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Artikel 2 EuGVVO (1) Vorbehaltlich der Vorschriften dieser Verordnung sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen. Artikel 3 EuGVVO (1) Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats haben, können vor den Gerichten eines anderen Mitgliedsstaats nur gemäß den Vorschriften der Abschnitte 2 bis 7 dieses Kapitels verklagt werden. Artikel 4 EuGVVO (1) Hat der Beklagte keinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats, so bestimmt sich vorbehaltlich der Artikel 22 und 23 die Zuständigkeit der Gerichte eines jeden Mitgliedsstaats nach dessen eigenen Gesetzen. Räumlich-personeller Anwendungsbereich der EuGVVO

Räumlich-personeller Anwendungsbereich der EuGVVO · nach §§ 65 iVm 66 Abs 1 JN, zu prüfen, ob der Beklagte seinen Wohnsitz in Österreich hat. Wird dies verneint, dann hat das

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Page 1: Räumlich-personeller Anwendungsbereich der EuGVVO · nach §§ 65 iVm 66 Abs 1 JN, zu prüfen, ob der Beklagte seinen Wohnsitz in Österreich hat. Wird dies verneint, dann hat das

Artikel 2 EuGVVO

(1) Vorbehaltlich der Vorschriften dieser Verordnung sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet

eines Mitgliedstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses

Mitgliedstaats zu verklagen.

Artikel 3 EuGVVO

(1) Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats haben, können vor den Gerichten eines anderen Mitgliedsstaats nur gemäß den Vorschriften der Abschnitte 2 bis 7 dieses Kapitels verklagt werden.

Artikel 4 EuGVVO

(1) Hat der Beklagte keinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats, so bestimmt sich

vorbehaltlich der Artikel 22 und 23 die Zuständigkeit der Gerichte eines jeden Mitgliedsstaats nach

dessen eigenen Gesetzen.

Räumlich-personeller Anwendungsbereich der EuGVVO

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Die Zuständigkeitsbestimmungen der Verordnung sind, wie sich aus den Art 2 Abs 1, 3 Abs 1

und e contrario aus Art 4 Abs 1 EuGVVO ergibt, grundsätzlich nur dann anzuwenden, wenn der

Beklagte seinen Wohnsitz bzw Sitz in einem Mitgliedstaat der Verordnung hat. Mitgliedstaat

ist jeder Staat, der Mitglied der EU ist. Auf die Staatsangehörigkeit kommt es nicht an.

Beispiel: Eine in den USA ansässige Fa klagt einen in Österreich wohnhaften Türken auf

Kaufpreiszahlung. Ist die EuGVVO anwendbar?

Hier ist auf Grund des Wohnsitzes des Beklagten in Österreich der räumlich-personelle

Anwendungsbereich der Verordnung eröffnet.

Räumlich-personeller Anwendungsbereich der EuGVVO

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Auf Beklagte, die keinen (Wohn-)Sitz in einem Mitgliedstaat haben, kommt die Verordnung

grundsätzlich nicht zur Anwendung (Art 4 Abs 1 EuGVVO). Es gelten die nationalen

Zuständigkeitsregeln (einschließlich der in Anh I zur VO angeführten) exorbitanten

Gerichtsstände.

Beispiel: Eine in Deutschland ansässige Fa will einen in der Türkei wohnhaften Türken, der in

Österreich Vermögen besitzt, in Österreich auf Zahlung eines Kaufpreises verklagen.

a. Ist die EuGVVO anwendbar?

b. Kann der in der Türkei wohnhafte Türke, gestützt auf den Gerichtsstand des Vermögens

(der ein exorbitanter Gerichtsstand ist) in Österreich verklagt werden?

Räumlich-personeller Anwendungsbereich der EuGVVO

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Da der Beklagte keinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat der EU hat, ist die EuGVVO nicht

anwendbar. Die Frage, ob Österreich für die Kaufpreisklage international zuständig ist, richtet

sich daher nach österreichischem Recht. Nach § 27a Abs 1 JN ist die internationale

Zuständigkeit, sofern sie nicht in einer völkerrechtlichen, einer gemeinschaftsrechtlichen oder

einer innerstaatlichen Bestimmung ausdrücklich angeordnet oder ausgeschlossen ist, dann

gegeben, wenn die Voraussetzungen für die örtliche Zuständigkeit eines Gerichts vorliegen.

Da der Beklagte keinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat der Verordnung hat, kann, wie sich e

contrario aus Art 3 Abs 2 EuGVVO ergibt, gegen den in der Türkei ansässigen Beklagten der

Gerichtsstand des Vermögens (§ 99 JN) zur Anwendung gebracht werden. Auf Grund des

Vermögensgerichtsstandes ist gem § 27a iVm § 99 JN die internationale Zuständigkeit

Österreichs gegeben.

