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Rundbrief 1-2011

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Abwicklung oder Weiterentwicklung Wie weiter mit Mehrgenerationen- und Nachbarschaftshäusern?

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Abwicklung oder

Weiterentwicklung?

Wie weiter mit Mehrgenerationen- und Nachbarschaftshäusern?

Jahrestagung Stadtteilarbeit 2010veranstaltet vom Verband für sozial-kulturelle Arbeit e.V.

und den Berliner Mehrgenerationenhäusern

16. - 17. November 2010

Werkstatt der KulturenWissmannstraße 32, 12049 Berlin

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Birgit Monteiro, Geschäftsführerin des Verbandes für sozial-kulturelle Arbeit e. V.

Wir als Organisatoren haben uns sehr über die mehr als 220 Anmeldungen für beide Tage gefreut. Ich begrüße sehr herzlich Teilnehmer aus Aachen, Berlin, Buxtehude, Lutherstadt Wittenberg und Eisleben, Köln, Nürnberg, Langen, Per-leberg, Ansbach, Rostock, Teltow, Zehdenick, Brandenburg, Bielefeld, Bremen, Riesa, Waldkirch, Horneburg, Augsburg, Jena, Herbrechtingen, Freiburg, Kusel, Aue, Sassnitz, Ettlingen, Radolfzell, Mannheim, Kirchheim, Jessen, München, Hoyerswerda, Eltville am Rhein, Gerolstein, Brilon, Leipzig, Stutensee, Wuppertal, Magdeburg, Königs Wusterhausen, Bad Soden, Greifswald, Hof, Stolzenau, Han-nover, Mühlhausen, Wehrheim, Wiesbaden, Weißenfels, Wunsiedel, Pattensen, Hamburg, Bochum, Dortmund, Tharandt.Ich danke Ihnen allen sehr, dass Sie sich auf die Reise zu unserer Tagung gemacht haben. Es muss ein Thema sein, was bewegt: Abwicklung oder Weiterentwick-lung? Wie weiter mit Mehrgenerationen- und Nachbarschaftshäusern?Ich wünsche mir für heute und morgen vor allem drei Dinge: Dass jeder einen Platz hier im Saal und später in den Arbeitsgruppen fi ndet, sich gut kulinarisch versorgt fühlt, sich Wartezeiten und –schlangen in Grenzen halten; dass Ihre inhaltlichen Erwartungen an diese Tagung erfüllt und möglicherweise übertroffen werden; dass wir miteinander ins Gespräch kommen, Politik, Verwaltung, Wissen-schaft, Mitarbeiter von Mehrgenerationen- und Nachbarschaftshäusern; dass wir uns unserer Kraft bewusst werden. Ich behaupt einfach mal, dass wir die haben.

Und damit übergebe ich an die zwei Moderatorinnen. Heide Schostek, wie ange-kündigt, ist leider erkrankt. Sie wird vertreten von Monika Fröhlich vom Mehrge-nerationenhaus Kiezoase in Schöneberg. Die zweite Moderatorin ist Elsie Poser, sie ist ehrenamtlich auch im MGH Kiezoase tätig.

EröffnungInhaltsverzeichnis

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Fachtagung Abwicklung oder Weiterentwicklung?

Eröffnung

Grußwort Christoph LinzbachGrußwort Rainer-Maria Fritsch

Vortrag Dr. Herbert Scherer Mehrgenerationenhäuser – eine Ortsbestimmung in der sozialen Landschaft Berlins

Vortrag Gudrun Scheithauer Das Aktionsprogramm Mehrgenerationenhäuser – Konzept und Wirkung

Forum A Demographie Miteinander leben, voneinander lernen, sich gegenseitig unterstützenForum B Vielfalt Integration und sozialer Ausgleich in der StadtForum C Ressourcen Lokale Vernetzung und Aktivierung im Sozialraum

Fotodokumentation: Kaffeepause und Improvisationstheater

Diskussion mit Vertretern aus Bund, Land, Kommune, Verbänden und Einrichtungen Generationen- und ressortübergreifende Arbeit: Wer profi tiert?

Vortrag Dr. Konrad Hummel Ein gemeinsames Haus? Mehrgenerationen- und Nachbarschaftshäuser und der Versuch der intergenerativen Arbeit

Forum A Konzepte und Finanzierungsmodelle im Bundesgebiet: Erfahrungsberichte und Diskussion Gruppe 1 Infrastrukturkonzepte Gruppe 2 FinanzierungenForum B Auf Du und Du mit allen!? Praxis-Workshop „Ballungsräume“ / Fotodokumentation

Abschluss Resümee und Ausblick

TeilnehmerlistenImpressum

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Grußwort Christoph Linzbach

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Elsie Poser, ehrenamtlich tätig im MGH Kiezoase, Berlin-Schöneberg und Monika Fröhlich, Koordination des MGH Kiezoase, Berlin-Schöneberg

Elsie PoserMein Name ist Elsie Poser. Ich bin 17 Jahre alt und gehe noch zur Schule. Ich bin ehrenamtlich tätig in der Kiezoase und Peer-Helferin. Wir unternehmen viele Sachen, kochen, spielen, usw.

Monika FröhlichZuerst begrüßen wir Christoph Linzbach. Er ist der Unterabteilungsleiter in der Abteilung Ältere Menschen, Wohlfahrtspfl ege und Engagementpolitik im Bun-desministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Er ist sozusagen der oberste Beamte, der für uns Ehrenamtliche zuständig ist.

Christoph Linzbach, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Unterabteilungsleiter in der Abteilung Ältere Menschen, Wohlfahrts-pfl ege, Engagementpolitik

Sehr geehrter Herr Staatssekretär Fritsch, sehr geehrte Frau Monteiro, sehr geehrter Herr Dr. Scherer, liebe Aktive aus den Berliner Mehrgenerationenhäu-sern und aus dem Rest der Republik. Ich bedanke mich für diese Einladung zu der heutigen Veranstaltung. Diese Jahrestagung, an der die Berliner Mehrgeneratio-nenhäuser und Vertreter vieler anderer Mehrgenerationenhäuser gemeinsam mit Stadtteilzentren und Nachbarschaftshäusern teilnehmen, ist ein gutes Beispiel für die Vernetzung von Einrichtungen, die viele Gemeinsamkeiten miteinander haben. Dazu gehören vor allem auch die Gemeinsamkeiten auf dem Gebiet des bürgerschaftlichen Engagements.Ich bin gerade als der oberste Beamte der Bundesregierung für das Themenfeld Engagementpolitik benannt worden. Ich muss das mit Entschiedenheit zurück-weisen. Wir respektieren die Unabhängigkeit der Zivilgesellschaft, über der Zivil-gesellschaft stehen keine Beamte.Vernetzung ist ein wichtiger Baustein, auf den wir auch im Aktionsprogramm Mehrgenerationenhäuser setzen. Mein Eindruck ist, dass die Vernetzung gerade hier in Berlin auf einem sehr guten Weg ist. Die neun Mehrgenerationenhäuser hier in Berlin arbeiten sehr gut miteinander und zusammen. Durch das Aktions-programm sind neue vielfältige Kontakte entstanden, viele Ideen wurden entwi-ckelt und die Kooperation über die Berliner Stadtgrenzen hinaus ist offensichtlich sehr gut.

Grußwort Christoph LinzbachModeration

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Grußwort Christoph Linzbach

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Die Berliner Häuser haben sich nicht nur bei der Vorbereitung der heutigen Ver-anstaltung engagiert, sondern sind auch sonst im Netzwerk der 500 Mehrgene-rationenhäuser aktiv. Das ist beispielgebend und zeigt, dass die Idee einer guten Vernetzung der unterschiedlichen Träger funktionieren kann. Sie ist ein wesent-licher Baustein des bürgerschaftlichen Engagements, gewinnbringend für alle Beteiligten.MGHs können Knotenpunkte des bürgerschaftlichen Engagements auf der lokalen Ebene sein. Aus diesem Grunde ist es uns auch als Bundesministerium von beson-derer Bedeutung, in diesem Programm und darüber hinaus mit den Ländern und Kommunen eng zusammenzuarbeiten, denn es sind die Kommunen, die zuständig sind für Fragen der lokalen Infrastruktur – nicht der Bund.Der Bund kann unterstützen, der Bund kann fördern, der Bund kann Ideengeber oder Anreger sein, aber er ist nicht derjenige, der in erster Linie zuständig ist. Das sollten wir auch in Zukunft so halten.Auf diese lokale Kooperation haben wir von Anfang gesetzt, als wir 2006 das Aktionsprogramm Mehrgenerationenhäuser auf den Weg gebracht haben. Frau Scheithauer, die zuständige Referatsleiterin für das Programm, ist heute ebenfalls hier und wird Ihnen dazu noch einiges im Detail erzählen.Lassen Sie mich einige Aspekte herausgreifen, die mir als jemanden, der sich seit Jahren mit Fragen des freiwilligen Engagements beschäftigt, besonders wichtig sind: Mehrgenerationenhäuser und Engagement. Die bundesweit 500 Mehrgene-rationenhäuser mit den derzeit ca. 16.000 freiwillig Engagierten sind eine große Erfolgsgeschichte des gesellschaftlichen Engagements.Wir wissen aus der Wirkungsforschung im Aktionsprogramm, dass es den Mehr-generationenhäusern hervorragend gelingt, freiwillig Engagierte einzubringen. Sie ermöglichen Menschen aller Altersstufen, sich unkompliziert und ihren Fähigkeiten entsprechend zu engagieren. Basis für den Erfolg der Mehrgenerationenhäuser ist: freiwilliges Engagement, freiwillig Engagierte und Festangestellte widmen sich gemeinsam den Aufgaben der Mehrgenerationenhäuser. Das ist aus unserer Sicht ausgesprochen wichtig. Und sie arbeiten auf Augenhöhe miteinander zusammen. Darauf legen wir besonderen Wert.Es gibt eine Anerkennungskultur, die die freiwillig Aktiven motiviert und die ihren Einsatz würdigt. Auch das ist wichtig. Wichtig dabei ist auch der berühmte Blick über den Tellerrand hinaus. Es gibt keine Abgrenzungen von Zuständigkeiten oder Altersgruppen, jede und jeder kann das einbringen, was den eigenen Fähigkeiten und Erfahrungen entspricht.Dies gilt sowohl für die angebotenen Dienstleistungen, als auch für die nachge-fragten Unterstützungsleistungen des täglichen Lebens. Entscheidend – auch im

Kontext der Arbeit der Mehrgenerationenhäuser – ist das, was vor Ort gebraucht wird. Das bedeutet auch, dass es nicht um Konkurrenzen zu bereits vorhandenen Einrich-tungen und Angeboten gehen darf, sondern um die Bündelung und Vernetzung von Akteuren und Initiativen, die in ähnlich ausgerichteten Einrichtungen arbeiten, zum Beispiel die bereits erwähnten Nachbarschaftszentren und Stadtteilzentren.Ich möchte den Blick ein wenig weiterlenken auf den gesamten Bereich des The-menfeldes Engagement, der zunehmend an Bedeutung gewinnt. Diese zuneh-mende Bedeutung können Sie auch daran ablesen, dass die Bundesregierung am 6.10.2010 eine nationale Engagement-Strategie verabschiedet hat. Das heißt, alle Bundesressorts haben sich auf einen Rahmen zur Förderung des bür-gerschaftlichen Engagements verständigt und damit einen wichtigen Baustein für eine zukunftsweisende Engagementpolitik gebildet.Damit hat die Bundesregierung den Grundstein gelegt für eine zwischen Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft besser aufeinander abgestimmte Engagement-förderung in Deutschland.Diese Engagement-Strategie greift dabei zwei wichtige und positive Entwicklungen auf: Zum einen engagieren sich immer mehr Menschen in Deutschland. Derzeit sind es lt. dem aktuellen Freiwilligensurvey 23 Millionen. Es ist erfreulich, wie stabil die Zahlen sind. Wir wissen auch aus dem Freiwilligensurvey, dass wir ein hohes Poten-zial gerade bei den älteren Menschen haben. Aber wir haben auch viele offene Fra-gen, was den Nachwuchs im Engagementbereich angeht, um die wir uns kümmern müssen. Zum anderen gewinnt das bürgerschaftliche Engagement immer mehr Bedeutung für die Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen.Ich sage das ganz bewusst nicht in dem Sinne, dass wir für eine Verzweckung von Engagement eintreten. Aber das Engagement ist immer auch an Herausfor-

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derungen oder an Aufgaben gebunden. Die Aktiven, die sich in dieser Gesellschaft engagieren, wollen etwas zur Bewältigung von solchen Herausforderungen beitra-gen. Dafür müssen wir Rahmenbedingungen verbessern und keine Verzweckung bewirken.Diese Herausforderungen reichen vom demografi schen Wandel über Themen-felder wie gesellschaftliche Integration, die Gewährleistung fairer Chancen und auch Bildungschancen in der Gesellschaft, bis natürlich auch in andere Felder außerhalb des Sozialen hinaus, Umweltschutz, Natur- und Klimaschutz, Fragen der Globalisierung.Ich glaube, dass wir in den letzten Jahren schon einige Fortschritte im Themenfeld Engagementpolitik erreicht haben. Wir sind noch nicht am Ende der Entwicklung, das ist ein stetiger Prozess. Sie erinnern sich alle, dass wir 2001 bzw. 2002 eine Enquetekommission im Deutschen Bundestag zum bürgerschaftlichen Engage-ment hatten. Das war ein Auslöser für die Politikentwicklung auf Bundesebene. Wir verwenden den Begriff Engagementpolitik auch erst seit drei Jahren. Aber wir sind damals eben mit diesem Begriff angetreten, weil wir gesagt haben, wenn wir wirklich etwas für Engagement auf Bundesebene tun und bewirken wollen, dann brauchen wir ein abgegrenztes, auch nach außen hin sichtbares Politikfeld. Das war die Philosophie, die dahinter stand, als wir diesen Begriff neu gesetzt haben.Viele Bundesprogramme, aber vor allem auch die unzähligen Programme und Pro-jekte vor Ort, leisten bereits seit längerer Zeit, selbstverständlich auch vor 2000, wertvolle Beiträge für ein nachhaltiges, bürgerschaftliches Engagement, damit auch für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.Ein Ziel einer nachhaltigen Engagement-Strategie ist es, von einem Nebeneinan-der mehr zu einem Miteinander zu kommen. Wir haben in diesem Feld sehr viele

Akteure auf der Bundesebene, auf der Länderebene und auf der kommunalen Ebene, die im Moment noch relativ isoliert voneinander vorgehen. Wir wollen das ein Stück weit zusammenführen und zwar in dem Sinne, dass wir uns besser abstimmen. Gerade für die Bundesregierung ist es wichtig, vor dem Hintergrund der Zuständigkeiten, die ich erläutert habe, der Verteilung der Zuständigkeiten, dass wir uns sehr eng mit den Kommunen und mit Ländern abstimmen.Ich hoffe, dass es im Rahmen der Umsetzung der Strategie gelingt, noch eine Reihe von weiteren positiven Ergebnissen in drei Jahren, also am Ende dieser Legislaturperiode, tatsächlich vorzuweisen.Vielleicht abschließend noch zu einer Frage, die Sie alle bewegt, zur Zukunft der Mehrgenerationenhäuser. Wie geht es weiter mit diesem Projekt? Es ist unser Anliegen, den Mehrgenerationenhäusern eine Perspektive für die Zukunft zu geben. Die Strukturen und Kompetenzen, die vor Ort mit erheblichem fi nanziellen und sonstigem Aufwand - auch des Bundes - aufgebaut oder gestärkt worden sind, sollten nach Möglichkeit erhalten bleiben. Das Bundesministerium für Fami-lie, Senioren, Frauen und Jugend beabsichtigt deshalb, ein Anschlussprogramm zum aktuellen Aktionsprogramm Mehrgenerationenhäuser aufzulegen, um so die positiven Effekte des Aktionsprogramms zu erhalten und nach Möglichkeit auch weiter auszubauen. Das bedeutet aber, was ich auch sehr deutlich sagen muss, keine unveränderte Weiterförderung aller derzeit geförderten Träger, sondern ein neues Programm, das veränderte Akzente setzen wird. Auch das ist ein Stück weit der Förderkompetenz, die uns zusteht, geschuldet.In einem neuen Programm wird jedes Mehrgenerationenhaus neben dem gene-rationenübergreifenden Ansatz in allen Angeboten und Aktivitäten unter anderem auch nachweisen müssen, dass es Ansprechpartner für freiwilliges Engagement in seiner Kommune ist und konkrete familienunterstützende Hilfen anbietet. Wir wollen das gerne von Bundesseite aus in der Weise begleiten, dass wir mit den Ländern und Kommunen über lokale Infrastrukturen im Engagementbereich noch intensiver sprechen und ggf. hier auch gemeinsam vorgehen. Wie gesagt, es gibt ja neben den MGH’s auch viele andere Knotenpunkte des Engagements, die sollten in Zukunft besser vor Ort zusammenarbeiten.Ziel ist es, alle Mehrgenerationenhäuser zu einem wichtigen Ansprechpartner für bürgerschaftliches Engagement in den Kommunen zu machen. Ein weiterer zentraler Aspekt wird die konkrete Unterstützung durch die jeweilige Standort-Kommune sein. Auch hier müssen und wollen wir, wenn wir ein neues Programm aufl egen, etwas höhere Standards setzen als in der Vergangenheit.Wir arbeiten derzeit an einem Konzept, in dem das freiwillige Engagement und der generationenübergreifende Ansatz auch zukünftig wesentliche Bausteine sein

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Grußwort Christoph Linzbach

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sollen. Das dürfte Sie nicht überraschen, in Teilen habe ich das auch ausgeführt.Die weiteren Eckdaten, auch zur Finanzierung, müssen wir zur gegebenen Zeit, das kann ich leider heute noch nicht tun, im Detail bekannt geben. Sobald hier Klarheit herrscht, werden wir informieren. Auf jeden Fall wird es eine neue Ausschreibung geben. Wir gehen davon aus, dass sich nicht nur Mehrgenerationenhäuser aus dem Aktionsprogramm bewerben werden, sondern auch viele neue Einrichtungen, die sich der generationenübergreifenden Arbeit widmen.Mehrgenerationenhäuser, Nachbarschaftshäuser und Stadtteilzentren tragen viel zum freiwilligen Engagement bei, oft mit sehr überschaubarem Mitteleinsatz oder mit überschaubar zur Verfügung stehenden Mitteln. Sie tun das in ganz maßgeb-licher Weise und stärken damit den Zusammenhalt in der Gesellschaft. Das kann man letztlich vor dem Hintergrund der immer knapper werdenden Ressourcen, die der öffentlichen Hand zur Verfügung stehen, nicht hoch genug einschätzen. Im Austausch über bisherige Erfahrungen, aktuelle Entwicklungen und kreative Lösungsansätze haben wir heute die Chance, auch neue Ideen für die künftige Arbeit von Mehrgenerationenhäusern miteinander zu diskutieren. Dafür möchte ich danken.Die Berliner Häuser haben sich nicht nur in der Vorbereitung dieser Veranstal-tung engagiert, sondern sich auch sonst in dem gesamten Netzwerk einen Namen gemacht. Das zeigt, dass die Idee einer guten Vernetzung funktionieren kann.

Ich wünsche Ihnen für diese Veranstaltung viel Erfolg und hoffe, dass wir von Ihnen profi tieren. Wir sind auf Sie angewiesen, wir brauchen Sie – viel mehr als Sie uns brauchen. Die Gesellschaft braucht Sie viel mehr als sie uns braucht. Ich hoffe, dass es ein fruchtbarer Austausch auf dieser Veranstaltung wird. Leider kann ich heute Nachmittag – entgegen der Ankündigung – nicht an der Podiumsdiskussion teilnehmen. Wir haben hausinterne Besprechungen, auch zum Thema MGH. In Gedanken sind wir bei Ihnen und ich hoffe, dass wir Sie auch weiterhin unterstüt-zen dürfen. Herzlichen Dank!

Elsie PoserEin weiteres Grußwort hält Rainer-Maria Fritsch. Er ist der Staatssekretär für Soziales in Berlin.

Rainer-Maria Fritsch, Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales, Staatssekretär für Soziales

Sehr geehrte Frau Monteiro, sehr geehrter Herr Linzbach! Sie haben uns schwere Kost mitgegeben, weshalb ich etwas abschweife. Es ist noch mal ganz wichtig, hier sehr scharf zwischen Mehrgenerationenhäusern, noch fi nanziert aus Bun-desmitteln, und den Nachbarschaftshäusern und Stadtteilzentren zu trennen, die aus Mitteln des Landes Berlin und aus dem EFRE getragen werden, dem Europä-ischen Fonds für regionale Entwicklung.29 Nachbarschaftshäuser, 12 Selbsthilfe- und Kontaktstellen, insgesamt 92 Pro-jekte der Stadtteilarbeit, dann kommen noch die einzelnen Stadtteilzentren und Nachbarschaftshäuser dazu, die die Bezirke fi nanzieren, also das ist eine große, breit und gut aufgestellte Landschaft in Berlin.Es wurde die Frage der Verzahnung und Vernetzung angesprochen. Da war ich noch für Jugend zuständig, habe das als Jugendamtsleiter bzw. Jugendstadtrat begleitet, als die Mehrgenerationenhäuser entstanden und aufgerufen wurden. Zurzeit fi nanziert mit 40.000 Euro pro Objekt, was natürlich nicht viel ist. Die Mehrgenerationenhäuser kämpfen alle ganz schön mit ihren Mitteln und ihrem Finanzierungs-Mix. Ich habe verschiedene Einrichtungen besucht. Ich kenne das SOS-Kinderdorf-Haus in Moabit ganz gut, das Kreativhaus und andere. Es ist manchmal nicht so ganz klar, was sie wirklich voneinander unterscheidet. Sie machen richtig gute, intensive Stadtteilarbeit und versuchen, viele Dinge zusam-menzutragen, wie sie jetzt mit dem neuen Programm auch gefordert werden.Ich frage mich schon, diese Frage ist auch erlaubt, ob es nicht eine Überforderung ist bei durchschnittlich 40.000 Euro pro Jahr für ein Mehrgenerationenhaus zu sagen, jetzt noch mal Ehrenamt und familienorientierte Arbeit? Ich habe jetzt 30

Grußwort Rainer-Maria Fritsch

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Jahre Jugendhilfe hinter mir und weiß, was das alles kostet an Kraft und Energie. Darüber muss man noch mal intensiv diskutieren.Die Arbeit- und Sozialminister/innen und die Senator/innen werden sich in diesem Monat zur sogenannten ASMK treffen, Arbeits- und Sozial-Minister-Konferenz. Da liegt auch eine Beschlussfassung vor, haben wir Amtschefs schon vorab gestimmt, wo die Bundesregierung natürlich gebeten wird, hier noch mal darüber nachzuden-ken, wie eine Weiterförderung aussieht. Ich wäre sehr froh, wenn die Länder und Kommunen, Berlin ist ja Land und Kommune zugleich, beteiligt würden an dem spröden Stichwort Evaluation.Wenn ich jetzt höre, es können dann auch neue Träger etwas beantragen, es wird ein neuer Wettbewerb aufgebaut, da sollten wir genau gucken, gerade in unserer Stadt, wie wir das vernünftig gemeinsam steuern. Das umso dringlicher, als ich heute gehört habe, dass die Mittel „Soziale Stadt“, die in Berlin eine wich-tige Rolle spielen, vermutlich um 60 % zurückgehen werden. Das sind natürlich dramatische Folgen, auch für die Mehrgenerationenhäuser, die sich zum Teil auch mit aus diesen Mitteln fi nanzieren. Das ist ein ganz heikles Feld, was wir gemeinsam bewegen müssen. Ich hoffe, dass es Ihnen gelingt, das, was Sie an fachlicher und inhaltlicher Kraft in den einzelnen Nachbarschaftshäusern, Stadtteilzentren und Mehrgenerationenhäusern aufgebaut haben, hier bündeln und das in entsprechende politische Forderungen umsetzen, denn darum wird es gehen.Wir versuchen als Land Berlin und als Senat sehr, sehr viel an die Nachbarschafts-häuser anzubinden. Ein Stichwort will ich sagen: Paragraf 45 d SGB XI, also die Unterstützung der ehrenamtlichen Tätigkeit, der Selbsthilfebereich, der Pfl ege. Auch das wollen wir in jedem Bezirk an mindestens ein Nachbarschaftshaus binden.

Und, das ist die erfreuliche Botschaft, die ich hier heute überbringen kann, wir haben mit der LIGA der Wohlfahrtsverbände eine Einigung erzielen können über den Folgevertrag zum LIGA-Vertrag. Das war nicht einfach, die Unruhe in der Szene war groß. Es hat viele Ängste und Sorgen gegeben. Wenn alles so klappt, wie wir das planen und vorhaben, wird am 1. Dezember der Hauptausschuss unsere Vorlage, also die gemeinsame Vorlage Soziales und Gesundheit, in denen auch die Stadtteilzentren sind, zustimmend zur Kenntnis nehmen.Er wird damit etwas tun, was ich in diesen Zeiten für wirklich sensationell halte, nämlich dass wir in der Zeit mit grundgesetzlich verankerter Schuldenbremse, in den Zeiten, in denen u.a. Berlin unter Aufsicht des Stabilitätsrates steht, dass wir über fünf Jahre 140 Millionen Euro, nämlich pro Jahr 28, vor die Haushalts-klammer ziehen werden. Diese 140 Millionen, dazu gehören auch die Stadtteil-zentren. Also 28 Millionen Gesundheitsprogramm, integriertes Sozialprogramm und Stadtteilzentrenprogramm werden in den nächsten fünf Jahren gesichert sein. Das bedeutet keine Sicherung für das einzelne Projekt, das ist völlig klar. Das wissen Sie auch, da bewegt sich immer viel zu viel in diesen Zeiten, in fünf Jahren kann sich viel verändern. Aber die Haushaltsvolumina mit den entspre-chenden Fachrichtungsermächtigungen für die folgenden Haushaltsjahre werden zur Verfügung stehen.Wir haben versucht, immer die Botschaft an alle zu geben, dass wir 2011 alle Projekte so weiterführen werden wie 2010, es sei denn, es gibt kleine, einzelne Änderungen, Personalwechsel, was man alles so hat, Mieten verändern sich viel-leicht. Das werden wir fortführen und es wird dann Aufgabe der neuen Landesre-gierung bzw. der neuen zusammengesetzten Senatsverwaltung sein, wie welche Dinge möglicherweise umzustrukturieren sind.Eins müssen Sie wissen: Bedingung, dass die 140 Millionen, also fünf Jahre lang 28 Millionen vor die Klammer bei den Haushaltsberatungen gezogen werden, war, dass die Senatsverwaltung für Finanzen künftig im zentralen Steuerungsgre-mium vertreten sein wird.Ich persönlich fi nde das gut. Ich war ja mal Stadtrat für Jugend und Finanzen, die einzige Kombination in dieser Stadt. Ich fi nde das gut, weil natürlich Finan-zen einen ganz anderen Blick auf die Dinge hat und manchmal ist es ganz gut, Finanzen auch mit den irdischen Fragen der sozialen Infrastruktur in dieser Stadt zu verknüpfen. Andererseits ist es aber auch ganz gut, sich mit ein paar Fragen auseinanderzusetzen, die wir in dieser Stadt natürlich auch haben, das ist die Frage der Entwicklung der Transfers in Jugend, Soziales, in der Pfl ege. Mittel, die für Prävention eingesetzt werden, gibt es dort einen Zusammenhang? Falls ja, welchen? Und falls es den gibt: Wie kann man positiv darauf Einfl uss nehmen,

Grußwort Rainer-Maria Fritsch

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dass präventive Mittel irgendeine bedingte Rückkopplung auch auf die Entwick-lung der Transferausgaben haben? Das ist eine sinnvolle Frage. Wie die Antwort aussieht, weiß noch keiner.Die Situation, die wir hier in der Stadt haben, demografi scher Wandel, die Zunahme pfl egebedürftiger Menschen - wir wollen erreichen, dass man gut altern kann in dieser Stadt, solange wie möglich in seinen Häuslichkeiten verbleiben kann. Dafür spielen auch die Nachbarschaftshäuser eine große Rolle. Ich habe mir das ja am Wochenende der Nachbarschaftszentren an vielen Stellen in der Stadt persönlich angesehen. Es war wirklich sehr überzeugend, was Sie da tun.Letzte Bemerkung: Wir müssen in den zwei Tagen, in denen Sie diskutieren – morgen wird unsere Senatorin anwesend sein – sehr deutlich trennen, was die Finanzierungs-formen angeht, Mehrgenerationenhäuser auf der einen Seite aus Bundesmitteln, Stadtteilzentren und Nachbarschaftsprojekte fi nanziert aus Landes- und EU-Mitteln, aber wir müssen es gemeinsam denken. Ich halte das für eine wichtige sozialpoli-tische Forderung, die wir auch im nächsten Jahr im Wahlkampf kräftig vertreten wol-len, nämlich den weiteren Ausbau der Stadtteilzentren und Nachbarschaftshäuser. Ich halte sie in einer Stadt, in der 50 % der Haushalte inzwischen Single-Haushalte sind, für wichtige Kristallisationspunkte in den Stadtteilen.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen Kraft, vor allen Dingen Mut, das Undenkbare auch zu denken, aufzuschreiben und in Forderungen umzusetzen. Ich habe dann zwar leider den Nachteil, dass ich mich mit den Forderungen auseinandersetzen muss, aber das werde ich gerne tun. In dem Sinne viel Erfolg für Ihre Tagung!

Monika FröhlichIm nächsten Redebeitrag geht es um eine Ortsbestimmung für die Mehrgenera-tionenhäuser in dieser sozialen Landschaft Berlins. Diese Ortsbestimmung wird jemand vornehmen, der sich bestens auskennt, 20 Jahre lang der Geschäftsführer des Verbandes für sozial-kulturelle Arbeit war, und auch Pate des Mehrgeneratio-nenhauses in Zehlendorf ist: Dr. Herbert Scherer.

Dr. Herbert Scherer, langjähriger Geschäftsführer des Verbandes für sozial-kulturelle Arbeit e. V., seit 01.05.2010 im Ruhestand

Herr Linzbach hat es mir nicht einfach gemacht, indem er etwas gesagt hat, von dem ich denke, es könnte gefährlich werden für die Mehrgenerationenhäuser, wenn sie sich nicht auch auf die soziale Infrastruktur in ihrer Kommune oder in ihrem Land mehr beziehen als auf Bundesprogramme. Aber gleichzeitig ist das natürlich eine Ermunterung für das Fortbestehen der Einrichtungen.Im September dieses Jahres hat der SPIEGEL Alarm geschlagen und darüber berichtet, dass die Familienministerin wegen ihres Umgangs mit den Mehrgene-rationenhäusern in die Kritik gerate. Etwas voreilig wird der Teufel an die Wand gemalt. Weil das Aktionsprogramm ab 2011 auslaufe, sei völlig unklar, was aus den Häusern werden würde, denn – so heißt es weiter: Das Projekt scheine kein Erfolg zu werden, weil der Plan, die Einrichtungen könnten von Ländern, Kommu-nen und der Wirtschaft weiterfi nanziert werden, nicht aufgehe.Soll das heißen, das Aktionsprogramm hätte eine Aussicht auf Weiterführung gehabt, wenn es gelungen wäre, die Finanzierung der Häuser aus anderen Quel-len sicher zu stellen? Wenn es sich also als nicht mehr erforderlich erwiesen hätte? Wohl kaum!Wie man es auch dreht und wendet, es gibt einige Gründe anzunehmen, dass die Häuser ihre Zukunft außerhalb der Förderung durch das Bundes-Aktionspro-gramm absichern müssen. Ich würde das jetzt relativieren – auch absichern müs-sen.Ich hatte das schon beinahe geahnt – bevor Herr Linzbach gesprochen hat. Denn ich habe mich gefragt: Ist das eine gute strategische Beratung, den Häusern zu sagen, sucht euch eure Basis anderswo als beim Bund?

Vortrag Dr. Herbert Scherer

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Wie viele Bundesprogramme sind nach ihrem Ende - trotz aller Abgesänge - in neuen Gewändern weitergeführt worden? Das gilt zum Beispiel für die Programme gegen Rechtsextremismus ebenso wie für die generationsübergreifenden Freiwilli-gendienste, die sich zum Freiwilligendienst aller Generationen mausern durften.Nun unterscheidet sich allerdings das Aktionsprogramm Mehrgenerationenhäuser in mancherlei Hinsicht von den anderen Programmen. Zum einen mit seinem fl ä-chendeckenden Anspruch, in jedem Landkreis und in jeder kreisfreien Stadt sollte ein Mehrgenerationenhaus entstehen, dann mit seiner fünfjährigen Laufzeit und schließlich mit der Tatsache, dass hier eigentlich nicht Programme (die können vorübergehen), sondern EINRICHTUNGEN gefördert wurden, die nach dem erklär-ten Willen aller Beteiligten auf Dauer angelegt sein sollten.War es wirklich so? Oder folgte das Geschehen einer anderen Logik? In der ersten Förderphase gab es eine interessante Festlegung: durch die Förderung sollte das Entstehen neuer Mehrgenerationenhäuser angeregt werden. So wurde festgelegt, dass Häuser, die dieses Profi l schon von alleine ausgebildet hatten, keine Förde-rung brauchten. Ein Grund, weshalb in der ersten Phase bundesweit kaum Nach-barschaftshäuser entsprechende Förderanträge gestellt haben. Prominentestes Beispiel für eine Nicht-Förderung aus diesem Grund war meines Wissens die Mut-ter aller Mehrgenerationenhäuser, das SOS-Mütterzentrum in Salzgitter.Es ging also auch hier schon nicht wirklich darum, neue Einrichtungen aufzubauen, dafür hätten die Fördermittel ja auch nicht ausgereicht, sondern darum, Entwick-lungen anzustoßen und bestehende Einrichtungen zur Herausbildung eines neuen Profi ls zu motivieren und damit in der ganzen Bundesrepublik Beispiele für soziale Einrichtungen eines neuen Typus zu schaffen. Deswegen die Planungsvorgabe: ein solches Haus in jedem Kreis.

In der zweiten Förderphase wurde die Idee des Aufsattelns, die MGH-Förde-rung als etwas Zusätzliches, noch konsequenter verfolgt. Allerdings wurde die Beschränkung aufgehoben, die in der Konzentration auf neu für das Mehrgene-rationenprofi l zu gewinnende Häuser lag. Jetzt kamen sogar eher Einrichtungen zum Zuge, die nachweisen konnten, dass sie schon das eine oder andere Angebot in diesem Sinne realisiert hatten.Was bedeutet das für unsere Fragestellung? Die dramatisierende Fragestellung: Stehen die Häuser vor dem AUS? – gestern auch nachzulesen in der Berliner Zei-tung - ist falsch. Das Programm ist so angelegt, dass die Häuser mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit als solche weiter existieren werden. Es geht aber durchaus um die Frage: werden sie – ohne die zusätzliche Förderung aus dem Akti-onsprogramm – weiter an diesem Profi l festhalten? Werden sie weiter ein Mehrge-nerationenhaus als Familien- oder Mütterzentrum, plus Kita, plus Familienbildung, plus Bürgertreff, plus Kultur, plus Seniorentreff, plus – sein? Werden sie das sein? Oder wird es das dann gewesen sein mit dem Plus? Ist das Plus nur aufgesetzt?Oder hat sich über die Jahre die Überzeugung gefestigt, dass jeder Einrichtungs-typ durch die mit dem MGH-Programm angeregten Öffnungen, wie Schaffung eines offenen Bereiches, Multifunktionalität, Stadtteilnähe, starke Einbeziehung bürgerschaftlichen Engagements, auch seinen Ursprungszweck besser und sinn-voller verfolgen kann?Es ist allerdings unrealistisch zu meinen, zusätzliche Leistungen – wie sie hier entwickelt worden sind – seien zum Nulltarif zu haben. Insbesondere wenn es sich dabei um allgemein anerkannte gesellschaftlich notwendige Leistungen handelt, gibt es einen berechtigten Anspruch, dass diese auch aus öffentlichen Mitteln unterstützt gehören. Leider ist diese Selbstverständlichkeit in der Pro-grammphilosophie des Aktionsprogramms, vielleicht um niemanden allzu früh zu erschrecken, zuweilen versteckt worden hinter Phantasievorstellungen wie der Chance, die Infrastruktur der Häuser durch Überschüsse aus dem Verkauf haus-haltsnaher Dienstleistungen oder Sponsorengelder der örtlichen Wirtschaftsun-ternehmen fi nanzieren zu können.Dr. Löhnert vom Paritätischen Wohlfahrtsverband Berlin (in den letzten Jahren verantwortlich für die Umsetzung des Berliner Stadtteilzentrenvertrages) hat dar-auf schon im Januar 2009 in klaren Worten hingewiesen und insbesondere ein Überleitungsmanagement angemahnt, mit dem sichergestellt werden müsse, dass neu entwickelte gute Strukturen und bewährte Angebote auch nach dem Auslaufen der Bundesförderung weitergeführt werden könnten. Er hat schon damals in Berlin in dieser Hinsicht viele Versäumnisse festgestellt: Es sei auf Lan-desebene nicht geklärt, welche Senatsverwaltung sich zuständig fühlen sollte:

Vortrag Dr. Herbert Scherer

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die, zu deren Geschäftsbereich Jugend und Familie gehört oder die Senatsver-waltung für Soziales oder gar die für Stadtentwicklung. Auch die Bezirke seien nicht ausreichend einbezogen – und gegenüber dem Bund lasse sich Berlin vom Stadtstaat Hamburg vertreten.Leider hat sich auch in der Zwischenzeit an dieser Front noch nicht viel bewegt. Aber das muss uns nicht unbedingt pessimistisch stimmen, denn von unten – von den Berliner Mehrgenerationenhäusern selber - werden diese Fragen auf die Tagesordnung gesetzt. Diese Tagung ist ein wichtiger und richtiger Schritt – und ich fi nde es ein sehr gutes Signal, dass sie gemeinsam vom Verband für sozial-kulturelle Arbeit, dem Dachverband der Nachbarschaftsheime, Bürgerhäuser und Stadtteilzentren und den Berliner Mehrgenerationenhäusern veranstaltet wird. Das bedeutet doch, dass die Mehrgenerationenhäuser sich als Teil einer größeren Gemeinschaft begreifen.Womit ich mich dem eigentlichen Thema „Ortsbestimmung in der sozialen Land-schaft Berlins“ nähere. Berlin hat sich bei der Implementierung des Bundespro-gramms erfolgreich gegen die These gewandt, es habe als kreisfreie Stadt - wie die anderen - auch nur auf ein einziges Mehrgenerationenhaus aus dem Bun-desprogramm Anspruch. Schließlich gibt es in Berlin zwölf Bezirke, die jeweils für sich so etwas wie eine Großstadt darstellten. Allerdings wurde daraus nicht der logische Schluss gezogen, den Bezirken die Zustimmungsentscheidung zu überlassen. Schließlich ist die ja mit einer gewissen (mindestens moralischen) Verpfl ichtung verbunden, zur Nachhaltigkeit des Vorhabens beizutragen. So sind es schließlich neun Mehrgenerationenhäuser in Berlin geworden. Man könnte sagen, damit hat sich das Land Berlin einen Bärendienst erwiesen, weil es damit jetzt eine größere Nuss knacken muss. Und diese größere Nuss wird nun wie eine heiße Kartoffel herumgereicht. Niemand will in die Pfl icht genommen wer-den. Insofern ist die Ausgangslage etwas schwierig, aber nur in taktischer, nicht in strategischer Hinsicht. Denn es wird längerfristig nicht darauf ankommen, ob sich jemand zur Förderung verpfl ichtet fühlt, sondern ob die Leistungen der Ein-richtungen GEWOLLT sind, weil sie überzeugen, weil sie zielführend sind und einem örtlichen Bedarf entsprechen.Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg! Wo kein Wille ist, fi ndet sich eine Ausrede! Das bedeutet eine Veränderung der Blickrichtung. Von der Qualität der Arbeit müssen nicht länger vor allem das Bundesministerium und die programmbegleitenden Ser-vice-Agenturen sowie die Kollegen in der neu entstandenen Mehrgenerationen-haus-Szene überzeugt werden, sondern die Kolleginnen und Kollegen im eigenen Haus, die Nutzer/innen der Einrichtungen, die Stadtteilbewohner/innen, auch die, die nicht zu den Nutzer/innen gehören, die Träger der Einrichtungen und deren

Verbände, die Verantwortlichen für die Regelfördersysteme in Kommune, Bezirk und Land, sowie mögliche andere Unterstützer und die Mitbewerber, Wettbewer-ber oder Konkurrenten.Wenn wir auf Berlin sehen, könnte einem ja spätestens an dieser Stelle das kalte Grausen kommen, denn es ist abzusehen, dass das kein Picknick sein wird, weil gleich mehrere Systeme öffentlicher Förderung vergleichbarer Aufgabenfelder ins Trudeln geraten. Herr Fritsch hat darauf hingewiesen. Gelder für die Programme der „Sozialen Stadt“ werden massiv reduziert, Maßnahmen der Arbeitsförderung werden drastisch zurückgefahren und der Stadtteilzentrenvertrag, der in den letz-ten 12 Jahren den Projekten aus dem Nachbarschafts- und Selbsthilfebereich eine längerfristige Planungssicherheit gegeben hat, läuft ja erst mal zum Jahres-ende 2010 aus. Auch wenn 2011 noch relativ sicher ist, in der inneren Struktur sind für das Jahr 2012 mindestens strukturelle Änderungen zu erwarten. Das hat auch Herr Fritsch eben so gesagt.Das heißt, überall werden die Karten neu gemischt. An allen Ecken und Enden kann es zu einem Missverhältnis zwischen reduzierter Nachfrage von den öffent-lichen Geldgebern und gleichbleibendem Angebot kommen. Wie sollen wir uns in dieser Situation verhalten? Diese Frage richtet sich gleichermaßen an die Ein-richtungen und die Verbände, insbesondere an unseren Verband, der sich einer Gesamtentwicklung verpfl ichtet weiß und sich nicht als Schutz- und Trutzbündnis der etablierten Einrichtungen gegen das Aufkommen neuer Wettbewerber ver-steht. Oder präziser: der es bisher immer wieder verstanden hat, entsprechende Tendenzen, die sich aus seiner Dachverbands- und Lobbyrolle heraus entwickeln konnten und können, durch Rückbesinnung auf seine Fachverbandsfunktion, auf seine eigentlichen Ziele, zu überwinden. Wir haben nämlich ein Ziel, das über

Vortrag Dr. Herbert Scherer

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den Schutz des Bestehenden hinausgeht. Wir wollen, dass es perspektivisch in jedem Sozialraum, d.h. im unmittelbaren Lebensumfeld der Menschen, eine Einrichtung vom Typus Nachbarschaftsheim, Bürgerhaus, Gemeinwesenzent-rum, Mehrgenerationenhaus oder Stadtteilzentrum gibt. Namen sind zwar nicht Schall und Rauch, aber es zählt, was drinnen ist: multifunktional, offen für alle, stadtteilbezogen oder sozialraumorientiert, Angebote für Menschen unterschied-licher Generationen, Herkunft oder weltanschaulicher Überzeugungen, von unterschiedlicher sozialer Lage und mit unterschiedlichen Bedarfen. Häuser, die offen sind für aktive Mitwirkung, für bürgerschaftliches Engagement, Ehrenamt und Selbstorganisation. Und das nicht als Sondereinrichtungen, fi nanziert über Sonderprogramme – also etwas tendenziell Zusätzliches -, sondern als DIE Form, in der die Basis für eine zeitgemäße und zukunftssichere soziale Infrastruktur organisiert werden sollte. Das wird ein weiter Weg sein, weil er ein Umdenken an vielen Stellen erfordert: bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der sozialen Dienste, bei den Einrichtungen, bei den Trägern, bei den Verbänden und bei den fördernden Stellen.Es geht also im Kern nicht um die Absicherung zusätzlicher Einrichtungen, son-dern um die Umgestaltung und Profi lveränderung einer großen Zahl bestehender Einrichtungen – in anderen Worten: im Wesentlichen mit dem bestehenden För-dervolumen und den bestehenden Kapazitäten andere fachliche Ansätze realisie-ren, die dem Bedarf der Menschen mehr entsprechen, die ihre Ressourcen mit einbeziehen und die schon deshalb effektiver und damit letzten Endes auch kos-tengünstiger sind als die noch vorherrschenden versäulten Systeme. Ich denke, in dieser Zielsetzung sind wir uns einig mit den Initiator/innen des Bundespro-gramms, denen es ja auch darum ging, mit ihrer Förderung Beispiele zu schaffen,

die eine kräftige Ausstrahlung auf andere Institutionen ausüben, um diese zu motivieren, sich ebenfalls auf ähnliche neue Wege zu begeben.Im Alltagsgeschäft der Mehrgenerationenhäuser ist dieser Grundgedanke anscheinend manchmal abhanden gekommen, sodass sich Vorstellungen von einem vom Rest der Welt abgetrennten Sonderbereich, einem closed shop der Mehrgenerationenhäuser, entwickeln konnten. Auch diese Mauer muss weg. Auch diese Zäune gehören eingerissen. Für die Nachbarschaftshäuser und Stadt-teilzentren und die Mehrgenerationenhäuser in Berlin wird vieles davon abhän-gen, ob es ihnen gelingt, durch die Verständigung auf gemeinsame längerfristige Zielsetzungen in eine sozialpolitische Offensive zu gehen oder ob sie sich von jeweiligen Bedrohungsszenarien in die Defensive drängen lassen und sich kon-sequenterweise eher als Konkurrenten um die knapper werdenden Fördertöpfe argwöhnisch gegeneinander in Stellung bringen lassen.Dass der Stadtteilzentrenvertrag nicht weitergeführt wird, ist unter diesem Gesichtspunkt vielleicht nicht nur negativ zu sehen, müssen doch auch die Einrich-tungen, die bislang einen hohen Bestandsschutz hatten, neu darüber nachden-ken, welche Rolle sie längerfristig in der sozialen Landschaft Berlins einnehmen wollen und können. Es wäre gut, in die anstehenden Debatten und Auseinander-setzungen um die Gestaltung des Sozialen in Berlin gemeinsam so hineinzuge-hen, dass sich die jeweiligen Kräfte und fachlichen Erfahrungswerte addieren – statt dass wir uns auseinanderdividieren lassen und uns - bei lachenden Dritten - gegenseitig lähmen. Es ist gut, damit zu beginnen, bevor es zu spät ist. Wann, wenn nicht jetzt, ist der richtige Zeitpunkt. In diesem Sinne wünsche ich uns allen eine Konferenz, die uns auf diesem Weg einen großen Schritt voranbringt.

Elsie PoserVielen Dank, Herr Dr. Scherer. Ich möchte nun weiterleiten an Frau Gudrun Scheit-hauer. Sie ist Referatsleiterin für Generationenbeziehungen und Mehrgeneratio-nenhäuser im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Sie hält einen Vortrag über Konzept und Wirkung des Aktionsprogramms Mehrgene-rationenhäuser.

Vortrag Dr. Herbert Scherer

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Gudrun Scheithauer, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Referatsleiterin für Generationenbeziehungen, Mehrgenerationenhäuser

Vielen Dank für die Einladung. Ich bin sehr gerne gekommen, weil ich glaube, dass es sehr wichtig ist, dass wir uns hier vor Ort über das Aktionsprogramm Mehrgenerationenhäuser und über die Mehrgenerationenhäuser direkt verständigen und darüber diskutieren.Herr Scherer hat einen sehr schönen Bogen geschlagen, der sehr schön zum Ausdruck gebracht hat, worum es eigentlich geht. Sie haben viele wichtige und richtige Fragen gestellt, mit denen wir uns – vielleicht etwas losgelöst von der Berliner Perspektive – ebenfalls befassen, gerade, wenn wir über ein neues Konzept nachdenken.Ich will wieder zurück zum Ausgangspunkt und den Blick darauf werfen, worüber wir reden, wenn wir über das Aktionsprogramm sprechen, wenn wir über die Mehrgenera-tionenhäuser sprechen. Wo haben wir gestartet? Wo stehen wir jetzt? Darüber will ich in die Diskussion kommen, wie es weitergeht.Wir haben versucht, den Mehrgenerationenhäusern und dem Aktionsprogramm zu Anfang ein Gesicht und einen Leitsatz zu geben: Starke Leistung für jedes Alter.Das Ziel, den demografi schen Wandel aktiv zu gestalten, ist schon fast zu einem All-gemeinplatz geworden. Aber trotzdem, damit ist gemeint, das Bedürfnis nach Zusam-menhalt und Austausch zwischen den Generationen zu stärken, haushaltsnahe Dienstleistungen zu entwickeln, weil es da nachgewiesenermaßen auch konkret vor Ort einen Bedarf gibt. Der ist im Moment noch nicht so nachgefragt, wie es notwen-dig ist. Ein ganz wesentlicher Aspekt ist, das Erfahrungswissen, das Engagement und die Kompetenzen aller Generationen abzufragen, weil auch diejenigen, die nicht mehr aktiv sind, sehr viel aus ihrem Fundus beitragen können.Wir haben derzeit bundesweit 500 Mehrgenerationenhäuser, davon 340 im klein-städtischen und ländlichen Bereich, die übrigen in den Ballungszentren. Das will ich

betonen, weil wir diese Unterschiede zu Beginn des Programms nicht so sehr im Blick hatten. Insofern ist es auch ein lernendes Programm, indem wir das im Laufe der Begleitung der Häuser besonders hervorgehoben haben.Ich will auch darauf hinweisen, dass wir nicht davon ausgegangen sind, dass man mit dem jährlichen Zuschuss von 40.000 Euro pro Haus, der ja nicht so groß ist, eine komplette Einrichtung mit den Vorgaben, die es auch aus dem Aktionspro-gramm gegeben hat, fi nanzieren kann. Wir wollten bewusst keine neuen Einrich-tungen schaffen, sondern insbesondere vorhandene Einrichtungen, die Prototypen haben Sie ja schon erwähnt, die sich das Konzept des Aktionsprogramms zu Eigen machen, diesen generationenübergreifenden Ansatz, und sich mit diesem fi nan-ziellen Anschub auf den Weg machen.Es gab ja noch eine weitere Einschränkung, dass nur 20.000 Euro für Personalkosten verwendet werden konnten. Wir wissen auch, dass die Häuser sich teilweise schwer damit getan haben, aber wir wollten nicht nur Personalstrukturen schaffen, sondern dass das Geld für konkrete Angebote vor Ort verwendet wird.Hier noch mal im Überblick, was wir glauben, was Mehrgenerationenhäuser sind: sie sind Orte der generationenübergreifenden Begegnung mit dem offenen Treff, sie sind die Dienstleistungsdrehscheiben und Anlaufstellen für Familien. Uns ist bewusst, dass es mit den Dienstleistungsdrehscheiben nicht überall in gleicher Weise gelingt, die haushaltsnahen Dienstleistungen vor Ort so anzubieten, dass man sich damit auch fi nanzielle Standbeine schaffen kann. Aber die Idee ist, dass die Häuser auch nach fi nanziellen Alternativen vor Ort suchen, während sie gleichzeitig einen Markt oder Bedarf bedienen, den es vor Ort gibt.MGH bieten eine fl exible und passgenaue Kinderbetreuung. Im Laufe des Projektes hat sich gezeigt, dass die Stärke die Häuser nicht darin liegt, den institutionellen Einrichtungen Konkurrenz zu machen, sondern ergänzend dazu fl exible Angebote zu entwickeln, die Randzeiten und eine Notfallbetreuung abdecken, also das, was sonst die öffentlichen-rechtlichen Einrichtungen nicht leisten können.MGH bieten ergänzende Leistungen zur Pfl ege für ältere Menschen. MGH sind verlässliche Partner für die Kommunen, aber auch für die regionale Wirtschaft. Die Kooperation mit der lokalen Wirtschaft hängt auch mit dem Charakter als Dienstleistungsdrehscheibe zusammen. Dahinter steckt die Idee, sich vor Ort Kooperationspartner zu suchen, denen die Einrichtung auch etwas bieten kann und von denen umgekehrt auch etwas zurückfl ießen kann. Das fängt damit an, dass ein Mehrgenerationenhaus für einen kleinstädtischen Betrieb den Mittagstisch organisiert. Umgekehrt könnten Unternehmensmitarbeiter dann im Mehrgenerationenhaus mitarbeiten, Jugendliche im Bewerbungsverfahren coachen, usw.

Vortrag Gudrun Scheithauer

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MGH aktivieren bürgerschaftliches Engagement und ermöglichen Hauptamtlichen und freiwillig Engagierten die Zusammenarbeit auf gleicher Augenhöhe. Der Aspekt des bürgerschaftlichen Engagements ist auch schon angesprochen worden, darauf werde ich gleich noch konkreter eingehen.Alle Mehrgenerationenhäuser sind in sieben Handlungsfeldern aktiv: Zusammenbrin-gen aller vier Lebensalter, generationenübergreifende Angebote, Kinderbetreuung, Einbeziehung des freiwilligen Engagements, Informations- und Dienstleistungsdreh-scheibe, Einbeziehung von lokalen Unternehmen, offener Tagestreff für die Nutze-rinnen und Nutzer.Es war schon von Anfang an im Konzept für alle Einrichtungen eine verpfl ichtende Vorgabe, in diesen sieben Handlungsfeldern Angebote zu entwickeln. Für viele war das eine große Herausforderung. Es ist auch nicht allen Häusern in gleicher Weise gelun-gen, tatsächlich alle Felder abzudecken. Aber, auch die Wirkungsforschung zeigt das, insbesondere dieser generationenübergreifende Ansatz bei dem Zusammenbringen aller Lebensalter hat bei vielen doch zu einer Neuausrichtung der Angebote geführt, selbst bei denjenigen, die sagten, dass sie das schon immer machen.Über die Prototypen hatten wir schon gesprochen. Weil es eben genau nicht darum ging, neue Einrichtungen zu fördern, auch nicht darum, so viel Geld zu geben, dass sich davon eine Einrichtung fi nanzieren kann, wollten wir etwas, was vor Ort vorhan-den ist, weiterentwickeln. Diese Aspekte der Weiterentwicklung und der Kooperation vor Ort müssen wir auch in Zukunft stärken.Wir haben 200 Häuser, die aus dem Europäischen Sozialfonds kofi nanziert werden. Die Häuser glaubten, sie müssten dadurch höhere Anforderungen erfüllen, was letzt-endlich aber nicht der Fall war. Die Forderungen aus der ESF-Förderung, nämlich Angebote zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu entwickeln, zur Verbesserung der sozialen Eingliederung Benachteiligter mit dem Ziel der dauerhaften Eingliederung in das Erwerbsleben, zur Verbesserung des Zugangs und der Beteili-gung von Frauen am Arbeitsmarkt, haben nicht zu einer qualitativen Steigerung der Anforderungen der Einrichtungen geführt.Wie hat das Aktionsprogramm funktioniert? Wie kann es gelingen, 500 Einrichtungen, die man in einem Förderprogramm aufnimmt, so anhand bestimmter inhaltlicher Vor-gaben weiterzuentwickeln, dass am Ende auch die Ziele, die man sich am Anfang gesteckt hat, erreicht werden?In der Mitte steht das Bundesfamilienministerium als steuernde Instanz. Die Servicea-gentur, die mit verschiedenen Instrumentarien die Begleitung und Beratung der Häuser vor Ort geleistet hat. Der Öffentlichkeitsarbeit haben wir einen relativ großen Stellen-wert beigemessen. Wir wollten den Häusern mit den Mitteln die Möglichkeit geben, sich durch eine professionelle Öffentlichkeitsarbeit vor Ort bekannter zu machen. Da

geht es um den Empowerment-Ansatz. Die Häuser sollten lernen: Wie kann ich die Presse ansprechen? Wie kann ich auf externe mögliche Kooperationspartner profes-sionell zugehen? Welche Mittel und Wege muss ich da beschreiten?Auch die Wirkungsforschung ist ein wichtiger Baustein im Konzept, um Kenntnis zu erlangen über die Erfolge der Mehrgenerationenhäuser, ihren Fortschritten oder auch Misserfolgen. Nur so können wir diese Erkenntnisse nutzen, gegensteuern, Erfolgs-faktoren oder Misserfolgsfaktoren identifi zieren.Der Verbund der MGH-Standorte ist ebenfalls ein wichtiger Punkt. Durch diesen Begleitprozess und durch die Vernetzung der Häuser ist auch ein Netzwerk entstan-den, in dem dieser Prozess des Voneinanderlernens auch sehr stark ausgeprägt ist. Die Häuser profi tieren natürlich auch untereinander, weil sie aus ganz unterschied-lichen Bereichen und Trägerschaften kommen und mit unterschiedlichen Kompe-tenzen ausgestattet sind.Die Serviceagentur war ein wesentlicher Faktor, damit dieses Netzwerk der MGH sehr erfolgreich etabliert werden konnte. Das fängt an bei einer inhaltlichen Bera-tung über Telefonkonferenzen, Hotline, E-Mail und Vor-Ort-Besuchen. Da geht es um fachliche Fragen, aber auch um die Steuerung eines MGH, um Managementkompe-tenzen. Hervorheben möchte ich auch die 23 regionalen, aber länderübergreifenden Moderationskreise. Es ist nicht sinnvoll, 500 Häuser in größeren Veranstaltungen zu

Vortrag Gudrun Scheithauer

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treffen, weshalb es regionale Kreise gab. Dort fi ndet ein Austausch statt und es wer-den ebenfalls inhaltliche Schwerpunktthemen des Programms einmal im Vierteljahr diskutiert.Nach meiner Wahrnehmung haben sich als besonders erfolgreich die überregionalen Fachtage entwickelt, in denen sich die Häuser zu bestimmten Fragestellungen treffen. Aktuell geht es in diesem Quartal um Finanzierungsstrategien, darum, wie man einen Finanzierungs-Mix aufstellen kann. Da geht es um Workshops, um inhaltliche Ausein-andersetzung, auch auf der Grundlage eines Erfahrungsaustauschs.Die Leuchtturmhäuser zu den einzelnen Themen habe insofern auch eine wichtige Rollen übernommen, als sie nicht nur als Beratungsinstanzen innerhalb des Netz-werkes fungieren, sondern aus dem Kreise der Leuchtturmhäuser, die pro Halbjahr ausgewählt werden, hat sich auch ein Expertennetzwerk entwickelt. Das setzt sich jetzt auch sehr stark bei der Weiterentwicklung des Aktionsprogramms und bei der öffentlichkeitswirksamen Unterstützung einer Weiterexistenz der Häuser ein. Bei uns hat das dazu geführt, dass die Ministerin sehr viele Unterstützungsschreiben bekom-men hat, die auf die lokale Bedeutung hinweisen, die die Mehrgenerationenhäuser im Laufe des Programms erreicht haben. Das ist sicher ein Rückenwind, der für das Programm daraus entstanden ist.Ein Blick noch auf die Wirkungsforschung und welche Bedeutung wir darin sehen. Das halbjährliche Selbstmonitoring der Häuser war am Anfang sehr ungewohnt und hat auch zu Diskussionen geführt, ob das, was wir da erwarten, im Verhältnis steht zu dem, wie viel wir an Förderung zahlen. Diese kritischen Stimmen sind relativ schnell weniger gewor-den, zumindest ist bei uns die anfangs lautstarke Diskussion doch etwas verstummt.Vielleicht auch, weil wir über das Selbstmonitoring bestimmte haushaltstechnische und zuwendungsrechtliche Vorgaben abgefangen haben. Das heißt, es mussten eben nicht noch zusätzliche Anforderungen erfüllt werden.Für die Erkenntnisse über die Erfolge des Programms sind die insgesamt 40 Vor-Ort-Fallstudien wichtig, die wir bundesweit über die Zeit durchführen ließen. Dadurch haben wir keine repräsentativen Ergebnisse erhalten, aber konnten gute qualitative Erkenntnisse gewinnen, wie wir die Beratungsinstrumente weiterentwickeln können. Auch die Nutzerbefragung mit der gesonderten Kinderbefragung gibt uns als Haus und den Häusern selbst wichtige Erkenntnisse darüber, ob ihre Angebote ankommen, wo es vielleicht Bedarfe gibt, die aufgegriffen werden können.Ziele des Benchmarkings sind: Unterstützung bei der Steuerung der einzelnen Mehr-generationenhäuser; Ansatzpunkt für den Erfahrungsaustausch im Rahmen der Moderationskreise; Controlling des Aktionsprogramms auf der Programmebene; Identifi zierung von Best Practice-Beispielen; Unterstützung für die Beratung der MGH; Datenbasis für die Auswahl von Fallstudien für die Wirkungsforschung.

