatte erst 10 Tage vorher, am 20. Februar 1920 stattgefunden. Max v.Laue konnte einen durch englische Forscher vermittelten Abzug der Photogra-phie vorlegen, welche am 29. Mai 1919 von der totalen Sonnenfinsternis in Bra-silien gemacht worden war. Nach der allgemeinen Relativitätstheorie sollten diein unmittelbarer Nähe der Sonne sichtbaren Sterne durch die Schwerkraft derSonne abgelenkt erscheinen. Die vorgelegten Meßwerte bestätigten die Theorieweitgehend.

Von der im Anschluß an diese Darlegungen geführten Diskussion, welche hierbesonders interessiert, steht in den «Verhandlungen der Deutschen Physikali-schen Gesellschaft» nichts. Rudolf Steiner referiert sie hier andeutungsweise,offensichtlich auf Grund von Zeitungsmeldungen, welche aber bisher nicht fest-gestellt werden konnten. Doch geben die vielen anderen Erörterungen der allge-meinen Relativitätstheorie, welche im Jahre 1920, ausgelöst durch die Ergebnisseder englischen Sonnenfinsternis-Expedition, stattgefunden haben, Aufschlußüber die Voraussetzungen, aus welchen heraus sie geführt wurden, z. B. A.Sommerfelds «Bericht über die allgemeine Relativitätstheorie und ihre Prüfungan der Erfahrung» (Archiv für Elektrotechnik, Bd. 9): Im Sonnenspektrum soll-ten die Spektrallinien im Vergleich mit Spektren irdischer Lichtquellen gegenRot verschoben erscheinen, und zwar als Folge der Anziehungskraft der Sonne.Diese Verschiebung ist aber so gering, daß sie bislang nicht bemerkt wordenwar, und liegt an der Grenze der Leistungsfähigkeit der Apparate. Doch hat manim Verlauf des Jahres 1920 dann geglaubt, einige solcher Verschiebungen nach-gewiesen zu haben.

Das starke Interesse Rudolf Steiners an der Sache gilt nicht der Bestätigungder Relativitätstheorie als solcher, sondern der Möglichkeit, durch äußere Kräfteauf die Farben im Spektrum einzuwirken. Der Kurs führt selber im 11. und 12.Vortrag auf diese Problemstellung hin.

21 dann wird man gewisse Dinge ... einfach nachträglich bestätigen können: Dervorliegende Kurs hat selber in gewisser Art Beispiele solcher Bestätigungen er-geben, man vergleiche die Vorbemerkungen zu den Hinweisen.

26 daß heute ... solche Vorstellungen schon etwas abgekommen sind: Daß vomEnde des vorigen und vom Beginn unseres Jahrhunderts eine bedeutsame Lite-ratur in dieser Richtung besteht, wird heute wenig berücksichtigt. Einige Bei-spiele mögen zur Verdeutlichung folgen:

E. Mach, «Die Analyse der Empfindung», 9. Auflage 1922, S. 253-256: «Alseinen weiteren Gewinn [aus den vorausgehenden Untersuchungen] müssen wiransehen, daß der Physiker von den herkömmlichen intellektuellen Mitteln derPhysik sich nicht mehr imponieren läßt. Kann schon die gewöhnliche <Materie>,nur als ein sich unbewußt ergebendes, sehr natürliches Gedankensymbol füreinen relativ stabilen Komplex sinnlicher Elemente betrachtet werden, so mußdies um so mehr von den künstlichen hypothetischen Atomen und Molekülender Physik und Chemie gelten. Diesen Mitteln verbleibt ihre Wertschätzung fürihren besonderen beschränkten Zweck. Sie bleiben ökonomische Symbolisierun-gen der physikalisch-chemischen Erfahrung. Man wird aber von ihnen wie von

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den Symbolen der Algebra nicht mehr erwarten, als man in dieselben hineinge-legt hat, namentlich nicht mehr Aufklärung und Offenbarung als von der Erfah-rung selbst. Schon im Gebiet der Physik selbst bleiben wir vor Überschätzungunserer Symbole bewahrt. Noch weniger wird aber der ungeheuerliche Gedan-ke, die Atome zur Erklärung der psychischen Vorgänge verwenden zu wollen,sich unserer bemächtigen können. Sind doch die Atome nur Symbole jener ei-genartigen Komplexe sinnlicher Elemente, die wir in den engeren Gebieten derPhysik und Chemie antreffen.

... Wenn wir nun die ganze materielle Welt in Elemente auflösen, welchezugleich auch Elemente der psychischen Welt sind, die als solche letztere ge-wöhnlich Empfindungen heißen, wenn wir ferner die Erforschung der Verbin-dung, des Zusammenhanges, der gegenseitigen Abhängigkeit dieser gleichartigenElemente aller Gebiete als die einzige Aufgabe der Wissenschaft ansehen; sokönnen wir mit Grund erwarten, auf dieser Vorstellung einen einheitlichen mo-nistischen Bau aufzuführen und den leidigen verwirrenden Dualismus los zuwerden. Indem man die Materie als das absolut Beständige und Unveränderlicheansieht, zerstört man ja in der Tat den Zusammenhang zwischen Physik undPsychologie.

... Bald nach Erscheinen der ersten Auflage [1885] dieser Schrift belehrte michein Physiker darüber, wie ungeschickt ich meine Aufgabe angefaßt hätte. Mankönne, meinte er, die Empfindungen nicht analysieren, bevor die Bahnen derAtome im Gehirn nicht bekannt seien. Dann allerdings würde sich alles vonselbst ergeben. Diese Worte, welche vielleicht bei einem Jüngling der Laplace-schen Zeit auf fruchtbaren Boden gefallen wären, und sich zu einer psychologi-schen Theorie auf Grund <verborgener Bewegungen> (!) entwickelt hätten, konn-ten mich natürlich nicht mehr bessern. Sie hatten aber doch die Wirkung, daßich Dubois mit seinem <Ignorabismus>, das mir bis dahin als die größte Verirrungerschienen war, im stillen Abbitte leistete. War es doch ein wesentlicher Fort-schritt, daß Dubois die Unlösbarkeit seines Problems erkannte, und war dieseErkenntnis doch für viele Menschen eine Befreiung, wie der sonst kaum begreif-liche Erfolg seiner Rede beweist. Den wichtigeren Schritt der Einsicht, daß einprinzipiell als unlösbar erkanntes Problem auf einer verkehrten Fragenstellungberuhen muß, hat er allerdings nicht getan. Denn auch er hielt, wie unzähligeandere, das Handwerkszeug einer Spezialwissenschaft für die eigentliche Welt.»

Wilhelm Ostwald: «Die Überwindung des wissenschaftlichen Materialismus».Vortrag, gehalten in der dritten allgemeinen Sitzung der Versammlung der Ge-sellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte zu Lübeck am 20. September 1895(in «Abhandlungen und Vorträge», Leipzig 1904): «... Vom Mathematiker biszum praktischen Arzt wird jeder naturwissenschaftlich denkende Mensch aufdie Frage, wie er sich die Welt <im Innerem gestaltet denkt, seine Ansicht dahinzusammenfassen, daß die Dinge sich aus bewegten Atomen zusammensetzen,und daß diese Atome und die zwischen ihnen wirkenden Kräfte die letztenRealitäten seien, aus denen die einzelnen Erscheinungen bestehen... Es ist meineAbsicht, meine Überzeugung dahin auszusprechen, daß diese so allgemein ange-nommene Auffassung unhaltbar ist; daß diese mechanistische Weltansicht denZweck nicht erfüllt, für den sie ausgebildet worden ist; daß sie mit unzweifelhaf-ten und allgemein bekannten und anerkannten Wahrheiten in Widerspruch tritt.Der Schluß, der hieraus zu ziehen ist, kann keinem Zweifel unterliegen: diewissenschaftlich unhaltbare Anschauung muß aufgegeben und womöglich durcheine andere und bessere ersetzt werden ... die Unzulänglichkeit der üblichen

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mechanistischen Ansicht wird leichter nachzuweisen sein, als die Zulänglichkeitder neuen, die ich als die energetische bezeichnen möchte.» (Man vergleiche dieAuseinandersetzung Rudolf Steiners mit der Lübecker Rede Ostwalds in derEinleitung zu «Goethes Naturwissenschaftlichen Schriften», 4. Band, 1. Abt.,1897; GA Id.)