Räumlich-personeller Anwendungsbereich der EuGVVO

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Vom Grundsatz, dass die Zuständigkeitsbestimmungen der EuGVVO nur dann anzuwenden sind, wenn der Beklagte seinen (Wohn-)Sitz in einem Mitgliedstaat hat, gibt es folgende Ausnahmen:

1. Die Zwangszuständigkeiten des Art 22 EuGVVO sind unabhängig davon anwendbar, wo der Beklagte seinen (Wohn-)Sitz hat. Hier ist Anwendungsvoraussetzung, dass sich der in ihnen genannte Anknüpfungspunkt in einem Mitgliedstaat befindet.

2. Auf eine Gerichtsstandsvereinbarung, in der die Zuständigkeit der Gerichte oder eines Gerichtes eines Mitgliedstaates vereinbart wird, ist Art 23 EuGVVO dann anzuwenden, wenn eine der Vertragsparteien ihren (Wohn-)Sitz in einem Mitgliedstaat hat.

3. Art 24 EuGVVO, der die Heilung der internationalen Unzuständigkeit (ausgenommen ist allerdings ein Verstoß gegen Art 22) durch rügelose Einlassung des Beklagten auf das Verfahren regelt, kommt (insb, wenn man sie als „prorogatio tacita“ sieht) wegen des engen Konnexes zu Art 23 EuGVVO, dann zur Anwendung, wenn eine der Verfahrensparteien ihren (Wohn-)Sitz in einem Mitgliedstaat hat.

Räumlich-personeller Anwendungsbereich der EuGVVO

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Artikel 22 EuGVVO

Ohne Rücksicht auf den Wohnsitz sind ausschließlich zuständig:

(1) für Klagen, welche dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen sowie die Miete oder Pacht

von unbeweglichen Sachen zum Gegenstand haben, die Gerichte des Mitgliedstaats, in

dem die unbewegliche Sache belegen ist. Jedoch sind für Klagen betreffend die Miete oder

Pacht unbeweglicher Sachen zum vorübergehenden privaten Gebrauch für höchstens

sechs aufeinander folgende Monate auch die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in

dem der Beklagte seinen Wohnsitz hat, sofern es sich bei dem Mieter oder Pächter um

eine natürliche Person handelt und der Eigentümer sowie der Mieter oder Pächter ihren

Wohnsitz in demselben Mitgliedstaat haben;

(…)

Räumlich-personeller Anwendungsbereich der EuGVVO

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Beispiel: Ein in Graz gelegenes Geschäftslokal wurde an eine türkische Import- und Export-Fa

mit Sitz in Ankara vermietet. Als die Fa den Mietzins schuldig bleibt, erhebt der Vermieter

gestützt auf Art 22 Z 1 EuGVVO in Österreich die Mietzinsklage. Ist die EuGVVO anwendbar?

Obwohl die beklagte Partei ihren Sitz in einem Drittstaat (in der Türkei) hat, ist Art 22 Z 1

EuGVVO anwendbar, weil es sich um eine Mietzinsklage handelt und die unbewegliche Sache,

die den Bestandgegenstand bildet, in Österreich gelegen ist.

Räumlich-personeller Anwendungsbereich der EuGVVO

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Artikel 23 EuGVVO

(1) Haben die Parteien, von denen mindestens eine ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines

Mitgliedstaats hat, vereinbart, dass ein Gericht oder die Gerichte eines Mitgliedstaats über

eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder über eine künftige aus einem bestimmten

Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit entscheiden sollen, so sind dieses

Gericht oder die Gerichte dieses Mitgliedstaats zuständig. Dieses Gericht oder die Gerichte

dieses Mitgliedstaats sind ausschließlich zuständig, sofern die Parteien nichts anderes

vereinbart haben. (…)

Räumlich-personeller Anwendungsbereich der EuGVVO

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Beispiel: Eine in Österreich ansässige Fa kauft von einer in China ansässigen Fa Spielzeug. Der (schriftlich abgeschlossene) Kaufvertrag enthält eine Gerichtsstandsklausel mit dem Inhalt, dass für alle aus diesem Vertrag das für Handelssachen zuständige Gericht in Wien zuständig sein soll. Es kommt tatsächlich zu einer Streitigkeit und im Zusammenhang damit stellt sich die Frage, ob das für Handelssachen zuständige Gericht als ausschließlich oder bloß als wahlweise zuständig vereinbart worden ist.

Die Lösung der Frage hängt davon ab, ob auf die Gerichtsstandsvereinbarung Art 23 EuGVVO oder § 104 Abs 1 Z 1 JN anzuwenden ist. Nach Art 23 Abs 1 Satz 2 EuGVVO sind das vereinbarte Gericht oder die Gerichte des vereinbarten Mitgliedstaates nämlich ausschließlich zuständig, sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben. Nach der Rsp des OGH (s dazu ausführlich Simotta in Fasching, Kommentar zu den Zivilprozessgesetzen2 I [2000] § 104 JN Rz 90 ff) wird dagegen durch eine Gerichtsstandsvereinbarung - außer die Parteien haben ausdrücklich anderes bestimmt - nur eine Wahlzuständigkeit begründet.

