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Rundbrief 1 99 ISSN 0940-8665 35. Jahrg./ Juni 99, DM 7,50 Nachbarschaftsheime, Bürgerzentren, Soziale Arbeit, Gemeinwesenarbeit VERBAND FÜR SOZIAL-KULTURELLE ARBEIT e.V. • Erfahrungen • Berichte • Stellungnahmen

Rundbrief 1-1999

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Vorwort von Eva Becker Aus den Einrichtungen Der Nachbarschaftsverein Kotti e.V., Berlin Frei-Zeit Haus e.V., Weißensee Nachbarschaftsheim Bockenheim e.V., Frankfurt Kommunaler Ortsverein "Treptow "90" e.V., Berlin Geburtstage/Jahrestage/Jubiläen 50 Jahre Nachbarschaftsheim Wuppertal 50 Jahre Nachbarschaftsheim Schöneberg e.V. Einladung zum Internationalen Bildungsseminar Participation - Inside and Outside Im Rahmen des Treffens der IFS-Europe-Gruppe 20 Jahre ufa-fabrik und 12 Jahre NUSZ, Berlin Magazin Bürgergesellschaft und Sozialstaat von Herbert Scherer Het Bun Dai Bun von Birgit Weber Handbuch für sozial-kulturelle Arbeit von Gudrun Israel "Wovon reden wir eigentlich?" Die Dimensionen des bürgerlichen Engagements von Reinhard Liebig Bürgerschaftliches Engagement als Jobkiller? von Amseln Meyer-Antz "Family life" in Bihor-Oradea, Rumänien von Renate Wilkening Quartiersmanagement - Gedanken zu einem neuen Wort von Miriam Ehbets

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Rundbrief 199

ISSN 0940-866535. Jahrg./ Juni 99, DM 7,50

Nachbarschaftsheime, Bürgerzentren, Soziale Arbeit,

Gemeinwesenarbeit

VERBAND FÜR SOZIAL-KULTURELLE

ARBEIT e.V.

• Erfahrungen• Berichte• Stellungnahmen

Der RUNDBRIEF wird herausgegeben vom VERBAND FÜR SOZIAL-KULTURELLE ARBEIT E.V.

Slabystr. 11, 50735 Köln Tel 0221 / 760 69 59

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Redaktion: Eva BeckerGestaltung: Both Grafik

Der RUNDBRIEF erscheint zweimal jährlichEinzelheft: DM 9,50 incl. Versandkosten

ISSN 0940-8665

Rundbrief 1/99 35. Jahrgang ________ Juni 1999

INHALTSVERZEICHNIS

VORWORTvon Eva Becker______________________________________________S. 1

AUS DEN EINRICHTUNGEN

Der Nachbarschaftsverein Kotti e.V., Berlin __________________S. 3

Frei-Zeit Haus e.V.,Weißensee_______________________________S. 4

Nachbarschaftsheim Bockenheim e.V., Frankfurt _____________S. 6

Kommunaler Ortsverein “Treptow ‘90” e.V., Berlin ___________S. 7

GEBURTSTAGE/JAHRESTAGE/JUBILÄEN

50 Jahre Nachbarschaftsheim Wuppertal __________________S. 10

50 Jahre Nachbarschaftsheim Schöneberg e.V.:Einladung zum Internationalen Bildungsseminar “Participation - Inside and Outside”im Rahmen des Treffens der IFS-Europa-Gruppe ____________S. 13

20 Jahre ufa-fabrik und 12 Jahre NUSZ, Berlin_____________S. 14

MAGAZIN _______________________________________________S. 15

Bürgergesellschaft und Sozialstaatvon Herbert Scherer

Het Bun Dai Bun von Birgit Weber

Handbuch für sozial-kulturelle Arbeitvon Gudrun Israel

“Wovon reden wir eigentlich?” Die Dimensionen des bürgerschaftlichen Engagementsvon Reinhard Liebig _________________________________________S. 20

Bürgerschaftliches Engagement als Jobkiller?von Anselm Meyer-Antz ______________________________________S. 30

“Family life” in Bihor-Oradea, Rumänienvon Renate Wilkening________________________________________S. 33

Quartiersmanagement - Gedanken zu einem neuen Wortvon Miriam Ehbets___________________________________________S. 34

REZENSIONEN__________________________________________S. 37

Titelfoto:Hans Georg Berger

CURRICULUM VITAEgeboren am 26.10.1951 in Trier,Studium Kunstgeschichte, Theaterwis-senschaft und Religionsphilosophie in München und Vermont/USA (StateUniversity). Von 1972 bis 1976 Autor, Schauspieler und Regisseurbei der Theatergruppe “Rote Rübe” inMünchen. 1976 Preis des KuratoriumsJunger Deutscher Film für das Dreh-buch “Menschenjäger”. Mitbegründerdes Münchner Theaterfestivals 1977;Leiter des Theaterfestivals von 1981bis 1983. Für die LandeshauptstadtMünchen Konzept für das Festivalzeitgenössischer Musik “MünchenerBiennale”, gemeinsam mit Hans Werner Henze (1985). Mit ArianeMnouchkine und Patrice Chércau Begründer der KünstlerorganisationAIDA. 1987 Publikation “Der ProzeßWei Jing Jen” (Rowohlt). Seit 1977kontinuierlicher Wiederaufbau einerfranziskanischen Einsiedelei auf derInsel Elba, die zu einem Ort künstleri-schen Schaffens und wissenschaftli-cher Studien geworden ist. Heraus-geber (seit 1989) des Jahreshefts“Quaderni di S.Caterina”. Seit 1989regelmäßige und ausgedehnte Auf-enthalte in Südostasien; SprachstudiumThai und Studium des Buddhismus;Fotoarbeit zur Semiotik der Mudrasin den Darstellungen des Buddhismus.Seit 1985 enge schriftstellerische undfotografische Zusammenarbeit mitHervé Guibert und Bernard Faucon.1990 Aufnahme in die Pariser Foto-grafenagentur “Vu”. Im Juli 1992 Einzelausstellung bei den RencontresInternationales de la Photographie“Les Européennes” in Arles; Ankaufder Ausstellung “Dialogue d’ Images”durch die Association Francaise d’Action Artistique des französischenAußenministeriums. 1993 Einzelaus-stellung im Penrose Institute for Con-temporary Arts in Tokyo. 1994 -1996 Projekt “Het Bun Dai Bun” übertraditionelle Pagodenfeste und dasklösterliche Leben in Luang Prabang(Laos) in Zusammenarbeit mit demAuswärtigen Amt der BundesrepublikDeutschland und der laotischen Re-gierung. 1997 Gründung eines Bota-nischen Gartens zur Erforschung undBewahrung der Biodiversität derFlora der Insel Elba, in Zusammen-arbeit mit der Universität Pisa.

VERBAND FÜR SOZIAL-KULTURELLE ARBEIT Rundbrief 199 1

VORWORT

Liebe Leserinnen und Leser,

in der Rubrik ‘Aus den Einrich-tungen’ erfahren Sie dieses MalWissenswertes von verschiede-nen Nachbarschaftshäusern, ihrer alltäglichen Arbeit, aberauch von neuen, interessantenProjekten etc.

Herzliche Glückwünscheschicken wir all jenen Einrichtun-gen, die in 1999 einen rundenGeburtstag feier(te)n und natür-lich auch an all die nicht-rundenGeburtstagskinder bzw. -häuser.

Im Magazin, unserer schon lange bestehenden Rubrik,möchte ich besonders auf die sozialpolitische Tagung des Verbandes in Zusammenarbeit

mit der Paritätischen Akademiein Berlin hinweisen, die vom 14. - 16. November 1999 inBerlin stattfindet.

Ein Projekt in Laos ‘Het Bun DaiBun - Rituale einer glücklichenStadt’ -nimmt uns mit in die Fer-ne und zeigt uns eine fremde Lebensweise, in der wir unsselbst und unsere Sehnsüchtewiedererkennen können.

Im Handbuch für sozial-kulturelleArbeit (das wir Ihnen hier vor-stellen), können Sie Interessanteszur sozial-kulturellen Arbeit er-fahren.

Die abschliessenden Artikel waren dann wieder so indivi-duell, dass wir sie nicht in einebestimmte Rubrik hineinquet-schen wollten.

Für die vielen interessanten Artikel wollen wir uns nochmalsherzlich bei den AutorInnen be-danken und wünschen uns vonSeiten der LeserInnen viel Inter-esse und Spass beim Lesen.

Eva Becker

Aus denEinrichtungen

2 VERBAND FÜR SOZIAL-KULTURELLE ARBEIT Rundbrief 199

Ein Tag ohne

Lächeln ist ein

verlorener Tag.

Charlie Chaplin

Aus den Einrichtungen

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Nachbarschaftsverein Kotti e. V.

Der Kreuzberger Nachbarschaftsver-ein “Kotti e. V.” will mit einem speziellenSchwangerschaftsprojekt für türkischeFrauen Barrieren überwinden und Ver-trauen schaffen. Ein Netzwerk soll diemedizinische Versorgung gewährleisten.

In Berlin bringen bedeutend mehr Migrantinnen tote Kinder zur Welt alsdeutsche Frauen. Das ist das Ergebnis einer Gesundheitsuntersuchung, die vonverschiedenen Bezirken in Auftrag gege-ben wurde. Auf einer Pressekonferenz machte der Kreuzberger Nachbarschafts-verein “Kotti e.V.” auf die Probleme vonschwangeren Migrantinnen aufmerksam:Während auf 1.000 lebend geboreneKinder 2,9 Totgeburten von deutschenMüttern kommen, liegt die Quote bei Migrantinnen bei 4,2.

“Das sind fast doppelt so viele Totge-borene wie von deutschen Eltern”, sagtMonika Wagner vom Kotti e.V. Ein weite-res Ergebnis der Studie ist, dass 20 bis30 Prozent Migrantinnen-kinder mit er-heblichem Untergewicht zur Welt kom-men.

Die Ursachen dafür sieht Ingrid Pa-pies-Winkler von der “Plan- und LeitstelleGesundheit” des Kreuzberger Bezirksam-tes in der fehlenden Information bei dermedizinischen Versorgung von schwange-ren Migrantinnen. “Aufgrund erheblicherSprachbarrieren fühlen sich ausländischeFrauen oft unverstanden, ihre Problemewerden schlichtweg nicht wahrgenom-men”, so Papies-Winkler. Dies führedazu, das Angebote für Schwanger-schaftsuntersuchungen nicht angenommenoder Medikamente falsch eingenommenwürden. Durch die Arbeit in der Schwer-industrie oder als Reinigungskräfte im

Schichtbetrieb ergeben sich nach Anga-ben der Gesundheitsamts-Mitarbeiterinhäufig Probleme. Der Gang zum Arzt un-terbleibe aufgrund des fehlenden Vertrau-ens.

Nun will der Kotti e. V. speziell türki-schen Frauen mit einem auf sie zuge-schnittenen Programm “Rund um dieSchwangerschaft” helfen. Geplant sindzunächst Gruppentreffen. Aber auch Ein-zelgespräche sollen möglich sein. In Ko-operation mit Kreuzberger Kinderärzten,Gynäkologen, Krankenhäusern und sozia-len Projekten sollen Vorträge und Kurse zuden Themen Geburt, frühkindliche Ent-wicklung und Familienplanung angebotenwerden. Bei Bedarf soll auch Schwanger-schaftsgymnastik möglich sein. Von denjährlich 2.000 Geburten in Kreuzbergsind über die Hälfte Kinder von Migrantin-nen, in der Mehrzahl türkische Frauen.

“Die Frauen sollen aktiv an der Veran-staltungsplanung der Schwangerschaftsbe-ratung teilnehmen”, erklärte gestern Moni-ka Wagner. Damit dies möglich wird, sollein Großteil der Beratungen in türkischerSprache angeboten werden. Auch Vätersind herzlich willkommen. Doch da be-

fürchtet die Projektleiterin Canije Serifova-Wichterich Probleme: ”Viele türkische Vä-ter möchten sich lieber mit Männern überihre Probleme unterhalten”, sagt sie. Des-halb gebe es die Überlegung, zusätzlicheinen männlichen Berater heranzuziehen.Das Projekt wird zunächst für drei Jahremit Mitteln aus der Jugend- und Familien-stiftung des Landes Berlin gefördert. Pro-jektleiterin Canije Serifova-Wichterichmöchte “eine Brücke schlagen zwischenÄrzten, Hebammen und Krankenhäu-sern”. Alle Informationen sollen aus einerHand stammen.

Mini Ayaz ist eine der Frauen, an diesich das Angebot richtet. In wenigen Mo-naten wird die 29jährige ihr drittes Kindzur Welt bringen. Die Türkin, die nur we-nig Deutsch spricht, begründet ihr Interes-se an dem Projekt so: “Ich möchte vor allem Erziehungsfragen diskutieren undmich mit anderen Frauen austauschen.”Die Gruppe trifft sich jeden Dienstag von10 Uhr bis 12 Uhr im Familiengarten desKotti e. V. in der Oranienstraße 34.

Weitere Informationen: Kotti e.V.,Tel.: 030 - 6157991

(TAZ vom 3/3/99)

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Aus den Einrichtungen

Frei-Zeit Haus e.V.,Weißensee

Ein Familienbereichentsteht

von Kirsten Dietrich

Keramikwerkstatt von den dort arbeitendenacht Gruppen selbstverwaltet. Die Mitarbei-ter sind nur noch dazu da, die Aktivitätender Keramikgruppen organisatorisch zu un-terstützen und an regelmäßig stattfindenden„Werkstatttreffen“ teilzunehmen, bei denendie Gruppen alle notwendigen Absprachenunter sich und mit dem Haus treffen.

Das war die Vorgeschichte. Die Mütterdieser ersten selbstorganisierten Keramik-gruppe äußerten das Bedürfnis, sich auchtagsüber im Haus betätigen zu wollen. Siebestätigten mir, daß es in Weißensee kaumMöglichkeiten gäbe, sich mit anderen Elternmit kleinen Kindern zu treffen. Auch gäbe eskeinen Ort, wo sich Mütter kreativ betätigenund ihr Kind einfach mitbringen könnten.Der Bedarf von Seiten der Mütter sei alsoda. Ich meinerseits startete eine Analyse inbezug auf Familienangebote im Bezirk undbefragte alle in Frage kommenden Einrich-tungen. Es stellte sich auch auf diesemWege heraus, daß das Angebot gering, derBedarf aber groß ist. Daraufhin erarbeiteteich zusammen mit Jana Rieger ein Konzeptfür einen Familienbereich im Frei-Zeit-Hausund wir verfaßten das eingangs erwähntePlakat. Dieser Prozeß brachte schwerwie-gende strukturelle Veränderungen mit sich:

• Innerhalb meiner Stelle als pädagogi-sche Mitarbeiterin verschoben sich meineAufgaben von recht schwammigen, wie„jüngere Menschen fürs Haus interessie-ren“, Nachbarschaftsarbeit, Betreuung Eh-renamtlicher, Mitorganisation von Festenetc. auf den einen klaren Aufgabenbereich„Familienarbeit“, nebst weiterhin bestehen-der Aufgaben wie z.B. der Basisberatung.

en von Anfang an die Möglichkeit, mitzuma-chen, ihre Ideen und Vorstellungen miteinzu-bringen und an der Entstehung des Familien-bereichs mitzuarbeiten. Nach dem Prinzip„Wir bieten den Raum für die Verwirkli-chung Eurer Ideen“ hängten wir überall imBezirk Plakate mit folgendem Text auf: „Wirsuchen Menschen mit Ideen und Tatkraft, dieInteresse haben, im Nachbarschaftshaus ei-nen Familienbereich mitaufzubauen“.

Um allerdings die Entstehungsgeschichtedes Familienbereichs des Frei-Zeit-Hausesvollständig zu schreiben, muß ich noch eini-ge Zeit vor dem Beginn der Familienarbeitanfangen. Eines Tages kam eine Mutter mitihrer zweijährigen Tochter zu uns ins Hausmit der Anfrage, ob es möglich wäre, miteiner Gruppe von Müttern abends in derWerkstatt zu töpfern. Diese Mutter, JanaRieger, traf mit ihrer harmlosen Frage mittenins Schwarze der aktuellen Problematik desFrei-Zeit-Hauses: Es ging um die Verände-rung von einem Seniorentreffpunkt aussch-ließlich für Vereinsmitglieder und „Gäste“hin zu einem Nachbarschaftshaus, offen füralle Bürger des Stadtteils. Daß die Förder-gelder des Senats für letzteres fließen, mußan dieser Stelle nicht erklärt werden. Janaund die anderen Mütter brachten mit ihremAnliegen einen Stein ins Rollen: Da kamendoch tatsächlich plötzlich Bürger ins Haus,die selbst etwas aufbauen wollten, die jen-seits von jeglichem pädagogischem An-die-Hand-Nehmen selbstverantwortlich ihre In-teressen in die eigenen Hände nehmenwollten. Diese Eigeninitiative brach die al-ten hierarchischen Strukturen auf und stelltesie grundsätzlich in Frage. Heute wird die

Willst Du ein Schiff bauen,rufe nicht die Menschen zusammen,um Pläne zu machen, die Arbeit zu

verteilen,Werkzeuge zu holen und Holz zu

schlagen,sondern lehre sie die Sehnsucht

nach dem großen, endlosen Meer!

Antoine de St. Exupéry

Ich erinnere mich noch gut an ein Treffender Familien-AG des Verbands für sozial-kulturelle Arbeit bei uns im Frei-Zeit-HausWeißensee, bei dem es um das Thema „El-ternaktivierung“ ging. Die Mitarbeiterin ei-nes Nachbarschaftshauses aus dem We-sten von Berlin vertrat vehement die An-sicht, daß die Eltern in ihrem Bezirk nichtdas Bedürfnis haben, sich ehrenamtlich zuengagieren. Sie müsse das so hinnehmen.Schließlich könne sie die Eltern nicht zu et-was zwingen, was sie nicht wollen. DieseKollegin hat offensichtlich resigniert. Abertrotz aller Schwierigkeiten ist und bleibt dieHauptaufgabe von Nachbarschaftszentrendie Förderung von bürgerschaftlichem En-gagement und Selbsthilfe! Anstatt aufzuge-ben und zu resignieren müssen wir Mitar-beiter der Nachbarschaftshäuser uns dieserAufgabe stellen und ständig nach neuenWegen suchen, Engagement und Eigeni-nitiative der Bürger zu fördern.

Den Raum für Engagement eröffnen- das Haus öffnen

Als wir mit der Familienarbeit im Frei-Zeit-Haus begannen, boten wir den Famili-

und frühstückt und nicht isoliert alleine zuHause mit seinem Kind sein will, als einMutter-Kind-Frühstück zu organisieren? Da-mit die Mütter (und meistens sind es Mütter)aktiv werden können, brauchen sie aller-dings nicht nur den Raum und damit dieMöglichkeit, sich zu engagieren, sondernsie müssen sich in diesem Raum auch wohl-fühlen. Um das zu gewährleisten, müsseneinige Bedingungen erfüllt werden:

• Die Verantwortung, die die Mütterübernehmen, darf sie nicht überfordern.

• Sie müssen von den Mitarbeitern desNachbarschaftshauses organisatorisch un-terstützt werden.

• Sie müssen emotional unterstützt wer-den, z.B. aufgemuntert werden, sollte malan einem Tag niemand zu ihrer Gruppe,ihrem Mutter-Kind-Frühstück oder ihrer Ver-anstaltung kommen.

• Sie müssen zu der verantwortlichenMitarbeiterin eine vertrauensvolle Bezie-hung aufgebaut haben.

• Sie brauchen die Sicherheit, daß siemit ihrem Projekt nicht alleingelassen wer-den. Denn wir dürfen nicht vergessen, daßman Mut braucht, um etwas eigenes auf dieBeine zu stellen.

• Die größte Bestätigung ist nicht dasLob der Mitarbeiter oder des Vorstands,sondern wenn ihr Projekt von anderen an-genommen wird.

Die Bürger des Stadtteils zu Engage-ment zu motivieren, ist also möglich. Viel-leicht sollten in anderen Nachbarschaftsein-richtungen die Strategien zur Förderung vonEngagement überprüft werden. Vielleichtsollten sich die Mitarbeiter ehrlich fragen:Will ich wirklich, daß sich Menschen enga-gieren? Denn es kann sein, daß das wasdie Menschen an Ideen und Eigeninitiativemitbringen meinen Vorstellungen wider-spricht, und das bringt Unruhe und Verän-derung mit sich. Doch ein Nachbarschafts-haus muß flexibel auf die sich änderndenBedürfnisse der Menschen im Bezirk einge-hen. Und nicht nur das Haus, sondern auchdie ehren- und hauptamtlichen Mitarbeitermüssen offen sein für neue Menschen undfür das, was diese Menschen mitbringen

VERBAND FÜR SOZIAL-KULTURELLE ARBEIT Rundbrief 199 5

• Es mußte ein Raum des Frei-Zeit-Hau-ses auf die Familienarbeit festgelegt wer-den, d.h. ausgestattet werden mit Teppich,Spielzeug, Kinderbüchern etc.

• Wir beschlossen, für diesen neuenBereich ein eigenes Programm herauszuge-ben, da unsere Vorstellungen von Gestal-tung und Inhalt nicht mit denen des re-gulären Programms zusammenpaßten, undwir mit einem eigenen Programm gezielterwerben konnten.

• Die Feste des gesamten Hauses muß-ten ab sofort als Feste für alle Altersgruppen(für die ganze Familie) konzipiert und reali-siert werden

• Dieser Prozeß, getragen von den Mit-arbeitern, den Müttern und nur einigen we-nigen aktiven Vereinsmitgliedern, führte zuaufreibenden Konflikten mit dem größtenTeil der Vereinsmitglieder und dem Vor-stand. Die Senioren, die bislang die Ge-schicke des Hauses und des Vereins be-stimmt haben, fühlten sich verdrängt, über-gangen und in ihren Besitzansprüchen an-gegriffen. Trotz allem führten wir die Arbeitfort. Mit der Hilfe von einigen Müttern ent-wickelten wir unser erstes Familien-Pro-gramm für die Monate März/April ‘98.

Wir verfolgten (und verfolgen) dabeiden Ansatz, mehrere Arten von Gruppen,Kursen und Veranstaltungen anzubieten,die den Nutzern unterschiedliche Zugängezum Haus ermöglichen. Nach dem Prinzipder „Zürcher Treppe“ kann man an den Ak-tivitäten des Hauses teilnehmen, man kannmithelfen oder auch eigenverantwortlich ak-tiv werden. Die Gruppen und Kurse teilensich auf in:

• angeleitete Kurse über einen festge-legten Zeitraum

• wöchentliche angeleitete offeneGruppen

• selbstorganisierte Gruppen.Ein weiteres Grundprinzip unserer Ar-

beit besteht darin, Menschen zu motiviereneigene Fähigkeiten und Kenntnisse an ande-re weiterzugeben und voneinander zu ler-nen. Die meisten Gruppen werden von Müt-tern geleitet, die bei uns eine Chance be-kommen, eigene Kenntnisse weiterzuvermit-teln. Soweit sinnvoll und möglich, werdendie Gruppen mit Kinderbetreuung angebo-ten. So haben die teilnehmenden MütterGelegenheit, etwas Neues zu lernen undsich kreativ zu betätigen, und sie könnenihre Kinder einfach mitbringen. Beispielhafthierfür sind zwei wöchentlich vormittagsstattfindende Gruppen: Zum einen die offe-ne Werkstatt montags, in der die Mütter

verschiedene handwerkliche Fertigkeitenkennenlernen können, z.B. Puppen selbernähen, Filzen, Kinderbekleidung nähen,Spinnen. Zum anderen die Keramikwerk-statt, die donnerstags stattfindet.