Das Benchmark der Häuser beinhaltet die Möglichkeit für die Häuser, sich aus dem Selbstmonitoring wesentliche Daten herauszusuchen, sich in den Vergleich mit anderen Häusern zu begeben, Daten zu bekommen, die sie gegenüber den Kommunen oder Koo-perationspartnern professionell präsentieren können. Es ist ja kein Selbstläufer, wenn man mit einem Unternehmen kooperieren möchte, sondern die Konkurrenz ist groß, wes-halb man durch einen guten Auftritt und interessante Angebote punkten kann.Im Ministerium nutzen wir diese Ergebnisse von Anfang an. Wir identifi zieren frühzeitig Erfolgs- und Misserfolgsfaktoren, optimieren und passen die Steuerung und Umset-zung des Aktionsprogramms an, Beratungsmethoden und –instrumente werden fort-laufend optimiert. Das hat auch dazu geführt, dass wir relativ trockene Materien wie Verwaltungsinstrumente, Managementkompetenzen, usw. auch in den Beratungspro-zess integriert haben, weil wir festgestellt haben, dass das den Häusern hilft. Wir haben den Eindruck, dass die Häuser dadurch auch effi zienter und nachhaltiger arbeiten, weil sie selber sehen, wo sie stehen, wo sie ihre Angebote verbessern können.Dass das Programm wirkt, belegen die Zahlen. 40.000 Besucherinnen und Besucher, die im Durchschnitt jeweils drei Angebote nutzen, haben die 500 Mehrgenerationen-häuser täglich. Diese Zahl sagt nichts über den Erfolg eines einzelnen Hauses. In länd-lichen Bereichen mit einer 400-Einwohner-Gemeinde sieht das sicherlich anders aus.Das gilt natürlich auch für diese Aussage: Jedes Mehrgenerationenhaus hat im Durchschnitt 46 Kooperationspartner, davon mehr als zehn Partner aus der Wirt-schaft. Die Zahl sagt auch noch nichts über die Qualität der Zusammenarbeit aus, aber zeigt immerhin, dass sich die Häuser auf den Weg gemacht haben und die Kooperation suchen.Das Thema Demenz hat sich für uns erst im Laufe des Aktionsprogramms als ein wichtiges Handlungsfeld ergeben, weil es auch einen gesellschaftlich großen Bedarf gibt und wir bei vielen Häusern Kompetenzen gesehen haben, die nicht aus dem Aktionsprogramm entstanden sind, sondern bereits in Familienbildungsstätten oder Senioreneinrichtungen vorhanden waren. Wir haben das aufgegriffen, weil das auch Projekte oder Angebote sind, von denen andere Häuser profi tieren können. 169 Häu-ser haben spezielle Angebote im Bereich Demenz, ambulante Versorgung, Betreuung und Angehörigenarbeit. Die Bedarfe sind da sehr groß. Es ist ja hier auch als ein Aktionsfeld der Stadtteilzentren und Nachbarschaftshäuser angesprochen worden. Sicher gibt es vor Ort auch Kooperationsmöglichkeiten. Die Frage muss man sich stellen, damit nicht alle vor Ort anfangen, sich auf den gleichen Feldern zu betätigen: Wie kann man sich da austauschen, damit genau das nicht passiert?401 Häuser erbringen Kinderbetreuungsangebote. Jedes Mehrgenerationen-haus bietet im Durchschnitt vier haushaltsnahe Dienstleistungen und Ver-mittlungsdienstleistungen an. Die Wege, die die Häuser gegangen sind, sind

Vortrag Gudrun Scheithauer

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unterschiedlich. Wir unterstützen diese Weiterentwicklung auch, indem die Ser-viceagentur eine Vermittlungsdatenbank entwickelt hat, die es stark erleichtern soll, diese Vermittlungen oder eigenen Angebote präsent zu machen. Wir haben Fragebögen entwickelt, die einen gewissen Qualitätsstandard sicherstellen sol-len. Das ist das Instrumentarium, mit dem wir auch versuchen wollen, dieses Thema voranzubringen.Ich habe Ihnen noch ein paar aktuelle Zahlen über das freiwillige Engagement in den Häusern mitgebracht. Interessant fi nde ich, dass diese 16.000 freiwillig Engagierten tatsächlich 60 % der Aktiven in den Häusern ausmachen und mehr als ein Viertel der in den Häusern erbrachten Arbeitstunden erbringen.

Fast alle Engagierten sind intrinsisch motiviert. Sie suchen den Kontakt zu ande-ren Menschen, haben Freude an ihrer Tätigkeit, engagieren sich aus persönlichem Interesse. Ihre Hauptaufgaben sind die Durchführung von Angeboten (68 %), ein-fache Zuarbeiten (19 %). Aber immerhin sind 10 % auch in Leitungs- oder Füh-rungsaufgaben tätig (3 % der freiwillig Engagierten arbeiten in der Verwaltung, 4 % in der Leitung, 6 % in der Vernetzung). Da gibt es das Beispiel eines Polizeibe-amten, der nebenberufl ich ein Mehrgenerationenhaus leitet. Das ist schon eine beachtliche Leistung, wofür es sicher auch noch andere Beispiele gibt.

Die Erkenntnis, dass die Engagierten alle intrinsisch motiviert sind, hatte ich bereits genannt. In den Mehrgenerationenhäusern kommt auch noch der Austausch mit Menschen in anderen Lebensaltersstufen hinzu, der auch noch mal motivierend wirkt, nämlich sein eigenes Erfahrungswissen an Menschen anderer Generationen weiterzugeben.Unser Anliegen ist, dass Hauptamtliche und Ehrenamtliche auf gleicher Augenhöhe zusammenarbeiten. Zum Stichwort Anerkennungskultur: in der Arbeit freiwillig Engagierter soll die Wertschätzung durch Sachmittel und Würdigung zum Ausdruck gebracht werden. Unsere Ermittlung hat ergeben, dass 48 % durch die Bereitstel-lung von Sachmitteln unterstützt werden, 35 % durch Anerkennung und Würdigung, 30 % erhalten eine unbürokratische Erstattung von Auslagen, 20 % eine fachliche Qualifi zierungsmaßnahme, 18 % erfahren Anerkennung durch ein Zertifi kat und 13 % durch fi nanzielle Vergütung. Gerade die Würdigung durch die Übernahme einer Qualifi zierungsmaßnahme hat bei den Ehrenamtlichen einen hohen Stellenwert.Was man auch sofort nachvollziehen kann: 70 % haben die Möglichkeit zur Mitspra-che und Mitgestaltung im MGH, wodurch sie natürlich sehr viel motivierter sind.Mein Fazit: Mehrgenerationenhäuser könnten ohne ihre freiwillig engagierten Mit-arbeiter/innen ihre Arbeit nicht in dem Umfang erledigen. Es kommt dadurch auch zu einer größeren Vielfalt der Angebote. Die Vielfalt der Interessen und Fähigkeiten der freiwillig Aktiven macht die Angebote bedarfsgerecht und bunt. Freiwillig Enga-gierte aller Generationen fühlen sich in den Häusern auch gut eingebunden.Dort, wo Mehrgenerationenhäuser erfolgreich arbeiten, haben sie eine Knoten-punktfunktion erreichen können. Wir wollen zukünftig auch dadurch die Mehrge-nerationenhäuser etablieren, dass sie eine Knotenpunktfunktion wahrnehmen, dass sie mit anderen vorhandenen Einrichtungen kooperieren und nicht das Rad wieder neu erfi nden, nicht in Konkurrenz treten. Sie sollen schauen, was vor Ort da ist und ihre Nische suchen, vielleicht dann diese koordinierende Funktion vor Ort wahrnehmen.Für viele Mehrgenerationenhäuser, die heute hier vertreten sind, wird das keinen neuen Erkenntniswert gehabt haben, aber ich denke, für viele war es noch mal wich-tig, den Blick darauf zu werfen, was dieses Aktionsprogramm überhaupt bedeutet.Wir arbeiten derzeit an einem Konzept für die Zukunft. Ich hoffe auch persönlich, dass am Ende was Gutes dabei herauskommt. Ich fi nde, da ist jetzt so viel Positives entstanden, so viel Dynamik, die ich spüre, wenn ich auf Fachtagen bin. Ich glaube, dass da Einrichtungen zusammengekommen sind, die ohne die Vernetzung über das Aktionsprogramm vielleicht nicht ohne weiteres zusammengefunden hätten. Gemeinsam Ideen zu entwickeln, das wollen wir vorantreiben. Ihnen allen noch eine interessante Veranstaltung!

Vortrag Gudrun Scheithauer

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Input:

Timm Lehmann: Herzlich willkommen! Ich bin in Berlin Leiter eines Mehrgenerationen-hauses und bei einem Träger beschäftigt, der schon seit 60 Jahren Nachbarschaftsarbeit in Berlin macht. Unser Mehrgenerationenhaus ist aus einem Jugend-zentrum entstanden, das auch Schwerpunkt unserer Arbeit ist.

Djamila Younis: Ich bin Koordinatorin im Kreativ-haus, einem Mehrgenerationenhaus in Berlin-Mitte. Es hat sich auf der Grundlage eines Theaterpädago-gischen Zentrums entwickelt.

Heidrun Kahle: Ich arbeite in einem Mehrgene-rationenhaus in Berlin-Lichtenberg. Wir sind eine Familienbildungsstätte in katholischer Trägerschaft gewesen.

Timm Lehmann: Demografi e ist ein politisches und gesellschaftliches Thema, aber auch ein persön-liches, denn wir alle unterliegen einem demogra-fi schen Wandel.

Djamila Younis: Die Mehrgenerationenhäuser sind ja vom Bund beauftragt worden, vor allem die unter-schiedlichen Generationen zusammenzubringen. Wieso eigentlich? Warum machen wir das? Was bedeutet das für uns?

Heidrun Kahle: Wir haben zwei Fragen für Sie alle herausgegriffen: Wie würden Sie sich gerne einbrin-gen, wenn Sie aus dem Berufsleben ausscheiden? Wie möchten Sie selbst außerhalb der Familie in Kontakt mit anderen Generationen kommen? Es geht jetzt nicht darum, dass wir hier tolle Ergeb-nisse für das neue Programm bringen, sondern es geht nur darum, einen kurzen Einstieg ins Thema zu fi nden. Man kann sich dem Thema auf ganz unter-schiedliche Weise nähern, Patenschaften, Angebote für Ältere, Jung hilft Alt, Alt hilft Jung, Jung mit Alt, also - es gibt vielfältige Projektmöglichkeiten.Wir stellen exemplarisch drei Praxisbeispiele vor und wollen möglichst schnell über diese Ideen ins Gespräch kommen.

Timm Lehmann: Ich komme aus Berlin-Zehlendorf vom Mehrgenerationenhaus Phoenix. Phoenix aus der Asche, das sagt Ihnen allen etwas, also neue Interpretationen des Lebens und der Möglichkeiten, die dort im Haus stattfi nden.Vorstellen will ich heute die generationsübergrei-fende Café-Gruppe. Zentrales Element des Mehrge-nerationenhaus-Programms ist der offene Treff. Bei uns im Haus haben wir eine gute bauliche Möglich-keit, was bedeutet, dass wir einen zentralen offenen Treff im Eingangsbereich haben. Dort müssen alle

Menschen vorbei und kommen in Kontakt. Diesen Raum haben wir mit Lust und Engagement gestaltet, sodass er einladend für einen Aufenthalt ist.Der zentrale offene Bereich ist ja auch ein Schwer-punktthema der offenen Jugendarbeit, also offen zu sein für die Besucher, damit Leute ohne Hilfe oder ohne konkreten Anlass in Kontakt kommen können, um Freizeitarbeit zu machen. Diese beiden Ele-mente wollen wir mit dem offenen Bereich zusam-menbringen. Dahinter steht Beteiligung, dann die Begegnung von Jung und Alt im Foyer, natürlich auch der Austausch.Wir mussten diesen Café-Betrieb vom Nachbar-schaftscafé organisieren, wobei wir nicht wollten, dass unsere Hauptamtlichen daran mitarbeiten und den Tresendienst machen. Wir bekamen große Unterstützung von Freiwilligen, sowohl von Älteren, Menschen im mittleren Alter, als auch von Jugend-lichen. Es lag in der Verantwortung meiner Kollegin aus der Jugendarbeit, die Jugendlichen an Aufga-ben heranzuführen. So entstand eine generations-übergreifende Café-Gruppe. Die Jugendlichen sollen gemeinsam mit den Älteren die Verantwortung für den Tresen übernehmen, wobei uns wichtig war, dass sie voneinander lernen, dass sie sich gegensei-tig erfahren, dass sie sich gemeinsam einer Aufgabe widmen. Es greifen also diese Begriffl ichkeiten: Jung mit Alt, Jung für Alt, Alt für Jung.Es ist wirklich toll gelungen, dass sie voneinander Grundfähigkeiten bzw. Schlüsselqualifi kationen lernen: Verantwortung zu übernehmen, pünktlich zu sein, Verlässlichkeit, Sauberkeit, usw. Solche Schlüsselqualifi kationen sind Jugendlichen manch-mal nicht einfach zu vermitteln. Unsere Erfahrung ist, dass es die Nicht-Professionellen, die den Tre-sendienst machen, oftmals leichter haben und es besser machen als die Sozialarbeiter. Sie fordern die Jugendlichen wirklich und leiten sie gut an.

Das ist eine ganz schöne Erfahrung, die wir gemacht haben. Es läuft auch ganz gut. Die jungen Menschen erleben, dass die Älteren Rücksichtnahme fordern. Die kleine Frau Bartolt kann kaum über den Tresen schauen, inzwischen – das hat einige Zeit gedau-ert – wird sie von den Jugendlichen sehr akzeptiert und angenommen. Früher hatte sie immer Angst vor den Jugendlichen. Bevor sie sich in unserem Haus engagiert hat, hatte sie immer Angst vor den rup-pigen Jugendlichen an der Haltestelle usw. Jetzt hat sie diese Angst verloren. Wenn ihr heute Jugendli-che rotzfrech und übermütig begegnen, dann weiß sie, dass sie einen anderen Kern haben, weil sie diese Jugendlichen mal erlebt hat. Sie tritt jetzt den Jugendlichen viel offener und positiver gegenüber auf, was in beide Richtungen wirkt.

Heidrun Kahle: Jetzt kommt ein Beispiel aus dem Mehrgenerationenhaus in Berlin-Lichtenberg. Wir haben eine Demenzgruppe, die sich im Laufe der Zeit entwickelt hat. Wir haben einen offenen Mit-tagstisch im Mehrgenerationenhaus. Wir sind ein ESF-gefördertes Haus. Wir sind ein Fachverband der Caritas für Mädchen- und Frauensozialarbeit in katholischer Trägerschaft. Derzeit ist es eine Kooperation zwischen IN VIA und dem Caritasverband.Wir haben einen ehrenamtlichen Fahrdienst, der Menschen mit demenzieller Erkrankung in Lich-tenberg zu Hause abholt. In dieser Gruppe sind dann eine Pflegefachkraft dabei und eine Koor-dinatorin. Menschen mit Demenzerkrankungen brauchen einen starren Rahmen, verlässliche Kontaktpersonen. In der Gruppe geht es darum, alte Erinnerungen zu aktivieren, was man gut mit Musik oder Bewegung machen kann. Es ist auch hilfreich, wenn man weiß, was für ein Leben sie gelebt haben.

Demografi e. Miteinan-der leben, voneinander lernen ...Einrichtungen öffnen sich für die generationenüber-greifende Arbeit, schaffen Räume für Begegnung, Teilhabe und Bürgerschaftliches Engagement in der Kinder- und Jugendarbeit, Bildung, Familienarbeit und in der Betreuung und Pfl ege von Älteren.

Forum A

Fachtagung 2010

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Nach der Gruppe treffen wir uns alle beim offenen Mittagstisch, also die Gruppe mischt sich mit unserem Team, unseren Hauptamtlichen, Ehrenamt-lichen, unseren Nachbarn. Einmal in der Woche sind die Mitglieder der Demenzgruppe bei uns. Diese Getränke und das Essen, das ist wirklich eine Basis-arbeit. Wir schauen, was die gerade brauchen. Wenn sie stark verwirrt sind, können die Demenzkranken in diesem Rahmen auch eine Sicherheit erfahren. Später bringt der ehrenamtliche Fahrdienst die Men-schen mit Demenz wieder zurück nach Hause.Die Mitglieder der Demenzgruppe erleben bei uns Kontakte und Austausch, da sie zunehmend vereinsa-men, wir bieten Pfl ege und Unterstützung, Mobilität.Mich hat sehr erschrocken, dass fast alle getrennt von ihren Angehörigen alleine in ihren Wohnungen leben. Das ist der einzige verlässliche Betreuungs-rahmen, ansonsten wohnen die Angehörigen aus berufl ichen Gründen woanders. Also da kommt einiges auf uns zu, wenn man keine Familienange-hörigen hat oder nicht das nötige Kleingeld besitzt, um sich professionell versorgen zu lassen.Mich hat das sehr erschreckt, weil ich mir überlegt habe, was wohl an den anderen sechs Tagen sein wird. Meistens haben sie Pfl egestufe 1, das heißt, dass eine Pfl egekraft kommt, aber nur 20 Minuten am Tag. Da ist ein Riesenbedarf, worüber man sich Gedanken machen sollte.

Djamila Younis: Mein Beispiel kommt aus dem Mehr-generationenhaus in Berlin-Mitte. Wir waren und sind auch ein theaterpädagogisches Zentrum. Unsere Erfahrungen mit kultureller Bildung wollten wir in die generationenübergreifende Arbeit einbringen. Daraus ist ein Modell entstanden, das ich „Generationen ver-bindende Projekttage“ nennen möchte.Das Rezept ist ganz simpel. Wir wollten die Potenziale der freiwillig engagierten Älteren nutzen und haben

freiwillig Engagierte angesprochen, ob sie nicht Lust haben, mit Kindern und Jugendlichen gemeinsam kreativ etwas zu machen. Wir haben die Kinder und Jugendlichen über die Kooperation mit Schulen gewonnen. In unserer Trägerschaft haben wir auch einen offenen Jugendbereich, auch die haben mal so ein Projekt gemacht. Wenn man die Kinder und Jugendlichen direkt im Haus hat, kann man natür-lich auch mit ihnen so etwas durchführen.Wichtig ist, dass man ein spannendes Thema wählt. Das ist der Knackpunkt, dass man sich vorher etwas überlegt, ein Konzept macht, und nicht einfach nur sagt: macht mal gemeinsam, was ihr sonst alleine macht. Es muss ein Thema sein, das beide Seiten anspricht und es sollte so sein, dass man vor allem möglichst schnell in ein gemeinsames Tun kommt, also praxisnah.Bei uns sind es kulturpädagogische Methoden, natürlich kann man solche Projekte aber auch mit Handwerk oder anderem machen, alles, bei dem man nicht nur spricht, sondern auch gemeinsam aktiv ist und worüber man vielleicht sogar das Alter vergisst.Was kam dabei heraus? Das Tolle an dieser Art von Projekten ist, dass die Begegnungen auf gleicher Augenhöhe stattfi nden. Im Vergleich zu Patenschafts-modellen ist das ein Modell, wo die Gemeinsamkeit Schwerpunkt ist, denn auch die Kinder haben ihre Stärken, werden nicht nur angeleitet. Erfahrungswis-sen wird zwar weitergegeben, aber gerade bei krea-tiven Angeboten sind auch die Kinder sehr stark.Dadurch entstehen diese Begegnungen auf glei-cher Augenhöhe. Die Projekte haben alle Vorteile, die kulturelle Bildung generell hat, nämlich das Bewusstsein und die Ausdrucksfähigkeit zu stär-ken, unter dem Strich: nicht-formale Bildung. Ver-ständnis und Toleranz zwischen den Generationen wird gefördert, wir haben versucht, dass die Teil-

nehmer als Menschen sich näher kommen. Es gab zum Beispiel Module, bei denen sollte jeder einen persönlichen Schatz mitbringen, dazu auch die per-sönliche Geschichte erzählen, was es mit diesem Schatz auf sich hat. Es sind sehr berührende, emo-tional starke Momente entstanden, bei denen die Kinder auch gemerkt haben: Mensch, hinter dieser etwas älteren Fassade steckt ein Mensch wie ich, nur etwas gealtert. Andersherum haben die Älteren auch Momente an den Projekttagen erlebt, wo die Kinder vielleicht ganz turbulent und nervös waren. Ein Thema zwi-schen den Generationen ist häufi g Bewegung und Lautstärke. Über Module wie Begegnungen zum Thema „Schule gestern und heute“, in denen Kin-der aus ihrem Alltag berichtet haben, von den vielen Anforderungen, die sie zu bewältigen haben, nach-mittags noch in eine Betreuung, abends erst nach Hause usw., wurde für die Älteren auch einiges ver-ständlicher. Der Mensch im Kind ist ja nicht anders, auch das wurde greifbar.Die Älteren haben von ihren Lebenserfahrungen berichtet. Man hat auch gemeinsam etwas gemacht, Drachen bauen, ein Mix aus Gesprächen und gemein-samen Aktivitäten. Das ist unser Rezept.Auch die Jüngeren haben den Älteren Sachen wei-tergegeben. Spiele von gestern und heute war ebenfalls ein Modul, bei dem auch neue Spiele ausprobiert wurden. Die Kinder und Jugendlichen haben natürlich demonstriert, wie toll sie mit neuen Medien umgehen können, was für die Älteren auch interessant war.Wir haben das Ganze mit zwei Pilotprojekten durch-geführt: MauerSegler und Helden2010. Mauer-Segler war mit Jugendlichen. Da waren es jeweils einzelne Begegnungen, also die älteren freiwillig Aktiven und Zeitzeugen und die Jugendlichen sind sich nicht kontinuierlich begegnet, sondern einmal

zu einem Projekt. Das hatte den Effekt, dass nicht nur Grenzen zwischen den Generationen verscho-ben wurden, sondern sich auch Zeitzeugen aus Ost und West zusammengefunden haben. Dabei sind sehr spannende Begegnungen entstanden, also ein kleiner Beitrag zum Ost-West-Dialog.Helden2010 war ein Projekt mit Grundschulkindern. 25 freiwillige Aktive trafen sich über einen Zeitraum von drei Jahren regelmäßig mit den Kindern. Das bie-tet Chancen, weil natürlich viel intensivere Kontakte über einen längeren Zeitraum entstehen können, wobei auch prägende Erfahrungen für die Kinder dabei rauskommen können. Gleichzeitig hatte es auch die Herausforderung für uns und für alle Betei-ligten, über so einen langen Zeitraum einen Span-nungsbogen aufrecht zu erhalten.Ich freue mich ganz besonders, dass Eva-Marie Nie-mann, eine der Freiwilligen, die sich in beiden Pro-jekten engagiert hat, heute auch anwesend ist. Sie kann auch Fragen beantworten und erzählen, warum sie sich engagiert hat und was solche generationen-übergreifende Begegnungen bringen können.

Teilnehmerin: Der Titel „Helden2010“ regt ja an und man kann sich verschiedene Richtungen denken,

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ob Alltagshelden im Jugend- oder Seniorenbereich gesucht werden oder welche Helden man früher in seiner Jugendzeit hatte und welche Idole bzw. Stars man heute hat. Was war es?

Djamila Younis: Wir haben uns auf vielfältige Weise genähert. Wir haben das Thema auch bewusst ein bisschen in der Luft gelassen, weil momentan ganz viele Helden in den Medien unterwegs sind. Die Kinder haben den Begriff erst mal ganz unbefangen aufge-nommen. Tatsächlich hat es gerade auch die Älteren provoziert, die den Begriff Helden schwierig fanden.In dem Verlauf des Projektes sind wir dann zu All-tagshelden übergegangen und haben mit Musik und Film gearbeitet.

Teilnehmerin: Hilfe im Alltag, jemandem über die Straße helfen, seinen persönlichen Mut beweisen.

Djamila Younis: Genau. Es ist wichtig, dass es eine große Flexibilität im Projektverlauf gibt, dass auch die Ideen der Kinder und Jugendlichen aufgegriffen werden, aber auch die der Älteren. Wen hat man im Projekt dabei? Worüber möchten die überhaupt mit-einander reden und miteinander aktiv werden?

Eva-Marie Niemann: Wir haben das auch darstellen lassen. In den Projekttagen handelte es sich immer um drei Tage hintereinander und wir versuchten, die Kinder am dritten Tag zu einem Spiel kommen zu lassen. So haben sie dann mit stummen Stand-bildern dargestellt, wie so eine Heldensituation aus-sehen könnte, jemanden schubsen oder so was. Das haben sie wirklich mit Begeisterung und sehr viel Phantasie hingekriegt.Das war auch ein Lerneffekt für die Kinder, dass es ganz banale Alltagssituationen sind, in denen man „Held“ sein kann.

Heidrun Kahle: Wir haben verschiedene Beispiele präsentiert bekommen. Unser Workshop heißt ja: Demografi e. Miteinander leben, voneinander lernen, sich gegenseitig unterstützen.

Timm Lehmann: Wir wollten aufzeigen, wie das kon-kret stattfi nden kann. Liefern diese drei Beispiele Ideen für Ihr Haus? Ist vielleicht beim Brainstorming am Tisch noch eine Frage aufgetaucht? Wo kann dieses Programm den Fokus stärker hinlegen, damit es uns gelingt, das zu gestalten?

Teilnehmerin: Mich interessiert, wie tief und tragfä-hig die Beziehungen sind, die dabei aufgebaut wer-den. Es wird immer davon geredet, dass es keine leiblichen Großeltern mehr gibt oder die weit weg leben. Können solche neuen Beziehungen Großel-tern ersetzen? Inwieweit kann ein Kind über diese drei Jahre Projektzeit hinaus damit rechnen, dass vielleicht sogar eine lebenslange Beziehung ent-standen ist?

Eva-Marie Niemann: Ich bin der Meinung, das sollte gar nicht so im Vordergrund stehen. Wichtig ist auch ein gegenwärtiger Austausch zwischen Jung und Alt,

weil man nie weiß, ob und wie das, was man sich gegenseitig vermittelt, irgendwann im Leben etwas bewirkt. Und das tut es, also das kann ich auch aus eigener Erfahrung sagen.Da muss ich jetzt nicht die Oma immer mit mir her-umschleppen, weil schon alleine eine Begegnung wichtig ist.

Teilnehmerin: Ich habe Erfahrungen, ich mache Wunsch-Oma. Die Kinder habe ich mal einen Tag in der Woche oder mal am Wochenende. Da helfe ich den jungen Eltern, damit sie mal ins Theater oder ins Restaurant gehen können. Ich habe einen sehr guten Kontakt mit den Kindern, wir spielen zusam-men, sie kommen zu unseren offenen Treffen. Ach, da können wir ja mal vorbeikommen, jung, alt, kleines Baby. Ich denke mir, es liegt an einem selbst, ob man sich sehr stark an die Familie bindet oder nur mal zum Helfen kommt. So eine starke Bindung habe ich noch nicht erlebt, dass die Kinder nach mir schreien würden.

Teilnehmerin: Was mir in der Diskussion um den demografi schen Wandel fehlt: Wir reden von Omas und von Kindern, die Generation dazwischen fehlt mir. Zum Beispiel meine Generation, die Leute, die zwischen 25 und 55 sind. Im Prinzip muss auch mit ihnen eine generationenübergreifende Arbeit statt-fi nden. Ich bin freiberufl ich tätig, arbeite für viele Träger, auch für Mehrgenerationenhäuser in Sach-sen, Thüringen und in Brandenburg. Sie haben alle das Problem, dass sie keine Nachfolge-Generation haben. Zum Beispiel hat in einem Haus eine Kollegin das Rentenalter erreicht und steigt aus, aber es gibt keine Nachfolge, weil nachhaltig keine Generation aufgebaut wurde. Wenn eine Generation aufgebaut worden ist, dann sind das interne Strukturen.

Teilnehmer: Meinen Sie die Fachkräfte, die das berufl ich tun, oder die Nachfolge-Generation bei den Ehrenamtlichen?

Teilnehmerin: Beides.

Peter Schmitz: Ich bin aus Köln-Kalk, das ist ein Problemviertel. Diese ganzen Angebote können ja nur zum Ziel haben, dass der normale Umgang mit-einander möglich wird. Man macht ein Angebot in einer Institution, um genau das passieren zu lassen, nämlich dass Ängste abgebaut werden, dass man

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sich aneinander gewöhnt, dass man mit den jeweils verschiedenen Tempi oder Lautstärken umgehen kann. Ich denke, da sind wir spät dran. Es wurde Zeit, dass es ein Mehrgenerationenhaus-Programm gab, weil ich feststelle, dass die Generationen schon sehr weit auseinander sind und sich neue Problem-felder auftun.Ein weiterer Aspekt sind die unterschiedlichen Kul-turen, die eine Rolle spielen. Die erste Gastarbeiter-generation geht in Rente, was eine große Chance sein kann, aber unter Umständen ist es erst mal schwierig. Und wir stellen jetzt schon eine zuneh-mende Altersarmut fest. Wir haben keine gut situ-ierten Rentner mehr im Programm, sondern Leute, die tatsächlich über eine Aufwandsentschädigung ein bisschen dazuverdienen müssen. Das fängt jetzt langsam an und wird bestimmt noch schlimmer wer-den. Das sollten wir im Auge behalten, auch bei der Gestaltung unserer Angebote. Da sehe ich auch das Problem, dass zum Teil ganze Generationen fehlen.

Teilnehmerin: Ich arbeite für das Nachbarschaftshaus Urbanstraße in Berlin im Bereich Qualifi zierung. Wir setzen auch Maßnahmen vom JobCenter um, 1,50-Euro-Jobs, MAE oder andere Maßnahmen. Wir haben in dem Bereich auch einen Verbund von kleinen, alter-nativen Trägern in der Berliner Kulturlandschaft.Bei der generationsübergreifenden Arbeit stellt sich genau dieses Thema: Was ist mit der Generation, die eigentlich erwerbstätig ist? Sie steht ja deswegen nicht zur Verfügung, um sich ehrenamtlich zu engagie-ren. Vielleicht haben sie noch kleine Kinder, wodurch sie nicht tätig werden können. Es gibt aber auch eine große Anzahl an Leuten in dieser Altersgruppe, die nicht berufstätig ist. Arbeitslose stünden zur Verfü-gung, um diese generationsübergreifenden Angebote mit ihrem Alterssegment zu bereichern. Sie haben ihre Maßnahme vom JobCenter, werden aktiviert, wie

auch immer, aber das, was sie machen, interessiert mich natürlich sehr, ob es sinnvolle Arbeiten sind. Sie bekommen darüber vielleicht auch Kontakte oder es entwickelt sich daraus etwas. Natürlich wollen die auf den ersten Arbeitsmarkt und Geld verdienen, denn Altersarmut droht. Später wird es sich keiner mehr leisten können, nur von seiner Rente zu leben, weil sie nicht reicht. Manche erwerben keinerlei Ansprüche für die Sozialversicherung. Das sind alles neue Themen.

Teilnehmer: Timm hat auch früher über Jahre in Kreuzberg gearbeitet, hat auch Erfahrungen mit schwierigeren Zielgruppen, auch mit migrantischen Familien. Wie lassen sich deine Erfahrungen, die du jetzt in Zehlendorf machst, auch übertragen auf schwierigere Zielgruppen, schwierige Jugendliche oder Migrantenfamilien?

Teilnehmerin: Ich erlebe in meiner Arbeit, dass die Gruppe der Senioren, die wir mit anderen Genera-tionen zusammenbringen wollen, kein homogenes Bild abgeben. Es gibt die Senioren 60 plus, die gerne noch ganz aktiv mit der jüngeren Generation zusam-mentreffen. Aber es gibt auch die 80-Jährigen, die ein anderes Bedürfnis gegenüber jüngeren Genera-tionen haben. Ich erlebe diese Gruppe, die heute als Senioren bezeichnet wird, als eine Gruppe, die zwei Generationen umfasst. Da muss man noch mal ganz genau gucken, wie man damit umgeht.Ich sehe etliche von meinen Besuchern vor mir, die sagen, dass sie nicht mit ihrer Mutter an einem Tisch sitzen möchten. Sie wollen was anderes, nicht in eine Seniorengruppe. Da fehlt die Identifi kation bzw. es fehlt da was.

Eva-Marie Niemann: Ich bin 72 und will auch nicht in eine Seniorengruppe, deswegen arbeite ich gerne mit Kindern.

Teilnehmerin: Ja, klar. Aber es gibt auch die 80- und 90-Jährigen. Oder es gibt auch 50-Jährigen, die demenzkrank sind.

Teilnehmerin: Das ist ja was anderes, ich rede von den Ehrenamtlichen.

Djamila Younis: Ich glaube, es ging niemals darum, alles gemeinsam zu machen, sondern dass wir Gelegenheiten bieten für alle, die das möchten. Nur so kann eine gewisse Natürlichkeit im Umgang zwi-schen den Generationen erhalten bleiben, indem es Einrichtungen gibt, wo alle ein- und ausgehen können.

Teilnehmer: Die Mehrgenerationenhäuser sind eine Antwort oder ein Gegenmodell zu Seniorenfreizeit-stätten oder zu Jugendfreizeitheimen. In unserer direkten Nachbarschaft ist eine kommunale Senio-renfreizeitstätte. Die Nutzer/innen entscheiden sich sehr bewusst, ob sie in das Haus nebenan gehen, wo sie unter sich sind und wo das Tempo im Haus etwas geringer ist, oder ob sie zu uns ins Haus kom-men. Beide Bedürfnisse sind berechtigt und beides sollte nebeneinander stehen, für beides muss es die Möglichkeiten bzw. Orte geben.

Peter Schmitz: Ich verstehe mich als Mehrgeneratio-nenhaus eher als Schaffer von Zufällen. Ich möchte die Infrastruktur dafür schaffen, dass da Zufälle entstehen, damit sich junge Leute, alte Leute, Mig-ranten und Nicht-Migranten treffen und selber etwas organisieren, weil ich das nicht machen muss. Wenn etwas fehlt, dann mache ich ein Angebot, aber in der Regel passiert das von selber.Zum Thema 1-Euro-Jobs und Maßnahmen für arbeitslose Menschen: Das halte ich für eine große Chance. Ich hatte mir eigentlich von dem Bürgeramt

etwas mehr erhofft, nämlich dass man tatsächlich zur Kenntnis nimmt, dass es Menschen in diesem Land gibt, die in diesem Leben keine Arbeit mehr auf dem ersten Markt fi nden werden. Man sollte sagen, okay, wir nutzen diese Chance und krimina-lisieren die nicht weiter, indem man sagt, ihr müsst 25 Bewerbungen im Monat schreiben, wer das nicht tut, kriegt kein Geld mehr. Stattdessen sollte man sagen, dass sie eine tolle Arbeit machen. Sie machen nämlich genau diesen Mittelbau zum Bei-spiel in den Mehrgenerationenhäusern oder ande-ren sozialen Einrichtungen, was sie tun dürfen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben.Wenn ich das richtig verstanden habe, ist es dann nicht ganz so gekommen, denn sie sind zeitlich begrenzt. Das wäre vielleicht eine Möglichkeit, unserer Stifterin Frau von der Leyen in ihrer neuen Rolle noch mal einen Tipp zu geben. Vielleicht kann man sich als überregionalen Arbeitskreis zusam-mentun und sagen, was wir brauchen, also was die Mehrgenerationenhäuser brauchen, aber auch die Gesellschaft. Da sitzt sehr viel Energie und Kraft, aber da sitzt auch sehr viel Enttäuschung über diese Gesellschaft. Das könnte man den Menschen nehmen, indem man ihnen endlich erlaubt, das da

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zu machen, und dann kriegen sie eben einen Euro mehr. Bei uns gibt es immer Tränen, wenn die nach einem halben Jahr wieder gehen müssen.

Peter Schmitz: Meine 1-Euro-Jobber sind alle freiwil-lig da, weil ich andere gar nicht nehme. Wir sind auch Beratungsstelle, weshalb wir sehr viele Kontakte zu solchen Menschen haben. Wenn ich mitkriege, dass welche gerne was machen wollen, dann biete ich denen was an. In der Regel werden die dann auch zugewiesen, aber nur für ein halbes Jahr.

Timm Lehmann: Diesen Begriff „Schaffer von Zufäl-len“ fi nde ich sehr schön. Ich sage immer, dass wir Begegnungen inszenieren. Dadurch entstehen auch Netzwerke innerhalb der Freiwilligen, also ein ande-rer versteht was von Computern, wieder ein dritter organisiert eine Kinderbetreuung mit, also spinnen die selber ein Netzwerk mit Freiwilligen, um sich untereinander zu unterstützen.Diese sind eingeladen worden zu einer Frau aus Erit-rea, da wurde der Kaffee vorher noch zu Hause gerös-tet, das ist dort Tradition. Die erzählen dann aus ihrer Begegnung und dem Eintauchen in die Kultur aus Eritrea im Haus. Das ist ein schöner Punkt, wo die

Begegnungen mit anderen Kulturen Zufälle sind.Deine Frage mit den schwierigen Zielgruppen: Wir stellen bei uns im Haus relativ hohe Anforderungen an die Jugendlichen, was die Einhaltung von Regel-werken betrifft. Das heißt, wer sich als Jugendlicher im Mehrgenerationenhaus aufhält und Angebote wahrnimmt, muss bestimmte Rücksichtnahmen beherrschen, Drogenfreiheit, Gewaltfreiheit, sonst kann er in dem Haus nicht mitmachen, weil wir sonst unsere anderen Nutzer/innen vertreiben würden.Diese hohen Anforderungen müssen da sein, wes-halb es für uns zwingend ist, dass es Partner gibt, die sozial in ihrer Region arbeiten. Wir haben Kolle-gen, die Streetwork machen, die mit den Kollegen arbeiten. Es gibt auch Jugendeinrichtungen, die als Jugendeinrichtung arbeiten, aber trotzdem profi tie-ren die auch ganz stark, weil wir eben durch dieses Netzwerk Zugang zu Jobs, Nachhilfeunterricht oder sonstigen Sachen haben, die wir von Freiwilligen organisieren lassen. Davon profi tieren auch die Kol-legen, die draußen arbeiten.Es ist aber anders. Ein Mehrgenerationenhaus ist nicht vergleichbar mit einem Jugendzentrum.

Teilnehmer: Freiwilligkeit im Sportbereich, ich bin ehren-amtlich Übungsleiter. Das ist keine Bezahlung, sondern eine Aufwandsentschädigung. Wir suchen krampfhaft Leute, die arbeitslos sind, damit sie unter Leuten sind und ihre Erfahrungen weitergeben. Jetzt steht im Gesetz-entwurf drin, dass das angerechnet wird.

Teilnehmer: Nein.

Teilnehmer: Dass das angerechnet wird als Einkommen.

Teilnehmer: Ist das jetzt neu?

Teilnehmer: Das steht im Gesetzentwurf drin.

Teilnehmer: Ach, das soll jetzt gemacht werden, weil bis jetzt ist das frei. Dann müssen wir tatsächlich was unternehmen.

Peter Schmitz: Wenn das im Gesetz steht, dann wird es ja nicht mehr so sein. Es brechen ja diese ganzen Sachen wieder weg, die gut gelaufen sind. Es wird zum Beispiel voraussichtlich 16 E nicht mehr geben. Wenn ich jetzt höre, dass diese Übungsleiter-Pau-schale rausfällt, also ich sage mal, ein Großteil die-ser 20.000, die überbleiben, wenn man das Gehalt abzieht, gehen in unserem Haus in diese Maßnah-men, weil es eben ein Viertel ist, wo Menschen kei-nen gesicherten Lebensunterhalt haben. Da mag ich nicht um freiwillige Arbeit bei Leuten bitten, die nicht genug zum Leben haben.Wenn ich sehe, dass solche Maßnahmen nicht mehr fi nanziert werden können, ohne dass es den Leuten direkt abgezogen wird, dann müssen wir uns tat-sächlich zusammentun und einen Brief schreiben.

Heidrun Kahle: Wir bedanken uns für Ihre Beiträge.

Nachsatz von Peter Schmitz: Ein Vorschlag: Wir vernetzen die Mehrgenerationenhäuser und die Nachbarschaftshäuser. Dann könnte man einen Briefentwurf machen, den man dann über E-Mail bearbeitet. Es müsste sich eine Arbeitsgruppe von zwei oder drei Leuten zusammenfi nden, da könnten wir ja schon mal Adressen austauschen. Dann erar-beitet man einen Entwurf und gibt diesen Vorschlag zur Unterschrift in die Netzwerke. Das wäre ideal.

Teilnehmerin: Ich fände es gut, wenn es ein Entwurf wäre und wenn es über beide Netzwerke geht. Gibt es noch mehr? Mehrgenerationenhäuser, Nachbarschafts-häuser – Stadtteilzentren, genau. Für solche politischen Geschichten sollte es bewusst zusammengeführt werden.

Peter Schmitz: Das ist aber ein Thema, was maximal ein Drittel der Häuser interessiert.

Teilnehmerin: Ja, aber sie müssen ja nicht unter-schreiben.

Peter Schmitz: Ich vermute, das interessiert auch mehr in Ballungsräumen als auf dem Land. Die Land-kreise in NRW haben gar nicht das massive

Teilnehmer: Wir tauschen unsere E-Mail-Adressen aus.

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Input:

Richard PalmLeiter Mehrgenerationenhaus Reinickendorf - Interkulturelles Familienzentrum AVA 17

Monika FröhlichKoordinatorin Mehrgenerationenhaus Schöneberg - Kiezoase

Katharina HasselLeiterin Mehrgenerationenhaus Neukölln - Camlik-Stadtoase

Wir machen zunächst eine Problemanalyse, gemein-sam mit dem Kind, mit dem Jugendlichen und den Eltern, falls notwendig, auch in Kooperation mit der Schule, also wir sprechen auch mit den Lehrern. Gemeinsam entwickeln wir einen Plan, wie sich das Kind verbessern kann. Anfangs hatten wir nur Kinder, inzwischen haben wir auch Jugendliche bis zur 10. Klasse. Die Jugendlichen kommen zu uns, um sich Hilfe zu holen, sie wollen zum Beispiel die Realschule bestehen, obwohl sie kaum eine Chance dazu haben.Besonders für die Jüngeren haben wir eine tägliche Hausaufgabenhilfe. Man merkt, die Kinder kommen und stehen dermaßen unter Druck, dass sie gar keinen Kopf für Erklärungen haben. Sie wollen nur, dass die Hausaufgaben irgendwie fertig werden. Man neigt manchmal dazu, den Lösungsweg zu zei-gen, so und so musst du es machen - und schon ist es fertig. Aber dann hat das Kind gar nichts verstanden, weshalb es am nächsten Tag wieder nichts weiß und nicht darauf aufbauen kann.Wir versuchen, den Kindern die Hausaufgaben ver-ständlich zu machen, aber wir wollen ihnen auch erst mal den Druck nehmen und zeigen, wie sie die Hausaufgaben bewältigen. Wir haben ein sogenann-tes Basis-Kompetenztraining über Ehrenamtliche. Wir binden sowieso viele Ehrenamtliche ein. Das ist ein besonderes Programm, in dem Lerninhalte, die in der Schule eine Rolle spielen, auf einfachem Weg vermittelt werden, was speziell für Kinder mit Migra-tionshintergrund gedacht ist. Gleichzeitig wird aber auch das Lernen selber vermittelt.Wir haben ein großes Freizeitangebot, die Kinder werden auch dann von uns betreut, wenn sie keine Hausaufgaben machen müssen. Wir haben Sportan-gebote, alles kostenlos für Kinder. Das ist in Neu-kölln bei vielen der Kinder leider auch notwendig, weil sie sehr viel herumhängen oder Playstation spielen. Die Playstation ist ihre Hauptbeschäftigung

am Wochenende, weshalb wir Kreativität und Sport reinbringen wollen. Also auch die Kinder, die nicht im Sportverein sind, können bei uns Kinder-Capo-eira oder Yoga machen. In den Ferien bieten wir über Ehrenamtliche manchmal auch Fußball-AG’s an, besonders in den Ferien gibt es auch Theater-AG’s, Kreativ-Workshops usw. Die können allerdings oft im Schulzeitraum nicht stattfi nden, sondern müssen in die Ferienzeit verlegt werden.Wir haben komplett über Ehrenamtliche eine 1:1-Nachilfe aufgebaut. Das heißt, das, was in der Hausaufgabenhilfe nicht geleistet werden kann, kann dann in der Nachhilfe gemacht werden. Ein Ehrenamtlicher trifft sich mit einem Kind ein- oder zweimal pro Woche, je nach Alter des Kindes dauert ein Treffen zwischen einer Stunde und 1,5 Stunden. Dort werden Basis-Kompetenzen, die dem Kind feh-len, wie Grammatik, Bruchrechnen, usw., mit dem Kind nachhaltig erarbeitet. Dadurch soll das Kind dann ohne Angst den Hausaufgaben begegnen und sie auch alleine meistern können.Unser Trägerverein IMA e.V., Integrative Migranten-arbeit e.V., ist ein Familien- und Jugendhilfeträger, der Sozialpädagogen beschäftigt, die uns mit Bera-tungen helfen können.

Katharina Hassel: Ich bin die Leiterin vom Mehrge-nerationenhaus in Neukölln, der Camlik-Stadtoase. Frau Scheithauer hat bereits gesagt, dass wir zur Eingliederung sozial Benachteiligter beitragen. Bei uns sind Behinderte, Migranten, Arbeitslose, Mitglieder jeder Gruppe, von der wir sagen würden, dass es Schwierigkeiten gibt, eine ausreichende Teil-habe an der Gesellschaft zu sichern.Die Mehrgenerationenhäuser und die Stadtteilzentren sind die Orte, wo alle Menschen auf allen Stufen, die sie auf ihrem Weg zur Teilhabe an der Gesellschaft machen, begleitet werden, beide sind immer Anlaufstelle. Das bedeutet, dass es nicht nur eine einzige Anlaufstelle ist, zum Beispiel nur eine Schuldnerberatung oder nur eine Kita oder nur die Jobvermittlung, sondern im Mehrgene-rationenhaus können alle Bereiche aufgesucht werden. Dadurch hat der Mensch natürlich eine ganz andere Anbindung und kann sich immer dort wieder fi nden.Wir stellen kurz drei Projekte vor, die im Bereich Integration arbeiten. Bei meinem Projekt geht es um Kinder, bei Monika Fröhlich vom Mehrgenerationen-haus Schöneberg geht es um die Integration in den Beruf zwischen Ehrenamt, Maßnahme und Selbst-ständigkeit. Dann gibt es in Reinickendorf ein neues Projektprogramm, das Langzeitarbeitslose, die über fünf Jahre ohne Arbeit sind, auf den ersten Arbeits-markt bringt. Richard Palm wird es vorstellen.Wir haben sehr viele Kinder mit Schulproblemen bzw. mit Schwierigkeiten in der Schule. Sie kommen zu uns täglich ins Haus, bekommen Hausaufgabenhilfe. In der Hausaufgabenhilfe haben wir gemerkt, dass diese Kin-der ihre Hausaufgaben nicht meistern können, weil sie keinen Satz vernünftig schreiben können. Das sind Kin-der in den höheren Klassen der Grundschule, in Berlin geht es ja bis zur 6. Klasse. Leider muss ich sagen, dass es zu 100 % Kinder mit Migrationshintergrund sind. Die meisten Eltern sprechen kaum Deutsch, was eine große Rolle spielt.

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Vielfalt. Integration und sozialer Ausgleich ...Mit niedrigschwelligen Partizipations- und Mitgestaltungsmöglichkeiten rund umden „offenen Treff“ und Angeboten der Bildung, Qualifi zierung und Beschäftigungsförderung leisten Mehrgenerationenhäuser ihren Beitrag auf dem Weg zu gelebter Inklusion.

Forum B

Fachtagung 2010

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Ich habe in der neuen Gastgeber-Schulung eine Frau, die hat einen Deutschkurs im MGH gemacht. Jetzt ist sie in einer Beschäftigungsmaßnahme, arbeitet im offenen Treff, aber weil es ihr bei uns gut geht, hof-fen wir, dass sie vielleicht auch als Ehrenamtliche dabei bleibt oder einen anderen Weg nimmt.Das alles zusammen in drei Standorten, noch mit Unterstützung des Pestalozzi-Fröbel-Hauses, zu ent-wickeln, das sind erst mal kleine Schritte, aber ich glaube, dass die schon eine ganz große Wirkung für den Einzelnen haben. Die Partner in diesem Bereich: Wir arbeiten mit einem Beschäftigungsträger zusam-men, mit dem Quartiersmanagement und mit dem Bildungsnetzwerk, weil man Partner braucht, durch die die Entwicklung dann weitergeht.

Richard Palm: Schöneberg und Neukölln sind eher Innenstadtbezirke von Berlin, während Reinickendorf im Norden in Richtung Flughafen Tegel eher am Rand liegt. Wir haben vorrangig andere Bevölkerungsgrup-pen. Das zeigt sich, wenn es um Ehrenamtliche geht. Wir liegen im südlichen Reinickendorf, also an der Grenze zum Wedding. Wir sind in Reinickendorf eines der neun Berliner Mehrgenerationenhäuser. Unsere Erfahrung ist, dass die Leute auch ins Haus kommen und fragen, was wir eigentlich machen. Ich erkläre dann, was unser MGH macht. Häufi g kommt dann die Frage: Kann ich auch was machen? Oh, prima, ein Ehrenamtlicher, der gerne was tun will, na klar - was möchten Sie gerne tun? Dann kommt nach drei oder vier Sätzen: Können Sie auch was bezahlen? Weil Geld brauche ich auch. Dann ist das mit dem Ehrenamt schnell beendet, denn eigentlich brauchen sie einen Job. Es kommen also viele Leute, die Arbeit suchen. Es leben auch sehr viele Migranten in Reinickendorf.Bei dem Projekt „Neue Wege in Arbeit“, das wir auf-gelegt haben, war der Hintergrund der, dass vier bis fünf Leute in der Woche kamen, um mehr oder weni-

ger nach Arbeit zu fragen. Wir wollen also die Leute in Arbeit bringen, was ja auch nicht so leicht ist.Wir von der Albatros GmbH und von der Pegasus GmbH sind in Berlin der Kompetenzträger für das Verfahren Vermittlungscoaching. Thomas Heinle hat das Vermittlungscoaching erfunden. Wir haben diese Ausbildung nach Berlin geholt. Mit diesem Verfahren könnten wir es schaffen, weil es woanders ansetzt. „Neue Wege in Arbeit“ setzt bei einer Vision an.Wenn die Leute kommen, dann fragen wir sie, was sie gerne tun möchten, was ihre Leidenschaft ist, wofür sie brennen, wo sie in drei oder fünf Jahren berufl ich sein möchten.Wir wenden uns in diesem Projekt auch besonders an Zuwanderer und Migranten. Wenn die Visionen ermittelt sind und man sie im Bewusstsein verankert hat, dann können wir damit arbeiten, denn sie ist fest im Kopf. Im nächsten Schritt geht es darum, die Stolpersteine zu bearbeiten, durch die die Umset-zung behindert wurde.Man fragt dann: Das und das möchtest du gerne machen, was hält dich davon ab? Meine Deutsch-kenntnisse sind nicht so gut, Zeugnisse habe ich nicht, gelernt habe ich auch nichts, usw. Es kann alles Mögliche sein, was einen davon abhält, das Ziel tatsächlich zu erreichen. Es muss alles aufgemalt werden, alles muss auf den Tisch. Da kommen auch mal Sachen zum Vorschein, dass jemand gerne mal trinkt, also es können auch psychosoziale Probleme dazukommen, oder jemand war vielleicht im Knast und ist vorbestraft.Dann überlegt man gemeinsam, wie man das alles lösen kann. Das ist ein Gruppenverfahren, also es gibt keine Einzelsituation als Coaching, sondern als Gruppe. Die anderen Gruppenmitglieder müssen alle mithelfen und sagen, wie man das lösen könnte. Was könnte man tun, wenn man ein Alkoholproblem hat? Man könnte bei einer Beratungsstelle anrufen,

Während unserer Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen stellt sich oft heraus, dass die Fami-lien schwerwiegende Probleme haben. Wir bieten kostenlose Beratungen an und versuchen auch, die Familien weiter zu begleiten, sogar bis hin zu sozi-alpsychiatrischen Diensten oder zu Familienhilfe oder gesetzlicher Betreuung. Natürlich machen wir das erst über unseren Träger, soweit es möglich ist, aber wir haben Kooperationspartner für das, was wir nicht anbieten oder leisten können.Mir ist die Idee dahinter wichtig, denn es geht darum, Chancen zu schaffen zur Teilhabe an der Gesellschaft. Es wird in Deutschland immer wie-der darüber diskutiert, aber ich sehe diese Kinder, die kaum Chancen haben, an unserer Gesellschaft teilzunehmen. Wenn jemand mit 14 Jahren in die 5. Klasse geht und keinen einzigen Satz vernünftig schreiben kann oder kein Buch liest, weil es zu lange dauert, wie soll derjenige so an der Gesellschaft teil-nehmen? Wie soll er die Zeitung später lesen? Wie soll er sich interessieren und Sachverhalte verste-hen? Wie soll man sich so für etwas engagieren? Wir wollen genau dort ansetzen, weil es sehr massiv in Berlin-Neukölln auftritt.