26 Georg Helm: «Die Energetik nach ihrer geschichtlichen Entwickelung» Leipzig1898, S. 144-146: «Die vorangehende Darstellung hat wiederholt Gelegenheitgeboten, darauf hinzuweisen, daß bis in das achte Jahrzehnt des Jahrhunderts dieThermodynamik eng verknüpft gehalten wurde mit der kinetischen Gastheorie,also der Atomistik. Man dachte sich die Sache etwa so, als handelte es sich imEnergie- und Entropiegesetz um Überschläge in Bausch und Bogen, die wohlfür manche, z. B. technische Zwecke ausreichend seien, ähnlich wie in derMechanik sich die Schwerpunkts- und Flächenintegrale oder das Energieintegralnützlich erweisen, die aber nimmermehr den Feinheiten der Natur zu folgengestatten, nimmermehr einen Blick in die Mechanik des Inneren der Körpererschließen. Wem die Auflösung alles Geschehens in Bewegung der Atome alshöchstes Ziel theoretischen Naturerkennens vorschwebt, dem kann freilich dieThermodynamik ... als eine Ramschtheorie erscheinen, weil ihr nur Beziehun-gen zugänglich sind, die er als späte Folgen jener nach seiner Meinung wahrenund eigentlichen innersten Vorgänge betrachtet. Die Überwindung dieser atomi-stischen Betrachtungsweise gehört nicht der Energetik allein an, allgemeinereGedankenführungen haben daran teil, die Energetik hat nur wesentlich denGlauben an die Notwendigkeit atomistischer Hypothesen erschüttert und an dieBefriedigung, die sie gewähren sollen ... Es scheint mir heutzutage unnötig, mitWaffengeklirr wider die mechanische Hypothese an sich zu Felde zu ziehen; siehat ihre Schuldigkeit getan ... Zu bekämpfen ist nur, daß man diese mechanischeHypothese durch allerhand Künsteleien aufrecht zu erhalten sucht, als käme esmehr auf die Existenz der bewegten Atome an, als darauf, die Erfahrungeneinfach zu beschreiben. Vor allem ist aber die noch keineswegs ausgerotteteVermengung der Energetik mit der Molekularhypothese zu bekämpfen.

Helmholtz ist es, der mit seiner grundlegenden Arbeit von 1847 diese Vermengungder energetischen Ideen mit der Molekularhypothese veranlaßt hat. Robert Mayerhält sich völlig frei davon und auch in England hat unter dem steten EinflüsseWilhelm Thomson's die Energetik sich reiner entwickelt. In Deutschland zeigt sichdas allmählich wachsende Übergewicht der mechanischen Hypothesen sehr deut-lich an der persönlichen Entwickelung von Clausius. Seine erste Arbeit von 1850sieht... in der Energetik eine neue neben die Mechanik hintretende Wissenschaft;aber in die späteren Arbeiten drängt sich mehr und mehr die Molekularhypothese,und entsprechend erscheint der ganze Entwickelungsgang der Wissenschaft inDeutschland von der Mitte der fünfziger bis zu der der achtziger Jahre wie einAbfall von der reinen Klarheit der Mayer'schen Intuition ...

Völlig frei von solcher Voreingenommenheit für die Mechanik der Atome,völlig unbefangen die strikten Konsequenzen der beiden Hauptsätze feststel-lend, ohne alles Schielen und Sehnen nach der Mechanik, - so steht das Werkvon Gibbs mit einem Male vor dem die geschichtliche Entwickelung verfolgen-den Blick. Hier ist der alte große Gedanke Robert Mayer's in mathematischenFormeln lebendig geworden, frei von allem molekularhypothetischen Aufputz.Was für ein Buch, in dem chemische Vorgänge behandelt werden ohne denüberkommenen chemischen Apparat der Atome, in dem Theorien der Elastizi-

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tat, der Kapillarität und Kristallisation, der elektromotorischen Kraft ohne alledie gewohnten Behelfe atomistischen Ursprunges hingestellt werden! Nackt undrein steht der wahre Gegenstand theoretischer Naturerkenntnis vor uns ... WasWunder daß die Leute diese Arbeiten von Gibbs nicht verstanden, trotzdemMaxwell mit Nachdruck auf ihre Bedeutung hinwies.»

27 Rudolf Clausius, Köslin 1822 - 1888 Bonn. Theoretischer Physiker. Seine Ab-handlungen zur mechanischen Wärmetheorie, die ursprünglich alle in Poggen-dorffs Annalen erschienen, sind zusammengefaßt in den drei Bänden «Die me-chanische Wärmetheorie», Braunschweig 1876-91. Bemerkenswerterweise sinddie Arbeiten von 1850-56 phänomenologisch orientiert, anknüpfend an Carnot.1857 wird die atomistische Wärmetheorie eingeleitet mit der Abhandlung «Überdie Art der Bewegung, welche wir Wärme nennen».

34 a... ist ja in der Regel ein Bruch: z. B. V273 bei Gasen von 0° C. Ähnlich wurdenfrüher andere Ausdehnungskoeffizienten als Stammbrüche angegeben, etwa78iooo für Eisen.

37 namentlich für Gase: Hier ist von Gasen im engeren Sinne die Rede, welche sich,im Gegensatz zu Dämpfen, nicht durch Druck allein verflüssigen lassen.

47 diesen Vorgang ... versinnlichen: Diese Versinnlichung ist keine graphischeDarstellung der üblichen Art, sondern etwas wie die Nachbildung des Vorgan-ges: Die Kurve steigt, wenn die Temperatur steigt, und bleibt am Ort, wenn dieTemperatur konstant bleibt.

57 William Crookes, London 1832 - 1919 ebenda. Physiker und Chemiker.

60 werden ... zuleiten einen anderen Dampf: Eine Zeichnung und nähere Angabenüber das Experiment fehlen.

75 Es besteht ein Ausdruck in diesen Erscheinungen: Dieser Satz ist in der Nach-schrift verstümmelt. Es geht aus den Unterlagen nicht klar hervor, wie die Stel-lung des Wärmewesens im Verhältnis zu Druck, Gestaltungsfähigkeit usw. undzur Temperatur beschrieben wurde.

77 Immanuel Kant, Königsberg 1724 — 1804 ebenda. Vgl. etwa «Prolegomena zueiner jeden Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können» im erstenTeil: «Wie ist reine Mathematik möglich?» (§ 6ff.).

81 unsere Gedanken durch Meditation weiterzuführen: Vergleiche «Wie erlangtman Erkenntnisse der höheren Welten?» (1904/05), GA 10, und «Die Geheim-wissenschaft im Umriß» (1910), GA 13. Eine im Zusammenhang mit der Natur-wissenschaft gegebene Darstellung findet sich in «Grenzen der Naturerkennt-nis» (Dornach 1920), GA 322, besonders in den Vorträgen 7 und 8.

82 beim vorigen Kursus: Siehe in «Geisteswissenschaftliche Impulse zur Entwicke-lung der Physik. Erster naturwissenschaftlicher Kurs», GA 320, den erstenVortrag, und auch S. 97ff.; vgl. den Hinweis zu S. 11.

84 Daher die Gewißheit der mathematischen ... Wissenschaften: Statt «Gewißheit»steht in der Nachschrift «Schwierigkeit», was ein Hörfehler des Stenographensein dürfte, wie von verschiedenen Lesern des Kurses bemerkt wurde.

86 Dialog ... mit einem Jugendfreund: Vgl. «Mein Lebensgang», GA 28, S. 84.

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95 daß wir dieses Gewicht anhängen: Um einen horizontal liegenden, nur an seinenEnden aufgestützten Eisblock wird im Versuch eine Drahtschlaufe gelegt, anwelche das Gewicht angehängt wird.

97 Der Schmelzpunkt des Metallgemisches ist tiefer: Bei 2 Teilen Wismut, 1 TeilBlei, 1 Teil Zinn (sog. Rosesches Metall) ist der Schmelzpunkt 94°C.

98 Sie ist bei flüssigen Körpern wirklich: Der gedankliche Übergang zur Flüssigkeitist in der Figur durch das nachträglich um Fallinien und Niveaufläche herum-gezeichnete Gefäß angedeutet.

99 sagte ich, die Dinge sind alle relativ: Siehe S. 62-63.

103 Wenn Sie einen festen Körper, also Eis nehmen: Auf S. 40 wurde vom Wasserbzw. vom Eis als von einer «Kardinalausnahme» gesprochen. Diese Ausnahmebesteht auch für das Flüssig-Werden des Eises unter Druck. Es gibt nur wenigeandere Substanzen, die sich gleich verhalten, diejenigen nämlich, welche wie Eisbeim Schmelzen auf der entstehenden Flüssigkeit schwimmen, z. B. Wismut undGallium.