Engagement möglich machenAlle zwei Monate veranstalten wir ein

Familienforum: Ein Treffen, wo Ideen vorge-bracht und besprochen werden können, womanchmal überhaupt erst Ideen entstehen,wo engagierte Mütter und andere sich überihre Aktivitäten im Haus austauschen undnach Unterstützern suchen können, wo Vor-schläge, Wünsche und Anregungen zurweiteren inhaltlichen Gestaltung des Famili-enbereichs besprochen werden. Nahmenam ersten Treffen nur drei Mütter teil, so ka-men zum zweiten Treffen bereits 16 Mütter.Aus diesem Forum sind dann eine Reihevon neuen Initiativen hervorgegangen, diez.Z. umgesetzt werden:

• eine Elternbibliothek• ein Mutter-Kind-Frühstück, das alle

zwei Wochen stattfindet und sich bereitsgrößter Beliebtheit erfreut

• eine Kinderbekleidungs-Börse, fastschon ein kleiner Laden, wo Eltern jedenMittwoch Kinderbekleidung und -spielzeugabgeben und andere Dinge mitnehmen kön-nen

• eine Eltern-Kind-Gruppe für 1- bis2jährige

• eine Eltern-Kind-Gruppe für 3- bis4jährige

• ein Wunschoma-DienstNach diesem zweiten Forum fühlte ich

mich nochmals in meiner Ansicht bestätigt,

daß Mütter tatsächlich bereit sind, sich fürsich und andere zu engagieren. Ja, es be-steht sogar ein dringender Bedarf an Räu-men für Mütter, in denen sie sich treffen undaustauschen und aktiv werden können.Denn was liegt näher, wenn man einenHaufen Kinderkleidung zu Hause imSchrank hat und kein Second-Hand-Landendaran interessiert ist, als selbst eine Second-Hand-Börse aufzubauen? Was liegt näher,wenn man gerne mit anderen Müttern klönt

Nachbarschaftsheim Bockenhein e.V.

MädchenhomepageEin Innovationsprojekt des Mädchen-

büros des Nachbarschaftsheims Bocken-heim e.V.

Die Ideezu einer Mädchenhomepage entstand im

Mädchenbüro des NachbarschaftsheimsBockenheim e.V., das seit 1997 mädchenspe-zifische Kurs- und Gruppenangebote anbietet.Die ersten kreativen Versuche mit dem Compu-ter weckten den Wunsch, sich mit dem neuenKommunikationsmedium intensiver zu befas-sen. Chancen und Möglichkeiten, das Internetfür die Mädchenarbeit einzusetzen wurdenformuliert. Die Idee entstand, eine virtuelleMädchenzeitung zu gestalten, das Mädchendie Möglichkeiten eröffnet, ihre Lebensweltaus ihrer Sicht darzustellen.

Warum Mädchenhomepage?Mädchen und junge Frauen werden im

Zeitalter von Multimedia mit dem Vorurteilkonfrontiert, daß sie technikdistanziert seienund sich nur zaghaft mit den neuen Techno-logien auseinandersetzten. Das stimmt sonicht!

Mädchen und junge Frauen haben auf-grund ihrer sozialisationsbedingten Kompe-tenzen eigene Denk- und Handlungsstileentwickelt. Mädchen zeigen ein großes In-teresse und Neugier an der Technik. Siebenötigen jedoch einen Raum, in demweibliche Technikkompetenz und Technik-auseinandersetzung wachsen kann:

eine Mädchenhomepage, von Mädchenfür Mädchen!

Wunsch und WirklichkeitWährend der Wunsch immer mehr an

Form und Gestalt zunahm, wuchs das Fra-gezeichen der Umsetzung. Wichtige Ent-

scheidungen mußten getroffen werden, dieden Wunschgedanken immer mehr in dasLicht der Realität rückten. Woher sollte mandas Geld für eine Computeranlage beschaf-fen? Welche technische Ausstattungbenötigt das Projekt? In welchen Räumensoll der Computerraum angesiedelt werden,ohne daß er ungebetene Gäste zum Eintre-ten auffordert?

Ein glücklicher Zufall bescherte demVerein die Möglichkeit, sich an der Aus-schreibung der Stadt Frankfurt a.M. “Förde-rung von innovativen Projekten” zu beteili-gen. Somit waren die Geldnöte teilweisebehoben und die Phase der technischenAuseinandersetzung begann. “Provider,User, Surfer, Netzwerkumgebung, seriellerZugang, etc.”, dies waren Begriffe, die dasProjekt in den nächsten Monaten bestimmensollten. Mit Hilfe von kompetenten und en-gagierten Frauen, die Spaß und Kreativitätbesitzen, sich in das neue Medium hinein-zugeben, wurde die technische Umset-zungsphase zu einer intensiven Kommunika-tionphase, woraus mittlerweile einige Ar-beitsgruppen entstanden sind.

Teilnehmerinnen für das Projekt wurdenschnell gefunden. Das Interesse war größerals erwartet. Somit formierte sich eine Grup-pe von Mädchen im Alter von 12-14 Jah-ren, die mit viel Spaß, Kreativität und tech-nischer Ausdauer ihre virtuelle Mädchenzei-tung gestalten.

Die Geburt des Projekts konnte nur mitHilfe von vielen engagierten Personen zu-stande kommen. Vor allem durch die regeUnterstützung des Vereinsvorstandes unddes Geschäftsführers, die das Risiko einge-gangen sind, das Projekt zu realisieren.

Die StrukturDie Struktur der Mädchenhomepage

gliedert sich in zwei Bereiche: • Informationsbörse• Hintergrundinformation

Der Bereich der Informationsbörse glie-dert sich in unterschiedliche Rubriken, wiez.B. Veranstaltungskalender, Musik, etc.Sie werden von den Teilnehmerinnen aus-gesucht.

Der Bereich der Hintergrundinformationbietet den Teilnehmerinnen die Chance,sich zu Themen, wie z.B. Politik, Stellung zubeziehen. Sie haben jedoch auch hier dieMöglichkeit, über ihre Erlebnisse und Erfah-rungen zu berichten, wie z.B. Klassenfahr-ten, Schüleraustausch etc.

Wie geht es weiter?Alle Teilnehmerinnen haben den

Wunsch formuliert, die Teilergebnisse ihresProjektes der Öffentlichkeit vorzustellen.Dies wird wohl im September geschehen.Die weitere Frage, die sich für das Projektim Laufe der Umsetzungsphase gestellt hat,ist: Wie lassen sich die laufenden Kostendes Internetprojekts finanzieren?

Hierzu sind wir auf private Sponsorenangewiesen, damit das Projekt und alleweiteren Ideen auf festen Füßen stehen kön-nen.

Weitere Informationenzur Mädchenhomepage erhält man beim:

Nachbarschaftsheim Bockenheim e.V.MädchenbüroRohmerplatz 1560486 Frankfurt a.MTel.: 069 - 77 40 40Fax. 069 – 70 52 62Email: [email protected]

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Aus den Einrichtungen

VERBAND FÜR SOZIAL-KULTURELLE ARBEIT Rundbrief 199 7

“Ich bin das Nachbarschaftsheim “PaulRobeson” , unter alten Hasen auch “Robe-son-Club” genannt, und aus dem ehemali-gen Wohngebietsklub und Vereinsheimhervorgegangen. Ich stehe im Stadtteil Alt-Treptow - unmittelbar an den ehemaligenGrenzen und heutigen Brücken zu denNachbarbezirken Neukölln und Kreuzberg.Ich bin ein gartenhausähnlicher Flachbauinmitten eines in den letzten 30 Jahrenlangsam gewachsenes Wohngebietes miteiner überwiegenden Altersstruktur derüber 55jährigen. Ich bestehe aus drei Räu-men: Einem Veranstaltungsraum mit kleinerBühne, einem Lesecafe mit integrierterKüche und einem Büro-und Beratungsraum.

Seit 1993 werde ich über die Senats-verwaltung für Gesundheit und Soziales ge-fördert.

Mein Träger ist der Kommunale Ortsver-ein “Treptow’90” e.V. Er wurde im Juni1990 aus einer Bürgerinitiative des Trepto-wer Runden Tisches gegründet, um für diedemokratischen Rechte und sozialen Inter-essen der BürgerInnen einzutreten. DerKommunale Ortsverein “Treptow’90” e.V.ist Mitglied im Verband für sozial-kulturelleArbeit e.V.

Zu mir kommen Leute, die aktiv seinwollen. Deswegen verstehe ich mich auchals eine Stätte der Begegnung, Kommuni-kation und Eigeninitiative.

Und das geht am Montagmorgen schonso richtig los bei mir. Da werden die Tischezur Seite gerückt, die Stühle in Reihen aufge-stellt und um 10.30 Uhr treffen sich ca. 15SeniorInnen zwischen 60 und 90 Jahren zurStuhlgymnastik. Mit viel Spaß und guter Lau-ne wird nun eine Stunde der Körper durch-trainiert. Danach haben alle den richtigenAppetit, um am Mittagstisch teilzunehmen.Den gibt es nämlich bei mir immer von Mon-tag bis Freitag zwischen 12.00 und 13.30Uhr. Am Nachmittag kommt dann die 2.Gruppe der SeniorInnen zur Stuhlgymnastik.Die sind auch topfit und haben viel Spaß ander sportlichen Betätigung.

Der Montagabend wird von verschiede-nen Gruppen in eigener Verantwortung ge-staltet. Da trifft sich zum Beispiel die Haus-gemeinschaft für Informationen in Vorberei-tung von Sanierungsarbeiten oder ein be-nachbarter Verein zur Durchführung seinerVersammlung.

Am Dienstagvormittag steht meine Türoffen für die kleinen Besucher. Sie sindzwischen 2 und 6 Jahre alt und kommen zumir um zu basteln. Dieses Angebot richtetsich an die vielen Kitas in Treptow,Neukölln und Kreuzberg aber auch an dieMuttis mit Kindern in der Nachbarschaft.Dabei habe ich mich mit dem VereinSchutzhülle e.V. im Atelier kunterbunD zu-sammengeschlossen. In meinem Umfeld ist

der Bedarf der Kitas zum Basteln da undder Verein Schutzhülle sichert die fachlicheAnleitung der Bastelstunde ab. Das klapptprima !

Am Nachmittag können dann dieGroßen bei mir basteln. Das ist was fürkreative Leute, die Spaß am Entdecken alteroder neuer Handarbeitstechniken haben.Nebenbei kann man sich unterhalten und

Aus den Einrichtungen

KommunalerOrtsverein

„Treptow ‘90““Guten Tag !

Sie gestatten,daß ich michvorstelle ?”

so manches persönliche Problem bereden.. Der Dienstagabend wird 1x im Monat

von der Arbeitsgruppe Kiezentwicklung ge-staltet. Sie beschäftigen sich mit Bürgeran-liegen, wie Mietengestaltung und Wohn-probleme, Sicherheit auf den Strassen(Schulwegsicherung für Kinder) und mit derEntwicklung des Baugeschehens im Stadt-teil. Hier können und sollen interessierteAnwohner mitarbeiten und ihre Probleme,Forderungen und Rechte durchsetzen, mitVerantwortungsträgern ins Gespräch kom-men und sich somit aktiv an den Entwick-lungsprozessen im Stadtteil beteiligen. 2 xim Jahr organisiert diese Arbeitsgruppegroße öffentliche Veranstaltungen für dieStadtteilbewohner wo kompetente Informa-tionsträger eingeladen werden, die denBürgern Rede und Antwort stehen. Leiderpassen bei mir nicht so viele Leute rein unddeswegen kooperieren wir immer mit dengrößeren Einrichtungen im Stadtteil unddann klappt das.

Am Mittwoch stehen meine Türen insbe-sondere für Rat-und Hilfesuchende offen.Aber auch wer bei mir nur so verweilenmöchte, ist herzlich willkommen und `neTasse Kaffee gibt es noch dazu. Ich habeauch eine kleine Bibliothek in der manschmökern oder sich auch ein Buch auslei-hen kann. Am Nachmittag kann man sichbei mir 1 x im Monat zu allen Fragen überdie Rente beraten lassen.

Der Mittwochabend wird regelmäßigdurch die Arbeitsgruppe Fitness gestaltet.Ab 17.00 Uhr treffen sich 2 Gruppen mitje ca. 8 Teilnehmern, zumeist Frauen im Al-ter zwischen 20 und 60 Jahren, die dieStühle und Tische wegräumen und dann

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nach flotter Musik ihren Körper in Schwungbringen. Danach bleiben aber alle noch zu-sammen für anregende Gespräche aberauch für Kummer und Sorgen.

Am Donnerstag findet immer ein buntesNachmittagsprogramm bei mir statt. DieseProgramme richten sich nach den Wün-schen und Bedürfnissen der Besucher. Dagibt es Tanznachmittage, Buchvorlesungen,Gesundheitsvorträge, Kabarettprogramme,gemeinsames Singen, Gesellschaftsspie-lenachmittage, Lichtbildervorträge u.v.m.Da kommen so ca. 20-25 Besucher, zumeistAlleinstehende und Rentner, die bei Kaffeeund Kuchen auch selbst für viel Unterhal-tung sorgen. Am Abend treffen sich Ju-gendliche bei mir. Dafür ist die Arbeitsgrup-pe Kieztreff verantwortlich. Das ist ein offe-ner Gesellschaftsspiele-und Gesprächskreis.Da heißt es dann oft: “Mensch ärgere dichnicht !” oder “Das Nilperd in der Achter-bahn”!

Der Freitag wird abwechselnd vonSchülern und Junggebliebenen genutzt. Dawird bei heißer Discomusik oder bei Super-Oldie-Musik das Tanzbein geschwungen.

Am Wochenende werde ich zum einenzur eigenverantwortlichen Nutzung an Fa-milien, Vereine oder Interessengruppenübergeben oder mein Träger veranstaltetTage der offenen Tür, Hoffeste oder andereVereinsaktivitäten. In den letzten 6 Jahrenbin ich so zu einer begehrten Adresse inTreptow geworden und habe meinen festenPlatz im Kiezgeschehen. Wenn Sie, lieberLeser oder liebe Leserin, jetzt neugierig aufmich geworden sind, dann sollten Sie ruhigmal einen Besuch bei mir einplanen. Ichfreue mich auf Sie.”

Vereinaktivitätenam Nachmittag

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GeburtstageJubiläen

Jahrestage

Achten die Men-

schen sich selbst,

so achten sie

gewöhnlich auch

die fremde

Persönlichkeit.

Samuel Smiles

Nachbarschaftsheim Wuppertal

Festaktes 50 Jahre Nachbarschaftsheim

Wuppertal e. V. am 22. April 1999

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Geburtstage/Jubiläen/Jahrestage

Rede der Vereinsvorsitzenden Frau Christina Rogusch

Sehr geehrte Frau Bürgermeisterin,

meine Damen und Herren,liebe Freundinnen und

Freunde,

seien Sie herzlich wilkommen an diesem50. Geburtstag des Nachbarschaftsheimesin Wuppertal. Ich freue mich, daß Sie heuteso zahlreich gekommen sind, um mit unsdiesen Tag gemeinsam zu feiern. Besondersbegrüße ich Frau Bürgermeisterin Wohlertin unseren Reihen. Ich freue mich um somehr, daß Sie alle hier sind, weil es einensolchen Tag wie heute - zumindest gemäßeinem alten Lehrsatz der Sozialarbeit - ei-gentlich gar nicht geben dürfte.

Dieser Lehrsatz, der schon viele in derSozialarbeit tätige Menschen belastet hatlautet: “Sozialarbeit ist dann gelungen, wenn

sie am Ende selberüberflüssig gewordenist.” So oder ähnlichwurde und wird dieseMaxime in Theorieund Praxis immer wie-der verkündet. Sooder ähnlich hat ernoch nie funktioniert.Der Satz kann auchnicht wahr werden,weil er zutiefst falschist. Dies gilt zumindesdann, wenn es sichum eine gemeinwese-norientierte Arbeithandelt, wie das beimNachbarschaftsheim

seit nunmehr 50 Jahren der Fall ist.

Bevor ich darauf näher eingehe, erlaubenSie mir einige einleitende Worte. Ich werdein meiner kleinen Rede auf Schilderungen ausder Vergangenheit verzichten. Dafür sind an-dere Menschen hier - die auch noch zu Wortkommen - viel besser geeignet als ich. Zu die-sem Zweck haben wir außerdem für Sie einhistorisches Leporello mit alten und neuerenFotos zusammengestellt. Ein Foto sagt be-kanntlich ja oft mehr als hundert Worte.

Dankbar empfinde ich, daß ich heute,wenn ich hier als Vorsitzende des Nachbar

Frau Christina Ro-gusch, Vereinsvor-sitzende, bei ihrerhier abgedruckten

Rede anlässlichdes 50jährigen Be-stehens des Nach-

barschaftsheimsWuppertal e.V.

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schaftsheimes zu Ihnen spreche, Menschenaus 50 Jahren ehrenamtlicher und hauptbe-ruflicher Arbeit hinter mir weiß. Viele vonIhnen sind heute hier, viele kennen wirnicht mehr, einige sind verstorben. Ihnenallen aber danke ich für Ihren Mut, IhrenEinsatz, Ihre Ideen und Ihren Weitblick.Ohne Sie wären wir heute nicht hier.

In den kommenden Minuten möchte ichmich ein wenig mit dem eben zitierten Klas-siker der Sozialarbeit und der Zukunft desNachbarschaftsheimes beschäftigen

“Sozialarbeit ist also dann gelungen,wenn sie am Ende selber überflüssig ge-worden ist.”

Warum halte ich den Satz für falsch?Sicher, ich will nicht bestreiten, daß er fürgewisse Kriseninterventionen oder Einzel-fallarbeit (wozu auch eine ganze Familiezählen kann) durchaus zutrifft. Auch plädie-re ich nicht für einen statischen Zustand,nach dem Motto, so oder das haben wirschon immer gemacht, das soll auch sobleiben. Falsch ist der Satz jedoch in derGemeinwesenarbeit. Die Arbeit in und fürein Gemeinwesen, in diesem Falle Osters-baum und Nordstadt, endet nie - es seidenn, das Gemeinwesen würde sich auflö-sen. Niemand käme auf die Idee, der Sinneines Gemeinwesens bestände darin, sichselber überflüssig zu machen

Gute Gemeinwesenarbeit mißt sich dar-an, daß sie zum Wohle der Bewohner undBewohnerinnen eines Stadtteiles, einerStadt beiträgt, ihnen dabei hilft, Konflikteselber zu regeln und mit ihren Potentialenzu arbeiten. Dabei verzichten die Gemein-wesenarbeiterInnen darauf, für die Men-schen zu definieren, was denn ein “gutes”oder ein “besseres” Leben sei. Das machendie Menschen selbst in einem mühsamenAushandlungsprozeß untereinander. Nundürfen wir uns das nicht so vorstellen, daßsich diese Menschen treffen und miteinan-der diskutieren - auch wenn das natürlichschon mal vorkommt.

Nein, dieser Einigungsprozeß findet invielen Fomen statt. Einzelgespräche, Bürger-versammlungen, Demonstrationen, Beset-zung einzelner Platzteile duch Präsenz, Gra-fitti an den Wänden, Polizeieinsätze, Abwe-senheit, Verweigerung und stiller Rückzug.Duch alle diese Mittel definieren die Bürge-rInnen in einem Stadtteil, wie sie leben wol-len, was sie noch tolerieren und was nicht.Es handelt sich dabei immer um Verteilungs-kämpfe von Menschen, Institutionen, Natio-nalitäten, Altersgruppen und Geschlechternuntereinander. Gute Gemeinwesenarbeitbietet eine Plattform für die zivile Austra-gung dieser Kämpfe und verhindert dadurch

Gewalt. Die in Ostersbaum und der Nord-stadt lebenden Menschen entwickeln neueZiele, neue Menschen kommen hinzu, bisherwesentliche Entscheidungsträger versterbenoder ziehen weg. Mit Hilfe der Gemeinwe-senarbeit werden die unterschiedlichen Inter-essen offengelegt und verhandelt. Mal gibtes gemeinsame Ergebnisse und Ziele, mal istdas beste was zu erreichen ist, ein zähne-knirschendes Nebeneinander. Wechselndann Personen oder Ziele, beginnt derKampf von vorn. Dies ist auch der wesentli-che Grund, warum eine gemeinwesenorien-tierte Arbeit nie aufhören kann.

Deshalb ändern sich auch von Zeit zuZeit die jeweiligen Ziele und Aufgabenfel-der des Nachbarschaftsheimes - zumindestsolange, wie es noch lebendig ist und denFinger am Puls des Stadtteiles hat. Deshalbwerden immer wieder Aufgaben abgege-ben und neue kommen hinzu, je nach Be-darf der Menschen im Stadtteil.

Diesem Prinzip der Gemeinwesenarbeitist die Arbeit des Nachbarschaftsheimesseit nunmehr fünfzig Jahren verbunden - malmehr und mal weniger. Derzeit erleben wirwieder eine Hinwendung zum Mehr.

Wo liegen nun die wesentlichen Zu-kunftsaufgaben für das Nachbar-schaftheim, was soll und was müs-sen wir ändern, abgeben und neuentwickeln. Ich will hier fünf Felderbenennen.

1.Die ErwerbslosigkeitDas drängende Problem in Ostersbaum

und der Nordtstadt ist die Erwerbslosigkeitund seine Folgen. Hier muß es uns gelin-gen, nicht nur daran mitzuwirken neue Ar-beitsplätze zu schaffen, sondern auch denKontakt zu den Jugendlichen und Erwachse-nen nicht zu verlieren, die dauerhaft er-werbslos sind und bleiben werden. Wir soll-ten nicht an der Illusion hängen, Vollbe-schäftigung würde in Deutschland in dennächsten 20 Jahren wieder Realität. Wirmüssen dazu beitragen, Erwerbslosigkeitden Makel des persönlichen Versagens zunehmen, Schwarzarbeit zu enttabuisierenund sinnvolle Arten des Lebensvollzuges zuentwickeln. Hierzu sind neben allen Mitglie-

“Die Nachhilfestunde” zeigte,dass im Nachbarschaftsheimselbst nach 50 Jahren nochjede Menge Schwung steckt.

dern auch alle Abteilungen des Nachbar-schaftsheimes aufgerufen, insbesondere si-cher die Offene Tür und das Stadtteilbüro.

2.Der erweiterte Zeitrahmen dersozialen Arbeit

Der Lebensrhythmus und das Lebensum-feld der Menschen in der Bundesrepublikhaben sich wesentlich verändert und wer-den das auch weiterhin tun. Dadurch kannaber auch der Zeitrahmen der sozialen Ar-beit nicht einfach gleich bleiben. Schonbald wird es so sein, daß wir unsere Ange-bote, Räumlichkeiten und Personal zu völligneuen Zeiten und in neuen Formen anbietenwerden. Ich meine es stände uns gut an, ansechs Tagen der Woche von 7.00 bis23.00 Uhr offen zu sein, wozu auf jedenFall das ganze Wochenende gehört. Wiewir das erreichen können, ohne uns zu ver-ausgaben, wird sicher viel unkonventionel-les Nachdenken und neue Wege erfordern.