Monika Fröhlich: In Berlin-Schöneberg stellt sich das so dar, wenn es um Vielfalt, um Integration und Einbeziehung bzw. Teilhabe geht: Ich habe mir eine Person vorgestellt, was die bei uns in den drei Standorten des MGH Schöneberg-Nord sein kann. Diese Person kann Elternteil sein, sie kann generell Gast sein, sie kann sich ehrenamtlich engagieren, an einem Kurs teilnehmen, sie kann sich auf dem ersten Arbeitsmarkt befi nden oder dort hin wollen. Diese Person kann ihren Status innerhalb des MGH ständig wechseln.Wir bieten eine Qualifi zierung an. Da gehen wir gemeinsam den Weg und aufeinander aufbauend könnte die Person sich eine Perspektive eröffnen. Zur Qualifi zierung gehören verschiedene Maßnah-men, die wir im Laufe der Zeit in der Kiezoase ent-wickelt haben.Das Neueste sind die Kiezoasen-Lotsinnen und die Gastgeber, also Deutschkurse gibt es schon, Frauen-Bildungsseminare, eine Nähwerkstatt, eine Schneide-rei, Babysitter-Kurs und auch die Bildungsbotschafter.Als Koordinatorin habe ich auch den Bereich Ehren-amtliches Engagement als Aufgabenfeld. Von daher habe ich mich jetzt konzentriert auf die Kiezoasen-Lotsinnen, Schulung, Gastgeber-Schulung. Das sind die Multiplikatoren für den offenen Treff, für die Nachbarschaften. Sie kennen die Stadtteilmütter von Treptow, Integrationslotsen usw. als wichtige Multiplikatoren, die Gastgeber, die mitarbeiten als Ehrenamtliche oder als Beschäftigungsmaßnahme im offenen Bereich.In der Qualifi zierung und danach habe ich gemerkt, dass die Menschen gestärkt sind. Hier wirkt eine Art Empowerment. Mit solchen kleinen Qualifi zierungen, zu denen es am Ende auch ein schönes Zertifi kat gibt, können wir sie stärken und ihnen Mut mitgeben, sich weiter auf diesen Weg nach oben zu machen, und zwar in immer wieder neuen Zusammenhängen.

Forum B: Vielfalt

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in Reinickendorf gibt es viele Aussiedler. Vielleicht kommt einer, der ist Diplom-Ingenieur oder hat eine andere Ausbildung, die aber hier in Deutschland nicht anerkannt wird.Da gibt es verschiedene Kreise, in denen sich ver-schiedene Kulturen und Menschen mischen. Unser Projekt läuft jetzt seit 14 oder 15 Monaten. Wir haben schon ein paar Leute vermittelt und mit den anderen sind wir in der Warteschleife, aber wir sind weiter dran.Es gibt Möglichkeiten auch in Schöneberg, wie wir gesehen haben, zwischen ehrenamtlichen und vom Jobcenter geförderten Maßnahmen zu springen, was bei „Neue Wege in Arbeit“ auch sein kann. Leute, die vorher vielleicht noch nicht beim Jobcenter gemel-det waren und meinen, dass sie dort nichts kriegen und deswegen nicht hingehen. Ich sage dann, dass er es mal probieren soll. Er muss dann jeden Mor-gen aufstehen und hingehen. Er hat dann einen Job, kriegt nur 1,50 Euro, aber es ist Arbeit und ein Beginn. Er hat dann auch erst mal Zeit, sich um den Rest zu kümmern, um die Bewerbungsunterlagen, die Anerkennung von Zeugnissen usw. Dann kann man schauen, ob man auch Möglichkeiten auf dem ersten Arbeitsmarkt fi ndet. Das betrifft auch Deut-sche, aber unser Projekt ist vorrangig für Migranten.Mittlerweile ist es so, dass die Sachbearbeiter vom Jobcenter teilweise auch die Leute zu uns schicken. Da haben wir einiges zu tun.

Teilnehmer: Beim ehrenamtlichen Engagement hat man häufi g die Menschen im Blick, die ihre Res-sourcen, nämlich Zeit und Kompetenzen, zum Wohl anderer Menschen oder für die Gesellschaft einbrin-gen wollen. Ist es mehrheitlich Ihre Erfahrung, dass viele, die sich ehrenamtlich engagieren wollen, eher im Blick haben, dass sie einen Job bzw. eine Tätig-keit bekommen? Gilt das für alle Projekte?

Richard Palm: Bei uns in Reinickendorf ist die Erfahrung so, bei anderen Projekten weiß ich es nicht.

Zeinab Nasereddin: Die meisten Anfragen betrifft das, es ist nicht ausschließlich so. Es gibt ja auch Freiwillige, die kommen und was tun wollen, obwohl sie berufstätig sind. Sie sagen, welche zeitliche Kapazität sie haben. Meistens kommen die Leute und fragen, was wir anbieten. Indirekt ist das eine Frage nach einem Job, weil sie weiterkommen wollen.

Monika Fröhlich: Das würde ich auch unterstüt-zen. Ich baue diesen Bereich des ehrenamtlichen Engagements in der Kiezoase jetzt weiter aus. Es ist ganz verschieden. Es sind die klassischen Ehren-amtlichen, die sich für bestimmte Zielgruppen (z.B. Kinder) engagieren und was zurückgeben wollen, aber auch Migranten oder deutschstämmige Akade-miker, die sich in prekären Situationen befi nden und sich in einer schwierigen Lebensphase engagieren möchten. Es gibt die ganze Bandbreite, die zum Thema Bür-gerschaftliches Engagement diskutiert wird. Durch

die üblichen Sachen. Derjenige muss sich dann her-aussuchen, was zu ihm passt und was er in Angriff nehmen will. Dann wird es immer konkreter verab-redet, was zuerst bis wann mit wem gemacht wird. Man entwickelt einen konkreten Fahrplan, wie es weitergehen soll.Der nächste Schritt ist dann eine Arbeitgeberanalyse bzw. eine Kundenanalyse, denn es gibt auch viele, die sich selbstständig machen wollen. Was erwar-ten Arbeitgeber von Ihnen? Dass ich pünktlich bin, dass ich da bin, dass ich was tue, also alle zur Arbeit gehörenden Eigenschaften.Dann ist die Überlegung, in welchem Punkt derjenige diese Erwartungen erfüllt. Wie können Sie erreichen, dass Sie pünktlich sind? Na, das steht in meinem Zeugnis drin, ich war immer pünktlich. Aber wie kann man das noch beweisen? Sie kennen alle diese Wer-bung, wo eine Frau gefragt wird, was sie macht. Die Frau mit den Kindern antwortet dann, dass sie ein kleines Familienunternehmen leitet. Um diese Punkte geht es praktisch, dadurch kann man beweisen, dass man multitaskingfähig ist, dass man verschiedene Aufgaben hat und fl exibel ist. Es wird mit dargestellt, wie man die Erfordernisse eines potenziellen Arbeit-gebers, den ich mir aussuche, treffen würde.Wenn ich das habe, dann kann ich im nächsten Schritt losgehen und gucken, wer dieser Arbeitgeber ist. Ich muss ihn rausfi nden und mir eine Marke-tingmethode überlegen, wie ich an ihn als Querein-steiger rankomme. Ich habe das ja vielleicht nicht gelernt, was der von mir erwartet. Aber wenn ich ihn überzeugen kann, dass ich der Mann bin, auf den er wartet, dann wird er sich darauf einlassen und mir eine Chance geben.Das ist der Punkt Vermittlung, der dann stattfi ndet. Wir helfen mit, solche Unternehmen zu fi nden, wir begleiten, aber es muss alles entsprechend vorbe-reitet werden.

Der letzte Schritt ist dann, das Arbeitsverhältnis zu sichern. Heutzutage sind Stellen oft befristet oder man muss erst einmal durch die Probezeit kommen. Manchmal kann es sein, dass das nur erst mal für 100 Euro irgendwas ist, also ein Zuverdienst. Wenn man das immer schon mal machen wollte, dann macht man das, um zu überzeugen und erst mal ein-zusteigen. Natürlich würde man auch für 400 Euro arbeiten, also in einem Mini-Job. Wenn man arbeits-mäßig dann überzeugt, dann behalten die Unterneh-men einen und bieten eventuell einen Vollzeitjob.Das ist ein ganz anderer Weg als über das Job-Cen-ter, wo es erst einmal darum geht, welche Qualifi ka-tionen man hat, Busfahrer, wunderbar, wir brauchen gerade keine Busfahrer, was dann Pech ist. Wenn man dann weiterfragt, was sie werden wollen, dann sagen sie: Ich will weiter als Busfahrer arbeiten. Dann sagen wir: Aber Sie sind doch arbeitslos gewor-den, weil Sie Busfahrer sind. Gibt es noch was ande-res, was Sie machen wollen? Nein. Ach doch, ich bin in so einem Posaunenchor, ich spiele Posaune, das wollte ich schon immer. Können Sie nicht was mit Musik machen? Ja, Musik, das ist toll, nach Noten oder ohne Noten, das will ich gerne machen. Gut, dann probieren Sie was, was mit Musik zu tun hat.So kommt man zu neuen Ideen und die Leute akti-vieren und entwickeln sich, sie helfen sich in der Gruppe und es entstehen neue Cluster und neue Strukturen.Ich habe für die Diskussion heute die beiden Ver-mittlungscoaches mitgebracht. Sie setzen unser Verfahren im Haus und an den Satellitenstandorten mit um, einerseits für das arabisch-türkische Spek-trum. Das sind Frauen, die neu hergekommen sind, die gerne was arbeiten wollen, aber sich erst einmal orientieren müssen. Sie kommen ohne Ausbildungen und mit geringen Deutschkenntnissen. Andererseits kommen viele aus dem russischsprachigen Raum,

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tenfrei sind. Die sollten nicht im ganz engen Stadtteil-zusammenhang sein, sondern darüber hinaus gehen, damit sie auch etwas Interessantes bei den Nachbarn angucken und Netzwerke aufbauen können.Genau das wollen die Ehrenamtlichen auch. Sie möchten meine Zuwendung, also viel von meiner Zeit, sie möchten, dass ich sie kenne, dass ich weiß, was bei ihnen los ist, aber sie möchten für sich auch Neues gestalten. Also sie wollen nicht nur kommen und in der Kita nett vorlesen, dann sagen die Erzie-her tschüs, jetzt machen wir was anderes, sondern genau dieses Drumherum macht so viel Aufwand.

Katharina Hassel: Ich habe Stichworte gesammelt, die man vielleicht nachher in die große Runde tra-gen kann. Es geht auch um Rahmenbedingungen, die wir brauchen, damit wir diese Leistung erbringen können. Aufwandsentschädigungen, Qualifi zierungs-maßnahmen – was war das noch?

Teilnehmerin: Dass die Jobcenter das als eine Tätig-keit anerkennen, die mindestens so wichtig ist wie eine MAE. Wenn Leute sich selbst was suchen, sollte es so viel wert sein wie ein 1-Euro-Job, wo sie irgend-was machen müssen.

weitere Teilnehmerin: Ich komme aus Leipzig und unser Verein will eventuell auch so ein Projekt auf-bauen. Welche Zielgruppen werden angesprochen? Sind das Jugendliche oder Erwachsene? Wie hoch ist der Durchlauf? Wie viele betreuen Sie insge-samt? Betreuen Sie die Jugendlichen oder Erwach-senen auch noch nach der Vermittlung? Wie viel Zeit vergeht bis zur Vermittlung? Wie bekommen Sie die Leute? Über das Jobcenter? Bei uns soll es um die Zielgruppe der Jugendlichen gehen. Wie kommen die an das Angebot?

Richard Palm: Es können auch Jugendliche kom-men, ein Teil geht noch zur Schule, ein Teil ist sozu-sagen in der Warteschleife. Unser Projekt ist für alle Altersgruppen offen.Einerseits kommen die Leute über das Jobcenter, andererseits kommen sie durch Empfehlungen bzw. durch Mundpropaganda. Das hat damit zu tun, dass wir im Mehrgenerationenhaus auch zehn Integrationslotsen beschäftigen, die auch die Beratungen usw. durchführen. So erfahren die Leute davon. Es wird auch über die Familien weitertransportiert, weshalb immer wieder neue Leute kommen.

Zeinab Nasereddin: Und durch unser Netzwerk kom-men auch viele Leute.

Richard Palm: Im Moment sind es um die 40 Leute, die mitmachen. Wie lange es dauert, bis man das durchlaufen hat, das hängt von der jeweiligen Per-son ab. Man kann das nicht allgemeingültig sagen. Es hängt davon ab, was sie machen wollen und wie schnell sich die Stolpersteine aus dem Weg räumen lassen.

diese qualifi zierenden Abendschulungen erfahre ich, wie aktivierend es ist, wenn man eine Fortbildung für Freiwillige macht, um sie noch weiter einzubinden. Sie merken selbst, dass sie eine Wirkung erzielen können. Das fi nde ich eine ganz schöne Erfahrung, gerade für Menschen mit Migrationshintergrund, die sich erst mal für die eigene Familie, dann für das Nachbarschaftszentrum interessieren und organi-sieren, dann ausgeweitet auf den ganzen Kiez.

Teilnehmerin: Sicher gibt es die Hoffnung auf einen Arbeitseinstieg durch Qualifi zierung, aber die meisten Ehrenamtlichen bei uns arbeiten mit Kindern, einfach weil sie was geben wollen. Das kann ich, ich habe die Zeit für zweimal in der Woche, das möchte ich geben.

Teilnehmer: Das ist umgekehrt wie bei uns.

Teilnehmerin: Wir haben so ein gemischtes Ehren-amtsfeld. Wir nutzen das Ehrenamt auch, um den Leuten Qualifi kationen zu verschaffen, denn wenn man gar nichts tut, verliert man auch Qualifi kationen und Qualität im Umgang mit anderen Leuten. Das ist ein wichtiger Faktor von Ehrenamtsprojekten, das einzubeziehen. Ganz wichtig ist aber auch, dass

man sich ein Ehrenamt leisten können muss. Das heißt, man muss die zeitlichen Ressourcen dafür haben und man muss fi nanziert sein, damit man das in Ruhe machen kann.Viele Leute, die gerne mehr machen würden, kön-nen nicht, weil sie immer Gewehr bei Fuß für das Jobcenter stehen müssen und jederzeit abberufen werden können.In diesem Staat gibt es sehr viel Ehrenamt, wofür es relativ gute Aufwandsentschädigungen gibt. Je geehrter, desto besser, wenn man sich die Bezirks-politik anschaut, die haben alle Aufwandsentschä-digungen oder im Sport gibt es die auch. Wir haben die Erfahrung, dass gerade für junge Leute in einer Übergangsphase eine Aufwandsentschädigung im Rahmen dieser Übungsleiterpauschale sehr wichtig sein kann, denn es ist ein erheblicher Unterschied, ob sie sich engagieren oder bei Reichelt an der Kasse sitzen. Auch junge Leute brauchen ein biss-chen eigenes Geld, aber beides können sie nicht machen. Deshalb kann es beim Ehrenamt nicht nur um die „Ehre“ gehen, sondern es sind auch die Auf-wandsentschädigungen, die für uns eine Rolle spie-len. Das ist gerade für Arbeitslose wichtig, denn die können sich nachher nicht mal die Tasse Kaffee mit den Ehrenamtlichen leisten.Wenn wir eine gemeinsame Aktion gemacht haben, zum Beispiel ein großes Straßenfest, dann sitzen alle zusammen in der Kneipe. Aber die Helfer, die arbeits-los sind, können sich das Bier dort nicht leisten. Dafür braucht man Aufwandsentschädigungen, über die sie frei verfügen können, und nicht, dass man ein Geburtstagsgeschenk für sie kauft. Sie brauchen auch Fahrkarten, damit sie mal irgendwo hinfahren können, auch um mal rauszukommen. Das ist sehr motivierend für die Ehrenämter, weil sie über ihren Tellerrand rausgucken können. Ganz motivierend sind auch die angebotenen Qualifi zierungen, die kos-

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Richard Palm: Von den 40 waren es vielleicht 16?

Teilnehmerin: In welcher Zeit? In einem halben Jahr?

Richard Palm: In der Laufzeit des Projektes.

Teilnehmerin: Gibt es so was wie eine Anschluss-Betreuung?

Richard Palm: Ja. Die wissen ja, wir sind da, also die Zeiten bleiben. Manche rufen an und berichten, wie es klappt. Die, die Schichtdienst arbeiten, können auch zu anderen Zeiten kommen. Wir hören also, wo es gut läuft und wo es klemmt. Wir geben Unterstüt-zung und beraten weiter.

Teilnehmerin: Wie alt sind die Kinder, mit denen Frau Hassel in ihrem Projekt in Neukölln zu tun hat?

Katharina Hassel: Die Kinder sind zwischen 9 und 17 Jahren, also es werden zunehmend mehr Jugendliche, weil sich das Angebot der Nachhilfe herumspricht.

Teilnehmerin: Wie groß sind die Gruppen, mit denen Sie arbeiten?

Richard Palm: So wie sie sich fi nden.

Zeinab -Nasereddin: Ich habe jetzt 12, altershomo-gen, 22 bis zum Ältesten, der ist 61. In der Gruppe gibt es auch untereinander eine Riesenunterstüt-zung. Wenn jemand nicht schreiben kann, dann übernimmt das jemand, andere zeigen, wie etwas am Computer geht. Oder es kennt jemand einen Foto-grafen für die Bewerbungsfotos. Oder ein Lebenslauf wird anders gestaltet, damit jemand vielleicht doch einen Job bekommt. Also die Motivation untereinan-der ist sehr hoch, weil sie sehen, dass andere bereits

auf dem ersten Arbeitsmarkt sind. Zwei Leute sind jetzt sogar in einer Ausbildung. Eine Laborantin war durch die Mutterzeit lange nicht tätig. Sie hatte in Dänemark gearbeitet und nicht in Deutschland. Die Sprache spielt natürlich eine große Rolle. Sie war erst im Sprachkurs, jetzt macht sie ein Jahr Genetik und wird dann sofort in der Firma eingestellt. Das war ein Riesenerfolg. Wer fi nanziert das? Sie ist nicht vom Jobcenter abhängig. Wir sind gerannt bis zum geht nicht mehr. So ein Beispiel motiviert natür-lich die anderen Gruppenmitglieder.

Teilnehmerin: Haben Sie eine besondere Qualifi zie-rung als Vermittlungscoach?

Zeinab Nasereddin: Ja, ich bin zugelassener Ver-mittlungscoach.

Elvira Smolakova: Zuerst musste ich die Gruppe motivieren, weil zunächst keine Leute zu uns geschickt wurden. Bei uns sind viele russischspra-chige Spätaussiedler, also Deutsche aus Russland. Manche haben sich gar nicht getraut, sie dachten auch nicht daran, dass sie arbeiten gehen können. Ein Mensch, der schon 55 ist und die deutsche Spra-che nicht kennt, wo soll der hingehen? Früher hat er gearbeitet, hier ist seine Ausbildung nicht anerkannt oder sein Beruf wird hier nicht gebraucht. Er war auch nicht ganz gesund, aber diesem Menschen zu seiner Arbeit zu verhelfen, das war ein großer Erfolg. Unser Ansatzpunkt in dem Fall war: auch wenn er nichts ver-steht – aber was man ihm zeigt, das macht er dann. Solche kleinen Siege sind sehr gut, um die Leute zu motivieren und die Menschen aufzuheben, damit sie selbst das Vertrauen fi nden und in die Gesell-schaft rausgehen. Jetzt hatten wir an das Jobcen-ter geschrieben und ein Gespräch mit der Leitung gehabt und bekommen Leute zugeschickt. Es kom-

Elvira Smolakova: Bei den schnellsten Teilnehmern hat das nur drei Wochen gedauert. Da hatten sie schon einen Job gefunden.

Teilnehmerin: Was machen Sie mit den Jugend-lichen, die ohne Ausbildung zu Ihnen kommen?

Zeinab Nasereddin: Es gibt hier unterschiedliche Möglichkeiten. Wichtig ist die Kooperation mit den Schulen. Wir haben auch Zugänge zu Oberstufen-zentren, wir versuchen, die Lehrer zu erreichen, die sich mit Jugendlichen befassen, die ein bestimm-tes Alter erreicht haben, die ein bestimmtes Defi zit haben, sei es eine Straftat oder dass sie keinen Bock haben oder dass sie keine Qualifi kationsmög-lichkeiten für einen geeigneten Abschluss haben. Wir reden mit den Rektoren vor Ort. Wir begleiten die Jugendlichen dorthin.

Richard Palm: Nach unserer Erfahrung ist es bei Jugendlichen eine Frage des Zugangs zu einer Ver-bindlichkeit, was bei Älteren schon deutlich anders ist, weil die oft konstant kommen.Bei der Vision geht es auch darum herauszufi nden, in welchem Bereich sie gerne was tun möchten. Die

fl ankierenden Maßnahmen sind wichtig, die pri-mär nicht mit dem Projekt zu tun haben, aber die wir trotzdem organisieren, zum Beispiel der Besuch einer Ausbildungsmesse oder die Weitervermittlung an andere Beratungsstellen. So bekommen sie eine Orientierung. Andererseits stellen wir Kontakt zu Schulen, damit sie Teilnehmer stellen. Die Unterneh-men kommen, aber die Schulverwaltung hat eine deutlich andere Drehzahl als ein freier Träger.

Zeinab Nasereddin: Migranten-Jugendliche sind meistens die Eltern zu erreichen. Wenn man die Eltern erreicht, dann gibt es einen gewissen Druck von den Eltern, dann auch von der Schule. Wir sagen ihnen: wir treffen uns da, aber wenn ihr nicht kommt, dann holen wir euch ab – und schon sind sie da. Andere wiederum reagieren überhaupt nicht und wollen in Ruhe gelassen werden. Dann lassen wir es auch.

Elvira Smolakova: Für Jugendliche, die noch zur Schule gehen, ist es ganz gut mit der Schule zu kommunizieren. Die ersten Schritte haben wir so gemacht. Es war ganz gut, sie dann wieder auf der Bildungsmesse zu sehen, weil sie dahin auch zu Workshops kamen. Es war sehr interessant zu sehen, wie sie erste Schritte unternahmen und da schon mit einer Frage kamen, wie es weitergeht. Ein Mädchen wollte im Krankenhaus arbeiten und hatte überhaupt nicht gewusst, mit welchen ersten Schrit-ten sie das erreichen konnte.

Richard Palm: Das gibt einen Einstieg, also dass sie irgendwo reinfi nden, das ist eine Eingewöhnungs-maßnahme.

Teilnehmerin: Wie ist die Prozentzahl der vermit-telten Personen?

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unserem Projekt. So werden von beiden Seiten viele Vorurteile abgebaut. Ich habe Kontakt mit den arabischen Eltern, von denen manche vielleicht etwas zwiespältig sagen, dass ihre Kinder genauso wie Stefan oder wie Anette werden. Wie ist das bei euch?

Katharina Hassel: Also bei uns gibt es das schon auch. Wir haben die Nachhilfe ähnlich organisiert, die Nachhilfe fi ndet aber auch im Haus statt. Manche Kin-der haben sich so gut entwickelt, dass sie sich unter-einander verabreden und außerhalb bzw. zu Hause üben. Insgesamt kann man von diesem Austausch sagen, dass beide Seiten davon profi tieren.

Monika Fröhlich: Wir haben ein Lernpatenmodell. Da würde ich Ihre Erfahrungen bestätigen. Mig-ranten als Ehrenamtliche sind eher in den offenen Treffs bei uns zu fi nden. Und es gab bei uns eine Qualifi zierung, wo Leute als ehrenamtliche Multipli-katoren geschult wurden.

Katharina Hassel: Wir haben Migranten als Ehren-amtliche, aber das sind nicht unbedingt die, die direkt um das Haus herum leben, sondern wir hat-ten zum Beispiel eine iranischstämmige Frau, die hoch gebildet war, die in Steglitz wohnt; oder einen Chinesen, der BWL studiert hat und für eine große Firma arbeitet, auch ab und zu in China. Das sind eigentlich Migranten, die absolut ausreichend an der Gesellschaft teilnehmen.

Annette Maurer: Also wir erreichen mit unserem Ehrenamtsprojekt auch Migranten in ganz unter-schiedlichen Formen. Wir haben das im Laufe der Jahre in der offenen Schularbeitshilfe entwickelt, das ganze System wird nämlich getragen vom Bil-dungserfolg der Migranten.

Zum Teil produzieren wir unsere Nachhilfelehrer selbst, das sind inzwischen die alten Teilnehmer, die jetzt als Lehrer arbeiten. Für sie selbst ist das so entwickelte Netzwerk ungeheuer wichtig, denn in diesem Netz finden sie in dieser Phase zwischen Abitur und Studium etwas, wo sonst viele verloren gehen würden, weil die Familien drängeln, was sie tun sollen, nämlich endlich etwas Geld verdienen, Karriere machen bei McDoof oder so.Bei uns finden sie ein Netz von Leuten, die auch studiert haben, die Erfahrungen haben, wie man den Einstieg schafft, wie man sich darstellt, wo man einen Studienplatz sucht, wie man einen Stu-dienplatz kriegt, was hier in Berlin nicht einfach ist. Sie können dann hier diese Durststrecke überste-hen, bis sie den nächsten Schritt machen können. Dieses Netz muss gefördert und gepflegt werden. Wir schaffen es, eine Win-Win-Situation herzustel-len. Die Lehrer bringen was ein und sind sehr stolz darauf, dass sie junge Leute fördern können.Ich komme vom Stadtteilverein in Schöneberg. Zwei unserer Helfer motivieren inzwischen junge Migranten, Lehrer zu werden, was ziemlich groß in der Presse war. Wenn wir es schaffen so was hinzustellen, dass die Leute davon profitieren

men verschiedene Leute. Ich hatte geschrieben, dass wir russischsprachige Menschen wollten, von denen ich die Mentalität kenne. Aber es kommen jetzt mehr Türken, Polen, usw. Manche muss man in kleineren Gruppen noch mal treffen, weil sie sonst von sich nicht sprechen. Vor allem bei türkischen Männern ist das so.

Ein Beispiel: Es kommt zu mir ein türkischer Mann und sagt: Ursula, ich brauche jetzt Geld und Arbeit. Dann sage ich: Ich auch. Er sagt sogar, dass er viel Geld braucht. Er war vor zehn Jahren in der Türkei selbst-ständig und will sich auch bei uns jetzt selbstständig machen. Und spricht er die deutsche Sprache? Nein. Hat er hier schon die Erfahrung? Nein. Auch noch kein bisschen Geld in der Tasche, um sich selbstständig zu machen. Nachdem er eine Weile seine Möglichkeiten und Grenzen bearbeitet hat, kommt heraus, dass er es doch machen und irgendwo einsteigen kann. Man-che Sachen sind interessant.

Teilnehmerin: Wie fi nanziert Ihr das Projekt? Vermitt-lungscoach hört sich auch sehr betreuungsintensiv an – im positiven Sinne. Aber wie kriegt man das fi nanziert?

Richard Palm: Das Projekt wird aus Europa-Geldern fi nanziert. Und wir haben Glück, wir sind ein Mehrge-nerationenhaus aus den ersten 50, also das sind nur nationale Mittel. Frau Scheithauer hatte ja gesagt, dass es ESF-geförderte MGH gibt. Dazu gehören wir nicht, weil wir das Projekt dann nicht hätten machen können, das heißt, wir konnten die Bundesmittel als Kofi nanzierung reingeben.Da bekommen wir ein bisschen Geld. Es gibt im Hintergrund auch noch anderes Personal, was die Begleitung zu Ämtern oder Arbeitsstellen mit über-nimmt. Manchmal gehen unsere zwei Frauen mit zum Jobcenter, manchmal gehen aber auch andere

mit, die wieder von woanders fi nanziert werden. Das Mehrgenerationenhaus ist eine Plattform, um wei-tere Finanzierungen einzuwerben und die reichen von A bis Z. Das machen wahrscheinlich viele.

Teilnehmerin: Über welches EU-Programm ist das fi nanziert? Meistens ist es ja Vorschrift, dass zwei andere EU-Staaten involviert sein müssen.

Richard Palm: Das ist das Programm Partnerschaft – Entwicklung – Beschäftigung. Es kann sein, dass das nur in Berlin gilt, aber es benötigt keine anderen EU-Länder. Ich denke, es sind Mittel aus dem Euro-päischen Sozialfonds.

Monika Fröhlich: Wir wollen die Diskussion zum Thema Rahmenbedingungen lenken. Wer profi tiert von dem Einsatz der Beispiele, die wir vorgestellt haben? Oder gibt es noch andere Nachfragen?

Teilnehmerin: Wie sieht es mit ehrenamtlichen Mig-rantinnen aus? Ich komme vom Nachbarschafts-heim Schöneberg und ich bin Mitarbeiterin in der Beratungsstelle für arabische Frauen. Wir haben ein kleines Projekt. Es hat sich so ergeben, dass wir inzwischen 86 deutsche Studentinnen haben, die ehrenamtlich Hausaufgaben mit arabischen Kindern machen. Das braucht viel Zeit. Wir haben nur eine Stelle für mich und meine Kollegin. Die Entwicklung dieses Bereichs läuft sehr gut und es profi tieren nur arabische Kinder.Wir haben mit der Zeit festgestellt, dass das viel ausmacht. Jetzt haben wir einen Stammtisch, wir machen ein Seminar mit denen. Das ist auch eine Form von Integration, dass wir die arabischen Kin-der von den deutschen Studentinnen unterstüt-zen lassen. Und diese Studenten machen diese Arbeit bei sich zuhause, sie machen das nicht in

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bilisiert, denn manche fallen auch eine ganze Weile wegen eines Klinikaufenthalts aus. Aber wenn sie da sind, dann sind sie gut.

Monika Fröhlich: Zu den Rahmenbedingungen: Das braucht natürlich Anleitung und Ansprechpartner, man muss auch Kontakt halten, mal anrufen, wenn jemand nicht kommt, usw.

Zeinab Nasereddin: Und auch Kontinuität im Kon-takt mit ihnen muss gewährleistet sein. Also nicht, dass sie jeden Tag eine andere Person vorfi nden. Das ist sehr wichtig.

Monika Fröhlich: Das ist ein wichtiger Punkt, den wir alle bewerkstelligen müssen. Ob es Ehrenamtliche sind, junge Leute, behinderte Menschen, Migranten, dieser Ehrenamtskoordinator oder dieser Ansprech-partner für alle anderen Zielgruppen darf nicht weg brechen. Was in vielleicht fünf Jahren oder länger schon aufgebaut wurde, wenn das wegfällt, das wäre fatal. Dann bricht ein ganzes Aktionsprogramm ein. Wir haben ja alle eigentlich die gleichen Zielgruppen und die gleiche Intention.

Teilnehmer: Eine kurze Anmerkung in Bezug auf Jugendarbeit. Die Moderatorin heute Morgen hat gesagt, dass sie die Ehrenamtsarbeit macht als Peer-Helferin bei Outreach. In diesem Zusammenhang will ich zum Entgelt etwas sagen: Ehrenamtshonorar von 3 Euro, wenn man das Geld hat, das ist für viele wirklich einfach der Hit. Die Peers bekommen bei mir im Haus 5 Euro, auf der Straße zwischen 6 und 8 Euro, je nach Alter und Qualifi kation. Die haben Zertifi kate bei uns gekriegt, damit gehen sie sich bewerben. Das punktet.

Teilnehmerin: Würde es ohne die Aufwandsentschä-digung nicht funktionieren?

Teilnehmer: Doch, aber es ist oft einfacher, sie erst mal anzufüttern, speziell die Jugendlichen zwischen 15 und 19. Ich war drei Jahre in Karow, dort habe ich das auch gemacht. Gerade für die, die schon über Jahre in Hartz IV sind, ist es einfach der Hit, noch mal ein Zubrot zu haben.

Teilnehmerin: Für diejenigen, die tatsächlich bei Reichelt an der Kasse sitzen, ist es nicht unwichtig, wenigstens den Hunni, den sie im Monat frei haben können, irgendwo zu erjobben. Weil es nicht anders geht. Und sie können nicht den Samstag bei Reichelt an der Kasse sitzen und zwei Abende in der Woche bei uns Schularbeitshilfe machen. Denn irgendwann müssen sie auch noch ihre eigenen Sachen machen. Das muss man ganz klar sehen. In jedem Sportver-ein gibt es die Übungsleiterpauschale. Der Trainer geht mit 180 bis 200 Euro im Monat nach Hause. Das ist auch oft ein junger Mensch, der einen Trai-nerschein gemacht hat. Daraus haben wir unseren Umgang mit kleinen Aufwandsentschädigungen ent-wickelt und gesehen, das ist was ganz Wichtiges für diese besondere Zielgruppe.Die jugendlichen Migranten machen mit uns den JuLeiCa, den Jugendleiterschein. Das ist die Voraus-setzung dafür, dass sie bei uns mit Kindern arbei-ten. Für sie ist das wichtig. Bei Leuten, die nichts haben, sind diese Kleinigkeiten von großer Bedeu-tung. Sie arbeiten gemeinsam mit angestellten Mit-arbeitern an einer Aktion. Und wenn es danach was vom Bäcker geben soll, können viele sich das nicht leisten. Wir zahlen deshalb lieber eine kleine Auf-wandsentschädigung zur freien Verwendung. Das muss man sich besonders für die Ballungszentren mit vielen Arbeitslosen überlegen. Das ist anders bei den gut situierten Leuten, die Zeit haben und was zurückgeben wollen, weil das eine ganz andere Aus-gangssituation ist.

und dies auch sehen, dann hat das diese sich verstärkende Wirkung, die wir zunächst gar nicht beabsichtigt hatten. Aber wir werden jetzt unsere Projekte genau darauf ausrichten.

Richard Palm: Bei uns läuft vieles über einen Teil Ehrenamt. Wir haben ein Mentorenprojekt versucht, aber das hat nicht so richtig gegriffen. Es gab aber Migranten aus der Türkei, auch aus Sierra Leone, die mitmachen wollten, weil sie es gut fanden. Sie hatten höhere Bildungsgrade und konnten sich das Ehrenamt leisten. Davon gibt es aber nicht viele.Sonst haben wir ehrenamtliche Migranten im Bereich der Integrationslotsen. Sie waren früher dabei, in der Zwischenzeit machen sie was ande-res und sind ausgeschieden. Aber wenn man sie ruft, dann sind sie da.

Zeinab Nasereddin: Wir haben auch Ehrenamtliche im interkulturellen Mädchentreff. Wir haben ein Projekt, in dem Abiturienten die jungen unterrichtet oder Nachhilfe gegeben haben, die sie immer weiter unterstützen. Wir sehen, wie sie das Abitur abschlie-ßen und dann die anderen mitziehen. Das sind unterschiedliche Migranten, die in der Nähe leben

und die was erreicht haben. Sie kommen und stellen ihre Berufe vor, letztes Mal war eine Hebamme bei uns, was sehr faszinierend für die Mädchen war. Das ist alles ehrenamtlich.

Teilnehmer: Man muss sie nicht dauerhaft binden, aber so, dass sie öfter mal vorbeischauen. Das funk-tioniert durchaus auch, aber das war am Anfang nicht so. Aber wer unter dem Strich davon profi tiert, dass es „Demokratieübersetzer“ gibt, das habe ich heute Mor-gen gelernt: das sind schließlich wir alle. Denn wenn das nicht klappt, dann haben wir alle ein Problem.

Teilnehmerin: Es gibt Menschen, denen fehlt eigent-lich nichts, außer der Möglichkeit, kontinuierlich zu arbeiten. Die haben aber psychische Erkrankungen als Einschränkung. Das sind Leute, die auch gerne im Ehrenamt tätig sind. Wir tun uns im Moment damit ein bisschen schwer, das anzupacken. Aber ich denke, dass sie über das Ehrenamt teilhaben und es ist eine Möglichkeit, dass sie mitgestalten dürfen, dass man sie nicht wegen ihrer Krankheit außen vor lässt, zumindest in ihren gesunden Phasen.

Richard Palm: Wir sind auch ein Träger, der viel mit psychisch Kranken arbeitet. Wir sehen auch, dass die sich deutlich darüber stabilisieren, wenn sie eine bezahlte Tätigkeit haben. Sie sagen dann ganz stolz, dass sie einen Job haben.

Zeinab Nasereddin: Ein paar Stunden in der Küche oder im Garten zu arbeiten.

Richard Palm: Genau. Wir haben Maßnahmen über das Jobcenter, wo es um Grundsicherung geht oder zumindest irgendwie zu arbeiten; aber auch um frei bezahlte Leute, erst mal in kleineren Jobs, 100 Euro, 400 Euro. Dann kann man gucken, ob sie das sta-

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Input:

Annette WilhelmKoordinatorin Mehrgenerationenhaus Pankow, Pankower Früchtchen gGmbH

Stefan BräunlingKoordination Projekt BLiQ - Bewegtes Leben im Quartier von Gesundheit Berlin e. V.

Kerstin WieheProzessmoderatorin der Bildungsinitiative „Wrangelkiez macht Schule“

Gabriele Annenpädagogische Leiterin des SOS-Kinderdorfs Berlin Moabit

Barbara WinterBeauftragte für Ö- A und Kooperation mit der Wirtschaft im SOS-Kinderdorf Berlin Moabit

Carmen UrrutiaLeiterin der Pankower Früchtchen gGmbH

Stefan Bräunling: Die Verortung im Nachbarschafts-haus ist für die Aktivierung von Ressourcen eine optimale Möglichkeit. Dabei ist das Projekt BLiQ – Bewegtes Leben im Quartier - herausgekommen. Zielgruppe sind Kinder von 0 bis 6 Jahren und deren Familien in sozial benachteiligten Stadtteilen. Es geht um die alltagsnahe Bewegungsförderung, also nicht um Sportangebote oder Wettbewerbe, sondern darum, die Bewegung im Alltag zu fördern. Und es geht auch darum, dass sich die Einrichtungen und Institutionen vor Ort, die schon da sind, gemeinsam daranmachen, den Stadtteil in Richtung Bewegungs-förderung umzugestalten.Die Angebote sind Spielplatzangebote im Sommer und im Winter, bevorzugt sonntagnachmittags, also zu Zeiten, wo die Familien nicht wissen, was sie mit ihren kleinen Kindern machen sollen. Vor allen Dingen wissen das viele deshalb nicht, weil sie kein Geld für teure Unternehmungen wie ein Spaßbad oder Indoor-Läden haben. Wir haben außerdem ein paar Wege umgestaltet, damit sie bewegungsförder-licher sind. Einmal im Jahr machen wir ein Sonder-Event, nämlich einen Bambinilauf im Görlitzer Park in Berlin-Kreuzberg.Hier konnten wir sehr viele Synergien mit dem Nach-barschaftshaus nutzen. Dort wurde ein wunderschö-ner Bewegungsraum angelegt. Das hat mit unserem Projekt gar nichts zu tun, aber wir konnten den als erste gleich mit nutzen. Ich glaube, dieser Raum wurde überwiegend vom Bezirk fi nanziert. Das ist keine große Turnhalle, was zu unserem Angebot auch gar nicht passen würde, sondern ein Superraum für kleine Tobe-Angebote. Direkt neben diesem Bewe-gungsraum ist das Café des Nachbarschaftshauses, insofern ist dies ein optimaler Ort für unser Angebot.Außerdem hatten wir eine Zusammenarbeit, wie wir neben den Winterspielplatzangeboten eben auch die entsprechenden Sommerspielplatzangebote

im Garten des Nachbarschaftshauses organisieren können, auch mit zusätzlichen Mitteln vom Quar-tiersmanagement dort.Das Ganze läuft viel mit Multiplikatorinnen und Mul-tiplikatoren, die wir zu sogenannten BLiQ-Trainern ausbilden und die diese Spielplatzangebote ausrich-ten. Diese Leute haben wir im Nachbarschaftshaus gefunden. Leute, die sich bereits im Nachbar-schaftshaus beteiligen, haben wir dort in einer Infor-mationsveranstaltung angesprochen. Das ist unsere Ausgangsbasis.Zwei Schaubilder beschreiben das Projekt ein bisschen: Diese sechs Quadrate in der Mitte sind unsere sechs Bündnisse, die wir eingegangen sind im Wrangelkiez. Unter den ganzen Anbietern und Unterstützern, die teilnehmen, ist natürlich das Nachbarschaftshaus ein ganz zentraler Ort mit Bewegungsangeboten, mit Eltern-Kind-Angeboten und natürlich mit ganz viel, ehrenamtlichen Unter-stützer/innen für unser Projekt. Dort sind wir auf Projekte gestoßen wie die Stadtteilmütter oder Ruck-sack, ein Elternprojekt, mit denen wir in eine Zusam-menarbeit treten konnten.Wir haben eine Steuerungsrunde mit der Plan- und Leitstelle Gesundheit des Bezirksamtes, Familien-zentrum, Kitas, dem Quartiersmanagement, der Pro-zessmoderation der Bildungs-Initiative Wrangelkiez und einer Kinderärztin. Im Moment liegt die Koordi-nation noch bei meinem Verein. Zwei Jahre ist keine besonders lange Laufzeit, das endet jetzt bald, aber es ist zentral, dass die Steuerungsrunde dort im Nachbarschaftshaus angesiedelt ist, dass die Kolle-gin im Nachbarschaftshaus auf jeden Fall jetzt und auch in Zukunft dabei sein wird.Zusätzlich haben wir die Anbindung an eine andere Vernetzungsstruktur, die schon länger dort besteht, nämlich die Bildungs-Initiative im Wrangelkiez, wo noch eine viel größere Zahl von Partnern aktiv ein-

gebunden ist. Darüber wird die Verstetigung dieser Vernetzungsstruktur nach unserer Projektlaufzeit sichergestellt sein.

Birgit Monteiro: Vielen Dank, Herr Bräunling. Jetzt freue ich mich, dass Kerstin Wiehe sprechen wird. Sie ist Prozessmoderatorin der Bildungs-Initiative „Wrangelkiez macht Schule“.

(Filmausschnitt: Es wird immer so schön gesagt: Unsere Kinder sind unsere Zukunft. Aber was heißt das, und vor allem: Wer sind unsere Kinder? Mitt-lerweile verdichtet sich die Erkenntnis, dass unsere Kinder vielleicht doch nicht nur die immer weniger werdenden deutschstämmigen Kinder sind, sondern einfach alle Kinder, die hier leben. Wenn ich das ernst nehme, dann muss ich in dieses Konzept ordentlich reinpowern, mit Kraft, mit Ideen und mit Geld. Und ich kann nicht ein Bildungsprogramm und ein Sprach-lerntagebuch und eine Schulreform nach der anderen durchführen – immer mit der gleichen Suppe an Geld-mitteln, das ist einfach unmöglich. Es wurde schon vieles ausprobiert und es wurde auch vieles an Neu-erungen und qualitativen Verbesserungen umgesetzt, aber mehr können die Leute einfach nicht leisten. Da

Ressourcen. Lokale Vernetzung und Aktivie-rung im Sozialraum:Mehrgenerationenhäuser als kommunale Partner für lokale Vernetzung und Aktivierung von Ressourcen im Sozialraum.

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muss jetzt der nächste qualitative Sprung kommen in Form von mehr Personal, besser ausgebildetem Per-sonal und auch mit mehr Geld.)

Kerstin Wiehe: Das sollte jetzt in unser Konzept einleiten und auch in das gemeinsame Ziel der Bil-dungsarbeit in der Bildungsinitiative „Wrangelkiez macht Schule“. Es gibt sie seit 2005. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, allen Kindern, Jugendlichen und deren Familien im Wrangelkiez als sozialem Brenn-punkt gleiche und gute Bildungschancen zu ermögli-chen. Das ist ein hohes Ziel und wir arbeiten uns da

in kleinen, gemeinsamen Schritten langsam hin.Dabei geht es darum, vorhandene Ressourcen zu bündeln und neue Ressourcen zu erschließen. Und in diesem Kontext ist auch das Nachbarschaftsheim Centrum als Mehrgenerationenhaus für uns ein ganz wichtiger Partner. Das Nachbarschaftshaus als Mittelpunkt des Kiezes und auch in gewisser Weise als Mittelpunkt des Netzwerkes seit 2005, seitdem sich immer mehr Partner dort fest einbeziehen las-sen, Kitas, Grundschule, jetzt Sekundarschule, aber auch das Nachbarschaftshaus Centrum Mehrgene-rationenhaus, die Bibliothek, Volkshochschule, viele Jugendprojekte, viele freie Träger. Also es sind wirk-lich viele Partner, die kontinuierlich mit uns zusam-men arbeiten.Wir haben uns von Anfang an auch ein pädago-gisches Dach gegeben, indem wir vorurteilsbewusst mit den Menschen aus dem Kiez zusammenarbei-ten wollen. Ich weiß nicht, ob Sie den Begriff „vorur-teilsbewusst“ kennen, im Englischen auch Anti-Bias genannt. Dabei geht es darum, den Menschen ent-gegenzutreten ohne sie in Schubladen zu schieben, ohne sie abzuwerten, aber sich auch seiner eigenen Vorurteile bewusst zu sein. Das versuchen wir konti-nuierlich mit den einzelnen Einrichtungen umzuset-zen und steht als verbindender Gedanke da.Welche Werkzeuge haben wir in dem Bildungsnetz-werk? Einerseits haben wir ein gemeinsames Hand-lungskonzept erarbeitet, das inzwischen zweimal mit allen am Bildungsnetzwerk beteiligten Akteuren fort-geschrieben wurde. Wir haben thematische Arbeits-gruppen nach Bedarf. Das heißt, wenn es Themen gibt, die gemeinsam noch vertieft werden sollen, dann bilden sich daraus Interessensgruppen bzw. Arbeitsgruppen, aber wir haben auch monatliche Steuerungsgruppen und ein Plenum.Auch da ist das Nachbarschaftshaus Centrum Mehr-generationenhaus ein wichtiger Partner, denn wir

versuchen, die Inhalte und Ziele gemeinsam umzu-setzen. Das bedeutet konkret, dass wir gemein-same Modellprojekte entwickeln, die auch durch die Verbindung mit der „Sozialen Stadt“ und durch die Finanzierung des Mehrgenerationenhauses modell-haft erprobt werden. Wir versuchen auch, diese Projekte zu verstetigen, was nicht immer gleich gut gelingt. Das ist klar, wenn man Geld reingibt, braucht man oftmals auch längerfristig Mittel, wenn man neue Ansätze entwickelt hat, die gut funktionie-ren. Aber wir haben darüber auch einen sehr großen Zusammenhalt zwischen den Einrichtungen bewir-ken können.Wir haben eine gemeinsame Öffentlichkeitsarbeit konzipiert. Unter anderem wurde so der Bau eines Lehmofens bekannt, der im Nachbarschaftshaus Centrum von einem lokalen Künstler entwickelt und umgesetzt wurde. Auch da sind externe Mittel rein-gefl ossen, die das Nachbarschaftshaus Centrum als Mehrgenerationenhaus akquiriert hat, nämlich von der Sparda-Bank, die dann dort mit ehrenamtlichem Einsatz mitgebaut haben.Also man sieht, dass es viele Ressourcen gibt, die wir bündeln, strukturieren und die dann aber wie-derum auch viele neue Ressourcen freisetzen. Als Netzwerk versuchen wir auch gemeinsame Förder-mittel zu akquirieren, wozu wir vorher analysieren, was inhaltlich wichtig ist. So konnten wir über das Nachbarschaftshaus Centrum Mehrgenerationen-haus einen größeren Antrag mit dem Fokus auf die Zusammenarbeit mit Familien stellen. Dieser Antrag wurde bewilligt und aus diesen Mitteln werde ich als Prozessmoderatorin seit zwei Jahren – und hoffent-lich auch in den nächsten zwei Jahren – fi nanziert, weil auch die „Soziale Stadt“, worüber meine Finan-zierung vorher lief, immer nur für einen bestimmten Zeitraum fördern darf. Man sieht, es ist eine große Ressource, aber man hangelt sich von Förderpro-

gramm zu Förderprogramm. Aber der Aufbau von Strukturen braucht Geld und Zeit.Das betrifft auch ein Bildungsnetzwerk. Es wird immer von allen gefordert, das nebenher und zusätzlich zu machen. Aber letztendlich braucht man nachhaltige Strukturen, was nicht ohne weiteres innerhalb der Struktur eines bestehenden Hauses mitgeleistet werden kann, sondern es sind perso-nelle Ressourcen nötig. Die hatten wir bisher auch, was auch ein Vorteil des Mehrgenerationenhauses im Nachbarschaftshaus Centrum ist. Dort wurde eine zusätzliche Stelle fi nanziert, die eine intensive Netzwerkarbeit aus dem Haus heraus ermöglicht hat. Das ist eine Ressource, die uns sehr viel genützt hat. Wenn die MGH nicht weiter fi nanziert werden sollten, muss man allerdings prüfen, wie das länger-fristig vom Haus gestemmt werden kann.Stolpersteine: Prozessmoderation und alle Prozesse brauchen eine Finanzierung, weil das nichts ist, was man von heute auf morgen realisieren kann. Woher soll die Finanzierung kommen? Wir sind immer gemeinsam auf der Suche nach neuen Wegen, dieses notwendige Geld aufzutreiben.

Personalwechsel in Einrichtungen betrifft natürlich explizit auch Ehrenamtlichkeit. Ehrenamtliche sind keine Personen, die man kontinuierlich einplanen kann. Also auch da muss man ständig neue Bezie-hungsarbeit leisten, was für ein Netzwerk absolut wichtig ist, denn Vertrauen ist die wichtigste Basis der Netzwerkarbeit.Und der Transport der pädagogischen Konzepte, die man gemeinsam entwickelt hat, auch in die Tiefe der Einrichtungen, auch das braucht Zeit und kann unterschiedlich schnell vollzogen werden.

Birgit Monteiro: Vielen Dank, Kerstin Wiehe. Es folgt Gabriele Annen aus Berlin-Moabit.

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Gabriele Annen: Ich möchte Ihnen vorstellen, wie das Mehrgenerationenhaus Moabit durch intensive Vernetzung, Abstimmung der Angebotspalette und konsequente Orientierung an den Bedarfen im Sozi-alraum Familienbildung anbietet. Damit erreichen wir Familien aus dem Sozialraum und sogar die sogenannten bildungsfernen Familien.Aus der Sozialraum-Studie des Quartiersmanage-ments Berlin Moabit West von 2009 habe ich einige Merkmale unseres Sozialraumes zusammengestellt, um zu zeigen, was die Problemlagen in unserem Bezirk sind: Es gibt Arbeitslosigkeit, Armut, es sind fehlende Berufsabschlüsse, schlechte Deutschkennt-nisse und es herrscht ein geringes Bildungsniveau.In unserem Sozialraum liegt der Anteil der Personen mit Migrationshintergrund bei 49,6 %. Von den Bewohnern im erwerbsfähigen Alter gehen nur 49 % einer Arbeit nach, in Migrantenfamilien sind Arbeitslo-sigkeit und fehlende Berufsabschlüsse extrem hoch.Es gibt ein unterdurchschnittliches Einkommensni-veau, besonders bei Familien mit Kindern, armuts-gefährdet sind 21 % der Menschen. In einem Drittel der Familien mit Migrationshintergrund wird kein Deutsch gesprochen. Die Ernährungssituation und die Ernährungsgewohnheiten sind dringend verbes-

serungsbedürftig. Ein erheblicher Teil der deutschen Familien sucht sich für ihre Kinder Kita- und Grund-schulplätze außerhalb des Brennpunktes.Gegen Arbeitslosigkeit und Armut haben wir keine Lösungen, weil das Themen der Politik sind und nicht der Mehrgenerationenhäuser, denn da geraten wir sehr schnell an unsere Grenzen. Mit geringfügigen Beschäftigungen und kleinen Aufwandsentschädi-gungen erreichen wir keine Lösungen und schaffen wir das Problem nicht weg.Welche Ziele leiten wir aus der Lage für die Famili-enbildung ab? Gezielt gehen wir in unserem Bezirk die Verbesserung von Bildungschancen an, die Stär-kung von Elternkompetenzen, die Integration der verschiedenen ethnischen Gruppen und die Weiter-entwicklung des bürgerschaftlichen Engagements, was nicht immer bürgerlich sein muss.Erreichen möchten wir Familien aus unserem Sozi-alraum: Familien mit Migrationshintergrund, Mittel-schichteltern mit ihren Kleinkindern, die Eltern der Kita-Kinder, die Eltern der Schulkinder unserer drei Kooperationsschulen. Darüber hinaus wollen die Nachbarn erreichen, Ehrenamtliche und Senioren, Firmen und Gewerbetreibende aus dem Bezirk.Um das zu schaffen, haben wir die offenen und prä-ventiven Angebote wie die Begegnungsstätte, die Kita, die Familienbildung und die Erziehungs- und Familienberatungsstelle aufgebaut und unter einem Dach, nämlich dem MGH SOS Kinderdorf Berlin-Moabit zusammengefasst. Vorbild dafür waren die Early Excellence Centres, die schon in den 90er Jah-ren in England entwickelt wurden. Das war ein sehr erfolgreiches Konzept für integrative Familienarbeit und den Aufbau von Familiennetzwerken.Wir schaffen einen offenen Raum für die Begegnung von Kulturen und Generationen mit unserem Famili-entreffpunkt. Dort bieten wir Frühstück, Mittagstisch und ein Familiencafé. In unserer Integrationskita mit

den Schwerpunkten Sprachförderung und gesunde Ernährung bieten wir Kinderbetreuung mit bedarfs-gerechten Zeiten an. Unsere Familienbildung hat die Schwerpunkte Sprache, Gesundheit und Erziehung. Dazu bauen wir ein Kursangebot für die ganze Fami-lie auf. Und in der interkulturellen Familienberatung beraten wir Familien, Paare und Jugendliche oder Kinder mit muttersprachlichen Beraterinnen.Mit welchen Strategien erreichen wir die Familien im Kiez? Die Anbindung von Familienbildungsangeboten an die Kita bringt verkürzte Wege und den Abbau von Schwellenängsten. Die Besucher kommen fast von ganz alleine in Kontakt mit den vielfältigen Möglich-keiten, die sich ihnen bieten. So nehmen Kita-Mütter zum Beispiel an Deutschkursen teil, Teilnehmer der Frühförderkurse melden ihre Kinder in der Kita an, usw., also es gibt viele Beispiele.Gelingt es in einem Bereich durch qualitätsvolle Arbeit bei den Familien Vertrauen herzustellen, dann überträgt sich das oft auch auf andere Bereiche. Sie erhalten sozusagen einen Vertrauensvorschuss, wodurch man auch leichter Kontakt zu den Familien bekommt.Durch bereichsübergreifende Programme wie Fun oder Rucksack kommen die Eltern in Kontakt mit den Mitarbeitern aller vier Bereiche. Sie lernen Gesichter kennen, sie lernen die Personen kennen, die hinter den Namen stehen. So etwas begünstigt die interne Vernetzung der offenen Angebote und ihrer Nutzer durch gemeinsame Programme oder Veranstaltungen.Der persönliche Kontakt erleichtert das Wahrneh-men von Angeboten, besonders in der Erziehungs- und Familienberatung, wo Menschen natürlich Hemmungen haben, mit ihren Problemen hinzuge-hen.Wichtig sind auch die Kontinuität der Personen und eine Strategie der kleinen Schritte mit viel Geduld

für Prozesse. Für das MGH bedeutet das die Ein-stellung von festen und qualifizierten Mitarbeitern, weil sich nicht alles über Honorarkräfte und ehren-amtliche Mitarbeiter lösen lässt.Die externe Kooperation mit drei Schulen im Sozi-alraum und das Vorhalten von Schulstationen dort sind ein enormer Pluspunkt und ein strategisches Pfund. Über die Förderangebote für die Kinder, Ferienprogramme, Sprachförderung, Hausaufga-benbegleitung und Trainings für soziale Kompetenz erreichen wir in der Regel auch die Eltern. Wir haben ebenfalls mit zwei Kitas Kooperationsprojekte (Ruck-

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sack) und Initiativen (Gesunde Kita). Des Weiteren sind wir extern vernetzt mit anderen freien Trägern für gemeinsame Familienbildungsangebote, zum Beispiel ein Romaprojekt, Spielplatzbetreuung oder Mütterberatung.Wenn Sie jetzt denken: Oh je, einmal in den Fängen von SOS-Kinderdorf, dann kommt man da nie wie-der raus, dann kann ich Sie beruhigen. Trotz eines zugegebenermaßen raffi niert gesponnenen Netzes gibt es doch noch vereinzelte Menschen, die nur ihr Kind in die Kita bringen oder einfach nur zum Mitta-gessen kommen.Es ist uns sehr bewusst, dass gerade in einem solch verwobenen System das Einhalten von Datenschutz eine entscheidende Rolle spielt. Genauso wie Ver-trauen gewonnen werden kann, überträgt sich auch Misstrauen auf alle Bereiche. Nur wenn nicht über, sondern mit den Menschen gesprochen wird, kann MGH ein Erfolgsmodell sein.Damit wird deutlich, dass die Haltung unserer Mitarbeiter, mit der sie Familien begegnen, eine ausschlaggebende Rolle für den Erfolg oder Miss-erfolg eines Mehrgenerationenhauses spielt. Es sind nicht nur die strukturellen Vorgaben. Wenn wir Menschen erreichen und integrieren möchten, sind Offenheit und interkulturelle Kompetenz bei den Mitarbeitern eine selbstverständliche Vor-aussetzung. Mitarbeiter sind Vermittler zwischen den Kulturen und Repräsentanten für die Idee des Hauses.Durch das Einstellen von multikulturellen Teams mit verschiedenen Sprachkompetenzen und dem Ein-satz von zusätzlichen Kulturvermittlern erleichtern wir auch Familien mit Migrationshintergrund den Zugang zu unseren Angeboten.Durch das Einsetzen von Eltern als Multiplikatoren bei Rucksack oder geringfügig Beschäftigten im Ser-vice oder als Honorarkraft in der Familienbildung

schaffen wir eine hohe Identifi zierung mit dem MGH und seiner Arbeit. Diese Menschen sind meist auch eine starke Brücke zum Sozialraum und bringen wie-derum neue Menschen ins Haus.Wir bieten eine hohe Beteiligungskultur und Ein-bindung der Besucher in die Angebotsstruktur, zum Beispiel den Café-Rat, Selbsthilfe-Initiati-ven, Ehrenamt, kleine Jobs, Honorartätigkeiten, unterstützte Selbstständigkeit. Die Unterstützung kleiner Selbstständigkeiten ist in der Regel ein zweischneidiges Schwert, zumindest ist das unsere Erfahrung. Wenn es gelingt, dann ist es eine wun-derbare Erweiterung des Angebotes. Manchmal aber sind die Projekte nicht realistisch genug und die fehlenden Fertigkeiten können auch durch Unterstützung nicht ausgeglichen werden. Mas-sage-Angebot, Catering, Second Hand-Laden sind versucht worden, aber der Second Hand-Laden ist nicht geglückt.Was aber äußerst positiv und attraktiv von den Menschen im Sozialraum wahrgenommen wird, das ist die bunte Mischung von Menschen aus ver-schiedenen Kulturen, Milieus und Generationen und das lebendige Miteinander. Hier potenzieren sich nicht die Problemlagen und es ist kein Getto im Getto entstanden, sondern Menschen engagie-ren sich, vernetzen sich in Eigenregie und - das Wichtigste – sie begegnen sich.Deshalb möchte ich gerne mit einem Zitat von Lore-Lillian Boden schließen: „Jede Begegnung, die unsere Seelen berührt, hinterlässt eine Spur, die nie ganz verweht.“

Birgit Monteiro: Vielen Dank, Gabriele Annen! Wir hören jetzt Barbara Winter, die Beauftragte für Öffentlichkeitsarbeit und Kooperation mit der Wirt-schaft im SOS Kinderdorf Berlin-Moabit.