Da eine der beiden Vertragsparteien ihren Sitz in einem Mitgliedstaat hat, kommt Art 23 EuGVVO zur Anwendung. Daher ist das von den Parteien vereinbarte österreichische Gericht ausschließlich zuständig.

Räumlich-personeller Anwendungsbereich der EuGVVO

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Artikel 59 EuGVVO

(1) Ist zu entscheiden, ob eine Partei im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats, dessen Gerichte angerufen sind, einen Wohnsitz hat, so wendet das Gericht sein Recht an.

(2) Hat eine Partei keinen Wohnsitz in dem Mitgliedstaat, dessen Gerichte angerufen sind, so wendet das Gericht, wenn es zu entscheiden hat, ob die Partei einen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat hat, das Recht dieses Mitgliedstaats an.

Artikel 60 EuGVVO

(1) Gesellschaften und juristische Personen haben für die Anwendung dieser Verordnung ihren Wohnsitz an dem Ort, an dem sich

a) ihr satzungsmäßiger Sitz,

b) ihre Hauptverwaltung oder

c) ihre Hauptniederlassung

befindet.

(2) Im Falle des Vereinigten Königreichs und Irlands ist unter dem Ausdruck „satzungsmäßiger Sitz“ das registered office oder, wenn ein solches nirgendwo besteht, der Ort, nach dessen Recht die formation (Gründung) erfolgt ist, zu verstehen.

(3) Um zu bestimmen, ob ein trust seinen Sitz in dem Mitgliedstaat hat, bei dessen Gerichten die Klage anhängig ist, wendet das Gericht sein Internationales Privatrecht an.

Räumlich-personeller Anwendungsbereich der EuGVVO

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Beispiel: Ein (in den sachlichen Anwendungsbereich der EuGVVO fallendes) Verfahren ist vor einem österreichischen Gericht anhängig. Der Beklagte erhebt (bevor er sich auf das Verfahren einlässt) die Einrede der mangelnden internationalen Zuständigkeit, die er damit begründet, dass er nicht in Österreich, sondern in Frankreich seinen Wohnsitz habe. Wie hat das Gericht vorzugehen?

Das angerufene österreichische Gericht hat unter Anwendung österreichischen Rechts, dh nach §§ 65 iVm 66 Abs 1 JN, zu prüfen, ob der Beklagte seinen Wohnsitz in Österreich hat. Wird dies verneint, dann hat das österreichische Gericht unter Anwendung französischen Rechts (Art 42 iVm 43 N.C.P.C.) zu prüfen, ob der Beklagte in Frankreich seinen Wohnsitz.

Bei juristischen Personen und sonstigen parteifähigen Gebilden hängt die Anwendbarkeit der EuGVVO davon ab, ob sie ihren Sitz in einem Mitgliedstaat haben. Anders als der Wohnsitz einer natürlichen Person, wird der Sitz in Art 60 EuGVVO autonom bestimmt.

Räumlich-personeller Anwendungsbereich der EuGVVO

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Nach der EuGVVO unterscheidet man folgende Arten von Gerichtsständen:

den Allgemeinen Gerichtsstand (Art 2 EuGVVO),

die Wahlgerichtsstände (Art 5 bis 7 EuGVVO),

die Besonderen Zuständigkeiten in Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitssachen (Art 8

bis 21 EuGVVO) und

die Zwangszuständigkeiten (Terminologie der EuGVVO: die ausschließlichen

Zuständigkeiten) (Art 22 EuGVVO).

Das Gerichtsstandsystem der

EuGVVO

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Der allgemeine Gerichtsstand (Art 2 EuGVVO)

Gem Art 2 Abs 1 EuGVVO sind soweit keine Zwangszuständigkeit nach Art 22 EuGVVO oder

eine abweichende ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung nach Art 23 EuGVVO vorliegt,

Personen, die ihren (Wohn-)Sitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates haben, ohne

Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedstaates zu verklagen

(„actor sequitur forum rei“).

Das Gerichtsstandsystem der EuGVVO

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Beispielsweise kann ein Russe, der seinen Wohnsitz in Österreich hat, gem Art 2 Abs 1 EuGVVO

wegen eines von ihm in Polen verursachten Verkehrsunfalls in Österreich auf Schadenersatz

geklagt werden.

In Art 2 Abs 1 EuGVVO wird nur die internationale Zuständigkeit, also nur die Frage, in

welchem Mitgliedstaat das Verfahren einzuleiten ist, geregelt (vgl „vor den Gerichten dieses

Mitgliedstaats“). Die Frage, welches Gericht örtlich zuständig ist, richtet sich nach dem

nationalen Recht des Gerichtsstaates (lex fori).

Eine Person, die ihren (Wohn-)Sitz in einem Mitgliedstaat hat, kann vor den Gerichten eines

anderen Mitgliedstaates nur dann verklagt werden, wenn sich deren internationale

Zuständigkeit aus den Art 5 bis 24 EuGVVO ergibt (Art 3 Abs 1 EuGVVO).

