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MOBILE ANLAUFSTELLE für europäische Wanderarbeiter/innen und Roma REPORT AUSGABE I · 11/2015 Beratungsergebnisse Impressum # Herkunft nach Berliner Bezirken # Wer kommt zur Beratung? Rumänisch Bulgarisch Andere # Beratungsinhalte 13 44 11 62 11 31 249 23 145 103 73 21 Charlottenburg Friedrichshain-Kreuzberg Lichtenberg Marzahn-Hellersdorf Mitte Neukölln Pankow Reinickendorf Steglitz-Zehlendorf Spandau Tempelhof-Schöneberg Treptow-Köpenick 100 200 300 400 500 600 700 800 0 Soziale Unterstützung 844 Wohnungslosigkeit 209 Krankenversicherung 152 Arbeit 66 Ordnungswidrigkeiten 58 Schule 52 Schulden 43 Rückreise 40 Bildung 33 Existenzsicherung 141 Die Mobile Anlaufstelle für europä- ische Wanderarbeiter/-innen und Roma der Caritas hat im Februar 2015 ihre Arbeit aufgenommen. Bis Ende September 2015 wurden ins- gesamt 863 Personen von der An- laufstelle betreut, davon sind 459 Erwachsene und 404 Kinder. In die Beratung kommen vor allem Famili- en mit Kindern. Die große Mehrheit von ihnen kommt aus Rumänien und Bulgarien. Manche brauchen nur eine oder zwei Beratungen, die meisten allerdings benötigen eine längerfris- tige Begleitung, um die komplexen Probleme zu sortieren und anzuge- hen. In 1.576 Beratungsgesprächen und rund 3.000 telefonischen Bera- tungen hat die mobile Anlaufstelle Einzelpersonen und Familien bisher unterstützt. Die Ratsuchenden der mobilen Anlaufstelle kommen aus allen Berliner Bezirken und sogar aus anderen deutschen Städten. Die meisten Personen stammen aus Mitte, Neukölln und Friedrichshain-Kreuzberg. In diesen Bezirken lagen auch die Schwerpunkte der mobilen und aufsuchenden Arbeit. Im öffentli- chen Raum und in sogenannten Problemimmobilien wurde die mobile Anlaufstelle tätig, nahm Kontakt auf und bot Beratung an. Die Suche nach Wohnraum und der Zugang zu sozialen Unterstützungs- leistungen sind die häufigsten The- men in der Beratung. Oft müssen viele Anträge ausgefüllt, Widersprü- che geschrieben und zur Not vor Gericht geklagt werden. Der Zugang zum Wohnungsmarkt stellt eine be- sondere Hürde dar. Viele Leistungen sind aber erst möglich, wenn eine Meldeadresse vorliegt. Ein weiteres wichtiges Thema ist die fehlende Krankenversicherung. Und wo geht man zum Arzt, wenn man nicht versichert ist? Oder bringt ein Kind auf die Welt? BVG-Schulden, Schulanmeldung, Arbeitssuche oder Jobverlust und auch der Wunsch nach Rückkehr ins Heimatland sind häufige Fragen in der Arbeit der mo- bilen Anlaufstelle. Die mobile Anlaufstelle wird aus Mitteln der Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen finanziert. Caritasverband für das Erzbistum Berlin e.V. Mobile Anlaufstelle für europäische WanderarbeiterInnen und Roma Koordination: Annette Sailer Levetzowstraße 12 a 10555 Berlin Tel.: 030-814 71 324 www.caritas-berlin.de Konzeption & Artwork die-artisten.com Spendenkonto: 32 135 00 · Bank für Sozialwirtschaft · BLZ: 100 205 00

Rumänisch Bulgarisch Andere REPORT und Roma MOBILE ... · Und nicht jeder Rom und jede Romni entsprechen dem Bild in unseren Köpfen. So auch Camelia, um ... Beitrittskandidaten

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MOBILEANLAUFSTELLEfür europäische Wanderarbeiter/innenund RomaREPORT

AUSGABE I · 11/2015

Beratungsergebnisse

Impressum

# Herkunft nach Berliner Bezirken

# Wer kommt zur Beratung?

Rumänisch BulgarischAndere

# Beratungsinhalte

13

44 11

62

1131

249

23145

103

7321

CharlottenburgFriedrichshain-KreuzbergLichtenbergMarzahn-HellersdorfMitteNeuköllnPankowReinickendorfSteglitz-ZehlendorfSpandauTempelhof-SchönebergTreptow-Köpenick