3.Veränderung der Kinder- u. Ju-gendarbeit einschl. der Erziehungs-beratung

Besonders drastisch ändert sich die Kin-der- und Jugendarbeit. Die Offene-Tür-Arbeitwird zukünftig in noch größerem Maßeeine Mischung von Jugendsozialarbeit, Frei-zeit, Erwerbsberatung und Erziehungsbera-tung sein. Das Nachbarschaftheim hat jabereits einige Schritte in diese Richtung ge-tan. Der Jugendberufscoach, er am Billard-tisch agiert, die Kinderkantine und die Hau-saufgabenbetreuung, die ja in Wirklichkeiteine ganzheitliche psycho-soziale Betreuungist, zielen in die von mir skizzierte Richtung.Diese Ansätze gilt es auszubauen und umFormen der aufsuchenden Arbeit zu ergän-zen. Vor allem die Erziehungsberatung, dieim wesentlichen noch durch eine Komm-Struktur geprägt ist, wird sich sehr wandeln.Viel stärker als bisher wird sie in Schulen, inder Offenen-Tür, im Kindergarten unddraußen auf dem Platz handeln. Zur Ver-wirklichung dieser flexiblen Formen der Kin-der- und Jugendarbeit wird es noch vielerVerhandlungen mit den staatlichen Finan-ziers der Einrichtungen bedürfen

4.Auflösung des Ressort-Denkens-und Handelns

Eine der Zukunftsfragen der sozialenArbeit in einer Stadt sind die Schnelligkeit,die Streitkultur und die Öffnung der perso-nellen Strukturen seiner Träger und Einrich-tungen. Viele Entscheidungsprozesse undUmsetzungen von Entscheidungen dauernangesichts des schnellen gesellschaftlichenWandelns einfach zu lange und sind oft zu

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sehr an Besitzstandswahrung oder Erweite-rung des Einflußbereiches der einzelnenVerbände, Einrichtungen oder Stadtteile ori-entiert.

Um das zu ändern, bedarf es in dieserStadt einer anderen Form der Streitkultur.Die öffentliche Einmischung in die innerenAngelegenheiten der anderen Träger sozia-ler Arbeit muß selbtsverständlich werden. Esdarf uns nicht egal sein, wie die einzelnenEinrichtungen und Träger ihre Arbeit ma-chen und nach außen wirken. Mit Streitkul-tur meine ich keine kleinlichen Auseinander-setzungen, sondern den engagierten und le-bendigen Streit um politische und sozialeBelange unserer KundInnen und der Ge-samtstadt.

Das bedeutet nicht den Wegfall vonStrukturen und Hauptaufgaben der Trägerund Einrichtungen, sondern nur, daß unsergemeinsames Handeln mehr durch dieganzheitliche Sicht der KundInnen und desStadtteiles geprägt wird, als durch die je-weilige Einrichtung in der wir gerade arbei-

ten. Denn der Sinn öffentlicher Zuschüssefür Träger sozialer Arbeit liegt nicht in derErhaltung von Arbeitsplätzen, sondern indem Bemühen soziale Gerechtigkeit, Freu-de und Selbstverantwortung der Menschenin dieser Stadt zu fördern.

5.Räumliche und sachliche Erneue-rung des Nachbarschaftheimes

50 Jahre nach der Gründung sind dieRäumlichkeiten des Nachbarschaftsheimessanierungs- und ausbaubedürftig und bietennicht mehr den Standard, der aus pädago-gischen, technischen und ästhetischen Grün-den heute notwendig ist. Daran ändert imGrundsatz auch nicht, daß wir bei der Aus-

stattung der Räume und Arbeitsplätze einerhebliches Stück vorangekommen sind.Gute Gemeinwesenarbeit braucht öffentli-che Räumlichkeiten an und in denen sichdie Menschen treffen können. Diese müssenso beschaffen sein, daß sie heutigen Anfor-derungen wie veränderten Gesellungsfor-men, ästhetischen Kriterien, pädagogischenund technischen Notwendigkeiten genügenSie müssen angenehm aussehen, reichlichund funktionel ausgestattet sein. Der Ortsollte schon alleine durch seine Ausstrah-lung und vielfältigen Angebote so attraktivsein, daß er keine Stigmatisierung erhält,“da gehen nur die Armen hin”. Um das Zieder umfassenden Erneuerung zu erreichen,wird es in naher Zukunft noch einiger An-strengungen bedürfen und ich freue michsehr, daß wir hierbei Politik und Verwaltungder Stadt Wuppertal auf unserer Seite wis-sen.

Nun, alle benannten Themen sind nichtswirklich Neues in dieser Welt. Sie warenimmer wieder mal Bestandteil der Arbeitdes Nachbarschaftsheimes, verschwanden

dann, als das Gemeinwesen keinen Bedarfmehr dafür hatte und kommen jetzt in ver-änderter Form wieder. Irgendwann in ferneZukunft werden Teile wieder verschwindenund ich wünsche dem Nachbarschaftsheimauch dann wieder die Kraft loszulassen undDinge aufzugeben.

Ich bin allerdings überzeugt, daß dasNachbarschaftheim diesen Wandel aus Tradition auch in Zukunft schaffen wird und damit zum Wohle der Menschen in Osters-baum und der Nordstadt arbeiten kann. Ichhoffe sehr, daß wir dazu auch weiterhin auIhrer aller Unterstützung und Anerkennungbauen können.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.(Fotos: Kerstin Falbe, Wuppertal)

Die Vereinsvorsit-zende Frau Christi-na Rogusch be-dankt sich beiProf. Daniel Fallon(University ofMaryland, USA)für sein lebendigesSittengemälde der50er Jahre, in de-nen er beim Nach-barschaftsheim ar-beitete, mit einemSchlüsselbund ausdieser Zeit.

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Anläßlich des 50. Jahrestages seinerGründung ist das NachbarschaftsheimSchöneberg e.V. gemeinsam mit dem Ver-band für sozial-kulturelle Arbeit, Landes-gruppe Berlin e.V., Gastgeber des Treffensder Europa-Gruppe der Internationalen Fö-deration der sozial-kulturellen Nachbar-schaftszentren (International Federation ofSettlements and Neighbourhood Centres -IFS). In diesem Rahmen findet das interna-tionale Bildungsseminar zum Thema „Parti-cipation - Inside and Outside“ statt, zu dem70 bis 80 TeilnehmerInnen aus 12 osteu-ropäischen, 10 westeuropäischen Ländern,aus den USA und Kanada erwartet werden.

Das Seminar richtet sich an verantwortli-che PraktikerInnen und AktivistInnen aus IFS-Mitgliedsorganisationen und -einrichtungensowie von Organisationen, die mit IFS zusam-menarbeiten bzw. in NGOs arbeiten und dieEntwicklung demokratischer Organisationenunterstützen. Es wird den TeilnehmerInnenGelegenheit bieten, alle Fragen zu diskutie-ren, die mit der demokratischen Partizipation„Inside“ der Nachbarschaftseinrichtungenund mit ihrer Rolle „Outside“, mit der Demo-kratieentwicklung in der sie umgebenden Ge-sellschaft zusammenhängen.

Hauptthemen der „Inside“-Participa-tion sind:• Wie beeinflussen unsere Prinzipien Partizi-

pation und Empowerment unsere Arbeits-strukturen?

• Wieviel Leitung ist notwendig?• Wie muß der demokratische Entscheidungs-

prozeß verlaufen?• Wie ist das Verhältnis zwischen den ver-

schiedenen Leitungsebenen?• Wie gestaltet sich das Verhältnis zwischen

dem Vorstand und den Mitgliedern?• Wie müssen Information und Kommunikation

funktionieren?• Wie erfolgt die demokratische Beteiligung

an der Arbeit?• Wie können eine schöpferische Arbeitsat-

mosphäre und Zusammenarbeit erreichtwerden?

Hauptthemen der „Outside“-Partici-pation sind:

- Organisation einer Vielfalt von Diensten,praktischen Antworten auf unmittelbare lokaleBedürfnisse und eines breiten Zugangs zu Bil-dung und Kultur• bürgerschaftliches Engagement auf gesell-

schaftlicher und politischer Ebene• Bürgerinitiativen und Einmischungsstrategi-

en (community organizing)• Empowerment-Konzepte• Gemeinwesenorganisationen und Nachbar-

schaftszentren als ‘Schulen der Demokratie’

Die Teilnahme an diesem Seminar kön-nen Sie auch mit der Nutzung folgenderMöglichkeiten in Berlin verbinden:

- 10. Jahrestag des Mauerfalls am 9. November - Zusammenwachsen von Ost und West haut-

nah erfahren- die Veränderungen Berlins erleben, z.B.rund um das Brandenburger Tor, den Potsda-mer Platz und die Oranienburger Straße, inderen Nähe sich das IFS-Europa-Büro befin-det- Besuche von Nachbarschaftseinrichtungenin Ost- und Westberlin

- Erfahrungsaustausch mit Gemeinwesen- undNachbarschaftsarbeiterInnen aus Deutsch-land und anderen Ländern

- Teilnahme am Empfang zum 50. Jahrestagdes Nachbarschaftsheims Schöneberg

- Ausflug zum Schloss Sanssouci in Potsdam.

Als TeilnehmerIn haben Sie die Möglich-keit, von Montag, den 8. November, bisMontag, den 15. November 1999, das Son-derangebot des Hotels Albatros zu nutzen(sieben Übernachtungen zum Preis vonsechs/Einzelzimmer 75 DM, 90 DM oder130 DM, Doppelzimmer -Preis für 2 Perso-nen- 98 DM oder 150 DM, incl. Frühstück).

Nähere Informationen und Anmeldung (auchfür das Hotel Albatros):

IFS-Europa-BüroMax WegrichtTucholskystr. 1110117 BerlinTel. 030/280 961 07Fax. 030/280 961 08e-mail: [email protected]

Nachbarschaftsheim Schöneberg e.V.

Einladung zum Internationalen Bildungsseminar „Participation -

Inside and Outside“im Rahmen des Treffens der IFS-Europa-Gruppe

vom 10. bis 14. November 1999 in Berlin

Geburtstage/Jubiläen/Jahrestage

ufafabrik – NUSZ, BerlinEine OASE in der Großstadt

feiert Geburtstag 20 Jahre ufafabrik Berlin

In diesem Jahr feiert die ufafabrik ihrenzwanzigsten Geburtstag und die kleineSchwester - das Nachbarschafts-und Selbst-hilfezentrum NUSZ - wird 12 Jahre alt.

Die ufafabrik, ein umfassendes Arbeits-,Kultur- und Lebensprojekt besteht seit 1979auf einem 18.000m2 großen, idyllisch gele-genen Gelände im Süden Berlins.

Die Wurzeln der ufafabrik und desNUSZ gehen bis ins Jahr 1976 zurück. EinHandwerkskollektiv gründete gemeinsammit Freunden den Verein “Fabrik für Kultur,Sport und Handwerk”. 1979 besetzten siedas vom Verfall bedrohte Gelände der ehe-maligen ufa-Film Kopierwerke, um es fried-lich instandzusetzen und inbetriebzuneh-men. Heute ist die ufafabrik als internatio-nales Kulturzentrum weit über die Stadt-und Landesgrenzen hinaus bekannt. Zahl-reiche interessante Kulturangebote zum Zu-schauen und Hinhören, ganzjährig präsen-tiert auf zwei Bühnen und einer Open-air-Sommerbühne, ziehen die BesucherInnenmagisch an. Das Café Olé lädt ein zumEntspannen und Verweilen, der Naturkost-laden und die Biobäckerei halten ökolo-gisch wertvolle Lebensmittel, frischgebacke-nes Brot und Gebäck bereit.

VarietékünstlerInnen und ArtistInnen desufa Circus’, der Kindercircusschule und die

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Sambaband TerraBrasilisder ufafabrik treten inganz Europa, 1998 so-gar in Japan auf. Umfang-reiche ökologische Projek-te, von der Dachbegrü-nung bis zur Solaranlage,wurden verwirklicht und inder Praxis erprobt.

Das Nachbarschafts-und Selbsthilfezentrum

NUSZ ist der Teil der ufafabrik, der Raumbietet für aktives Miteinander, für kulturelle,gesundheitliche und soziale Eigenbetätigungund aktive Freizeitgestaltung für Menschenaller Altersgruppen und Nationalitäten. DasNUSZ organisiert gemeinsam mit denMenschen des Stadtteils soziale Dienste undbietet die Möglichkeit der Unterstützung fürBürgerInnen, die sich aktiv in die kommuna-len Angelegenheiten einmischen wollen. DieInitiierung und Unterstützung von Nachbar-schafts- und Selbsthilfe ist ein wichtiger Be-standteil unseres Aufgabenspektrums. Bera-tung und konkrete Hilfen sowie verschiedenesoziale Dienste stehen den BürgerInnen fastrund um die Uhr an siebenTagen der Woche zur Verfü-gung.

Das NUSZ ist zur be-liebten Anlaufstelle und Be-gegnungsstätte für die Men-schen des Stadtteils und an-derer Bezirke Berlins ge-worden. Eine Attraktion,nicht nur für Kinder, ist derpädagogisch betreute Kin-derbauernhof mit Ponys,Kaninchen, Hühnern undGänsen, Frettchen undSchweinen. SeniorenInnenund Kinder erfahren im

Bauernhofclub gemeinsam viel Wissenwer-tes über Tier, Natur und Mensch. Für Altund Jung stehen gleichermaßen die Sport-,Gesundheits-, Tanz- und Musikgruppen of-fen.

Während der Netda@s Europe 99konnten sich Kinder und Erwachsene in ei-ner spannenden und lehrreichen Veranstal-tung den Zugang zur Technologie des Inter-nets erschließen. Einen besonderen Schwer-punkt bildet die Förderung und Unterstüt-zung von Familien - naheliegenderweise-sind doch die Kommunemitglieder derufafabrik selbst eine Großfamilie, das jüng-ste Familienmitglied ist 2 Jahre, das älteste94 Jahre alt.

Wichtiger Bestandteil des NUSZ ist dasFamiliennetzwerk.

Und zum guten Schluß weitere Informationen:

ufafabrik und NUSZ Tel 755030 Fax 75503125Internet: www.ufafabrik.de/NUSZwww.ufafabrik.dee-mail:[email protected],[email protected]

Geburtstage/Jubiläen/Jahrestage

Frauen in deutsch-afri-kanischen Beziehungen:Tanzen

”Erstes Beschnuppern”: SeniorInnen besuchen den Kinderbauern-hof, der mitten in der Großstadt liegt. Manche bleiben als freiwillige MitarbeiterInnen bei der Betreuung von Kind und Tier

VERBAND FÜR SOZIAL-KULTURELLE ARBEIT Rundbrief 199 15

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Sozialpolitische TagungWelche sozialpolitischen Orientierun-

gen bestimmen das Denken und Handelnder neuen Bundesregierung? Welche Ver-änderungen wollten die Bundesbürger, alssie im Herbst 1998 neue Mehrheiten insParlament wählten? Wollten sie (nur) denSozialabbau stoppen oder sehnten sie sichim Anschluß an eine Phase zunehmenderDeregulierung wieder nach einem eher len-kenden und behütenden Sozialstaat?

Welche Vision von Demokratie und Zi-vilgesellschaft haben unsere Politiker? Wie-viel Beteiligung der Bürger an ihren eige-nen Angelegenheiten wird gefordert, ge-wünscht, gefürchtet, behindert, verhindert?

Stellen sich diese Fragen in Ost undWest vielleicht ganz unterschiedlich? Wieist das Verhältnis von „Vertrauen in die ei-gene Kraft“ und Erwartung an staatlichesHandeln aufgrund der unterschiedlichen so-zialen und politischen Erfahrungen in denalten und in den neuen Bundesländern?Was spricht für, was gegen unterschiedli-che sozialpolitische Orientierungen in Ostund West?

Und wie spiegeln sich all diese Fragenin den Orientierungen, Konzeptionen sowiein der praktischen Arbeit von Nachbar-schaftsheimen, sozio-kulturellen Zentren,Stadtteilläden, Bürgerhäusern und Gemein-wesenprojekten?

Wie unterstützen sie die Bürger dabei,sich in das soziale und gesellschaftliche Le-ben einzubringen? Wieviel Mitwirkung istin den Zentren selber möglich? Wie verän-dern soziale Dienste ihren Charakter, wenndie ‘Kunden’ die Chance haben, sich einzu-mischen? Wieviel und welche Art von Pro-fessionalität brauchen wir, um die sozialpo-litische Landschaft unserer Städte zivilgesell-schaftlich umzugestalten? Sind die neuent-wickelten Konzepte von ‘Quartiers- undStadtteilmanagment’ förderlich oder kontra-produktiv, was das Wecken von Bürgeren-gagement angeht?

Die Tagung wird ein Forum sein, aufdem diese Fragen unter Beteiligung von-hauptberuflichen und freiwilligen Mitarbei-terinnen und Mitarbeitern sozial-kulturellerEinrichtungen, ehrenamtlichen Vorständensowie Zuständigen aus Verwaltung und Po-litik diskutiert werden können. Die Erfahrun-

Bürgerge-sellschaftund Sozial-staat – Die Zivilge-sellschaft gestalten –

Sozialpolitische Tagung des Verbandesfür sozial-kulturelle Arbeit in Zusammenar-beit mit der Paritätischen Akademie in Ber-lin.

vom 14. bis 16. November1999 in Berlin

Im November 1995 haben wir auf demKongress „Zentrale Verwaltung oder bür-gernahe Gestaltung“ dafür plädiert, dieVerantwortung für das soziale und kulturelleZusammenleben im Gemeinwesen in dieWohngebiete zu geben und dort durch „de-zentrale Konzentration“ die Voraussetzun-gen dafür zu schaffen, daß Trägerstrukturenfür soziale und kulturelle Angebote entste-hen, die einerseits stabil und verläßlich sindund andererseits den Menschen ein hohesMaß an Mitwirkung und Verantwortungsü-bernahme im unmittelbaren eigenen Leben-sumfeld ermöglichen.

Wurden die damals entwickelten Ge-danken umgesetzt bzw. sind sie noch zeit-gemäß? Ist es noch immer notwendig (undvielleicht sogar wünschenswert!), daß sichdie Bürger selbst in die Gestaltung des So-zialen einmischen? Oder sollten sie nichtbesser alles unterlassen, was der Staat alsArgument zum Rückzug aus seinen Ver-pflichtungen verwenden könnte?

gen der Praktiker werden in den Zusam-menhang der aktuellen sozialpolitischen De-batte gestellt und dadurch neu beleuchtet.Wir bieten Möglichkeiten zum Dialog mitWissenschaft und Politik, in der Hoffnung,daß beide Seiten, Praktiker wie Theoretikerdavon profitieren.

Bürgergesellschaft und Sozialstaat-Die Zivilgesellschaft gestalten-

Termin: Sonntag, 14, Montag, 15, und Dienstag16. November 1999Tagungsort: Werkstatt der Kulturen in Ber-lin,Wissmannstraße 31-33Tagungsbüro und nähere Informationen:Verband für sozial-kulturelle Arbeit e.V. Tucholskystr. 11 10117 Berlin Tel.:030/280 96 103

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HHEETT BBUUNNDDAAII BBUUNN Rituale einer glücklichenStadtEin Projekt mit Photographienvon Hans Georg Berger

Eine Initiative des Bundesverbands fürsozial-kulturelle Arbeit e.V.

in Verbindung mit der Volkssolidarität

sowieStaatliche Museen zu Berlin, Museum

für VölkerkundeRautenstrauch-Joest-Museum für Völker-

kunde, Köln

Sie kennen den Bundesverband für so-zial-kulturelle Arbeit e.V. als einen Ver-band, der auf vielfältigste Art und Weiseversucht, die Arbeit seiner Mitgliedsorgani-sationen sowohl zu unterstützen, als auchdie Bedeutung sozial-kultureller Arbeit inder Öffentlichkeit in immer neuer Weisedarzustellen und zu thematisieren.

In einer Zeit der Globalisierung, beigleichzeitigem Werte- und Arbeitsverlust inden Regionen, ist sozial-kulturelle Arbeit einüberlebensnotwendiger Ansatz, um die Le-benslage der Menschen in den lokalen Re-gionen zu stabilisieren und zu verbessern.Sozial-kulturelle Arbeit hilft den Menschen,ihr Leben selbst in die Hand zu nehmenund in größeren Zusammenhängen zu den-ken und zu handeln.

Doch was ist das eigentlich genau, wasMenschen aktiv sein läßt? Was hält oderführt sie zusammen? Was könnte ein Ge-gengewicht zum Gefühl der Verlorenheit inglobalisierten Zeiten sein? Wie erkennenwir ein solches Mittel? Haben andere ähnli-che Erfahrungen gemacht? Wie gehen siedamit um? Was können wir von ihnen ler-nen?

Ein Blick von außen soll für Fragen desinneren Selbstverständnisses fruchtbar ge-macht werden, neue Motivation schaffen füreine Arbeit, an deren gesellschaftliche Not-wendigkeit wir glauben:

HET BUN DAI BUN

Luang Prabang, Laos, 1994 - 1997Rituale einer glücklichen StadtPhotographien von Hans Georg Berger

Mit diesem Ausstellungsprojekt geht derVerband für sozial-kulturelle Arbeit e.V. -ein bundesweiter Dach- und Fachverbandfür Bürgerhäuser, Nachbarschaftsheime,Gemeinwesenprojekte und sozial-kulturelleZentren - einen neuen Weg. Dieser eherphilosophische Weg führt zu den gleichenFragen: Was können wir gemeinsam tun, inOffenheit und Sensibilität, mit sozialer undpädagogischer Phantasie, zur Entwicklungeiner liebens- und lebenswerten Gesell-schaft, in der sich Individualität und Ge-meinsinn ergänzen und nicht ausschließen?Welche Rituale und welche Feste stärkenden Einzelnen in einer Welt, die durch Glo-balisierung, technischen Fortschritt, virtuelleWelten und unendliche Informationsflüssedominiert scheint? Wo findet der Mensch inregionalen Bezügen die Sicherheiten, diees ihm ermöglichen, in der großen Welt zuhandeln?

“Het Bun Dai Bun” bedeutet: Ein Fest bereiten, einFest zum Geschenk erhalten. Dasin Laos oft gebrauchte Sprich-wort verbindet die Freude amErfinden und Gestalten von Fei-ern und Ritualen mit der Mög-lichkeit, in religiös-buddhisti-schem Sinn “Verdienst zu erwer-ben”.

Ausstellungsprojekt

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Vom Wahrsagen

lässt sichs wohl

leben in der Welt,

aber nicht vom

Wahrheitsagen.

Lichtenberg

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Es gibt in jeder Gesellschaft eine grund-legende, verborgene Ebene der Kultur, diestark strukturiert ist - einen Satz unausge-sprochener Regeln des Verhaltens und Den-kens, der alle unsere Tätigkeiten steuert.Diese verborgene kulturelle Grammatik defi-niert die Weise, in der Menschen die Weltsehen. Die meisten Menschen sind sich die-ser Tatsache überhaupt nicht oder nur amRande bewußt. Feste und Rituale sind Zei-chen einer solchen versteckten, grundlegen-den Ebene der Kultur.

Die Arbeit von Hans Georg Ber-ger über Laos - ein Beispiel

Der deutsche Photograph und Schriftstel-ler hat von 1994 bis 1997 im Rahmen ei-nes deutsch-laotischen Projekts, getragenvom Auswärtigen Amt der BundesrepublikDeutschland und dem Ministerium für Infor-

mation und Kultur der Volksrepublik Laos,die Pagodenfeste, die Volksbräuche, Zere-monien und Kulthandlungen der laotischenStadt Luang Prabang dokumentiert. Aus ei-ner umfangreichen Arbeit (über 8000 Ein-zelphotographien) soll eine Auswahl füreine Ausstellung im Rahmen unseres Pro-jekts getroffen werden. Diese Auswahl wirdin enger Zusammenarbeit mit zwei der be-deutendsten europäischen Museen für Völ-kerkunde erfolgen. Die Arbeit ist überra-schend und einzigartig: nach langer Isolati-on, nach Krieg, Bürgerkrieg, Revolution, hatsich das südostasiatische Land erst vor kurz-em für westliche Besucher geöffnet. Bergerwar der erste westliche Künstler, der mitGenehmigung der laotischen Regierung inLuang Prabang arbeiten konnte. Er hat ge-meinsam mit den Bewohnern der Stadt undden Mönchen der Theravada-Klöster dieseDokumentation erarbeitet.