Eduard von Hartmann, Berlin 1842 - 1906 ebenda. Von Rudolf Steiner vielgenannt, vgl. z. B. die Ausführungen in «Mein Lebensgang», GA 28. Haupt-werk: «Philosophie des Unbewußten», welches beim Erscheinen 1869 großesAufsehen erregte. Hartmann hat später verschiedene Spezialgebiete der Philoso-phie, aber auch Gebiete des Lebens und der Wissenschaften in besonderenWerken bearbeitet. «Die Weltanschauung der modernen Physik» erschien 1902,2. Auflage 1909.

104 «Physik ist die Lehre ...»: Siehe die im vorigen Hinweis genannte «Weltanschau-ung der modernen Physik», S. 1.

105 Wir brauchen ... Forschungsinstitute: Bald nach dem Kurs wurde im Rahmen derAktiengesellschaft «Der kommende Tag» das Wissenschaftliche Forschungsin-stitut in Stuttgart begründet mit einer physikalischen Abteilung. Die Notlageder Aktiengesellschaft in der Inflationszeit zog jedoch die Auflösung des For-schungsinstitutes noch zu Lebzeiten Rudolf Steiners nach sich (1924). Damitwurden die Experimentaluntersuchungen, welche sich an den vorliegenden Kursangeschlossen hatten, mit teilweise positiven ersten Ergebnissen unfertig abge-brochen. Die damaligen Experimentiermöglichkeiten haben sich später nie mehrin dem gleichen Ausmaße wiederholt und einige dieser Versuche haben keinezureichende Fortsetzung mehr gefunden.

110 das positive Tetraeder in das negative ... übergeht: Die negative Gestalt imGegensatz zur positiven ist von Rudolf Steiner später noch genauer ausgeführtworden, insbesondere in dem vom 1. bis 18. Januar 1921 folgenden Kurs «DasVerhältnis der verschiedenen naturwissenschaftlichen Gebiete zur Astronomie»,GA 324, wo der Terminus «Gegenraum» geprägt und auf die projektive Geome-trie hingewiesen wird.

116 Freie Waldorf schule: Gegründet von Emil Molt (1876-1936) im Jahre 1919 fürdie Arbeiterkinder der «Waldorf-Astoria»-2igarettenfabrik und für die Öffent-lichkeit als einheitliche Volks- und höhere Schule. Bis zu seinem Tode (1925)unter Leitung von Rudolf Steiner, der auch die an ihr wirkenden Lehrkräfteberufen und ihnen die vorbereitenden seminaristischen Kurse erteilt hat.

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118 Zeichnung: Diese dürfte in den Hauptzügen die damals aufgestellte Versuchsan-ordnung wiedergeben. Die Saugpumpe hatte wohl den Zweck, für den Beginndes Versuchs die Luft aus dem Kondensator zu entfernen. Sie entspricht einerVerbesserung, welche James Watt an der Dampfmaschine angebracht hat.

120 So daß also Eduard von Hartmann ... zusammenfaßt: In dem im Hinweis zuS.103 genannten Buche «Die Weltanschauung der modernen Physik».

121 Julius Robert Mayer, Heilbronn 1814 - 1878 ebenda, Arzt und Physiker, vgl. S.134. Seine Schriften erschienen gesammelt unter dem Titel «Die Mechanik derWärme», Stuttgart 1867.

Hermann von Helmboltz, Potsdam 1821-1894 Berlin; Physiologe und Physiker.

die wichtigste Abhandlung: «Über die Erhaltung der Kraft», Berlin 1847. DieAbhandlung beginnt mit den Worten: «Die Herleitung der aufgestellten Sätzekann von zwei Ausgangspunkten angegriffen werden, entweder von dem Satze,daß es nicht möglich sein könne, durch die Wirkungen irgend einer Kombina-tion von Naturkräften aufeinander in das Unbegrenzte Arbeitskraft zu gewin-nen, oder von der Annahme, daß alle Wirkungen in der Natur zurückzuführenseien auf anziehende und abstoßende Kräfte, deren Intensität nur von der Ent-fernung der aufeinander wirkenden Punkte abhängt.»

130 im Sinne der Goetheschen Farbenlehre: «Beiträge zur Optik» § 46ff., «Entwurfeiner Farbenlehre» Absatz 215ff., und Kapitel «Konfession des Verfassers» in«Materialien zur Geschichte der Farbenlehre». Vgl. dazu Rudolf Steiner, «Gei-steswissenschaftliche Impulse zur Entwickelung der Physik. Erster naturwissen-schaftlicher Kurs», GA 320, S. 91-92.

134 Was ist eigentlich alle Erscheinung ... gegen das Ohr des Musikers: In «Sprüchenin Prosa». Wörtlich: «Dafür steht ja aber der Mensch so hoch, daß sich das sonstUndarstellbare in ihm darstellt. Was ist denn eine Saite und alle mechanischeTeilung derselben gegen das Ohr des Musikers? Ja man kann sagen, was sind dieelementarischen Erscheinungen der Natur selbst gegen den Menschen, der siealle erst bändigen und modifizieren muß, um sie sich einigermaßen assimilierenzu können?». Siehe «Goethes Naturwissenschaftliche Schriften», herausgegebenund kommentiert von Rudolf Steiner in Kürschners «Deutsche National-Litte-ratur» (1883-97), 5 Bände, Nachdruck Dornach 1975, GA la-e, Band IV, 2.Abt., S. 51; siehe auch: «Sprüche in Prosa», Stuttgart 1967, S. 1.

135 hat Julius Robert Mayer 1842 dazu geführt: Die Abhandlung, welche J. R.Mayer an Poggendorffs Annalen sandte, stammt aus dem Jahre 1841 und trägtden Titel «Über die quantitative und qualitative Bestimmung der Kräfte». Siewurde erst nach dem Tode Mayers gedruckt (in J. R. Mayer: Kleinere Schriftenund Briefe. Nebst Mitteilungen aus seinem Leben. Herausgegeben von J. J.Weyrauch, Stuttgart 1893) und ist wenig bekannt. Die Bedeutung Mayers für diePhysik beginnt mit der Abhandlung von 1842 «Bemerkungen über die Kräfteder unbelebten Natur», vgl. den folgenden Hinweis.

zurückzuweisen als vollständig talentlos: Poggendorff hat auf die Zusendung J.R. Mayers nie reagiert, auch nicht auf dessen Briefe, welche zur Rückerstattungder eingesandten Abhandlung aufforderten. Diese fand sich beim Tode Poggen-dorffs (1877) in den nachgelassenen Papieren. Eine Äußerung Poggendorffs über

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J. R. Mayer im obigen Sinn außer durch sein Verhalten, konnte nicht festgestelltwerden. Dagegen schreibt Mayers Freund Gustav Rümelin in dem Aufsatz«Erinnerungen an Robert Mayer» (abgedruckt in G. Rümelin: «Reden undAufsätze», Neue Folge, Freiburg i. Br. o. J.): «Das Manuskript, an PoggendorffsAnnalen für Physik und Chemie geschickt, in welchen sein richtiger Platz gewe-sen wäre, wurde als zur Aufnahme ungeeignet zurückgesendet. Nun wandertedasselbe nach Gießen, um in Wöhlers und Liebigs Annalen der Chemie undPharmazie unterzukommen. Liebig nahm es an, obgleich der Gegenstand wederdie Chemie noch die Pharmazie unmittelbar betraf.»

Die Formulierung Rudolf Steiners scheint auf diese Stelle Rümelins zurück-zugehen, welchen er auch gelegentlich im Zusammenhang mit Mayer ausdrück-lich nennt. Doch ist Rümelin der irrigen Meinung, daß es dieselbe Abhandlungwar, welche Mayer an Poggendorffs Annalen und dann an Liebigs Annaleneinsandte. Auf Rümelin fußen offensichtlich auch der Artikel über J. R. Mayerin der Allgemeinen Deutschen Biographie von H. Munk (Leipzig 1885) undviele andere Stellen der Literatur.