Barbara Winter: Ich präsentiere in dieser Runde den letzten Vortrag. Ich möchte daran anknüpfen, was Gabriele Annen über die interne Vernetzung gesagt hat, die wir innerhalb der Bereiche im MGH SOS Kinderdorf haben. Außerdem haben wir die externe Vernetzung mit Schulen, anderen Kitas und anderen freien Trägern.Mein Thema ist die externe Vernetzung mit Unter-nehmen im Sozialraum, die Kooperation mit der Wirtschaft, die ja auch zu den Leitlinien der Mehrge-nerationenhäuser gehört.Wir verfolgen in diesem Zusammenhang vier ver-schiedene Ziele. Wir möchten unseren Nutzern Perspektiven geben. Dafür stellen wir bereits Grund-schulkindern die Berufsvielfalt vor. Wir wenden uns an Unternehmen, die ihre Türen öffnen, damit auch schon Kinder aus der 4. Klasse Berufe kennen ler-nen können, indem Klassen Unternehmen besu-chen und sehen, wie Wirtschaft funktioniert oder welche Berufe es gibt. Damit zeigen wir den Kindern Perspektiven bzw. Berufswünsche, die über Foto-modell, Fußballstar oder Hartz IV hinausgehen. Wir machen mit den Klassen Besuche in Unternehmen, zum Beispiel in einer Kfz-Werkstatt oder einer Bank, andererseits kommen aber auch Mitarbeiter in die Schule, um die Inhalte zu vertiefen. Das zweite Ziel ist, dass wir das Know-how von Fach-leuten aus der Wirtschaft nutzen möchten. Niemand kann alles wissen und alles tun, deshalb nutzen wir gerne das Know-how von anderen, von den Unter-nehmen, mit denen wir in Kooperation stehen. Ein Beispiel ist ein IT-Unternehmen, das uns immer wieder eine sehr nette Mitarbeiterin zur Verfügung stellt, die unsere PCs installiert, die Lernprogramme bei den Kita-PC’s installiert und auch einen PC-Kurs für Erwachsene gibt.Das Ziel Nr. 3: Wir möchten unser Angebot erweitern. Da zählen wir sehr auf die ehrenamtlichen Mitarbei-

ter, die für uns Kurse und Ausfl üge organisieren. Sie gehen mit den Kindern aus dem Familientreff oder aus den Kinderdorf-Familien in die Oper oder ins Theater und sie sind als Lesepaten vor Ort.Ziel Nr. 4: Wir wollen mit der Wirtschaft zusammen Projekte entwickeln. Da geht es dann vor allen Din-gen um Spenden, die wir gezielt für unsere beson-deren Schwerpunkte nutzen. Im Moment bauen wir zum Beispiel ein Musikprojekt auf. Wir haben aus-gebildete Musiklehrer gewonnen, die Kindern, deren Eltern sich das sonst nicht leisten könnten, Einzel-Instrumentalunterricht geben. Dazu brauchen wir die Spenden von Unternehmen.Wie begegnen wir den Unternehmen? Wir als MGH verstehen uns als Partner für die Unternehmen, weil beide Seiten von dieser Kooperation profi tieren. Wir sehen uns nicht als Bittsteller, während sich die Unternehmen auch nicht als Gönner sehen, denn beide Seiten haben etwas davon.Vorteile für das Unternehmen sind: Die sogenannte Corporate Social Responsability ist verstärkt Thema, was bedeutet, dass Unternehmen gerne ihre Mitar-beiter motivieren und dazu anhalten, dass sie sozi-ale ehrenamtliche Arbeit übernehmen. Das wird zur Bindung der Mitarbeiter an das Unternehmen einge-

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setzt, wir tun etwas mit euch im sozialen Bereich zur Förderung des Teamgeistes. Dadurch wird die sozi-ale Kompetenz der Mitarbeiter gestärkt. Die Unter-nehmen sagen uns auch immer wieder, dass durch diese Projekte im sozialen Bereich neue Ideen für ihre eigene Arbeit entstehen, sie bekommen einen neuen bzw. anderen Input. Zudem bekommen die Mitarbeiter und die Unternehmen einen Einblick in einen anderen bzw. neuen Markt.Für mittelständische und kleinere Unternehmen in unserem Sozialraum ist es ein Vorteil, dass sie einen höheren Bekanntheitsgrad erreichen kön-nen, wodurch sie auch wieder mehr Auszubildende bekommen. Wir leisten auch konkrete Unterstützung bei Firmenfesten, indem wir zum Beispiel die Kin-derbetreuung übernehmen oder den Unternehmen Räume anbieten können, die sie auch für kleine Tagungen nutzen können.Die Vorteile für uns, also für das MGH, liegen auch auf der Hand. Wir können unsere Angebote erwei-tern, indem wir das Know-how von anderen nutzen; wir sind noch intensiver im Stadtteil vernetzt und wir können selber Kompetenzen gewinnen. Was uns auch sehr wichtig ist: wir können die positive Entwicklung unseres Stadtteils noch umfassender unterstützen. Wir sind zum Beispiel Mitglied im Unternehmensnetzwerk Moabit geworden, das nicht nur dafür da ist, die wirtschaftliche Entwicklung zu fördern, sondern das auch den ganzen Stadtteil und das soziale Leben im Blick hat und unterstützt.Was ist wichtig bei der Kooperation mit der Wirt-schaft, wenn wir Unternehmen ansprechen? Zuerst muss man schauen, welche Branchen und Unternehmen zu unserem eigenen Bedarf pas-sen. Natürlich müssen wir da auch offen sein für Überraschungen. Wir sind zum Beispiel bei unseren Recherchen auf einen Kulissenbauer gestoßen, der große Kulissen für Fernsehfi lme macht. Das war ein

Zufallsfund, wir hatten nicht direkt danach gesucht. Aber seien Sie offen für Überraschungen!Ganz wichtig ist auch eine langfristige Zusammenar-beit über entsprechende Kooperationsverträge. Viele Unternehmen meinen, dass sie keinen offi ziellen Koo-perationsvertrag brauchen und machen das gerne mit Handschlag. Das funktioniert auch sehr gut. Aber wichtig ist, diese Unternehmen über konkrete Abspra-chen hinaus immer wieder einzubinden. Wir laden sie zu Vernissagen oder Kulturveranstaltungen ein.Außerdem sollte man die eigenen Ziele und Inter-essen und die der Unternehmen offen ansprechen. Das ist in der weiteren Zusammenarbeit immer ein wichtiger Punkt, damit keine falsche Erwartungshal-tung entsteht. Man darf selber die Hürde nicht zu hoch setzen oder zu viel versprechen, was anders-herum auch für die Unternehmen gilt. Wenn man sich von Anfang an auf gleicher Ebene trifft, dann kommen alle weiter. Sich darauf zu einigen, das hat uns immer sehr geholfen. Ganz wichtig ist auch, dass es innerhalb des MGH’s einen kontinuierlichen Ansprechpartner gibt, der diese Kooperationen ein-fädelt, leitet, begleitet und langfristig mit den Unter-nehmen zusammenarbeitet.

Birgit Monteiro: Rückfragen an die Referenten kön-nen Sie jetzt und heute Abend in der Mehrgenerati-onen-Lounge ab 17.30 Uhr stellen.

Wolfgang Neumüller: Ich komme aus dem MGH Nürnberg. Wie hoch ist der Stundenaufwand, um diese Kontaktpfl ege mit der Wirtschaft erfolgreich betreiben zu können?

Barbara Winter: Das ist schwierig zu beantworten. Ich würde von 15 bis 20 Stunden pro Woche ausge-hen, wenn man das richtig ordentlich machen will und immer am Ball bleiben will.

Teilnehmerin aus dem MGH Hof: Wir haben in Hof ein ähnliches Konzept wie Moabit. Wie viele Mitar-beiter sind mit welchem Stundenumfang dort tätig? Das geht ja nicht alleine aus den Projektmitteln.

Gabriele Annen: Also fi nanziert bekommen wir genau das Gleiche wie überall, also eine halbe Stelle. Wir haben insgesamt aber um die 50 Vollzeitstellen. Wir haben ja noch schulbezogene und stationäre Ange-bote, da haben wir an die 54 Vollzeitstellen. In dem offenen Bereich, den ich vorgestellt habe, arbeiten ungefähr 20 Vollzeitstellen.

Monika Neumann: Ich komme aus dem MGH in Gerolstein in der Vulkaneifel, also weit weg von Berlin. Dennoch ist unser Ort durch den Sprudel bekannt, der bei uns hergestellt wird. Uns ist es bis jetzt nur über ein kleines Projekt gelungen, den Kontakt zum Gerolsteiner Sprudel zu gewinnen. Ich stelle immer wieder bei den Kooperationsbemühungen fest, dass es nur über ganz persönliche Kontakte läuft. Uns fällt es nach wie vor schwer, den Unternehmen klar zu machen, was ein Mehrgenerationenhaus bieten kann, also die Win-Win-Situation darzustellen. Wenn man jemanden persönlich kennt, der ein Unterneh-men hat, dann fl ießen schon mal Spenden, aber dauerhaft ist dann noch nichts geschehen. Wie ist Ihnen diese Win-Win-Situation gelungen?

Barbara Winter: Ich kann Ihnen nur zustimmen, es funktioniert sehr häufi g über persönliche Kontakte. Deshalb sind wir auch in dieses Unternehmensnetz-werk in Moabit eingetreten, weil wir da im Moment 25 Unternehmen haben, die für uns greifbar sind und die wir ansprechen können.Wenn es in Gerolstein oder in der Umgebung ähn-liche Netzwerke von Unternehmen gibt oder Lions Club oder Rotary, also Vereinigungen, wo viele Unter-

nehmer zu fi nden sind, wenn man sich da bewegt, hat man viele Chancen. Aber es muss immer über einen persönlichen Kontakt laufen bzw. es muss immer einen Ansprechpartner geben, der angerufen oder angemailt werden kann.Wir haben den Vorteil, dass wir nicht nur Mehrge-nerationenhaus sind, sondern auch SOS-Kinderdorf. Ich muss zugeben, da hilft uns unser Name wirklich sehr, weil die Firmen damit etwas Positives verbin-den können. Was ein MGH ist, das erklären wir ihnen eher in einem zweiten Schritt.

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Kaffeepause Improvisationstheater

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Input:Christoph Linzbach Unterabteilungsleiter in der Abteilung Ältere Menschen, Wohlfahrtspfl ege, Engagementpolitik im BFMFSJSigrid KlebbaLeiterin der Abteilung III, Jugend und Familie, Landes-jugendamt, Senat von BerlinDr. Gabriele SchlimperLeiterin der Geschäftsstelle Bezirke des Paritä-tischen Wohlfahrtsverbandes BerlinDr. Manfred ThunsBereichsleiter Soziale Dienste beim Caritas Verband für das Erzbistum BerlinAnke OttoBezirksstadträtin für die Abteilung Jugend, Schule und Umwelt in Berlin Steglitz-ZehlendorfBirgit MonteiroGeschäftsführerin des VSKADjamila YounisKoordinatorin Mehrgenerationenhaus Berlin-Mitte,KREATIVHAUS e.V.Moderation:Timm LehmannLeiter Mehrgenerationenhaus Phoenix, Berlin-Zehlendorf, Mittelhof e.V.

Ausschnitt aus der Diskussion

Sigrid Klebba, Senatsverwaltung für Bildung, Wis-senschaft und Forschung, Landesjugendamt, Abt. Jugend und Familie: Vernetzung ist tatsächlich eines der schwersten Dinge. Und Vernetzungsarbeit ist nicht ohne Man- und Woman-Power zu machen. Man denkt immer, man muss nur zusammenkommen und dann geht das alles schon. Nein, diese Vernetzungen kosten nicht nur Kraft, sondern sie brauchen auch personellen Einsatz. Auch das muss mitgedacht wer-den in einer Verzahnung von unterschiedlichen Ein-richtungen der Bürgerbeteiligung im Stadtteil.Wir wollen uns einbringen. Der Bund hat jetzt für Januar eingeladen, auch uns als Verwaltung, um über die Fortsetzung des Mehrgenerationenhaus-Programms ins Gespräch zu kommen. Genau das wollen wir nutzen, um diesen Gedanken der Sozial-raumorientierung möglichst punktgenau zu verfolgen und die wenigen Mittel, die wir haben, so effi zient wie möglich einzusetzen. Und damit eben gerade für dieses Angebot das Bestmögliche herauszuholen.Anke Otto, Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf von Berlin, Bezirksstadträtin für Jugend, Schule und Umwelt: Das ist völlig richtig, in der Sache sind wir uns einig. Es

wäre wirklich ein Armutszeugnis der Politik, egal, ob Bund oder Land, wenn wir das, was ja im Moment sehr deutlich von der Bevölkerung kommt, nämlich der Wunsch nach Partizipation, der Wunsch nach ehrenamtlichem Engagement, aber auch nach Mit-sprache, wenn das durch eine Situation, wo der Geld-hahn zugedreht würde, plötzlich wieder daniederläge. Dann würde der ganze Wert, der dadurch zusätzlich entstanden ist, wirklich nicht mehr da sein.Ich halte es aber für eine Illusion zu meinen, man för-dert solche Mehrgenerationenhäuser für fünf Jahre, dann haben sie sich etabliert, und dann sollen mal diejenigen, die die Häuser tragen, zusehen, wo sie das Geld herkriegen. Das halte ich für falsch.Folgendes muss von der politischen Seite her klar sein, und ich spreche natürlich jetzt für die Politik, allerdings erst mal nur für meinen Bezirk: wenn wir für die Men-schen in der Kommune und im Land Orte und Struktu-ren schaffen wollen, die es ermöglichen, sich noch viel besser als früher zu beteiligen und die eigenen Inter-essen auch zu artikulieren und dabei unterstützt zu werden, dann müssen wir eine fi nanzielle Grundversor-gung gewährleisten. Es muss dann ein Grundstock da sein, auf dem aufbauend sich etwas entwickeln kann und weitere Ressourcen entstehen können.

Wir haben das als Bezirk glücklicherweise hinge-kriegt, dass wir eine ganz gute Finanzierung für unser Mehrgenerationenhaus haben. Ich gehe davon aus, dass wir das trotz aller vorhandenen Sparzwänge auch weiter so gewährleisten werden.

Timm Lehmann, MGH Berlin-Zehlendorf: Zu dieser Einladung vom Bund könnte man auf Senatsebene den Gedanken mitnehmen, dass – zumindest aus unserer Sicht, der Nachbarschaftssicht – sehr res-sortübergreifend gedacht werden sollte. Es wäre hilfreich, wenn nicht nur Soziales und Sie, Frau Klebba, oder nur Sie oder nur Soziales, sondern noch mehr Verwaltungen in diese Gespräche ein-bezogen werden.

Herbert Scherer: Ich habe mich hier noch mal hin-gesetzt, obwohl das ein bisschen unfair ist, weil ich vorhin schon die Gelegenheit hatte, was zu sagen. Aber mich provoziert doch einiges, was jetzt hier in dieser Runde gesagt wurde.Zum einen die Frage: Wer blamiert sich? Eine Kolle-gin sagte, dass die Politik sich blamiert. Ich glaube, die Blamage ist ein bisschen größer. Als das Pro-gramm aufgelegt wurde, ist ja von den Ministerien

Generationen- und ressort-übergreifende Arbeit: Wer profi tiert? Diskussionsrunde (Fishbowl) mit Vertretern aus Bund, Land, Kommune, Verbänden und Einrichtungen

Diskussion

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der Länder zumindest die Zustimmung zu etwas gekommen, was nachhaltig sein soll. Also die Bun-desregierung hat das damals schon relativ klug veranstaltet. Auch alle Träger wussten, dieses Pro-gramm soll endlich sein, also zeitlich begrenzt. Und die Blamage ist umfassend, weil wir uns angewöhnt haben, an alles, was wir versprechen, oder an alles, was wir fordern, sowieso nicht zu glauben.Bei jedem Arbeitsförderprojekt ist heute das Ver-sprechen der Nachhaltigkeit auf Dauer einfach Teil der Lyrik beider Seiten, der Fördergeber und der Förderbeantrager. Ich fi nde, es ist nicht einfach nur die Bundesregierung, die sich blamiert. War unser Glaube an Nachhaltigkeit eine Illusion? Hätten wir dann nicht gleich darüber reden können?Ich fi nde es ist fatal, was Frau Klebba sagt, was übrigens auch noch mal das Dilemma Berlins zeigt: es wird die Verwaltung eingeladen, und die Verwal-tung war auch beteiligt an der Zustimmung vor fünf Jahren, als die Ressourcen abgegeben wurden für diesen Bereich. Also das heißt, nicht die Sozialver-waltung, wo das Geld ist, wird eingeladen, um sich über die Zukunft zu unterhalten, sondern die Jugend-verwaltung, die die fi nanzielle Verantwortung an eine andere Verwaltung abgegeben hat. Das haben

die im Bund irgendwie noch nicht begriffen, dass es einfach blöd ist, wenn man denjenigen einlädt, der leere Taschen hat.

Die Frage von Timm Lehmann ist nicht beantwor-tet worden, auch von Frau Klebba nicht. Finden Sie das eigentlich eine gute Idee, dass der Bund mög-licherweise eine fi nanzielle Beteiligung vor Ort zur Förderbedingung machen will?

Ich sehe dies als eine gute Bedingung an. Und ich hoffe, dass das ernst genommen wird, weil es unter lobbyisti-schen Gesichtspunkten immer etwas schwierig ist, so etwas durchzuhalten, wenn das nämlich dann wieder dazu führt, dass der Schwarze Peter herumgereicht wird. Auf Dauer werden wir nämlich in drei oder vier Jahren genau das gleiche Dilemma haben wie heute, dass die Mehrgenerationenhäuser, statt da anzukom-men, wo sie hingehören, vor Ort, in die Kommune oder in den Bezirk, sich weiterhin ausschließlich am Bund orientieren. Der Bund kann das nicht auf Dauer för-dern. Das ist auch gar nicht richtig so, sondern das gehört in die Regelstrukturen vor Ort. Und die Chance wird eher genutzt, wenn man Schritt für Schritt in diese Richtung geht.

Es ist schlecht, wenn aufgrund der Illusion, dass es sowieso irgendwie weitergehen wird, die Zeit versäumt wird, vor Ort anzukommen. Da sehe ich eine Gefahr. Das Signal einer zeitlichen Begrenzung, das heute von dem Kollegen vom Ministerium gekommen ist, wurde hier von der Caritas aufgegriffen - aber durch den Flurfunk wird das gleich so interpretiert, dass es irgendwie weitergeht. Das ist eine große Gefahr. Ich fi nde, es ist noch ein bisschen Zeit, um zu versuchen sich fi nanziell vor Ort zu verankern, so weit es geht. Es wäre sehr schön, wenn dieser Prozess, dort anzu-kommen, abgefedert wird durch ein neues Programm. Aber fatal wäre, wenn man sich jetzt einfach neue För-derschwerpunkte diktieren lässt und wieder wie die Springprozession durch die Gegend zieht.

Timm Lehmann: Eigentlich kann man ja auch sagen, ein Modellprogramm wird aufgelegt, um zu gucken, ob das was Gutes ist, was man sich ausgedacht hat. Das beobachtet man fünf Jahre. Und ich höre von überall nur: wunderbares Modell, hat wunder-bar geklappt, ist genau der richtige Ansatz, ist die richtige Arbeit. Man könnte auch aufhören mit dem Modellprogramm, weil die Aufgabe des Modells erle-digt und auch fachlich ausdiskutiert ist.

Deswegen geht es jetzt darum, auch gegenüber den Nutzern und den Bürgern in die Verantwortung zu gehen und zu sagen: wir haben da was ausprobiert, das hat sich bewährt, ihr seid die Träger der Arbeit, jetzt sind wir keine Sondermaßnahme mehr, son-dern eine Regelmaßnahme.

Sigrid Klebba: Ich möchte darauf eingehen, dass ich mich um diese Frage, ob ein solches Finanzie-rungssystem Bund, Land, Kommune gut ist, herum-gedrückt habe. Ich habe sehr wohl zum Ausdruck gebracht, dass es ein wichtiges Steuerungselement ist. Allerdings, und das muss man mit aller Entschie-denheit fragen: wie soll es bei dieser Art der Gestal-tung in eine gemeinsame Finanzierung gehen?Man muss darüber reden, in welchen Schritten was entwickelt werden kann. Wenn man nur sagt, dass man ein Programm hat, das fünf Jahre läuft, wir haben xy Millionen, und die müsst ihr danach selber übernehmen - ich prophezeie, das wird man in keinem Bundesland und in keiner Kommune angesichts der knappen Ressourcen heutzutage schultern können. Man muss miteinander darüber reden, wie man über eine limitierte Förderphase hinaus, die der Bund ja jetzt dafür vorgesehen hat,

Diskussionsrunde: Generationen- und ressortübergreifende Arbeit

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möglicherweise zu einer dauerhaften Dreier-Förde-rung, es könnte auch noch mehr Förderer geben, gelangen kann.Dazu – so verstehe ich das – sollen Gespräche statt-fi nden. Ich hoffe nicht, dass alleine nur die Jugend-verwaltung dazu eingeladen ist, sondern dass diese Gespräche genauso mit Stadtentwicklung und Sozi-ales stattfi nden werden. Ich werde dort nachfragen, wie das aussieht, um das anzuregen.

Timm Lehmann: Nehmen Sie das Ressort Arbeit bitte auch gleich noch mit auf.

Sigrid Klebba: Ja. Aber man muss das in einen Strukturplan bringen, denn wir alle wissen, dass es auch für die kommenden Haushaltsberatungen für alle Beteiligten schwierig wird, egal, wie die Wahl hier in Berlin ausgehen wird. Je besser man vorher kommuniziert und sich einen Plan macht, wie das gehen kann, um so bessere Aussichten bestehen für die Umsetzung. Das ist der richtige Weg.

Evelyn Ulrich: Ich komme aus Berlin-Hohenschönhau-sen. Ich habe nur einen Wunsch, der das komplettiert, was gerade gesagt wurde: Wir sind ein Nachbarschafts-

haus, das durch den Bezirk befördert wird, insofern sind wir erst einmal nicht so sehr von diesem Programm betroffen. Aber natürlich sind wir trotzdem betroffen, weil die Diskussion um die Förderung von Mehrgenera-tionenhäusern natürlich alle Nachbarschaftsarbeit im Stadtteil betrifft. Auch wir brauchen eine abgesicherte Perspektive in dieser Stadt.Ich wünsche mir das, was von den Einrichtungen gewünscht wird, nämlich zu arbeiten mit Fami-lien, zu arbeiten mit gesonderten Programmen für Frauen, zu arbeiten mit Stadtentwicklung, zu arbei-ten mit Kulturangeboten, usw. Wobei von uns auch jetzt schon erwartet wird, dass wir in allen Ressorts präsent sind und die Sozialraumorientierung im wahrsten Sinne des Wortes leben. Vielleicht wäre es angebracht, alle diese Töpfe, die es in Berlin gibt, Förderprogramme für Frauen, Förderprogramme für MGH’s, Förderprogramme für Stadtteilzentren, Förderprogramme für Familienbildung, wirklich auf den Prüfstand zu stellen. Alles infrage zu stellen, um dann zu gucken, wie wir das sozialraumorientiert in den einzelnen Bezirken mit einer vernünftigen Finanzierung hinkriegen.Dabei will ich nicht infrage stellen, was an guter Arbeit geleistet wird. Also es geht mir nicht darum,

dass ich das Geld kriege, was einem Anderen zugedacht war. Aber wie kriegen wir eine gute Ver-netzung der Aktivitäten hin, die gefördert werden? Wird geguckt, ob es genug Angebote für Frauen in allen Stadtteilen gibt? Gibt es genug Angebote für Familienbildung in allen Stadtteilen? Gibt es genug Nachbarschaftseinrichtungen in allen Stadtteilen? Ich wünsche mir eine gerechtere Verteilung in Berlin und auch in anderen Städten.

Dr. Gabriele Schlimper, Paritätischer Wohlfahrts-verband Berlin, Leiterin der Geschäftsstelle Bezirke: Wenn ich es richtig verstanden habe, geht es schlicht darum, einmal aus dem Prozess rauszutreten, ihn von außen zu betrachten und zu überprüfen.Mir ist heute deutlich geworden, dass es mindestens zwei oder drei verschiedene Welten gibt. Es gibt die politische Interpretation dessen, es gibt die Interpre-tation der Verwaltung dessen, was möglich ist. Und es gibt die einzigen Expertinnen und Experten dazu, die überhaupt aus Expertenposition das einzuschätzen haben, das sind Sie! Sie, die in Mehrgenerationen-häusern arbeiten, die dieses Modellprogramm, was nichts weiter ist als beschriebenes Papier, zum Leben erwecken. Sie sind die Experten!

Wir hatten früher die 68er-Bewegung, heute haben wir die Stuttgart 21-Generation. Wir haben eine Ver-änderung in der Gesellschaft dahingehend, dass Bürgerinnen und Bürger merken, dass sie etwas aktiv bewegen und gestalten können. Sogar in Ber-lin gehen ruhige Hausbesitzer in Teltow und Klein-Machnow auf die Straße wegen des Fluglärms.Aus dieser Perspektive heraus sind auch die Ver-bände gefordert, wenn die Bürger sagen: Hört mal, liebe Verbände, wir erwarten von euch konkret das und das. Wir lassen uns nicht durch noch mehr För-derprogramme durchs Dorf treiben!Und eine Evaluation, so wunderbar die auch ange-dacht ist, kann sich doch nicht darin erschöpfen, wie es jetzt beim Bundesministerium ist, dass man die Zahl der Ehrenamtlichen zählt. Was sagt mir das? Ich weiß gar nichts am Ende. Auch bei Hertha BSC sind viele Ehrenamtliche dabei. Was sagt mir das am Ende? Selbst bei dem Bestattungsinstitut Grienei-sen arbeitet wahrscheinlich jemand ehrenamtlich. Also man muss gucken, was qualitative Weiterent-wicklung heißt, was heißt qualitative Ergebnissiche-rung? Dieses kann nicht durch ein Institut festgelegt werden, indem dort Zahlen aufgeschrieben werden, was Mehrgenerationenhäuser leisten. Da sind Sie

Diskussionsrunde: Generationen- und ressortübergreifende Arbeit

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gefordert, weil Sie die einzigen Expertinnen und Experten sind, auch uns Verbände zu fordern. Sie sind die einzigen Experten, die auch Forderungen an Verwaltung und Politik zu stellen haben, wie das wei-tergehen soll – und nicht umgekehrt: Sie sind nicht dazu da, der Politik und der Verwaltung das Leben leichter zu machen, sondern es muss umgekehrt sein. Da müssen wir alle wieder hinkommen.

Richard Palm: Ich bin vom MGH in Berlin-Reinicken-dorf. Wir sind auch ein Nachbarschaftshaus, also ein Stadtteilzentrum. Frau Schlimper, Viele Mehrge-nerationenhäuser haben Paten aus der Politik, das war ein Teil des Programms, die Häuser wissen das, dass die Bezirksabgeordneten oder die Bundestags-abgeordneten Paten für das Haus sind. Mittlerweile wird über die Verlängerung des Programms nach-gedacht. Es ist ein großer Erfolg, dass sowohl die Nutzer als auch die Mitarbeiter der Häuser Briefe an die Abgeordneten geschrieben haben, die das dann an das Ministerium weiterreichen. Die bekom-men säckeweise Post, sodass wir neulich auf dem Fachtag auch schon gehört haben: ja, ja, wir wissen es, danke, bitte schreibt jetzt keine Briefe mehr, es ist angekommen, es wird ein Programm geben, die

Ministerin hat gesagt, dass sie es macht. Also da ist alles durch, das wächst eben - wie bei Stuttgart 21 – von unten. Wenn wir nicht den Druck über die Poli-tik herstellen, dann passiert erst mal nichts bzw. es wird gesagt, dass wir uns keine Sorgen machen sol-len, weil es schon irgendwie gehen wird. So wie wir das bei den Stadtteilzentren in Berlin heute Vormit-tag auch gehört haben. Für 2011 ist es so, ab 2012 sehen wir es dann mal.Aber auch da muss man wieder in die Politik ein-steigen, da müssen wir uns alle zusammen politisch engagieren, um das weiter voranzutreiben, um die Arbeit weiter gestalten zu können. Das ist der Auf-trag, den die Mehrgenerationenhäuser begonnen haben umzusetzen. Ich denke, die Stadtteilzentren und Nachbarschaftshäuser im ganzen Bundesge-biet werden das ähnlich machen.

Timm Lehmann: Ich möchte diesen Appell noch etwas konkretisieren. Ich möchte mit Ihnen einen Blick in Ihren Outlook-Kalender 2011 werfen: Da steht als Aufgabe drin, die Mehrgenerationenhäuser und die Nachbarschaftsarbeit in der Region zu sichern. Was nehmen Sie sich für die erste Jahreshälfte vor? Wie wollen Sie diese Aufgabe unterstützen?

Gabriele Schlimper: Ich weiß, dass die Forderungen von Ihnen auch an uns herangetragen werden. Ich nehme heute defi nitiv mit, dass ich versuchen werde, den Paritätischen Gesamtverband auf Bun-desebene wachzurütteln. Ich werde verstärkt noch mal darauf aufmerksam machen, wie es mit dem Programm aussieht, wie es weitergeht und wie wich-tig das für uns ist.Ich werde Kontakt mit meinen Kolleginnen und Kolle-gen aus den anderen Landesverbänden aufnehmen und eruieren, wie die Situation dort wahrgenommen wird, um dann die heftige Kommunikation auf Bun-desebene zu führen. Manchmal ist der Weg durch die Instanzen der einfachste. Sofern wir hier in Berlin was tun können, werden wir versuchen, mit der zuständi-gen Senatsverwaltung im Gespräch zu bleiben.

Sigrid Klebba: Meine Haltung zu dieser Frage ist, dass die Arbeit bereits durch die Nachveränderung des Stadtteilzentrenvertrags begonnen hat. Wir haben begonnen, diese Vernetzung in eine konzep-tionell gute Struktur zu bringen, sodass zumindest das Sozialressort und die Jugendhilfe dort in einem guten Einklang miteinander sind.

Die weitere Aufgabe, die angedeutet wurde, ist selbstverständlich einerseits in einem Verbund über zukünftige Haushaltsmittel einen guten Überblick zu haben, was die Bezirke bzw. die Kommunen bie-ten und was der Bund leisten wird. Andererseits: wie kann man das am besten miteinander verzah-nen, - ich in meiner Verantwortung für Angebote der Familienbildung und der Familienförderung? Das ist letztlich die konzeptionelle Aufgabe, die durch viele Gespräche bewältigt werden muss, damit man jeweils Kenntnis des anderen Bereiches hat. Und das wird wahrscheinlich nicht bis zur Haushaltsauf-stellung beendet sein, sondern ist eine Aufgabe, die sich permanent durchziehen muss, damit wir dem sozialräumlichen Gedanken bestmöglich Rechnung tragen können.

Anke Otto: Wichtig wird im Januar, dass sehr genau geguckt wird, dass die veränderte Struktur zur Förde-rung der Stadtteilzentren wirklich weiterhin gut und effektiv bleibt, denn man kann ja über die Sinnhaf-tigkeit dieser Strukturveränderung treffl ich streiten.Ich war und bin in einem entsprechenden Kooperati-onsgremium für den Stadtteilzentrenvertrag und ich

Diskussionsrunde: Generationen- und ressortübergreifende Arbeit

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Diskussionsrunde: Generationen- und ressortübergreifende Arbeit

bin sehr interessiert daran, dass die Arbeit so wie ich sie in den letzten Jahren erlebt habe, tatsächlich auf dem gleichen Niveau weiter läuft. Und zwar auch dann, wenn die Arbeit jetzt von der Senatsverwal-tung koordiniert wird, was ich nicht für sinnvoll halte. Diesen Punkt sollten wir genau beobachten.Der zweite Punkt trifft Sie alle, mich natürlich glei-chermaßen: wir haben im nächsten Jahr die Wahl. Für alle Parteien muss klar sein, wenn sie sich zu die-sem Thema Ehrenamt und freiwilligem Engagement, Partizipation von Bürgerinnen und Bürgern, Stadtteil-zentren und Mehrgenerationenhäuser äußern, wie stehen sie dazu? Wie soll das gesichert sein? Gibt es konkrete Vorstellungen? Die Aufgabe von uns allen in Berlin wird sein, dazu eine klare Position zu entwi-ckeln und auch Antworten zu verlangen.

Manfred Thuns, Caritasverband für das Erzbistum Berlin, Bereichsleiter Soziale Dienste: Wir wollen ein stabiles Programm und vor allen Dingen nachhaltige Mehrgenerationenhäuser haben, die auf einer breiten Basis stehen. Ich glaube, was wir in der sozialen Arbeit wirklich neu lernen müssen ist, unsere eigene Inter-essenpolitik zu machen. Das ist auch eine neue Form von Protestbewegung. Auch wenn ich morgen in der

Zeitung nicht zitiert werden möchte „Die Caritas ruft jetzt auf zur Revolution gegen das politische Establish-ment“. Wir haben es ja unheimlich schwer mit unserer Lobbyarbeit, wenn es um die Rechte von benachteilig-ten Menschen geht. Es ist wahnsinnig schwierig, Kälte-hilfe immer wieder einzufordern, die für obdachlose Menschen im Winter geleistet werden muss, Existenz sichernde Maßnahmen. Sie wissen ja alle, wie schwie-rig auch nachhaltige Finanzierungen sind. Da stecken wir mittendrin in dem Dilemma von Förderlogik.Ich möchte, dass wir das alles für die Mehrgeneratio-nenhäuser lösen werden und dass wir in einem Jahr hier einen Fachtag veranstalten, der zeigen wird, was wir mit einer breiten Beteiligung all derjenigen, die die Mehrgenerationenhäuser tragen, geschafft haben.

Birgit Monteiro: Wir werden Mitgliedsorganisati-onen, aber auch Organisationen außerhalb unseres Verbandes, einladen, um gemeinsam ein Konzept für eine zukünftige soziale Struktur in Berlin zu erar-beiten. Wir werden nicht nur die im Vertrag Stadtteil-zentren oder in dem Nachfolgekonstrukt geförderten Einrichtungen einbeziehen, sondern auch alle ande-ren, die ähnlich gute Arbeit machen. Wir werden natürlich die Mehrgenerationenhäuser hinzuziehen,

mit denen wir jetzt spätestens durch diese Tagung in eine enge Zusammenarbeit getreten sind. Alles das hat eine Vorgeschichte, wir haben ja nicht bei der Stunde null begonnen. Auch die vielen anderen geförderten Einrichtungen, über das Quartiersma-nagement zum Beispiel, und auch Einrichtungen ohne Finanzierung, werden wir dazunehmen, damit wir gemeinsam ein Konzept für diese Stadt entwi-ckeln und das nicht anderen Gremien überlassen.Ein konkretes Anliegen für uns als Verband habe ich noch. Ich hoffe, dass diese Diskussionsrunde heute mit ein erster Schritt dafür ist, dass wir auch zukünftig einen Platz im Kooperationsgremium zur Weiterführung der Kooperation von Stadtteilzentren erhalten. Leider sieht das im Moment noch nicht so aus. Ich denke, wenn man die Einbeziehung der Fachverbände ernst nimmt, dann sollte das eigent-lich selbstverständlich sein.

Djamila Younis: Was nehme ich mir zur nachhaltigen Sicherung der Mehrgenerationenhäuser vor? Weiter kämpfen, weil ich hoffe, dass wir heute einen klei-nen Samen gesät haben. Aber ich warne davor, erst mal ein Häkchen dahinter zu machen, weil es ein Nachfolgeprogramm geben wird. Nicht nur, dass es

das Problem nur hinauszögert, sondern ich würde ganz klar sagen, da verliert man auf der Strecke einige und einiges.Ich kenne das Nachfolgeprogramm nicht, es wäre auch spannend gewesen, Vertreter des Bundes hier in der Runde zu haben, damit man erfährt, wie das genau aussieht, aber das wirklich Bahnbrechende war ja in dem Programm, dass Einrichtungen bzw. Strukturen gefördert werden. Wenn man nur Pro-jekte und bürgerschaftliches Engagement fördert, wird immer auf der Strecke was verloren gehen.Ich nehme mir diesen Kampf vor, was ziemlich zer-mürbend ist, wenn die Einrichtungen vor Ort diesen Dialog vorantreiben müssen. Das ist ein zusätzliches Engagement, das man da betreibt, wenn man diese Art von Interessenvertretung vorantreibt.Ich nehme mir vor, den richtigen Ansprechpartner herauszufi nden, um die Energien zu bündeln, das richtige Ressort, die richtige Verwaltung. Ich denke, der Weg geht über die Gemeinsamkeit, über die wei-tere Vernetzung und das gemeinsame Agieren, weil ein einzelnes Haus bzw. eine einzelne Einrichtung damit überfordert ist. Ich denke, das ist heute ein guter Schritt, sich auch zu verbrüdern und zu ver-schwestern und keinen closed shop zu machen, um mit den Worten von Herbert Scherer zu enden.

Timm Lehmann: Für alle ist deutlich geworden, dass es nicht funktionieren wird, sich zurückzulehnen und zu meinen, dass die anderen es schon richten wer-den. Insofern haben wir vielleicht einen Einklang her-gestellt und alle werden sich in Bewegung setzen.Es geht um die Sicherung von Nachbarschaftsar-beit, Gemeinwesenarbeit und den sozialräumlichen Ansatz. Wie die Kinder heißen, das können wir erst mal beiseite lassen, weil es geht um einen fach-lichen Ansatz, den wir hier sichern wollen und viel-leicht benennen wir die Kinder auch neu.

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Rentenpunkte für die Programme verwendet wür-den? Warum suchen wir überhaupt im Sozialetat nach fi nanzieller Unterstützung? Warum gehen wir nicht in die Transferleistungen rein? Dort ist das Geld. Dort sind die Entscheidungen.

Dies alles ist ja nicht die totale Provokation, son-dern ist etwa bei der Kindergartenpolitik längst eine scharfe Diskussion: 10 Euro für Familien oder bessere Kindergärten? Warum eigentlich nicht ran an die Frage: Warum fi nanzieren die Rentner in Deutschland nicht selbst ihre Mehrgenerationen-häuser? Das fi nanzielle Volumen im Alter ist ohnehin da, es ist die Frage, wie es verteilt ist.

Gestern bestand Einigkeit darüber, dass das MGH-Programm etwas besser hätte gewesen sein können. Aber eine Teilnehmerin des Podiums sagte: Und dann planen wir Familienstützpunkte. Die nächste Sau, die durchs Dorf getrieben wird, steht schon vor der Tür. Warum eigentlich? Warum wandeln wir nicht einfach alle Kindergärten oder strategisch die besten Kindergärten in Familien-stützpunkte um, statt neue zu schaffen? Warum öffnen wir nicht einfach die normalen Schulen zu Mehrgenerationstreffpunkten? Warum würgen wir uns ab mit Sonderkonstruktionen?

Diese Fragen sollen das Denken ein bisschen frei machen. Es wird nicht besser, wenn wir glauben, dass wir jetzt martialisch um dieses Programm kämpfen müssen – morgen kämpfen wir um das nächste Programm, übermorgen haben wir wieder ein neues Programm. Der Wurm steckt im Födera-lismusproblem, durch das Mischfi nanzierungen u.a. verboten werden, die gestern noch das hohe Wort waren. Es sind die Rechnungshöfe, die inzwischen mehr Sozialpolitik machen als die Ministerien.

Warum eigentlich? Warum erinnert man nicht die Rechnungshöfe endlich an ihre politischen Vorgaben darüber, was sie kontrollieren sollen?

Meine vier Thesen sind:

Erste These: Die Diskussion um die Mehrgeneratio-nenhäuser hat mit Generationen nichts zu tun, son-dern es geht um die Öffentlichkeit, was eigentlich öffentliche Einrichtungen sind. Das Öffentliche und das Private, das ist der uralte Habermas-Diskurs.

Zweite These: So wunderbar es ist, was alte Menschen machen können, vom Vorlesen bis zum Stricken, es geht nicht um deren Beschäftigung, sondern es geht letztlich um eine Neudefi nition von Solidarität.

Dritte These: Es geht nicht darum, ob das Bundespro-gramm netter oder offener oder fl otter formuliert ist, sondern es geht um Chancengleichheit und wer in der Bundesrepublik für Chancengleichheit zuständig ist.

Vierte These: Es geht nicht so sehr um Maßnahmen-Pakete, sondern es geht um sozialräumliche Verbind-lichkeit.

Input:

Dr. Konrad Hummel Zu der Zeit einer der Geschäftsführer des Nachbar-schaftshauses Schöneberg.

Birgit Monteiro: Ich begrüße Sie herzlich zum zwei-ten Tag unserer Jahrestagung Stadtteilarbeit. Und ich begrüße Dr. Konrad Hummel. Er ist ein sehr erfahrener Mensch in der sozialen Arbeit, Diplom-Pädagoge, Heimleiter, Sozialdezernent der Stadt Augsburg, Bereichsleiter Politik im Bundesverband für Stadtentwicklung. Er publizierte „Öffnet die Alters-heime“, „Freiheit statt Fürsorge“ und „Bürgerschaft-lichkeit unserer Städte“. Seit dem 01.10.2010 ist er einer der Geschäftsführer des Nachbarschaftsheims Schöneberg. Sein Thema jetzt: „Ein gemeinsames Haus? Mehrgenerationen- und Nachbarschaftshäu-ser und der Versuch der intergenerativen Arbeit“.

Konrad Hummel: So gern ich unmittelbar anknüpfen würde an Überlegungen zur intergenerativen Arbeit, an strategische Fragen der sozialen Arbeit, will ich mich dennoch auf wenige Thesen beschränken. Meine vier Thesen knüpfen natürlich unmittelbar an die gestrige Diskussion an. Selbst die, die nicht dabei waren, wissen, was gemeint ist: es geht um die politisch-strategische Diskussion über die Förde-rung der Mehrgenerationenhäuser, um die Verbin-dung von Nachbarschaftszentren, Stadtteilzentren und Mehrgenerationenhäusern. Es geht um die poli-tische Ratlosigkeit vieler, wie man angesichts von ständig veränderter sozialpolitischer Landschaft mit Bundesprogrammen umgeht.Ich erlaube mir sehr kritische Bemerkungen, und zwar aufgrund meiner unterschiedlichen politisch-biografi schen Herkunft, die dazu führt, dass ich von Baden-Württemberg über Augsburg bis Berlin Freunde und Kollegen aus Einrichtungen, die alle intergenerativ arbeiten oder arbeiten wollen, hinter mir herziehe. Damit beleidige ich niemand, der sich dort täglich mit seiner sehr anstrengenden Arbeit einbringt.Aber die polemische Zuspitzung hilft vielleicht, die richtigen Fragen zu stellen, denn eine meiner zentra-len Thesen ist: Von der Qualität der Fragen hängt die Güte der Wirksamkeit politischer Antworten ab. Also lassen Sie uns die richtigen Fragen fi nden!

Anknüpfend an die Überlegungen von Herbert Scherer von gestern stelle ich die Frage: Könnte es sein, dass das ganze Mehrgenerationen-Programm eigentlich nichts anderes ist als ein Modernisie-rungsprogramm der Wohlfahrtsverbände? Und wenn es so ist, warum benennen wir es nicht so?

Und könnte es nicht sein, dass die ganze Finanzie-rung überhaupt kein Problem wäre, wenn 0,1 % der

Ein gemeinsames Haus?

Mehrgenerationen- und Nachbarschaftshäuser und der Versuch der intergenerativen Arbeit

Vortrag

Fachtagung 2010

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Fachtagung Abwicklung oder Weiterentwicklung?78 79

schaft? Und zwar öffentlich in diesem alten demo-kratischen Sinne – sich auf Kompromisse einlassen, Lebensweisen zum Ausgleich bringen und das dabei Entstehende aushandeln.

Mehrgenerationenhäuser sind eigentlich politische Orte des Aushandelns intergenerativer Interessen und Unterschiede.

Man könnte das auch auf Berliner Verhältnisse zuspitzen und die Frage stellen: Wie ist das denn, wenn die verbeamteten Lehrer in den Ruhestand drängen, weil sie genug von den schwierigen Schul-verhältnissen haben? Aber sie können verbeamtet in den Ruhestand gehen, während ihre Schüler – zumindest im Wedding – keine Perspektive haben, in den Arbeitsmarkt zu kommen. Wo ist da die inter-generative Solidarität? Die einen leiden an den anderen – und zwar wechselseitig.

Mehrgenerative Projekte sind eigentlich Orte, wo öffentlich um gemeinsame Interessen gerungen werden muss, also um das Öffentliche, denn für das Private brauchen wir nicht unbedingt schlecht sub-ventionierte Sozialarbeiter und mittelmäßige Stand-orte, mühsam renoviert.

Wir brauchen öffentliche Orte. Von allen Bundes-programmen der letzten 20 Jahre ist das Programm „Soziale Stadt“ eines der besseren, ebenso das Pro-gramm der MGH’s, das als Projekt angedacht war, wie gestern richtig dargestellt wurde. Aber es war politisch nicht klar genug gesagt, um was es geht. Es geht um öffentliche Orte, um die wir ringen müssen.

Zur zweiten These: Es geht um Solidarität. Warum? Dieser Sozialstaat, dessen Abbau und Umbau wir, die sozial Beseelten, alle kritisieren, so dass es

heute schlechter steht als vor zehn Jahren, Hartz IV lässt grüßen, gibt in seiner Summe, wenn man gesellschaftspolitisch denkt, unendlich viel und immer mehr Geld aus als früher, nicht weniger. Nur der Staat pumpt es in Arbeitsmärkte, in dubiose Arbeitsqualifi zierungsmaßnahmen, er steckt es in andere schwierige Maßnahmen, in Stützungsmaß-nahmen, in Renovierungsmaßnahmen, er versteckt es in der Subvention der Gesundheitspolitik. Der Staat versucht, gesamtgesellschaftlich dem Wan-del und seiner Arbeitsmarktveränderung gerecht zu werden. Aber es kommt eben nicht mehr rüber als direkte soziale Hilfe, die sich hinter vielen Maß-nahmen versteckt. Nicht umsonst wurde auf Eur-opa-Ebene zu recht diskutiert, dass Deutschland viel mehr Geld für Familienpolitik ausgibt als viele andere Länder, aber eben in Transfers und zum Beispiel nicht in Einrichtungen, wie Finnland das tut; dass wir relativ viel tun, aber all das nicht sinn-voll zusammenbringen.

Wir bekommen offensichtlich gesellschaftliche Ent-wicklung und Integration, Demenz und weitere Mas-senphänomene nicht mehr über sozialstaatliche Maßnahmen hin. Kein Sozialprogramm der Welt wird Demenz professionell erfolgreich lösen können. Das geben inzwischen auch die verbohrtesten Profi s zu. Was dann? Kein Integrationsprogramm kann durch noch ein freundlich deutsch-türkisches Sozialarbei-terprogramm bewältigt werden. Wie dann?

Hier beginnt der Begriff des Zivilgesellschaftlichen, an den wir uns seit zehn Jahren heranpirschen. Was heißt zivilgesellschaftliche Maßnahmen? Vereine, Initiati-ven – wer? Was heißt das, wenn der Staat zivilgesell-schaftlich etwas tun will? Der Staat, alle staatlichen Apparaturen, verhalten sich ungeheuer stümperhaft, wenn sie plötzlich mit zivilgesellschaftlichen Akteuren

Diese vier Thesen will ich erläutern:

Zur ersten These: Das Verhältnis der Generationen und der demografi sche Wandel ist absolut nicht neu. Das erlaube ich mir auch deshalb zu sagen, weil ich vor vielen, vielen Jahrzehnten selbst einmal Alten-heimleiter war und darum gekämpft habe, dass der demografi sche Wandel zur Kenntnis genommen werden sollte. Er hat sich übrigens statistisch nicht verändert, er ist heute der gleiche wie damals. Der demografi sche Wandel ist Folge der internationalen wirtschaftlichen Veränderungen.

Darum diskutieren wir ihn endlich als eine internatio-nale Entwicklung, in deren Mainstream Deutschland dabei ist. Wenn Deutschland schon eine Exportna-tion ist, dann verhält das Land sich eben auch wie eine Exportnation – von den Lebensverhältnissen her gesehen. Also ist das kein deutsches Phänomen, sondern ein Phänomen der Lebensweisen einer post-industriellen Gesellschaft. Das Ganze bedeutet, dass dieser Generations- und Demografi ewandel ganz stark etwas mit der Entgrenzung von Arbeit zu tun hat.

Was ist eigentlich mehrgenerativ? Mehrgenerativ ist die wunderbare Großfamilie, in der immer noch 2/3 aller Transfers stattfi nden. Nicht der Sozialstaat ist die Stütze unseres gesellschaftlichen Systems, son-dern innerfamiliär wird immer noch zwischen Älteren und Jüngeren Geld, Vermögen, Zeit, Liebe, aber auch Gewalt transportiert. In diesem intergenerativen Ver-hältnis, das ein bisschen breiter geworden ist und nicht nur drei, sondern vier oder fünf Generationen umfasst, sind die Beziehungen untereinander aber komplizierter geworden. Die Großmutter lebt in Düs-seldorf, der Schwiegersohn in Berlin-Neukölln, also die Verhältnisse sind ein bisschen komplexer gewor-den. Aber was heißt mehrgenerativ? Das ist einfach

eine nette Formel, weil inzwischen eben einige alt werden, die durchaus fl ott und fi t sind. Gestern ist ja das neue deutsche Symbol nicht unerwähnt geblie-ben, Stuttgart 21. Die alten 68er sind alt geworden und gehen auf die Straße, auch die Rolling Stones sind über 60. Es ist einfach ein Wandel von Lebens-weisen, die sie in ihr Alter mitnehmen. Und deshalb sind sie heute genauso motzig wie in ihrer Jugend. Eigentlich ist das stinknormal.

Und es ist politisch verdammt kompliziert, denn wenn alle 62-Jährigen ihren Lebensstil ausleben, dann tun sie das eben so wie sie das immer taten, oft mit den Ellenbogen, das ist ja ihr Recht. Insofern geht es bei Stuttgart 21 nicht nur lustig zu, sondern da werden Interessen vertreten. Es geht gar nicht um Bahn contra demokratische Breite, sondern da gehen tatsächlich plötzlich Stuttgarter Witwen aus der wohlhabenden Halbhöhenlage auf die Straße. Sie gehen auf die Straße gegen einen Bahnhof, den sie nie brauchen, weil sie mit ihrem Daimler durch die Gegend fahren.

Da ist etwas im Gange, dass eine Generation ihre Performance macht. Das meine ich nicht abwertend, sondern das wird üblich werden. Das Durchschnitts-alter derer, die in Hamburg die Bildungsreform gekippt haben, war auch diese Generation, also das waren nicht primär die jungen Eltern mit 30.

Mit anderen Worten: Es ist höchste Zeit, den Wandel der Gesellschaftsformen kontinuierlich zu begleiten und nicht nur begriffsstutzig hinzuschauen, ach, jetzt gibt es ein paar nette Alte, die machen ihren Kram selber.Die Frage ist, was sie öffentlich tun, transparent, überprüft und mit anderen? Was tun sie gemein-sam oder was machen sie selber? Die eigentliche Frage ist: Was macht man öffentlich in dieser Gesell-

Vortrag: Ein gemeinsames Haus

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Fachtagung Abwicklung oder Weiterentwicklung?80 81

ein Problem lösen sollen. Der deutsche Refl ex heißt: Fragen wir die Wohlfahrtsverbände.

Was dabei herauskommt, will ich Ihnen an einem Beispiel sagen: Wenn Sie die Wohlfahrtsverbände fragen, was sie gegen Armut und Verschuldung tun, dann heißt die Antwort: Wir tun das, was wir mit bezahlten Planstellen tun können. Wenn ihr uns mehr Geld gebt, können wir mehr Schuldnerbera-tungen anbieten. Dann haben wir mehr qualifi zierte Mitarbeiter, die von Montag bis Freitag bis 16 Uhr in der Schuldnerberatung tätig sind. Das ist die Ant-wort der Wohlfahrtsverbände.

Damit werden sie keinem Massenphänomen gerecht, keinem gesellschaftlichen Erdrutsch, wenn also Integration zu einem Erdrutsch der dritten Generation wird, wenn Demenz zu einem Massen-phänomen wird. Wenn alle diese gesellschaftlichen Phänomene eintreten, werden Sie dem mit diesen Antworten, wo Staat und Verbände sich eingespielt haben auf ein festes Muster, nicht gerecht.

Das Beispiel, das die Sozialpolitiker dringend anschauen müssen, ist die Bildungspolitik. Was

diese Bundesrepublik auf allen Ebenen der Bil-dungspolitik reinsteckt, das ist unglaublich, und den Effekt muss man kritisch diskutieren.

Das liegt nicht an einer Person. Das liegt daran, dass wir mit der Diskussion zu spät angefangen haben. Es hätte eine staatliche Antwort sein müssen, mit Zivilge-sellschaft gesellschaftliche Probleme zu lösen. Auch hier führt die richtige Fragestellung dann zu anderen Antworten. Bisher lief es so, dass Sie alle verständ-licherweise hinter dem MGH-Programm und hinter dem Programm „Soziale Stadt“ ihr Spezialprogramm versteckt haben. Endlich können die Kurden ihr Mehr-generationenhaus machen, endlich kann man ein Quartiersmanagement im Mehrgenerationenhaus unterbringen, endlich können wir dort Sprachkurse verstecken, endlich können Minderheiten ihren Platz und ihre Stimme fi nden. Das ist in der Situation ver-ständlich, nur es führt dazu, dass Profi s dann Diskurse anfangen wie: Ehrenamt kann nicht alles lösen.

Plötzlich diskutieren wir über das Ehrenamt, als wenn es etwas Fremdes wäre. Wir diskutieren mit alten Begriffen, die überhaupt nicht den heutigen Engagement-Struktu-ren der Menschen entsprechen. Prüfen Sie sich mal, ob Sie so ehrenamtlich tätig werden wollen!