Diese Arbeit aus einem fernen Land hatuns, den Verband für sozial-kulturelle Ar-beit, inspiriert, die Frage nach unseren Ri-tualen, Kulthandlungen und Bräuchen zustellen, die die verborgene Ebene unsererKultur widerspiegeln.

Am Ausgang des 20. Jahrhundertsschauen wir hin und erkennen uns als ein-zigartige Individuen. Wir sind dies abernur, solange wir - unauflöslich eingebundenin der Welt - handelnd uns entwickeln.

Unsere Sinne müssen dafür wach blei-ben, und wir selbst müssen uns handlungs-fähig machen, damit wir erhalten, was wirsind: Einzigartig in einer vielgestaltigen Ein-heit.

Warum stellt der Bundesverbandfür sozial-kulturelle Arbeit gera-de jetzt die Frage nach seinerIdentität?

Grundsätzlich wird die Frage nach dereigenen Identität immer dann gestellt, wennentweder die Grundpfeiler der eigenen“Werte Welt” in Frage gestellt werden (in-nere Umbrüche), oder wenn die Umweltsich ungewohnt und ungewollt verändert(äußere Umbrüche). Ein zusätzlicher Anlaßbesteht dann, wenn die Umwelt die Exi-stenz der eigenen “Werte Welt” hinterfragtoder gar in Frage stellt (Umbrüche in derVerbindung von Innen und Außen).

Sozial-kulturelle Arbeit ist als Spiegelder gesellschaftlichen Umbrüche in fast al-len privaten und öffentlichen Bereichenauch nicht von den Krisen und Unsicherhei-ten ausgeschlossen.

Damit stellen sich für den Verband unddie Einrichtungen sich ergänzende Aufga-ben:

Die Aufgabe des Verbandes ist es einOrt für die gemeinsame Debatte und Ent-wicklung der sozial-kulturellen Arbeit zusein. Ein Ort für die Einrichtungen, an demsie an ihre Grundsätze erinnert werden, um

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cherheit, nach Geborgenheit, nach Zu-gehörigkeit, nach Einzigartigkeit gerechtwerden kann.

Dabei scheint es wichtig, sowohl denBlick nach vorne zu richten, als auchzurückzu-blicken auf den Ausgangspunkt.Das Festhalten an Traditionen ohne amlängst Vergangenen festzuhalten, hilft beider Neuorientierung.

Das Projekt “Het Bun Dai Bun -Rituale einer glücklichen Stadt”

nimmt uns mit in die Fremdheit undzeigt uns die fremde Lebensweise, in der

von deren Basis aus neue soziale Phantasi-en, neue Wege - auch ungewöhnliche - zufinden, wo der einzelne Mensch und das“Wie” menschlicher Begegnung in den Vor-dergrund rücken. In diesem Sinne liegt dieAufgabe des Verbandes darin, sowohl Hü-ter von Tradition zu sein, als auch die Basisfür neue Entwicklungen innerhalb undaußerhalb der sozial-kulturellen Arbeit zubieten.

Die Einrichtungen stehen vor der Frage,inwieweit die Grundlagen, Werte und Nor-men der sozial-kulturellen Grundsätze nochhandlungsweisend für die Arbeit in den Ein-richtungen sind. Ob sich die MitarbeiterIn-nen an die Grundsätze gebunden fühlenund gegebenenfalls wie sie auf diese ver-pflichtet werden können.

Den BürgerInnen müssen ihre Möglich-keiten in sozial-kulturellen Einrichtungen neuvermittelt werden. Die Philosophie der Ein-richtungen und die daraus resultierendenHaltungen, Handlungen und Strukturen sol-len in allen Bereichen erfahrbar sein.

Für die Förderern sozial-kultureller Arbeit- staatliche Institutionen oder Privater - müs-sen die Zusammenhänge der derzeitigenUmbrüche und der Nutzen sozial-kulturellerArbeit gerade jetzt nachvollziehbar sein.

Wir stellen diese Fragen auch exempla-risch für andere Verbände und Einrichtun-gen in unserer Gesellschaft, deren Aufgabees ist, am Aufbau und Erhalt einer lebens-werten glücklichen Stadt mitzuwirken:

Welche Angebote, welche Anspracheund welche Rahmenbedingungen kann undmuß sozial-kulturelle Arbeit bieten, um erfol-greich zu sein?

Welche Rolle kann und muß ein Zusam-menschluß wie der Verband für sozial-kultu-relle Arbeit übernehmen, um die Einrichtun-gen spürbar zu unterstützen?

Welche Vereinbarungen und Verpflich-tungen müssen mit den finanziellen undideellen Förderern der Arbeit getroffen wer-den?

Wie sehen tragfähige Vereinbarungenaller Betroffenen aus?

Besonders in einer sich schnell wandeln-den Zeit, ist die Frage zu stellen, wie sozial-kulturelle Arbeit den Bedürfnissen nach Si-

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HET BUNDAI BUN

wir jedoch bei genauem Betrachten, unsund unsere Sehnsüchte zu erkennen.

Die nordlaotische Stadt Luang Prabangist ein einzigartiger Ort. Die ehemaligeHauptstadt des laotischen Königreiches, aufdie später auch die Franzosen als Kolonial-macht Einfluß nahmen, geriet nach der Re-volution des Pathet Lao, am Ende des Viet-namkrieges, in eine von ihrer geographi-schen Lage geförderte Isolation. Ganz Laoshat für lange Zeit an der rasanten wirt-schaftlichen und gesellschaftlichen Entwick-lung seiner größeren Nachbarn kaum An-teil gehabt. Gleichzeitig sorgten stabilerepolitische Verhältnisse als in Burma undKambodscha für Ruhe im Inneren. Insbeson-dere in der alten Stadt Luang Prabangkonnten die religiösen und parareligiösenGebräuche und Feste als selbstverständli-cher Teil des städtischen Lebens erhaltenbleiben.

MMAG

AZIN

MAG

AZIN

VERBAND FÜR SOZIAL-KULTURELLE ARBEIT Rundbrief 199 19

Luang Prabang bewahrt ein sozial-kultu-relles Erbe, das an anderen Orten durchKrieg und Bürgerkrieg, durch staatlichenTerror, durch wirtschaftliche Entwicklungund den damit einhergehenden Verlust anIdentität verschüttet wurde. Dabei sind dieAusdrucksformen eigenwillig und eigenstän-dig; die Umgangsformen sanft und leise. Ir-dische und nicht-irdische Gestaltungen ha-ben nebeneinander Platz und ihre im Zere-moniell sorgsam definierten Rollen.

Die Ausstellung, die aus Fotos (schwarz-weiß Silberdrucke), einer Tondokumentatio-nen und wissenschaftlichen Begleittexten be-steht, zeigt den Reichtum, der in seinem Be-stand bedroht ist. Neue Straßentrassen undein Flugplatz haben die geographische Iso-lation der Stadt bereits aufgehoben. DasFernsehen und ein zu erwartender Zustromvon Touristen werden schnell Einfluß aufdas Leben in Luang Prabang gewinnen.

Um so wertvoller ist diese Dokumentationdes Photographen Hans Georg Berger gera-de in der Umbruchzeit, nicht nur für Laosselbst, sondern auch für uns, weil sie in ein-drucksvoller Weise zeigt, wie Rituale, Festeund Bräuche bestimmend sind für die Welt-sicht des Menschen, der nur über sein Einge-bundensein in die Gesellschaft einzigartigsein kann in einer vielgestalteten Einheit.

Wir haben gemeinsam mit den Staatli-chen Museen zu Berlin/ Preußischer Kultur-besitz ein Konzept erarbeitet, das nebender Ausstellung der Photographien ausLuang Prabang eine Serie von Gesprächsfo-ren, Führungen und Vorträgen für den kom-menden Herbst in Berlin geplant. Die Aus-stellung wird im Dahlemer Völkerkunde Mu-seum stattfinden und ist Teil der Asien-Pazi-fik-Wochen des Senats von Berlin. Sie wirdzur “Langen Nacht der Museen” am 28.August 1999 eröffnet und wird bis EndeNovember zu sehen sein. Nach Berlin gehtdie Ausstellung weiter nach Köln, Londonund Paris. Aus Wunsch der laotischen Re-gierung wird in Teil der Ausstellung im Pa-villion von Laos auf der Expo 2000 in Han-nover gezeigt werden.

Für weiter Informationen und Terminenzu den einzelnen Veranstaltungen erhaltenSie in unsrer Geschäftsstelle in Köln.

Tel.: 0221/ 760 69 59 oder e-mail: [email protected]

Das Hand-buch für sozial-kulturelleArbeitGudrun Israel

Es richtet sich in erster Linie an haupt-und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen vonsozial-kulturellen Projekten in den neuenBundesländern, an Menschen, die sichfür sozial-kulturelle Arbeit interessieren,sich in diesem Rahmen engagieren odervielleicht selbst eine Einrichtung aufbau-en möchten.

Hintergrund für die Erarbeitung die-ses Handbuches sind die Erfahrungen,die unser Verband seit 1992 in der Bera-tungs- und Unterstützungsarbeit mit sozi-al-kulturellen Einrichtungen in den neuenBundesländern und speziell 1997/98 imProjekt „Prozeßorientierte Projektbera-tung und -begleitung“ von fünf ausge-wählten Häusern (je eins in jedem derneuen Länder) gesammelt hat. Wir ha-ben besonders die Fragen, Probleme,Aspekte und Ansätze sozial-kultureller Ar-beit aufgegriffen, die in diesem Rahmeneine Rolle gespielt haben, am häufigstenangesprochen und diskutiert wurden. .

Wir wollen dieses Handbuch nicht alsLehrbuch verstanden wissen. Es enthält kei-ne Rezepte oder Checklisten. Es soll viel-mehr Anregungen zum Nachdenken gebenund den Spaß am kreativen Umgang mitdem Ansatz sozial-kultureller Arbeitwecken, der viele, manchmal auch unge-ahnte, Möglichkeiten bietet, selbst etwas zugestalten und andere zum Gestalten zu ani-mieren.

Das Handbuch erhebt keinen Anspruchauf Vollständigkeit, es ist auch als Diskussi-onsgrundlage gedacht. Deshalb sind wir anRückmeldungen, Anregungen oder Hinwei-sen Ihrerseits sehr interessiert.

Viel Spaß beim Lesen und Diskutieren

Neu beim Verband für sozial-kulturelle Arbeit e.V.:

Wahrlich unser

Leben währet

nur kurz darum

durchmesst seine

Bahn auf das

Fröhlichste.

Euripides

»WOVON REDEN WIREIGENTLICH?«

DIE DIMENSIONEN DESBÜRGERSCHAFTLICHEN

ENGAGEMENTS(leicht überarbeitete Fassung des Vortrages am 16. März 1999 in Bonn

ProBE, das “Projekt zur Unter-stützung und Weiterentwick-lung des bürgerschaftlichenEngagements” (unterstütztdurch das Bundesministeriumfür Familie, Senioren, Frauenund Jugend) vom Verband fürsozial-kulturelle Arbeit e.V.hat einen erfolgreichen Starthinter sich. Dazu gehörte einWorkshop am 15.-16. März1999 in Bonn, bei dem inter-essierte Einrichtungen zusam-menkamen, um die Grundideedes Projektes gemeinsam zuberaten und in die Thematikeinzusteigen. Neben prakti-

20 VERBAND FÜR SOZIAL-KULTURELLE ARBEIT Rundbrief 199

schen Fragen zum Anliegenund der Durchführung des Pro-jektes gab es Zeit und Inputszur gemeinsamen inhaltlichenDiskussion über das Thema“bürgerschaftliches Engage-ment”. Dabei wurde deutlich,wie wichtig und auch wie hilf-reich es ist, als Einrichtung bür-gerschaftliches Engagement zudiskutieren und zu definieren,um die aktuelle Debatte positivnutzen zu können. Dabei gehtes nicht nur um Begriffe odersozialpolitische Zusammenhän-ge, sondern es geht darum, ei-gene Handlungsgrundlagenfür die Einrichtungen zu si-chern oder zu schaffen.

Angesichts der Vielfalt von Be-griffen und Interpretationen,die zur Zeit in der Debattewie auch in der Praxis benutztwerden, stellte der Vortragvon Reinhard Liebig von derUniversität Dortmund eine hilf-reiche Orientierung dar undgab Anlaß zu einer lebendi-gen Diskussion. Wir dokumen-tieren im folgenden den Vor-trag in einer vom Autor leichtüberarbeiteten Fassung.

von Reinhard Liebig

VERBAND FÜR SOZIAL-KULTURELLE ARBEIT Rundbrief 199 21

In dem Faltblatt zum Workshop ist meinBeitrag mit einer Frage überschrieben:»Wovon reden wir eigentlich?« Genau ge-nommen bin ich nicht in der Lage, auf dieseEingangsfrage zu antworten, denn ich kannnicht mit Bestimmtheit sagen, wovon Sie ei-gentlich reden. Mein Beitrag muß sich dar-auf beschränken, Ihnen meine Sicht der Din-ge mitzuteilen und das unübersichtliche Feldder Begrifflichkeiten, Diskurse und Program-me zu sortieren und in ein möglichst an-schauliches Bild zu bringen, das Sie alsSteinbruch für weitere Überlegungen nutzenkönnen. Beabsichtigt ist also – gemäss demUntertitel in der Programmankündigung undden Wünschen der Einladenden – dass inmeinen Ausführungen die Dimensionen unddie Entwicklungsgeschichte des bürger-schaftlichen Engagements angesprochenwerden. Auf diese Weise wird – so hoffeich – in einigen Aspekten offenkundig, wassich hinter diesem schillernden Begriff ver-birgt und welches Fundament er für weitereProjektschritte in sozial-kulturellen Einrichtun-gen anzubieten hat. Diese Absicht hat sichzu der folgenden Gliederung weiterent-wickelt:

Ich werde also, bevor ich im zweitenTeil einzelne Dimensionen des bürgerschaft-lichen Engagements behandele, in einemersten Teil auf einige Aspekte der Rahmen-bedingungen des bürgerschaftlichen Enga-gements eingehen. Im letzten Teil belasseich es bewußt bei einigen wenigen Anre-gungen, da ich vermute, daß die Fragennach den Folgerungen Thema Ihrer weite-ren Überlegungen sein wird.

Teil A: Rahmenbedingungen desfreiwilligen gemeinwohlorien-tierten Engagements

Wer heute über das unentgoltene, frei-willig erbrachte Engagement von BürgerIn-nen redet, ist gezwungen, sich aus der Füllevon konkurrierenden Begrifflichkeiten daspassende Etikett auszusuchen. Neben demin Ihrer Projektinitiative verwendeten Termi-nus des »bürgerschaftlichen Engagements«bestimmen weitere – wie Freiwilligenarbeit,Ehrenamt, Bürgerarbeit oder Selbsthilfe –die derzeitige öffentliche Diskussion. Dabeiwird deutlich, daß die unterschiedlich ver-wendeten Termini aus der Sicht ihrer Prota-gonisten nicht nur dazu dienen, sich abzu-grenzen, politisch zu positionieren oder ineinen sinnstiftenden historischen Kontexteinzuordnen, sondern sie werden auchdazu benutzt, die eigene Rolle bei der Zu-

weisung von Ressourcen zu stärken. DieVerteilung nicht unbegrenzt vorhandenerMittel wird auch über Begriffe gesteuert.Darüber hinaus kann jedes Bemühen, einenneuartigen Begriff mit neuen Konnotationenin die Diskurse einzuführen, auch als Vor-stoß verstanden werden, ein positives Echobei potentiell Engagierten hervorzurufen.Vor diesem Hintergrund verbinden sich mitjedem der verwendeten und konkurrieren-den Vokabeln, die das freiwillige und nichtentgoltene Engagement von Menschen mitgemeinwohlorientierter Zielrichtung zu er-fassen beanspruchen, vor allem zwei Funk-tionen: Einerseits dienen sie der Standortbe-stimmung und geben Aufschluß über impli-zierte Weltbilder und andererseits besitzensie Appellcharakter in Hinblick auf politi-sche und gesellschaftliche Akteure.

Mit Ihrer Festlegung auf den Begriff desbürgerschaftlichen Engagements haben Siesich also nicht nur auf eine bestimmte Voka-bel festgelegt, sondern sind auch in be-stimmte Handlungszusammenhänge mit spe-zifischen Implikationen und Anschlußfähig-keiten eingetaucht. Insofern ist die von Ih-nen beabsichtigte Selbstvergewisserung undSelbstbespiegelung unter der Fragestellung»wovon reden wir eigentlich?« sinnvoll undnotwendig. Da ich auf die mitschwingen-den Bedeutungen, die historischen und ge-sellschaftstheoretischen Bezüge der Redevom bürgerschaftlichen Engagement erst anspäterer Stelle zu sprechen kommen werde,gebrauche ich vorerst hauptsächlich denAusdruck »freiwilliges gemeinwohlorientier-tes Engagement« als Oberbegriff für alleeben aufgezählten Termini und als Etikettzur Beschreibung der dadurch eingefange-nen Phänomene. Kennzeichnend für sämtli-che freiwilligen gemeinnützigen Tätigkeitenist, »daß sie weder aufgrund einer wieauch immer begründeten Pflicht zur Hilfelei-stung noch zum Zwecke der Erzielung einesErwerbseinkommens, sondern ausschließ-lich als freiwilliger Beitrag mittelbar oderunmittelbar betroffener Bürger zum Wohlbestimmter Gruppen bzw. zum Gemein-wohl erbracht werden.«1 Ich werde aller-dings die Verwirrung aufgrund der begriffli-chen Vielfalt nicht auflösen können, sondernauch mit mehreren Ausdrücken arbeiten –dort wo es zutreffender erscheint, von Eh-renamt oder etwa von unentgoltener Arbeitzu reden, werde ich auch diese Begriffe be-nutzten.

In der bundesrepublikanischen sozialpo-litischen Diskussion wurde der Staat jahr-

zehntelang als der zentrale Akteur bezüg-lich der gesellschaftlichen Wohlfahrt ange-sehen. In der Folge wurden durch staatlicheMittel, d.h. durch die Zuteilung von Rechts-ansprüchen und Geldeinkommen sowiedurch die Bereitstellung bzw. finanzielle Ab-sicherung von professionellen Dienstleistun-gen die Rahmenbedingungen geschaffen,die heute die Säulen des Systems der sozia-len Sicherung ausmachen. In Zeiten der Ge-staltung des Wohlfahrtsstaates mit ausrei-chenden finanziellen Ressourcen erfolgteeine Ausdehnung sowohl des öffentlichenals auch des öffentlich finanzierten privat-gemeinnützigen Sektors. Die Prozesse derVerberuflichung bzw. Professionalisierungsozialer Hilfeleistungen und die Expansionund Ausdifferenzierung des Systems der so-zialen Hilfe standen im Mittelpunkt der Auf-merksamkeit. Die in diesem Sektor anzutref-fenden unentgeltlich erbrachten Arbeitslei-stungen fanden wenig öffentliches Interesse,die unentgoltene Arbeit sozial engagierterMenschen wurde als Selbstverständlichkeitvorausgesetzt.2

Dies hat sich mittlerweile grundlegendverändert. Seit ein paar Jahren beteiligensich staatliche Agenturen, Parteien, Kirchen,Verbände und sonstige gesellschaftliche Ak-teure an einem Diskurs, der um das langeZeit vernachlässigte freiwillige gemeinwoh-lorientierte Engagement kreist. Es hat sichnämlich abgezeichnet, daß weder derStaat noch die privaten Haushalte und ver-wandtschaftlichen Netzwerke in der Lagesind, die sich gewandelten sozialen Risikenund Bedarfslagen in adäquater Weise ab-zusichern. Die Analyse der modernisiertenGesellschaft, die u.a. durch demographi-sche Verschiebungen oder Veränderungender Lebensweisen charakterisiert werdenkann, macht strukturelle Problemlagen deut-lich, zu deren Lösung das Engagement derBürgerInnen beizutragen hat. Die sozialpoli-tische Reformdebatte wird dementspre-chend durch die Suche nach Möglichkeitenund Wegen bestimmt, die bislang nicht aus-geschöpften gesellschaftlichen Ressourcenzu nutzen, die neben dem Staat bzw. denstaatsnahen Institutionen und familialer Ei-genhilfe einen Beitrag zu einem gesamtge-sellschaftlich befriedigenden Ausgleichssy-stem leisten können.

Diese Potentiale sind schwer zu quantifi-zieren. Häufig werden die Daten zitiert, diesich aus Untersuchungen der »SpeyererWerteforschung« ergeben. Auf der Basisdieser empirischen Erhebungen ergibt sich

das folgende Bild (vgl. Abb. 1: Das Enga-gement und die Engagementbereitschaftder deutschen Bevölkerung (nach demWertesurvey 1997):

Abb. 1: Das Engagement und die En-gagementbereitschaft der deutschen Bevöl-kerung (nach dem Wertesurvey 1997)

Quelle: Klages 1999; eigene Darstel-lung © Liebig 1999

Auf diese Weise wird seit einigen Jah-ren die Fahndung nach sowie die Unterstüt-zung von zusätzlichen und innovativen Ar-rangements des Bedarfsausgleichs forciert.Vor diesem Hintergrund erlangen in der so-zialpolitischen Debatte die freiwillig undunentgeltlich ausgeführten Tätigkeiten, dieetwas zum Gemeinwohl beitragen, eineneue Wichtigkeit und eine bislang unbe-kannte Wertigkeit. Es ist eine Verschiebungdes öffentlichen Interesses und des vorherr-schenden Blickwinkels zu beobachten: Dieentscheidende, handlungsmotivierende Ant-wort für die Forschung, die Politik oder an-dere Akteurskollektive wird mittlerweile we-niger in dem Anschluß an die Fragen ge-sucht, wer welche Hilfe durch Formen derSolidarität nötig hat, oder: welche Bedarfs-lagen sinnvollerweise mit den Mitteln desfreiwilligen gemeinwohlorientierten Enga-gements befriedigt werden können. Stattdessen wird verstärkt unter der Frage disku-tiert, was zu tun sei, um das Engagementder Menschen zu stärken bzw. zu fördern.Mit Blick auf den eigentlichen Akt der frei-

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willigen, unentgeltlichen Dienstleistung hatsich somit die Aufmerksamkeit verschoben –weg von den Hilfebedürftigen und derenBedarf, hin zu den hilfeanbietenden Produ-zenten der Leistung sowie zu den Institutio-nen und Akteuren, die das unentgoltene En-gagement als spezifische Form einer Dienst-leistung organisieren und nutzen. Überspitztausgedrückt: Im Gleichschritt mit der Kritik

an wohlfahrtsstaatlichen Systemen und dersie fundierenden Logik verändert sich vor al-lem die politische Zielrichtung: Weniger dieNot und die Bedürftigkeit sind der Aus-gangspunkt und die Legitimationsgrundlagefür politisches bzw. verbandliches Handeln,sondern die Strukturdefizite im System derEngagementweckung bzw. -förderung.3 Esgeht somit vor allem um die weiter zu ope-rationalisierende Frage, unter welchen Be-dingungen sich individuelle Möglichkeitenin gesellschaftlich mobilisierte Ressourcenverwandeln lassen. Die Initiative »PROBE«liegt also gewissermaßen voll im Trend.