Die beiden Abhandlungen von 1841 und 1842 sind aber, vom Grundgedankenabgesehen, sehr verschieden. 1841 war Mayer noch nicht in der Lage, seinenGrundgedanken im Sinne der schon vorhandenen Physik zu denken und ihn mitihren Ergebnissen zusammenzubringen. Anders 1842. Da ist nicht nur dieserZusammenhang hergestellt, sondern der neue Gedanke erweist seine außeror-dentliche Kraft, indem schon die Berechnung des Wärmeäquivalentes aus demGay-Lussacschen Versuch und den beiden spezifischen Wärmen der Luft gelei-stet wird, hinter welchen Tatsachen in dieser Zeit noch kein anderer Physikereine solche Gesetzmäßigkeit vermutet hätte. In einer autobiographischen Auf-zeichnung aus den sechziger Jahren (aus dem Nachlaß herausgegeben von Wey-rauch a.a.O.) schreibt J. R. Mayer im Rückblick auf das Jahr 1841: «Zu dama-liger Zeit waren es noch zwei Hauptirrtümer, die den Gang meiner Gedankenstörten und mich zu keiner klaren Anschauung der Dinge kommen lassen woll-ten. In den Kompendien der Physik war nämlich damals, neben der Lehre vondem Parallelogramm der Kräfte, häufig mc als das Maß der Bewegung angegebenund dieses, verbunden mit einem Überreste von aus der Kantschen naturphilo-sophischen Schule herstammenden Begriffen einer Zentripetal- und Zentrifugal-kraft, führte mich in ein Labyrinth von Hypothesen und Widersprüchen ... Mankann sich leicht denken, daß ein derartiges, Ungereimtheiten und Extravaganzenenthaltendes System auf die Tübinger Professoren, denen ich im Sommer 1841die Novität privatim vorlegte, keinen gewinnenden Eindruck machen konnte.Inzwischen ließ ich mich aber dadurch von dem Grundgedanken der Äquivalenzvon Arbeit und Wärme nicht abbringen, und da mir bald klar werden mußte,daß das Maß der Bewegung, die Quantitas motus, nur durch das Quadrat derGeschwindigkeit und nie durch die einfache Geschwindigkeit zu bestimmen sei,... so gelang es mir auch, meine Gedanken in einer klareren Form zu geben, sodaß ich im Spätjahr 1841 mein System dem damals in Heidelberg ansässigenProfessor Jolly in dieser geläuterten Form vorlegen konnte. ... Diese Darlegunghatte sich im allgemeinen des Beifalls Jollys ... zu erfreuen und derselbe fordertemich auf, den Gegenstand weiter zu verfolgen und zu verarbeiten und sodannzu veröffentlichen.» Die Einsendung einer Abhandlung an Poggendorffs Anna-len (am 16. Juni 1841) wird hier merkwürdigerweise überhaupt nicht erwähnt.Im Kampf um die Anerkennung der Leistung Mayers hat sie keine Rolle ge-spielt, weil sie niemandem bekannt war. Mayer kommt in seiner auf 1841 bezüg-

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liehen Darstellung Poggendorff und den andern Physikern sehr entgegen, wenner von seinen «Extravaganzen» spricht. Doch hat ein anderer, ganz im Sinne derAusführung Rudolf Steiners, auch auf dasjenige zu blicken, was damals überse-hen wurde: die Kraft der Idee, welche hinter dem Ganzen, mitsamt den «Extra-vaganzen», stand.

135 es waren eigentlich die besten Physiker: Johann Christian Poggendorff, 1796-1877, von 1824-1877 Herausgeber der «Annalen für Physik und Chemie», da-neben forschend tätig auf vielen Gebieten der Physik und Chemie. Von ihmstammen verschiedene Meßinstrumente und Meßmethoden. Historiker der Phy-sik, Herausgeber des »Biographisch-literarischen Handwörterbuches zur Ge-schichte der exakten Wissenschaften», welches die Lebensdaten von über 8000Gelehrten und ihre Abhandlungen verzeichnet (1863; fortgesetzt bis 1962).«Stets legte Poggendorff auf die experimentelle Grundlage den Hauptwert,müßigen Spekulationen blieb er entschieden abhold» (Nachruf in Bd. 160 der«Annalen»).

141 zwischen ihm und unserem Hörorgan: Statt «Hörorgan» hat die Nachschrift«höhere Organe».

144 was würde sich denn da bilden?: Eine eindeutige Interpretation des Wortes «da»konnte nicht gefunden werden.

145 in irgendeiner die Sache v er sinnlich enden Zeichnung: Die vorhandene Zeich-nung ist ohne den Vorgang des Zeichnens schwer verständlich. Aus dem Ver-gleich des Textes mit den ziemlich verschiedenen Zeichnungen in den einzelnenExemplaren der Nachschrift ergibt sich etwa folgender Vorgang: Eine blaue,mehr oder weniger rechteckförmige Fläche stellt die Gebiete dar vom Gas bisherunter zum festen Zustand. Nach oben und unten schließen sich rot die Ge-biete Wärme, x, y, z bzw. U an, aber diese roten «Schwänze» werden umgebo-gen und seitlich in das blaue Gebiet hineingeschlagen, und zwar vermutlich vonlinks und rechts. Eine starke Differenzierung der linken gegenüber der rechtenSeite, wie sie in den meisten Nachschriften und auch in der ersten Auflage sichfindet, dürfte durch das wiederholte Abzeichnen entstanden sein.

Ich könnte das Bild auch so zeichnen: Die Beschriftung der Zeichnung auf S. 146oben und die Unterschrift finden sich nur in der einen Nachschrift eines Kurs-teilnehmers und sind vermutlich durch ihn ergänzt worden. Sie mögen jedochals Hilfe zum Verständnis dienlich sein.

147 genötigt sind, an die realen Dinge heranzutreten: Auf diesen Satz folgt in derNachschrift noch «Aber wir müssen diesen Prozeß überwinden», welcher Satzan den vorhergehenden nicht richtig anschließt. Vermutlich ist ein verbindenderSatz weggefallen.

153 Aus welchem Grund wir sie hierher schreiben dürfen: Die folgenden Ausführun-gen nehmen immer wieder Bezug auf ein Schema, welches in der Nachschriftfehlt. Das Schema S. 153 ist von den Herausgebern aus dem vorigen Vortragübernommen worden. Es fehlt darin die weitere Ausgestaltung, die während desjetzigen Vortrages sicher erfolgt ist.

154 Was können wir da finden, hier?: Die Worte «da» und «hier» sind, besondersauch wegen des Fehlens einer Zeichnung, nur schwer zu interpretieren, vgl. denvorigen und den folgenden Hinweis.

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157 Wenn wir also den Menschen hierher stellen: Verschiedene Leser des Kurses sindzu übereinstimmenden Ergänzungen des Schemas von S. 153 gekommen, näm-lich auf eine Zeichnung von folgender Art (vgl. auch den Hinweis zu S. 153):

• \v Willex

Jirme MenschGasflüssigfest, Gestaltung Vorstellung

\ J

159 anschließend an einen Vortrag von einem der Herren: Vgl. Hinweis zu S. 185.

162 den Auseinandersetzungen des vorigen Kurses: Siehe Hinweis zu S. 11, insbeson-dere im 5. Vortrag des Kurses, S. 94, und das dem Kurs vorangestellte Diskus-sionsvotum.

die Weingeistsäule hier heruntersteigt: Die Zeichnung fehlt, doch geht aus denWorten hervor, daß ein Apparat ähnlich demjenigen S. 148 verwendet wurde,aber gefüllt mit Weingeist statt mit Quecksilber.

164 Eugen Dreher, Stettin 1841 - 1900 Berlin. Siehe den folgenden Hinweis.

Das ist eine Versuchsreihe ..., die außerordentlich wichtig ist: Rudolf Steiner hatsie bei der Herausgabe von Goethes «Naturwissenschaftlichen Schriften», GAla-e, im 4. Band, 2. Abt., S. 147 (Berlin 1897, Nachdruck Dornach 1975) in einerFußnote folgendermaßen zusammengefaßt: «Nach Goethe haben sich um dieUntersuchung der Erscheinungen an der feuchtenden Materio verdient gemachtBecquerel und Eugen Dreher. Durch die genialen Ausführungen des letzterenForschers haben wir über die Sache Aufschlüsse von ganz besonderer Klarheiterhalten (Vgl. Beiträge zu unserer modernen Atom- und Molekular-Theorie v.Dr. Eugen Dreher, Halle 1882, S. 108-127.) Dreher setzte <grünleuchtendeMaterio (es gibt auch eine blauviolett leuchtende, die aber weniger reaktionsfä-hig ist) dem Lichte, sowohl dem farblosen Sonnenlichte als auch solchem Lichteaus, das durch verschiedene Stoffe gegangen ist. Er benutzte 1. eine farbloseGlaskugel, die konzentrierte Kalialaunlösung enthält. 2. Eine ebensolche Kugelmit einer Lösung von Jod in Schwefelkohlenstoff. 3. Eine gleiche Kugel mitkonzentrierter Äskulinlösung, und 4. eine Kugel mit destilliertem Wasser. Diekonzentrierte Kalialaunlösung bewirkt, daß keine Wärmewirkungen; die Jodlö-sung daß keine Lichtwirkungen; endlich die Äskulinlösung, daß keine chemi-schen Wirkungen in dem vom Spektrum eingenommenen Raum stattfinden (daßChlorsilber z. B. nicht geschwärzt wird). Alle diese Wirkungen finden statt bei