100 200 300 400 500 600 700 800 0

Soziale Unterstützung844Wohnungslosigkeit209

Krankenversicherung152

Arbeit66Ordnungswidrigkeiten58Schule52Schulden43Rückreise40Bildung33

Existenzsicherung141

Die Mobile Anlaufstelle für europä-ische Wanderarbeiter/-innen und Roma der Caritas hat im Februar 2015 ihre Arbeit aufgenommen. Bis Ende September 2015 wurden ins-gesamt 863 Personen von der An-laufstelle betreut, davon sind 459 Erwachsene und 404 Kinder. In die Beratung kommen vor allem Famili-en mit Kindern. Die große Mehrheit von ihnen kommt aus Rumänien und Bulgarien. Manche brauchen nur eine oder zwei Beratungen, die meisten

allerdings benötigen eine längerfris-tige Begleitung, um die komplexen Probleme zu sortieren und anzuge-hen. In 1.576 Beratungsgesprächen

und rund 3.000 telefonischen Bera-tungen hat die mobile Anlaufstelle Einzelpersonen und Familien bisher unterstützt.

Die Ratsuchenden der mobilen Anlaufstelle kommen aus allen Berliner Bezirken und sogar aus anderen deutschen Städten. Die meisten Personen stammen aus Mitte, Neukölln und Friedrichshain-Kreuzberg. In diesen Bezirken lagen auch die Schwerpunkte der mobilen und aufsuchenden Arbeit. Im öff entli-chen Raum und in sogenannten Problemimmobilien wurde die mobile Anlaufstelle tätig, nahm Kontakt auf und bot Beratung an.

Die Suche nach Wohnraum und der Zugang zu sozialen Unterstützungs-leistungen sind die häufi gsten The-men in der Beratung. Oft müssen viele Anträge ausgefüllt, Widersprü-che geschrieben und zur Not vor Gericht geklagt werden. Der Zugang zum Wohnungsmarkt stellt eine be-sondere Hürde dar. Viele Leistungen sind aber erst möglich, wenn eine Meldeadresse vorliegt.

Ein weiteres wichtiges Thema ist die fehlende Krankenversicherung. Und wo geht man zum Arzt, wenn man nicht versichert ist? Oder bringt ein Kind auf die Welt? BVG-Schulden, Schulanmeldung, Arbeitssuche oder Jobverlust und auch der Wunsch nach Rückkehr ins Heimatland sind häufi ge Fragen in der Arbeit der mo-bilen Anlaufstelle.

Die mobile Anlaufstelle wird aus Mitteln der Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen fi nanziert.

Caritasverbandfür das Erzbistum Berlin e.V.

Mobile Anlaufstellefür europäische WanderarbeiterInnenund Roma

Koordination:Annette Sailer

Levetzowstraße 12 a10555 Berlin

Tel.: 030-814 71 324www.caritas-berlin.de

Konzeption & Artworkdie-artisten.com

Spendenkonto: 32 135 00 · Bank für Sozialwirtschaft · BLZ: 100 205 00

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Die Anfänge der Europäischen Uni-on gehen zurück auf die 1950er Jahre, als Belgien, die Bundesrepu-blik Deutschland, Frankreich, Itali-en, Luxemburg und die Niederlandedie Europäische Wirtschaftsgemein-schaft gründeten. Diese enge Zu-sammenarbeit sollte Europa friedlich und sicher machen. Seitdem hat sich die EU auf 28 Mitgliedsstaaten vergrößert. Rumänien und Bulgarien sind seit 2007 in der EU und damit Teil des europäischen Handels- und Wirt-schaftsraumes. Dieser gemeinsame Binnenmarkt beinhaltet den freien Austausch von Waren und Dienst-

leistungen, sowie das Recht auf Per-sonenfreizügigkeit.Freizügigkeit bedeutet: Jeder Bürgereines EU-Mitgliedsstaates kann sich innerhalb der Union frei bewegen und in jedem anderen Mitgliedsland aufhalten.Für rumänische und bulgarische Staatsbürger/-innen entfällt damitwie für Bürger/-innen anderer EU-Länder die Pfl icht zu einem Aufent-haltstitel (z.B. Visum).Der EU-Binnenraum ist auch ein gemeinsamer Arbeitsmarkt; rumäni-sche und bulgarische EU-Bürger/-in-nen können deshalb in Deutschland leben und arbeiten.