Wir reden plötzlich über Strukturen, wie wenn das Feindbilder wären: ... wir könnten die Probleme alle lösen, gebt uns mehr Geld, dann machen wir das. Meine Antwort ist: niemand von uns, kein Wohlfahrts-verband, kann massengesellschaftliche Phänomene alleine mit seinen alten Instrumenten lösen. Es wird Koproduktionen völlig neuer Art geben müssen. Wir diskutieren das noch zu wenig konsequent.

Wir diskutieren das dann eher ähnlich wie gestern der Bericht der Evaluation zu den Mehrgenerationenhäu

sern. Das war doch nichts anderes als ein wunder-schönes Bild davon, wie wir gerne die Welt hätten. Eine ideale Mischung, viele Freiwillige und ein paar Profi s, so würden wir es gern immer haben, aus der Sicht der Zahlen. Wir hätten gerne zufriedene Bürger, von denen sich 1/3 freiwillig qualifi ziert. Was da entworfen wurde, war im Grunde das Wunschbild, wie sich Politik gerne ein Projekt vorstellt. Das ist verständlich, fi nde ich auch nett. Nur, das sind die alten Instrumente und die Auf-rüstung des alten Benzinmotors, um schneller fahren zu können. Und das in einer Zeit, wo wir wissen, dass der ganze Motor nicht mehr auf diese Welt gehört. Wir müssen also über zivilgesellschaftliche Konstruktionen nachdenken, die mehr sind als die Ausführung staatli-cher Aufgaben durch Wohlfahrtsverbände. Deswegen geht es um Solidarität.

Es geht auch darum, was wir reicheren Alten zur Aus-übung von Solidarität mit den Jüngeren abverlangen dürfen. Was können wir den leistungsfähigen Jungen abverlangen, damit sie den abgehängten Jungen Gutes tun? Schüler-Patenprojekte, intergenerative Solidaritätsprojekte, die Lesepaten-Diskussion von Berlin hat so ein verstecktes Gerechtigkeitsthema, wenn die fi tten Alten aus Charlottenburg zu den Schwierigeren nach Neukölln gehen. Das ist nichts anderes als Solidarität in anderer Form. Aber es wird in den Schulen höchstens diskutiert, ob das geht, ob sie das können, Öffnung von Unterricht, Störung von Unterricht, Ergänzung von Unterricht. Aber eigentlich geht es um Solidarität.

Zur dritten These, Stichwort Chancengleichheit: Hier engagieren sich sozial Beseelte über Mehrge-nerationenhäuser in den schwierigen Stadtteilen für die schwierigen Gruppen, die Benachteiligten. Dazu kommen natürlich auch die armen Alten, die es gibt und auch in Zukunft geben wird.

Wie sieht Chancengleichheit von Quartieren und von Menschen aus? Wie sieht eine Chancengleichheit zwi-schen unterschiedlichen Gruppen aus? Der Charme dieses Programms ist, dass tatsächlich einige Grup-pen aus dem Schatten heraustreten und mitmischen konnten. Ich selber fi nde das wunderbar, dass in mehrgenerativen Projekten plötzlich Migranten-Eltern eine ganz produktive Rolle für die Einheimischen spielen. Und plötzlich wird deutlich, um was es zivil-gesellschaftlich eigentlich gehen kann, nämlich nicht um Fürsorgeprogramme zur Beglückung der Genera-tionen, sondern darum, Rechte und Pfl ichten organi-sierbar zu machen.

Wenn der Sozialstaat mit seinen fi nanziellen Umver-teilungsinstrumenten und Dienstleistungen nicht mehr hinreichend greift, dann muss eine dritte Säule aufgebaut werden. Diese dritte Säule ist: Wie kann ich Rechte und Pfl ichten von Migranten, von Einhei-mischen, von leistungsstarken Alten, auch von den fi tten 68er-Alten, verlangen? Ihnen abverlangen, dass sie etwas für die Gesamtgesellschaft tun. Das muss nicht moralisch sein. Heute geht das über den Weg der freiwilligen Entscheidung, der Kompetenz ihrer Fähigkeiten. Nur, sind wir darauf eingestellt?

Und wie reagieren wir darauf, wenn hier die Kompe-tenzen sind und dort die Bedarfe? Die Freiwilligena-genturen nennen das Matching. Das Wort ist schon klug, aber trotzdem ist es manchmal schwierig, diese beiden Seiten miteinander in Einklang zu bringen.

Genau das ist aber Gegenstand der Arbeit, um die es geht. Das heißt, wir sind nicht Beschaffer von Frei-willigen für defi nierte Aufgaben, sondern wir müssen diese Chancen eines ausgleichenden Miteinanders neu ermöglichen, und zwar in der Verantwortung von Gesellschaft.

Vortrag: Ein gemeinsames Haus

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einbringen, dann kann man verhandeln. Aber wir sind gemeinsam nur ärgerlich auf den Staat. Das Dilemma ist nur, was verteilt der Staat?

Übrigens, das Spiel fi ndet täglich statt. Ich bringe eine Anekdote, die mich als überzeugter Europäer immer maßlos aufregt: Staat und Wohlfahrtsver-bände sind sich dann nämlich auch noch einig gegen die Europäische Union, gegen die ESF-Mittel. Das ist der größte Witz. Die ESF-Mittel sind nichts anderes als nach Europa transportierte staatliche Mittel. Jetzt hat man wieder jemand Neues, auf den man schimpfen kann.

Merken Sie diesen Irrwitz, der da läuft, weil wir im Prinzip noch nicht wirklich zivilgesellschaftlich kon-trovers diskutieren? Das heißt natürlich auch, wieder konfl iktfreudiger zu werden und im eigenen Stadt-quartier zu benennen, wer leistungsfähiger ist und wer weniger leistungsfähig ist. Aber nicht im Sinn der Stigmatisierung oder der Moral, sondern im Sinn des Kompetenzmanagements. Das ist nicht ganz einfach, das gebe ich gerne zu. Aber wenn wir diesen Diskurs stärker führen, bringen wir Politik in Zugzwänge.

Damit komme ich zu einem aus meiner Sicht wich-tigen Bild, das leider nur in soziologischen Kreisen und Stadtplanungskreisen diskutiert wird, nämlich der Begriff der Urban Governance. Damit ist gemeint, dass bestimmte Probleme, wie Integration, Schule, Demenz, die gesamtgesellschaftlichen Wandlungs-phänomene, nicht durch eine Regierung entschie-den gelöst werden können. Mir ist gestern in der Podiumsdiskussion ein bisschen aufgestoßen, als eine typische Formulierung von einer wahrscheinlich älteren, höheren Verwaltungsmitarbeiterin in Ber-lin kam, nämlich dass sie mit den Maßnahmen in den Stadtteilen Gutes tun wollen. Das war so rich-

tig wieder das alte Politikerdeutsch. Und ich lästere hier nicht über Politiker. Ich war selbst sechs Jahre einer, der die Kritik, was Politiker für komische Men-schen sind, auch aushalten musste. Aber das ist altes Deutsch: wir wollen etwas für jemand tun. Es wäre toll gewesen, wenn sie gesagt hätte, dass ich was für mich tun will, damit ich in Berlin überhaupt gerne in den nächsten sechs Jahren lebe. Ich will was für mich tun, damit ich es aushalte in dieser Stadt mit ihren Widersprüchen. Ich will was für mich tun, damit ich in Ruhe alt werden kann, auch nach meiner Ministerialzeit.

Es ist legitim, etwas für sich zu tun – wenn wir es öffentlich machen. Es ist legitim, unsere Kompe-tenzen einzubringen, wenn wir das organisieren. Und das hat auch Folgen für die Finanzierung und für die Struktur, weil das bedeutet, dass irgendjemand im Sozialraum, wie immer wir ihn defi nieren, den Hut aufsetzen muss. Es ist die Frage – wer.

Und plötzlich redet die Berliner Jugendpolitik über Sozi-alräume. Jeder meint was anderes. Der eine meint den Kiez und die 2.000 Bewohner drum herum, der andere meint 60.000 Einwohner irgendwo. Sozialräume sind

Zur vierten These: Was heißt bei den Maßnah-men eigentlich Kooperation bzw. Koproduktion? Wie könnte das aussehen? Wie könnten Visionen aussehen, dass Mehrgenerationsorte und Nach-barschaftszentren und Stadtteilzentren ihr Gemein-sames nicht nur marketingmäßig hervorheben, sondern zu einem Konstrukt bzw. einer Konstruk-tion machen? Denn natürlich sind Stadtteilzentren, Nachbarschaftszentren, vor allem in der Berliner Tradition, in sich nichts anderes als Mehrgenerati-onshäuser. Wenn sie etwas anderes geworden sind, dann haben sie einen Fehler gemacht.

Sie sind eigentlich Mehrgenerationenorte, was allerdings eine großstädtische Lösung ist. In Hin-tertupfi ngen oder in Oberammergau haben Sie natürlich nicht die Tradition der Berliner Nachbar-schaftszentren, weil der Begriff der Nachbarschaft in den 50er Jahren in der Großstadt noch spürbar war. Das ist das, woran es uns heute in Großstädten fehlt, aber in Oberpfaffenhofen hat es nicht gefehlt, da wollte man raus aus der Nachbarschaft, um der sozialen Kontrolle zu entgehen.

Heute sind wir in den Lebensverhältnissen ähnlich geworden, aber während die Berliner und die Groß-städter schon dort sein müssen, wo es eher um die Frage geht, was Nachbarschaft in einer extrem multikulturellen Welt heißt, müssen sie in den länd-lichen Gebieten etwas tun, wo sie inzwischen urban denken und diese Nachbarschaft wollen. Warum? Weil ¼ der Menschen Ingenieure bei Siemens sind und pendeln, klug und ausgebildet sind und durch das Internet die Welt kennen. Wir haben also urbane Kulturen in Stadt und Land, aber wir haben unter-schiedliche Bedarfe. Ergebnis: Sie fi nden ganz vitale, hochinteressante, bürgerschaftliche Projekte in den Peripherien der Städte. Was ich Ihnen erzählte

könnte, rund um Hannover, rund um Karlsruhe, das sind phantastische Projekte, wo die Betroffenen ihr Geld mit einbringen, wo investiert wird, wo man der Gemeinde eine Bude abkauft und selber saniert. Da würden die Berliner sagen, dass sie das auch gerne machen würden, aber dass ihnen die Kaufkraft fehlt. Das stimmt nicht. Wir haben nur einen anderen Referenzrahmen.

Die Frage ist, wie man zu koproduktiven Formen kommen kann? Also nicht das private Vermögen von Nokia oder Siemens abzuzocken. Sondern zivilge-sellschaftlich bedeutet, dass die betroffenen Men-schen die Akteure sind, um die es geht. Da kann es nicht nur um das Privatvermögen des Rentners gehen, sondern es geht um seine Kompetenz. Jeder Ältere, der ein Auto hat, ist ein mittlerer Fahrtrans-portdienst, jeder Mensch, der einen Computer hat, und einen kennt, der keinen hat, kann etwas umver-teilen.

Es geht sowieso um die Frage, wie wir jenseits der organisierten Arbeitswelt Kompetenzen in Austausch bringen können. Wie können wir Fähigkeiten zum Aus-tausch bringen, ohne dass sie moralisch belehrend von einem zum anderen kommen? Sie ahnen nicht, wie dramatisch es wirklich ist, wenn wir die Welten, die Sprachwelten und Empfi ndungswelten, der Betrof-fenen zueinander bringen – und das bitte nicht nur sozialfürsorglich. Denn das ist der Unterschied, dass wir seit der Veränderung des Sozialstaates – seit plus-minus 14 Jahren – noch nicht angekommen sind in einer neuen zivilgesellschaftlichen Welt, in der Sozialprojekte nicht primär Fürsorgeprojekte sind. Die werden wir auch brauchen, aber wir brauchen zivil-gesellschaftliche Projekte, wo Menschen auch ringen um das, was sie einbringen. Nur wenn sie was ein-bringen, kann es funktionieren. Und wenn sie etwas

Vortrag: Ein gemeinsames Haus

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Fachtagung Abwicklung oder Weiterentwicklung?84 85

Das bedeutet, dass es nicht so sehr darum geht, dass ein reales Dach darüber sein muss – zwischen Mehrgenerationshaus, Stadtteilzentrum und Nach-barschaftszentrum -, dass es drei Förderprogramme geben muss, sondern dass die Öffentliche Hand sich zurückziehen muss auf Budgets, auf Volumina, auf die man sich einigt mit anderen, und auf Ziele, die ausgehandelt werden müssen. Und alle Institu-tionen müssen ihren Beitrag personell und sachlich gleichermaßen leisten. Keine Schule im Kooperati-onsprogramm, wenn sie nicht Räume oder Lehrer-stunden rausrückt; kein Kindergarten, wenn er nicht aktiv Elternarbeit einbringt; keine Stadt- oder Bezirks-verwaltung, die mitmacht bei solchen Programmen, wenn sie nicht ihre Räume mit zur Verfügung stellt.

Was haben wir davon, wenn wir die Mehrgenera-tionstreffpunkte haben, aber die Bezirksverwal-tungen sehen aus wie unter aller Sau? Wir müssen gemeinsam diesen Weg gehen. Das schaffen wir nicht bundesweit, sondern nur in überschaubaren Sozialräumen. Für mich wäre da eine konsequente Weiterentwicklung von „Sozialer Stadt“ und Mehrge-nerationstreffpunkten oder in Berlin der Sicherung der Stadtteilzentren, wenn wir die Sozialräumlichkeit zu einem Handlungsprinzip machen, auf das sich die Öffentliche Hand einlassen muss, und zwar gesund-heitspolitisch, kommunalpolitisch, bildungspolitisch.

Das heißt aber: loslassen. Loslassen an zentraler Steu-erung. Das bedeutet auch: Risiko, nämlich das Risiko, dass sich Sozialräume unterschiedlich entwickeln. Sie können dann nicht garantieren, dass sich von Wed-ding bis Steglitz, von Hamburg bis Duisburg die Dinge genau gleich nach Standard entwickeln. Dieses Risiko müssen wir eingehen, wenn wir sozialräumliche Ver-bindlichkeit entwickeln. Aber nur so schöpfen Sie dort, wo es wirklich zu schöpfen gilt, nämlich in der Bevöl-

kerung und in der Zivilgesellschaft. Dort entsteht auch die Steuerkraft, die andere verteilen. Dort entsteht die Kompetenz, die wir brauchen. Dort ist die Zeit vorhan-den, die sie einsetzen wollen.

Also muss sich der Fokus bei modernen, sozialstaat-lichen Programmen in Richtung der Zivilgesellschaft richten. Sie zum Gegenstand zu machen, nicht als fröhliche Masse, die wir beglücken, sondern als Menschen, mit denen wir ringen müssen darüber, was öffentlich ist, auf was lasst ihr euch ein. Das ist der eigentliche Gegenstand der Arbeit.

Ich wollte Ihnen ein paar kleine Impulse geben, dass der Kampf um die Mehrgenerationenhäuser vielleicht mehr ein Ringen um Zivilgesellschaft sein muss, eine radikale Modernisierung der Wohlfahrts-verbände, in Kooperation mit der Öffentlichen Hand. Die Öffentliche Hand zu einer sozialen Budget-Politik zu bewegen und nicht zu einer direktiven Förderpoli-tik, zu einem Zusammenführen der Politikbereiche, vor allem ihrer Institutionen im Sozialraum. Dort – in diesen Institutionen – müssen wir immer wieder die Frage stellen: Wer ist die Bevölkerung, für die wir arbeiten? Was haben wir mit der zu tun? Wo ist sie beteiligt? In welcher Form trägt sie zum gemein-samen öffentlichen Leben bei? Und dann freue ich mich darauf, wenn Mehrgenerationenhäuser und Migranten phantastische Essen aufbieten und stolz sind, dass sie endlich in dieser Gesellschaft ihren Platz gefunden haben.

Birgit Monteiro: Vielen Dank, Dr. Konrad Hummel! Das sind die Momente, in denen ich es zu schätzen weiß, dass man sich während der Arbeitszeit mit sol-chen Fragen auseinandersetzen darf und dass unser Verband zu einer solchen Diskussion beiträgt.

aber einfach der Begriff dafür – und da macht er Sinn -, dass in einem überschaubaren Rahmen alle sich eini-gen: die Arbeitsmarktverwaltung, schwierig genug, die Gesundheitspolitik, die Bildungspolitik sich auf Hand-lungsräume einigen, in denen Verbindlichkeit gilt. Das beginnt bei der Statistik, bei der Wahrnehmung, bei der Förderung. Es beginnt damit, dass zentralistische Maßnahmen alle Schall und Rauch sind, wenn sie im Sozialraum wirksam sein sollen.

Ich muss im Sozialraum Verbindlichkeit hinbekom-men, denn dort entsteht auch Motivation, wenn Sie so wollen, schlechtes Gewissen, Handlungskompetenz, Bereitschaft. Und zwar nicht bei den schon Engagier-ten, sondern bei denen, die Sie erst noch gewinnen wollen. Nicht, weil Sie sowieso schon wissen, was Sie tun wollen, sondern weil Sie bereit sind zu reagieren auf die Not des Nachbarn oder auf Ihre Kompetenz, weil Sie bereit sind zu reagieren auf Ihr Integrations-thema und das Migrationsthema der anderen. Das heißt, Sozialraum ist ein Verantwortungsraum.

Das bedeutet zum Beispiel, dass Wohlfahrtsverbände meines Erachtens auch von dem alten Feindbild - da der Staat, da wir, die Guten und Leistungsfähi-

gen - weg müssen. Wir müssen mit der Öffentlichen Hand kooperieren, weil sie die Aufgaben nicht besser bewältigen kann als wir. Und eigentlich müssen wir genauso auch mit Verbänden und Vereinen in Koo-peration kommen, die glauben, das Gute für sich zu tun. Eine tolle Genossenschaft in Berlin macht tolle Sachen, aber ob das gemeinwohlförderlich ist, das ist eine zweite Frage. Das ist vielleicht nur toll für ihre zehn Familien, die dort Mitglied sind.

Gemeinwohl ist der eigentliche Gegenstand, um den es geht bei sozialräumlicher Verpfl ichtung und Ver-bindlichkeit. Das hat niemand defi niert, das muss man erringen. Und daher der Begriff Governance. Das heißt, wir müssen das aushandeln. Wir stecken bei den Schulentwicklungen in der Situation, wir müssen aushandeln, wie wir die Interessen der Insti-tutionen und der Zivilgesellschaft hinbekommen.

Das geht nur in verbindlichen Gremien, mit ver-bindlichen Zielen, das geht nur in verbindlichen Entwicklungsschritten. Da würden sich übrigens für Mehrgenerationenhäuser und deren Finanzie-rung völlig neue Perspektiven auftun, nämlich in verbindlicher Kooperation mit Schule, mit Ganzta-gesentwicklung, mit Kindergartenversorgung, mit Familienberatungen, mit den Orten. Dort eigentlich sind die Gegenstände, die Themen, die Fakten, mit denen mehrgenerativ gearbeitet werden muss. Und dort muss es neben dem Kerngeschäft Schule, dem Kerngeschäft Kindergarten, dem Kerngeschäft Beratung möglich sein, dass das Verbindende mög-lich wird. Das sind die Infrastrukturkosten, die nie-mand bezahlen will. Neben den Kerngeschäften müssen sich die Partner von Governance-Prozessen verständigen, weil das Ganze nur Sinn macht, wenn es Verbindungsnetze gibt.

Vortrag: Ein gemeinsames Haus

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Über diese Fragen können wir nach den Referaten diskutieren. Zunächst Ralf Jonas aus Bremen.

Ralf Jonas: Der Bremer Ortsteil Gröpelingen ist ein Stadtteil, der nach dem Werftenniedergang mit allen Problemen zu kämpfen hat, die entstehen, wenn große Arbeitgeber komplett wegfallen. Es herrscht eine hohe Arbeitslosigkeit, der Stadtteil hat einen hohen Anteil an Migranten, also in geballter Form stehen wir bundesweit relativ schlecht da. Ich per-sönlich empfi nde das nicht so, weil ich im Stadtteil auch selber wohne, aber es ist wohl so.Unsere Arbeitsschwerpunkte im Bürgerhaus liegen vor allen Dingen in der Kinder- und Jugendarbeit, also da, wo wir in pädagogische Arbeit investieren. Im Haus sind allerdings alle Generationen vertreten, wobei sich die Senioren eigentlich sehr gut selber hel-fen und wenig Unterstützung von den Profi s brauchen, sondern sie organisieren sich weitgehend selber.Es geht ja heute hier um die Finanzierung. Ich habe unsere spektakuläre Finanzierung hier kurz vorge-stellt und offen gelegt, um zu dem Thema zu kom-men: Was kann man Sinnvolles machen, um einem Haus weitere fi nanzielle Mittel zuzuführen, ohne dabei seinen eigentlichen Auftrag zu vernachlässi-gen? Geld zu erwirtschaften kostet ja auch immer Arbeitskraft, aber eigentlich soll die Arbeitskraft mit der konkreten Arbeit mit den Leuten im Stadtteil und mit der Netzwerkarbeit beschäftigt sein.Wir sind relativ gut fi nanziert. Wir bekommen eine Grundfi nanzierung und eine kleine Finanzierung für ein Spielhaus, das wir nebenbei betreiben. Wir akquirieren jedes Jahr einen großen Betrag aus allen Bereichen. Wobei man sagen muss, dass diese Projektmittel auch zum Teil vom Senat für Soziales in Bremen kommen. Das nennt sich dann Projekt-arbeit, wird aber seit 24 Jahren, die ich dort arbeite, kontinuierlich in Form von Projektmitteln fi nanziert,

das ist zum Beispiel Soziale Gruppenarbeit.AGHE sind die Mittel vom Arbeitsamt, um Leute mit Jahresverträgen zu beschäftigen. Früher war das ABM, nur dass ABM besser bezahlt war als AGHE.Man sieht ja: zwischen den Ausgaben, das sind 531.000 Euro, und den Zuschüssen, 450.000 Euro, ist eine Differenz. Diese Differenz müssen wir sel-ber in unserem Betrieb erwirtschaften. Ein wichtiger Bereich dafür sind die Teilnehmerbeiträge, also dass die Kinder und Jugendlichen, die zu uns ins Haus kommen, geringe Teilnehmerbeiträge bezahlen. Das summiert sich allerdings auch.

Auf den zweiten Bereich, die Spielmanege, komme ich gleich gesondert zu sprechen als ein Modell eines wirt-schaftlichen Geschäftsbetriebes, der inhaltlich sinnvoll ist. Das läuft bei uns wirklich nebenher, weil ich festge-stellt habe, dass in vielen Einrichtungen der Druck des Landes oder der Kommune ganz schnell dazu führen kann, dass ein Haus im Prinzip zu einer subventionier-ten Kneipe wird und seinen Sinn nicht mehr erfüllt. Das führt manchmal auch schnell zu Problemen, ausge-hend vom Finanzamt oder dem Gewerbeaufsichtsamt, auch irgendwann vom Zuschussgeber, der natürlich keine Kneipe subventionieren will. Deswegen hat das

Input:

Ralf Jonas Geschäftsführer des Bürgerhauses Oslebshausen:Wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb und inhaltliche Arbeit. Widerspruch oder sinnvolle Ergänzung?

Marianne Reißingehrenamtliche Hausleiterin des MGH Familien-Zentrum-Freudenstadt e.V.:Bürgerschaftliches Engagement als Fundament für ein sozial erfolgreiches Gemeinwesen?! Wie können Quellen der Solidarität in einer veränderten Zeit lebendig gehalten werden? Vorstellung eines erfolg-reichen „Schwarzwälder Modells“ aus der Familien-selbsthilfe.

Moderation:Ralf Gilb Projektleiter Outreach – Mobile Jugendarbeit (Verband für sozialkulturelle Arbeit)

Ralf Gilb: Herzlich willkommen bei unserem Forum „Konzepte und Finanzierungsmodelle im Bundes-gebiet“. Ich bin Projektleiter bei Outreach – Mobile Jugendarbeit im Verband für sozial-kulturelle Arbeit.

Ralf Jonas: Ich komme aus Bremen und leite dort eine Einrichtung, das Bürgerhaus Oslebshausen. Das Haus besteht seit 34 Jahren und ist traditionell schon immer ein Mehrgenerationenhaus gewesen.

Marianne Reißing: Ich komme aus Freudenstadt und leite das Haus ehrenamtlich seit über 20 Jahren.

Manja Mai: Ich komme von Outreach – Mobile Jugendarbeit. Ich arbeite in Berlin-Marzahn, bin dort Teamleiterin und werde Herrn Gilb in der Moderation unterstützen.

Ralf Gilb: Nachdem der gestrige Tag sehr auf Berlin bezogen war, bin ich froh, dass wir heute die Per-spektive erweitern können und in andere Bundes-länder schauen werden. Herr Dr. Hummel hat heute einen sehr kritischen Beitrag geliefert. Das hat mich insbesondere deshalb gefreut, weil ich es für not-wendig halte, unsere bisherigen Arbeitsansätze kri-tisch zu überdenken. Wir sollten in dieser Runde auf jeden Fall auch über Schwierigkeiten und Probleme sprechen und im Sinne von Herrn Hummel konfl ikt-freudiger diskutieren.Ich komme ja nicht aus der Mehrgenerationenarbeit, sondern aus der Jugendarbeit, aber ich konnte mir gestern schwer vorstellen, wie man ein Mehrgenera-tionenhaus, bei dem mehrere Generationen bedient werden sollen, mit 40.000 Euro Förderung fahren kann. Im Vergleich dazu kostet eine ganz normale Jugendeinrichtung in Berlin schon 110.000 Euro, womit eine Jugendeinrichtung sicher nicht überfi -nanziert ist.

Konzepte und Finanzierungs-modelle im Bundesgebiet:

Erfahrungsberichte und Diskussion

Gruppe: 1

Forum A

Fachtagung 2010

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Fachtagung Abwicklung oder Weiterentwicklung?88 89

Bühnenbau und das Zirkuszelt bezogen hat. Ganz wichtig war auch, dass man plötzlich die Väter errei-chen konnte, die wir vorher nie erreicht haben. Wie bei vielen Einrichtungen ist es so gewesen, dass 95 % von Frauen genutzt werden. In dem Moment, wo es darum ging, das Zelt aufzubauen oder die Bühne aufzubauen, da konnten wir Väter erreichen, die ganz begeistert dabei sind. Wir haben einen Kreis von 30 Vätern. Sie arbeiten fast alle in Stahlwerken oder bei Daimler Benz im Schichtdienst. Sie stehen zur Verfügung, wenn wir Aufträge von anderen Ein-richtungen erhalten und unterstützen uns dann.Das ist unglaublich, unsere Aufführungen in ganz Bremen haben mehr Werbeeffekt für die Einrichtung gehabt als alles, was wir vorher gemacht haben. Wir hatten vorher Projekte mit Theatervorstellungen und Musicals, was aber immer bei uns im Bremer Westen geblieben ist. Aber über den Zirkus sind wir in der ganzen Stadt vertreten und darüber hinaus bekannt geworden. Das hat uns viel genützt.Nebenbei ist es für unsere Kinder- und Jugendgrup-pen auch noch eine Möglichkeit aufzutreten, weil es auf Dauer langweilig ist, wenn man immer nur vor den eigenen Eltern auftritt. Und wenn man dann noch Geld dafür kriegt, wenn die Kinder auftreten, ist das natürlich besonders schön.Wir haben also das Equipment, was inzwischen einen Wert von ungefähr 50.000 Euro hat. Das haben wir ausschließlich durch Spenden erreicht, durch Großspenden, durch die Einrichtung von Stif-tungen, aber auch durch viele Kleinspenden in Form von den klassischen Sachen, Bänke kaufen, die Beschilderung usw. Dieser fi nanzielle Mix hat dazu geführt, dass wir jetzt wirklich ein umfangreiches Equipment haben, was wir verleihen, aufbauen und selber betreiben. Personalkosten fallen im Prinzip ganz wenig an, weil das Meiste ehrenamtlich gelei-stet wird. Auch ich stecke da ein Stück Arbeit rein,

meine Stelle ist ja fi nanziert, aber ich mache auch manches ehrenamtlich.Noch einmal zusammengefasst: Zeitspender und Geldspender fl ießen in die Spielmanege ein, in Zelt- und Bühnenverleih, und die Erlöse aus dieser Arbeit, die ja teilweise inhaltlich mit anspruchsvollen, selbst entwickelten Spielen für Kinder auch zur Kreativität der Kinder beiträgt. Das Geld, das wir erwirtschaften, fl ießt komplett in die Kinder- und Jugendarbeit.Dann habe ich noch ein paar Bilder mit kleinen Beispie-len von Spielaktionen mitgebracht, die wir gemacht haben. Das Zirkuszelt hat 14 Meter im Durchmesser, da kann man schon ordentlich Leute reinkriegen. Das sind Geschicklichkeitsspiele, Kombinationsspiele. Das Besondere daran ist, dass wir nicht wie andere Spielmobile bzw. andere Anbieter irgendwas hinstel-len, sondern dass an jedem Spiel jemand von uns bzw. von den Eltern sitzt und die Spiele betreut. Man sieht ja auch, dass die Spiele zum Teil selbst gebaut sind und von Vätern entwickelt wurden.

Ein Beispiel: das Einkaufscenter hat uns engagiert. Das Einkaufscenter gehört zu unserem festen Kun-denkreis, wo wir mindestens zweimal im Jahr Auf-träge bekommen. Meistens fi ndet das im Rahmen einer Woche statt, in der wir alles Mögliche machen, Spiele, Laternen bauen, Feuershow, alles, was gewünscht wird, weil wir ja fl exibel sind.

Unser Hauptkunde ist der Martinshof Bremen. Das ist einer der größten Beschäftigungsträger in Bremen, der mit benachteiligten Menschen arbeitet, also die großen Behindertenwerkstätten in Bremen sind das. Das ist total beliebt, auch bei den Eltern, weil dort Kinder und Eltern auch gemeinsam spielen können. Das ist unsere Theatergruppe bei der Premiere der letzten Produktion. Das sind unsere Tänzer, die seit Jahren regelmäßig Musicals produzieren.

bei uns einen relativ geringen Anteil, es läuft neben-her, das Übliche, Kaffeeverkauf, Kuchen, manchmal Vermietung der Räume usw.Spenden sind auch ein wichtiger Punkt. Wir haben im Laufe der Jahre einen festen Stamm an Spendern gewonnen. Das heißt, wir können mit dieser Summe relativ sicher wirtschaften.Dann haben wir – wie andere auch – im Haus andere Vereine, die Mieten bezahlen für die Räume, die sie nutzen, mit denen wir inhaltlich ansonsten nicht unbedingt etwas zu tun haben. So kommen wir also insgesamt hin.Für mich ist der wichtigste Teil unserer Arbeit verwo-ben mit einer speziellen Förderung von Kindern und Jugendlichen im Bereich Zirkus, Theater, Tanz und Musik. Wir werden oft gefragt, wie das in so einem Stadtteil überhaupt geht, wo alles schrecklich ist. Das ist überhaupt kein Problem, wenn man das Geld hat, um gute Künstler zu engagieren, die was mit den Kin-dern und Jugendlichen machen. Es spielt gar keine Rolle, in welchem Stadtteil man arbeitet, wenn man gute Sachen verkauft.Die hohe Qualität der Angebote sehe ich inzwischen einfach als eine Voraussetzung an. Wenn man im Kulturbereich oder im Bereich kulturelle Bildung

was erreichen will, müssen da gute Leute rein, die auch vernünftig bezahlt werden. Ansonsten ist es oft nur gut gemeint, aber ein bisschen Basteln hier, ein bisschen Basteln da, das meine ich damit nicht. Sondern wir wollen wirklich die Kinder fördern. Wir wollen Kindern teilweise auch ermöglichen, in die-sen Bereichen später vielleicht sogar berufl ich Fuß zu fassen, was manchmal auch gelingt.Damals mussten wir uns überlegen, welche Mög-lichkeiten wir haben, um unsere Jugendarbeit zu fi nanzieren. Wir sind dann auf die Idee der Spielma-nege gekommen. Das hängt eng zusammen mit dem Verband, in dem wir organisiert sind. Da haben wir 1998 einen Test mit den Nachbarschaften in Oslebs-hausen gemacht, zu dem wir bundesweit Einrichtun-gen eingeladen haben. Einmalig haben wir damals eine Spielmanege für alle Generationen gemacht, worüber dann alles Weitere entstanden ist. Es reifte die Idee, dass man so ehrenamtliche, aktive Eltern, auch Väter, hervorragend mit einbinden kann. Spä-ter haben wir dann festgestellt, dass man damit Geld verdienen kann. Zuerst waren das nur zehn Spielsta-tionen für Kinder, die pädagogisch bei jeder Station betreut worden sind. Das sind nicht immer die Eltern gewesen, aber weitgehend ist das ehrenamtlich von den Eltern geleistet worden.Das ist nacheinander ausgebaut worden. Wir konn-ten uns mit einem Spender ein Zirkuszelt leisten und im Netzwerk mit anderen Einrichtungen im Stadtteil haben wir uns bis heute ein umfangreiches Equip-ment zugelegt, Bühnenlicht, Tontechnik, Kletterpar-cours, Pavillons. Wir haben inzwischen ein großes Lager, das wir gefüllt haben. Und wir haben im Ver-lauf der Jahre unser Geld verdient, um die Jugendar-beit zu fi nanzieren.Eine positive Auswirkung auf die Arbeit war, dass man Eltern und Jugendliche ab 18 oder 19, die raus-wachsen, mit einbinden kann, was sich stark auf den

Forum A: Konzepte und Finanzierungsmodelle im Bundesgebiet Gruppe 1

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Fachtagung Abwicklung oder Weiterentwicklung?90 91

Teilnehmer: Wie ist das Verhältnis zwischen den pro-fessionellen Kräften und den ehrenamtlichen Hel-fern? Sie verdienen Geld durch die Verleihung der Technik, also Sie benutzen das Equipment nicht nur, sondern für Transport, Aufbau, Wartung usw. muss es Leute geben. Das wären sozusagen die Arbeits-kräfte. In diesem praktischen Bereich steckt ein gro-ßes Potenzial für zivilgesellschaftliches Engagement. Man kann viele aus der mittleren Generation in diese Tätigkeiten hineinbringen, über die Eltern der direkt Betroffenen, aber auch Senioren, die aus dem Berufs-leben raus sind. Das ist unsere Erfahrung.

Ralf Jonas: In der Gesamtfi nanzierung ist der von uns zu erwirtschaftende Teil nur ein kleiner Prozentsatz. Den können wir deshalb relativ leicht erwirtschaften, weil wir fi nanziell von verschiedener Seite abgesichert sind, wie ich schon erklärt habe. Ich kann einen Haus-techniker bezahlen, der sich neben Hausmeistertätig-keiten mit fast 50 % um diese praktischen Geschichten bei Veranstaltungen kümmert, wobei das nicht nur die eigentliche körperliche Arbeit betrifft, sondern auch die Betreuung der Helfer. Daraus ist ein Kreis von Leuten geworden, die hinterher in die Kneipe gehen und so, also ohne den würde es gar nicht gehen. Und es würde auch nicht ohne mich gehen, der Gehalt bekommt, der die Akquise macht, die Kontakte zu den anderen Einrichtungen hält, weil unsere Auftraggeber zu 95 % nicht aus der Privatwirtschaft sind, sondern es sind auch gemeinnützige Einrichtungen, Schulen, Kinder-gärten, also alles, was es in dem Spektrum gibt. Inso-fern haben wir eine relativ gesunde Basis, um einen kleinen Teil des Geldes selber zu erwirtschaften.

Teilnehmerin: Unter dem Aspekt der umfangrei-cher werdenden Ressourcen ist es sehr interessant, Leute verschiedener Altersstufen in solchen prakti-schen Projekten zusammenzubringen.

Ralf Jonas: Das ist uns inzwischen gut gelungen, etwa wenn Jugendliche hier im Haus groß geworden sind, mit 2 Jahren sind sie gekommen, mit 18 haben sie sich irgendwann selbstständig gemacht, gehen arbeiten oder studieren. Und heute helfen solche Jugendlichen dann auch mit. Insofern ist unsere Arbeit durchaus generationsübergreifend, weil es 18-, 19- oder 20-Jäh-rige sind, aber auch 40- oder 50-Jährige. Die Senioren selber sind bei uns gut damit beschäftigt, sich gegen-seitig für ihr eigenes Programm zu helfen.

Teilnehmerin: Es wird ja bei Ihren Unternehmungen stark an die gesellschaftliche Solidarität appelliert, etwa bei verschiedenen Eltern-Kinder-Programmen. Was ist mit den Menschen, die keine eigenen Kin-der haben? Können die auch in solche Programme eingebunden werden? Denn dort sind ja viel mehr Zeitressourcen vorhanden und diese Zeitressourcen abzufragen, das wäre auch eine lohnende Aufgabe. Gesellschaftliche Solidarität bzw. die aktive Zivilge-sellschaft besteht eben nicht nur daraus, dass die eigene Nische bedient wird und die eigenen Interes-sen abgedeckt werden, sondern dass ich mich dar-über hinaus auch engagiere.

Ralf Jonas: Da muss man ganz genau gucken, in wel-chem sozialen Umfeld wir mit unserem Haus liegen. Es gibt zum Beispiel ein Bürgerhaus in Bremen, das stadtzentral liegt. Mein Kollege sagt mir, er glaubt, dass in drei Jahren Leute der 68er-Generation das Haus übernehmen können, ohne dass dort ein Haupt-amtlicher arbeitet. Eine ganz aktive Bürgerschaft, ganz viele Lehrer, Rechtsanwälte, Zahnärzte, die alle in dem Bereich wohnen. Ich kenne bei uns die Seni-oren, die in Rente sind, und ich kenne die Leute, die zu kämpfen haben mit Familie, Haus, Job, Jobverlust, usw. Die aktiven, fi tten 55- bis 60-Jährigen habe ich in meiner Einrichtung noch nicht erlebt.

Ralf Gilb: Vielen Dank für das interessante Referat. Gibt es Nachfragen?

Teilnehmerin: Auf den Fotos sind Eltern und Kinder zu sehen, die sich beteiligen. Die Zeitspenden kommen vorwiegend von den Eltern der beteiligten Kinder. Ich frage mich, wie Sie an die Leute rankommen, die was zu geben haben, aber nicht im direkten generativen Zusammenhang stehen? Ich meine zum Beispiel ältere Menschen, die mit den Kindern basteln.

Ralf Jonas: Unsere Senioren erreichen wir mit diesen Aktionen auf keinen Fall. Vom Grundsatz her ist es so, dass sich die Eltern engagieren, weil sie sehen, dass sie selber was davon haben, weil ihre Kinder dadurch profi tieren. Deswegen engagieren sich die Eltern, nicht weil sie unserer Einrichtung was Gutes tun wollen. Sie wollen ihren Kindern weiterhelfen, deswegen helfen sie uns dabei, Geld zu verdienen, um die Arbeit mit den Kindern zu fi nanzieren. Des-halb können wir auch die Teilnehmerbeiträge sehr niedrig halten.

Teilnehmerin: Wie könnte der zivilgesellschaftliche Ansatz da zum Tragen kommen? Sie haben Ihre Ein-

richtung, da wird was für die Kinder und deren Eltern getan, aber damit ist für die gesellschaftliche Ent-wicklung wenig getan.

Ralf Jonas: Das stimmt. Das wäre dann nicht die Fragestellung zur Finanzierung, sondern das müsste eine andere Form von Projekten sein. Zurzeit versu-chen wir ein Projekt mit Jugendlichen und Senioren, ein Patenschaftsmodell, bei dem wir ein Netzwerk im Stadtteil aufbauen wollen. Wir sind inzwischen im Stadtteil stark mit anderen Einrichtungen vernetzt.

Teilnehmerin: Ist bei der Spielmanege die Aufgabe der Eltern, pädagogisch zu arbeiten, also Material zur Verfügung zu stellen, und die erarbeiten sich ein Spiel? Oder sind da schon vorgefertigte Spiele, die pro Station gespielt werden können?

Ralf Jonas: Das sind vorgefertigte Spiele, bei denen eine kurze Einführung reicht, um die Spielstation zu betreuen. Anders würde das auch nicht gehen, die Betreuung wechselt ja ständig, weil wir möglichst viele Eltern einbinden.

Teilnehmerin: Ich war gestern in dem Forum Demo-grafi e. Da war ein Thema, dass man die mittlere Generation erreichen muss, was ja in dieser Spiel-manege gut gelingt. Warum immer nur krampfhaft die ältere Generation mit der ganz jungen Genera-tion zusammenbringen?

Gestern war auch die Frage, wer von uns später eigentlich ehrenamtlich arbeiten will. Also wenn ich aus dem Berufsleben ausscheide, möchte ich dann noch im Mehrgenerationenhaus arbeiten? Die mei-sten meinten, dass sie es später nicht wollen, weil das momentan ihre Arbeit ist, weshalb sie im Alter nichts damit zu tun haben wollen.

Forum A: Konzepte und Finanzierungsmodelle im Bundesgebiet Gruppe 1

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Fachtagung Abwicklung oder Weiterentwicklung?92 93

tatsächlich auch durch Geld gestützt werden müsste, wenn er sich also nicht tragen würde. In dem Moment würde man seine Gemeinnützigkeit verlieren. Solange aber dieser wirtschaftliche Betrieb auf dieser Grundlage fl oriert und sogar bis zu einer bestimmten Höhe Einnah-men abwirft, ist das überhaupt kein Problem. Es gibt nur die Grenzen für die Umsatzsteuer und die Gewerbesteuer. Wir müssen teilweise Gewerbesteuer bezahlen, teilweise Umsatzsteuer, das ist von Jahr zu Jahr unterschiedlich.Wir sind ein eingetragener Verein mit einer Festbe-tragsfi nanzierung vom Senator für Kultur in Bremen, natürlich mit einem Finanzierungs-Mix aus allen mög-lichen anderen Töpfen.

Teilnehmer: Ich komme vom MGH Sassnitz auf Rügen, wir sind auch ein e.V. Zur Erhaltung Ihrer Einrichtung haben Sie unter Betriebsausgaben eine Position?

Ralf Jonas: Die Betriebsausgaben sind Strom, Was-ser, Heizung, Büromaterial, Telefon. Darin sind keine Investitionen enthalten, die fi nden sich in den jährli-chen Abschreibungen wieder.

Teilnehmer: Ist in den 47.000 Euro, die das Haus jährlich kostet, auch Miete drin?

Ralf Jonas: Ja, es wird eine virtuelle Miete gezahlt zwischen dem Ressort Kultur und dem Ressort Finan-zen, aber das läuft nicht über unseren Haushalt.

Ralf Gilb: Vielen Dank. Jetzt gebe ich das Wort an Marianne Reißing, die als ehrenamtliche Hauslei-terin arbeitet. Ich denke, das bringt noch mal eine andere Perspektive in die Diskussion.

Marianne Reißing: Ich komme aus Freudenstadt in der Nähe von Tübingen. Ich bin verheiratet und habe zwei Kinder, die inzwischen erwachsen sind.

Von Beruf bin ich Krankenschwester im Akutbereich, und ich leite seit über 20 Jahren das Haus, was ein Ehrenamt ist. Unser Haus kam ursprünglich aus der Mütterzentrums-Bewegung und wollte einfach Räume schaffen für Familien, für Mütter.

Freudenstadt ist eine Kurstadt, die 1599 gegründet wurde und nach einem Plan des damaligen Kurfür-sten entstand. Wir haben den größten Marktplatz Deutschlands, das Schloss zur Schlosskirche wurde allerdings nie gebaut. Heute ist diese Stadt sehr stark vom Tourismus geprägt.Die Stadt hat sehr spät damit begonnen, ein Bewusst-sein dafür zu schaffen, dass nicht nur die fremden Besucher in diese Stadt gehören, sondern auch die Bürger sollen in dieser Stadt leben können. Diese Einstellung zu verankern, das sind ganz schwierige Prozesse, in denen die Bedürfnisse der Bürger aus-gehandelt werden müssen. Man muss mit vielen Tricks arbeiten, in vielen Netzwerken präsent sein, überall aktiv sein. Das Aushandeln von Bürgerwün-schen an Runden Tischen mit der Politik, das ist bei uns sehr mühevoll.

Sie haben gesehen, ich habe hinter dem Titel „Bür-gerschaftliches Engagement als Fundament für ein sozial erfolgreiches Gemeinwesen?!“ ein Fragezei-chen und ein Ausrufezeichen gemacht. Wie können Quellen der Solidarität in einer veränderten Welt lebendig gehalten werden?Da ist unser Haus sicher beispielgebend. Wir haben inzwischen viele Bereiche entwickelt. Das soll nicht heißen, da der Staat sich aus vielen sozialen Berei-chen zurückzieht, dass das bürgerschaftliche Enga-gement allein es richten kann. Bei uns war immer im Vordergrund die Frage: Was brauchen Menschen? Also wir machen im Ehrenamt natürlich nicht etwas, was es schon in Volkshochschule oder Babygruppe

Teilnehmerin: Ich würde auch nicht in jedes Projekt immer alles reinpacken wollen. Was ich an diesem Projekt einfach gut fi nde, das ist der Ansatz, dass Kinder und Eltern aus der mittleren Generation über ein ganz konkretes Projekt eingebunden sind. Gleichzeitig ist die Einbindung nützlich, weil Dinge an Kreise, die das brauchen, verkauft werden. Das gemeinsame Engagement von Kindern und Eltern, dann auch noch gemeinschaftlich in einem Projekt, ist genial. Oft ist es ja schwer zu erreichen, dass es nicht ein künstlicher Prozess ist, sondern ein gewachsener. Darüber beleben Sie einen Stadtteil, was ich auch gut fi nde. Und ein Teil wird selber fi nan-ziert. Damit wird ein Stück Denken verankert, eine Struktur selber aufzubauen und von unten zu bele-ben. Da treffen mehrere Aspekte zusammen, was mir sehr gut gefällt.

Teilnehmerin: Ich fi nde auch, dass Ihre Projekte ein gelungenes Beispiel dafür sind, die mittlere Genera-tion zu erreichen. Ich leite eine Freiwilligenagentur und mache immer wieder die Erfahrung, wie wichtig es ist, die Menschen direkt an Stellen zu bringen, wo sie wirklich ihre Kompetenzen einsetzen können.

Teilnehmerin: Ich bin aus dem MGH Aachen, arbeite da mit sechs Stunden, meine Kollegin mit ungefähr 15 Stunden, das ist alles, was wir an Festanstellung haben. Wir müssen wirklich bedarfsorientiert arbeiten und haben uns von vielen Dingen verabschiedet, die eigentlich das Konzept vorsieht, weil der Bedarf nicht da ist. Wir kriegen die alten Menschen ganz schlecht bei uns ins Haus. Teilweise kommen sie aus 15 Kilo-metern Entfernung angefahren, um bei uns etwas zu machen; aber die aus der direkten Nachbarschaft kom-men einfach nicht. Wir haben über Jahre schon ganz viel versucht und haben gesagt, okay, dann konzen-trieren wir uns eben auf die Dinge, die die Menschen wollen. Bei uns sind das Nachhilfe, Kinderbetreuung, was auch mit Ehrenamt läuft. Aber Arbeit mit Senioren läuft gar nicht, bis auf zwei Stunden pro Woche. Da ist wichtig zu gucken, wo wirklich der Bedarf ist. Das fi nde ich manchmal ein bisschen schwierig.

Teilnehmer: Ich komme vom MGH in Hoyerswerda. Welche Rechtsform hat das Bürgerhaus in Bremen? Ist das eine kommunale Einrichtung oder ein eingetra-gener Verein? Unsere Basis ist ein Nachbarschaftshil-feverein, wir hätten sicherlich mit solchen Einnahmen wie aus dem Zeltverleih oder aus der Cafeteria dort Probleme, weil es steuerliche Bedenklichkeiten gibt. Wie werden die Einnahmen bewertet?

Ralf Jonas: Das ist ein weit verbreiteter Irrglaube. Wir sind genauso wie Ihr ein gemeinnütziger Verein, ein e.V. Ein e.V. hat die Möglichkeit, im ideellen Bereich, im Zweckbetrieb oder im wirtschaftlichen Geschäfts-betrieb Einnahmen zu erzielen. Da gibt es steuerliche Grenzen, das heißt, irgendwann muss man Umsatz-steuer bezahlen, bei dieser Grenze sind wir schon lange. Aber rechtlich ist es überhaupt kein Problem.Das einzige Problem wäre, wenn der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb nicht nur über unser Personal, sondern

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Bürgerschaftliches Engagement als Fundament für ein sozial erfolgreiches Gemeinwesen?! Wir wissen alle, in welcher Gesellschaft wir leben, der demo-grafi sche Wandel, die soziale Ungerechtigkeit, das Wegbrechen vieler sozialer Netze, und wir leben in einer Zeit der ökonomischen Dauerkrise. Wir kön-nen sicher die schrumpfende Gesellschaft in Europa nicht aufhalten, auch das bürgerschaftliche Enga-gement kann das nicht. Das Problem der sinkenden Geburtenrate ist bekannt für Deutschland, aber das gibt es so in allen westlichen Industriestaaten. In der Vergangenheit waren es vor allen Dingen Randgruppen, die spezielle Probleme hatten, zu deren Bewältigung unser soziales System aktiv bei-tragen musste. Heute dagegen wird es immer stär-ker zu einer weithin wirklich gefühlten Realität, dass unsere Gesellschaft sich in einer gewaltigen Schief-lage befi ndet.Das kann einigen, doch auch trennen. Und hier wird bisher die Chance zur Gemeinsamkeit aus meiner Sicht vertan. Die Frage ist deshalb, wie zukünftig der Erhalt des sozialen Gemeinwesens gesichert werden kann. In einer Gesellschaft, in welcher der jetzigen Generation immer weniger Stabilität gegeben wird und mehr Unsicherheiten aufgebürdet werden, wird diese Generation von heute nicht plötzlich bürger-schaftlich leben können.Hinzu kommt, dass Menschen in starker Einsam-keit und zunehmender Isolation leben. Hier gewinnt natürlich das bürgerschaftliche Engagement als Kommunikationsvermittler große Bedeutung. Da muss natürlich auch Sorge geäußert werden: bürger-schaftliches Engagement ist in der Wahrnehmung der Politik enorm wichtig geworden, es wird überall diskutiert, ist in aller Munde. Hier besteht die Gefahr einer Überlastung und Überforderung von Engage-ment. Es entstehen immer mehr Forderungen an uns, an die Zivilgesellschaft, von uns werden immer

mehr Lösungen für komplexe gesellschaftliche Pro-blemlagen erwartet. Bis jetzt hat Politik aber noch nicht akzeptiert, dass ein bürgerschaftliches Enga-gement natürlich viele Konfl ikte auch erst auslöst. Die politische Angst vor der Bürgerschaft, das ken-nen Sie alle, ist sehr groß. Denn sie stellt politische Herrschaftsstrukturen auch in Frage.Meines Erachtens bieten Mehrgenerationenhäuser heute schon einen idealen gemeinnützigen Dienst. Sie sind für viele Menschen wie eine Großfamilie, sie geben bedarfsorientierte, richtige Antworten auf gesellschaftliche Veränderungen und den demogra-fi schen Wandel. Sie sind Kompetenz-Pools, durch die Verbindung der Generationen, aber auch durch das bürgerschaftliche Engagement.Ich bin auch im Experten-Netzwerk für nachhaltige Finanzierungsstrategien. Das ist ein sehr schwieriger Bereich. Geld zu beschaffen, sich einen Namen oder eine Marke zu schaffen, wie etwa das SOS-Kinder-dorf, das ist sehr schwierig und aufwändig, sich weit-hin bekannt zu machen. Auch wenn bürgerschaftlich Engagierte immer Verantwortung übernehmen, Ehrenamtliche wichtige Arbeit in der Gesellschaft leisten, kann aber bürgerschaftliches Engagement nicht alle Aufgaben erfolgreich bewältigen. Trotzdem

gibt, sondern haben unsere Angebote ganz stark am Bedarf der Menschen entwickelt. Die Arbeit in unse-rem Haus basiert auf sehr persönlichen Kontakten, so dass Lust auf Mitgestaltung entstehen kann.Unser Verein hat sich 1991 gegründet, und erst 1997 haben wir erstmals eigene Räume angemietet. Eigentlich ist nach so einem langen Zeitraum jede Initiative schon tot, wenn man nach zwei oder drei Jahren keine eigenen Räume hat. Damals in dieser Gründungszeit stand oft die Frage auf der Tagesord-nung, ob wir den Verein aufl ösen oder nicht. Aber unser Traum - wenn wir mal eigene Räume haben, dann … -, der hat uns am Leben gehalten. Unzählige Male haben wir politische Überzeugungsarbeit gelei-stet. Irgendwann mussten wir dann auch mal auf die Straße gehen, um unsere Vorstellungen politisch einzufordern. 1996/97 gab es zur Gestaltung und Schwerpunktbildung der Stadt einen Leitbild-Pro-zess in Freudenstadt, innerhalb dessen wir schließ-lich unser Familien-Konzept absichern konnten.Wir haben 2004 und 2005 eine Stiftung gegründet und haben inzwischen sehr viele Auszeichnungen erhalten, auch auf internationaler Ebene. Im letzten Jahr haben wir über die Stiftung noch Räume im Haus angemietet. Und dieses Jahr starten wir eine Kinderkrippe.

In diesem Jahr haben wir einen ganz großen histo-rischen Schritt getan, wir haben die Immobilie jetzt erworben. Das heißt nicht, dass wir das Geld hät-ten, wir haben jetzt über eine halbe Million Schul-den. Die Stadt ist inzwischen auch so weit, dass sie ohne neue Diskussionen eine städtische Bürgschaft übernommen hat. Also ist unser Haus inzwischen als Vorzeigehaus in diesem Land politisch verankert.Wir haben eine ehrenamtliche Hausleitung, der Ver-ein hat einen 7-köpfi gen Vorstand, ein 4-köpfi ges, bis jetzt noch ehrenamtliches Finanz- und Buchhal-

tungsteam. Das ist allerdings in Frage zu stellen, weil der Umfang dieser Arbeit allein von Ehrenamtlichen nicht mehr zu bewältigen ist. Wir haben auch Fest-angestellte, das sind 18 sozialversicherungspfl ich-tige Stellen.Der Nutzerkreis besteht aus etwa 270 Familien pro Woche, was für eine Kleinstadt mit 24.000 Einwoh-nern relativ viel ist. Unsere Nutzer sind überwiegend Frauen, aber auch Jugendliche und Kinder, die wir mit unseren Angeboten erreichen. Auch hier wird vieles ehrenamtlich geleistet. Und wir haben einen ganzjährigen offenen Betrieb, außer im August und in der Weihnachtszeit.

Unsere Angebote will ich nur ganz kurz umreißen. Sie gehen von der Kinderbetreuung bis zu kultu-rellen Angeboten; von Eltern-Kind-Gruppen bis zur Erlebnispädagogik, von Haftvermeidungsprojekten bis zur Integrationsarbeit mit Spätaussiedlern, mit Menschen mit Migrationshintergrund, von haus-haltsnahen Dienstleistungen bis zu Ämterbeglei-tung, Familiennothilfe. Wir haben im Kulturbereich viele Angebote, soziale und berufl iche sowie psy-chosoziale Reintegrationsmaßnahmen. Es geht vom offenen Generationen-Café bis zum Forum für Politik und Wirtschaft Und es gibt vielfache Netzwerke.Über diese Angebote haben wir über die ganzen Jahre, stark am Bedarf orientiert, vieles entwickelt und auch immer wieder festgestellt, dass es tatsäch-lich so ist, dass man dafür eben auch Geld kriegen kann. Es ist nicht so, dass die Politik einem sagt, wo es Geld gibt, sondern das haben wir in vielen Gesprächen selber rausgefunden.

Ich möchte Ihnen unsere Ansichten darstellen, wie es geht, dass Zivilgesellschaft gestaltet werden kann, nicht nur über die Angebote vom Haus, son-dern auch vom Konzept her.

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Mitgestaltungsräume sein, die bedingungslos für alle offen sind. Es bedarf in vielen Einzelheiten des pro-fessionellen Managements, durch das alle Prozesse begleitet werden, so dass vom Telefondienst bis zu Putzarbeiten unsere Philosophie gelebt wird.Ich denke, dann entsteht auch Freude am Mitge-stalten. In meinen Augen sind „Mehrgenerationen-häuser wie soziale Bienenstöcke, voller Leben und Austausch. Der Honig, den sie produzieren, sind menschliche Beziehungen, die Weitergabe von Kul-turwissen in menschlichem Miteinander.“ In dem Sinne, nicht mit brennender Kerze entzündet man die Welt, sondern nur mit brennendem Herzen. Vie-len Dank!

Teilnehmerin: Das hat für mich einen starken Ein-druck von Fürsprache für die MGH’s gemacht. Sind die MGH’s wirklich das alles, was Sie sagen? Muss man das nicht sehr viel differenzierter betrachten, weil jedes MGH anders ist? Es ist ja nicht jedes MGH ein Mütter-Club. Entsprechend vielfältig sehe ich die Landschaft der MGH’s in Deutschland, mit den jeweiligen spezifi schen Herausforderungen.