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Anwendung der vierten Kugel. Die <leuchtende Materio, die der durch Kali-alaunlösung und durch das Wasser gegangenen Lichtmasse ausgesetzt wurde,zeigte (im Dunklen) ein entschiedenes Leuchten (Phosphoreszieren), diejenigedagegen, welche dem durch Jod- oder Äskulinlösung gegangenen Lichte ausge-setzt war, zeigte keine Spur von Leuchten. Dreher hat dann umgekehrt zumLeuchten gebrachte Materie verschieden modifiziertem Lichte ausgesetzt. Eszeigte sich, daß unter dem Einflüsse der durch Jod- und Äskulinlösung gegan-genen Lichtmasse das Leuchten zuerst intensiver wird, dann aber vollkommenaufhört, während es unter dem Einfluß der durch Kalialaunlösung gegangenenLichtmasse fortdauert. Letztere Beobachtung stimmt völlig zu der längst be-kannten, daß <leuchtende Materie>, die eine Zeitlang dem Licht ausgesetzt warund deren Leuchten bereits aufgehört hat, durch Erwärmung wieder - und zwarnur einmal - zum Leuchten gebracht werden kann. Hat dann die Materie zuleuchten aufgehört, so wirkt eine zweite Erwärmung nur wieder, nachdem derKörper nochmals vorher dem Licht ausgesetzt war. Aus diesen Beobachtungengeht hervor, daß die Fähigkeit des Leuchtens (Phosphoreszierens) der <leuchten-den Materie> durch dieselbe Kraft hervorgerufen wird, welche chemische Wir-kungen hervorbringt. Die Wärme kann das Leuchten zwar zur Erscheinungbringen, aber der Materie nicht die Fähigkeit zum Leuchten geben, ja sie zerstörtdiese Fähigkeit, indem sie das Leuchten zur Erscheinung bringt. Deshalb bewir-ken auch die Lichtmassen, denen die Fähigkeit zu chemischen Wirkungen ge-nommen, die zu Wärmewirkungen aber belassen ist (die durch Äskulinlösunggegangenen), erst ein Aufleuchten, dann ein völliges Erlöschen des phosphores-zierenden Körpers.»

164 wie auf die Spektralverhältnisse ... ein kräftiger Magnet wirkt: «Geisteswissen-schaftliche Impulse zur Entwickelung der Physik. Erster naturwissenschaftlicherKurs», GA 320, S. 116f.

167 was ich hier als noch im Gebiet des Materiellen Hegend aufzufassen habe: DerSatz heißt in der Nachschrift: «... was ich hier im Gebiet des Materiellen nochaufzufassen habe, ...»

168 Clausius: Siehe Hinweis zu S. 27.

170 Max Planck, Kiel 1858 - 1947 Göttingen, theoretischer Physiker.

Ausspruch des Berliner Physikers Planck: Er findet sich in Plancks Vortrag, ge-halten am 23. September 1910 auf der 82. Versammlung Deutscher Naturfor-scher und Ärzte in Königsberg: «In seinem von mir eingangs erwähnten Königs-berger Vortrag hat Helmholtz mit besonderem Nachdruck betont, daß der ersteSchritt zur Entdeckung des Energieprinzips geschehen war, als zuerst die Frageauftauchte: Welche Beziehungen müssen zwischen den Naturkräften bestehen,wenn es unmöglich sein soll, ein Perpetuum mobile zu bauen? Ebenso kann mangewiß mit Recht behaupten, daß der erste Schritt zur Entdeckung des Prinzipsder Relativität zusammenfällt mit der Frage: Welche Beziehungen müssen zwi-schen den Naturkräften bestehen, wenn es unmöglich sein soll, an dem Licht-äther irgendwelche stoffliche Eigenschaften nachzuweisen? Wenn also die Licht-wellen sich, ohne überhaupt an einem materiellen Träger zu haften, durch denRaum fortpflanzen? Dann würde natürlich die Geschwindigkeit eines bewegtenKörpers in bezug auf den Lichtäther gar nicht definierbar, geschweige denmeßbar sein.

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Ich brauche nicht hervorzuheben, daß mit dieser Auffassung die mechanischeNaturanschauung schlechterdings unvereinbar ist.» («Die Stellung der neuerenPhysik zur mechanischen Naturanschauung», Physikal. Zeitschr. 11, S. 922-932(1910); Max Planck, Physikalische Abhandlungen und Vorträge, Braunschweig1958, Bd. 3, S. 30-46).

172 der Satz, der Eduard von Hartmann dazu geführt hat: Harmann steht hierrepräsentativ für die Physiker überhaupt. Die Formulierung mit dem «Perpetu-um mobile zweiter Art» gebrauchte schon z. B. Wilhelm Ostwald.

Ernst Mach, Turas (Mähren) 1838 - 1916 Haar b. München. Er nennt in seinen«Prinzipien der Wärmelehre» (Vgl. den zweiten Hinweis zu S. 11) auf S. 345f.noch W. Thomson und F. Wald.

«Es hat aber keinen gesunden Sinn ...»: Nach E. Mach, «Prinzipien der Wärme-lehre», S. 345f.

175 wie Goethe die Taten des Lichtes gesucht hat: «Farben sind Taten des Lichtes,Taten und Leiden». Zur Farbenlehre. Vorwort.

die in der Thermik. ... angewendet werden können: «Können» ist bei der Her-ausgabe hinzugefügt.

176 Ich habe darüber ja in meinem vorigen Kursus auch schon gesprochen: SieheHinweis zu S. 11, insbesondere S." 68ff. und S. 104ff. des Kurses.

178 Jean Baptiste Joseph Fourier, Auxerre 1768-1830 Paris, Mathematiker, Physiker,Sekretär des Institut d'^gypte. Hauptwerk «Theorie analytique de la chaleur»,Paris 1822.

180 Ich werde mit der Zeit zu multiplizieren haben: Diesem Satz voran gingen kurzeAusführungen, welche auf ihn hinführten, deren Wiedergabe in der Nachschriftaber unklar ist. - Nicht unmittelbar verständlich ist die Bedeutung des Wortes«Effekt» im vorstehenden Zusammenhang. Es mag ganz allgemein gemeint sein,etwa gleichbedeutend mit «Vorgang», also hier «Vorgang der Wärmeleitung», istmöglicherweise aber in bestimmtem, aber nicht geläufigem Sinne zu verstehenähnlich demjenigen, in welchem die folgenden Vorträge von «chemischen Effek-ten» im Gegensatz zu den chemischen Vorgängen sprechen.

184 Die Formel vr = V~ 1 •c-q'-^-'dtdx

wurde so angeschrieben, daß die Quadratwurzel über den ganzen Ausdruckdurchgezogen wurde. Doch sollte damit gewiß nicht mehr ausgedrückt werden,als daß dem w die Qualität des Imaginären zukommen soll. Dafür, daß auch dieBeträge der Größen zu radizieren sind, ergibt der Zusammenhang keinen An-haltspunkt und die Wurzel aus dem Differential dt wäre sinnlos. Diese Korrek-tur der Formel wurde von verschiedenen Lesern des Kurses vorgenommen. — Esliegt bei dieser Gleichung die Tatsache vor, daß sie die Wärmeleitungsgleichungmit einem imaginären Koeffizienten, mathematisch gesehen also eine Art ein-fachster Fall der Schrödingergleichung darstellt, nur daß die Wärmeleitungsglei-chung selber hier nicht bis zur Differentialgleichung 2. Ordnung geführt, son-dern nur im Hinweis auf Fourier angedeutet ist. Im Zeitpunkt der Aufstellungdieser Gleichung mochte sie in der Physik noch absurd erscheinen. Schrödinger

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hat 1926 eine solche Gleichung in ganz anderen Zusammenhängen aufgestellt,indem er in Analogie zur «Wellenoptik» eine «Wellenmechanik» erfand. Diesewurde eine der Grundlagen der neueren Atomphysik.

184 Sie spazieren auch hier hinauf: Die auf diese Worte folgende Klammer enthälteine präzisierende Angabe der Herausgabe, welche sich aus der Zeichnung S. 182und aus dem ganzen Zusammenhang, insbesondere aus den Vorzeichen derGleichungen (1) und (2) ergibt. Eine weitere Bestätigung enthält das Diskussi-onsvotum Rudolf Steiners vom Vortage, siehe den nächsten Hinweis.