Das verstärkte Interesse am freiwilligengemeinwohlorientierten Engagement unddie sich daran anschließende Rede von denStrukturdefiziten im System der Engagem-entweckung korrespondieren mit der vielzi-tierten Entdeckung, daß sich die Rahmenbe-dingungen für ein Engagement veränderthaben. Mit der Leitformel vom »Strukturwan-del des Ehrenamts« werden allgemeine Ver-änderungsprozesse auf den Begriff ge-bracht. Auf die wichtigsten diagnostiziertenEntwicklungen werde ich in den folgendenAusführungen in kurzer Form eingehen. Sie

sind sicherlich in der Lage, die von mir ineher abstrakter Form genannten Wand-lungsprozesse mit ihrer konkreten Arbeitssi-tuation zu vergleichen und entweder ver-stärkende Beispiele oder einschränkendePhänomene zu finden. Der Strukturwandelbetrifft vor allem

• das Verhältnis der sich unentgeltlichengagierenden Menschen zum beruflichen Personal;

• die Motivationslagen, die Bedürfnisseund die Einstellungen der sich enga-gierenden Bürger;

• das Passungsverhältnis des Engage-ments und der Organisationen;

• die Rolle des Staates im System derEngagementförderung.

(1) Im System der Sozialen Arbeit hatdas sogenannte Ehrenamt seine monopolar-tige Stellung, seine historische Exklusivitätfür bestimmte Hilfe- bzw. Problembearbei-tungsformen schon lange verloren. Unent-geltlich ausgeführte und beruflich gestalteteSoziale Arbeit sind heute gemeinsame Be-standteile eines zweigeteilten Versorgungs-angebots an sozialen Hilfen und Diensten.Die »Ehrenamtlichen« sind in fast allenBetätigungsfeldern von qualifiziertem undentgoltenem Personal umgeben. Demzufol-ge wird das Ehrenamt nicht mehr in der Re-lation zu den primären Versorgungsnetzengesehen, sondern es definiert sich in Ab-grenzung, als Gegenentwurf zu professio-nell geleisteten Dienstleistungen.4 Damitwerden die ehrenamtlich erbrachten Leistungen vermehrt mit denen der Professionellenverglichen und die in dieser besonderenStruktur schlummernden Problemlagen ver-einzelt zum Ausbrechen gebracht. Ehren-amtliche Vereinsvorstände werden vielerortsals schlechte bzw. dysfunktionale Führungs-gremien angesehen5 und in der Folge evtl.die Satzungen modifiziert oder sogar dieOrganisationsform des Vereins aufgege-ben.

Im Zuge der breit angelegten Diskussionüber die Verbesserung und Sicherung vonQualitätsstandards sowie der Auseinander-setzung mit den immer detaillierter undschärfer formulierten Qualitätsanforderun-gen der öffentlichen Kostenträger ist ehren-amtliche Arbeit vielleicht grundsätzlich inFrage gestellt. Am Beispiel der beiden größten Wohlfahrtsverbände läßt sich eine Kon-

VERBAND FÜR SOZIAL-KULTURELLE ARBEIT Rundbrief 199 23

sequenz dieser Entwicklungen anschaulichbeschreiben: Sowohl in den Reihen desDeutschen Caritasverbandes (DCV) alsauch unter dem Dach des DiakonischenWerkes (DW) wird der Wert der freiwilliggemeinnützig engagierten Menschen be-tont, wird das »Ehrenamt« als Wesensmerk-mal des eigenen Tuns permanent hochge-halten. Nach den Selbstangaben des Ver-bände arbeiten beim DCV ca. eine halbeMio. Menschen und beim DW ca.350.000 Menschen ehrenamtlich. Dies ent-spricht – bezogen auf die absolute Anzahl– etwa einem Verhältnis von 1:1 zum Kom-plex der Hauptamtlichen. Ein Vergleich desehrenamtlich erbrachten Arbeitsvolumensmit dem des beruflich arbeitenden Personalsergibt allerdings eine ernüchternde Relationvon etwa 1:13. Mit anderen Worten, derAnteil der von Ehrenamtlichen erbrachtenArbeit in den beiden konfessionellen Ver-bänden beträgt etwa (nur) zwischen 6,5 bis8 Prozent.

(2) In einer modernisierten Gesell-schaft haben sich die Lebenslagen und diesozialen Bedingungen des individuellen All-tags verändert. Dementsprechend ist esnicht verwunderlich wenn neben vielen an-deren Entwicklungen, auch von einemWandel mehrerer zentraler Aspekte desfreiwilligen gemeinwohlorientierten Engage-ments ausgegangen wird. An die Stelle ei-nes idealtypischen alten »Ehrenamts« trittein neuer Idealtyp, mit gewandelten Moti-ven, Erwartungen und Werten. Seit derzweiten Hälfte der 80er Jahre6 werden An-zeichen und Kriterien für dieses neuartige»Ehrenamt« behauptet, aufgezeigt, systema-tisiert und theoretisch verarbeitet. Demnachsetzt sich der neue Typ u.a. aufgrund fol-gender Kriterien vom »alten oder traditio-nellen Ehrenamt« ab.7

• Das entscheidende handlungsmotivie-rende Merkmal des »neuen Ehrenamts« be-steht in der Norm der Reziprozität von Ge-ben und Nehmen und nicht mehr in der desselbstlosen Handelns.

• »Ehrenamtlich« arbeitende Personensind nicht mehr völlig »unbezahlt« zu ge-winnen bzw. zu motivieren. »Ehrenamtli-che« Arbeit überlagert sich in vielen Berei-chen immer stärker mit Honorartätigkeit, Bil-liglohnarbeit und Ersatz-Erwerbsarbeit.

• Die Qualifikationsansprüche an »eh-renamtliche« Arbeit haben sich – implizitoder explizit – graduell erhöht. Es bestehtein Trend zu latenter Fachlichkeit bzw. zu»Semi-Professionalität«.

• Die Anzahl der Typen »ehrenamtlich«Arbeitender hat sich ausgeweitet, so daßvon einer Pluralisierung und Ausdifferenzie-rung des Ehrenamts gesprochen werdenkann.

• »Ehrenamtlichkeit« ist zu einem Medi-um für Prozesse der Identitätssuche undSelbstfindung geworden. Selbstentfaltungs-werte gewinnen zunehmend zugunsten vonPflicht- und Akzeptanzwerten an Bedeutung.

• Das zentrale Moment der Aktivierungdes »neuen Ehrenamts« ist weniger die So-zialisation in einem bestimmten Milieu, dasspezifische Deutungsmuster und Normennahelegt, sondern eher so etwas wie einebiographische Passung. Das heißt, nurwenn in einer spezifischen LebensphaseMotiv, Anlaß und Gelegenheit zusammen-passen, dann kommt ein ehrenamtliches En-gagement zustande.8

• Es findet eine Verlagerung des »eh-renamtlichen« Engagements statt, d.h. neueEngagementfelder (z.B. Ökologie) und neueOrganisationsformen (z.B. selbstor-ganisierte Initiativen) gewinnen zu Lastender alten Felder und Organisationsformenan Attraktivität.

• Die durch »ehrenamtliche« Arbeit ein-gegangenen verpflichtenden Arrangementsverlieren an Attraktivität, d.h. die »Ehren-amtlichen« nehmen für sich die Option inAnspruch, sich (jederzeit) wieder zurückzie-hen zu können.

(3) Wir leben in einer Organisations-gesellschaft; die Organisationen sind zen-trale Gestaltungsmittel moderner Gesell-schaften, sie sind gewissermaßen auch derVerwirklichungsraum für das unentgeltlicherbrachte Engagement außerhalb der Netz-werke im sozialen Nahraum. Wenn sichnun – wie gerade beschrieben – die indivi-duelle Seite des freiwilligen gemeinwohlori-entierten Engagements verändert hat undimmer noch verändert, dann liegt dieSchlußfolgerung nahe, daß sich auf der in-stitutionellen Seite ebenfalls Veränderungenvollziehen. Diese Entwicklungen sind einer-seits in einer Mikroperspektive nachzu-vollziehen, die einen Verband oder eineEinrichtung fokussiert, sie können aber auch– repräsentativer – in einer Makroperspekti-ve deutlich werden, die etwa den soge-nannten »Dritten Sektor« als Beobachtungs-gegenstand aufnimmt. Eine Analyse diesesSektors zwischen Staat und Markt ergibt,daß scheinbar die traditionellen Organisa-tionen, innerhalb derer freiwilliges Engage-ment hauptsächlich als traditionelles »Ehren-amt« in Erscheinung tritt, zunehmend weni-

ger in der Lage sind, den veränderten Be-dürfnissen und Werten von Menschen zuentsprechen, die sich in nicht-traditionellerWeise gemeinwohlorientiert engagierenwollen. In diesem uneinheitlichen gesell-schaftlichen Sektor sind Verlagerungsten-denzen zu beobachten, die Gewinner- undVerliererorganisationen, attraktive und unat-traktive Organisationsformen entstehen las-sen.

Vor allem der Wertewandel der Bevöl-kerung9 und die sich daraus entwickelndenneuartigen Lebensstile und individuellenZeitbudgets werden als Motor gesehen,daß es auf der einen Seite für bestimmteMitgliederverbände, wie Parteien, Gewerk-schaften und Kirchen, zunehmend schwieri-ger wird, Mitglieder und »ehrenamtlich« ar-beitende MitarbeiterInnen zu gewinnen,während auf der anderen Seite weitere Mit-gliederverbände, Initiativen und Bewegun-gen, wie Selbsthilfegruppen, Sportvereineoder Chöre, steigende Mitgliederzahlenaufweisen können. Auffällig ist, daß diejeni-gen Organisationen an Attraktivität verlie-ren, die sich durch eine direkte oder indi-rekte hohe politische Relevanz auszeichnenund stark in korporatistischen Arrangementsauf der Makro-Ebene eingebunden sind,während gleichzeitig insgesamt der Organi-sationsgrad der Bevölkerung kontinuierlichsteigt. »Die Gewinner dieses Trends sindzum einen ‘unpolitische’ Organisationendes Freizeitbereichs, wie ganz prononciertdie Sport-, aber auch die Gesangvereineund Chöre, sowie zum anderen Gruppenund Initiativen, die in einem sehr direktenund basisorientierten Sinn der Organisationvon Betroffeneninteressen dienen, wie ins-besondere Selbsthilfegruppen, aber auchandere Initiativen im Sozialbereich, wieetwa Elterngruppen oder Nachbarschafts-vereinigungen.«10 Diese Befunde belegen,daß Mitgliederorganisationen mit Blick aufihre durch Ehrenamtliche getragene Seitekeineswegs »für tot« erklärt werden können,sondern – aus der Gesamtschau der DrittenSektor-Perspektive betrachtet – eine Verlage-rung des Engagements auf den Freizeit-, Er-holungs- und Vergnügungsbereich stattfin-det.

(4) Das freiwillige gemeinnützige En-gagement ist etwas Besonderes und wirddeshalb auch als solches in der öffentlichenDiskussion behandelt. Aus diesem Engage-ment ziehen sowohl die einzelnen Men-schen als Adressaten und Akteure des En-gagements als auch das Gemeinwesen als

Ganzes einen Gewinn. Unter Kostenge-sichtspunkten schneidet es im Vergleich zualternativen – beruflich ausgeführten – Hil-feformen prinzipiell günstiger ab, der Staatbzw. die parastaatlichen Sicherungssyste-me sparen monetäre Ressourcen. Eine Füllevon gemeinnützigen Organisationen haltenihren politischen und finanziellen Statusu.a. auch durch die Tatsache aufrecht, daßsie als Vermittlungsagenturen für ehrenamt-liche Arbeit oder bürgerschaftliches Enga-gement in der Öffentlichkeit auftreten kön-nen (Stichwort: Subsidiaritätsprinzip). Frei-willig gemeinnützige Arbeit kann qualitativanders mit menschlichen Problemen umge-hen und zudem noch als Eigenleistung derVereine und Verbände gegenüber den öf-fentlichen Kostenträgern ausgewiesen wer-den. Und die Engagierten selbst profitierenvon ihrem Tun, indem sie immaterielle For-men der Rückerstattung erhalten, etwa An-erkennung innerhalb der Vereine, Dank derAdressaten, bestimmte Vergünstigungenoder Foren der Selbsterprobung und Selbst-bestätigung. Hinzu kommt, daß dieses En-gagement sozusagen als Paradebeispiel fürden »sozialen Kitt« unseres Gemeinwesendafür steht, daß die Ressource der gelebtenSolidarität unserer Gesellschaft nach wievor vorhanden ist. Infolgedessen liegt alsBotschaft und Deutung nahe: Eine Ge-sellschaft, in der Menschen sich unentgelt-lich für das Gemeinwohl einsetzen, kannnicht so individualisiert, kann nicht so öko-nomisiert, kann nicht so von Egoismendurchsetzt sein, wie es mancherorts mit dro-hendem Unterton behauptet wird.

Vergleichende Studien zum »ehrenamt-lichen« Engagement im internationalenMaßstab11 sowie differenziertere Verglei-che mit einzelnen Ländern12 münden fürdie deutsche Seite zumeist in politische For-derungen. Dies ist u.a. auch die Ursachedafür, daß sich insgesamt eine zunehmen-de Einmischung der staatlichen Instanzen inden Bereich des freiwilligen gemeinwohlo-rientierten Engagements beobachten läßt.Mittlerweile existiert eine Fülle von Pro-grammen, Initiativen und Vorhaben, diestaatlich finanziert werden. Vor allem dieEngagementförderung von älteren Men-schen scheinen die staatlichen Agenturenals ihre Aufgabe entdeckt zu haben. Dafürlassen sich etliche Beispiele anführen: Die»Aktion 55 – Sachsen braucht Sie« desFreistaates Sachsen, das Programm »55Aufwärts« des Landes Brandenburg, dasModellprogramm »Seniorenbüro« des Bun-des oder auch das Programm »Seniorenge-nossenschaften« des Landes Baden-Würt-

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temberg. Aber auch die Initiative zur Schaf-fung einer nationalen Freiwilligenagenturbzw. die Etablierung der Stiftung »Bürgerfür Bürger« kann hier bestätigend angeführtwerden. Der Staat etabliert sich damit ge-wissermaßen als ein Spitzenverband desbürgerschaftlichen Engagements.13

Teil B: Dimensionen des bürger-schaftlichen Engagements

Die Rede vom »bürgerschaftlichen Enga-gement« ist heute aus dem breit angelegtenDiskurs etwa zwischen den Eckpunkten »Eh-renamt«, »gesellschaftliche Teilhabe«, »Um-bau des Sozialstaats« und »Selbstsorge«nicht mehr wegzudenken. Dieser Begriffkann als eine Klammer für eine Fülle vonKonzepten und Strategien angesehen wer-den, die in dem angesprochenen Diskurszwar keine einheitliche Position, aber einedoch deutlich von anderen unterscheidbareHaltung vertreten und spezifische Hand-lungsoptionen favorisieren. Das bürger-schaftliche Engagement knüpft an eine be-stimmte Tradition an, d.h. es sind etlicheAspekte zu benennen, die gewissermaßenaus der Geschichte »mitschwingen«. Wich-tig sind dabei zwei sich wechselseitig vor-aussetzende Stränge: Einerseits ist die Ent-wicklung nachzuzeichnen, die mit dem»Bürgerkonzept« verbunden ist und ande-rerseits die Frage zu klären, welches Ver-ständnis mit dem Begriff des Ehrenamts ver-bunden war.

Die Bezeichnung einer Person als Bür-ger diente ursprünglich, d.h. bereits im Mit-telalter, ausschließlich dazu, bestimmteMerkmale der Herkunft näher zu bestim-men. Das Wort Bürger leitete sich vomWortstamm »Burg« ab, welches anfänglichauch »Stadt« bedeuten konnte, und verwiesnur darauf, daß eine bezeichnete PersonBewohner einer Stadt war. In städtischenStrukturen hatte sich eine grundsätzlich an-dere Bevölkerungsstruktur, Produktionsweiseund Machtverteilung als in ihrem Umlandetabliert. Im Hochmittelalter entstand derneue Typ einer Bürgergemeinde als Genos-senschaftsverband freier Männer, der krafteigenen, vom Stadtherrn gewährten oderihm abgerungenen oder erkauften Rechtssich Schritt für Schritt aus der adligenGrundherrnschaft zu lösen begann.14 Mitdiesen gesellschaftlichen Veränderungenentwickelten sich verschiedene Kriterien, diedie Bürger in Differenz zum Adel und zurländlichen, bäuerlichen Bevölkerung als be-stimmte, privilegierte gesellschaftliche Groß-

gruppe charakterisierten. Diese Formationbildete sich zunächst weniger über Reich-tum und Berufszugehörigkeit als vielmehrüber die zuerkannte Rechtsstellung bestimm-ter Städtebewohner. Ausgeschlossen vondem sich herausbildenden Bürgerrecht, dasvon Stadt zu Stadt verschieden sein konnte,»blieben etwa Tagelöhner, Gesinde, Gesel-len, Fremde und unfreie Hörige adliger Herren, grundsätzlich die mit eigenen Privilegi-en ausgestattete Geistlichkeit und seit demSpätmittelalter generell auch die Juden.«15Dieses eingeschränkte und ausschließendeVerständnis dessen, wer als Bürger zu ver-stehen ist und dementsprechend in den Ge-nuß von Bürgerrechten kommen konnte,zog sich durch die Jahrhunderte hindurch.16 Immer waren es Kriterien des Ge-schlechts, der Religionszugehörigkeit, desBesitztums oder des Berufs, die definierten,wer als Bürger zu bezeichnen war – derBürgerstatus deutete auf eine exklusive Rolle

Der Begriff »Ehrenamt« formte sich mitBezug auf die sozialen Verhältnisse undGegebenheiten des 19. Jahrhunderts17 aufeine bürgerliche Form ehrenamtlicher Ar-beit18. Zu dieser Zeit hatte das Ehrenamteinerseits den Status eines »öffentlich-rechtli-chen Amtes«, andererseits stellte das Ehren-amt ein Gegengewicht gegen den zentrali-stischen Obrigkeitsstaat dar.19 Die be-schränkte Selbstverwaltung der preußischenStädte, die als eine relevante Rahmenbedingung für das damalige Ehrenamt anzuse-hen ist, läßt sich als unumgängliche politi-sche Reaktion auf gesellschaftliche und öko-nomische Umwälzungen im benachbartenAusland beschreiben. Mit diesen reformeri-schen Maßnahmen war u.a. das Ziel ver-bunden, eine politische Erziehung bestimm-ter Bürgerkreise zu erreichen, durch die sichein Näherrücken dieser Bürger an denStaat ergeben sollte.20 Mit anderen Wor-ten: Ziel des Angebots, die lokalen Angele-genheiten durch die Bürger selbst regeln zulassen, war die Integration des aufstreben-den Bürgertums in den noch nach absoluti-stischen Prinzipien regierenden Staat. DieseVerbindung von individuellen und staatli-chen Interessen läßt sich auch im Bereichder Sozialen Arbeit beispielhaft darstellen.Dort wird das »Ehrenamt« bzw. das bürger-schaftliche Engagement vor allem mit derArmenfürsorge und dem sogenannten»Elberfelder System« in Verbindung ge-bracht.

Die fortschreitende Industrialisierung,Phasen schlechter Konjunktur und das

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Wachsen der Städte brachte es mit sich,daß einerseits die bürokratische Regelungdes Armenwesens an strukturelle Grenzenstieß und andererseits sich soziale Unruhenentwickelten. »Um diesen Schwierigkeitenbegegnen zu können, entwickelte die StadtElberfeld im Jahr 1853 ein neues Systemder offenen Armenpflege, das die Fürsorgerationalisierte und verbilligte. Die Persön-lichkeit und die Verhältnisse des Hilfsbe-dürftigen wurden geprüft, um die Hilfe aufder persönlichen Grundlage von Menschzu Mensch wirksamer zu gestalten.«21 Esentstand – parallel zu dem vorhandenen,zumeist von Diakonen wahrgenommenenkirchlichen »Amt« – das öffentlich organi-sierte soziale Ehrenamt mit dem sogenann-ten »Elberfelder Armenpflegesystem«.22Diese besondere Form der öffentlichen Ar-menfürsorge entwickelte sich in der zwei-ten Hälfte des 19. Jahrhunderts zur domi-nierenden Organisationsgestalt.23 Nachdiesem Modell wurde das Stadtgebiet inQuartiere unterteilt, zu denen eine be-stimmte Anzahl von Armenfürsorgern be-stellt wurden. Deren entscheidende Qualifi-kation bestand darin, daß sie als Bürgerund Nachbar lokale Vertrautheit und Prä-senz aufwiesen.24 Aufgrund des systema-tischen Einsatzes ehrenamtlicher Armen-pfleger, die möglichst nicht mehr als vierarme Familien oder Einzelpersonen zu be-treuen hatten, sollte einerseits eine am Ein-zelfall orientierte Hilfe und anderseits einesparsame Verwendung der Finanzmittelgewährleistet werden.25 Die Ehrenamtli-chen konnten aufgrund der preußischenStädteordnungen zu diesen öffentlichenZwangsämtern verpflichtet werden, was al-lerdings in vielen Fällen gar nicht notwen-dig war, da den Armenbehörden einegroße Anzahl Freiwilliger zur Verfügungstanden. Erst um die Jahrhundertwendewurden andere, professionalisierte Formender Armenfürsorge immer attraktiver.26

Zusammenfassend läßt sich sagen: Aufder Grundlage eines exklusiven Bürgerbe-griffs entwickelte sich zu Beginn des 19.Jahrhunderts ein mehr oder weniger frei-williges, ein mehr oder weniger gemein-wohlorientiertes Engagement, das sich inder Übernahme eines politischen Ehren-amts äußerte. Diese Anfänge des bürger-schaftlichen Engagements bedeuteten, daßMänner des aufstrebenden Bürgertumssich innerhalb verliehener Ämter an sym-bolischen Formen der Partizipation anstaatlicher Macht beteiligen konnten. Ne-ben diesem demokratischen Element des

Ehrenamts, neben diesem Medium derBürgeridentifikation mit dem Staat, war Eh-renamt auch mit einem bestimmten Statusverbunden. Der Begriff Ehrenamt verweistauf ein ganz bestimmtes Verständnis derRolle des Ehrenamtlichen als eines Beam-ten. Für die Ausübung seiner unent-goltenen Tätigkeit war der Amtsinhabermit der Amtsehre des Staatsbeamten aus-gestattet. »Er hatte ein Anrecht auf jeneAnerkennung und Achtung, welche dieStaatsbürger der Staatsgewalt schulde-ten.«27 In dieser Tradition liegen dieTätigkeiten, die heute noch in den Amtsbe-zeichnungen »Schöffe«, »Laienrichter«,»Vormund« bzw. im Sinne der neuen ge-setzlichen Grundlage »ehrenamtlicher Be-treuer« gebräuchlich sind.

Das »Ehrenamt« bzw. das bürger-schaftliche Engagement kann als Ausdruckeiner besonderen Mischung mehrerer all-gemeiner Entwicklungsrichtungen verstan-den werden. In ihm spiegelte sich einer-seits das Phänomen der gesellschaftlichenUngleichheit und andererseits der Prozeßder Durchsetzung von universellen Frei-heits- und Beteiligungsrechten im Zusam-menhang eines spezifisch deutschenStaatsverständnisses. Bis etwa zur Mittedes 19. Jahrhunderts traten neben das po-litische das richterliche Ehrenamt (derSchiedsmänner, Geschworenen, Laien-richter), das ständisch-wirtschaftliche Eh-renamt (in Handelskammern, Innungen,Ärzte- und Anwaltskammern) und das städ-tisch initiierte soziale Ehrenamt (in der Ar-menfürsorge) hinzu und es erfolgte eineverstärkte ehrenamtliche Tätigkeit vonFrauen.