Marianne Reißing: Jedes MGH ist so wie es sein soll oder sein kann in seinem jeweiligen Nahraum. Zur Gestaltung und Finanzierung gibt es die Programme. Wir sind Gegner einer Projektförderung, weil die nie nachhaltig ist. Wir sind in unserer Arbeit eher so aus-gerichtet, zu gucken, was braucht die Gesellschaft, was brauchen die Menschen direkt vor Ort? Inso-fern sind die Mehrgenerationenhäuser ganz unter-schiedlich gestrickt. Unser Ansatz ist ganz klar, dass wir ganz nah an den Menschen dran sind und auch nichts an ihrem Bedarf vorbei machen.

Timm Lehmann: Wir gehen bei uns im Haus einen etwas anderen Weg, weil es nach unserer Erfahrung

gar nicht so einfach ist zu sagen, was der Bedarf in der Region ist. Sie haben gesagt, dass Sie Angebote, die es woanders schon gibt, nicht machen. Das ist einerseits sehr bedarfsorientiert, andererseits schont es sehr die Ressourcen. Bei unserer Heran-gehensweise sehe ich noch eine mögliche Brücke zur Zivilgesellschaft, wenn wir Leuten die Möglich-keit geben, sich auszuprobieren. Ein Beispiel: Wir haben einen älteren Herrn, der aus eigener Betrof-fenheit ganz viel gemacht hat zum Thema Rücken und Rückenschule. Und deshalb will er in diesem Bereich etwas anbieten, und zwar ehrenamtlich. Es ist in Berlin-Zehlendorf kein Problem, irgendwo einen Kurs dazu zu fi nden, das gibt es breit gestreut. Wir hatten dann trotzdem gesagt, dass wir ihm die Tür aufmachen und ihm den Raum zur Verfügung stellen, damit er sein Angebot an Menschen in der Region ehrenamtlich und kostenlos machen kann. Da wird nur eine Umlage für Reinigung und Heizung erhoben, das heißt, wir schließen auch die einkom-mensschwachen Leute nicht aus.Man könnte sagen, dass das nicht bedarfsorientiert ist. Aber was ist der Bedarf, das ist eine spannende Frage. Ich glaube, wir holen Energie ins Haus, auch Energie für gesellschaftliches Engagement – und das auf mehreren Ebenen. Wir beteiligen Leute mit niedrigem Einkommen, wir beteiligen Leute, die Lust haben, sich in Bewegung zu setzen und wir schaffen Vorbildfunktion. Die anderen Nutzer des Hauses sehen, dass jemand was macht, was er gut kann und gerne macht und gibt es ins Gemeinwe-sen. Insofern entstehen aus dem Tun dieses Man-nes große Erträge, Mehrwerte, obwohl der Bedarf in Zehlendorf gedeckt zu sein scheint.

Marianne Reißing: Bedarfsorientierung heißt sicher zu unterschiedlichen Zeiten in unterschiedlichen Regionen immer etwas Anderes. Aber das, was Sie in

ist unsere Haltung bei allem: wir wollen aktivieren, bewegen, helfen, den Willen der Menschen unter-stützen, ihr Leben und ihr soziales Umfeld selber zu gestalten. Und was ganz entscheidend ist, dass Fragen in den Mehrgenerationenhäusern nach Teil-habechancen in allen Bereichen gestellt werden und nicht einfach nur zur Realisierung von Einzelin-teressen. Das ist für mich eigentlich zutiefst gelebte Demokratie.

Doch, wir brauchen eine nachhaltige Sicherung. Es sollte uns dauerhaft gelingen, in sozialer Nach-barschaft und im Gemeinwesen zu arbeiten. Diese Fragen sollten sich meines Erachtens in der ganzen Stadtentwicklung niederschlagen, um Engagement und sozialen Wandel zu unterstützen. Die Bereit-schaft dazu war und ist bei uns in der Stadt nicht immer vorhanden.Die Bereitschaft zum Dialog muss von der Politik ein-gefordert werden, es müssen neue Wege gegangen werden. Und, was ökonomisch nicht unerheblich ist, wir sind inzwischen eine wirtschaftliche Größe, und die lokale Lebensqualität ist in unserer Stadt nicht zuletzt durch unser Haus sehr verbessert worden. Wir tragen jeden Tag dazu bei, dass Menschen sich wohl fühlen in der Stadt, ihre eigenen Vorstellungen vom Leben durch ihr zivilgesellschaftliches Wirken umsetzen .Damit Menschen Freude am Mitgestalten haben, bedarf es vertrauensvoller Kommunikationsfor-men. Es bedarf neuer Kooperationen auf gleicher Augenhöhe, die wir gnadenlos in allen Bereichen einfordern. Es wird Bedarf gestaltet , aber ganz ohne Vorbedingungen und in völlig offener Form, so dass die Menschen sich darin wiederfi nden. Wir brauchen eine neue Kultur der Verständigung, aber auch eine neue Kultur des Miteinanders, das muss gelebt wer-den, und wirklich erlebt werden.

Mein Fazit ist: Bürgerschaftliches Engagement ist eine starke Kraft in unserer Demokratie. Bür-gerschaftliches Engagement ist eine der größten Ressourcen für unsere Zukunft. Deswegen habe ich es auch in das Thema Finanzen gepackt, es ist die gesellschaftliche Existenz schlechthin, die sich eigentlich auch immer wieder selber erneuert. Die aber in den Familien heute zum Teil nicht mehr erlernt wird. Die soziale Form der Familie steht heute immer stärker unter Druck. Von daher schaf-fen Mehrgenerationenhäuser eine Entlastung für Familien. Und ehrenamtliches Engagement bietet Grundlagen für entstehende starke Freundschaf-ten zwischen Menschen, deren Tun gesellschaftlich von großem Wert und Nutzen ist. Das Engagement wirkt in immer stärkerem Maße auf die beteiligten Personen zurück. Dennoch ist bürgerschaftliches Engagement auch mit Sorge zu betrachten und wir müssen uns fragen, was das für uns bedeutet, wenn inzwischen in allen Bereichen immer mehr bürgerschaftliches Engagement gefordert wird.

Ich denke, es kann den Zusammenhalt in der Gesell-schaft stärken. Das bedeutet aber nicht, dass sich der Staat aus all diesen Bereichen einfach zurückziehen darf. Die Frage ist, was die Menschen brauchen, was braucht die Gesellschaft, und das sind die zentralen Fragen, die wir uns auch in den Häusern stellen. Aus dem Grund muss der Wert des bürgerschaftlichen Engagements und seine besondere Bedeutung und die Qualität für ein sorgendes Gemeinwesen neu ent-deckt, gepfl egt und geschützt werden.Dazu brauchen wir neuartige Lern- und Lebensorte, die wir in unseren Häusern mit hoher Kompetenz ent-wickelt haben. Was ganz wichtig ist, was uns oft gar nicht so bewusst ist, dass Räume bedingungslos auf-gesucht werden können. Nur so schaffen wir es, auch gewisse Nicht-Betroffene zu erreichen. Es müssen

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Finanzen anbelangt, haben wir die Stiftung gegrün-det und sind dann in ganz vielen Angebotsbereichen kreativ geworden, wo es eben auch Geld kostet.

Teilnehmerin: Wir haben gestern im Forum über das Spannungsfeld Ehrenamt und Aufwandsentschädi-gung diskutiert. Ist das für Sie auch ein Thema?

Marianne Reißing: Im Vorstand sind wir drei ehren-amtlich Tätige, die das Haus leiten, unsere Buch-halterin auch, also das ist eigentlich kein Thema. Wir fragen die Menschen immer, ob sie was bezahlt haben oder ehrenamtlich etwas tun wollen. Wir kön-nen nicht mehr als 7 Euro Aufwandsentschädigung pro Tag bezahlen, wenn sie etwas haben wollen.

Teilnehmerin: Sie bekommen eine Aufwandsentschä-digung?

Marianne Reißing: Nein, wir haben fest angestellte Mitarbeiter, Honorarkräfte, Ehrenamtliche mit Auf-wandsentschädigung und solche, die nur ehrenamtlich mitarbeiten. Wir im Vorstand arbeiten ehrenamtlich.

Teilnehmerin: Ohne Aufwandsentschädigung?

Marianne Reißing: Komplett ohne.

Teilnehmerin: Mich würde interessieren, wer mit welchen Anteilen die Freiwilligen anleitet? Wir gehen hier immer von einem bestimmten Typus von Freiwilligen aus, die kommen und ganz genau wissen, was sie wollen. Das ist bei Freiwilligen aber nicht immer so, manche müssen erst ihren Weg finden oder brauchen Anleitung. Es wurden Paten-schaften angesprochen. Ich selbst koordiniere seit zehn Jahren Patenschaftsprogramme und weiß ganz genau, dass es zwischen den ganzen Leuten

viele gibt, die solch eine Aufgabe überfordert oder die nicht geeignet sind. Wer strukturiert so was bei Ihnen? Wer steuert oder lenkt das freiwillige Enga-gement? Wer begleitet das, damit sie auch wirklich in den Handlungsfeldern landen können, in denen sie Kompetenzen anwenden oder sich weiterent-wickeln können?

Marianne Reißing: Das steuert der ehrenamtliche Vorstand. Damit die Bürger in Prozessen verortet sind, wo ihr Interesse liegt. Wir haben seit Jahren als Verein sowohl externe wie interne Fortbildungen, in denen sich jeder der möchte qualifi zieren kann.

Teilnehmerin: Und fi nden Sie auf die Art für jeden den passenden Platz oder bleiben Leute wieder weg, weil sie sagen, das ist nicht meins?

Teilnehmerin: Wir sind im Workshop Konzepte und Finanzen. Mir fehlt, dass man über die Finanzen spricht und darüber, wie es tatsächlich mit den Mehrgenerationenhäusern weitergeht. Die Konzepte gut und schön, die haben wir alle, aber wenn dann die 40.000 Euro weg sind – was dann? Haben da Leute schon Ideen, wie es weitergeht? Bei uns ist nächstes Jahr Ende – und dann ist Ende.

Ralf Gilb: Vielleicht fi nden wir nachher noch die Zeit, um darüber zu diskutieren. Gibt es noch zu den Referaten Fragen?

Teilnehmerin: Wie ist es Ihnen gelungen, die Politik entsprechend unter Druck zu setzen oder zu zwingen?

Marianne Reißing: Indem wir politisch sehr wach waren, sehr unbequem waren und auch über sehr viele Netzwerke in Gremien präsent sind und des-halb wahrgenommen werden, weil wir ein ehren-

Ihrem Beispiel schildern, machen wir natürlich auch, indem wir einfach Gestaltungsspielräume zur Verfü-gung stellen. Bestimmte Projekte machen bei uns keinen Sinn. Z.B. ist in unserer Kurstadt Integration kein Thema, Migration auch nicht, obwohl es Thema sein müsste. Es gab keinen Sozialausschuss in dieser Stadt, wirklich keinen Ausschuss, der sich für Soziales zuständig gefühlt hat, den haben wir durch unsere intensive Netzwerk-Arbeit erst implementiert. Wir haben ein Lesepatenprojekt, Kultur für türkische Mütter, die mit keinem Programm erreichbar waren. Dass türkische Mütter jetzt kommen, die wir über Jahre eingeladen hatten, ist ein Nebeneffekt von diesem Lesepatenprojekt. Es ergab sich seitens der türkischen Familien sehr schnell ein großer Bedarf an psychologischer Beratung, denn oft herrscht in dieser Hinsicht große Not in den Familien. Und wir haben inzwischen, privat fi nanziert, eine türkische Muttersprachlerin, eine Psychologin aus Stuttgart, die alle zwei Wochen mit den Frauen arbeitet. Und es sind inzwischen auch Männer in diesem Lesepa-tenprojekt, das so angelegt ist, dass die Menschen durch die Mitgestaltungsmöglichkeiten plötzlich Lust haben zu lesen.

Aber, das muss ich ehrlich sagen, es gibt etliche Bereiche, da ist eine allein ehrenamtliche Gestal-tung einfach fehl am Platze. Man kann in ein solches Lesepaten-Projekt als Anleiter nicht einfach Oma und Opa reinsetzen, auch wenn ihnen das Freude machen würde. Man muss also darauf achten, dass an schwie-rigen Stellen Fachkompetenz eingesetzt wird.

Teilnehmerin: Zur Frage, ob ein Angebot bedarfso-rientiert oder auch marktorientiert ist: Man guckt ja bei Bedarfsorientiertheit nicht danach, wie man die vorhandenen Bürger sinnvoll einsetzt, so wie man etwa einen Arbeitnehmer einsetzt. Sondern die Bür-

ger setzen sich selber ein und können den Bedarf auch selbst defi nieren. So entsteht aus dem Tun für sich selber: was ich für mich mache, mache ich zugleich für andere, für die Gesellschaft.

Wo kommen eigentlich Zeitressourcen bei Ihnen her? Sie haben als Mütterzentrum angefangen, ich setze mal voraus, dass zu Beginn viele Mütter dabei waren, die nicht erwerbstätig waren. Jetzt haben Sie gesagt, dass auf den Familien immer mehr Druck lastet, wahrscheinlich durch die doppelte Erwerbs-tätigkeit. Können Sie denn in Zukunft die Arbeit von Ehrenamtlichen halten?

Marianne Reißing: Also wir waren immer viele Frauen und Männer, die gleichzeitig berufstätig waren. Das ist auch heute noch so. Wir haben wirklich ein Forum geschaffen, wo es möglich ist, dass durch freiwilli-gen Einsatz, der ja auch Spaß machen soll, vieles geschaffen wird. Das kann allerdings aufgrund der Größe unseres Hauses nicht bedeuten, dass alles nur auf bürgerschaftlichem Engagement beruhen kann. Von daher haben wir auch hauptamtliche Stel-len schaffen müssen, es geht gar nicht anders, ob es die Kinderbetreuung ist, der Hauswirtschafts- oder Verwaltungsbereich.

Wenn Sie fragen, wo die Zeitressourcen herkommen, ich denke, wir haben es einfach geschafft mit unse-rer Philosophie, dass man nach wie vor Lust hat mit-zugestalten. Wir hatten immer Eltern-Kind-Gruppen, dafür gab es einen großen Bedarf in Freudenstadt. Die waren über Jahre da, und die Beteiligten dieser Gruppen hatten Lust auf die Gestaltung. Und wir hat-ten die ganzen Netze bei uns, auch Treffpunkte wie das Café, und die haben die Leute gerne gestaltet. Als wir feststellten, dass die Beteiligung stark zurück-gegangen ist, wir aber auch knapp waren, was die

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der arbeiten, welche Profession sie haben. Die Frage stellt sich überall neu: wer begleitet Ehrenamtliche, mit welcher Profession? Wer führt die Gespräche? Man kann das nicht von einem Haus auf andere übertragen.

Teilnehmerin: Ich fi nde es fatal, dass oftmals Ehrenamt gleichgesetzt wird mit Leuten, die keine Ahnung haben. Ehrenamt bedeutet erst mal nur, dass jemand nicht bezahlt wird. Der kann eine Aus-bildung in dem Bereich haben, hat er häufi g auch, vielleicht aber auch nicht. Dagegen wird bei jedem, der nicht ehrenamtlich arbeitet, vorausgesetzt, dass er seine Sache gut und gerne macht. Nur weil er eine Ausbildung in dem Bereich hat, muss er nicht kom-petent sein. Man sollte das nicht verwechseln. Die Gesprächsleitung kann auch jemand machen, der das vielleicht nicht irgendwann richtig gelernt hat, aber sich da vielleicht Kompetenzen erworben hat.

Teilnehmerin: Viele Arbeiten im sozialen Bereich und in Mehrgenerationenhäusern sind in jedem Fall hochprofessionelle Aufgaben, ob sie nun bezahlt sind oder ehrenamtlich gemacht werden. In meinem Umfeld habe ich in der Mehrzahl mit Menschen zu tun, die sozial eine Unterstützung brauchen, die professionell, fachlich und zeitmäßig eine Unterstüt-zung brauchen. Von daher habe ich all diese Res-sourcen in meinem Umfeld in der Menge nicht. Ich weiß, dass darin eine ganz große Kraft liegt, auch Laien in diese Unterstützungsarbeit einzubeziehen, aber ich habe in meinem Umfeld nicht diese Menge an Kraft in unterschiedlichster Art und Weise. Da ist die Frage, wo kriegt man diese Menge her?

Teilnehmerin: Das Interessante an dem Aktionspro-gramm ist ja, dass es 500 unterschiedliche Mehr-generationenhäuser in Deutschland gibt. Oder dass

es auch unterschiedliche Stadtteilzentren gibt. Ich komme aus Rostock und leite ein Stadtteilzentrum und ein Mehrgenerationenhaus, wobei das MGH für mich das i-Tüpfelchen auf dem Stadtteilzen-trum geworden ist. In Rostock ist die Situation ganz anders als in Freudenstadt, wir haben dieses durch Jahre gewachsene bürgerschaftliche Engagement so nicht. Obwohl ich auch viele Menschen habe, die sich ehrenamtlich einbringen und engagieren wol-len und dafür einen Ansprechpartner suchen. Ich denke, es sollte Professionelle geben, aber wir soll-ten die Menschen mit Profession, nämlich die, die uns ihre Profession aus ihrer Arbeits- oder Lebens-welt schenken, gleichwertig behandeln, auf gleicher Augenhöhe.Weil es jetzt auch um die Weiterfi nanzierung geht, dieses Schwert der fi nanziellen Unsicherheit schwebt über uns allen, einige können es besser abfedern, mancher kann es nicht. In Rostock sind die Kassen auch leer, wir wissen nicht, ob die Kommune jemals bereit sein wird, sich prozentual an einem Anschlus-sprogramm zu beteiligen. Ob wir ein MGH sind, ein Nachbarschaftszentrum oder ein Stadtteilzentrum, also ich habe gelernt, dass wir unterschiedliche Namen haben, aber wir alle arbeiten mit den gleichen Zielgruppen, für die gleichen Zielgruppen und enga-gieren uns gemeinsam mit Menschen. Und so sollten wir uns auch gemeinsam deutschlandweit verstehen.Ich fi nde das wunderbar, was Sie da unten auf die Beine gestellt haben. Aber ich bin auch zufrieden mit dem, was wir auf die Beine gestellt haben.

Marianne Reißing: Diese Vielfalt unserer Häuser, die macht es aus. Ich kann nur zutiefst überzeugt sagen: wir stellen eine politische Macht dar. Es ist in Deutschland eine Engagementstrategie beschlossen worden. Wir haben auch die ganzen Bundestagspro-tokolle durchforstet, um zu gucken, ob die Ministe-

amtlich geleitetes Haus sind, das imponiert vielen Politikern in der Stadt. Besonders wichtig ist, dass bei politischen Verhandlungen, in denen es um konkrete Bedingungen geht, die für Familien verbessert werden müssen, die Betroffenen in möglichst großer Zahl mit am Verhandlungstisch sitzen. Wir vertreten schließlich in unserem Haus einen zivilgesellschaftlichen Ansatz, und das wird durch die zahlreiche Präsenz der Menschen unter-strichen. Es macht sehr viel Mühe und man macht sich nicht beliebt, aber inzwischen – nach 20 Jah-ren – haben wir einen historischen, gangbaren Weg geschaffen.

Teilnehmer: Wie viele Stunden investieren Sie als Ehrenamtliche?

Marianne Reißing: Im Haus mache ich über 80 Stunden im Monat. Da muss jeder gucken, wo seine Grenzen sind. Der erforderliche Aufwand hängt auch von den Bereichen ab, in denen man sich einbrin-gen kann und will. In Politik und Verwaltung kann es manchmal sehr viel werden, das ist schwierig, aber auch sehr interessant.

Teilnehmerin: Ich war freiberufl ich bei einer Pro-jektagentur tätig. Wir arbeiten auch in Mehrgene-rationenhäusern und haben dort Ehrenamtliche eingesetzt. Warum soll es eine Regelfi nanzierung für einen Erzieher oder einen Sozialpädagogen geben, wenn wir Freiwillige haben, die viele Arbeiten machen wollen, die sie auch sehr gut machen.

Marianne Reißing: Eine große Gefahr ist ja in vie-len Bereichen, dass Fachkräfte engagierte Bürger ersetzen und dadurch deren Engagement abwür-gen. Andererseits: wir haben bei uns im Haus immer wieder auf die menschlichen Ressourcen gesetzt. Ich kann es vielleicht an einem Beispiel deutlich machen. Wir haben bei uns im Haus Jugendliche, die schon bestraft wurden und jetzt zur Jugendge-richtshilfe müssen; oder eben psychisch kranke oder langzeitarbeitslose Menschen, die aus unterschied-lichen Gründen institutionell mehrfach gescheitert waren. Natürlich kann in manchen dieser schwie-rigen Fälle nicht jeder Mensch eine persönliche Begleitung machen, weil ihn das vielleicht überfor-dert. Aber grundsätzlich sind es ja nicht immer nur Laien, die Ehrenarbeit machen, sondern Menschen mit unterschiedlicher fachlicher Qualifi kation, wie etwa unser Schreiner. Fachlichkeit oder Nichtfach-lichkeit wird immer so bewertet, dass jemandem ohne Profession Qualitäten abgesprochen werden. Wir sehen unsere Aufgabe aber gerade darin, unter-schiedlichste Grade von Kompetenzen nutzbringend zusammen zu bringen. Denn dabei entsteht ja auch eine Qualifi zierung.

Teilnehmerin: Aber trotzdem ist die Frage, wo Stan-dards sind? Wo setzen wir Standards miteinander? Ich fi nde es toll, dass es bei Ihnen in Freudenstadt so funktioniert, aber es funktioniert in anderen Häu-sern nicht, je nachdem, welche Frauen da miteinan-

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sellschaft wird es weiter geben, die im Gemeinwesen aktiv ist, aber die Lösung dieses Problems kann nicht allein zu Lasten der Zivilgesellschaft gehen. Unsere bisherige Arbeit zu sichern mit einem kleinem Folge-programm MGH, das wäre eine Chance für die Politik, aber nicht ohne Grundfi nanzierung.

Manja Mai: Ich gebe eine kurze Zusammenfassung und habe versucht, das ein bisschen zu differenzieren. Auf der einen Seite gibt es Sachen, die sich konkret auf das Finanzierungsthema beziehen, aber ich habe auch Sätze notiert, die ich bemerkenswert fand.

Die Angebote am Bedarf entwickeln, das klingt erst mal wie ein Allgemeinplatz, aber daran arbeiten wir immer wieder neu und das erarbeiten wir uns auch immer wieder neu. Eine neue Kultur des Wir muss erlebt werden. Bürgerschaftliches Engagement ist das Rückgrat der Gesellschaft, ist eine gesellschaft-liche Energiequelle. Das fi nde ich bemerkenswert.

Menschen brauchen Verbindungen, um ihre Kompe-tenzen sinnvoll einzusetzen, es reicht nicht, Freiwillige zu sammeln und irgendwo reinzusetzen. Räume müs-sen bedingungslos aufgesucht werden dürfen, also die Niedrigschwelligkeit in unserer Arbeit am Bürger und mit den Menschen muss immer gegeben sein.

Aber, da wir sinnvolle Arbeit machen wollen, sollen und müssen, brauchen wir eine größere Sicherheit in unserer Arbeit, also wir brauchen eine klare und sichere Finanzierung.

Neue Kooperationen auf gleicher Augenhöhe müs-sen geschlossen werden. Da sind verschiedene Bereiche genannt worden, der wirtschaftliche Bereich. An manche Bereiche denkt man vielleicht heute noch gar nicht.

Der Staat darf sich nicht aus allen Bereichen zurück-ziehen.

Überforderung: Es werden immer mehr Lösungen von der Zivilgesellschaft für komplexe gesellschaft-liche Entwicklungen erwartet.

Spannungsfeld Ehrenamt: Das zieht sich ja nicht nur durch die heutige Diskussion, sondern auch in den gestrigen Arbeitsgruppen war das immer wie-der Thema. Wir haben viele Freiwillige, aber woher haben wir die eigentlich und wie kommen wir zu guten Freiwilligen? Wie gehen wir mit den Freiwilli-gen um? Ehrenamt braucht professionelle Beglei-tung. Ehrenamt ist ähnlich wie Vernetzung, das frisst wahnsinnig viel Zeit.

Ich bedauere, dass so wenig Zeit war, weil mich noch andere Dinge interessiert hätten. Mich hätte noch interessiert, welche Erfahrungen Sie mit ver-schiedenen Finanzierungsmöglichkeiten haben? Wir könnten da ein paar lustige Geschichten aus dem Programm „Soziale Stadt“ erzählen. Aber vielleicht ergibt sich darüber noch später ein Austausch.

Ralf Gilb: Ich danke allen Beteiligten für die interes-sante Veranstaltung!

rin wirklich eine konkrete Aussage dazu macht. Das ist bestätigt worden, nachdem die nationale Enga-gementstrategie verabschiedet wurde. Und es soll ja ein Folgeprogramm geben, aber wir haben jetzt erstmalig einen Termin, wo wir versuchen wollen, diese allgemeine Strategie konkret für uns in Hand-lungs- und Finanzierungsstränge umzusetzen. Aber das Problem wird sein, Herr Scherer hat das ange-deutet, es ist politisch fatal, dass die Bundesregie-rung es verpasst hat, die Länder und die Kommunen schon im Vorfeld mit an den Tisch zu holen. Län-dervertreter wurden wieder ausgeladen, es sollte einen anderen Termin geben. Das ist bis heute noch nicht passiert, weil das ständig nur verschoben wird. Kommunen und Länder müssen aber in diesem Fall bei der Bundesplanung dabei sein, denn sie sollen schließlich Folgekosten übernehmen. Da müssen wir uns einfach anders aufstellen und ich kann dazu nur aufrufen!

Ralf Gilb: Die vorgestellten Projekte sind sehr unterschiedlich und wir dürfen nicht Äpfel mit Bir-nen vergleichen. Ich würde trotzdem gerne noch die Arbeitsansätze der Mehrgenerationen- und Nach-barschaftseinrichtungen vergleichen, auch unter dem Gesichtspunkt, was die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede sind. Welche Bausteine kön-nen Sie benennen, auch in Zeiten knapper fi nan-zieller Mittel, eine qualitativ hochwertige Arbeit zu gewährleisten?

Ralf Jonas: Das habe ich mit meinem Vortrag ver-sucht auszudrücken, ich glaube, mit einer entspre-chenden Grundfi nanzierung lässt sich über ganz viele Sachen nachdenken. Wenn eine Einrichtung in den Grundzügen einigermaßen abgesichert ist, kann man gut über die Entwicklung der Gesellschaft nachdenken, über die Entwicklung von Ehrenamt-

lichen reden. Wenn man aber mit dem Rücken zur Wand und vor dem Zusammenbruch steht, wie jetzt in Aachen, ist das schwierig.

Zum Thema Ehrenamtlichkeit: Es scheint auch Glücks-fälle zu geben. Ich habe einen 90-jährigen Herrn, der komplett mit Sicherheit eine sehr kompetente halbe Stelle bei mir im Seniorenbereich abdeckt. Aber das ist ein Glücksfall, der nicht so oft stattfi ndet.

Wenn sich so was wie bei euch entwickelt, ist das toll, hat eine Geschichte, aber es ist nicht unbedingt übertragbar auf schon bestehende Einrichtungen, die professionell auch eine Geschichte haben und sich jetzt auch diesem Thema stellen, wie sie sich den zukünftigen Aufgaben stellen werden. Was müs-sen wir verändern? Was müssen wir neu machen? Ansonsten gibt es eine große Vielfalt, es gibt viele gute Ideen und es gibt auch Glücksfälle.

Marianne Reißing: Bürgerschaftliches Engagement, so wie es bei uns durch zähe Ausdauer im Verlauf vie-ler Jahre entstanden ist, das würde ich nicht gerade als Glückfall bezeichnen, denn das haben wir hart erkämpft in Freudenstadt. Ich würde es gerne noch mal auf einen allgemeinen Fokus lenken: Wir wissen, wo es zukünftig in diesem Land hingeht, die Statisti-ken sind klar. Wenn man in Baden-Württemberg zum Beispiel nur mal das Thema Migration aufgreift, dann ist deutlich, dass 51,7 % der zukünftigen Nachkom-men, und das war Nürnberg nicht bewusst, das sind Kinder aus Migrantenfamilien, da sind Spätaussied-ler nicht dabei, die Zahl ist also eigentlich noch höher. Morgen wird also über die Hälfte der zukünftigen Nachkommen aus Migrantenfamilien sein, die unse-ren Staat tragen. Da ist doch klar, dass ich da auch in der Bildungspolitik mit Geld reingehen muss. Bürger-schaftliches Engagement gibt es sehr wohl, Zivilge-

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Input:Elke FensterGeschäftsführerin des Moabiter Ratschlags e.V.:Der Zuwendungs-Finanzierungs-Mix – ein Cocktail mit Nachwirkungen. Er belebt die inhaltliche Arbeit, ist für die Verwaltung jedoch nur schwer zu ver-dauen. Wie gehen wir damit um? Was können wir verändern?Annette KöppelVorsitzende MOBILE e.V. und Leiterin MGH Pattensen:Finanzierungs- und Angebotsmix – fi nanzielle, perso-nelle und inhaltliche Synergien contra Überforderung und Intransparenz. Wie kann sich eine Einrichtung zukunftsfähig verorten?Andreas NätherGeschäftsführer Sprungbrett e.V., Riesa:Wie viel Finanzierungs(un-)sicherheit braucht ein Nachbarschafts- oder Mehrgenerationenhaus?Marita DockterGeschäftsführerin des Quäker Nachbarschaftsheims Köln:Das Chaos als Programm.

Moderation:Marita DockterGeschäftsführerin des Quäker Nachbarschaftsheims

Konzepte und Finanzierungs-modelle im Bundesgebiet:

Erfahrungsberichte und Diskussion

Gruppe: 2

Forum A

Fachtagung 2010

Marita Dockter: Wir haben alles getan, um die Fol-gen von Kürzungen zu verhindern und sind relativ gut dabei weggekommen, wenn man die Gesamt-landschaft bei den Kürzungen in Köln sieht. Dann wurde uns gesagt: Jetzt müsst ihr auch in den Ziel- und Leistungsvereinbarungen nachweisen, dass ihr weniger macht. Wir machen aber tatsächlich nicht weniger, weil wir versuchen, das notwendige Geld woanders herzubekommen. Insofern werden diese Ziel- und Leistungsvereinbarungen zur Makulatur, aber sie dienen dazu, der Politik deutlich zu machen, was passiert, wenn wir weniger Geld bekommen. Dieses Geld dient im Quäker-Nachbarschaftsheim als Klammer.Das Quäker-Nachbarschaftsheim hat 30 fest angestellte Mitarbeiter, Teil- und Vollzeit, ungefähr 30 Honorarkräfte, 60 Ehrenamtliche, Bilanzsumme: 1,5 Millionen.Uns gibt es schon seit 60 Jahren, angefangen haben wir mit Kinderkuren. Diese Kinderkuren sind dann zu einer Kindertagesstätte geworden. Die Kindertages-stätte hat drei Gruppen und wird nach KiBiz fi nanziert. KiBiz bedeutet, dass das Land 91 % der Finanzierung übernimmt, das wird durch die Stadt an uns ausge-wiesen. 9 % beträgt der Eigenanteil, von dem ich nicht weiß, wo ich den hernehme. Zur Kindertagesstätte gehört ein Familienzentrum, das ist im Rahmen der Entstehung der Mehrgenerationenhäuser relativ zeit-gleich geschaffen worden.Wir haben in Köln ein Mehrgenerationenhaus, was mit den Bürgerzentren und den Bürgerhäusern nichts zu tun hat, es ist nicht im Arbeitskreis dieser Einrichtungen. Da es eine andere Finanzierung hat, wird es von der Abteilung Bürgerhäuser und Bürger-zentren nicht wahrgenommen. Köln ist groß, wenn da 12 Bürgerhäuser und Bürgerzentren sind, verliert sich dieses eine MGH.Wir haben dieses Familienzentrum, 12.000 Euro im Jahr für Angebote für Familien, Kinder und Jugendliche.

Power Point Präsentation von Anette Köppel über die Arbeit des MGH Pattensen

Da gibt es einen Bruch, denn Senioren sind da nicht mehr beteiligt. Dann bekommen wir – wofür man einen Verwendungsnachweis machen muss – 305 Euro für Sprachförderung für zwei Kinder, die mit vier Jahren den Sprachtest nicht bestanden hatten. Da hatten wir also für ein ganzes Jahr 305 Euro zur Ver-fügung und mussten mit einem Wahnsinnsaufwand belegen, was wir damit gemacht haben.Die Kita hat eigentlich mit diesem Sozialamts-zuschuss für Bürgerhäuser und Bürgerzentren überhaupt nichts zu tun, außer dass darüber die Buchhaltung fi nanziert wird, die Verwaltung, das sind beide Teilzeitstellen, und ich. Und wir drei arbeiten natürlich für die Kita mit. Die Kita könnte ohne uns nicht existieren, insofern ist der dafür vorhandene Zuschuss von 230.000 Euro für uns extrem wichtig.

Ein zweiter großer Arbeitsbereich sind vom Finanz-volumen her die Hilfen zur Erziehung. Köln arbeitet da mittlerweile sozialräumlich, das heißt, ganz Köln ist in Sozialräume aufgeteilt, und in den einzelnen

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Petra Sperling: Vielen Dank für Ihre differenzierte Darstellung. Wir öffnen jetzt die Runde für Erfah-rungen und den Austausch, wie es weitergehen kann.

Herbert Scherer: Ich mache im Augenblick eine inter-essante Erfahrung. Jahrelang war ich Geschäftsfüh-rer und jetzt bin ich Vorstand eines kleinen Vereins und habe dort auch einen Geschäftsführer. Dieser Geschäftsführer kommt immer auf neue Ideen. Er sagt, wir können da noch Geld kriegen, wir können dort noch Geld kriegen. Jetzt bin ich als Vorstand plötzlich in der Situation, dem Geschäftsführer zu sagen: Ja, und warum? Wo bleibt die eigentliche Bestimmung von dem, was wir wollen? Frau Köppel hat das in das Zentrum ihrer Schilderung gestellt und ich glaube, dass das letztendlich auch die Lösung vieler Schwierigkeiten ist, weil wir das verlernt haben. Wir haben viel zu sehr die Defi nitionsmacht von dem, was getan werden soll, an andere überge-ben. Und je weiter sie weg sind, desto widersprüch-licher wird das Ganze bzw. desto schwieriger wird die Übersetzungsarbeit, die wir aus der Geschäfts-führerrolle leisten müssen. Wir müssen das, was andere wollen, die überhaupt keine Ahnung haben, kompatibel machen mit dem, was wir denken, was vor Ort wichtig ist.Wenn wir es nicht schaffen, eine Gegenströmung zu machen, die letztendlich nur aus dem an uns herangetragenen Bedarf bestehen kann, wenn wir das nicht transportieren und mutig sind gegenüber denjenigen, die die Programme schreiben, indem wir sagen, was wirklich notwendig ist und auch etwas tun, damit das realisiert wird, wird es für alle verdammt schwierig. Weil wir dann an Bedeu-tung verlieren werden. Das wäre auch die Brücke zu dem, was Konrad Hummel heute Morgen gesagt hat.

Vorstellung der Arbeit des MGH Pattensen

Sozialräumen gibt es sogenannte Schwerpunktträ-ger. Die Schwerpunktträger machen alle Hilfen zur Erziehung, also alle Projekte, die in diesem Sozial-raum anfallen. Diese Dinge machen wir in zwei Sozialräumen. Einer davon ist in Chorweiler, was relativ weit weg ist. Bei dem anderen hatten wir das Glück, dass wir den Sozialraum kriegten, in dem unser Haus steht und wo unsere ande-ren Angebote sind. Aber das war ein gewisser Kampf, sie wollten uns eigentlich woanders hinschicken.Diese Finanzierungen laufen über Fachleistungs-stunden oder, in den Projekten, projektbezogen. Der Ressourcen-Checker, der also klärt, welche Angebote es im Sozialraum schon gibt, wird für seine Aufgabe extra bezahlt, dafür gibt es eine Festsumme für ein Jahr, dann muss er das geklärt haben. Diese Dinge laufen über Rechnungen, für die wir das wirtschaftliche Risiko tragen: wenn Mit-arbeiter krank werden oder ausfallen, dann können wir diese Stunden nicht abrechnen und haben ent-sprechend weniger Geld zur Verfügung. Ich glaube aber, gegenüber Berlin sind wir, was diese Fachlei-stungsstundenhilfen für Erziehung angeht, noch sehr gut bedient. Wobei wir auch da Vorgaben vom Jugendamt haben, wir müssen Personal fest ein-

stellen, mit der Qualifi kation Sozialarbeiter, Sozial-pädagoge oder Vergleichbares. Dafür brauche ich zwar das Geld vom Sozialamt nicht, aber ich brauche es als Klammer, weil wir die Rechnungen schreiben, weil ich in die entstehenden Arbeitsgemeinschaften gehe, weil ich die Strukturen mit entscheide. Auch dieser Bereich könnte ohne diese fi nanzielle Klammer nicht existieren.Die beiden anderen Bereiche bei uns sind zum einen die Offene Kinder- und Jugendarbeit sowie ein gro-ßer Seniorentreff. Wir haben eine Offene Tür für Kinder und Jugendliche, die zum Teil auch aus die-sem Zuschuss bezahlt wird. Sowohl im Seniorentreff als auch bei den Kindern und Jugendlichen gibt es natürlich noch jede Menge Angebote, Projekte, die begrenzt oder als Dauerprojekte laufen.

Gerade haben wir wieder ein Dauerprojekt über ein Jahr beendet, das war eine Mittagsbetreuung für Schulkinder, 20.000 Euro für 25 Kinder im Schul-jahr. Das ist eigentlich eine ganz gute Finanzierung. Die Abgabe für den Verwendungsnachweis war am 31.10., kurz vorher haben wir das Schreiben gekriegt: da ja die Bewilligung für den Zeitraum noch nicht da ist, brauchen wir auch zurzeit keinen Verwendungs-nachweis zu machen, sie melden sich, sobald wir den Verwendungsnachweis abgeben sollen.

Das ist unsere Situation in Köln. Wir bewerben uns nicht um LS-Mittel, weil wir in einem Stadtteil sind, wo wir die nicht kriegen würden. Wir haben keine Erfahrungen bisher mit ESF, sondern wir hängen tat-sächlich in diesem Land von städtischen Finanzie-rungen ab. Auch da ist es manchmal sehr schwierig zu sortieren, wie die Ausrichtungen oder die Anforde-rungen der Stadt von den unterschiedlichsten Stel-len an uns sind und wie wir dieses Geld tatsächlich nutzen können, um als Ganzes noch zu existieren.

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Renate Wilkening: Nachbarschaftszentrum Ufa-Fabrik. Ich halte einen Punkt für ganz wichtig: Du hast gesagt, der Geschäftsführer kommt immer auf neue Ideen. Bei uns kommt nicht nur die Geschäftsführung auf neue Ideen, sondern wir sind ein großes Haus, da kommen sehr viele Menschen auf neue Ideen.Wir haben festgestellt, dass manchmal Geldange-bote eher ein Fluch als ein Segen sind, weil sie uns tatsächlich in eine Situation bringen, dass wir über-legen müssen, ob wir überhaupt die Ressourcen und die Kapazitäten haben, etwas Neues zu tun. Der andere Punkt ist, sich immer zu vergewissern: wo kommen wir her, was ist unsere Basis, was ist unser Ziel, was ist unsere Philosophie? Passt das neue Angebot überhaupt zu uns?

Ich mache das an einem Beispiel deutlich: In Ber-lin haben freie Träger Kindertagesstätten aus dem öffentlichen Dienst übernommen. Das ist eine unglaublich harte Arbeit, die man zu leisten hat, wenn man dann mit Menschen konfrontiert ist, die gar nicht zu uns kommen, weil sie unsere Philoso-phie und diese Ideen gut fi nden. Sondern sie sagen, okay, es muss jetzt gemacht werden.

Für uns haben wir entschieden, genau zu prüfen, ob das, was wir an Angeboten bekommen, eine Ver-suchung und Verlockung ist, indem es irgendwoher noch mehr Geld gibt, oder ob es tatsächlich etwas ist, was zu unserem Profi l und zu unserer Arbeit passt.Andererseits haben wir auch ein sehr schnelles Wachstum hinter uns gebracht. Wir sind jetzt als Nachbarschaftszentrum knapp 23 Jahre alt und eingemeindet in die Ufa-Fabrik, ein großes Kul-turzentrum in der Mitte der Stadt. Dieses schnelle Wachstum führt manchmal auch dazu, dass man Dinge vergisst. Zum Beispiel vergisst man, wofür

man angetreten ist. Es ist wichtig, sich das immer wieder bewusst zu machen und auch mal Nein zu sagen und ein Angebot nicht anzunehmen. Das ist eine Erfahrung, die wir gemacht haben.Wir haben im letzten Jahr viele Angebote als Versu-chung defi niert und abgelehnt, weil sie uns als Nach-barschaftszentrum mit unserem Ziel und mit unseren Aufgaben nicht weiterbringen würden. Sondern das führt uns in dieses System, was eben beschrieben wurde, dass man nur noch dasitzt und abrechnet und abrechnet, während man die inhaltliche Arbeit nur noch unter großen Mühen machen kann.

Ingrid Alberding: Nachbarschaftsheim Mittelhof, Berlin. Es wurde wirklich sehr eindrücklich geschil-dert, was durch diesen Finanzierungs-Mix entsteht. Ich fände es gut, wenn wir heute noch ganz kon-kret ein Ergebnis daraus erzielen könnten, indem wir vielleicht eine kleine Gruppe zusammenstellen, die sich daranmacht, ein Panoptikum der skurrilen Erlebnisse zusammenzustellen, die wohl jede/r von uns hat. Ich habe gerade erlebt, dass ein neues Projekt entstehen soll, also wieder ein neues Pro-gramm, und man musste ganz schnell loshetzen, um pünktlich zum Termin den umfangreichen Antrag mit 20 Anlagen gestellt zu haben. Und dann passiert erst mal lange Zeit gar nichts, weil alles noch nicht entschieden ist.Dann bekommt man irgendwann eine Mail, dass man sich gedulden soll, am 30. September bekäme man voraussichtlich eine Nachricht, wann man den Bescheid bekommt, aber sie gehen davon aus, dass man am 1. Oktober mit der Arbeit beginnt. Das bedeutet, dass man das neue Projekt vorfi nanzieren muss, und zwar aus Bereichen, wo man Überschüsse erzielt hat oder man leiht sich das Geld, aber dann ist es ja schon wieder zweckentfremdet, was man eigentlich auch nicht darf.

Diese Widersprüche würde ich gerne mal sammeln und ein bisschen plakativ aufbereiten. Ich denke, die Schmerzgrenze ist bereits erreicht und wir kön-nen wohl davon ausgehen, dass wir da noch stär-ker gefordert werden. Ich glaube, da sollten wir mal einen Riegel vorschieben.

Vertreterin von TÄKS e. V.: Wir sind ein Kita- und Hortträger und Ganztagsschulenträger, haben 2002 in einer Region in Berlin-Schöneberg auf-grund des Engagements der Bürger vor Ort mit Nachbarschafts- und Familienarbeit begonnen. Seit 2003 haben wir auch ein Gebäude, das uns der Bezirk jetzt für weitere 15 Jahre zur Verfügung stellt. Wir haben bisher noch keine Regelfinanzie-rung erreichen können. Der Stadtteilvertrag wurde weit vor unserer Zeit vereinbart; die Nachbar-schaftshäuser waren schon da, als wir kamen; bei der Finanzierung der MGH waren wir noch nicht so weit, da einen Antrag zu stellen.

Wir haben keine Finanzierung und fi nanzieren uns nur über Aktion Mensch oder andere Sachen, um soviel fi nanzielle Basis zu haben, dieses bürgerschaftliche Engagement – auch in Zusammenarbeit mit der Akademie für Ehrenamt – zu unterstützen. Uns wäre in einer Region mit 30.000 bis 40.000 Bewohner/innen schon damit gedient, wenn wir wenigstens 20 Stunden hätten. Wir haben viele Kitas, darüber können wir auch Anteile unserer Arbeit fi nanzieren, die das ja unterstützen und mitnutzen. Aber ich wäre sehr dafür, wenn jetzt gerade die Karten neu gemischt werden, dass man überlegt, was in einer Region wirklich notwendig ist an Personal, um das zu unterstützen, was vor Ort ist.Mir ist klar, ein gewisser Grundbestand ist da, aber die Bedürfnisse der Bewohner vor Ort sind auch da. Mir wäre wichtig, eine Regelung darüber zu haben,

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welche Personalkosten, Stundenkontingente, räum-liche Gegebenheiten in jeder Region vorzuhalten sind. Dann kann man überlegen, ob es sinnvoll ist, mit diesem oder jenem Antrag draufzusatteln. Wir haben aus dem Kita- und Hortbereich eine gute Basis, wir müssen nicht so viel draufsatteln. Aber vielleicht will man ja was draufsatteln, weil auch Modellprojekte manchmal eine Unterstützung sein können, um neue Ideen umzusetzen, die vor Ort vor-handen sind.

Helmtrud Ziska: Ich komme aus Dessau-Roßlau und bin Geschäftsführerin eines kleinen Vereins – Ölmühle e.V. Wir haben tatsächlich eine alte Ölmühle, also ein historisches Denkmal, und unser Verein erfüllt das Haus mit Leben. Das Gebäude ist im städtischen Besitz. Ich habe in allen Beiträgen hier irgendwo unsere Situation wieder gefunden. Wir sind von unserer Herkunft her ein sozio-kulturelles Zentrum, sind seit Ende 2007 im Programm MGH. Spätestens von diesem Zeitpunkt an habe ich als Geschäftsführerin die Arbeit im Büro nicht mehr alleine bewältigt. Ich bin Diplom-Lehrerin, mir liegt sehr viel an der Arbeit mit Kindern und Jugendli-chen, was auch ein Hauptteil in unserem Haus ist. Da ich die Büroarbeit nicht mehr alleine bewältigen konnte, haben wir eine Sekretärin eingestellt, die sich jetzt mit diesen ganzen Finanzierungsproble-men befasst. Ich kenne im Prinzip das Problem und habe auch manchmal Angst, wie hier von jemandem angesprochen wurde, dass das im Chaos endet, weil man bestrebt ist, von überall Geld herzukriegen, weil man für die inhaltliche Arbeit einfach eine bestimmte fi nanzielle Grundlage braucht.

Wir haben einen Riesenstamm an Ehrenamtlichen, die sich immer gerne mit mir unterhalten möchten. Und oft habe ich Angst, dass ich diese Anfragen

nicht mehr befriedigen kann, weil ich manchmal total gestresst bin. Ich habe auch manchmal Angst, dass meine Zuverlässigkeit gegenüber Ämtern lei-det, was ich nicht zulassen möchte. Das wiederum bedeutet, dass ich eine Riesensumme an Überstun-den ansammle, weil ich alles richtig machen will.Ein bisschen widersprüchlich zu dem Herrn aus Riesa: Ich brauche keine Projekte, ich kann das Wort nicht mehr hören. Um Projekte zu schreiben, um meine Arbeit zu überdenken, dafür sind meine Besu-cher da und meine Mitarbeiter (ABM oder AGH), die immer wieder mit neuen Ideen kommen und mich zum Überdenken von Sachen bringen.

Ich möchte noch was zu diesem ganzen Bürokra-tie-Wirrwarr sagen: Wir hatten in Sachsen-Anhalt in Jessen eine Konferenz, zu der die Landesregierung eingeladen hat, wo es genau um dieses Problem ging. Alle Häuser waren eingeladen, die sich mit sozi-alen Dingen beschäftigen, die Sozialdezernenten waren eingeladen, bis hin zum Gesundheitswesen, was ja auch ein Lied über Bürokratie singen kann. Wir sind dort mal dazu gekommen, eine Ursache für diesen ganzen Wust an Bürokratie, den man in Deutschland bewältigen muss, zu fi nden. Ursula von der Leyen hat letztes Jahr unser Haus besucht, man spricht das Problem des riesigen bürokratischen Aufwands an - und dann wird gelacht, ja, ja, Büro-kratie, ein typisch deutsches Problem – und dabei bleibt es dann auch. In dieser Konferenz haben wir versucht, Ursachen aufzudecken, und sind dabei auf die Werte in unserer Gesellschaft gekommen. Hat man kein Vertrauen zu uns, uns bestimmte Gelder in die Hand zu geben? Es gibt einen Vertrauensverlust in der Gesellschaft.

Wie kann man dem entgegenwirken? Gebt uns ein Budget, bringt uns Vertrauen entgegen, man kann

es eventuell mit Qualitätsmanagement in diese Richtung bringen, dass man sagt, gut, wir haben diese Einrichtung zertifi ziert, wir vertrauen der Leite-rin und geben der einfach Geld in die Hand und sie kann sich wieder ihrer eigentlichen Arbeit, der Arbeit mit Menschen, zuwenden.

Petra Sperling: Und was kann man auf Verbandse-bene tun? Ein Vorschlag war, die Absurditäten zu sammeln. Was können wir noch tun? Wohin können wir Botschaften senden?

Friederike Müller: Ich würde vorschlagen, dass wir den Vortrag von Herrn Dr. Hummel zum Anlass neh-men, darüber nachzudenken, inwieweit unsere Forde-rungen noch ganz andere sein müssen. Ich denke, er hat uns allen doch sehr aus der Seele gesprochen, dass wir in unserer Arbeit Kompetenzen erlangt haben, um eine Moderationsrolle zu übernehmen, auch zwischen Generationen, aber auch ganz klar durch das stark vernetzte Arbeiten mit Kommune, Verwaltung oder anderen Trägern. Wir haben Kompe-tenzen, mit denen wir hinterm Berg halten.

Ich habe erst gedacht, meine Güte, sollten wir Konrad Hummel nicht auf unseren MGH-Tag in den Landtag einladen? Dann gleichzeitig der Gedanke: oh, nach-her widerspricht sich das mit dem MGH-Programm, was wir ja alle weiter haben wollen. Jetzt fi nde ich aber, er bietet gute Argumentationsgrundlagen, ein-fach mit einer ganz anderen Seite aufzutrumpfen, mit der wir immer hinter dem Berg halten, nämlich diese Moderationsrolle, die wir nicht nur im Stadtteil übernehmen. Ich gehe davon aus, dass viele auch in aktiven Gremien sitzen und das Thema immer wie-der einbringen.Wenn wir uns da ernst nehmen, müssten unsere For-derungen ganz andere sein: Wir sind Partner für Kom-

mune, Land und Bund, solch einen Prozess in den Sozialräumen mit zu moderieren. Ich glaube, dann sind das ganz andere Forderungen, die wir selbst-bewusst stellen können. Auch in Richtung unserer Träger, um ihnen zu sagen, dass eine Modernisie-rung der Träger stattfi nden muss, damit wir wirklich gesellschaftliche Fragen und Ziele beantworten kön-nen. Ich denke, da ist gerade so ein MGH-Programm ein sehr schönes Übungsfeld gewesen, um nach einer Projektphase zu sagen: So, die Kompetenzen haben wir überprüft, wir wissen, dass wir sie haben und dass sie wertvoll sind. Und wir können sie dieser Gesellschaft zur Verfügung stellen. Ich würde gerne diskutieren, ob es da ähnliche Sichtweisen gibt.

Teilnehmerin aus NRW: Wir diskutieren zusam-men, wir sind im gleichen Moderationskreis, MGH Dortmund. Wir kommen aus der Mütterzen-trumsbewegung, haben in NRW das erste Müt-terzentrum gegründet. Uns ist diese Philosophie und Arbeitsweise ja völlig nah, weil wir immer so arbeiten mussten. Wir waren nie in der institutio-nellen Förderung, deswegen frage ich mich, ob wir uns überhaupt dem Diktat dieser schrecklichen Modellförderung entziehen können? An wen stel-len wir die Forderung? Die Forderung stellen wir schon seit 20 Jahren, dass wir das machen wollen, aber das will ja niemand finanzieren.Ich sehe uns in einem riesigen Konfl ikt mit dieser Ministerialbürokratie auf Bundes-, Landes und Kommunalebene, die momentan derartig stark auf Modellförderung setzt. Knacken wir die? Ich kann mir nicht so richtig vorstellen, wie das funktionieren kann.

Petra Sperling: Mir kommt es immer mehr so vor, dass wir Handlanger sind, dass wir etwas bedienen, was anscheinend überhand genommen hat. In den

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Vorträgen wurde das auch ganz deutlich. Wir sind eigentlich so etwas wie Knechte geworden. Man müsste überlegen, wie man da rauskommt und auf eine andere Ebene kommt.

Monika Neumann: Ich komme aus dem MGH in Gerolstein in der Vulkaneifel. Wir sind ein Haus in Trägerschaft des Caritas Verbandes Westeifel. Ein Finanzierungsmodell will ich ergänzen, was ich bisher noch nicht gehört habe: Die Mehrgeneratio-nenhäuser in Rheinland-Pfalz sind gleichzeitig auch Häuser der Familien und wurden in den ersten bei-den Jahren mit je 10.000 Euro pro Jahr vom Land gefördert. Die Landesförderung ist nun 2010 aus-gelaufen, aber das Land macht sich Gedanken, wie man die Häuser der Familien weiter unterstützen kann. Man plant jetzt, in dem kommenden Haushalt pro Haus 5.000 Euro Förderung einzustellen. Das ist an die Bedingung geknüpft, dass sich jedes Haus einem Zertifi zierungsprozess unterzieht.Ich weiß nicht, ob so ein Modell woanders existiert. Fast alle Häuser haben sich diesem Prozess ange-schlossen, wohl wissend, dass dahinter sehr viel Arbeit steckt. Allerdings soll es eine kollegiale Visi-tation sein, also keine offi zielle Zertifi zierung über ein Zertifi zierungsinstitut, sondern die Häuser sollen sich gegenseitig zertifi zieren.

Petra Sperling: Das könnte man in die Absurditäten-sammlung aufnehmen.

Herbert Scherer: Was kann man machen? Als Ver-bandsgeschäftsführer und auch als Verantwortli-cher für die Weiterleitung von Finanzmitteln des Landes Berlin an die Einrichtungen habe ich oft gesehen, dass die Einrichtungen eigentlich viel zu brav sind, sich viel zu viel gefallen lassen.

Wir stehen ja in der Europa-Förderung gleichfalls unter den Kontrollettis und ich fi nde es manch-mal makaber, wie Anforderungen schlicht eifrigst erfüllt werden. Das ist alles sehr vernünftig und realistisch, aber es gibt gar keine Gegenbewegung. Ich fi nde, da wäre die Aufgabe des Verbandes für sozial-kulturelle Arbeit, überhaupt wieder so etwas wie eine Willensbildung auf der Ebene der Mitglieds-Einrichtungen herzustellen. Und auch überhaupt ein Wissen über Abläufe. Das heißt, wir kommen zu solchen Tagungen und es kommen Sachen heraus, die jeden Einzelnen ständig belasten, aber unter-einander fi ndet die Kommunikation nicht statt und untereinander fi ndet auch zuwenig Willensbildung statt.

Wir haben heute von Konrad Hummel sehr kritische Worte zu der Rolle der Wohlfahrtsverbände gehört. Ich fi nde, das sollten wir sehr ernst nehmen, weil es nämlich wirklich so sein kann, wie er es sagt, nämlich dass die Wohlfahrtsverbände Durchreicher von oben gemachter staatlicher Politik sind und den Gegen-prozess gar nicht mehr organisieren, was eigentlich ihre Aufgabe wäre.Der Verband für sozial-kulturelle Arbeit ist auch in dieser Zwischenrolle gewesen, solange er unmittel-bar zuständig war, staatliche Vorgaben umzusetzen, speziell in der Berliner Landesgruppe. Wir sind von dieser Rolle befreit, auch die Wohlfahrtsverbände sind eigentlich befreit, indem diese LIGA-Verträge ab nächstem Jahr nicht mehr weitergeführt werden. Vielleicht führt das zu einem Reorganisierungspro-zess oder zu einem neuen Selbstverständnis, dass man nämlich mit dem Wissen der Einrichtungen gegenüber der Politik auch Gegenmodelle schaffen muss. Der Verband für sozial-kulturelle Arbeit kann das auf jeden Fall noch viel besser als die Wohl-fahrtsverbände.