185 worauf gestern aufmerksam gemacht worden ist in der Diskussion: Die Diskus-sion fand statt im Anschluß an die beiden Vorträge von Dr. E. Blümel «Über dasImaginäre und den Begriff des Unendlichen und Unmöglichen» und von A.Strakosch «Die mathematischen Gebilde als Zwischenglieder zwischen Urbildund Abbild». Auf die Frage von Dr. Blümel: «Ist es möglich, zu lebendigerAnschauung des Imaginären zu kommen, beziehungsweise liegen wirklicheEntitäten dem Imaginären zu Grunde?» antwortete Rudolf Steiner:«Die Antwort darauf ist nicht so ganz leicht zu geben. Aus dem Grunde nicht,weil man gerade dann, wenn man diese Antwort zu formulieren versucht, sehrstark aus dem Gebiet des Anschaulichen hinauskommen muß. Man hat schongesehen, als ich in diesen Tagen auf eine Frage von Herrn Dr. Müller geantwor-tet habe, daß ich nötig hatte, um überhaupt für einen mathematischen Fall einanschauliches Korrelat zu geben, zu zeigen, wie dieses Anschauungskorrelatliegt beim Übergang von einem Röhrenknochen zu einem Kopfknochen. Den-noch ist es ein ganz anschauliches noch. Man kann wenigstens da die Objektein Anschauung vor sich haben, wenn auch in einem Übergang des einen Objek-tes in das andere.

Wenn man das Imaginäre als geistige Realität anschauen will, so ergibt sicheinem das Folgende: Man hat nötig, wie ich ja gerade bei diesen physikalischenBetrachtungen gezeigt habe, überzugehen von dem Positiven zum Negativen,wenn man überhaupt über gewisse Beziehungen der sogenannten ponderablenMaterie zu dem sogenannten Imponderablen wirklichkeitsgemäße Vorstellungengewinnen will. Nun liegen aber selbst bei Versinnlichungen schon sehr gewöhn-licher Gebiete Notwendigkeiten vor, die zeigen, wie man über die gewöhnli-chen, landläufigen symbolischen Zeichnereien hinauskommen muß. Ich will nurdas Folgende erwähnen. Man kann ja zum Beispiel, wenn man das gewöhnlicheSpektrum, wenn es geradlinig geworden ist, zeichnet, eine gerade Linie zeichnenvon dem Rot durch das Grün zu dem Violett; man wird aber nicht alles, was inBetracht kommt, in der Symbolisierung drinnen haben, wenn man es so zeich-net, sondern man wird erst dann alles drinnen haben, wenn man, um das Rot zusymbolisieren, eine Kurve zeichnet, etwa so in dieser Ebene verlaufend (eswurde gezeichnet), und um das Violett zu erreichen nun in die Tafel hineingehtund hinübergeht, so daß von oben angesehen sich das Rot gewissermaßen erge-ben würde vor dem Violett liegend. Ich müßte hinausrücken und mit dem Vio-lett zurückrücken. Dadurch würde ich eine Charakteristik bekommen dafür,daß das Violett in das Chemische hineingeht, das Rot der Lage nach hinausgeht.Ich bin also genötigt, die gerade Linie hier schon zu erweitern, so daß die ge-wöhnliche Zeichnung, die ich mache, schon eine Projektion desjenigen ist, wasich eigentlich zeichnen sollte. Man ist nun tatsächlich, wenn man klar werdenwill über gewisse Dinge, die sich einfach in der höheren Wirklichkeit - wenn ichso sagen soll - ergeben, genötigt, nun nicht nur zu gehen aus dem Positiv-

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Materiellen zum negativen Materiellen, sondern man ist ebensowenig befriedigt,wenn man das tut, wie man befriedigt sein kann, wenn man hier in der geradenLinie vom Rot durch das Grün ins Violett vorschreitet. Denken Sie sich nundarüber den Kreis gezeichnet, so haben Sie, indem Sie genötigt sind, von dem-selben Punkte, der jetzt hier liegt, herzugehen und dann hierher, nicht mehrnach dem Punkte zurückzukommen, sondern Sie sind genötigt, spiralig hierfortzuschreiten. Ebenso sind Sie genötigt, wenn Sie aus dem Räumlichen in dasNichträumliche durch Symbolisierung des Positiven und Negativen hinüberge-hen, vorwärts zu schreiten noch zu dem, was die höhere Gattung vom Räum-lichen und Unräumlichen wäre.

Also nehmen wir an, gerade wie es sonst von zwei verschiedenen Arten eineZusammenfassung geben könnte, die beide enthält, so könnten wir uns vorstel-len, daß es etwas gibt, das räumlich und nicht-räumlich ist. Dazu muß ein Drit-tes gesucht werden. Und wenn man nun wirklich eingeht im Gebiet der höherenWirklichkeit auf das Physisch-Wirkliche, und man bezeichnet das Physisch-Wirkliche mit dem positiven Vorzeichen, so ist man genötigt, einfach das Äthe-rische, das wirkliche Ätherische, wobei man aus dem Räumlichen hinauskommt,also in das Geistige schon hineinkommt, mit dem negativen Vorzeichen zu ver-sehen. Will man aber ins Astrale gehen, so kommt man nicht zurecht mit demRäumlichen und dem Unräumlichen, sondern man muß eben zum Dritten ge-hen, das sich zu dem Positiven und Negativen genau so verhält, wie in derformalen Mathematik das Imaginäre zu dem Positiven und Negativen. Und manwürde sogar genötigt sein, wenn man von dem Astralen zur wahren Entität desIch übergeht, einen Begriff aufzuschreiben, der überimaginär wäre im Verhältniszum Begriff des Imaginären. Deshalb war mir immer so unsympathisch dieAntipathie gegenüber dem Überimaginären, weil beim Aufsteigen zum Ich manden Begriff wirklich nötig hat. Es ist nicht möglich, ihn auszulassen - es handeltsich darum, ob man ihn in der rechten Weise anwendet, wenn man im reinFormalen der Mathematik bleibt -, es ist nicht möglich, ihn auszulassen, wennman so vorgeht richtig mit den mathematischen Formationen, daß man nicht ausdem Wirklichen herauskommt. Ich habe heute mit jemand, der mir begegnete,ein solches Problem besprochen, welches auch auf dem arithmetischen Gebietsehr deutlich zeigt, daß man etwas haben kann in mathematischer Behandlung,das außerordentlich schwer seine Beziehung zur Realität herstellen kann, das istdas Wahrscheinlichkeitsproblem. Ich kann im Versicherungswesen ausrechnen,wann einer stirbt, es gilt für die Menge. Ich kann aber unmöglich daraus denSchluß ziehen, daß der betreffende Mensch genau in dem Jahr zu sterben hat,das ausgerechnet werden kann. Es fällt mir also die Realität aus meinen Berech-nungen. So ist es auch sehr häufig, daß gewisse Rechnungsergebnisse in formalerBeziehung richtig sind, aber mit dem, was wirklich ist, nicht stimmen. Und sokönnte es auch sein, daß man das Formale der Mathematik manchmal zu rekti-fizieren hätte nach solchen Ergebnissen der überempirischen Wirklichkeit. Es isterst zu prüfen, ob es richtig ist, wenn ich a . b = 0 habe, daß zu diesem Ergebnisnur gekommen werden kann, wenn einer der Faktoren 0 ist. Wenn das so ist, soist gewiß wahr, daß man zu dem Resultat = 0 kommt. Aber es muß die Frageaufgeworfen werden: Könnte es nicht sein, daß auch einmal das Resultat 0 auf-tritt, wenn keiner der beiden Faktoren 0 wäre? Das könnte der Fall sein, wennman durch die Realität genötigt wird, zu überimaginären Zahlen, die dann ent-sprechende Korrelate sind einer überempirischen Wirklichkeit, zu kommen.

Also tatsächlich, man muß versuchen, das Reale in seiner Beziehung zum

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Imaginären, das Überimaginäre in seiner Beziehung zum Imaginären und zumRealen klar herauszuarbeiten in der Mathematik, aber es kann sein, daß mandann sogar genötigt ist, die Rechnungsgesetze zu modifizieren.»

Man vergleiche auch mit der Ausführung in «Die geistigen Hintergründe desErsten Weltkrieges», GAI74b, S. 192f.

185 Da würden Sie zu Hilfe nehmen müssen ... die überimaginäre Zahl: Im Jahre1928 hat P. A. M. Dirac überimaginäre Zahlen in die Atomphysik eingeführt alsZugang zu einem vertieften Verständnis des Elektrons. Dieser Schritt, in Verbin-dung mit Gedanken der Quanten- und der Relativitäts-Theorie, eröffnete dieMöglichkeit, in den Denkformen der Atomphysik «Antimaterie» zu denken,welche Materie zu vernichten imstande ist.