Wenn heute vom bürgerschaftlichenEngagement gesprochen wird, sind vieleder Bedeutungen, die in der Geschichtedes Bürgerkonzepts und des Ehrenamtsihren Platz hatten, nicht mehr präsent.Dennoch scheint der Begriff mit Bedachtgewählt. Es geht auch heute u.a. um dieVerhältnisbestimmung des Einzelnen zumGemeinwesen – und die erfährt bei derRede vom bürgerschaftlichen Engagementeine besondere Ausprägung. Dies werdeich in den folgenden Ausführungen näherbehandeln.

Unter Berücksichtigung dessen, was inDeutschland zur Zeit über das Thema pu-bliziert wird, scheint der deutsche Diskursstark von denen geprägt zu sein, die in ir-gendeiner Form in die vielgestaltigen Akti-

vitäten zum bürgerschaftlichen Engage-ment involviert sind, die wesentlich vomLand Baden-Württemberg vorangetriebenwerden. Daher möchte auch ich mich aufder Basis dessen bewegen, was dort zumbürgerschaftlichen Engagement geschrie-ben und praktisch umgesetzt wird. Dabeischeint dieser Begriff generell seinen An-kerpunkt weniger in dem lebensweltlichenAlltag der Bürger selbst als vielmehr indem öffentlichen Raum der Programme,Strategien und Parolen zu haben. Soschreibt etwa Wendt: »BürgerschaftlichesEngagement treibt zunächst nicht die Bür-ger in ihrem Lebensfeld um, sondern be-schäftigt Institutionen, Gremien, Politikerund Publizisten.«28

Für eine Analyse der Dimensionen desbürgerschaftlichen Engagements stehtnatürlich die Definition der Begrifflichkeitam Anfang (vgl. Abb. 2: Definitionen»bürgerschaftlichen Engagements«). Dieexemplarisch aufgeführten Zitate stellenkeine Definitionen in einem strengen Sinnedar, sondern müssen eher als Versuche ge-wertet werden, nachvollziehbar zu er-klären, wann und unter welchen Bedingun-gen der Begriff des bürgerschaftlichen En-gagements eingesetzt werden kann. Dabeiwird einerseits auf eher objektive Gege-benheiten und andererseits auf subjektive,vor allem motivationale Aspekte rekurriert.

Definitionen »bürgerschaft-lichen Engagements« Definitionen – Schlagwörter

»Bürgerschaftliches Engagement be-zeichnet eine eigene Form freiwilligen En-gagements. Bürgerschaftliches Engagementmeint: ‘Ich engagiere mich als Bürger.’ Derkonkrete Platz hierfür ist die lokale Gemein-schaft, sei es ein Stadtteil oder eine Ge-meinde. Bürgerschaftlich Engagierte wollenan den Angelegenheiten und der Vielfaltdes Lebensverlaufs im Gemeinwesen in ko-operativer Weise partizipieren. Sie machensich die Förderung des Gemeinwohls zurAufgabe und übernehmen hierfür Verant-wortung, Bürgerschaftlich Engagierte inter-pretieren ihr Leben als Bürger auch alsChance und Aufgabe für das Gemeinwe-sen.« Brosch (1995, S. 73).

■ lokale Gemeinschaft■ Partizipation■ Chance und Aufgabe

»Bürgerschaftliches Engagement ist ...ein konstitutives Prinzip der Bürgergesell-schaft, vielleicht ihr wichtigstes. SeineHandlungsfelder, Handlungsziele und -not-wendigkeiten werden ... nicht verordnet(vom Staat, von den Parteien usw.), son-dern vereinbart, zwischen den Bürgernselbst, zwischen staatlichen Institutionenund Bürgern, zwischen Kommunalverwal-tungen und Bürgern usw.... Bürgerschaftli-ches Engagement ist hinsichtlich seiner je-weiligen Beweggründe und Motivlagen of-fen. Es schließt altruistische und pflichtethi-sche Motive nicht notwendigerweise aus(monopolisiert sie aber andererseits auchnicht), läßt aber auch jeweils andere –möglicherweise wechselnde – Motivlagendurchaus zu (z.B. Eigeninteresse, Selbstbe-zug Erlebnisorientierung, Spaß usw.), for-dert sie gar heraus.« Ueltzhöffer/Asche-berg (1996, S. 21 f.).

■ Bürgergesellschaft■ Vereinbarungen■ unterschiedliche Motivlagen

»Bürgerschaftliches Engagement ist Aus-druck gelebten Eigeninteresses, das – zu-sammen mit anderen – allen gemeinsamzugute kommt. Es greift in vielen Bereichenseiner Erscheinungsform ehrenamtliches,freiwilliges, selbsthelfendes und mit-verwaltendes Handeln auf, das auf vorhan-dene Not und auf absehbaren sozialen Be-darf reagiert. Es zielt aber darüber hinausunter bürgerschaftlichen Gesichtspunktenvorrangig auf die Verbesserung der Lebens-qualität aller, die Verbesserung des Mitein-anders und der Möglichkeit, alle daran Be-teiligten als gleichberechtigte mitgestalten-de Bürgerinnen und Bürger zu erfahren.«Hummel (1998, S. 23).

■ Ausdruck des Eigeninteresses■ Verbesserung der Lebens-

qualität■ Mitgestaltung

© Liebig 1999

Die begriffliche Klärung des bürger-schaftlichen Engagements scheint sowohlauf einen Gegenbegriff zur Abgrenzungals auch auf einen Bezugsbegriff als Funda-ment verzichten zu können. Über alle Defi-nitionen hinweg erscheint bürgerschaftli-

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ches Engagement als eine (terminologische)Kategorie, als eine übergeordnete Klam-mer, die eine Begriffsdifferenzierung nur imInnenverhältnis kennt. Mit anderen Wortenund etwas zugespitzt formuliert: Bürger-schaftliches Engagement ist mit Blick auf dieBegriffsvielfalt des Diskurses alternativ- unddamit konkurrenzlos. Die Voraussetzungenfür sein Zustandekommen besitzen kaumausschließenden Charakter – fast alle mög-lichen Formen des Engagements sind unterdem Etikett »bürgerschaftliches Engage-ment« subsumierbar.

Dementsprechend ist – gemäß der Defi-nitionen – das motivationale Fundament,das zum bürgerschaftlichen Engagementführt, äußert breit.29 Alle denkbaren Be-weggründe und möglichen Motive für einEngagement können die Grundlage darstel-len – die einzige Bedingung ist, daß dieFörderung des Gemeinwohls als ein Effektfestgestellt werden kann. Auch die Art undWeise, die eine Förderung des Gemein-wohls hervorbringt, ist für die definitorischeAnnäherung eher uninteressant. Den Kerndes praktischen bürgerschaftlichen Han-delns liefert die Selbstbeschreibung als Bür-ger. In der Folge sollen Vereinbarungen mitunterschiedlichen sozialen Akteuren entste-hen, die vor allem partizipatorischen Nor-men entsprechen und eine gleichberechtigteMitgestaltung aller Beteiligten ermöglichen.

Das bürgerschaftliche Engagement ent-wickelt sich – aus der Sicht eines Gemein-wesens – nicht wie von selbst, sondern esbedarf einer entsprechenden Infrastruktur.Neben der Aufgabe für die Organisatio-nen, sich den motivationalen Veränderun-gen auf der individuellen Seite anzupassen,bedeutet dies, daß ebenso ein Interpretati-onsrahmen notwendig wird, der ein passen-des analytisch-zeitdiagnostisches Konzeptanbieten kann. Einen solchen Interpretati-onsrahmen, eine solche Plausibilitätsstrukturbildet der sogenannte »Kommunitaris-mus«.30 Aus der entgegengesetzten Rich-tung blickend – also von kummunitaristi-schen Konzepten ausgehend – erscheintdas bürgerschaftliche Engagement als derSchlüssel, der den eher normativ-abstraktenVorstellungen die gesellschaftliche Praxis er-schließt. Das bürgerschaftliche Engagementund kommunitaristische Standpunkte passenzusammen und scheinen sich gegenseitigein Fundament liefern zu können.

Der schillernde Begriff »Kommunitaris-mus« wird nicht einheitlich benutzt, sein Ge-

brauch wird von Mißverständnissen beglei-tet und er findet Interesse in unterschiedli-chen politischen Lagern, da u.a. gemein-sam geteilte negativ bewertete gesellschaft-liche Zustände bzw. Entwicklungen diagno-stiziert werden. Das Gemeinsame dieser fa-cettenreichen »Denkströmung« ist u.a. darinzu sehen, daß durch den Bezug auf den Begriff der Gemeinschaft negativ bewertetegesellschaftliche Zustände bzw. Entwicklun-gen der Gegenwart diagnostiziert werden.Unter Rückgriff auf die »rettende Hermeneu-tik der Gemeinschaftsidee«31 wird beab-sichtigt, ein Bewußtsein und eine Hand-lungsplattform auf der Basis der eigenenTradition zu entwickeln, in der gemein-schaftliche Wertbindungen ihre Bedeutung(zurück)erhalten. Der Ausdruck »Kommuni-tarismus« wurde deshalb gewählt, weil derBegriff der Gemeinschaft bzw. der commu-nity als Etikett eines Gegenentwurfs brauch-bar erscheint. Er wendet sich gegen dasBild einer Gesellschaft, die auf isolierte, miteinander konkurrierende Individuen ba-siert.32 In den Vereinigten Staaten hat sich– wesentlich beeinflußt von Amitai Etzioni –eine kommunitaristische Bewegung gebil-det33, die mittlerweile auch in der Bundes-republik Deutschland angekommen ist. Aus-gangspunkt und Verbindungsstück kommu-nitaristischer Programme ist eine bestimmteDiagnose der modernisierten Gesellschaft.

Mit einem Bezug auf die Diskussion zumWertewandel oder einer einseitigen Rezep-tion der »Individualisierungsthese« geratenGefährdungen ins Zentrum der Wahrneh-mung und der Diskussionen. Festzustehenscheint, daß in großen Teilen der Bevölke-rung »der egozentrische, die Bürgerpflich-ten und das Gemeinwohl ignorierende So-zialstaatsbürger ... zur gesellschaftlichenNormalfigur geworden«34 ist. Diese Vor-stellung bekommt ihr Fundament durch mehoder weniger gesicherte Er-fahrungstatbestände und wird mittlerweileunter mehreren Etiketten öffentlich diskutiert.Mit Schlagworten wie »Politikverdrossen-heit«, »Erosion des Gemeinsinns« oder»Rückzug ins Private« werden diese Prozes-se bzw. Zustände benannt. Deren Gemein-samkeit besteht darin, daß eine Abnahmedes öffentlichen Engagements der Bürger,ein Rückzug aus der Rolle des verantwor-tungsvollen Bürgers beschrieben bzw. be-klagt wird. Von diesen Prozessen sind aller-dings nicht nur die absoluten Quoten desfreiwilligen gemeinwohlorientierten Engagements betroffen, sondern auch fundamenta-le demokratische und moralische Werte.35

VERBAND FÜR SOZIAL-KULTURELLE ARBEIT Rundbrief 199 27

Diese Sorge um die soziale Dimension derGesellschaft mündet in der Einsicht, daß ge-nau diese soziale Dimension der Stärkungbedarf. Das schwindende Engagement derBürger für das Gemeinwohl außerhalb derprivaten Sphäre und jenseits entgoltener Ar-beitsbeziehungen und die Einsicht, daß ge-rade diese Kompetenz für Demokratie, Frei-heit und die Aufrechterhaltung sozialer Ord-nung notwendig ist, provozieren neue Kon-zepte zur Stärkung desselben. Diese Kon-zepte rechnen mit einem Typ des Bürgers,dessen Handeln nicht vorherrschend am in-dividuellen Nutzenkalkül orientiert ist, son-dern am »Bürger- und Gemeinsinn«. Sokann der Kommunitarismus auch als ein»Ruf nach Sozialkitt« verstanden werden,der eine Reaktion auf Mobilität, Entwurze-lung und Zerrüttung von Traditionen und Sit-te darstellt und dazu dienen soll, errungenegesellschaftliche Tugenden und Institutionenzu erhalten.36 Es geht um eine Revitalisie-rung des Gemeinschaftsdenkens.

Da weder dem demokratischen Staatnoch dem herrschenden Wirtschaftssystemdie Funktion zufallen kann, geistige Orien-tierung und zivile Tugenden wie Solidarität,Vertrauen oder Toleranz zu liefern, bestehtderen Aufgabe allein darin, den Möglich-keitsrahmen für andere erfolgreiche unddarum notwendige Institutionen zu schaffen.Aus diesem Grund spielen bei den Kommu-nitariern gerade die Institutionen des DrittenSektors eine herausragende Stellung. AuchFamilie und Schule besitzen zur Entwick-lung von Bürgersinn eine besondere Funkti-on, sie haben eine zentrale Position im zivi-len Beziehungsgeflecht aus Bürgerengage-ment, Nachbarschaften, Bürgerinitiativen,sozialen Bewegungen, Vereinen, Parteienund Verbänden inne.

Etzioni – dessen Vorstellungen hier bei-spielhaft kurz dargestellt werden – will denKommunitarismus am besten als zweite Um-weltbewegung verstanden wissen.Während bislang – bei der ersten Bewe-gung – der Schutz der Umwelt im Vorder-grund der Bemühungen stand, »ist dasHauptanliegen der Kommunitarier das We-sen der Gesellschaft, die moralischen, so-zialen und politischen Fundamente der Ge-sellschaft.«37 Dabei geht es weniger umdie Erhaltung des bestehenden Status Quoals vielmehr um die Verwirklichung von Vor-stellungen, die einem neuen Sozialethosentspringen. Von besonderem Interesse istdabei das angestrebte Gleichgewicht zwi-schen Freiheit und sozialer Ordnung, also

zwischen Rechten und Pflichten des Ge-meinwesens sowie derjenigen Personen undGemeinschaften, die zu diesem Gemeinwe-sen gehören. Gemäß den Vorstellungen,die der katholischen Soziallehre sowie demSubsidiaritätsprinzip entstammen und diedie Gesellschaft nach einem hierarchischenMuster zwischen Individuum und Gesell-schaft aufteilen, wird eine neuartige Aufga-benverteilung zwischen dem Sozialstaat,den Gemeinschaften, den Familien und denIndividuen angestrebt. Etzioni schreibt:»Diese Erwägungen führen zu dem Vor-schlag, daß ein starker, aber reduzierterKern des Sozialstaates erhalten bleiben soll-te, während andere Aufgaben den Individu-en, Familien und Gemeinschaften übertra-gen werden sollten. Der beste Weg zumSchutz und Erhalt des Sozialstaates bestehtdarin, ihn nicht länger durch die Schaffungimmer neuer Leistungen und immer neuerForderungen zu überlasten.«38 Es geht –auch wenn andere Vokabeln benutzt wer-den – um den Abbau des Sozialstaates,und zwar in den Bereichen, in denen Lei-stungen durch positive, lohnende und mora-lische Anreize von nicht-staatlichen Institutio-nen bzw. von Individuen übernommen wer-den können.39 Das derzeitige Universumvon Rechten der gesellschaftlichen Akteuregegenüber dem Staat transformiert zum Teilzu Pflichten, die die jeweils umfassenderengesellschaftlichen Gebilde bzw. der Staateinfordern können.

Eine gewünschte Stärkung des bürger-schaftlichen Engagements auf dem Funda-ment kommunitaristischer Konzepte scheintsich auf den ersten Blick folgerichtig ausder Analyse des allgemeinen Diskurses zumfreiwilligen gemeinwohlorientierten Engage-ment herauszuschälen. Vor dem Hinter-grund der in Teil A beschriebenen Entwick-lungsprozesse unter der Überschrift »Struk-turwandel des Ehrenamts« bietet sich einalle Facetten und alle Motivationen einsch-ließende Praxis und eine Rückbesinnung aufWerte der Verantwortung und des Gemein-sinns an. Dennoch, auf den zweiten Blick,ist diese Argumentation doch nicht so ganzfolgerichtig:

Unter Berücksichtigung der kommunitari-stischen Problemanalyse, in der auch Indivi-dualisierungsprozesse eine zentrale Rollespielen, bleibt weitgehend unklar, wie diealten Werte wiederbelebt werden sollen.Wenn – wie gefordert – der Staat sichzurückzieht und das gesellschaftliche Poten-tial in die Pflicht genommen wird, dann

könnte dies bedeuten, daß entweder dieFreiwilligkeit des Engagements verloren-geht, oder die Grundlagen der bedrohtenWerte weiter geschwächt werden. Mit an-deren Worten: Eine Politik, die sich u.a.auch auf Bürgerpflichten bezieht und die Ei-genverantwortung betont, könnte genaudas der Zerstörung preis geben, was aufder programmatischen Ebene als erhaltens-wert eingestuft wird. Die aktuelle politischeDiskussion macht am Beispiel der Familiedeutlich, daß der Staat als Korrektiv kapita-listischer Bedingungen unbedingt notwen-dig bleibt. Eine Realisierung individuellerVerantwortung untergräbt unter Umständendie ökonomischen Voraussetzungen einesbürgerschaftlichen Engagements und dieFundamente aktuell herrschender entgolte-ner, beruflicher Solidarität. Auch eine Ge-sellschaft, die sich ein System verberuflich-ter personenbezogener Dienstleistungen lei-stet, kann – genau deshalb – eine sozialeGesellschaft sein. Es kann vor dem Hinter-grund des geschilderten »Strukturwandelsdes Ehrenamts« weniger um eine Revitalisie-rung des Gemeinschaftsdenkens gehen,sondern es sind modernisierte Formen derSolidarität zu kreieren.

Teil C: Folgerungen für die Pro-grammentwicklung zu »PROBE«

In meinem letzten Teil möchte ich keineweiteren, neuen Sachverhalte ansprechen,sondern nur kommende Diskussionsrundenanregen. Zu diesem Zweck werde ich mitdrei Gedanken enden, die sich auf das Vor-getragene beziehen und Fragen zu Weiter-arbeit beinhalten.

(1) Für den Begriff des bürgerschaftli-chen Engagements existiert – wie auch zuallen anderen konkurrierenden Ausdrücken– keine allgemein anerkannte Definition,die Sie einfach übernehmen könnten. Diedrei aufgeführten Definitionsbeispiele sindja nur ein kleiner Ausschnitt aus einemgroßen Universum von Vorschlägen, diesich z.T. ergänzen, z.T. widersprechen,aber immer andere Akzente betonen. Siewerden nicht umhinkommen, für sich zuklären, was bürgerschaftliches Engagementbedeuten soll und welche Dimension undBedeutungen für Sie die wichtigsten sind.

Auf der Grundlage eigener Forschungs-arbeit40 haben wir am Institut für Sozial-pädagogik, Erwachsenenbildung undPädagogik der Frühen Kindheit (ISEP) für

den Begriff des »Ehrenamts« die Dimensio-nen, die bei der Definition eine Rolle spie-len, in Form von 10 verschiedenen Spek-tren zu einem Schaubild zusammengefaßt.Vielleicht ist diese analytische Zugangswei-se in der Lage, Ihnen bei der eigenen Be-griffsbildung zu helfen. Es muß entschiedenwerden, auf welchem Punkt der jeweiligenAchse die eigenen Vorstellungen anzusie-deln sind (vgl. Abb. 3).

Abb. 3: Die Dimensionen des »Ehren-amts«

© ISEP 1998

(2) Meine Ausführungen zum Struktur-wandel des »Ehrenamts« sollten deutlichmachen, in welcher Richtung die gesell-schaftliche Modernisierung bzw. gesell-schaftliche Wandlungsprozesse die Vor-aussetzungen für das freiwillige gemein-wohlorientierte Engagement verändern.Auch wenn die skizzierten Phänomene viel-fach als wenig empirisch abgesichert zugelten haben und sich in konkreten Bedin-gungen gewiß Ausnahmen und widerspre-chende Befunde aufzeigen lassen, als Fun-dament programmatischer Strategiebildungbesitzen sie ihren Wert. Die Frage, wel-ches Arrangement hergestellt werden muß,damit eine Förderung des bürgerschaftli-chen Engagements in sozial-kulturellen Ein-richtungen gelingt, beinhaltet mindestensdrei Perspektiven:

• Die Perspektive, die die staatlichenAgenturen als Akteure betrachtet, die vorallem die rechtlichen und finanziellen Säu-len im Kontext des Engagements prägen.

28 VERBAND FÜR SOZIAL-KULTURELLE ARBEIT Rundbrief 199

Aufgrund dessen stellt sich die Frage, wel-che politischen Standpunkte die eigene Ar-beit mit bürgerschaftlich engagierten Perso-nen flankieren sollten.

• Die Perspektive, die die bürgerschaft-lich engagierten Personen ins Blickfeld rücktund dort vor allem nach gewissen individu-ellen Dispositionen fragt. Daraus ergibt sichdie Frage: Welche Typen von Engagiertenmit welchen Motiven, Bedürfnissen undWerten sollen eigentlich angesprochen wer-den?

• Die Perspektive, die die Organisatio-nen als Verwirklichungsraum des »Engage-

ments« sieht, welcher sowohl Barrieren alsauch Ermöglichungen bezüglich bestimmterindividueller Motivationslagen und Einstel-lungen bereithält. Folgerichtig stellt sich dieFrage: Welches organisatorische Settingkönnen bzw. wollen sozial-kulturelle Einrich-tungen bereitstellen und welche Formen desEngagements lassen sie zu oder werdenverhindert?

(3) Die knappen Ausführungen zum»Bürgerkonzept« und zur Entstehungsge-schichte des Ehrenamts sowie der kurzeAufriß dessen, was sich als ideologischesFundament des bürgerschaftlichen Engage-ments unter dem Etikett »Kommunitarismus«anbietet, ist sicherlich nicht nur interessantzu wissen. Diese Gedanken verstehe ichauch als Hinweis darauf, daß eine pro-grammatische Verständigung zu der Förde-rung des bürgerschaftlichen Engagementsin sozial-kulturellen Einrichtungen einer Dis-kussion bedarf, in der deutlich wird, in wel-chem normativ-ideologischen Fahrwasserman sich mit dem eigenen Praxis-Programmbefindet. Dabei sind auch Positionen zu etli-

chen politisch umstrittenen Reformvorhabenzu finden, die den Horizont der eigenenEinrichtung bzw. des eigenen Verbandesverlassen – etwa zur Zukunft des Sozialstaates, zu Ökonomisierungs- und Deregulie-rungsprozessen in der Sozialen Arbeit, zurPrivatisierung sozialer Risiken oder auch zudenkbaren Substitutionsprozessen durchbürgerschaftlich arbeitendes, billiges Perso-nal auf einer Metaebene, die gesamtgesell-schaftliche Entwicklungen fokussiert.