Uta Samy: MGH Herbrechtingen in Baden-Württem-berg. Träger dieses MGH ist die eva Heidenheim gGmbH, Tochtergesellschaft der Evangelischen Gesellschaft in Stuttgart, also Diakonie.Ich bin Sozialpädagogin. Ich bin Jahrgang 1960, habe in den 80er Jahren an zwei völlig unterschied-lichen Fachhochschulen studiert. Damals war das Problem, dass man jedem erklären musste, worin die eigene Existenzberechtigung bestand, weil man von allem ein bisschen Ahnung hatte, aber man konnte sich weder als Arzt, noch als Psychologe oder Jurist behaupten, man war so ein Mädchen für alles. Während man dafür da war, anderen zu erklären, warum man eigentlich da war, hat man seine Arbeit gemacht – und wir alle wissen, was das heißt.Später habe ich diesen Wandel erlebt, auch ganz persönlich. Ich habe 13 Jahre mit Jungens zwischen 14 und 19 Jahren in der stationären Jugendhilfe gearbeitet, ich habe im gleichen Haus gewohnt, in dem ich gearbeitet habe. Ich weiß also, was das heißt. Jetzt erlebe ich, dass wir unsere Existenzbe-rechtigung gerade selber schaffen, indem wir auch noch uns selber bezahlen, indirekt, indem wir dafür sorgen, dass wir Geld kriegen, damit wir weiterarbei-ten dürfen. Ich möchte wissen, ob das normal ist, dass wir unsere Arbeit tun, die auch noch verdammt schwer ist, und außerdem dafür sorgen müssen, dass wir aus allen möglichen Töpfen irgendwelche Gelder herholen und dafür gelobt werden, wenn wir möglichst viel Geld besorgen?Es ärgert mich maßlos und ich habe seit Jahren eine Krise in meinem Job, weil ich mich so dort nicht mehr wohl fühle. Jeden Tag frage ich mich, wo eigentlich meine Arbeit bleibt, für die ich ausgebil-det wurde und die ich gerne machen möchte, und ich weigere mich extrem, an solchen Förderpro-grammen teilzuhaben. Also bei dem, was Sie vorhin

geschildert haben, da ist mir der Schweiß runter-gelaufen, die Vorstellung, was Sie da machen, ist für mich der Horror. Das kann ich mir für mich gar nicht vorstellen.

Und ich frage mich: Müssen wir eigentlich immer und zu allen Zeiten die Erwartungen anderer erfül-len? Was machen wir da eigentlich?

Bernhard Heeb: Nachbarschaftsheim Berlin-Neu-kölln. Ich denke, ein erster Schritt zu einem ver-änderten Selbstbewusstsein, das wir dringend brauchen, wäre, dass wir es ablehnen, uns als Zuwendungsempfänger bezeichnen zu lassen, denn wir sind schließlich die, die die Arbeit machen, also die Leistungsträger, und dieses Wort gehört in einen Leistungsvertrag einfach nicht hinein.

Mich hat auch sehr an meine eigene Situation erin-nert, was Konrad Hummel heute Morgen zusam-mengefasst hat: wir werden im Grunde von der Verwaltung regiert. Aus unserer Erfahrung als Quar-tiersmanagementgebiet kann ich sagen, dass wir die inhaltliche Steuerung mit dem QM-Team eigent-lich sehr gut hinbekommen, das Team ist verstän-dig, organisiert die Bedarfe und die Möglichkeiten in einem relativ eng defi nierten lokalen Nahraum, so wie es die Sozialraumorientierung vorschlägt.Wir fi nden uns dann aber in einer Situation wieder, dass wir von dieser völlig absurden Verwaltungs-organisation praktisch mehr gesteuert werden als inhaltlich von diesen Gremien. Ich halte es für drin-gend notwendig, dass auf Verbandsebene darauf mal entsprechend reagiert wird. Das Problem für die einzelne Einrichtung ist einfach, dass wir immer die Risiken tragen. Das heißt, wenn man sich dann mal vorwagt und nicht so brav wäre, wie das Herbert Scherer richtig vorschlägt, ist man immer unter dem

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Damoklesschwert, am Ende möglicherweise bei einem Gerichtsverfahren zu unterliegen und zurück-zahlen zu müssen.Ebenso ein eingebautes Unrecht im Zuwendungs-recht ist, dass wir zwar die Risiken tragen müssen, aber nicht berechtigt sind, Risikovorsorge zu betrei-ben. Also wir dürfen kein Geld zurücklegen für den Fall, dass was wäre oder wir was nachzahlen müs-sten. Ich bin gerne bereit, an einer Arbeitsgruppe mitzuwirken und halte es für dringlich erforderlich, dass wir wirklich in die Lage kommen zu sagen, dass wir diejenigen sind, die die Arbeit machen, dass wir auch diejenigen sind, die sie gestalten wollen. Und wir sollten uns nicht mit solchen ver-waltungsmäßigen Zumutungen herumschlagen müssen.

Birgit Monteiro: Bei der Vorstellung der Finanzie-rungs-Mixe habe ich mich erinnert: Herbert hatte mal von den Erfahrungen in New York und ande-ren amerikanischen Städten erzählt, dass es auch dort die Tendenz gibt, dass der Geschäftsführer das Geld besorgt, woher auch immer. Wobei er ver-sucht, seine Mitarbeiter damit so wenig wie möglich zu belasten. Wir haben unsere Inhalte, ich richte mich darauf aus, dass wir uns inhaltlich nicht ver-biegen müssen. Aber es bleibt natürlich dann eine Differenz zwischen den Antragstellungen und der eigentlichen Arbeit. Wenn der Geschäftsführer das mit sich ausmachen kann, finde ich das auch eine Variante, die möglich ist.Im Alltag ist es ja oft so, dass man sich wenig Zeit für eine Analyse des Ist-Zustandes lässt und schon Problemlösungen vorschlägt, bevor man die Ursa-chen erkannt hat. Und diese Variante habe ich als Arbeitstitel „Schwarzbuch der Förderskurrilitäten“ genannt. Ich finde, das könnte ein Anfang zu einer Analyse des Ist-Zustandes sein, um uns selbst,

aber auch den Fördergebern einen Spiegel vor-zuhalten. Das ist natürlich eine Wahnsinnsarbeit und wir brauchen alle Ihre Beispiele, aber diese Arbeit müssen wir auf uns nehmen, um es allen zu zeigen.Nach diesem ersten Schritt dürfen wir aber nicht stehen bleiben, sondern müssen das weiterma-chen, worauf Konrad Hummel hingewiesen hat, nämlich zu zeigen, wohin die soziale Arbeit eigent-lich gehen soll und das inhaltlich beschreiben. Das sollten wir theoretisch und konzeptionell machen. Ich sehe allerdings, wenn ich an die praktische Umsetzung denke, schon wieder ein Problem: Auch wenn wir alle tatsächlich kompetente Partner für die Politik sind, entsteht aber das Problem, dass sich jeder Wohlfahrtsverband für den Kompeten-testen hält. Leider haben wir beobachten können, dass oftmals bei solchen Programmen der unpoli-tischste bzw. der unproblematischste Antragsteller gewählt wird. Oftmals fallen in der ersten Runde schon diejenigen raus, die kritisch-konstruktiv sagen: schön und gut, aber eigentlich sollte das Programm in diese oder jene Richtung gehen.

Da sollten wir noch mal überlegen, wie wir in der Trägerlandschaft untereinander die Auseinander-setzung führen, auch ehrlich mit uns selbst. Weil wir irgendwie alle immer in Konkurrenz treten, uns selbst unterbieten mit den Preisen und selbst überbieten in den Zusagen, die wir machen. Wir müssen glaubwürdig sein und das, was wir theore-tisch fordern, auch in der Praxis umsetzen.

Teilnehmerin: Ich glaube, Konkurrenzen sind nicht zukunftsfähig. Wir reden seit Jahrzehnten über Vernetzung. Aber in einer wirklichen Vernetzung, wo Ressourcen zusammengebracht und zu einem gemeinsamen Ziel formuliert werden, da liegt die

Stärke. Wenn ich das MGH-Programm betrachte, dann hat es eine enorme Stärke, es hat nämlich Träger arbeitsfähig in Gruppen zusammengebracht, die voneinander profi tieren und miteinander auch gestaltet haben. Das wird sicherlich in jedem Moderationskreis oder in jedem Bundesland eine etwas andere Qualität haben, aber wenn ich gerade im Ruhrgebiet gucke, wie extrem die Konkurrenzen unter den Trägervertretern dort sind, haben wir die doch sehr schön aufgebrochen. Ich denke, darin liegt eine enorme Kraft. Ich glaube, das vernetzte Arbeiten zugunsten eines Stadtteils oder eines Quartiers ist das, was zukunftsfähig ist. Und inso-fern ist es auch eine Macht der jeweiligen Kom-mune in der jeweiligen politischen Landschaft.

weitere Teilnehmerin: Zwei Aspekte stehen im Raum: Zum einen die Willensbildung der Einrich-tungen, da ein Sprachrohr zu sein, dass man den Forderungen der verschiedenen Geldgeber etwas entgegensetzt. Das fände ich toll, wenn das der Verband – oder wer auch immer – organisieren könnte. Andererseits geht es um den Aspekt: sozi-ale Arbeit als Moderieren von Prozessen der Zivil-gesellschaft im Sozialraum, was stärker in den Fokus zu rücken ist.Es ist den Entscheidungsträgern ja durchaus bewusst, dass so was notwendig ist, nämlich die Zivilgesellschaft sehr stark in das Bewältigen von Herausforderungen, wie etwa im Kontext des demografischen Wandels etc., einzubinden. So habe ich gestern die Aussagen gewertet, auch die des Bundes, der Programme in diese Richtung machen will.Ich aber immer wieder die Erfahrung gemacht, dass viele der Programme und auch der Diskurs über freiwilliges Engagement, bürgerschaftliches Engagement, teilweise sehr realitätsfremd sind.

Da wäre es eigentlich unsere Verantwortung als Träger von Projekten und Einrichtungen, diesen Diskurs fachlich in eine angemessenere Richtung zu lenken.Ich frage mich, ob das nicht ein geeignetes erstes Medium sein könnte, an dem wir ansetzen könn-ten. Denn ich denke, es gibt da Konsens, dass so was notwendig ist. Aber die Partner, die diese Pro-gramme stricken und die die Tagungen ausrichten, ich denke beispielsweise an den Freiwilligendienst aller Generationen, sind da teilweise überfordert. Genau da könnten die Einrichtungen ansetzen und in einen Dialog treten, um zu zeigen, was vor Ort notwendig ist und was der Bedarf ist.

Renate Wilkening: Was tun? Das hat ja schon ein sehr berühmter Mann formuliert, nämlich Lenin. Ich möchte an den Aufruf zur Rebellion von Herbert anknüpfen. Bei mir ist das historisch zu sehen, denn ich komme aus einer Einrichtung, die besetzt wurde. 1979 haben mehrere hundert Leute ein großes Gelände in Berlin besetzt, 18.000 Qua-dratmeter, weil sie miteinander arbeiten und leben wollten, Kunst und Kultur machen wollten, auch mit den Leuten aus der Umgebung.

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Diese Besetzermentalität haben wir bis heute nicht so richtig abgelegt und sie trägt dazu bei, dass wir an manchen Punkten sagen, dass wir uns das nicht gefallen lassen und auch in Kauf nehmen, dass wir manche Unannehmlichkeit haben.

Ein wichtiger Punkt ist: Nicht wir müssen immer alles machen. Wir haben Nutzer, wir haben Besu-cher, wir haben die Leute in unseren Häusern. Ich möchte ein Beispiel für eine erfolgreiche Rebellion hier in Berlin geben: 2003 hat die Senatsverwal-tung für Jugend, Schule und Familie, ich weiß nicht, wie sie damals noch hieß, unter dem Senat Böger beschlossen, die ganze Familienbildung in Berlin über den Jordan gehen zu lassen. Die finanzielle Förderung, die für Familienbildungsstätten, auch in Nachbarschaftszentren, zur Verfügung stand, sollte ersatzlos gestrichen werden.Damals haben wir nicht alleine dagegen aufbegehrt, sondern wir haben mit den unmittelbar Betroffenen, den Familien, Müttern, Vätern, Großmüttern geredet und gefragt, ob sie sich das gefallen lassen wollen. Soll es keine Elterntrainings mehr geben? Soll es keine Müttergruppen mehr geben? Soll es für sie keine Orte mehr geben, weil die Mieten nicht mehr bezahlt werden können? Dann haben sie alle gesagt: nein. Und dann haben sie sich selber zusammen-gesetzt, aus ganz vielen Nachbarschaftszentren. Ich erinnere mich, wir haben in der Urbanstraße im Garten gesessen und haben Strategien entwickelt. Dann sind die Mütter mit schmutzigen Windeln zu Herrn Böger gegangen und haben die in sein Büro geschmissen und haben Rebellion geübt. Das war unheimlich pressewirksam.Der Erfolg war, dass zwar etwas gekürzt wurde, aber die Mütter sind auch in den Hauptausschuss gegan-gen. Also hier in Berlin haben wirklich die Familien getobt und wir haben sie unterstützt. Das war unsere

Rolle. Wir haben ihnen die Räume und die Möglichkei-ten gegeben und unsere Ressourcen zur Verfügung gestellt, unsere Pressekontakte und alles, was wir hatten. Meine Botschaft soll sein, mit den Menschen, die mit uns zusammen sind, in die Rebellion zu gehen und auch mit denen zu arbeiten. Denn sie sind dieje-nigen, die letztendlich etwas bewegen werden.

Teilnehmerin: Wenn was gekürzt wird und für die Leute was wegfällt, dann kannst du sie mobilisieren und mit ihnen gemeinsam das machen, was auch toll ist. Das macht Spaß und das ist kreativ. Aber wie willst du mit denen irgendeine Forderung nach Erhöhung einer pauschalen Gemeinkostenabrech-nung und solchen Sachen angehen? Dafür kannst du keinen mobilisieren, weil sie nichts damit zu tun haben wollen, das ist nicht ihr Metier. Das Beispiel mit den Familien liegt meiner Ansicht nach auf einer anderen Ebene.

Herbert Scherer: Ich will noch korrigieren: Ich habe überhaupt nicht zur Rebellion aufgerufen, sondern ich habe dazu aufgerufen, die Gegenmacht aufzu-bauen.

Andreas Näther: Bei diesem Aufbau der Gegen-macht wäre mir wichtig, dass das nicht nur in eurem Verband passiert, denn ich komme ja aus Sachsen, und es sollte vernetzt mit den anderen Landesver-bänden gearbeitet werden. Ich denke, es gibt bun-desweit den Trend, diese Programme doch wieder relativ staatshörig zu realisieren. Gleiches erlebt man ja auch bei anderen Bundesprogrammen, also bei diesem „Vielfalt tut gut“-Demokratie-Programm, wo auch solche Bekenntnisformeln eingeführt wer-den, die nichts mehr mit Vertrauen oder mit Unab-hängigkeit zu tun haben.

Teilnehmer: Wir sind ein sehr differenzierter Arbeitsbereich mit ganz vielen Aufgabenfeldern, mit ganz vielen unterschiedlichen Zielgruppen und Umsetzungsformen. Ich glaube, das ist manchmal von außen nicht greifbar für die Politik, weil es so unterschiedlich ist. Es wurde heute mehrfach davon gesprochen, dass wir uns zurückziehen müssen, um zu gucken, wo unsere Kernkompetenzen sind, die müssen wir deutlich formulieren, um zu defi nieren, was wir dafür brauchen.

Wir brauchen eine institutionelle Regelförde-rung, damit wir weiter kreativ, innovativ und auch kurzfristig auf Entwicklungen reagieren können. Dafür brauchen wir eine Basis, die nicht von einer Zugangsförderung abhängig ist. Dieses Ziel müssen wir erreichen.

Petra Sperling: Im Programm „Soziale Stadt“ sind die Verwaltungen sehr wohl in der Lage, sehr schnell komplexe Konstrukte zu verstehen, die im Gemeinwesen stattfi nden, das ist eine meiner Erfahrungen. Was bedeutet: wenn es für notwendig erachtet wird, ist es durchaus möglich, zu diesen Konstrukten einen Zugang zu fi nden. Sollen wir heute im Anschluss zu diesen Themen eine Arbeits-gruppe initiieren? Also alle Interessierten treffen sich nachher hier, um einen Termin abzuklären.

Heidrun Kahle: MGH Berlin-Lichtenberg. Es ging ja auch um eine Weiterförderung der Mehrgeneratio-nenhäuser. Es wird ein neues Programm aufgelegt, es wird irgendwelche anderen Ausschreibungsverfahren geben. Haben wir darauf irgendeinen Einfl uss?

Teilnehmerin aus NRW: Ich glaube, wir können nur insofern Stellung dazu nehmen, dass wir unsere Moderationskreise auf Landesebene organisieren,

also Parallelstrukturen herstellen. Jedes MGH ist in einem Träger verortet. Wir müssen unsere Trägerver-treter gleichermaßen, egal, wer das ist, auffordern, diesen Prozess aktiv mit unseren Positionen mitzu-gestalten. Als NRW-Verband haben wir uns sehr stark an dem Positionspapier des Expertennetzwerkes ori-entiert, haben aber eigene Einstellungsmerkmale für das Land erarbeitet, die übrigens sehr dankbar dafür waren.Die Gründung von Landesarbeitsgemeinschaften wird unabdingbar sein, viele Bundesländer haben das schon getan. Nur so kann man wirklich über eine vernetzte Arbeit, was die Stärke der MGH ist, auch politisch Druck aufbauen. Das wird das Geschäft sein, was wir bis spätestens Mitte 2011 aufstellen müssen. Viele Bundesländer sind da schon auf dem Weg, da kann man sich vielleicht was abgucken.

Djamila Younis: Kreativhaus Berlin-Mitte. Ich hoffe, dass am Ende dieses Tages auch noch eine Tendenz abzulesen sein wird, wie es mit der Zusammenarbeit der MGH und Nachbarschaftshäuser weitergehen wird. Ich erwarte keine Antwort, aber eine Tendenz. Ich denke, Closed Shop Mehrgenerationenhäuser ist passé, das haben wir gezeigt, wir öffnen unsere Arme. Wie sieht es andersrum aus? Ist so was auch reali-stisch, denn man möchte schließlich seine Identität bewahren? Natürlich hat man unterschiedliche Inter-essen, sogar jedes Haus für sich hat eigene Interes-sen. Was kann da eine sinnvolle Vernetzung sein?

Herbert Scherer: Als rüstiger Rentner werde ich ja immer klüger, weil ich einen freien Kopf habe, wes-halb ich gerne beides zusammenbringen würde, weil ich glaube, das wäre eine Verpfl ichtung.Sie haben gerade gesagt, dass aus dem Kreis der MGH der Einfl uss auf die Politik entwickelt werden muss. Das stellt ein größeres Problem dar, wenn

Forum A: Konzepte und Finanzierungsmodelle im Bundesgebiet Gruppe 2

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Fachtagung Abwicklung oder Weiterentwicklung?118 119

die Gemeinschaft der Abhängigen sich zusammen-schließt, um denjenigen, von dem sie abhängig ist, zu einem anderen Politikverständnis zu bewegen. Das wäre genau der Punkt, wo ich sage, da muss man zusammenarbeiten. Da ist der Verband völlig unabhängig. Wenn wir es schaffen, Ihr Wissen nach oben zu signalisieren, und zwar nicht unbedingt nur in der Abhängigkeitsstruktur, sondern über Neben-wege und über eine fachliche Diskussion, - wenn das gelingt, dann können wir an der Stelle vielleicht viel besser auf ein neu formuliertes Programm einwir-ken, als Sie das als Abhängige können.

Wir haben gestern hier ein indirektes Angebot von der Dame von der Senatsverwaltung für Jugend und Familie gekriegt, die – ohne mit dem Ganzen etwas zu tun zu haben – als Vertreterin des Landes Berlin in die Gremien gerufen wird. Und natürlich können wir sie beraten - je unabhängiger wir sind, desto bes-ser, weil man vielleicht eher auf uns hören wird.

Birgit Monteiro: Wir werden bestimmt einige Fragen auch in der Podiumsdiskussion vertiefen. Mir fällt zu dieser angesprochenen Kooperation ein, dass man tatsächlich eine Art Kooperationsverbund zwischen Mehrgenerationenhäusern und dem Verband initi-iert. Wir sind ja auch ein Bundesverband, also dass wir in den Strukturen, die in den Ländern vorhanden sind, eine gemeinsame Arbeitsgruppe bilden, die den Prozess der Einfl ussnahme konkret organisiert. Wir stellen unser Dach zur Verfügung, machen das aber in Kooperation.

Wir sind für Mehrgenerationenhäuser sehr offen. Es gibt auch Mitgliedsorganisationen, die Nach-barschaftshäuser und Mehrgenerationenhäuser betreiben, es gibt viele Überschneidungen, es gibt auch Unterschiede. Nichts sollte uns daran hin-

dern, zusammen zu wirken. Vielleicht können wir im Anschluss beraten, wenn Vertreter aus den einzel-nen Bundesländern kurz zusammenkommen, wie wir praktisch eine gemeinsame Arbeitsgruppe bil-den. Das erste konkrete Ziel wäre die Einfl ussnahme auf das neue Aktionsprogramm MGH, um in der Folge dann grundsätzlicher auf die heute benannten Fragestellungen einzugehen.

Herbert Scherer im Interview mit Elke Fenster

Elke Fenster Geschäftsführerin des „Moabiter Ratschlags“, eines gemeinnützigen Stadtteilvereins in Berlin

Elke Fenster: Es gibt uns seit 20 Jahren. Wir sind damals entstanden als ein Stadtteilverein für Bür-gerbeteiligung, also Bürgerbeteiligung in der Stadt-teilsanierung hier in Berlin-Moabit. Wir waren die Dachorganisation dafür und haben uns dann zum Projektträger entwickelt.

Seit Mitte der 90er Jahre haben wir verschiedene Einrichtungen aufgebaut. Heute sind wir mit fünf Schulstationen in den Schulen vertreten, haben mehrere Jugendeinrichtungen und das Nachbar-schaftshaus „Das Stadtschloss Moabit“.

Ich fi nde, wir haben einiges auf die Beine gestellt und merken aber jetzt, dass es zunehmend schwie-riger wird, das Ganze zu halten, also das Niveau zu halten und alles zu verwalten.

Warum?Weil die Abrechnungsmodalitäten meines Erachtens immer schwieriger werden und überhaupt diese ganze Art der Finanzierungen.

Man hat doch lange von Verwaltungsvereinfachung gesprochen, die Zuwendungen sollten vereinfacht werden. Was ist dabei herausgekommen?Na ja, das Gegenteil ist dabei herausgekommen, es wird immer komplizierter.

Kannst Du Beispiele nennen?Ja. Es wird ja jetzt vieles über Online-Verfahren gemacht, über die Service-Gesellschaften, die-dann die ganzen Abrechnungen tätigen. Das heißt, wir sind in verschiedenen Datenbanken, in die wir unsere Daten eingeben. Das klappt, also im Prinzip ist dagegen nichts einzuwenden.

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Also dass man nicht jede Versicherungsrechnung mit 20 Kostenstellen belegen muss und überall einrei-chen muss, sondern dass man es pauschal abrech-nen kann.

Gibt es Gespräche mit den Förderstellen über die Inhalte der Arbeit?Na ja, es gibt Sachberichte, die wir schreiben.

Hat schon mal jemand zu den Sachberichten Stel-lung genommen?Doch, es gab schon mal eine Nachfrage. Ich merke schon an bestimmten Stellen, dass die gelesen wer-den, weil nachgefragt wird. Manchmal kommen so interessante Nachfragen, wofür man denn drei Glüh-birnen in dem Projekt brauchte. Aber es wird schon gelesen.

Was ich grundsätzlich schwierig fi nde: es werden immer kleinere Programme aufgelegt, weshalb wir Probleme haben, die Basis zu fi nanzieren. Es wird zu viel programmhaft gemacht, es werden zu viele kleine Förderprogramme aufgelegt.

Das Kuriose daran ist, je kleiner ein Programm, und wenn nur ein Euro Europa-Gelder drin ist, dann ist der Verwaltungsaufwand riesig.

Wie steht das denn mit diesen Verfahren und der Beteiligung von Bürgern?Meines Erachtens ist das zurückgegangen. Ich höre immer mehr auch von anderen Trägern, dass die Motivation, sich zu engagieren, zurückgeht. Bei Bewohnern ist es auch schwierig, überhaupt diese ganzen Formalitäten durchzuführen.

Früher haben wir für Bewohnergruppen Ideen gehabt und ihnen angeboten, dass sie unter unser Dach kommen, damit wir das dann mit ihnen machen. Ihr könnt eure Ideen bringen und wir wickeln das alles für euch ab.

Das würde ich nie wieder machen. Wir sind damit so auf die Nase gefallen, weil es ziemlich schwierig ist, jemandem, der sich in diesen ganzen Formalitä-ten nicht auskennt, nahe zu bringen, dass er auch so denkt. Er müsste diese Denkweise annehmen, damit er alle Vorschriften für die Rechnungen oder andere Anweisungen der jeweils unterschiedlichen Förderprogramme beachtet.

Was wir seit neuestem haben, ist, dass die Renten-versicherung eine Prüfung bei uns gemacht hat. Die Rentenversicherung ist zu der Meinung gekommen, dass das gar keine freien Mitarbeiter gewesen sind, sondern wir hätten die Bürger auch noch anstellen müssen. Das ist dann einfach …

Also die Idee, dass Leute niedrigschwellig Sachen realisieren können, die sie im Kiez für notwendig erachten, ist durch das Verfahren ad absurdum geführt?Ja.

jenige ist. Aber unsere Leute haben ja unterschied-liche Projekte, also ich habe Mitarbeiter, die sind in vier oder fünf Kostenstellen drin.

Ein grundsätzliches Problem ist, dass die Projekt-förderungen immer kleiner werden. Und es gibt jede Menge Modellprojekte. Unsere Mitarbeiter sind so fit, dass sie auch sehr erfolgreich sind. Sie akqui-rieren heftig und haben auch gute Ideen, was man machen kann. Mittlerweile muss ich ihnen sagen, ach, Leute, bitte, haltet euch zurück, wir schaffen es nicht mehr, das alles hier abzurechnen.

Ihr habt nichts dagegen, Eure Ausgaben offen zu legen?Ach, das machen wir ja sowieso. Zuwendungsabrech-nung heißt ja, jeden einzelnen Beleg abzurechnen. Aber was mache ich, wenn verschiedene Förderstel-len alle die Originalbelege sehen wollen?

Es ist ja so ein Misstrauen entstanden, zumindest empfi nden wir das so, dass man jede Originalrech-nung sehen möchte und dass man uns noch nicht mal glaubt, wenn wir die Gehaltsabrechnung einrei-chen. Nein, es muss eine Unterschrift des Mitarbei-ters drunter sein, dass es seine Gehaltsabrechnung ist. Ich weiß nicht, warum.

Das sind so Auswüchse.

Du hast gefragt, welche Reformideen es gibt. Man könnte es ganz einfach machen. Man könnte einfach einen Overhead festlegen, so und so viel Prozent. Und man könnte das Vertrauen den Trägern gegenüber aufbringen, dass sie die Mittel auch entsprechend ver-wenden. Da wird keine Luft drin sein.

Aber es gibt dann Datenbanken wie zum Beispiel Eureka bei dem Europäischen Sozialfonds. Wenn ich meine Verwaltungsmitarbeiterin frage, wie viele Stun-den sie damit zugebracht hat, alleine um diese Daten da einzubringen, dann steht das in keinem Verhält-nis. Die Datenbank wird überarbeitet, dann stürzt sie ab, sie weiß nicht warum. Sie ruft den Service an, der Techniker sagt, er prüft, was da los ist, usw., also es ist ein Riesenaufwand, der da betrieben wird.

Hast Du Reformideen? Wie könnte man das anders machen?Speziell zu diesen Datenbanken nicht, aber ich habe natürlich Vorstellungen davon.

Unser Riesenproblem sind ja zum Beispiel die Gemeinkosten. Wir haben etliche verschiedene Kostenstellen. Jeder hat bestimmte Vorstellungen davon, was für ihn abrechenbare Gemeinkosten sind. Diese Vorstellungen differieren, also bei dem einen können wir das unterbringen, bei dem ande-ren jenes. Jeder hat am liebsten einen Gemeinko-stenschlüssel, in dem er sehen kann, was wir alles abrechnen, also über unsere gesamten Projekte. Das fände ich auch eine saubere Lösung, aber das lässt sich in der Realität gar nicht machen.

Weil nicht alle das anerkennen? Oder wie?Ja, weil es unterschiedliche Vorstellungen davon gibt. Die einen sagen, dass sie grundsätzlich keine Versicherungen bezahlen. Bei EU-Projekten kön-nen wir unsere Telefonkosten nicht abrechnen, weil wir keinen Einzelnachweis haben, was bei unserer Anlage technisch nicht möglich ist. Wir können nicht jedes Gespräch einzeln auflisten, am besten sollte noch dahinter stehen, wer der

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Theoretischer Einstieg zu Ballungsräumen

Markus Rungestellvertretender Geschäftsführer des Nachbar-schaftshauses Urbanstraße e.V. (Berlin):Umgang mit Konkurrenzen und Kooperationen im Ballungsraum Ruhrgebiet

Lisa Müller-Arnold u. Eleny McIlroy-EarpMehrgenerationenhaus Duisburg

Moderation:Angela GärtnerGeschäftsführerin des KREATIVHAUS e.V. Berlin

FOTODOKUMENTATION

Forum B: Auf Du und Du mit allen!?

Auf Du und Du mit allen!? Praxis-Workshop

„Ballungsräume“

Was muss man tun und was vermeiden, um in Ballungsräumen zielgruppen- undalters-übergreifende Einrichtungen aufzubauen und langfristig am Leben zu halten?

Forum B

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Es geht nämlich darum, in Stadtteilen und Wohn-quartieren Einrichtungen, eine personengestützte, immobiliengestützte Infrastruktur, zu fördern, die jenseits leistungsgesetzlicher Grundlagen liegt, die quer durch alle Ressorts geht, die einen wichtigen Humus schafft für alle anderen Lebensbereiche, die aber nirgendwo wirklich hingehören und von daher immer zwischen drei, vier, fünf oder sechs Stühlen sitzen. Seitdem ich in diesem Geschäft bin, erfahre ich, dass ständig unter verschiedenen Etiketten verschiedene Finanzierungs-Säue durchs Land getrieben werden. Das begann damals mit der Gemeinwesenarbeit, das sind aber auch Quartier-zentren, Stadtteiltreffs, Quartiertreffs, Bürgerhäu-ser, Quartiersmanagement, Nachbarschaftshäuser.Das sind im Grunde alles Elemente auf der glei-chen Skala. Und all die Menschen, die in diesen Einrichtungen arbeiten, sind – je nach historischer Phase – damit beschäftigt, Abgrenzungsversuche zu machen: wo ist der Unterschied zwischen Mehr-generationenhäusern und Nachbarschaftszentren? Was ist der Unterschied zwischen Stadtteilarbeit und Gemeinwesenarbeit? Darüber haben wir 15 Jahre diskutiert, einige von Ihnen waren dabei. Was macht das Spezifi sche von Quartiersmanagement aus?, usw.Der Mechanismus, der dahinter steht, ist immer der gleiche: diejenigen, die politisch entscheiden müs-sen, haben – ich sage das etwas fl apsig – nicht wirk-lich verstanden, worum es bei den Finanzierungen geht. Es geht darum, DAUERHAFT personengestützte und immobiliengestützte Infrastruktur zu fi nanzie-ren, und zwar mit Geld, das immer da ist. Das ist kein Geld, das quasi immer neu geholt werden muss. Das Blöde ist nur, wenn Geld da ist, muss man zwei Jahre später unter einem anderen Etikett das gleiche Geld wieder beantragen. Das führt dazu, dass die Men-schen, die in diesen Einrichtungen arbeiten, enorm

damit beschäftigt sind, alle zwei Jahre Anträge zu schreiben. Ein Drittel aller Kraft in diesen Einrichtun-gen geht nämlich da rein, genau wieder die richtige Geld-Sau zu fi nden, die gerade durchs Dorf läuft, um sich dann darauf zu werfen.Mehrgenerationenhäuser sind wieder so ein Wurf, der richtig gut gemeint ist, den ich konzeptionell sogar für relativ durchdacht halte, aber der auch wieder dazu führen wird, dass die Leute, die das jetzt machen, in einigen Jahren oder einige jetzt schon davor stehen und sagen: wo kriegen wir jetzt die 40.000 Euro her, die wir bislang da und dort herbekommen haben? Und sie werden sie irgendwo herkriegen, aber es wird wieder ein harter Kampf werden, man braucht wieder das 37. politische Programm, damit man das Geld bekommt, man braucht wieder eine neue Regierung, die dann wie-der unter einem neuen Etikett wieder was fördert, was im Grunde das Gleiche ist, was vor 20 Jahren auch schon gefördert wurde. Insofern sind die Mehr-generationenhäuser keine wahnsinnig tollen neuen Antworten auf gesellschaftliche Herausforderungen, aber sie stehen in einer Kette einer verzweifelten Finanzierungsvariante, die bis heute nicht wirklich durchdacht ist und die man - jetzt kommt der opti-

Input:

Carola BluhmSenatorin für Integration, Arbeit, Soziales, Berlin

Prof. Wolfgang HinteLeiter des Instituts für Stadtentwicklung, Sozialraumorientierte Arbeit und Beratung, Universität Duisburg-Essen

Gisela ErlerGründerin und Geschäftsführerin des bundesweit u.a. für das Mehrgenerationenhaus-Programms tätigen Familienservice

Georg ZinnerVorstandsvorsitzender des Verbandes für sozial-kulturelle Arbeit und Geschäftsführer des Nachbarschaftsheimes Schöneberg

Birgit Monteiro: Professor Hinte ist Leiter des Insti-tuts für Stadtentwicklung, sozialraumorientierte Arbeit und Beratung der Universität Duisburg-Essen. Und er ist ein ganz großer Beförderer der Sozialrau-morientierung hier in Berlin und deutschlandweit – herzlich willkommen, Professor Hinte.

Unser zweiter Podiumsgast ist Carola Bluhm, Senatorin für Arbeit, Integration und Soziales in Berlin. Wir freuen uns sehr, dass Sie heute hier sind, Frau Bluhm.

Die Dritte im Bunde ist Gisela Erler, Gründerin und Geschäftsführerin des bundesweit unter anderem für das Mehrgenerationenhaus-Programm zustän-digen Familienservice – herzlich willkommen, Frau Gisela Erler.

Und unser vierter Podiumsgast ist Herr Georg Zinner, Vorstandsvorsitzender unseres Bundesverbandes für sozial-kulturelle Arbeit und Geschäftsführer des Nachbarschaftsheims Berlin-Schöneberg – herzlich willkommen!

Ich selbst werde die Moderation übernehmen.

Dr. Konrad Hummel sagte heute Morgen, dass es wichtig wäre, die richtigen Fragen zu stellen. Nichts leichter als das, sollte man meinen – oder auch nicht. Meine erste Frage geht an Prof. Hinte: Sind Mehrgenerationen- und Nachbarschaftshäuser die richtigen Antworten auf die Fragen, vor denen unsere Gesellschaft steht?

Wolfgang Hinte: Die Frage kann ich nicht beantworten, sie ist etwas zu hoch angesetzt. Ich glaube, dass Mehr-generationenhäuser ein gut gemeinter Mini-Versuch sind, zum zigsten Mal eine Fragestellung zu lösen, die unter ständig neuen Etiketten immer wiederkehrt.

Resümee und Ausblick

Abschluss

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mistische Teil - schlichtweg abschaffen müsste. Nicht die Mehrgenerationenhäuser, sondern die Pro-grammfi nanzierungsvarianten – und die man erset-zen müsste durch Dauerfi nanzierungsstränge.Ich wiederhole: das Geld ist da, das Geld war immer da, man darf nur nicht ständig neue Programme schreiben, sondern muss es entweder zu einem lei-stungsgesetzlichen Bestandteil machen oder zu einem überdauernden, durch einen politischen Beschluss getragenen Programm machen, das nicht zeitlich befri-stet, aber durchaus mit klaren Aufl agen versehen ist. Ich kenne die Berliner Diskussion: mit klaren Aufl agen, damit man weiß, was rauskommt, damit die Einrichtun-gen nicht in die eigene Tasche wirtschaften. Gott, was für ein Problem! Selbstverständlich müssen mit kla-ren Aufl agen dann auch die Leistungen erbracht wer-den, die man als Humus für gesellschaftliches Leben braucht. Diese Leistungen werden aber tatsächlich seit vielen Jahren gebracht, sie sind häufi g evaluiert wor-den, sind in zahlreichen Berichten niedergeschrieben. Es gibt tausend Arbeitsgruppen, in denen beschrieben wurde, was diese Einrichtungen alles machen, darüber müssen wir nicht reden. Nein, was wir gewährleisten müssen, ist, dass die Menschen, die dort arbeiten, eine solide Finanzierung kriegen.

den Antrag geben, der die Mehrgenerationenhäuser betrifft, in dem die Anschubfi nanzierung für die bis-her vorgesehenen Förderzentren verlängert werden soll. Es ist trotz entsprechender Bemühungen bisher nicht gelungen, ein tragfähiges Finanzierungskon-zept zu erstellen. Was ja in der Konsequenz heißt, ohne Bundesfi nanzierung weiterzumachen. Auf die-sen Antrag hat sich die Mehrheit der Länder verstän-digt und ich fi nde, es muss unbedingt weitergehen.Ich will auch mit meinen Länderkolleginnen und -kolle-gen und auch mit dem Bund darüber reden, dass es bei der Entwicklung neuer Konzepte im Vorfeld Mitsprache-möglichkeiten geben muss. Und dass diese Konzepte verstetigt werden müssen. Lieber ein durchdachtes Stufenmodell-Konzept, was jedes Land unterschiedlich nutzen kann, und eine verlässliche Finanzierung von-seiten des Bundes, als immer neue Ideen, nach denen man dann die Konzepte umstellen muss.Ich fi nde es zwar für eine Pressekonferenz für die Bundesregierung ausgesprochen sinnvoll, dass man der Zivilgesellschaft eine neue Idee offeriert, die einen unglaublich dynamischen Eindruck macht. Aber für alles, was daraus folgt, trägt die Bundes-regierung genauso Verantwortung. Von daher ist es eine unbefriedigende Situation. Ich hoffe, dass wir über diesen Antrag hinaus dort erst mal eine Lösung fi nden werden. Aber grundsätzlich muss sich das System an der Stelle ändern, also Finanzierungs-bereitschaft muss auch zu tragfähigen Konzepten wenigstens mittelfristiger Art führen.

Birgit Monteiro: Gestern sagte eine Teilnehmerin, als man sie nach ihren Plänen für das erste Halbjahr 2011 fragte, dass sie herausfi nden wolle, wer der zuständige Ansprechpartner für Mehrgenerationen-häuser ist. Vielleicht können wir das heute schon mal für den Senat aufklären. Sind Sie die Zuständige des Landes Berlins für die Mehrgenerationenhäuser?

Dann kommt die Bundesregierung immer alle paar Jahre mit neuen Ideen, mit neuen „Leuchttürmen“, worüber man sich allerdings streiten kann. Aber ich fi nde, dass es inhaltlich wirklich gute Ideen sind, aus denen man aber nach wenigen Jahren die Finanzierung zurückzieht. Das ist ein Problem. Das ist auch deshalb ein Problem, weil gerade die ehrenamtliche Arbeit dadurch unglaublich behin-dert wird. Gerade vor vier Wochen habe ich das am Runden Tisch der ehrenamtlich Tätigen disku-tiert. Da wird wieder ein neues Programm in die Welt gesetzt, von dem aber die Verlässlichkeit der Finanzierung, und damit auch die Weiterentwick-lungsmöglichkeit eines solchen Projektes, nicht gegeben ist. Die Länder stehen dann immer in einer ausweglosen Situation. Sie können an der Konzep-terarbeitung und an dem Finanzierungs-Mix wegen Geldmangels nicht wirklich Anteil nehmen, aber sie haben eine hohe moralische Verantwortung. Wenn ich beispielsweise für ein Mehrgenerationenhaus erst mal 40.000 Euro pro Jahr bekommen kann, dann entsteht ja auch logischerweise darum ganz, ganz viel Engagement, das Geld zu nutzen, Kon-zepte umzusetzen, Kompetenzen und Erfahrungen einzubringen. Dann entsteht immer aufs neue eine wirklich schwierige Situation.Wir haben jetzt gerade bei dem Treffpunkt Hilfsbe-reitschaft, was eine hohe Akzeptanz in der Stadt hat, weil es eine Vernetzung der Ehrenamtlichen ist, gesagt, dass es so nicht weitergehen kann. Wir müssen auch mit unseren Länderkollegen/innen weiterkommen. Wir treffen uns in der nächsten Woche wieder, einmal im Jahr, zur Konferenz aller Arbeits- und Sozialminister, haben auch die große Freude, uns da mit Frau von der Leyen zwei Tage dis-kutierend auseinanderzusetzen. Vorher sind immer 300 bis 400 Themen in allen 16 Bundesländern im Gespräch. Es wird in der nächsten Woche dann

Birgit Monteiro: Frau Bluhm, in Berlin haben wir die besondere Situation, dass wir ein Nebenein-ander von Mehrgenerationenhäusern, Nachbar-schaftshäusern, von Quartiersmanagement und von anderen Einrichtungen haben. Es gibt gar Trä-ger, die ohne öffentliche Finanzierung arbeiten. Zwei Fragen an Sie: Haben Sie noch den Überblick, was da überall in der Stadt geschieht? Und welche Ziele verbinden Sie als Senatorin mit der Förderung der Stadtteilzentren?

Carola Bluhm: Ich kann es ja genauso machen wie mein Vorredner und sagen, die erste Frage kann ich wahrscheinlich nicht zu 100 % beantworten, obwohl ich mir vieles angeschaut habe, vieles gesehen habe. Ich habe auch viele positive Über-raschungen erlebt, über Qualität und Durchdacht-heit bestimmter Konzepte. Aber ich finde, dass wir das für die Debatte wirklich auseinander halten sollten.Dass wir in Berlin ein löbliches und tragfähiges Konzept für unsere – auch vom Land fi nanzierten – Stadtteilzentren, die ja auch von unserer Senats-verwaltung verantwortet werden, haben; dass wir gerade jetzt wieder eine Kooperationsvereinbarung haben; dass ich gerade gestern mit meiner Kolle-gin, der Gesundheitssenatorin, einen Vertrag für die Gesamtlaufzeit für soziale und gesundheitliche Pro-jekte über 140 Millionen für die nächsten fünf Jahre abgeschlossen habe und damit die Mittel gesichert sind, das ist schon wichtig. Weil es eine Grundlage genau dafür ist, dass sich da etwas entwickeln kann. Weiterentwicklung unter diesem Aspekt, dass die Mittel gesichert sind, und man muss nicht einen Großteil der Arbeit darauf richten, die Mittel zu besorgen oder zu sichern. Das ist für Berlin wirk-lich gelungen, obwohl das durchaus im Umfeld keine unkomplizierte Debatte ist.

Abschlussvortrag Resümee und Ausblick

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Fachtagung Abwicklung oder Weiterentwicklung?128 129

Carola Bluhm: Das ist in der Tat eine spannende Frage, weil zumindest die Bildungsverwaltung intensiv invol-viert ist. Wir sind immer mal beratend herangezogen worden, wir kennen auch das, was sich in Berlin entwik-kelt hat. Aber so allumfassend zuständig – neben dem Bund, der zuständig ist, weil er sich das ausgedacht hat – sind wir aus der Sicht des Bundes auch nicht. Wir haben uns dieses Programm nicht ausgedacht. Sie haben vollkommen recht mit dieser Irritation, das gehört übrigens auch zu unseren Forderungen, näm-lich klare Verantwortlichkeiten zu benennen. Aber was nicht geht, das ist ein Programm anzukün-digen, es zwei Jahre zu fi nanzieren, und dann zu sagen: liebe Länder, tut mal was! Denn die haben wiederum langfristige Pläne, die haben Überlegun-gen, die sie dann nicht einfach umstellen können, weil dafür jedes Mal ein schwieriger Konsens zu erringen ist. Von daher bitte diejenigen, die sich das ausdenken, in die Haftung dafür nehmen, wie es langfristig funktionieren kann.

Birgit Monteiro: Das war die passende Überleitung zu Frau Erler. Wir haben gestern von dem Vertreter des Bundesfamilienministeriums erfahren, dass es einen neuen Aktionsplan Mehrgenerationenhäuser

Frau Monteiro: Im Bundesverband sind es ca. 50.

Gisela Erler: Na bitte - , 50, und wir haben 500 Mehrgenerationenhäuser, dann haben wir jetzt 550 Bewerber. Dazu kommen ein paar neue Bewerber und in das Programm kommen vielleicht 200 oder 300 Bewerber rein – es werden also nicht alle drin sein! Gut, was heißt das jetzt trotzdem? Ich glaube, dieses Programm hat – wie alle vorher – schon jetzt ein paar wichtige Dinge entwickelt, die man in die Zukunft tragen sollte.Das Wichtigste ist, dass wir wirklich zeigen kön-nen, dass wir mit der Methode dieses Programms zum ersten Mal eine bundesweite Vernetzung her-gestellt haben, die einen echten Know-how-Transfer geschaffen hat und eine bessere Alters-Durchmi-schung in allen Angeboten. Die Häuser sagen über sich: sie sind nicht dieselben die sie vorher waren, sie reichen breiter und tiefer. Das ist ein Know-how, was für alle Konzepte wichtig ist. Manche hatten das vielleicht schon, aber sehr viele, wenn Sie ehrlich sind und wissen, wie es in der Welt zugeht, haben es noch nicht geschafft, mehr Gruppen anzuspre-chen als sie eigentlich könnten, usw. Das ist aber sinnvoll. Sie haben es auch geschafft, mehr Leute zu aktivieren, als sie das vorher konnten, weil man ein Konstrukt von Wissenstransfer hat, von Treffen, von Unterstützung, von Netzwerken, was das wirk-lich stark beschleunigt hat.Ich glaube, dass diese Impulse und diese Struktu-ren sinnvoll sind, dass man gelernt hat, wie man Strukturen stabilisieren kann. Ich denke, das wird nach Beendigung des MGH-Programms ein bleiben-des Erbe sein, man hat manches dazugelernt. Jetzt geht es darum, wie man das in kontinuierliches poli-tisches Handeln bringt. Auch die Auftraggeber des Bundes wissen ja nicht, wann die nächste Regierung kommt, hält die jetzige noch drei Jahre, das weiß

doch keiner. Oder welche Modellprojekte wird Frau Schröder sich noch ausdenken, wenn sie noch da ist, das weiß auch keiner. Wir sind in dem Punkt Teile eines politischen Spek-trums, das wir nicht kontrollieren können. Wir können aber sagen: vor Ort haben wir mehr Instrumente der Verknüpfung mit den Kommunen. Wir müssen wissen: der Bund kann Impulse geben und kann Sachen steu-ern und sich mit den Ländern zanken, die Länder kön-nen das stützen und verstehen oder auch nicht. Der Ort aber, an dem entschieden wird, ob solche Struktu-ren sich verstetigen, sind die Kommunen. Darum geht es eigentlich, unser Projekt ist eines, das sich wirklich in örtlichen Strukturen verankert, sich am konkreten Bedarf von älteren Menschen, von jungen Menschen und Familien orientiert, so dass es zu dem Ort passt. Dass da eine reale Nachfrage ist, das ist die einzige echte Überlebenschance. Dafür haben wir aber jetzt ein professionelleres Know-how geschaffen, macht euch bekannt, redet mit der Wirtschaft, redet mit den Kommunalvertretern, stützt euch niemals nur auf eine Partei, aber redet mit den Politikern usw., damit ihr überlebensfähig werdet. Diese Klaviatur zu bedienen, das ist aus meiner Sicht im Moment das Wichtigste.Ich stimme Ihnen ja völlig zu, die Sockelfi nanzierung für ressortübergreifende Strukturen in der Nachbar-schaft ist die zentrale Frage. Berlin als frühere Front-stadt des Sozialismus und nunmehr Frontstadt der aufgeklärten Nachbarschaftspolitik wäre eine wun-derbare Stelle, um das mal umsetzen, denn billiger kriegt die Politik das nie. Es ist wirklich wahr, es gibt keinen billigeren Weg, gute Dienstleistungen für alle zu erbringen als mit so was. Gerade weil Sie so arm sind - nutzen Sie die Armut als Chance.

Birgit Monteiro: Georg Zinner, es sind ja auch gerade jetzt noch einmal atmosphärische Störun-

geben wird. War nun die Aufregung umsonst, Frau Erler? Sind nun alle Probleme gelöst – aus Sicht der Mehrgenerationenhäuser?

Gisela Erler: Na ja, zunächst mal sind ganz sicher nicht alle Probleme gelöst. Ich bin seit 1974 für Modellprogramme des Bundes tätig. Zuerst habe ich das Modellprojekt Tagesmütter gemacht, dann das Modellprojekt Orte für Kinder, das Modellprojekt Mütterzentren und jetzt das Modellprojekt Mehrge-nerationenhäuser, immer verantwortlich mit betreut, nicht ursprünglich entschieden.Es gibt natürlich ein Spannungsverhältnis zwischen solchen Impulsen, wie sie in diesen Projekten ent-wickelt worden sind, und den langfristigen Finan-zierungen, das ist völlig richtig. Ich muss aber auch zur Ehrenrettung dieser ganzen Ansätze sagen: ganz vieles, was in diesem Land bis heute an Innovatio-nen gelaufen ist, wäre niemals entstanden, wenn man nicht diese Versuche gemacht hätte, die zum Teil auch wieder abgebrochen wurden.Als das Modellprojekt Tagesmütter 1978 fertig war, hat kein einziges Bundesland – außer Baden-Württemberg – irgendwas weitergemacht, wir hat-ten aber Vereine, die überlebt haben. Erst später wurde dann frühkindliche Fremdbetreuung über-haupt gesetzlich zulässig. Die Ländervertreter von Baden-Württemberg standen damals diesen The-men vollständig abweisend gegenüber, dennoch ist es gelungen, Ansätze zu implementieren.Und beim Ehrenamt war es immer umgekehrt, da woll-ten die Metropolenvertreter mit ihrer Sozialarbeiter-Mafi a alles, was nach Ehrenamt roch, nicht haben, weil sie dachten, dass ihre schönen Jobs blockiert werden. Diese Debatte steht ja immer noch ein bisschen im Raum.Also erst mal will ich sagen, dass ein neues Projekt kommt – so sicher wie das Amen in der Kirche. Wie viele Institutionen sind im Nachbarschaftszentren-Verband?

Abschlussvortrag Resümee und Ausblick

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Wir können als Verband ein Forum bieten, wir kön-nen vielleicht auch Interessen formulieren, einen Austausch darüber initiieren, wie wir diese Mehr-generationenhäuser am Leben halten, wie wir die Stadtteilzentren und Nachbarschaftshäuser am Leben halten, das Gleiche mit unterschiedlichen Begriffen, wie sie dauerhaft stabilisiert und fi nan-ziert werden können.Persönlich habe ich noch einen ganz eigenen Aspekt, den ich aus meiner Lebenserfahrung und Berufser-fahrung als Geschäftsführer ableite: man soll sich NIE auf die öffentliche Hand oder auf die Politik ver-lassen. Man soll als Mehrgenerationenhaus oder Nachbarschaftshaus immer versuchen, Einrichtun-gen zu betreiben, Trägerschaften zu betreiben, um stark und unabhängig zu werden, um nie von einer Finanzierung abhängig zu sein. Das ist aber ein anderer Aspekt, den man vielleicht noch in einem anderen Zusammenhang extra diskutieren muss, der Verband wäre dafür ein Forum.

Wolfgang Hinte: Ich möchte auf einiges eingehen, was von meiner Vorrednerin und meinem Vorredner gesagt wurde. Vorweg will ich sagen, dass ich das nicht in provokant-böser Absicht tue, auch wenn ich an einigen Stellen möglicherweise etwas überziehe.Mir hat das gefallen, was Sie gesagt haben, aber an einigen Stellen möchte ich nachlegen. Ich fi nde es falsch, die Finanzierung für Mehrgenerationenhäu-ser zu verlängern. Ich fi nde es klasse, wenn Sie das Geld kriegen, aber ich fi nde das Etikett falsch. Das ist genau die Falle. Man kämpft jetzt für eine Verlän-gerung unter diesem Etikett, weil Sie mit dem MGH-Programm Gutes bewirkt haben, das wurde richtig beschrieben.Aber wenn Sie hören, was erreicht wurde mit den Mehrgenerationenhäusern, nämlich bessere Durch-mischung und bessere Netzwerke - ja, Leute, wie

viele Institutionen in Berlin werden fi nanziert mit der Aufl age, Netzwerke zu gestalten! Sie können sich vor Netzwerken nicht retten in Berlin! Das ist die zen-trale Finanzierungsgrundlage und jeder behauptet, er macht Netzwerk. Und wissen Sie was, das stimmt auch! Das machen alle! Und damit machen Sie die 37. Kirche im Dorf auf, die wieder das tut, was viele andere vorher auch schon gemacht haben. Ich werbe immer dafür, viel stärker vorhandene Finanzierungs-stränge zu bündeln. Anstatt wieder ein Programm zu verlängern, das in der Tat Gutes schafft und richtige Impulse setzt, sollte man unbedingt schauen, was schon da ist. Was da ist, sollte unter einem Etikett verlängert werden, das möglichst anschlussfähig ist an alle möglichen politischen Richtungen und Strö-mungen, damit nicht die nächste Ministerin kommt und irgendein neues Lieblingskind hat.Die Zentren müssten beschreiben, was das Kernthema ist, das Sie, aber auch viele Menschen in anderen Städten, seit Jahren umsetzen. Ich meine, das Kernthema ist, dass Sie einen guten Humus für soziales Leben generationen- und milieu-übergreifend schaffen und gelegentlich auch als Widerstandsstelle gegen Zumutungen jedweder Art fungieren. Das sind im Grunde die beiden Elemente, die gute Stadtteileinrichtungen seit jeher praktiziert haben und das auch richtig gut können. Man braucht kein neues Bundesprogramm, um da Impulse zu setzen, denn das wird seit vielen Jahren gemacht. Wenn man diese Arbeit künftig Mehrgenerationen-haus nennen will, soll mir das recht sein. Aber dann lasst es uns auch 30 Jahre lang Mehrgenerationen-haus nennen. Ich vermute allerdings, dieses Etikett ist nicht anschlussfähig, ich halte das Etikett Stadt-teilzentren für am anschlussfähigsten.Stadtteilzentren scheint mir der Begriff zu sein, den man bundesweit am ehesten für eine gemeinsame politische Beschlussfi ndung nutzen kann. Das kann

gen oder Kommunikationsstörungen zwischen Bund und Ländern sichtbar geworden. Welche Rolle kann in diesem Kommunikationsprozess der Verband für sozial-kulturelle Arbeit spielen, in dem ja sowohl Mehrgenerationenhäuser als auch Nachbarschafts-häuser beheimatet sind?

Georg Zinner: Diesen Konfl ikt, der jetzt zwischen Bund, der etwas anstößt, und Ländern, Landkrei-sen und Kommunen deutlich wird, die plötzlich nach fünf Jahren entdecken, dass sie in die Fol-gefi nanzierung einsteigen sollen, vermag ich nicht nachzuvollziehen.Es ist ja so: Ein politisches Programm ist in meinen Augen immer eine mehr oder weniger gelungene Antwort, vielleicht manchmal auch eine hilfreiche oder hilfl ose Antwort auf ein gesellschaftliches Phä-nomen bzw. ein gesellschaftliches Problem, auf eine gesellschaftliche Aufgabe – so ist es eben auch bei den Mehrgenerationenhäusern. Man denkt, die gesellschaftlichen bzw. soziologischen Veränderun-gen müssten eigentlich dazu führen, dass sich Kom-mune, Landkreise, Städte darum reißen, sich um die Ehre balgen, wer denn so ein Mehrgenerationen-haus fi nanzieren darf. So attraktiv und interessant ist doch dieser Ansatz, so innovativ, auch gerade weil er von zivilgesellschaftlichem Engagement und von ehrenamtlicher Beteiligung lebt. Aber das machen sie nicht, obwohl es um relativ läppische Beträge für Infrastrukturförderung geht, die natürlich notwendig ist. Anstelle von dauernd neuen Programmen brau-chen wir eine Infrastrukturförderung. Anstatt immer neuer, auch teilweise fragwürdiger, Transfers brau-chen wir gut funktionierende und damit gut fi nan-zierte Regeleinrichtungen.Was sind Regeleinrichtungen? Regeleinrichtungen sind Kindertagesstätten, Schulen und Jugendfrei-zeitzeiteinrichtungen, sind Treffpunkte für Menschen

aller Generationen, sprich: Mehrgenerationenhäuser und Nachbarschaftshäuser. Es ist also eine Selbst-verständlichkeit, dass Kommunen und Städte sich um die Finanzierung und um eine bestimmte Form von Daseinsvorsorge kümmern müssen, die zudem nicht teuer ist. Es ist eigentlich ein Armutszeugnis, dass Kommunen und Landkreise sich vom Bund auf diese Weise vorführen lassen, dass ein überfälliges Programm wie die Mehrgenerationenhäuser als Bun-desprogramm starten muss. Das ist doch eigentlich schade, da müsste man ja vor Scham als Politiker rot werden und sagen: Mensch, warum sind wir da nicht drauf gekommen? Berlin nehmen wir mal aus, weil Berlin schon lange Stadtteilzentren hat und auch fördert. Es ist immer so: bevor es Hospize gibt, bevor es eine Versorgung für sterbende Menschen gibt, die zu Hause nur zum Teil möglich ist, davor gibt es eine Hospizbewegung. Bevor es Selbsthilfezentren und Kontaktstellen und Förderung von Selbsthilfegrup-pen gibt, gibt es die Selbsthilfe. Die Anforderungen kommen immer aus der Bevölkerung, während Ant-worten darauf immer von der Politik kommen. Das ist auch richtig so, das soll in einer Demokratie auch so sein. Aber die Antworten sind eben oft nicht aus-reichend.Was kann der Verband tun? Der Verband hat schon eine Antwort mit dieser Tagung gegeben. Er hat gesagt, dass uns das Thema beschäftigt. Der Ver-band ist auch dankbar, dass es dieses Mehrgene-rationenhaus-Programm gibt. Auf diese Weise sind viele der Ansätze, die der Verband vertritt, bundes-weit ins Gespräch gekommen, es sind Institutio-nen entstanden. Diese Institutionen, da bin ich mir sicher, kann man nicht mehr vom Tisch wischen. Je mehr diese Einrichtungen MGH gelungen sind, desto eher werden sie erhalten werden müssen – von wem auch immer.