186 Wilhelm Preyer, Moss Side (bei Manchester) 1841-1897 Wiesbaden; Physiologeund Psychologe. Vgl. «Naturwissenschaftliche Tatsachen und Probleme», Berlin1880, und Rudolf Steiners Aufsatz: «Wilhelm Preyer. Gestorben am 15. Juli1897», in «Methodische Grundlagen der Anthroposophie 1884-1901», GA 30.

187 Emil Du Bois-Reymond, Berlin 1818 - 1896 ebenda; Physiologe. Seine von Ru-dolf Steiner viel genannte Rede «Über die Grenzen des Naturerkennens» wurdeam 14. August 1872 gehalten vor der 45. Versammlung Deutscher Naturforscherund Ärzte zu Leipzig.

190 Nun wollen wir zunächst zeigen: Es werden die Versuche, welche im 11. Vortragbeschrieben wurden, aber nicht ganz durchgeführt werden konnten, vorgeführtmit einer etwas geänderten Apparatur, von welcher aber keine Zeichnung vor-liegt.

199 «Der Weltprozeß hat die Tendenz, auszubummeln»: Wörtlich: «Je näher derWeltprozeß dem völligen Ausgleich kommt, je kleiner seine Intensitätsunter-schiede werden, desto langsamer erfolgt der Fortschritt im Ausgleich; bei un-endlich kleinen Differenzen wird er unendlich langsam. Der Prozeß hört also inendlicher Zeit nicht ganz auf, gelangt aber in ihr dem Ausgleich unendlich nahe,so daß der unendlich lange Rest wegen seiner unendlich kleinen Vorgänge ver-nachlässigt werden kann. Der Satz der Entwertung lehrt, daß der Weltprozeßausbummelt und daß er in endlicher Zeit zu einem Stadium gelangen muß, wokeine Energieumsätze mehr möglich sind, und zwar lange bevor die Tempera-turunterschiede unendlich klein werden.» Ed. von Hartmann, «Grundriß derNaturphilosophie» (= System der Philosophie im Grundriß, Bd. II), Bad Sachsa1907, S. 92.

daß alles dasjenige ... nicht anders ihm entsprechen kann: In der Nachschriftsteht: «daß nicht alles dasjenige ... anders ihm entsprechen kann».

Da bummelt er aus: Eine reproduzierbare Zeichnung ist nicht vorhanden.

205 Eugen Kolisko, Wien 1893-1939 London; Lehrer und Schularzt der FreienWaldorfschule in Stuttgart, Verfasser naturwissenschaftlicher und medizinischerSchriften. Der Titel seines Vortrages dürfte, aus dem Diskussionsvotum RudolfSteiners zu schließen, etwa gelautet haben: «Hypothesenfreie Chemie».

206 daß Temperaturdifferenz ... auf Niveaudifferenz beruht: Der Satz ist in derNachschrift verstümmelt.

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210 als ob durch die Reibung der Wolken ... die Elektrizität sich entwickelt: EineTheorie, welche die Gewitter-Elektrizität durch die Reibung des Dampfes ander Luft erklärt, hat Friedrich Jordan in «Die Natur, Zeitung zur Verbreitungnaturwissenschaftlicher Kenntnis und Naturanschauung für Leser aller Stände»entwickelt (Jahrgang 29, Halle 1880). Die Zeitung findet sich in der BibliothekRudolf Steiners. Jordan erneuert ältere Anschauungen, welche die «GrandeEncyclopedie» (Paris o.J., etwa 1896) im Artikel «Foudre» in die Worte zusam-menfaßt: «Die Analogie zwischen dem Blitz und dem elektrischen Funkenwurde von dem Augenblick an bemerkt, als man in der Lage war, genügendstarke Funken zu erzeugen, und führte dazu anzunehmen, daß in der Atmo-sphäre ähnliche Ursachen vorhanden seien wie jene, welche die Elektrizität inunseren Maschinen hervorbringen. Diese letzteren benützen die Elektrizitätser-zeugung durch Reibung oder durch Influenz von benachbarten elektrisiertenKörpern. Daher stammen die Hypothesen von der elektrischen Aufladung derWolken durch Reibung an den Berghängen oder an andern Wolken, usw.»

213 Hermann von Baravalle, geb. Wien 1898. Ab 1920 Lehrer an der Freien Wal-dorfschule in Stuttgart, später Begründer von Waldorf schulen in USA. Verfasservon Schriften auf den Gebieten der Mathematik, Physik, Astronomie und Päd-agogik.

Ernst Bliimel, 1880-1952; Mathematiker. Lehrte u. a. an der Freien Waldorf-schule in Stuttgart.

Alexander Strakosch, Brunn (Mähren) 1879 - 1958 Dornach; Bauingenieur, Leh-rer an der Freien Waldorfschule in Stuttgart seit 1919, wurde 1921 in die Leitungdes Wissenschaftlichen Forschungsinstitutes des «Kommenden Tages», Stutt-gart, berufen.

Dr. Kolisko: Siehe Hinweis zu S. 205.

214 an unserer Waldorf schule: Siehe Hinweis zu S. 116.

216 auf allen drei Gebieten: Des Geisteslebens, Rechtslebens und der Wirtschaft. ImJahre 1920 stand Rudolf Steiner mitten in der von ihm mit großer Intensität inder Öffentlichkeit geführten Arbeit für die Dreigliederung des sozialen Organis-mus. Siehe «Die Kernpunkte der Sozialen Frage in den Lebensnotwendigkeitender Gegenwart und Zukunft» (1919), GA 23.

217 Hoffentlich können wir diese Betrachtungen einmal wieder fortsetzen: Vom 1.bis 18. Januar 1921 fand ein dritter Kurs in Stuttgart statt, siehe den Hinweis zuS. 110.

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ÜBER DIE VORTRAGSNACHSCHRIFTEN

Aus Rudolf Steiners Autobiographie«Mein Lebensgang» (35. Kap., 1925)

Es liegen nun aus meinem anthroposophischen Wirken zwei Ergeb-nisse vor; erstens meine vor aller Welt veröffentlichten Bücher, zwei-tens eine große Reihe von Kursen, die zunächst als Privatdruckgedacht und verkäuflich nur an Mitglieder der Theosophischen (spä-ter Anthroposophischen) Gesellschaft sein sollten. Es waren diesNachschriften, die bei den Vorträgen mehr oder weniger gut gemachtworden sind und die - wegen mangelnder Zeit - nicht von mirkorrigiert werden konnten. Mir wäre es am liebsten gewesen, wennmündlich gesprochenes Wort mündlich gesprochenes Wort gebliebenwäre. Aber die Mitglieder wollten den Privatdruck der Kurse. Und sokam er zustande. Hätte ich Zeit gehabt, die Dinge zu korrigieren, sohätte vom Anfange an die Einschränkung «Nur für Mitglieder» nichtzu bestehen gebraucht. Jetzt ist sie seit mehr als einem Jahre ja fallengelassen.

Hier in meinem «Lebensgang» ist notwendig, vor allem zu sagen,wie sich die beiden: meine veröffentlichten Bücher und diese Privat-drucke in das einfügen, was ich als Anthroposophie ausarbeitete.

Wer mein eigenes inneres Ringen und Arbeiten für das Hinstellender Anthroposophie vor das Bewußtsein der gegenwärtigen Zeitverfolgen will, der muß das an Hand der allgemein veröffentlichtenSchriften tun. In ihnen setzte ich mich auch mit alle dem auseinander,was an Erkenntnisstreben in der Zeit vorhanden ist. Da ist gegeben,was sich mir in «geistigem Schauen» immer mehr gestaltete, was zumGebäude der Anthroposophie - allerdings in vieler Hinsicht in un-vollkommener Art - wurde.

Neben diese Forderung, die «Anthroposophie» aufzubauen unddabei nur dem zu dienen, was sich ergab, wenn man Mitteilungen ausder Geist-Welt der allgemeinen Bildungswelt von heute zu übergebenhat, trat nun aber die andere, auch dem voll entgegenzukommen, wasaus der Mitgliedschaft heraus als Seelenbedürfnis, als Geistessehn-sucht sich offenbarte.

Da war vor allem eine starke Neigung vorhanden, die Evangelienund den Schrift-Inhalt der Bibel überhaupt in dem Lichte dargestelltzu hören, das sich als das anthroposophische ergeben hatte. Manwollte in Kursen über diese der Menschheit gegebenen Offenbarun-gen hören.