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1 Olk (1990, S. 246).2 Vgl. u.a. Olk (1990, S. 244 f.).3 Auch hier hat sich – zeitversetzt zu den wirtschaftspoli-tischen Diskursen – ein Wechsel vollzogen, von ehernachfrageorientierten zu eher angebotsorientierten Per-spektiven.4 Vgl. Rauschenbach (1991, S. 6 ff.).5 Vgl. u.a. Merchel (1992).6 Vgl. u.a. Rauschenbach/Müller/Otto (1988).7 Vgl. u.a. Brandenburg (1995); Heinze (1998); Krü-ger (1993); Olk (1989); Rauschenbach (1991).8 Vgl. u.a. Olk/Jakob (1991).9 Vgl. u.a. Gensicke (1998); Klages (1997); Winkel(1996).10 Priller/Zimmer (1997, S. 14).11 Vgl. u.a. Gaskin/Smith/Paulwitz (1996).12 Vgl. u.a. Dechamps (1989); Olk (1991); Paulwitz(1988).13 Vgl. Blandow (1998, S. 116).14 Vgl. Döhn (1986, S. 49). »Die Schwurgemeinschaftder Bürger (coniuratio civium) ist als horizontale Verge-sellschaftung der Idee nach grundlegend unterschiedenvon den vertikalen Vergesellschaftungen der feudalenWelt (Herr und Mann); in der historischen Realität frei-lich sind die Grenzen oft fließend: Wenngleich sich dasBürgertum gegen das Vorrecht des Bodens wandte, ak-zeptierte es dieses doch insofern, als die Bürgerqualitätin der Regel am Besitz von Grund und Haus hing. Nurwer immobilen Besitz hatte und nicht heimlich mitsamteines (Geld-)Vermögens verschwinden konnte, war voll-berechtigtes Mitglied der Bürgerschaft, nur er beispiels-weise konnte für jemanden bürgen« (Münkler 1993, S.63).15 Döhn (1986, S. 49).16 So zählte etwa die Stadt Berlin noch im Jahr 1847403.000 Einwohner, von den nur 22.000 das Bürger-recht besaßen. Vgl. Bissing (1968, S. 19).17 Der Begriff »Ehrenamt« findet sich in der schriftli-chen Form zum ersten Mal in einem Gesetz der Landes-gemeindeordnung für Westfalen von 1856 und charak-terisiert das Amt des Gemeindvorstehers, der auf sechsJahre von der Gemeindeversammlung gewählt wurdeund seinen Dienst unentgeltlich – nur gegen eine Dienst-kostenentschädigung – zu verrichten hatte. Vgl. Winkler(1988, S. 38).18 Vgl. u.a. Pankoke (1988); Rauschenbach (1991b);Sachße (1995); Sachße/Tennstedt (1988). 19 Vgl. Olk (1987, S. 85).20 So formulierte Frhr. vom Stein seine Zielsetzung, erwollte den »Kräften der Nation eine freie Tätigkeit undeine Richtung auf das Gemeinnützige geben, sie vom

sinnlichen Genuß und von den Hirngespinsten der Meta-physik oder von der Verfolgung blos eigennützigerZwecke abzulenken« (Stein zit. nach Bissing 1968, S.18).21 Bissing (1968, S. 24).22 Der Wahlspruch, das Motto dieses Systems lautetenicht – wie heute allzu oft zu hören – »Hilfe zur Selbst-hilfe«, sondern hieß: »Hilfe von Mensch zu Mensch«.Neben dieser spezifischen Konstruktion der Verbindungvon kommunaler Selbstverwaltung und ehrenamtlichemEngagement sieht Pankoke noch zwei weitere besonders»geschichtswirksame Organisationsmodelle des bürgerli-chen Altruismus«: Erstens den »Zentralverein für dasWohl der arbeitenden Klassen« (1845), der als eineVerbindung von vereinsmäßig organisierter Hilfsbereit-schaft und ordnungspolitischen Interessen an der Befrie-dung sozialer Gegensätze beteiligt ist, und zweitens dassich in bürgerlichem wie kirchlichem Rahmen entwickeln-de Selbstverständnis einer »sozialen Mütterlichkeit«, dassich zunächst ehrenamtlich, später aber auch als Berufs-perspektive äußert. Vgl. Pankoke (1988, S. 219 f.).23 Vgl. Reulecke (1985, S. 65 f.).24 Vgl. Sachße (1988).25 Vgl. u.a. Olk (1996, S. 150).26 Heute haben sich in vielerlei Hinsicht die mit demAusdruck »Ehrenamt« verknüpften Bedeutungen im Ver-gleich zu den Anfängen der Begriffsgeschichte auf denKopf gestellt. So wird heute fast durchgängig die Dimen-sion der Freiwilligkeit als ein konstitutiver Aspekt des»Ehrenamts« herausgestellt.27 Bauer (1998, S. 3).28 Wendt (1998, S. 227).29 Aus diesem Grund wird das bürgerschafliche Enga-gement oftmals als moderne Antwort auf die Pluralisie-rung der tatsächlich vorhandenen Motivkonstellationenund die Pluralisierung der Lebenslagen gesehen, dieganz unterschiedliche Ausgangslagen und Fundamentefür ein Engagement bedingen.30 Die Konturen dieser Strömung sind nicht einheitlichund eindeutig zu bestimmen, es kann aber dennoch voneinen »leicht ausgefransten« Rahmen ausgegangen wer-den, der sich von anderen Interpretationsmöglichkeitenin zentralen Punkten unterscheiden läßt.31 Vgl. Honneth (1994, S. 20).32 Vgl. Dingeldey (1997, S. 179).33 Nach Brumlik hat sich der Kommunitarismus im letz-ten Jahrzehnt in den USA als philosophische Gegenbe-wegung zur politischen Theorie des linken Liberalismus,etwa von John Rawls und Ronald Dworkin, sowie alsProtestprogramm gegen eine deregulierende, monetari-stische Politik entwickelt. Der Kommunitarismus beerbtmit dieser Zielrichtung einerseits Elemente der plebis-zitären Demokratie und andererseits sozialdemokrati-sche Prinzipien und besitzt als Ausgangspunkt den inder amerikanischen politischen Lebenswelt hochge-schätzten Begriff der »community«. Vgl. Brumlik (1995,S. 35). In Deutschland besitzt der Begiff »Gemeinschaft«dagegen immer auch den Beigeschmack eines reak-tionären Gegenentwurfs zur urbanen, industrialisiertenGesellschaft und deutet auf die bedeutungsprägendeVerwendung des Terminus »Volksgemeinschaft« vor1945. Vgl. Piper (1996, S. 18). Was in der us-amerika-nischen Debatte als »community« bezeichnet wird,kommt Habermas’ Begriff der »Lebenswelt« und der da-mit verbundenen »Abwehr von Rationalisierung, Büro-kratisierung und Monetarisierung sozialer Bezüge ziem-lich nahe« (Reese-Schäfer 1994, S. 162). Vgl. auchSteinfath (1994, S. 86).34 Hepp (1996, S. 7).35 »Eine Gesellschaft, die sich konsequent auf atomi-sierte, voneinander isolierte und ihrem Eigeninteressefolgende Individuen stützen will, untergräbt dadurch ihreeigenen Grundlagen« (Resse-Schäfer 1994, S. 7).36 Vgl. Güntner (1994).37 Etzioni (1997, S. 25).38 Etzioni (1997, S. 26).39 Inwieweit diese neue Aufgabenverteilung bei ihrerUmsetzung auf dem Spektrum zwischen der Schaffungvon Anreizstrukturen und dem Rückgriff auf (staatliche)Zwangsmittel zur einen oder zur anderen Seite ausschla-gen darf, wird von Etzioni nicht thematisiert. Deutlichwird allerdings von Pflichten geredet, die die gesell-schaftlichen, d.h. nicht-staatlichen Institutionen und Per-sonen, auferlegt bekommen.40 Vgl. Beher/Liebig/Rauschenbach (1998).

30 VERBAND FÜR SOZIAL-KULTURELLE ARBEIT Rundbrief 199

Einführung

Das Ehrenamt1 ist “in” - vor allem beiPolitikerInnen, die mit einem wachsendenDruck leben, die Ausgabenseite ihrerHaushalte zu kürzen und Gestaltungsspiel-räume zurück zu gewinnen. Die Wert-schöpfung aus ehrenamtlicher Arbeit soll130 Milliarden DM betragen2 und sieläßt sich nach Annahmen noch ausweiten.Diese Ausweitung soll eine Entlastung deröffentlichen Haushalte zur Folge haben.Freie Träger der Wohlfahrtspflege bietenin vielen Fällen bestimmte Leistungen billi-ger an, als dies der Staat könnte. Diesscheint nicht nur daran zu liegen, daßdiese Träger gleiche Ergebnisse mit nied-rigerem Aufwand - also wirtschaftlicher -zur Verfügung stellten. Sie können auf einPotential von ihnen emotional, wertratio-nal oder habituell verbundenen ehrenamt-lichen Mitarbeitern zurückgreifen, welchesdem Staat nicht zur Verfügung steht. Aberläßt sich dieses Potential weiter aktivie-ren, die Menge der ehrenamtlich erwirt-schafteten Wertschöpfung also weiter aus-weiten ? Und wenn dies gelingt, wird estatsächlich zu einer Entlastung der öffentli-chen Haushalte, also zu einer Substitutionvon professioneller Erwerbsarbeit durch

ehrenamtliche Tätigkeiten kommen ? Zur Beantwortung dieser Fragen werden

deshalb in diesem Beitrag die möglichenökonomischen Effekte eines vermehrten Ein-satzes in verschiedenen Konstellationen dargestellt. Diese Überlegungen basieren aufteilweise empirisch überprüften sachlogi-schen Analysen und formellen Modellierun-gen. Abschließend werden einige kritischeÜberlegungen zur Annahme eines wachsenden Potentials von Ehrenamtlichen aufgrundeines enger werdenden Arbeitsmarktes vor-gelegt. Diese kritischen Überlegungen ba-sieren auf Trendextrapolierungen aus rele-vanten Zeitreihen.

Verhältnis von unbezahlter Arbeit und Erwerbsarbeit

Das Grundmodell einer Ausweitungehrenamtlicher Tätigkeit, mit dem man-cher Entscheidungsträger liebäugelt undvor dem manchem professionellen Dienst-leister aus dem Bereich der sozialkulturel-len Arbeit graut, sieht wie folgt aus. DieStelle einer Krankenhaussozialarbeiterinoder eines Gesamtschulsozialpädagogenwird nach dem Ausscheiden der Stellenin-haberIn nicht wieder besetzt. Im Kranken-

BÜRGERSCHAFTLICHESENGAGEMENT

ALSJOBKILLER?

von Anselm Meyer-Antz,Forschungsinstitut für Sozialpolitik der Uni zu Köln

VERBAND FÜR SOZIAL-KULTURELLE ARBEIT Rundbrief 199 31

haus wird die außermedizinische Bera-tungsleistung in Zukunft von einem freiwil-ligen Besuchsdienst übernommen. Die So-zialpädagogik in der Gesamtschule wirddurch einen etwa von IBM gesponsortenPC-Pool mit didaktischen Programmen undPC-Spielen ersetzt, über den eine Schüle-rInnen-Mutter die Aufsicht führt. Eine sol-che Beziehung zwischen ehrenamtlicherund professioneller oder Erwerbsarbeithaben Gretschmann und Schulz-Nies-wandt3 als substitutive Beziehung be-zeichnet. Als wirklich substitutiv dürfen je-doch nur die ehrenamtlichen Tätigkeitengelten, die in der gleichen Zeit den glei-chen Nutzen stiften, den professionelle Ar-beit zur Folge hat.

Dazu müßte der freiwillige Krankenh-ausbesuchsdienst in gleicher Weise wieder professionelle Soziale Dienst etwa dieLeistungen im Anschluß an eine stationä-re Schlaganfallbehandlung erbringen:Vom Krankenhaus müßte zur Rehabilitie-rungsmaßnahme übergeleitet werden, diebetroffene PatientIn müßte entsprechendihrer Aufnahmefähigkeit über ihre Chan-cen und Rechte informiert werden. Auf derGrundlage von Kenntnis und Erfahrungmüßte geprüft werden, ob an die REHA-Maßnahme ein Wohnen in der altenWohnung mit Essen auf Rädern oder aberder Eintritt in ein Pflegeheim folgt.

Entspricht der freiwillige Dienst in die-ser Hinsicht nicht dem professionellenDienst, so kommt es zu Wohlfahrtsverlu-sten. Der individuelle Nutzen der PatientInkann z.B. dadurch gemindert werden,daß ihre persönliche Motivation und ihreSelbstkenntnis bei gutmütiger freiwilligerBetreuung nicht in dem Ausmaß berück-sichtigt werden, wie dies bei in Beratunggeschulter professioneller Hilfe der Fall ist.Wenn großflächig professionelle Arbeitdurch ehrenamtliche Arbeit ersetzt wird,die nicht nutzenidentisch ist, verringertsich die Wohlfahrt der gesamten Gesell-schaft.

Gretschmann und Schulz-Nieswandthaben jedoch herausgearbeitet, daß diesubstitutive Beziehung zwischen professio-neller und ehrenamtlicher Arbeit eher dieAusnahme denn die Regel ist.

Eine additive Beziehung läßt sichdann erkennen, wenn auf den Besuch derKrankenhaussozialarbeiterin der Besucheines ehrenamtlichen Besuchsdienstesfolgt, der gleichermaßen die Einsamkeit

eines alten Patienten mindert. Diese Bezie-hung wird komplementär, wenn derBesuchsdienst die Ausführungen der Sozi-alarbeiterin verständlich macht, wenn alsoohne die Erläuterung des ehrenamtlichenBesuchsdienstes der alte und einsame Pa-tient nicht den vollen Nutzen der profes-sionellen Dienstleistung gehabt hätte.

Kumulativ ist eine freiwillige Lei-stung, die die Nachfrage nach der profes-sionellen Leistung erhöht. Dies ist zum Bei-spiel dann der Fall, wenn der freiwilligeBesuchsdienst die erneute Bitte um einenTermin bei der Sozialarbeiterin zur Folgehat, weil z.B. zusätzliche Fragen bei derPatientIn aufgetaucht sind.

Korrektiv wirkt der freiwillige Be-suchsdienst, wenn er die Sozialarbeiterinnach seinem Kontakt mit dem Patienten an-spricht und sie darauf hinweist, daß derPatient nach dem Besuch verwirrter warals zuvor, für eine erfolgreiche professio-nelle Betreuung also in Zukunft etwas mehrZeit zur Verfügung stehen sollte.

Die empirischen Untersuchungen ausden achtziger Jahren führten nicht zu ei-ner Bestätigung von vorwiegend substituti-ven Beziehungen.4 Selbsthilfegruppenprovozieren eine erhöhte Nachfrage nachmedizinischen Dienstleistungen und sol-chen der Sozialen Arbeit.

Als erstes Zwischenergebnis läßt sichdeshalb festhalten: Ehrenamtliche Arbeitersetzt professionelle Arbeit mit und ohneNutzeneinbußen eher nicht. EhrenamtlicheArbeit und Bürgerschaftliches Engagementkönnen sogar zu einer Verstärkung derNachfrage nach professionellen Leistun-gen führen und dies ist auch beobachtetworden.

Arbeitslosigkeit und demographisches Potential

für bürgerschaftliches Engagement

Häufig wird die Diskussion um einestärkere Bedeutung des Ehrenamtes auchvon der zunehmenden Zahl derjenigenteilweise durchaus qualifizierten Men-schen bestimmt, die ihre Qualifikation aufdem Arbeitsmarkt nicht loswerden kön-nen. So gehen auch Wissenschaftler da-von aus, daß ehrenamtliche Tätigkeiten imsogenannten Dritten Sektor der Nonprofit-

Organisationen zwischen Markt und Staatdazu geeignet sind, die Frustrationen derMassenarbeitslosigkeit zu kompensierenund hierbei zusätzliche Wohlfahrt zu er-zeugen.5

Massenarbeitslosigkeit wird in diesemZusammenhang als dauerhaftes Problemangesehen, dessen Ausmaß aufgrund derProduktivitätszuwächse der zweiten indu-striellen Revolution noch zunehmen wer-de. Ob dies nun wirklich so ist, kann we-der im Rahmen dieses kleinen Beitrags inbefriedigendem Umfang noch mit sozial-und wirtschaftswissenschaftlichen Metho-den abschließend geklärt werden. EineTatsache wird jedoch allzu häufig überse-hen. Das Potential an jungen oder mittel-alten, gesunden und qualifizierten Arbeits-losen ist begrenzt und wird in West-deutschland in der Zukunft abnehmen.6Die Zahl der Erwerbspersonen geht seitetwa 1992 kontinuierlich zurück,während die Zahl der zusätzlich sozial-versicherungspflichtig Beschäftigten imTrend jährlich um etwa 145000 zu-nimmt.7 Das Problem liegt - bei isolierterBetrachtung der statistischen Daten - nichtdarin, daß der westdeutschen Gesell-schaft die Erwerbsarbeit ausginge, eskönnte eher darin liegen, daß Politik undWirtschaft bei der Aufgabe der Gestal-tung des gesellschaftlichen Humankapital-produktionsprozesses versagen und dieArbeitslosigkeit deshalb hoch bleibt, weilnicht zur rechten Zeit die angemessenenQualifikationen zur Verfügung stehen.

Wird etwa der junge gesunde und ineinem Handwerksberuf ausgebildete frei-willige Feuerwehrmann zum Vertreter ei-nes wachsenden Ehrenamtlichenpoten-tials gemacht, so ist die Vorstellung zu-mindest bedenklich, wenn nicht garfalsch: Es stehen insgesamt immer weni-ger junge Menschen für die Ausbildung inden Handwerksberufen zur Verfügung.Sie werden in der Zukunft bei gleichblei-bender Nachfrage vermutlich mehr arbei-ten müssen, so daß ihre Bereitschaft nichtnur wegen eines Rückganges der Gesamt-heit sondern auch einer höheren Erwerbs-beanspruchung abnehmen wird. DiesesBeispiel läßt sich auf eine Reihe von ande-ren Ehrenamtstypen übertragen. Eine wei-tere Verunsicherung bei den abhängig Be-schäftigten durch eine größere Flexibilisie-rung bestimmter vertraglicher Teile des Ar-beitsverhältnisses mit dem Ergebnis einerstärkeren Konkurrenz der abhängig Be-

schäftigten untereinander könnte einenweiteren Rückgang der Bereitschaft zumehrenamtlichen Engagement zur Folgehaben. Als Ergebnis der Betrachtungenzum Bevölkerungspotential läßt sich fest-halten, daß im Bereich der ökonomischaktiven Bevölkerung kein wachsendes Po-tential für ehrenamtliche Tätigkeit zu er-kennen ist.

Ergebnis: BürgerschaftlichesEngagement ist kein Jobkillersondern knapper werdende

Ressource

Aus den beiden Ergebnissen des Bei-trags folgt eine andere Sichtweise für dieBeteiligung von Ehrenamtlichen, als sieeingangs skizziert worden ist. Die profes-sionellen Träger der Sozialen Arbeit soll-ten keine prinzipielle Verdrängung durchEhrenamtliche befürchten. Soweit sie al-lerdings bei den freien Trägern der Wohl-fahrtspflege tätig sind, müssen sie sichauf eine zunehmende Konkurrenz um be-stimmte Teile der Ressource Ehrenamt ein-stellen. Wenn sie ihren Kostenvorteil ausdem Einsatz Ehrenamtlicher nicht bewah-ren, verlieren sie ihren Vorsprung vordem Staat und müßten u.U. sogar mit ei-ner Reintegration der ihnen übertragenenAufgaben in die staatlichen Bürokratienrechnen. Den Politikern verbleibt der Hin-weis, daß sie ihre Haushaltsouveränitätnur sehr begrenzt durch einen vermehrtenEinsatz ehrenamtlicher Tätigkeiten zurück-gewinnen können. Erstens führt ehrenamt-liche Tätigkeit in vielen Fällen zu einerAusweitung der Nachfrage nach profes-sioneller Tätigkeit und zweitens geht dasPotential in demographischer Hinsichtzurück.

32 VERBAND FÜR SOZIAL-KULTURELLE ARBEIT Rundbrief 199

1 Die Begriffe Ehrenamt und bürgerschaftlichesEngagement werden synonym gebraucht.

2 vgl.: Wettach, Silke: Ungnädiger Zugriff - DiePolitik setzt auf das unentgeltliche Ehrenamt - und be-hindert es, wo immer sie kann. In: Wirtschaftswoche,Heft 52 1997 vom 18.12. 1997, S. 65 - 68.

3 Vgl. Gretschmann, Klaus; Schulz, Frank: Endedes Wirtschaftens oder Wirtschaften ohne Ende? Mi-kroökonomische Bedingungen und makroökonomischeWirkungen der Selbsthilfeökonomie. In: Teichert,Volker (Hrsg.): Alternativen zur Erwerbsarbeit? : Ent-wicklungstendenzen informeller und alternativer Öko-nomie. Opladen 1988 S. 81 - 96 hier: S. 84 f.

4 Vgl. ebda. S. 92.

5 Vgl. Kirsch, Guy: Das Ehrenamt - Lösung oderNotlösung. In: Witt. Dieter; Blümle, Ernst-Bernd;Schauer, Reinbert; Anheier, Helmut K. (Hrsg.): Ehren-amt in Nonprofit-Organisationen - Eine Dokumentati-on. Wiesbaden 1999, S. 15 - 26, hier S. 23.

6 Einschlägige statistische Daten finden sich etwabei Institut der deutschen Wirtschaft: Zahlen zur wirt-schaftlichen Entwicklung der Bundesrepublik Deutsch-land 1998. Köln, Tab. 9 und bei Bundesministeriumfür Arbeit und Sozialordnung: Statistisches Taschen-buch ’97 Arbeits- und Sozialstatistik. Bonn 1997. Ta-bellen 2.3 und 2.6A.

7 Es handelt sich bei der Trendextrapolation umeigene Berechnungen auf der Grundlage der in denangegebenen Quellen vorgefundenen Daten. DieTrendextrapolation ist nach der Methode der kleinstenQuadrate vorgenommen. Anders sieht die Situation inOstdeutschland aus, wo es auch ohne die Berücksich-tigung der enormen Arbeitsplatzverluste direkt nachder Wende seit 1992 jährlich zu Arbeitsplatzverlustenin Höhe von ca. 75000 sozialversicherungspflichtigenBeschäftigungsverhältnissen kommt.

Die Geduld ist

der Schlüssel zur

Freude.

Aus Arabien

VERBAND FÜR SOZIAL-KULTURELLE ARBEIT Rundbrief 199 33

70 Teilnehmerinnen aus 6 europäischenLänder besuchten das vom Büro der ifs eurogroup und der women organization Bihor-Oradea organisierte Seminar „family life“.

Im Mittelpunkt stand dabei zum einendie Lebenssituation von Familien in Rumäni-en und den anderen Teilnehmerstaaten.Darüber hinaus wurde die Fragestellungerörtert, welchen Beitrag Non governmentorganisations (NGOs) zur Verbesserungder Lage von Familien leisten können.

Eröffnet wurde die Veranstaltung vonder Präsidentin der WOMEN ORGANIZA-TION BIHOR ORADEA, Miorita Sateanu:Sie erläuterte Ziele und Aktivitäten ihrer Or-ganisation: -ensuring social assistence ofpoor and low income families or familieswith several children, to promote full partici-pation of women in public life, education,training an training designed to entrancewomen access to jobs. Social assistenceproject: neighbours helping neighbours (toensure social assistance of thc elderly) child-rens day care (helping mothers who attendcourses) setting up a „community center forwomen and young people.”

Die anwesenden örtlichen Kommunalpo-litiker ( Lucian Silaghi, perfect of BihorCounty, Mihai Sturza st. Mayor of City HallOradea and Mihai Bar, president Councilof Bihor County) erklärten ihre Bereitschaftmit Nichtregierungsorganisationen zusam-menzuarbeiten, um die drängenden Proble-me von Familien in der Region in Angriffnehmen zu können

Vertreterinnen der NGO waren RoxanaAlbu, president confederation national wo-men organisations romania, AlexandraStancu, sociation of feminist women, MariaTepele, principal nurse school carol Davila

Sowohl die KommunalpolitikerInnen alsauch die Vertreterinnen der NGO sahen alsHauptprobleme des Landes• extrem hohe Arbeitslosigkeit• ungeheure Armut und aus den beiden er-

sten Faktoren resultierend:• die große Zahl der Strassenkinder, die

aus zerstörten Familien kommen, und dieversuchen ihr Überleben mit Betteln, Dieb-stahl und Prostituion zu sichern,

• die hohe Anzahl der “teenage mothers”:schon l2- und 13-jährige Mädchen prosti-tuieren sich, werden schwanger und ver-lassen nach der Geburt ohne ihre Babysdas Krankenhaus. Dadurch entsteht einweiteres großes Problem :

• „die vergessenen Kinder“ in den Kranken-häusern und Heimen. Das sind die Kinder,die nach der Geburt zurückgelassen wer-den oder die Kinder, die krank von denEitern eingeliefert werden und nach ihrerGesundung nicht mehr abgeholt werden.