Camelia lebt seit ihrem elften Le-bensjahr in Spanien. Ihre Eltern ha-ben Rumänien verlassen, weil sie nur 150 Euro im Monat verdienten und in einer Einraumwohnung leb-ten. In Spanien erwarteten sie vor allem bessere Chancen für ihre bei-den Kinder. Der Vater arbeitet als LKW-Fahrer, die Mutter kocht in ei-nem Restaurant. Camelia beendet in Spanien die Schule und beginnt eine Ausbildung in Büromanagement und Verwaltung.Mit 20 wird Camelia schwanger. Nachdem ihr Sohn Ionel 2012 gebo-ren wird, beginnen die Diskussionen mit ihrem Freund. Er möchte nicht, dass sie weiter lernt und arbeitet, sie soll zu Hause bleiben. Camelia fühlt sich eingesperrt, die traditionelle Rolle ist ihr zu eng. Als sie nach zwei Jahren erneut schwanger wird und weiter zur Berufsschule gehen will, eskaliert die Situation. Gemeinsam mit ihren Eltern triff t sie die Entscheidung, sich von dem Va-ter ihrer Kinder zu trennen und nach Deutschland zu gehen. In Berlin hat die Familie Freunde. Im Oktober 2014 bringt ihr Vater die schwangere Camelia und den zweijährigen Ionel nach Berlin, hilft ihr, eine Wohnung zu mieten und die ersten Amtsgän-ge zu machen. Dann kehrt er nach Spanien zurück. Camelia bleibt al-lein in der fremden Stadt und ver-sucht, sich zurechtzufi nden. Täg-lich telefoniert sie mit ihren Eltern.

Die Herausforderungen lassen nicht lange auf sich warten: die deutsche Krankenversicherung will sie nicht aufnehmen und verweigert die An-erkennung der spanischen Kran-kenkarte, das Jobcenter lehnt ihren Antrag ab, und ihr Vermieter hat ihre Mietzahlungen nicht an den Eigen-tümer weitergeleitet. Mietschulden und Räumung drohen.Zu allem Übel verlassen Camelias Berliner Freunde die Stadt, um ihre Mutter zu pfl egen. Mehr als einmal möchte Camelia zurück, fühlt sich fremd und einsam, aber ihre Eltern ermuntern sie zu bleiben und sich durchzubeißen.Nach der Geburt ihrer Tochter im Ja-nuar 2015 bekommt Camelia Besuch vom Kinder- und Jugendgesund-heitsdienst Mitte. Sie berichtet von ihren Schwierigkeiten und bekommt die Adresse der Mobilen Anlaufstel-le. Hier fi ndet Camelia professionel-le Unterstützung: Die Krankenkasse versteht nach mehreren Telefonaten und Besuchen, dass sie verpfl ichtet ist, Frau Craciun aufzunehmen. Nach einem Widerspruch beim Job-center und der Beibringung aller not-wendigen Papiere von ihrem Putzjob bekommt sie eine Bewilligung. Die Räumung der Wohnung kann mit Hilfe einer Anwältin um drei Monate verschoben werden. Dieser Zeitge-winn gestattet die Unterbringung in einem Obdachlosenheim.

Dort ist es nicht schön, aber besser als im Park oder auf der Straße.Schritt für Schritt werden die Prob-leme gelöst, und Camelia kann sich endlich den Themen zuwenden, die für ihre Integration in die deutsche Gesellschaft am wichtigsten sind. Denn die junge Romni weiß, was sie möchte: lernen, arbeiten und in einer Gesellschaft leben, in der sie sich als Frau und Mutter frei bewegen kann. Ihre nächsten Schritte auf diesem Weg heißen Wohnung, Kitaplatz und Deutschkurs. Die Mobile Anlaufstel-le wird sie in diesem Prozess weiter begleiten.