Das Gerichtsstandsystem der EuGVVO

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Die Wahlgerichtsstände (Art 5 bis 7 EuGVVO)

Die Wahlgerichtsstände eröffnen dem Kläger die Wahl zwischen einer Klage im Wohnsitzstaat

des Beklagten (Art 2 EuGVVO) und einer solchen in jenem Mitgliedstaat, in dem einer der in

den Art 5 bis 7 EuGVVO genannten Anknüpfungspunkte liegt. Allerdings kommen sie nur

dann zur Anwendung, wenn der in Art 5 ff EuGVVO genannte Anknüpfungspunkt in einem

anderen Mitgliedstaat als im Wohnsitzstaat des Beklagten liegt.

Das Gerichtsstandsystem der EuGVVO

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Beispiel: Ein Skifahrer wird in Lech/Arlberg von einem anderen Skifahrer, der in München

seinen Wohnsitz hat, schwer verletzt. Bei welchen Gerichten kann der verletzte Skifahrer Klage

erheben?

Der verletzte Skifahrer hat die Wahl, ob er gegen den Skifahrer, der ihm die Verletzungen

zugefügt hat, nach Art 2 EuGVVO in dessen Wohnsitzstaat, also in Deutschland, oder gem Art 5

Z 3 EuGVVO (Deliktsgerichtsstand) am Ort, an dem die deliktische Handlung gesetzt worden

ist, also bei dem für Lech sachlich zuständigen Gericht die Klage einbringt.

Für die Wahlgerichtsstände ist typisch, dass in ihnen – außer in den Fällen der Art 5 Z 6 und

Art 6 Z 4 EuGVVO – neben der internationalen Zuständigkeit auch noch die örtliche

Zuständigkeit geregelt wird (vgl „vor dem Gericht des Ortes“).

Das Gerichtsstandsystem der EuGVVO

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Die besonderen Zuständigkeiten in Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitssachen (Art 8 bis 21 EuGVVO)

Diese wurden zu dem Zweck geschaffen, um den gegenüber seinem Vertragspartner wirtschaftlich bzw sozial schwächeren Versicherungsnehmer, Versicherten, Begünstigten, Geschädigten, Verbraucher und Arbeitnehmer kompetenzmäßig zu schützen. Es wurde für die genannten Angelegenheiten in den Art 8ff eine geschlossene, selbständige und erschöpfende Zuständigkeitsregelung geschaffen. Die Art 2ff kommen nur insoweit zur Anwendung als auf sie ausdrücklich verwiesen wird, was nur bei Art 4 und Art 5 Z 5 EuGVVO der Fall ist.

Der kompetenzmäßige Schutz erfolgt dadurch, dass der zu schützenden Partei für ihre Klage gegen ihren Vertragspartner (bzw den Versicherer) mehrere Gerichtsstände, darunter einer an ihrem eigenen Wohnort , zur Verfügung gestellt wird (vgl in Versicherungssachen Art 9 Abs 1 lit b, in Verbrauchersachen Art 16 Abs 1 EuGVVO), während ihr Vertragspartner (bzw der Versicherer) die geschützte Person stets nur in ihrem Wohnsitzstaat verklagen kann (vgl Art 12 Abs 1, 16 Abs 2 und 20 Abs 1 EuGVVO).

Das Gerichtsstandsystem der EuGVVO

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Überdies wird, soweit der beklagte Versicherer, Vertragspartner des Verbrauchers oder Arbeitgeber zwar keinen (Wohn-)Sitz, wohl aber eine Niederlassung in einem Mitgliedstaat hat, für Streitigkeiten aus dem Betrieb das Bestehen eines (Wohn-)Sitzes in dem betreffenden Mitgliedstaat fingiert (Art 9 Abs 2, 15 Abs 2, 18 Abs 2 EuGVVO).

Weiters ist auch der Abschluss von Gerichtsstandsvereinbarungen nur ausnahmsweise zulässig (vgl Art 13, 17, 21 EuGVVO). Eine Heilung der internationalen Unzuständigkeit durch rügelose Einlassung auf das Verfahren nach Art 24 EuGVVO ist zulässig.

Soweit ein Verstoß gegen die besonderen Zuständigkeiten in Versicherungs- und Verbrauchersachen nicht durch rügelose Einlassung auf das Verfahren geheilt worden ist, bildet der Verstoß ein Anerkennungs- und Vollstreckungshindernis (Art 35 Abs 1 und 45 EuGVVO).

Das Gerichtsstandsystem der EuGVVO

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Die Zwangszuständigkeiten (Art 22 EuGVVO)

Art 22 EuGVVO kommt unabhängig davon, ob der Beklagte seinen (Wohn-)Sitz in einem Mitgliedstaat hat – zur Anwendung. Anwendungsvoraussetzung ist, dass der in der jeweiligen Ziffer genannte Anknüpfungspunkt (zB die in Z 1 genannte unbewegliche Sache) in einem Mitgliedstaat gelegen ist. Daher ist Art 22 EuGVVO auch auf Beklagte, die ihren (Wohn-)Sitz in einem Drittstaat haben, anwendbar.