• SozialarbeiterInnen in den Kliniken versu-chen Adoptiveltern zu finden. Es gibtauch genügend Adoptionswillige. Aller-dings können Kinder ohne Einwilligungder leiblichen Eltern nicht zur Adoptionfreigegeben werden. Es ist fast aussichts-los, die leiblichen Eltern zu finden.

Als Ursachen für das Phänomen der zer-störten Familien werden noch immer dieNachwirkungen des Ceaucescu Regimes ge-nannt: das rigoros durchgesetzte Abtrei-bungsverbot und der Zwang für Familien,möglichst viele Kinder zu bekommen, ohnesie ernähren zu können, die extrem hohe Ar-beitslosigkeit in den meisten Regionen desLandes und die Armut, die ein in westeu-ropäischen Ländern unbekanntes Ausmaßerreicht hat. Es gibt weder genügend Wohn-raum noch ausreichend Nahrungsmittel.

Im Anschluss an das Plenum des Semi-nars arbeiteten drei workshops an folgen-den Themen:• The role of NGOs and other actors in ci-

vil society in elaborating and inplametingplans for protecting the family

• Strategies for strengthening the role ofNGOs and other actors in civil society inelaborating inplamenting programmes forseniors social assistance

• Ways and means strengthening the insti-tutional capacity for advancement of wo-men and their role in education and pro-tection of children.

In allen workshops waren Mitglieder vonNGOs, Vertreterinnen der örtlichen Regie-rung und nicht organisierte Teilnehmerinnen.

Ergebnisse der Workshops: Es gibt be-reits aktiv arbeitende Projekte von NGOs,die z.B. Jugendprogramme für die streetkidsentwickelt haben.

Als Rolle der NGOs wurde definiert:Projekte zu unterstützen und selbst zu initiie-ren, die in der Jugend-, Familien- und Alten-arbeit aktiv sind. Einfluss zu nehmen auf dieörtliche Sozialpolitik, und damit einen Bei-trag zu leisten zur Entwicklung der sozialenInfrastruktur in den armen Regionen. Nötigist eine Vernetzung der NGOs landesweit ,um mehr Einfluss auf Politik und Regierungnehmen zu können. Zur Zeit arbeitenNGOs vereinzelt, sie kennen sich nur teil-weise. Hier wäre es sinnvoll, Austausch undgegenseitige Information zu ermöglichen.

Auf die Frage an die “nicht offiziellen”Teilnehmerinnen, was sie als grösstes Pro-blem ihres Landes ansehen war die Antwort:Die totale Hoffnungslosigkeit der Menschen.

Hier liegt meines Erachtens eine Aufga-be für NGOs: Gemeinsam mit den Men-schen der Region Aktivitäten zu entwicklenzur Verbesserung der Lebenssituation.

Bericht über das Seminar

„„FFAAMMIILLYY LLIIFFEE““vom 1. bis 4. Oktober 1998 in Bihor-Oradea in Rumänien

von Renate Wilkening

Ein „multilinguales“ Modewort erobertden deutschen Sprachgebrauch: Quar-tiersmanagement. Was verbirgt sich dahin-ter? Um das herauszufinden, möchte ichdie Bedeutung des Wortes erst einmal an-hand des Wörterbuches versuchen zu defi-nieren (1.) und dann mit dem derzeit gän-gigen, offiziellpolitischen Gebrauch verglei-chen (2.).

Diesen Definitionsversuchen sollen ein-zelne Gedanken folgen: zum aktuellen The-ma Quartiersmanagement (QM) und zuralltäglichen Gemeinwesenarbeit (3.).

Abschließend sollen ein paar Gedan-ken zu einem lokalen Beispiel von City-Ma-nagement miteinfließen (4.).

Der nun folgende Text, eine eher loseGedankensammlung, ist ein Nebenproduktder Gespräche und Diskussionen währendder einwöchigen Zukunftswerkstatt im Ra-benhaus.

34 VERBAND FÜR SOZIAL-KULTURELLE ARBEIT Rundbrief 199

1.Quartier kann eine Unterkunft sein, eine

Wohnung, ein Stadtviertel oder Truppen-un-terkunft. Das Wort hat seinen Ursprung imFranzösischen quartier für „Wohnviertel“und noch weiter zurückgreifend im Lateini-schen quattuor „Vier“ und quartarius das„Viertel“.

Management stammt aus dem Engli-schen und heißt „Leitung“. Das Verb mana-ge meint „verwalten, bewirtschaften, leiten“.

„Etwas managen“ läßt das Wörterbuchwissen, bedeutet „etwas handhaben, etwasgeschickt bewerkstelligen, jemand oder et-was fördern, in den Vordergrund bzw. indie Öffentlichkeit bringen, etwas geschäft-lich betreuen“. Wenn denn also ein Quar-tier gemanagt wird, dann wird eine Woh-nung, eine Unterkunft oder ein Stadtviertelverwaltet und / oder bewirtschaftet.

2.Die Senatsverwaltung für Stadtentwick-

lung, Umweltschutz und Technologie unterihrem derzeitigen Leiter, Senator Peter

Strieder, hatte ein Gutachten zur „Sozialori-entierten Stadtentwicklung“ bei der TU Ber-lin unter Herrn Prof. Häußermann in Auftraggegeben. Am 14.Juli 1998 wurde diese

Studie vor einem Fachpublikum im Deut-schen Architektur-zentrum vorgestellt. DenAbgeordnetenfraktionen, den Bezirksbür-germeistern und den Baustadträten der Be-zirke lagen die Ergebnisse

dieser Studie, sowie die angedachtenpolitischen Konsequenzen bis dahin nichtvor.

Die Entstehung dieser wissenschaftlichenStudie und ihre Präsentation in der Öffent-lichkeit sind symptomatisch.

Die Aufgabenstellung des Gutachtenssollte sein:

a) festzustellen, ob Tendenzen einer so-zialen Exklusion auch in Berlin zu be-obachten sind;

b) die Gebiete zu identifizieren, in de-nen ein besonderer Handlungsbedarfbesteht;

c) Empfehlungen für eine stadtpolitischeIntervention zu geben;

d) einen Vorschlag für ein MonitoringSystem zu machen, mit dem im Sinne eines Frühwarnsystems die sozialräum-lichen Veränderungen der Stadt lau-fend beobachtet werden können.

Die Ergebnisse der Studie bestehen, ver-kürzt zusammengefaßt, in folgenden Punkten:

QUARTIERS-MANAGEMENT

GEDANKEN ZU EINEMNEUEN WORT

von Miriam Ehbets

VERBAND FÜR SOZIAL-KULTURELLE ARBEIT Rundbrief 199 35

A) Die Häufigkeit von Umzügen inner-halb der Stadt hat sich seit der Verei-nigung deutlich erhöht.

B) Die Umzugsbewegung wirkt deutlichsozial selektiv; wobei als Hauptum-zugsmotiv der überhöhte Ausländer-anteil in vielen Quartieren angege-ben wird.

C) In keinem der Bezirke im WeListteilder Stadt hat sich durch die Umzüge und Investitionen seit der Vereini-gung das soziale Profil verändert.Die bestehenden Tendenzen deutendarauf-hin, daß die angelegten Sozi-alprofile sich noch stärker (im positi-ven wie im negativen Sinne) ausprä-gen werden.

Zu den angeratenen komplexen Strate-gien zählt die „ökonomische Quartiersent-wicklung“, damit ist eine gebietsadäquateBeschäftigungspolitik gemeint, und als einzentrales Ziel wird die Bewohnerbeteiligungals „Empowerment’ benannt, worunter dieAusstattung mit Entscheidungs-kompetenzund die eigenständige Entwicklung von Zu-kunftsstrategien für das eigene Quartier zuverstehen ist. Als ein Element der empfohle-nen Handlungsstrategien wurde in Konse-quenz des Gutachtens in diesem Jahr inden als ProblemQuartieren ausgewiesenenWohngebieten die Stelle eines Quartiersm-anagers ausgeschrieben.

3.Wie alle menschlichen Kulturleistungen

ist auch die Sprache ein Spiegel der Gesell-schaft. Unter Semantik versteht man die denWörtern eingeschriebenen Bedeutungsge-halte. Wie die Gesell-schaft im Ganzen, sounterliegt auch die Semantik dem histori-schen Wandel. Der Charakter der gesell-schaftlichen Strukturen und der intellektuelleZeitgeist finden ihren Ausdruck in einer je-weils aktuellen Semantik. Betrachten wirnun das Wort QUARTIERSMANAGEMENT:

Im Gegensatz zu vielen anderen moder-nen zusammengesetzten Wörtern verschlei-ert der Begriff hier nicht seinen weitergefaß-ten Sinn oder wahren Gehalt, sondern dieeinzelnen Wörter umreißen mit ihrem jewei-ligen Inhalt ganz deutlich die Intention deszugrundeliegenden Zeitgeistes. Der Begriff„ist ehrlich„. Denn sinngemäß werden hier„Quartiere geschäftlich betreut“.

Die ihn nutzende Politik arbeitet dage-gen mit „potemkinschen WortDörfern„. DerTitel der HäußermannStudie lautet „Sozialo-rientierte Stadtentwicklung“. Die damit vor-

gegebene inhaltliche Orientierung und Er-wartungshaltung wird durch die politischeKonsequenz von QMStellenausschreibun-gen nicht recht gedeckt, denn es geht hierwohl eher um die Quartiere als profitträchti-ge Immobilien und nicht etwa um die Be-wohner von Stadtviertein als sozial-politischgleichberechtigte Partner.

Wenn, wie weiterhin in der Studie emp-fohlen, die politischen Führungskräfte, diekommunale Verwaltung und die Privatwirt-schaft bevorzugt an einen Tisch gebrachtwerden sollen, um Lösungsstrategien für„Quartiere mit besonderem Entwicklungs-bedarf’ umzusetzen... dann ist wohl die Fra-ge nach den zu berücksichtigenden Haup-tinteressen berechtigt. Für wessen Ordnungund Sicherheit soll da hauptsächlich gesorgtwerden? Es scheint, als ob hier die besser-verdienenden Arbeitnehmer und die Unter-nehmer bevorzugt würden.

Unter einer sozialorientierten Stadtent-wicklung stelle ich mir etwas anderes vor,nämlich eine zukunfts und selbsthilfe-orien-tierte Gemeinwesenarbeit. Auch hier gibtdas Wort zu verstehen, wessen GeistesKind es ist. Bei einem Gemeinwesen han-delt es sich um eine Gemeinschaft von Men-schen. Beim Quartier handelt es sich umdas Stadtviertel als Bausubstanz.

Es scheint mir, daß mit der Idee vomQM das Fahrrad neu erfunden wird undihm zur besseren politischen „Vermarktung“nun ein neuer Name gegeben wird. Dawurde von der Senatsverwaltung für Stadt-entwicklung, Umweltschutz und Technologieeine teure Studie in Auftrag gegeben, woman doch auch die mit diesem Problem be-faßten Institutionen und Einrichtungen hättebefragen können zu aktuellen Bestands undBedarfsanalysen.

Statt einer weiteren Situationsanalyse inForm einer teuren Studie auf Steuerzahler-kosten hätte man die bewährte bereits be-stehende Gemeinwesenarbeit unterstützensollen. Denn einerseits werden besondersauch im sozialen Bereich notwendige Stel-len eingespart und Mittel gestrichen. Aufder anderen Seite werden dann extrem gut-dotierte Managerstellen geschaffen.

Durch das QM sollen bzw. werden zeit-lich begrenzte Strukturen geschaffen. Bei ei-ner vorläufig auf 3 Jahre begrenzten Pro-jektdauer ist eine tiefgreifende Aufarbeitungder komplexen Problemhintergründe jedochschwer denkbar. Die Idee vom QM sugge-riert die Möglichkeit von relativ schnellenLösungen bereits seit langem bekannter Pro-blembereiche.

Bei dem vom Senat initiierten und prote-

gierten QM handelt es sich m.E. um sozial-politisch aufgesetzte „Kopfgeburten“ undnicht um eine basisdemokratisch gewachse-ne Konzeption. Eine Breitenwirksamkeit undAkzeptanz unter den Quartierbewohnernwird somit schwer entstehen bzw., zu ver-mitteln sein.

Die Erwartungen an die Erfolge des QMwerden zu hoch angesetzt. Enttäuschungensind vorprogrammiert. „EntTäuschungen“wären jedoch nur produktiv, im wahrstenSinne des Wortes, wenn man sich ebennicht der Illusion, einer kompakten schnel-len, und somit billigeren Problemlösunghingäbe.

Sozialstrukturen innerhalb des allgemei-nen historischen Wandels sozial verträglichzu gestalten bzw. zu erhalten, ist jedochein langanhaltendes, daher mühseliges undkeineswegs billiges Geschäft. Gemeinwe-senarbeit ist und bleibt eine SisyphusArbeitund gehört nicht zu dem Stoff aus dem diekarrierefördernden HeldenEpen sind.

(Hier sei auf unseren Erfahrungsaus-tausch mit den Ehrenamtlichen aus demGroninger Korreveij-Viertel verwiesen.)

Eigenverantwortliches Handeln muß ge-lernt werden. Dies ist eine der Prämissenvon selbsthilfeorientierter Gemeinwesenar-beit. Im Bezirk, wie in der ganzen Stadt giltes, Urbanität weitsichtig zu planen und inkontinuierlicher Kooperation aller Betroffe-nen zu erhalten.

Die Direktive für die gegenwärtige, wiefür die zukünftige Gemeinwesenarbeit lau-tet: kontinuierliche Arbeit ist die beste „Vor-beugung“ Vorbeugen ist besser als Krisenm-anagement.

Nicht erst handeln, wenn es zu spät ist.Nein, im Gegenteil, man muß vorbeugendund kontinuierlich mit Kindern, Jugendli-chen, mit den Kiezbewohnern zusammenar-beiten damit sie gar nicht erst zu „Problem-bürgern„, die Gebiete nicht zu „Problem-quartieren„ werden.

Welche Kriterien machen ein Wohnge-biet zu einem Problemquartier, welchesdann mittels speziellem Management wie-der hergestellt werden muß? Und welcherZustand ist nach der Wiederherstellungdenn überhaupt gewünscht? Ist es nichtdenkbar, daß die Wünsche und Bedürfnisseder administrativen Institutionen nicht mitdenen der Bewohner eines Kiezes überein-stimmen?

Was heißt Urbanität für einen Städtepla-ner und was versteht ein Politiker darunter?Welche Interessen verbindet ein Geschäfts-mann mit einem „funktionierenden Quar-tier„ und welche urbanen Lebensqualitäten

wünscht sich der Kiezbewohner?Die Ergebnisse der HäußermannStudie

sind abhängig von den durch die Projektlei-ter ausgewählten Ausgangsparametern.

Von einer soziologischen und städtepla-nerischen Studie kann man erwarten, daßzur Umschreibung des Untersuchungsge-genstandes diesen ausreichend definieren-de Parameter festgelegt werden. Bei derHäußermannStudie liegt m.E. jedoch eineselektive Auswahl von Umschreibungs-Para-metern vor. Sind die Prämissen einer Be-weisführung jedoch nicht vollständig, wirddas Ergebnis verfälscht.

Die Abwanderung von Familien in dasUmland und die „Verelendung“ bzw. „Ver-wahr-losung“ von Wohnquartieren ist z.B.eben nicht nur zum größten Teil von dem inihm lebenden Ausländeranteil abhängig.Die allgemeinen arbeitsmarktpolitischenund damit zusammenhängenden sozialpoli-tischen Verhältnisse in den als problema-tisch benannten Gebieten werden zwareingangs benannt, aber späterhin in derAuswertung dann geradezu sträflich ver-nachlässigt.

4. Ein lokales BeispielDie für die Bürger sichtbaren Leistungen

der ersten Köpenicker City-Managerin(1996/97) bestand in der Organisationund Durchführung des 1.Köpenicker Mai-Salons. Mit künstle-rischen Aktionen undEnvironments sollte auf den Leerstand anGewerberäumen aufmerksam gemachtwerden und somit potentielle Nutzer ge-worben werden.

Es handelte sich um eine von „obenaufgesetzte“ Konzeption. Bemerkbar wurdedies auch in der Auswahl der beteiligtenKünstler nur zu einem geringen Anteil wur-den Köpenicker Künstler zu dieser kozer-tierten Aktion geladen.

Weiterhin wurde nicht genügend bzw.nicht in der passsenden Form mit dem be-reits bestehenden Zusammenschluß vonGewerbetreibenden auf der Altstadtinsel(Gewerbestammtisch ) kooperiert.

Man ist in der Versuchung, zu sagennatürlich konnte der Leerstand von Gewer-beräumen nicht gemindert werden. Wiesollte denn auch eine einzelne Aktion eineüber Jahre gewachsene Problemsituationauflösen? Zu den komplex gelagerten Ursa-chen der aktuellen AltstadtSituation zählteine kurzsichtige Finanzpolitik und Stadt-planung. Es scheint einem, als wenn einGroßteil der nur denkbaren städteplaneri-schen Fehler im Altstadtbereich Köpenicksbegangen wurden.

36 VERBAND FÜR SOZIAL-KULTURELLE ARBEIT Rundbrief 199

Die vorhandene Bausubstanz, die ge-wachsenerl alten Baustrukturen eingebettetin eine wald und Wässerreiche Umgebung,das wäre ein Pfund gewesen, mit dem manhätte wuchern können.

Diese einmalige Chance ist bereits ver-tan. Es hätte visionärer Konzepte bedurft(welche übrigens schon vor 10 Jahren vonKöpenicker Künstlern entwickelt und an-scheinend vergessen worden sind) und denMut, momentan unpopulär erscheinendeEntscheidungen durchzusetzen.

Es nutzt wenig, einen CityManager ein-zusetzen, wenn kein inhaltlich fundiertesKonzept vorliegt. Und dieses Konzept sollteunter Mitwirkung aller Beteiligten bzw Be-troffenen erarbeitet werden.

Generell sollte man bei komplexen Lö-sungsversuchen in Problemquartieren nichtdie Bewohner als Problemfälle betrachtenund behandeln, sondern als gleichberech-tigte Handlungspartner.

Wenn bei derzeitigen städteplaneri-schen Projekten Betroffene „miteinbezogen“werden, handelt es sich nur zu oft um einenachträgliche Rechtfertigung zu bereits vor-liegenden ausgefeilten Handlungsstrategien.

Und so schauen wir als Nachbarschafts-hausmitarbeiterInnen voller Interesse undNeugier in die Zukunft — hat doch AnfangMai 1999 ein neuer City-Manager seine

Arbeit aufgenommen. Für dreißig Mona-te ist diese anspruchsvolle Stelle durch dasBezirksamt und den Senat finanziert; unter-stellt ist sie direkt der IG Altstadt.

In dieser Interessengemeinschaft habensich 200 Einzelhändler der Köpenicker In-nenstadt zusammengefunden.

Wünschenswert wäre eine Situations-und Bedarfsanalyse sowie Problemlösungs-vorschläge, welche nicht nur den Bedürfnis-sen der Einzelhändler und Politiker gerechtwerden, sondern auch die Bewohner des Kö-penicker Innenstadtbereichs miteinbeziehen.

Die neue Bundesregierung mit HerrnSchröder unterstützt im sozialpolitischen Be-reich das“holländische Modell“. In der bun-desweiten, wie in der Kommunalpolitik soll-te man sich dabei auf die Arbeit und die Er-fahrungen der bereits tätigen Vereine, Ver-bände und Institutionen stützen und Koope-rationsmodelle erarbeiten, ehe man völligneue Institutionen und Strukturen initiiert.

Peter Thiesen

Kartonwelten, Kuhkunst und Klangtunnel.Kreative Spiele für die Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen.

Papier und Pappe, Kamera und Kasset-tenrekorder: Daraus muss man doch wasmachen! Hier sind 170 Spielvorschläge fürungewöhnliche Spiele mit Kindern und Er-wachsenen. Spiele, die die Fantasie anre-gen und den Erfahrungshorizont erweitern.

Beltz Verlag. Weinheim und Basel. 1999

FALZ e.V. (Hg)

Arbeitslosengruppenin DeutschlandAdressenverzeichnis und Ergebnisseeiner Umfrage

Das neue bundesweite Verzeichnis vonArbeitsloseninitiativen liegt vor. Es wurdewieder vom Frankfurter Arbeitslosenzentrum(FALZ e.V.) zusammengestellt und ist alsBand 20 in der Reihe Arbeitshilfen fürSelbsthilfe- und Bürgerinitiativean der Stif-tung MITARBEIT erschienen. Das neue Ver-zeichnis enthält nach Postleitzahlen sortiertca. 795 Anschriften von Arbeitslosengrup-pen, -initiativen und -zusammenschlüssen so-wie ihren Kontaktstellen und eine Zusam-menfassung der Ergebnisse von zwei Um-fragen zur Entwicklung von Arbeitslosen-gruppen in Deutschland, die vom FALZ so-wie vom Projektteam “Arbeitsloseninitaiti-ven in den neuen Bundesländern” (ALIN)durchgeführt wurden.

Verlag Stiftung MITARBEIT, Bonn 1998,8DM zuzüglich Porto; Tel. 0228 - 60424-0

W. Kaschuba, R. Lindner, P. Niedermüller (Hg)

Wer in den Ostengeht, geht in ein anderes LandDie Settlementbewegung in Berlinzwischen Kaiserreich und WeimarerRepublik

Im Oktober 1911 zieht ein Pfarrer mitseiner Familie und einer kleinen Gruppevon Studenten in den Berliner Osten, um im“dunkelsten Berlin” ein “Lager” aufzuschla-gen. Diese Gruppe bildet den Kern des Sett-lements, einer “Niederlassung Gebildeterinmitten der armen arbeitenden Bevölke-rung”. Damit wird ein sozialpolitisches Modell aus dem Viktorianischen Englandauf das Wilhelminische Deutschland über-tragen. Die selbstgestellten Aufgaben derSettlement-Bewegung bestanden darin, dieVerhältnisse der armen und arbeitendenKlassen zu studieren, soziale Hilfedienstezu leisten und vor allem durch Teilnahmeam Leben der Armen die Klassengegensät-ze zu überbrücken.

Im Mittelpunkt dieses Buches steht dieDarstellung der Sozialen Arbeitsgemein-schaft Berlin-Ost, dem einzigen Settlementin Deutschland. Es wird ein faszinierendes,bislang wenig bekanntes Kapitel der Kultur-geschichte Berlins aufgeschlagen. Die Lese-rInnen gewinnen einen sinnlichen Eindruckvon der räumlichen und gedanklichen Tren-nung der sozialen Klassen und ihnen wirdein plastisches Bild von den sozialen undpolitischen Verhältnissen in Berlin des aus-gehenden Wilhelminischen Reiches und derfrühen Weimarer Republik vermittelt.

Um die Besonderheit dieses Kulturkon-taktes zwischen “Hoch” und “Ungebilde-ten” zu verstehen, wird ein Vergleich zwi-schen äußerer (oder: Heiden-) und innererMission im 19. Jahrhundert angestellt, undes werden zwei der frühesten und berühm-testen Settlements, Toynbee Hall in Londonund Hull House in Chicago, vorgestellt.

Akademie-Verlag, zeithorizonte. Studienzu Theorie und Perspektiven der Europäi-schen Ethnologie. Schriften des Instituts fürEuropäischse Ethnologie der Humboldt-Uni-versiät zu Berlin.Re

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Gesundheit sieht

es lieber, wenn

der Körper tanzt,

als wenn er

schreibt.

Lichtenberg

Der RUNDBRIEF erscheint mit finanzieller Unterstützung der „Glücksspirale”