Basisinformationen

# Warum verlassen die Menschen ihre Heimat?

# Zuwanderung nach Deutschland

# Zuwanderung aus Rumänienund Bulgarien nach Berlin

# Die Europäische Union und ihre Erweiterungen

Wenn wir Roma hören, denken wir an viele. An viele Frauen in bunten Röcken. An Männer, die gemeinsam Musik machen. An Familien mit vielen Kindern. Und in gewisser Weise stimmt das: Roma ist Plural. Einzelne heißen Rom und Romni. Und nicht jeder Rom und jede Romni entsprechen dem Bild in unseren Köpfen. So auch Camelia, um die es in der folgenden Geschichte geht.

Der EU-Beitritt hat die wirtschaftli-che Lage in Rumänien und Bulgarien nicht so verändert, wie man dort ge-hoff t hatte. Statt neuer Arbeitsplät-ze kam die Wirtschaftskrise, statt Investitionen Sparmaßnahmen, die ohnehin niedrigen Gehälter, Ren-ten und Sozialleistungen wurden gekürzt, Arbeitsplätze gestrichen, Steuern erhöht. Die Menschen kommen nach Deut-schland, weil die EU-Freizügigkeit ih-nen dies ermöglicht. Sie kommen auf der Suche nach Perspektiven: Das beinhaltet Arbeit, Bildung für ihre Kin-der oder die Aussicht auf ein Gehalt, von dem man leben kann. Sie kom-men auf der Suche nach besseren Lebens- und Arbeitsbedingungen.

Seit Bulgarien und Rumänien im Jahre 2007 der Europäischen Uni-on beigetreten sind, ist in vielen deutschen Städten ein wachsen-der Zuzug aus diesen Ländern zu beobachten. Eine dieser Städte ist Berlin. Ende 2014 lebten in Berlin 35.088 Personen aus Rumänien und Bulgarien (Stat. Landesamt Ber-lin-Brandenburg). Das sind knappdrei Mal so viele Menschen wie im Jahr 2007 (9.922). Aus einer zu-nächst saisonalen Migrationsbe-wegung ist eine kontinuierliche Zu-wanderung geworden.

Die meisten Menschen migrieren unauff ällig und integrieren sich hier schnell in die vorhandenen Struktu-

ren. Sie sind gut ausgebildet, lernen die deutsche Sprache als wichtigen Schritt des Ankommens und ihre Kinder gehen hier zur Schule. Sie sind gesuchte Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt.

Einige der südosteuropäischen Zu-wanderer allerdings leben in pre-kären Lebenssituationen und am äußersten Rand der Gesellschaft. Sprachbarrieren, mangelnder Kran-kenversicherungsschutz, fehlender Schulbesuch und Diskriminierungenbei der Wohnungs- und Arbeits-suche bestimmen ihren Alltag.

Die Mobile Anlaufstelle bietet ihnen Unterstützung im Integrationsprozess.

Gründung 1. Januar 1958:Belgien, Frankreich, Italien, Luxemburg,Niederlande, Bundesrepublik DeutschlandErweiterung 1. Januar 1973:Dänemark, Irland, Vereinigtes Königreich

Erweiterung 1. Januar 1981: Griechenland

Erweiterung 3. Oktober 1990: DDRErweiterung 1. Januar 1995: Schweden, Finnland, ÖsterreichErweiterung 1. Januar 2004: Estland, Lettland, Litauen,Polen, Slowakai, Slowenien, Tschechien, Ungarn, Zypern

Erweiterung 1. Januar 1986: Spanien, Portugal

Erweiterung 1. Januar 2007: Rumänien, BulgarienErweiterung 1. Januar 2013: Kroatien

Beitrittskandidaten

Zuwanderung ausRumänien und Bulgarien

• EU-Bürger und -Bürgerinnen,daher EU-freizügigkeitsberechtigt

• keine Visumspfl icht, kein Aufent-haltstitel, keine Arbeitserlaubnis notwendig

• kein Recht auf Asyl

Zuwanderung aus dem West-balkan (ehem. Jugoslawien)

• keine EU-Bürger und -Bürger-innen

• Kein Recht auf Asyl

• Diese Länder wurden zu siche-ren Herkunftsstaaten erklärt.

Zuwanderung aus Afrika, demNahen Osten und anderen Regionen

• keine EU-Bürger und -Bürgerin-nen, daher Recht auf Asyl

• Für das Asylverfahren ist der Staat zuständig, in dem der Migrant / die Migrantin erstmals in die EU einreist (Dublin II). Diese Regelung ist zur Zeit außer Kraft.

Camelia Craciun (23), seit Oktober 2014 in Berlin