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Indem interne Vortragskurse im Sinne dieser Forderung gehaltenwurden, kam dazu noch ein anderes. Bei diesen Vorträgen waren nurMitglieder. Sie waren mit den Anfangs-Mitteilungen aus Anthroposo-phie bekannt. Man konnte zu ihnen eben so sprechen, wie zu Vorge-schrittenen auf dem Gebiete der Anthroposophie. Die Haltung dieserinternen Vorträge war eine solche, wie sie eben in Schriften nicht seinkonnte, die ganz für die Öffentlichkeit bestimmt waren.

Ich durfte in internen Kreisen in einer Art über Dinge sprechen,die ich für die öffentliche Darstellung, wenn sie für sie von Anfang anbestimmt gewesen wären, hätte anders gestalten müssen.

So liegt in der Zweiheit, den öffentlichen und den privaten Schrif-ten, in der Tat etwas vor, das aus zwei verschiedenen Untergründenstammt. Die ganz öffentlichen Schriften sind das Ergebnis dessen, wasin mir rang und arbeitete; in den Privatdrucken ringt und arbeitet dieGesellschaft mit. Ich höre auf die Schwingungen im Seelenleben derMitgliedschaft, und in meinem lebendigen Drinnenleben in dem, wasich da höre, entsteht die Haltung der Vorträge.

Es ist nirgends auch nur in geringstem Maße etwas gesagt, wasnicht reinstes Ergebnis der sich aufbauenden Anthroposophie wäre.Von irgend einer Konzession an Vorurteile oder Vorempfindungender Mitgliedschaft kann nicht die Rede sein. Wer diese Privatdruckeliest, kann sie im vollsten Sinne eben als das nehmen, was Anthropo-sophie zu sagen hat. Deshalb konnte ja auch ohne Bedenken, als dieAnklagen nach dieser Richtung zu drängend wurden, von der Ein-richtung abgegangen werden, diese Drucke nur im Kreise der Mit-gliedschaft zu verbreiten. Es wird eben nur hingenommen werdenmüssen, daß in den von mir nicht nachgesehenen Vorlagen sichFehlerhaftes findet.

Ein Urteil über den Inhalt eines solchen Privatdruckes wird jaallerdings nur demjenigen zugestanden werden können, der kennt,was als Urteils-Voraussetzung angenommen wird. Und das ist für dieallermeisten dieser Drucke mindestens die anthroposophische Er-kenntnis des Menschen, des Kosmos, insofern sein Wesen in derAnthroposophie dargestellt wird, und dessen, was als «anthroposo-phische Geschichte» in den Mitteilungen aus der Geist-Welt sichfindet.

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RUDOLF STEINER GESAMTAUSGABE

Gliederung nach: Rudolf Steiner - Das literarischeund künstlerische Werk. Eine bibliographische Übersicht

(Bibliographie-Nrn. kursiv in Klammern)

A. S C H R I F T E N

/. WerkeGoethes Naturwissenschaftliche Schriften, eingeleitet und kommentiert von R. Steiner,

5 Bände, 1884-97, Nachdruck 1975, (la-e); sep. Ausgabe der Einleitungen, 1925 (1)Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung, 1886 (2)Wahrheit und Wissenschaft. Vorspiel einer <Philosophie der Freiheit>, 1892 (3)Die Philosophie der Freiheit. Grundzüge einer modernen Weltanschauung, 1894 (4)Friedrich Nietzsche, ein Kämpfer gegen seine Zeit, 1895 (5)Goethes Weltanschauung, 1897 (6)Die Mystik im Aufgange des neuzeitlichen Geisteslebens und ihr Verhältnis zur

modernen Weltanschauung, 1901 (7)Das Christentum als mystische Tatsache und die Mysterien des Altertums, 1902 (8)Theosophie. Einführung in übersinnliche Welterkenntnis und Menschenbestimmung,

1904 (9)Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten? 1904/05 (10)Aus der Akasha-Chronik, 1904-08 (11)Die Stufen der höheren Erkenntnis, 1905-08 (12)Die Geheimwissenschaft im Umriß, 1910 (13)Vier Mysteriendramen: Die Pforte der Einweihung - Die Prüfung der Seele - Der Hüter

der Schwelle — Der Seelen Erwachen, 1910—13 (14)Die geistige Führung des Menschen und der Menschheit, 1911 (15)Anthroposophischer Seelenkalender, 1912 (in 40)Ein Weg zur Selbsterkenntnis des Menschen, 1912 (16)Die Schwelle der geistigen Welt, 1913 (17)Die Rätsel der Philosophie in ihrer Geschichte als Umriß dargestellt, 1914 (18)Vom Menschenrätsel, 1916 (20)Von Seelenrätseln, 1917 (21)Goethes Geistesart in ihrer Offenbarung durch seinen Faust und durch das Märchen

von der Schlange und der Lilie, 1918 (22)Die Kernpunkte der Sozialen Frage in den Lebensnotwendigkeiten der Gegenwart und

Zukunft, 1919 (23)Aufsätze über die Dreigliederung des sozialen Organismus und zur Zeitlage, 1915-21 (24)Drei Schritte der Anthroposophie: Philosophie, Kosmologie, Religion, 1922 (25)Anthroposophische Leitsätze, 1924/25 (26)Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst nach geisteswissenschaftlichen

Erkenntnissen, 1925. Von Dr. R. Steiner und Dr. I. Wegman (27)Mein Lebensgang, 1923-25 (28)

239Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 321 Seite: 239

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//. Gesammelte AufsätzeAufsätze zur Dramaturgie, 1889-1901 (29) — Methodische Grundlagen der Anthroposo-phie, 1884-1901 (30)- Aufsätze zur Kultur- und Zeitgeschichte, 1887-1901 (31)- Aufsätzezur Literatur, 1886-1902 (32) - Biographien und biographische Skizzen, 1894-1905 (33)- Aufsätze aus den Zeitschriften «Lucifer-Gnosis», 1903-1908 (34) - Philosophie undAnthroposophie, 1904-1918 (35) - Aufsätze aus «Das Goetheanum», 1921-1925 (36)

III. Veröffentlichungen aus dem NachlaßBriefe - Wahrspruchworte - Bühnenbearbeitungen - Entwürfe zu den Vier Mysterien-dramen, 1910-1913 - Anthroposophie. Ein Fragment - Gesammelte Skizzen und Frag-mente - Aus Notizbüchern und -blättern - (38-47)

B. DAS VORTRAGSWERK/. Öffentliche VorträgeDie Berliner öffentlichen Vortragsreihen, 1903/04 bis 1917/18 (51-67) - ÖffentlicheVorträge, Vortragsreihen und Hochschulkurse an anderen Orten Europas, 1906-1924(68-84)

II. Vorträge vor Mitgliedern der Anthroposophischen GesellschaftVorträge und Vortragszyklen allgemein-anthroposophischen Inhalts - Christologie undEvangelien-Betrachtungen - Geisteswissenschaftliche Menschenkunde - Kosmische undmenschliche Geschichte - Die geistigen Hintergründe der sozialen Frage - Der Menschin seinem Zusammenhang mit dem Kosmos - Karma-Betrachtungen - (91-245)Vorträge und Schriften zur Geschichte der anthroposophischen Bewegung und derAnthroposophischen Gesellschaft - Veröffentlichungen zur Geschichte und aus denInhalten der esoterischen Lehrtätigkeit (251—270)

III. Vorträge und Kurse zu einzelnen LebensgebietenVorträge über Kunst: Allgemein-Künstlerisches - Eurythmie - Sprachgestaltung undDramatische Kunst - Musik - Bildende Künste - Kunstgeschichte - (271-292) - Vorträgeüber Erziehung (293—311) - Vorträge über Medizin (312-319) - Vorträge über Natur-wissenschaft (320—327) - Vorträge über das soziale Leben und die Dreigliederung dessozialen Organismus (328-341) - Vorträge und Kurse über christlich-religiöses Wirken(342-346) - Vorträge für die Arbeiter am Goetheanumbau (347-354)

C. DAS K Ü N S T L E R I S C H E WERK

Originalgetreue Wiedergaben von malerischen und graphischen Entwürfen und SkizzenRudolf Steiners in Kunstmappen oder als Einzelblätter. Entwürfe für die Malerei des ErstenGoetheanum — Schulungsskizzen für Maler - Programmbilder für Eurythmie-Aufführun-gen - Eurythmieformen - Entwürfe zu den Eurythmiefiguren - Wandtafelzeichnungenzum Vortragswerk, u.a.

Die Bände der Rudolf Steiner Gesamtausgabesind innerhalb einzelner Gruppen einheitlich ausgestattet.

Jeder Band ist einzeln erhältlich.

240Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 321 Seite: 240