Zwangsgerichtsstände nach Art 22 EuGVVO können gem Art 23 Abs 5 EuGVVO nicht durch eine Gerichtsstandsvereinbarung abbedungen werden. Auch gibt es bei einem Verstoß gegen eine Zwangszuständigkeit keine Heilung der internationalen Unzuständigkeit durch rügelose Einlassung auf das Verfahren (Art 24 EuGVVO). Ein Verstoß gegen Art 22 EuGVVO bildet einen Versagungsgrund für die Anerkennung und Vollstreckung der Entscheidung in einem anderen Mitgliedstaat (Art 35 Abs 1 und 45 EuGVVO). Außerdem darf gem Art 25 ausnahmsweise die Klage bereits a limine wegen internationaler Unzuständigkeit zurückgewiesen werden, wenn die Gerichte eines anderen Mitgliedstaates gem Art 22 EuGVVO zuständig sind.

Das Gerichtsstandsystem der EuGVVO

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Der Gerichtsstand des Erfüllungsortes (Art 5 Z 1 EuGVVO)

Nach Art 5 Z 1 EuGVVO kann eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, in einem anderen Mitgliedsstaat verklagt werden:

1. a) wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre;

b) Im Sinne dieser Vorschrift – und sofern nichts anderen vereinbart worden ist – ist der Erfüllungsort der Verpflichtung

Für den Verkauf beweglicher Sachen der Ort in einem Mitgliedsstaat, an dem sie nach dem Vertrag geliefert worden sind oder hätten geliefert werden müssen;

für die Erbringung von Dienstleistungen der Ort in einem Mitgliedsstaat, an dem sie nach dem Vertrag erbracht worden sind oder hätten erbracht werden müssen;

c) ist Buchstabe b) nicht anwendbar, so gilt Buchstabe a);

(…)

Das Gerichtsstandsystem der EuGVVO

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1. EuGH 22.3.1983, 34/82, Martin Peters Bauunternehmung GmbH/Zuid Nederlandse Aannemers Vereniging.

Sachverhalt: Es geht um einen Rechtsstreit zwischen der Zuid Nederlandse Aannemers Vereniging (im Folgenden: ZNAV), einem Verein niederländischen Rechts mit satzungsmäßigem Sitz in Maastricht und Verwaltungssitz in Heeze (Nordbrabant), und einem ihrer Mitglieder, der deutschen Firma Martin Peters Bauunternehmung GmbH (im Folgenden: Firma Peters) mit Sitz in Aachen (Bundesrepublik Deutschland), wegen der Zahlung von Geldbeträgen, die dieser Firma aufgrund einer internen, durch die Organe des Vereins erlassenen und für dessen Mitglieder bindenden Regelung in Rechnung gestellt worden waren.

Die Klage der ZNAV war in den Niederlanden bei der Arrondissementsrechtbank Herzogenbusch erhoben worden. Die Firma Peters erhob rechtzeitig die Einrede der internationalen Unzuständigkeit mit der Begründung, dass sie gem Art 2 auf Grund ihres Sitzes in Aachen in der Bundesrepublik Deutschland zu verklagen sei. Das angerufene niederländische Gericht verwarf die Unzuständigkeitseinrede mit der Begründung, dass sich seine Zuständigkeit wegen des vertraglichen Ursprungs der Rechtsstreitigkeit aus Art 5 Z 1 ergebe. Da auch die Berufung der Fa Peters erfolglos blieb, erhob diese Kassationsbeschwerde beim Hoge Raad der Niederlande, in der sie geltend machte, dass keine vertragliche Verpflichtung vorliege.

Das Gerichtsstandsystem der EuGVVO

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Rechtsfrage:

Darauf legt der Hoge Raad der Niederlande dem EuGH folgende Frage zur Vorabentscheidung vor:

„Ist Art 5 Z 1 auf Klagen eines privatrechtlichen rechtsfähigen Vereins gegen ein Mitglied aus Zahlungsansprüchen, die ihre Grundlage in dem zwischen den Parteien bestehenden Mitgliedschaftsverhältnis haben, anwendbar, wenn dieses Verhältnis dadurch entstanden ist, dass die beklagte Partei durch entsprechendes Rechtsgeschäft diesem Verein als Mitglied beigetreten ist?“

Das Gerichtsstandsystem der EuGVVO

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Entscheidung des EuGH:

Als Erstes hat der EuGH ausgesprochen, dass der Begriff „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ als autonomer Begriff anzusehen ist, bei dessen Auslegung in erster Linie die Systematik und die Zielsetzungen des Übereinkommens (jetzt: der Verordnung) berücksichtigt werden müssen, damit dessen volle Wirksamkeit sichergestellt wird.

Der EuGH weist dann darauf hin, dass Art 5 gerade mit Rücksicht auf die in ganz bestimmten Fällen bestehende besonders enge Verknüpfung zwischen einem Rechtsstreit und dem für seine Entscheidung zuständigen Gericht im Interesse einer sachgerechten Prozessführung besondere Zuständigkeiten vorsieht, unter denen der Kläger die Wahl hat.

Wenn im Hinblick darauf in Artikel 5 Z 1 das Gericht des Ortes für zuständig erklärt wird, an dem eine vertragliche Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre, so kommt darin das Bestreben zum Ausdruck, wegen der engen Bindungen, die ein Vertrag zwischen den Vertragsparteien schafft, sämtliche Schwierigkeiten, die bei der Erfüllung einer vertraglichen Verpflichtung auftreten können, vor ein und dasselbe Gericht, nämlich das Gericht des Erfüllungsortes, zu bringen .

Das Gerichtsstandsystem der EuGVVO

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Der EuGH vertritt dann die Ansicht, dass der Beitritt zu einem Verein zwischen den Vereinsmitgliedern enge Bindungen gleicher Art schafft, wie sie zwischen Vertragsparteien bestehen; es sei daher gerechtfertigt, für die Anwendung von Art 5 Z 1 die von dem vorlegenden Gericht bezeichneten Ansprüche als vertragliche Ansprüche anzusehen.

Da nach den innerstaatlichen Rechtsordnungen meistens der Ort des Vereinssitzes auch Erfüllungsort für die Verpflichtungen aus der Mitgliedschaft ist, hat die Anwendung von Art 5 Z 1 außerdem praktische Vorteile: das Gericht des Ortes, an dem sich der Sitz des Vereins befindet, kann nämlich in der Regel die Vereinssatzung, -bestimmungen und -beschlüsse sowie die Umstände, die mit der Entstehung des Rechtsstreits zusammenhängen, am besten verstehen.

Daher ist die Vorlagefrage dahingehend zu beantworten, dass Zahlungsansprüche, die ihre Grundlage in dem zwischen einem Verein und seinen Mitgliedern bestehenden Mitgliedschaftsverhältnis haben, als „Ansprüche aus einem Vertrag“ iSv Art 5 Z 1 des Übereinkommens (jetzt: der Verordnung) anzusehen sind.

Das Gerichtsstandsystem der EuGVVO

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2. EuGH 20.1.2005, C-27/02, Petra Engler/Janus Versand GmbH.

Sachverhalt:

Petra Engler, die in Lustenau (Österreich) wohnhaft ist, klagte die Versandhandelsgesellschaft Janus Versand GmbH mit Sitz in Langenfeld (Deutschland) auf Auszahlung einer näher bezeichneten Gewinnsumme, weil die beklagte Gesellschaft in einem namentlich an sie adressierten Schreiben bei ihr den Eindruck erweckt habe, sie habe einen Preis gewonnen. Dazu müsse sie nur den Auszahlungs-Bescheid sowie eine „unverbindliche Testanforderung“ an die Beklagte zurücksenden. Nachdem sich die Beklagte weigerte den Betrag auszuzahlen, erhob Fr. Engler Klage bei einem österreichischen Gericht. Die Klägerin beruft sich drauf, dass es sich um einen vertraglichen Anspruch handle sowie auf eine Verletzung vorvertraglicher Pflichten. Hilfsweise bringt sie vor, dass ein Anspruch aus unerlaubter Handlung oder einer gleichgestellten Handlung vorliege. Das LG Feldkirch wies die Klage wegen mangelnder internationaler Zuständigkeit ab. Die Klägerin erhob Rekurs beim OLG Innsbruck.

Das OLG nahm an, dass der Ausgang des Rechtsstreits von der Auslegung des EuGVÜ abhänge und legte daher folgende Frage zur Vorabentscheidung vor:

Das Gerichtsstandsystem der EuGVVO

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Rechtsfrage:

Ist der in § 5j KSchG eingeräumte Anspruch auch dann

1. ein vertraglicher Anspruch nach Art 13 Abs 1 Z 3 EuGVÜ (Art 15 Abs 1 lit c EuGVVO) oder

2. ein vertraglicher Anspruch nach Art 5 Z 1 EuGVÜ (Art 5 Z 1 lit a EuGVVO) oder

3. ein Anspruch aus unerlaubter Handlung nach Art 5 Z 3 EuGVÜ (jetzt: EuGVVO),

wenn ein verständiger Verbraucher nach den ihm übermittelten Unterlagen davon ausgehen konnte, dass der für ihn bereitgehaltene Betrag nur noch durch Retournierung des Auszahlungs-Bescheides angefordert werden müsse und nicht unter der Bedingung einer Bestellung von Waren steht?

§ 5j KSchG:

Unternehmer, die Gewinnzusagen oder andere vergleichbare Mitteilungen an bestimmte Verbraucher senden und durch die Gestaltung dieser Zusendung den Eindruck erwecken, daß der Verbraucher einen bestimmten Preis gewonnen habe, haben dem Verbraucher diesen Preis zu leisten; er kann auch gerichtlich eingefordert werden.

Das Gerichtsstandsystem der EuGVVO

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Entscheidung des EuGH:

Zuerst stellte der EuGH fest, dass sich der Begriff der unerlaubten Handlung auf alle nicht in einem Vertrag nach Art 5 Z 1 EuGVÜ (jetzt: EuGVVO) anknüpfenden Klagen bezieht. Daher wird zuerst geprüft, ob die vorliegende Klage als Klage aus einem Vertrag zu qualifizieren ist.

Die Klägerin ist zwar eine Verbraucherin iSd Art 13 Abs 1 Z 3 EuGVÜ (Art 15 Abs 1 lit c EuGVVO), jedoch folgt auf den Verstoß des Gewerbetreibenden nicht der Abschluss eines Vertrages zwischen Verbraucherin und gewerbsmäßigen Verkäufer. Es handelt sich daher nicht um eine Klage aus einem Vertrag nach Art 13 Abs 1 Z 3 EuGVÜ (Art 15 Abs 1 lit c EuGVVO). Diese Bestimmung stellt eine Ausnahme vom allgemeinen Grundsatz des Art 2 Abs 1 EuGVÜ (jetzt: EuGVVO) dar und müssen daher eng ausgelegt werden.

In Bezug auf Art 5 Z 1 EuGVÜ (jetzt: EuGVVO) stellt der EuGH zunächst fest, dass dieser keinen Abschluss eines Vertrages verlangt, sondern bloß eine freiwillig eingegangene Verpflichtung vorliegen muss und dass der Begriff „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ nicht eng auszulegen ist. Dass die erhobene Klage keine Klage aus einem Vertrag nach Art 13 Abs 1 Z 3 EuGVÜ (Art 15 Abs 1 lit c EuGVVO) darstellt, steht einer Subsumtion unter Art 5 Z 1 EuGVÜ (jetzt: EuGVVO) also nicht zwangsläufig entgegen.

Das Gerichtsstandsystem der EuGVVO

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Im vorliegenden Fall hat der Absender selbst einen Empfänger seiner Sendung ausgewählt und ist somit eine freiwillige Verpflichtung eingegangen. Zudem hat der Beklagte eine Formulierung verwendet, die geeignet war, den Verbraucher irrezuführen und ihn zu einem Vertragsabschluss anzuregen. Zudem hat die Klägerin die Gewinnzusage angenommen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt ist von einer Verpflichtung zu sprechen, die den Beklagten wie einen Vertrag bindet. Der Umstand, dass der Verkäufer in Wahrheit nicht die Absicht hatte den Gewinn auszuzahlen, ist unerheblich. Es handelt sich im vorliegenden Fall daher um eine Klage aus einem Vertrag iSd Art 5 Z 1 EuGVÜ (jetzt: EuGVVO).

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3. EuGH 6.10.1976, 14-76, ets.a.de Bloos Sprl/Societe en Commandite par actions Bouyer.

Sachverhalt:

Ein Alleinvertriebshändler mit Sitz in Belgien hat seinen Lieferanten, der seinen Sitz in

Frankreich hat, mit der Behauptung, dieser habe den Vertrag ohne Kündigungsfrist einseitig

beendet, vor dem belgischen Gericht nach belgischem Recht auf gerichtliche Auflösung des

Vertrags aus Verschulden des Lieferanten und auf Zahlung von Schadenersatz verklagt. Es

kommt zu einem Zuständigkeitsstreit im Rahmen dessen dem EuGH folgende Fragen zur

Vorabentscheidung vorgelegt wird:

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Entscheidung des EuGH:

Zur ersten Vorlagefrage stellt der EuGH fest, dass das Übereinkommen nach seiner Präambel die internationale Zuständigkeit der Gerichte der Vertragsstaaten festlegen, die Anerkennung der jeweiligen gerichtlichen Entscheidungen erleichtern und ein beschleunigtes Verfahren einführen soll, um die Vollstreckung von Entscheidungen sicherzustellen. Diese Ziele gebieten es, soweit wie möglich zu verhindern, daß aus ein und demselben Vertrag mehrere Zuständigkeitsgründe hergeleitet werden. Deshalb kann Art 5 Z 1 des Übereinkommens nicht in dem Sinne verstanden werden, daß sich diese Vorschrift auf jede beliebige sich aus dem betreffenden Vertrag ergebende Verpflichtung bezieht. Vielmehr versteht dieser Artikel unter „Verpflichtung" diejenige vertragliche Verpflichtung, die den Gegenstand der Klage bildet.

Für die Bestimmung des Erfüllungsortes im Sinne des Art 5 Z 1 ist folglich die Verpflichtung heranzuziehen, die dem vertraglichen Anspruch entspricht, auf den der Kläger seine Klage stützt. Macht der Kläger Ansprüche auf Schadensersatz geltend oder beantragt er die Auflösung des Vertrages aus Verschulden des Gegners, so ist die Verpflichtung im Sinne des Art 5 Z 1 weiterhin diejenige vertragliche Verpflichtung, deren Nichterfüllung zur Begründung dieser Anträge behauptet wird.

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Zur zweiten Vorlagefrage spricht der Gerichtshof aus, dass Zweigniederlassung und Agentur unter anderem wesentlich dadurch charakterisiert werden, dass sie der Aufsicht und Leitung des Stammhauses unterliegen. Wortlaut und Zweck dieses Artikels ergeben, dass der ebenfalls verwendete Begriff „Niederlassung" nach dem Geist des Übereinkommens die gleichen Wesensmerkmale aufweist wie die Begriffe Zweigniederlassung und Agentur.

Deshalb lassen sich die Begriffe Zweigniederlassung, Agentur und sonstige Niederlassung nicht auf den Fall eines Alleinvertriebshändlers ausdehnen, der unter den vom nationalen Gericht beschriebenen Bedingungen tätig ist.

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4. EuGH 6.10.1976, 12-76, Industrie Tessili Italiana Como/Dunlop AG.

Sachverhalt:

Die Firma Dunlop AG mit Sitz in Hanau bestellte bei der Firma Industrie Tessili Italiana

Como (nachstehend Tessili genannt) 310 Skianzüge. Auf einem Schreiben von Dunlop waren deren Einkaufsbedingungen abgedruckt, die unter anderem folgende Klausel enthalten: „Gerichtsstand: Für Streitigkeiten aus diesem Vertragsverhältnis ist Hanau am Main zuständig."

Tessili fertigte die bestellten Skianzüge an und versandte sie durch eine von Dunlop beauftragte Spedition an die Firma Dunlop, bei der sie am 18. August 1971 eintrafen.

Tessili erstellte ebenfalls eine Rechnung auf deren Rückseite die Allgemeinen Verkaufsbedingungen samt einer Klausel, dass für Streitigkeiten das Foro di Como zuständig sei abgedruckt waren. Die gelieferten Skianzüge erwiesen sich als mangelhaft, woraufhin Dunlop beim Landgericht Hanau auf Wandlung klagte. Dieses verwarf die von Tesili erhoben Einrede der Unzuständigkeit in einem Zwischenurteil, wogegen Tesili Berufung beim OLG Frankfurt am Main erhob.

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Rechtsfrage:

Das OLG hat mit Beschluss vom 14. Januar 1976 das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH die

Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, wie der Begriff „Ort, an dem die Verpflichtung erfüllt

worden ist oder zu erfüllen wäre", in Art 5 Z 1 EuGVÜ (jetzt: Art 5 Z 1 lit a EuGVVO) auszulegen

ist.

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Entscheidung des EuGH:

Diese Bestimmung muss im Rahmen des Systems der Zuständigkeiten ausgelegt werden, die in Titel II des Übereinkommens geregelt sind. Dieses System geht nach Artikel 2 aus dem allgemeinen Gerichtsstand des Wohnsitzes des Beklagten hervor, doch sieht Art 5 daneben eine Reihe besonderer Zuständigkeiten vor, unter denen der Kläger die Wahl hat. Diese Wahlmöglichkeit ist unter Berücksichtigung des Umstandes, daß in bestimmten Fällen zwischen der Klage und dem zur Entscheidung hierüber berufenen Gericht eine besonders enge Verknüpfung besteht, im Interesse einer sachgerechten Prozessführung in das Übereinkommen aufgenommen worden. Bilden ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens, so kann der Kläger nach Art 5 Z 1 die Klage vor dem Gericht des Ortes erheben, an dem die Verpflichtung „erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre". Es obliegt dem mit dem Rechtsstreit befassten Gericht, nach dem Übereinkommen festzustellen, ob der Ort, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre, im Bereich seiner örtlichen Zuständigkeit liegt. Hierbei hat es das auf das betreffende Rechtsverhältnis anwendbare Recht nach seinen Kollisionsnormen zu ermitteln und alsdann den Erfüllungsort der streitigen vertraglichen Verpflichtung nach diesem Recht zu bestimmen.

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Angesichts der Unterschiede, die nach wie vor zwischen den einzelnen nationalen Rechten bei der Regelung von Verträgen bestehen, und in Ermangelung jeder Vereinheitlichung des anwendbaren materiellen Rechts beim gegenwärtigen Stand der Rechtsentwicklung, erweisen sich weitergehende Angaben über die Auslegung des in Art 5 Z 1 enthaltenen Hinweises auf den „Erfüllungsort" vertraglicher Verpflichtungen als unmöglich, um so mehr, als die Bestimmung des Erfüllungsortes vom Inhalt des Vertragsverhältnisses abhängt, aus dem sich die betroffenen Verpflichtungen ergeben. Soweit das Übereinkommen auf den Erfüllungsort vertraglicher Verpflichtungen abstellt, kann dies daher nur als Verweisung auf das materielle Recht verstanden werden, das nach den Kollisionsnormen des mit dem Rechtsstreit befassten Gerichts anwendbar ist.

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