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projekte nicht mehr machen. Natürlich würde ich mir da eine andere Art von Solidarität von allen Beteilig-ten wünschen. Ja, und Sie haben Recht, es gibt eine unterschiedliche Kultur zwischen dem Bildungs- und dem Jugendbereich. Die zusammenzuführen, ist aber total wichtig für die ganze Stadt, nicht nur für den Ganztagsbereich in der Schule, sondern für vie-les andere, dafür dass ich Multiprofessionalität an die Schulen hole, usw. Man muss diese Auseinan-dersetzung auch führen, es reicht nicht zu konstatie-ren, dass es Differenzen gibt und der Senator die in den letzten drei Jahren nicht ausräumen konnte. Es müssen bestimmte Veränderungen vorgenommen werden, Abläufe müssen umstrukturiert werden, was auch wiederum nicht allen gefällt. Es wird ganz sicher nicht einfach oder unproblematisch sein.Der Ansatz ist richtig, aber man muss ihn auch wirk-lich umsetzen, was mitunter ein dickes Brett ist, was man da zu bohren hat. Ich bin dafür, es zu bohren, ich halte dann auch die daraus entstehenden Kon-fl ikte und Widersprüche aus. Aber man muss sie dann auch gemeinsam bis zum Ende klären.

Georg Zinner: Die Mehrgenerationenhäuser sind im Prinzip keine neuen Einrichtungen, sondern die

dann länderspezifi sch ein bisschen variiert werden, denn die Länder wollen natürlich immer noch eigene Impulse setzen. Das können die ja dann machen, aber der Grundbegriff müsste Stadtteilzentrum sein.Frau Senatorin, ich fand das richtig, was Sie mit Blick auf die Impulse des Bundes gesagt haben. Aber ich meine, auch in Berlin gibt es eine Vielzahl von Finan-zierungssträngen für teilweise das Gleiche. Ich drehe immer wieder durch, wenn ich in dieser Stadt bin. Ich komme heute Morgen aus einer dieser wahnsin-nigen Koordinierungsrunden, diesmal von SenStadt, wo natürlich auch SenSoz saß und andere Senats-verwaltungen, die heute wieder voneinander gelernt

Und bei dem anderen Thema: Trotzdem muss ich was weiterentwickeln. Berlin ist Land und Kommune, wir als Land sind nicht in der Lage, unsere Kommu-nen bzw. unsere Bezirke so auszustatten, dass sie einen Entwicklungsprozess auch fi nanziell beglei-ten könnten. Es ist ja vollkommen richtig, was Sie sagen, dass auch über Modellprojekte was Neues entsteht, aber sie müssen dann auch weiter beste-hen können. Ich wäre zum Beispiel auch für Berlin eine Befürworterin eines Fonds. Wenn die Bundes-regierung mit einer neuen Idee einen Fonds aufl egt, dann würde ich im Land Berlin dafür kämpfen. Ich hätte auch schon eine Idee, wie man sich daran fi nanziell beteiligt. Weil man durch eine fi nanzielle Beteiligung auch eine andere Art von Beteiligung, von Anteilnahme erreicht. Das wäre schon mal eine andere Ausgangsposition. Aber ich lasse mich hier nicht für die Probleme des Bundes, der nur ankün-digt, in Haftung nehmen. Ich möchte dann bei der Ausgestaltung von Modellprojekten auch mitreden können, weil sie dann auch für Berlin spezifi sch genutzt werden sollen, denn wir haben eine andere Infrastruktur. Ich fi nde, wir sind in bestimmten Punk-ten wirklich vorbildlich.Und spannend ist ja, dass wir, obwohl wir ein riesiges Kultur- und Kunstangebot haben, obwohl wir Zugäng-lichkeit über unseren Berlinpass für Leute mit wenig Geld haben, dass die Stadtteilzentren trotzdem über-rannt werden und immer mehr Kapazitäten schaffen könnten, weil die Nachfrage da ist. Wir wollen ein funktionierendes Konzept, auch fi nanziell tragfähig, in die Zukunft ausgestalten. Und dazu will ich aber dann auch die EU-Mittel nutzen können.Natürlich gibt es Ressort-Egoismen. Die Stadt-entwicklungssenatorin etwa vertritt die Mittel der Sozialen Stadt und natürlich gibt es darum Ausein-andersetzungen. Alle haben Angst und sagen, wenn die gekürzt werden, dann kann ich aber meine Leit-

haben, was sie alles fi nanzieren und wie das zusam-menhängt. Und die nicht wussten, dass der eine das fi nanziert, was der andere auch schon fi nanziert hat. Das sind skurrile Momente. Dabei sitzen da Leute, die zum Teil auf hohem konzeptionellen Niveau wirk-lich Gutes mit dem Geld tun wollen, die aber ange-sichts der Komplexität in den Senatsverwaltungen überhaupt nicht mehr durchblicken. Da denke ich häufi g: wenn diese unglaublich zahlrei-chen heterogenen Finanzierungsstränge von einer Instanz zusammengefasst würden und als Sockelfi -nanzierung für solche Humus-Einrichtungen genom-men würden, dann hätten die genug Geld. Aber es braucht jemanden, der mal in alle Finanzierungs-stränge reinschaut und sagt: Leute, da nehmen wir das Geld raus und machen eine Sockelfi nanzie-rung daraus, die wir dann auf Jahre hinaus in Ber-lin sicher haben. Da kann ich Ihnen aus dem Stand zehn Verwaltungsbereiche nennen, die Ähnliches fi nanzieren.

Carola Bluhm: Das ist in Wirklichkeit noch viel kom-plizierter, weil auch noch die europäische Finanzie-rung mit bestimmten Mechanismen dazukommt. Es ist ja immer leicht zu sagen, dass alles nicht gut funktioniert. Ich kann nur für den Bereich, den ich hier vertrete, sagen, dass in den Stadtteilzentren auch Integrationsarbeit geleistet wird, dass selbst-verständlich im Stadtteilzentrum von Herrn Zinner Arbeitsmarktförderung stattfi ndet. Ich als Arbeits-senatorin muss mir darüber Gedanken machen, wie man aus dem öffentlich geförderten Beschäftigungs-sektor, wenn gewünscht, auf den ersten Arbeitsmarkt kommt. Das funktioniert in unseren Stadtteilzentren. Und die Finanzierung ist gesichert bis 2011, ab 2011 für die nächsten fünf Jahre, egal, was politisch und haushaltsmäßig im Land Berlin passieren wird. Das ist erst mal eine gute Ausgangsposition.

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ganz viele Prozesse schlagartig ändern und uns auch neu erfi nden. Ich fi nde Sockelfi nanzierung okay. Ich glaube aber, immer wieder Druck zu haben, kann sehr positiv sein. Dass alle gezwungen sind zu überprüfen, ob das, was wir machen und wie wir es machen, rich-tig ist. Die Häuser stöhnen natürlich, wie viel Repor-ting sie machen, und das kann man sicher auch noch eleganter machen als in unserer allergrößten Daten-bank der Welt. Aber trotzdem werden Sie alle zuge-ben, dass man noch nie so viel darüber wusste, was klemmt und was nicht geht, wie kriege ich mehr Leute rein, usw. Den Prozess der Erneuerung und Wandlung am Kochen zu halten durch Programme oder Aufl agen oder Preise oder Wettbewerbe, das fi nde ich zentral. Es müssen aber durchaus nicht klobige Bundespro-gramme sein, das stimmt.Viele Träger waren zunächst erstarrt, als sie hörten, dass das MGH-Programm so nicht weiterlaufen wird. Ich bin auch ein bisschen in Sorge, wenn sich die Einrichtungen selber am Leben halten müssen. Herr Zinner, Sie haben recht, Regelfi nanzierung ist eines der Standbeine. Aber das macht nur Sinn für diese Häuser, wenn es mit der Aufl age und dem Programm verbunden ist, andere Regelangebote zu machen, mit Leuten, die dann ehrenamtlich tätig sind. Vielleicht muss man, um Brot und Butter zu haben, eine Kin-derkrippe machen; oder einen Altentreffpunkt. Die Frage ist also: wie sichere ich den notwendigen Kern meines Nachbarschaftszentrums dennoch ab, wenn ich meine Finanzierung über Regelangebote, die ich nach Schema F erbringe, mache. Das macht mir Sorge. Es muss dann auch mit der Möglichkeit ver-bunden sein, Regelangebote zum Beispiel zu öffnen, in sie so viel Geld und Ressourcen und Qualifi zierung rein zu stecken, dass darin auch Ehrenamtliche ein-gesetzt werden können, usw., sonst beißen wir uns wieder in den Schwanz und das Kern-Know-how geht verloren.

Für uns hier ist mir noch eins wichtig: Das Programm ging ja von Berlin bis in die Niederlausitz und in den Schwarzwald. Wir haben ganz andere Strukturen im Schwarzwald, wo so ein Haus in einer Region ganz viel verändert und bewegt, es hat dort eine singuläre Stellung und ganz andere Funktionen, ist also viel offensichtlicher wichtig als in einer Metropole, wo wir eine große Angebotsvielfalt haben und Häuser sich mit ihrer Rolle erst einspielen müssen.In so einem großen Programm muss ich all diese Elemente berücksichtigen und die Zukunft für alle sichern. Ich fi nde die Forderung nach einer Grundfi -nanzierung richtig, aber dann geht es für mich erst los. Denn wenn der Bund jetzt beschließen würde, dass es einen Fonds geben soll, der von einem wei-sen Amt verwaltet wird – ich bitte Sie, dieses weise Amt möchte ich mal in 30 Jahren sehen. Dieses weise Amt hat lange Korridore, da werden die Akten von 7.000 Modell- oder Nachbarschaftszentren republikweit verwaltet. Ich glaube hingegen, das Chaos unserer Angebote sichert auch ein bisschen die Quirligkeit und die Unterschiedlichkeit, was auch eine Chance ist. Ich will ja Geld für alle haben, aber nicht Geld, was automatisch fl ießt, wir schlafen dann doch alle ein.

Birgit Monteiro: Ich habe die Karten aus der Runde gesichtet. Es gibt Fragen an Professor Hinte: Wie kann die Konzeptsau getötet werden? Wie kann Dauerfi nanzierung erreicht werden? Budgetierung, aber wie – und nicht nur immer in Berlin?

Und ein Hinweis zum Begriff Stadtteilzentrum: kann nicht als allgemeingültiger Begriff gelten, er passt nicht in ländliche Strukturen.Dann habe ich ein allgemeines Statement: Die bun-desweite Finanzierung war doch nötig, um Mehrge-nerationenhäuser als Marke bekannt zu machen,

Weiterentwicklung von bestehenden Einrichtungen, Mütterzentren usw. Was ich nicht ganz verstehe, Frau Bluhm, wir brauchen in Berlin – Sie haben es vorhin selbst gesagt – mehr Nachbarschaftszentren, die bestehenden platzen aus allen Nähten und die Nachfrage ist enorm. Gestern hatte ich einen Anruf aus Kladow, im äußersten Westen von Berlin, schon fast in Brandenburg, die eine Beratung wollen, weil sie dort in Kladow ein Nachbarschaftszentrum auf-bauen wollen. Das ist seit Jahren ein Teil des Tages-geschäfts von Nachbarschaftseinrichtungen, auch vom Verband, immer wieder Anfragen dieser Art zu beantworten, Unterstützung zu leisten, damit so was neu entstehen kann.Es ist doch klar, die haben Seniorentagesstätten, die unter Umständen nicht mehr der Kultur der heuti-gen Senioren bzw. deren Wünschen entsprechen; die haben Kinder- und Jugendfreizeitheime, um die Kinder, Jugendliche und deren Eltern einen weiten Bogen machen. Wir können doch vorhandene, nicht funktionierende Infrastruktur weiterentwickeln. Und wir können in den Stadtteilzentren das aufl ösen, was Wolfgang Hinte vorhin beklagt hat, diese Multi-zuständigkeit, die Multi-Programme, alles, was dann kreuz und quer geht. Berlin ist dann immer wie ein Brennspiegel, wo alles noch einen Zacken schär-fer auftritt. Aber dieses Durcheinander auf lokaler, räumlicher Ebene der Zusammenarbeit kann auf-gelöst werden, etwa wenn Nachbarschaftszentren mit Schulen zusammenarbeiten, wenn sie in den Schulen ehrenamtliches Engagement etablieren, wenn sie mit der Wirtschaft zusammenarbeiten, mit umliegenden Arztpraxen oder Krankenhäusern. Da gibt es tausend Sachen, die gerade in diesen Nach-barschaftszentren immer wieder zusammengefasst werden können – und zwar jenseits der originären amtlichen Zuständigkeiten von Ressorts, wie wir sie auch in Bezirken haben.

Jede Bezirksverwaltung und jeder Stadtrat setzt seinen eigenen Schwerpunkt und die Senatsverwaltung hat wieder andere Schwerpunkte. Da gibt es nur in Aus-nahmefällen eine Kooperation. Aber sie hätten Insti-tutionen zur Verfügung in diesen Stadtteilzentren und Mehrgenerationenhäusern, die vor Ort dieses kom-plexe Gebilde durch Zusammenfassung von Geld und Mitteln und Personal immer wieder aufl ösen können.Das ist das, was Politik auch begreifen muss, dass sie starke Partner in der Region braucht. Und das sind diese Häuser, die auch Bürgerengagement zusam-menfassen können, die Initiativen von Bürgern auf-greifen können. Sie brauchen starke lokale Partner in der Politik, wenn Sie die künftigen gesellschaftli-chen Probleme lösen wollen. Das wird von einer ein-zelnen Verwaltung aus nicht mehr gehen, davon bin ich fest überzeugt. Von daher, Finanzierung, ob es sie geben wird oder nicht - diese Form des Engage-ments wird wachsen und auch die Nachfrage nach Geld, sprich Infrastruktur, für dieses Engagement.

Gisela Erler: Noch mal zu Berlin. Nach allem, was ich weiß, haben wir hier einige sehr starke Häuser. Die sind alle gebaut auf der Grundlage einer anderen Einrichtung. Also wir haben ja entweder Nachbar-schaftszentren oder Schulen oder Seniorenheime für das MGH-Programm genommen. Das waren keine neuen Kreationen. Ich möchte ein Plädoyer dafür machen, dass sich Mehrgenerationenhäuser irgendwie in die Struktur der Stadtteilzentren inte-grieren lassen.Was ich aber wichtig fi nde, ist folgendes: mein eigenes Unternehmen zum Beispiel hat eine Firma gegründet, die heißt Familienservice. Wir waren die ersten, die für Unternehmen Familiendienstleistungen erbracht haben. Wir waren lange Zeit Marktführer und ganz alleine – bis die AWO kam und unser Konzept nach-gemacht hat. Da sind wir aufgewacht und mussten

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im Moment für den ersten Schritt, nämlich die Sok-kelfinanzierung. Erst dann muss man schauen, wie man das Ding in Schwung hält.Ich wurde gefragt, wie man die Konzeptsau töten und eine Dauerfi nanzierung erreichen kann. Ja, das ist ein Thema für einen Vortrag und nicht für ein Statement. Ich glaube, dass eine Budgetfi nan-zierung, also eine Zusammenführung von Geld aus verschiedenen leistungsgesetzlichen Strängen oder aus verschiedenen Programmen, nicht die Super-lösung ist. Aber es ist zumindest die beste Lösung, die ich derzeit kenne. Wenn die Verwaltungen lernen würden, bei der Finanzierung mehr in Budgets zu denken und weniger in bestimmten Finanzierungs-strängen bezogen auf einen Bereich, dann wäre es leichter, mit dem Geld zu planen und mit ihm fl exibel umzugehen. Ich meine, es wäre auch für die Verwal-tung leichter, ein Budget durch ein gutes Controlling zu begleiten. Ich bin ein Budgetfan, das wissen ja die meisten, und das sowohl bezogen auf einzelne leistungsgesetzliche Bereiche, Zusammenfassung von Einzelleistungen in der Jugendhilfe, als auch bezogen auf soziale Räume.Wir brauchen eine neue gesetzliche Grundlage. Allen, die im politischen Bereich tätig sind, kann ich nur sagen: wenn das nicht irgendwann endlich in eine - wie auch immer geartete - leistungsgesetzliche Grundlage gegossen wird, dann werden wir in zehn Jahren wieder hier sitzen und über das gleiche Ding reden. Das muss auf Bundesebene geleistet werden.Ich fand das Statement, Frau Bluhm, das Sie gerade als Senatorin gegeben haben, ausgezeichnet. Ich habe selten gehört, dass eine Senatorin das in der Klarheit so benannt hat. Ich glaube auch nicht, dass das viele Senatoren/innen in Berlin so tun würden. Wenn es dieses politische Bewusstsein breit geben würde, was Sie hier gerade präsentiert haben, dann wäre ich hoff-nungsvoll, dass man was machen könnte.

Ich weiß nicht, ob das in Berlin geht, aber ich fände es spannend, wenn man – auch auf dem Hinter-grund einer solch aufgeklärten Analyse, die sich hier auf dem Podium zeigt – eine politische Initiative in Berlin zur Bündelung der Finanzierungsstränge starten würde. Wie wäre es denn, wenn man einen Antrag ins Abgeordnetenhaus einbringen würde, der die Senatsverwaltung auffordern würde, mal mit Blick auf diese ganzen Tätigkeiten und Zentral-begriffe, die wir hier benannt haben, die Finanzie-rungsstränge zu durchforsten und zu schauen, wo man Dinge bündeln kann? Wenn irgendwas bewegt werden kann, dann durch einen politischen Antrag. So ein Antrag muss eine realistische, aber knappe Zeit-Ziel-Planung haben.

Carola Bluhm: Das fi nde ich eine gute Idee. Ich habe übrigens gute Erfahrungen damit gemacht, Sachen so auszusprechen, wie ich sie auch erlebe und wie viele andere sie auch erleben. Ich habe die Erfah-rung gemacht, dass man die ersten drei Mal Ärger kriegt, aber beim vierten Mal denken alle, na ja, das hat sie ja beim letzten Mal schon gesagt, also was soll’s. Das impliziert allerdings eine Veränderungs-bereitschaft bei allen. Da kommen dann aber mög-

daher auch die starke Öffentlichkeitsarbeit. Ohne Weiterfi nanzierung wird die Marke verloren gehen. Mehrgenerationenhäuser bieten soziale Orientie-rung vor Ort.

Fragen an Frau Bluhm: Wofür genau sind die gesam-ten 150 Millionen Euro vorgesehen? Werden über das Infrastrukturprogramm Stadtteilzentren bzw. aus den 140 Millionen Euro in fünf Jahren auch neue Einrichtungen gefördert, also die bisher noch nicht über den Stadtteilzentrenvertrag fi nanziert wurden?

Noch ein Statement: Frau Bluhm weist die Verant-wortung für das Bundesmodellprogramm von sich und vom Land – wegen der Finanzierung. Es geht aber um die Zuständigkeit und Verantwortung für ein Thema, das alle als wichtig und richtig benennen. Es bedarf des Übergangs für eine Regelfi nanzierung, da ist der Verweis auf den Bund falsch.

Dann an Frau Erler: Das kann doch nicht wahr sein, Anschlussförderung wirklich nur für ca. 200 Häuser? Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein bei 700 Mehrgenerationenhäusern, es sind nicht nur 500.

Noch eine Frage an Frau Erler: Wie geht es mit den Angeboten weiter, zum Beispiel Vermittlungsdaten-bank, Serviceagentur, in den Häusern, die jetzt aus dem Projekt auslaufen?

Ein Statement an Herrn Zinner: Warum nutzt der Ver-band nicht die 500 Häuser in der Fläche, um seine originären Themen bundesweit voranzutreiben und als Fachverband ein stärkeres Gewicht zu erhalten und aus 50 Einrichtungen eine bundesweite Debatte zu führen?

Wolfgang Hinte: Klar, eine Sockelfinanzierung darf nicht zu einer Einschläferung des Systems führen. Das ist mir völlig klar, weshalb ich auch dafür bin, dass man ein System immer dynamisch und in Schwung halten muss. Alle, die eine Regel-finanzierung haben, werden nach drei bis fünf Jah-ren träge und müde. Deshalb bin ich auch kein Fan von solchen Finanzierungen. Wenn wir aber in der Phase, wo wir um die Sockelfinanzierung kämpfen, jetzt schon sagen, wir müssen gleichzeitig darüber nachdenken, wie wir das System in Schwung hal-ten, dann haben wir auf den dritten Schritt fokus-siert – ohne den ersten getan zu haben. Ich werbe

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sich jetzt vor Ort auf den Weg, kommunal und in den Ländern Druck auszuüben, also die Gespräche fan-gen gerade erst richtig ernsthaft an.Der Rechnungshof ist derzeit im Ministerium. Der hat grundsätzlich gesagt: Um Gottes Willen, Frau von der Leyen, was haben Sie da gemacht? Ein Modell-programm mit 500 Häusern darf es sowieso gar nicht geben, weil das viel zu viele sind für ein Modell-programm. Jetzt wiederum kann ich nur sagen, die ersten Eindrücke des Rechnungshofes sind, dass es ein sehr innovatives Programm ist, es hat wirk-lich was gebracht, insofern ist er da vielleicht etwas milder. Aber jedenfalls kann auch der Rechnungshof sagen, dass es gar nicht so groß sein darf. Wir kön-nen Sie nur ermutigen: Machen Sie sich stark vor Ort, machen Sie sich stark in Ihren Ländern, machen Sie sich stark in Berlin. Dann wird man sehen, was rauskommt.Ich glaube nicht, dass es für alle reichen wird, weil auch neue Anbieter aufgenommen werden. Das ist einfach meine Erfahrung aus 30 Jahren. Jetzt sind wir bei den Mehrgenerationenhäusern, und ich, Herr Hinte, bin schon der Ansicht, dass das bundesweit möglicherweise ein sehr guter Titel ist. Berlin hat als fast einzige Kommune oder einziges Land eine starke Tradition von Stadtteilzentren, woanders ist der Begriff nicht so gesetzt. Mehrgenerationenhaus schließt sehr an die Wünsche, Sehnsüchte, Vorstel-lungen und Phantasien an, wie es in Zukunft gehen sollte. Ich glaube, der Begriff hat großes Potenzial.Jetzt fragen die Häuser, was weiter mit diesem Pro-gramm passiert. Es werden im Moment Lösungen gesucht, meiner Ansicht nach wird es die geben. Auch wenn das Programm mal vorbei ist, können Sie das Logo behalten, das wird ja nicht verboten. Auch der Begriff wird nicht verboten, jeder kann sich heute Mehrgenerationenhaus nennen, weil man so einen Begriff gar nicht schützen kann. Ein Mehrge-

licherweise auch Befunde raus, über die dann gern Einzelne noch mal reden würden. Ich habe unend-lich viele Baustellen dieser Art. Wir müssen wegen Fachkräftemangels jetzt ganz viele Sachen umstel-len, das bedeutet auch eine Veränderung beim Übergang Schule/Beruf bzw. Schule/ Ausbildungssy-stem. Wenn es um die ganz konkreten Veränderun-gen geht, auch wenn man sie vorher mutig benannt und die Veränderungen beschrieben hat, dann wird es schwieriger. Dann sagen alle, ja, aber da sind doch Lehrerstellen für genau diesen Bereich, das muss doch so bleiben; nein, die brauchen doch den Schutzraum, usw. Ich würde mich gerne dem Appell anschließen, dass wir diese Veränderungen dann aber auch gemeinsam und selbstkritisch und sehr sachlich hinbekommen. Und zwar erst mal ohne poli-tische Instrumentalisierung. Ich fi nde es in der Tat allemal richtig und auch wichtig, diese Ressourcen zu erschließen.Ich habe auch nicht die Verantwortung zurückgewie-sen, sondern ich habe die Schwierigkeiten beschrie-ben. Wir haben eine Infrastruktur und es ist nicht leicht, auch den Finanzsenator zu überzeugen, dass wir diese sichern und über einen öffentlich-rechtlichen Vertrag über Legislaturperioden hinaus sichern, unabhängig von Haushaltsplänen. Das war keine einfache Aufgabe, dafür politische Mehrheiten zu bekommen, weil wir gesagt haben: nein, wir wol-len nicht, dass es in den Wahlkampf gezogen wird, nein, wir wollen an dem Punkt, dass wir eine verläs-sliche Finanzierung haben.Und die 140 Millionen sind in Berlin tatsächlich für fünf Jahre - bis 2016 – gesichert. Das würde ich mir auch bundesweit wünschen, weil das eine Entwick-lungsgrundlage wäre. Daraus wird auch das Infra-strukturprogramm Stadtteilzentren fi nanziert, aber auch eine ganze Reihe von sozialen und gesund-heitlichen Projekten, Aids-Prävention usw. Also es

ten, die seit Jahr und Tag von den Einrichtungen geschrieben werden, damit die auch die Möglichkeit haben, da eine Reaktion zu spüren und veränderte Wünsche wahrzunehmen.

Gisela Erler: Ich meine, dass die hier in der Stadt vorhandenen Mehrgenerationenhäuser durchaus eine Chance haben, sich um diesen Topf zu bewer-ben.

Teilnehmerin: Es wird jedes Jahr über den Gesamt-topf entschieden, aber wir haben natürlich auch eine gute Infrastruktur, die wir fi nanzieren müssen. Deshalb ist es ja so schwierig, wenn dann wieder ein neues Programm kommt. Dann sollte es dafür auch einen Topf geben, aus dem die Infrastruktur fi nanziert werden kann, weil das sonst innovations-feindlich wird. Dann muss man der Bundesregierung sagen: bitte, das neue Programm sollte mitfi nanziert sein durch einen Fonds, und daran werden sich dann auch die Länder beteiligen.

weitere Teilnehmerin: Gut, das ist ein denkbarer Weg, der natürlich den Konfl ikt geringer macht. Zum anderen gilt natürlich für alle Häuser: wenn nur ein begrenzter Topf da ist, müssen auch Newcomer einen Teil davon bekommen können, wenn sie gut sind, während andere raus müssen. Dieses Modell ist bei knappen Mitteln nicht undenkbar, das macht es nur für alle schwerer.

Teilnehmerin: Im Moment ist das ganze Thema ja ein Politikum. Wie groß wird das Projekt? Wissen wir nicht. Es wird Druck aufgebaut. Die Frage, was mit den Mehrgenerationenhäusern passiert, wie viele in der Förderung sein werden, die ist gerade erst in ihrer entscheidenden Klärungsphase. Es machen sich viele Abgeordnete stark, viele von Ihnen machen

werden eine ganze Reihe von Projekten zuwen-dungsfi nanziert. Das funktioniert natürlich in Form von Anträgen. Die Anträge werden dann auch von einem Steuerungsgremium - gemeinsam mit der Liga der Spitzenverbände – gesichtet, damit man da im Einzelnen noch Gewichtungen vornehmen kann. Auch da ist es nicht einfach, Veränderungen vorzunehmen, im Konsens. Wir werden zunächst die Zuwendungsbescheide für 1 ½ Jahre erteilen, um die Umstrukturierungsphase, die durch die Wahlen im Herbst 2011 entsteht, zu überbrücken und Verzö-gerungen zu vermeiden.Natürlich sind Veränderungen möglich, selbstver-ständlich lässt dieses System das zu. Aber es gibt auch eine sehr, sehr starke Lobby dafür, bestimmte Institutionen so zu fördern wie in der Vergangenheit. Also auch hier muss es eine Bereitschaft zur Inno-vation geben.

Wolfgang Hinte: Das gilt übrigens auch für die Truppe, die hier sitzt. Es gibt auch in Berlin das eine oder andere Stadtteilzentrum, Nachbarschaftshaus oder Mehrgenerationenhaus, die sich auf Sport, Spiel, Spannung beschränken. Das ist nicht der Sinn der ganzen Nummer, es geht auch um aktivierende Arbeit. Es geht nicht nur um Entertainment, um mal Menschen zusammenzubringen, sondern darum, offensiv in den Sozialraum reinzuwirken. Da haben Sie Spitzeneinrichtungen hier, aber auch ein paar schläfrige Einrichtungen. Wenn man den Korridor eng macht, wofür ich sehr bin, dann werden auch einige von denen, die hier sitzen, noch ein bisschen engagierter und wacher werden müssen.

Birgit Monteiro: Das war ja noch mal ein warnen-der Hinweis, der auch die Letzten wieder aufgeweckt hat. Vielleicht kann man dem dann vorschalten, dass es erst mal eine Rückkopplung gibt zu den Berich-

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dem bisherigen Level bleibt, zu eng gedacht ist. Ich möchte auf jeden Fall mehr als nette, liebe Häuser, wo man sich trifft. Ich möchte, dass diese Häuser mit den Bürgern zusammen diese Gesellschaft und ihre Institutionen in die Hand nehmen. Ich möchte, was ich im Nachbarschaftsheim Schöneberg ganz stark gemerkt habe, dass man Einfl uss auf lokale Politik nehmen kann, dass man die Interessen von Bürgern mit vertreten, unterstützen und begleiten kann, ohne ihnen das Heft aus der Hand zu nehmen. Sondern indem man sie stärkt und ihnen bedin-gungslos Forum ist. Bedingungslos ist ein Wort, was heute schon mal in einem Forum kam, bedingungs-

nerationenhaus in Verbindung mit dem Logo und dem Bundesadler kann dagegen nicht jeder werden, anson-sten können Sie sich nennen wie Sie wollen. Das muss man ja auch mal sagen, wir sind ein freies Land, und Sie können sich Stadtteilzentrum oder Mehrgeneratio-nenhaus oder Jugendzentrum nennen.Ich glaube, dass zur Vermittlungsdatenbank usw. sich jetzt Lösungen im Rahmen der Nachfi nanzie-rung abzeichnen, auch dafür, dass das neue Pro-gramm weiter geöffnet wird. Das darf man alles nicht sagen, weil das Ministerium sich nicht festle-gen kann und darf. Ich kann mir nicht vorstellen, so wie jetzt die Diskussion ist, dass sie für diese Dinge keine sinnvolle Lösung fi nden. Das ist alles, was ich sagen kann.Die Datenbank ist ein sehr mächtiges Instrument, eines der besten, was wir im Moment überhaupt in der Republik kennen. Mein Wunsch ist ja, dass sie so genutzt wird und auch bei Ihnen angewendet wird, dass sie überall gleichermaßen wirklich einsatzfähig ist, weil sie sehr hohes Potenzial hat und sehr gut funktioniert.

Georg Zinner: Eine Frage lautete, warum der Verband nicht die 500 Häuser in der Fläche nutzt, um seine

schen zu wenden, ihnen Befehle zu erteilen, ihnen Vorschriften zu machen, werden ihnen also fremd. Jeder von uns weiß, dass man oft nur mit Beklem-mungen in ein Rathaus, zu einer Behörde oder ins Krankenhaus geht. Die Institutionen, die für einen da sind, stehen einem scheinbar oder tatsächlich abweisend gegenüber, jedenfalls nicht freundlich.Die Zivilgesellschaft muss sich diese Institutionen zurückerobern. Das fängt bei der Kindertagesstätte an, bei den Jugendfreizeiteinrichtungen, wo Eltern Einfl uss haben müssen und wo sie es nicht hinneh-men können, dass die Kinder nicht hingehen wollen oder sie ihre Kinder nicht hinschicken können oder wollen.

Da bin ich auch bei dem Punkt, den Frau Erler ange-sprochen hat. Ich glaube sehr wohl, dass Mehrge-nerationenhäuser auch Einrichtungen übernehmen und betreiben sollten. Warum werden Mehrgenera-tionenhäuser nicht auch zu einem Träger der drin-gend benötigten Kindertagesstättenplätze in der ganzen Bundesrepublik, ausgenommen die neuen Bundesländer und Berlin? Dort gibt es nämlich nicht genug. Es fordert die Mehrgenerationenhäuser her-aus, es hält sie am Leben. Und sie können genau diesen Ansatz der Demokratieentwicklung, von dem ich vorhin gesprochen habe, da mit aufnehmen und forcieren. Sie können sozusagen Kindertagesstät-ten eigener Art oder auch jede andere Einrichtung schaffen. Und es hat noch einen Vorteil: dann hat man die Eltern, wenn man in die Schulen geht und Ganztags-Betreuung macht, dann hat man Kon-takt zu Schulen. Man ist im Stadtteil bzw. im Leben einer Stadt verankert und im engen Kontakt mit den Bürgern und ihren Bedürfnissen, die man in viele Sachen einbeziehen kann.Das ist mir sehr wichtig, weil ich glaube, dass das Mehrgenerationenhaus-Programm, wenn es auf

originären Themen bundesweit voranzutreiben, um als Fachverband ein stärkeres Gewicht zu erhalten, und aus 50 Einrichtungen eine bundesweite Debatte zu führen.Natürlich versuchen wir seit Jahren, uns an die Mehrgenerationenhäuser dranzuhängen. Dazu kann man ungeniert sagen: ohne großen Erfolg. Aber die Tagung ist ja so etwas wie der Versuch eines Neu-starts und die Not der Mehrgenerationenhäuser über die weitere Finanzierung zeigt ja auch, dass sie sich organisieren müssen, dass es ein bundesweites Sprachrohr dieses Arbeitsansatzes braucht, dass es einen bundesweiten Ansatz braucht.Wir stellen uns als Plattform gerne zur Verfügung. Wie das dann genau aussehen wird, weiß ich auch nicht. Wir haben uns damals dem Bundesministe-rium angedient, der Rundbrief des Verbandes hat einen Fachartikel veröffentlicht, Herbert Scherer hat damals auch sehr aktiv mit dem Paritätischen ver-sucht, Kooperationen über die Landesverbände zu starten. Das war alles nicht sehr erfolgreich.Ich möchte, dass viele Mehrgenerationenhäuser sich unserem Verband anschließen und dann das werden, was vor Ort notwendig ist. Ich glaube schon, dass diese Form von Arbeit einen Paradigmenwech-sel zur herkömmlichen Verbands- und Wohlfahrtsar-beit beinhaltet. Er ist Ausdruck einer gewachsenen und stärker gewordenen Demokratie. Ob die Demo-kratie in Deutschland schon so stark ist, weiß ich nicht, aber es ist ein deutlicher Ausdruck dafür, dass die Bürger nicht mehr die Erwartungen an den Staat richten, sondern auch selbst die Dinge in die Hand nehmen. Bei solchen Worten fällt mir immer ein, was der Filmregisseur Milos Forman gesagt hat, der den Film „Einer fl og über das Kuckucksnest“ gemacht hat: Die Menschen schaffen sich Einrichtungen und Institutionen und irgendwann fangen diese Einrich-tungen und Institutionen an, sich gegen die Men-

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sie genau diejenigen sind, die eine sozialräumlich arbeitende Verwaltung braucht als Brückenkopf in die Lebenswelt. Derzeit fürchte ich, dass die Berliner Verwaltung dabei ist, sich auf zu hohem Niveau sozi-alräumlich umzugestalten; das heißt, sie kreist um sich selbst, aber diesmal sozialräumlich. Wenn die nicht Anker in den Quartieren hat und wenn die nicht lernen, sich durch die Quartiere konstruktiv irritieren zu lassen, dann werden sie die Sozialraumorientie-rung unverändert überstehen. Ich meine, an solchen Stellen muss man sich noch mehr einklinken. Da kann diese neue ressortübergreifende Strategie in Berlin außerordentlich fruchtbar von Ihnen unter-stützt werden.

Letzte Bemerkung: Der Begriff Mehrgenerationen-haus ist ein bisschen weichgespült, er klingt so nach heiler Familie. Ich suche nach einem Begriff, der etwas mehr Biss hat. Stadtteilzentren haben den Raumbezug im Namen, der Raumbezug ist für die Einmischung der Bürger in ihre eigenen Belange wichtig. Wenn wir über das Ticket Mehrgeneratio-nenhäuser aber mehr Geld kriegen, bin ich dafür.

Carola Bluhm: Nicht nur wegen des eben Gesagten, sondern weil Berlin da eine Tradition hat, fi nde ich den Begriff Stadtteilzentrum auch geeigneter für die aktuell zu führenden Auseinandersetzungen. Nicht, dass es nicht auch zwischen Generationen ganz schön abgehen kann, das wissen wir auch, und dass wir eigentlich dieses Spannungsverhältnis sogar wollen, wenn es dann auch ausgetragen wird. Ich bin ja immer dafür, den Konfl ikt zu benennen und auszutragen, ihn dann aber auch auszuhalten. Das trifft alle. Aber das stimmt, es war mühsam, in Berlin verwaltungstechnisch alle Institutionen auf diesen Stadtteilbezug zu bringen, zu sagen: es gibt regional Unterschiede, nehmt sie wahr, nehmt sie aber auch

auf, nehmt die Anregungen auf. Es ist grundverkehrt, sein Licht unter den Scheffel zu stellen, deshalb spielen bei der Konzeptentwicklung die Stadtteilzen-tren, eine entscheidende Rolle. Gerade die wirklich richtig, richtig guten, die auch Veränderung in sich tragen, die gleichzeitig Seismografen sind für not-wendige Veränderungen, die sind wichtig, die sind für bezirkliche Entwicklung und auch für Landes-strukturentwicklung wichtig. Sie werden nachgefragt bzw. sie werden auch gefragt, ihre Expertise wird eingeholt. Man braucht Sie.

Sie sind auch Zentren von Demokratieentwicklung, sie sind es! Ich fi nde, sie sollen es nicht nur werden, sondern sie sollen es vielleicht noch grundsätzlicher werden – als Anspruch und als Selbstverpfl ichtung. Aber ich fi nde, in Berlin sind sie es! Natürlich könn-ten wir erstens mehr Geld in den Bereich geben, ohne Probleme, und könnten trotzdem die Qualität sichern, aber wir können und müssen auch den Ver-such machen, vorhandene Ressourcen besser zu nutzen und zu bündeln. Von daher haben wir eine Impulsfunktion und neh-men auch ganz, ganz vieles auf und tragen es dann auch wieder über unser Ressort hinaus. Aber das ist

lose Räume, das ist es genau, indem man ihnen bedingungslos Räume in jeglicher Hinsicht und im übertragenen Wortsinn zur Verfügung stellt.Das ist dann auch lebendige Demokratie, der All-tag, den die Bürger selbst gestalten. Die Kinderta-gesstätte, in der sie mitbestimmen und sich nicht Qualitätsnormen – entwickelt von zig Arbeitskreisen in der Senatsverwaltung – aufdrücken lassen, son-dern sie bestimmen, was geschieht und was nicht geschieht.

Birgit Monteiro: Frage an alle: Wer setzt sich endlich für eine Bundesratsinitiative ein, um eine gesetzliche Grundlage für eine Sockelfi nanzierung zu schaffen? Politik bleibt sonst nicht glaubwürdig für die mün-dige Zivilgesellschaft. Lassen Sie uns tätig werden, statt nur zu diskutieren.

Welche Rolle können Mehrgenerationenhäuser und Stadtteilzentren in einer gesamtstädtischen ressor-tübergreifenden Strategie spielen? Gibt es eine sol-che Strategie?

Mehrgenerationenhäuser sollten - wie Stadtteilzen-tren – in ihrer Vielfalt weiter gefördert werden, denn gerade das Know-how der unterschiedlichen Institu-tionen (Kita, Altenhilfe, multikulturelle Zentren) war so in der Stadt und im Land befruchtend.

Stichworte: Strukturelles Moment – Zauberwort Ver-säulung – Vorbild der Mehrgenerationenhäuser als lernendes Projekt.

Die letzte Karte: Das Mehrgenerationenhaus-Akti-onsprogramm hat durchaus soziale Innovationskraft, das heißt, soziale Arbeit braucht, wie die Wirtschaft, Innovation.

Wolfgang Hinte: Herr Zinner, zu dem, was Sie gesagt haben, und zu der Rolle des Verbandes. Ich meine, der Verband berlin- und bundesweit, wie auch die Nachbarschaftszentren in Berlin sind noch darin verbesserbar, sich anschlussfähig zu machen an die Debatten, die in den leistungsgesetzlichen Berei-chen laufen. In der Jugendhilfe, Eingliederungshilfe, Arbeitsförderung, Wirtschaftsförderung und Alten-hilfe laufen überall Debatten, die eng mit Sozial-raumorientierung zu tun haben. Und in all diesen Bereichen brauchen wir eigentlich eine Instanz, die, nicht spezifi sch auf Fälle bezogen, Netzwerkarbeit leistet und Ressourcen schafft. Das machen Sie, aber das wird nicht zusammengedacht. Sie machen nicht deutlich, dass Sie das können und dabei dien-lich sein könnten, die anderen wissen gar nicht, dass es Sie gibt und können Sie deshalb nicht richtig nut-zen. Da mehr Brücken zu schlagen, ganz klein in den Kiezen, aber auch in den bundesweiten Konzeptdis-kussionen, ich meine, das wäre dran.

Zweitens zu der Frage mit der ressortübergreifenden Strategie: ja, natürlich, Nachbarschaftszentren und Mehrgenerationenhäuser haben eine zentrale Rolle. Und das würde ich gerne auch werbend sagen: in Berlin gibt es derzeit einen politischen Auftrag, Verwaltung sozialraumorientiert umzugestalten und aufzuforsten. Das ist politisch beschlossen worden, dazu wurde auch ein Handbuch gemacht. Auch das fi nden alle irgendwie gut, aber gleichzei-tig wird gesagt, dass das alles zu akademisch ist, machen wir sowieso nicht, gibt nicht viel mehr Geld, wir haben in Berlin schon ganz andere Sachen überstanden, das Handbuch überleben wir auch. Es gibt im Moment eine Diskussion, die zum Teil außerordentlich konstruktiv läuft, zum Teil auch sehr widerständig ist. Mir fehlen die Stimmen derer, die vor Ort in den Nachbarschaftsheimen arbeiten, weil

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geworden für die Kommunen und Städte, in denen es funktioniert, auch für die Länder und Landkreise, aber das ist eine positive Last. Dieser Herausforde-rung muss sich die Politik stellen.

Wir haben eigene Aufgaben, die wir vorhin benannt haben. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir natürlich nichts geschenkt bekommen, dass wir uns tatsächlich immer wieder ins Gespräch bringen müs-sen, dass wir uns auch untereinander austauschen müssen, voneinander lernen müssen, wie wir voran-kommen, wie wir etwas besser machen können. Wir werden natürlich dieses Programm auch deswegen als Verband am Hals haben, weil die Finanzierung infrage gestellt ist. Viele neue Initiativen werden Vor-bilder fi nden. Es wird nicht bei 500 Häusern bleiben, es wird auch nicht bei 700 bleiben, es wird irgend-wann tausende von Häusern in der Bundesrepublik geben, die nach diesen Prinzipien arbeiten. Es ist gut so, dass es so sein wird, weil es eine Mitwirkung des Bürgers an der Ausgestaltung der sozialen Arbeit in einer Gemeinde ermöglicht, was sie zu einem sehr demokratischen Teilhabe- und Gestaltungsprozess macht, das, was man unter Zivilgesellschaft und Engagement versteht.

ten wir Bewerbungen für das Mehrgenerationen-haus-Projekt und haben die mit der Jury beurteilt. Da haben wir ein Haus irgendwo im Bayerischen Wald ausgesucht, nette Initiative in einem Dorf, sehr tüchtige Menschen, sehr innovativer Ansatz. Am Schluss musste die Kommune gefragt werden, ob sie zustimmt. Da hat der Stadtrat dort gesagt: nein, dann kommen zu viele fremde Leute in das Dorf. Das haben die beschlossen. Was ich Ihnen sagen will: Mehrgenerationenhaus klingt für Sie weichge-spült, für einen bayerischen Bürgermeister ist das schon zu viel. Was es auch tatsächlich ist. Der Bür-germeister weiß: wenn viele Frauen in einem Raum zusammensitzen und Kaffee trinken, dann ist das ein Akt des Widerstands.

Georg Zinner: Wir sollten der Bundesregierung nach wie vor dankbar sein, dass sie dieses Programm gestartet hat. Wir sollten ihr auch dankbar dafür sein, dass sie es durchgezogen hat. Hätte sie irgend-welche konventionellen Wege beschritten, dann wäre das doch alles versandet in der Diskussion mit Wohlfahrtsverbänden, in den Diskussionen mit den Ländern, mit dem Deutschen Städte- und Landkreis-tag und sonst was. Sie haben es einfach gemacht, eine Agentur und Frau Erler beauftragt, das Pro-gramm durchzuziehen und es wurde im wahrsten Sinne des Wortes durchgezogen, darüber können wir nur froh sein.

Mehrgenerationenhäuser - wie immer man sie nennt, ich bin auch nicht für diesen Begriff zu haben - sind in die Welt gesetzt und sie werden in der Welt bleiben, wenn das stimmt, dass sie zivilgesellschaft-liches Engagement gebündelt haben in ihrem Haus. Kein Mensch und kein Politiker wird es wagen, das, was dort an guter Arbeit geleistet wird, einfach vom Tisch zu wischen. Insofern ist es natürlich eine Last

eine ziemlich schwierige Geschichte. Auch mit der Bundesregierung beispielsweise über eine Weiter-entwicklung der Eingliederungshilfe zu diskutieren, das ist ein mehrjähriger Prozess, wo es auf der ande-ren Seite Institutionen gibt, wo es in Berlin allein in dem Bereich um mehrere 100 Millionen geht. Also ein Bereich, der nicht so einfach umzusteuern ist.

Gisela Erler: Ich komme zum Thema Verband: Herr Zinner, ich bin ja sehr für Ihren Verband, ich fi nde auch so eine Verschwisterung schön. Aber es gibt ein paar grundsätzliche Probleme. Es gibt ein Geschlechterproblem. Wir sehen das bei uns im Expertenforum, das wir bei den Mehrgenerationen-häusern haben. Wir haben sehr aktive Frauen, die wollen sich gerne auch effektiv vernetzen, sie wollen eine Stimme haben, aber die haben keine Lust, Ver-bände zu gründen. Das sage ich einfach mal so.

Organisationsformen zu schaffen, in denen man sich politisch äußern und gewissermaßen demokra-tie-theoretisch Platz fi ndet, die dann aber nicht dazu führen, dass dort nur Männer hingehen, das ist noch nicht so recht gelungen. Eigentlich suchen Frauen, soweit ich das sehe, mehr nach einer effektiven Ver-netzung, die eine starke Stimme hat. Ich glaube, das kann mit Ihrem Verband noch passieren, aber so ein Netzwerk wird dann wahrscheinlich nicht darin auf-gehen.

Zu einer möglichen Bundesratsinitiative: Ich sehe im Moment wirklich nicht, wie eine Gesetzesinitiative in diesen Ressorts auf Bundesebene wirklich mächtig sein könnte. Das müssten, wenn überhaupt, dann Länderinitiativen sein. Wir haben 16 Länder, ich erlebe jeden Tag, dass jedes Land andere Regelun-gen etwa für den Bau von Kindertagesstätten und ihre Feuertüren hat. Es ist nicht so einfach, sich

auch nur in irgendeinem Punkt einig zu werden. Trotzdem bin ich dafür, dass wir das in Berlin sofort beginnen und überlegen, ob man so eine Bündelung durchziehen kann.

Ich möchte aber warnen, wenn das ein großer Topf ist, dann kämpfen alle um diesen gleichen Topf und der wird ja nicht automatisch sehr viel größer. Überlegen Sie mal! Der Bund hat versucht, die Fami-lienleistungen zu analysieren. Das haben die auch angefangen, aber warum hören wir nichts davon? Weil es unmöglich ist, jetzt, wo man ungefähr weiß, wer welches Geld kriegt, darüber zu sprechen, wem man dann an die Wäsche müsste. Deswegen ist diese Initiative – die Zahlen liegen alle im Familien-ministerium und es wird damit keine Politik gemacht, weil das Eisen viel zu heiß ist. Also versprechen Sie sich nicht zuviel von einem Geldtopf, sondern sagen Sie, wir wollen eine Sockelfi nanzierung, von mir aus auch für jedes Projekt einzeln.

Prof. Wolfgang Hinte: Volle Zustimmung. Wenn Sie Rührei machen wollen, dann müssen Sie Eier zer-schlagen. Wir haben jetzt darüber gesprochen, wie schön es wäre, dieses Rührei zu haben. Und Sie wei-sen nun darauf hin, dass man ein paar Eier kaputt hauen muss – und Sie haben recht.

Gisela Erler:: Genau. Und ich fi nde, dass die Mehr-generationenhäuser im Moment gut aufgestellt sind, um in so einem Wettbewerb mitzuhalten, wenn auch nicht alle. Das Erreichen einer Sockelfi nanzierung ist sicher ein gutes gemeinsames Ziel. Also, für Berlin ist es vielleicht ein realistisches Ziel.

Aber noch mal zur Demokratietheorie, genau, was die beiden Herren gesagt haben, die so gerne ein bisschen wider den Stachel löcken: In Bayern hat-

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Es ist richtig, was Herr Hinte sagt, dass der Verband sich natürlich viel mehr engagieren sollte. Ob er das auch könnte, weiß ich nicht. Wir haben Vorausset-zungen als Verband geschaffen. Wir haben beide, Landesgruppe Berlin und Bundesverband, unsere Päckchen zu tragen, werden beide zusammenschlie-ßen in nächster Zeit, so wie es aussieht. Wir werden versuchen, den Handlungsspielraum des Verbandes, gerade als Fachverband, zu stärken. Ich hoffe und wünsche mir sehr, dass viele Mehrgenerationenhäu-ser daran mitwirken, dass dieser Verband der Ver-band bürgerlicher Zivilgesellschaften und starken lokalen Engagements wird.

An uns soll es nicht liegen, aber wir schaffen es nicht alleine. Wir brauchen Sie! Wir möchten, dass Sie, die Mehrgenerationenhäuser, zu uns kommen, dass Sie mit dabei sind, neben den Stadtteilzentren, Sie sind uns sehr willkommen! Und ich würde mich auch über eine vielleicht mögliche Unterstützung von Frau Erler freuen, dass sie uns bei diesem Prozess hilft. Wir beide haben persönlich ja schon eine lange Zusam-menarbeit, aber vielleicht kann man die fachlich noch verbessern.

Wir werden das, was heute an uns von sehr vielen Seiten herangetragen wurde, sofort aufnehmen und würdigen. Ich hoffe, dass wir in einigen Jahren sagen können: wir haben eine Sockelfi nanzierung. Aber selbstverständlich werden wir uns auch damit nicht zufrieden geben.

Birgit Monteiro: Vielen Dank Ihnen und allen Podi-umsgästen für diese Abschlussrunde. Es wird eine Dokumentation aller Wortbeiträge geben, auch aus den Arbeitsgruppen.

Ich habe mir weiterhin drei konkrete Arbeitsaufträge notiert und werde erfragen, was eventuell noch aus anderen Arbeitsgruppen dazukommt, an denen ich nicht selbst teilnehmen konnte. Wir diskutierten eine Materialzusammenstellung mit dem Arbeitstitel „Schwarzbuch der Förderskurrilitäten“, um uns und der Verwaltung den Spiegel vorzuhalten, was alles in der Praxis stattfi ndet. Dazu brauchen wir auch Ihre Beispiele und Mitarbeit.

Dankeschön an das Orgateam

Ein herzliches Dankeschön für die tatkräftige Unter-stützung an das gesamte Organisationsteam, beson-ders für die Vorbereitung und Durchführung unserer gelungenen Jahrestagung.

Hinweis:Auf Grund eines technischen Problems konnten leider nicht alle Beiträge vollständig aufgezeichnet werden. Wir bitten fehlende Textpassagen zu ent-schulidgen.

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Vorname Name Institution / www-Adresse

Ingrid Alberding Mittelhof e.V. - www.mittelhof.org

Gabriele Annen SOS-Kinderdorf Bln-Moabit - www.sos-kd-berlin.de

Yolanda Arias QM Wassertorplatz - www.quartiersmanagement-wassertorplatz.de

Andreas Becher IMA e.V., Interkulturelles MGH Neukölln - www.ima-ev.org

Dagmar Becker SOS-Kinderdorf Bln-Moabit - www.sos-kd-berlin.de

Smöke Bieber MGH Riesa-Gröba (Sprungbrett e.V.) - www.sprungbrett e.V. Riesa

Theda Blohm KREATIVHAUS e.V.

Carola Bluhm Senatorin für Integration, Arbeit, Soziales, Senat von Berlin

Daniela Bolscho Bürgerhaus e.V. - Amtshaus Buchholz - www.amtshaus-buchholz.de

Kerstin Bönsch Nachbarschaftsheim Schöneberg e.V./ Selbsthilfetreffpunkt - www.nbhs.de

Gudrun Bornemann Frei-Zeit-Haus e.V.

Tatjana Borodina NUSZ ufafabrik e.V. - www.nusz.de

Andrea Brandt Freiwilligenagentur Kreuzb.-Friedr.hain

Stefan Bräunling Gesundheit Berlin-Brandenburg - www.bliq.gesundheitberlin.de

Azra Bredl MGH ettlingen/Tageselterverein Ettlingen - www.tev-ettlingen.de

Fatma Celik NBH Centrum e.V. - www.nachbarschaftshaus-centrum.de

Karin Claus MGH Bienenstock

Doris Coiffi er MGH Luth. Eisleben - www.kinderschutzbund-msh.de

Marianne Damaschke AWO Mehrgenerationenhaus Heisenbergweg

Frauke Diehl SOS-Kinderdorf Bln-Moabit - www.sos-kd-berlin.de

Ruth Ditschkowski fabrik Osloer Straße e.V. - www.nachbarschaftsetage.de

Barbara Dittrich DRK-MGH Weißenfels - www.drkweissenfels.de

Marita Dockter Quäker Nachbarschaftsheim - www.quaeker-nbh.de

Werner Donath MGH Vaterstetten

Hannah Drexel NBHS AlNadi

Klaudia Dworschak MGH Bürgerwerkstatt Stutensee e.V. - www.buergerwerkstatt-stutensee.de

Markus Edom MGH Mühlhausen - www.gsh-muehlhausen.de

Heike Eickelberg-Bothe MGH Hannover

Maik Eimertenbrink VskA Geschäftsst. - www.stadtteilzentren.de

Heike Engel Anker e.V. - www.anker-leipzig.de

Anita Engelmann NBH Rabenhaus - www.rabenhaus.de

Gisela Erler Geschäftsführerin Familienservice

Elke Fenster Moabiter Ratschlag e.V. - www.moabiter-ratschlag.de

Hans Ferenz Theater der Erfahrungen NBH Schöneberg

Eva - Maria Fiano Mehrgenerationen/Mütterzentrum Ansbach - www.muetterzentrum-ansbach.de

Gabriele Fichtner Ball e.V. - www.ball-ev-berlin.de

Andris Fischer VskA Geschäftsst. - www.stadtteilzentren.de

Annett Franke Anker e.V.

Rainer-Maria Fritsch Staatssekretär für Soziales, Berlin

Monika Fröhlich Koordinatorin MGH Schöneberg Kiezoase

Lina Ganama NBHS AlNadi - www.nbhs.de

Angela Gärtner KREATIVHAUS e.V. - www.kreativhaus-berlin.de

Sigrid Gause Lebenshilfe BAB gGmbH - www.lebenshilfe-bab,de

Nicole Geiersbach Mehrgenerationenhaus Neustädter Feld Magdeburg

Gabriele Geißler Kiek in e.V. - www.verein-kiekin.de

Ralf Gilb VskA - Outreach - Mobile Jugendarbeit - www.outreach-berlin.de

Reinhilde Godulla Verband für sozial-kulturelle Arbeit, Projekt Network - www.spinnenwerk.de, www.kiezatlas.de

Gunter Groß VskA, “Villa Schöneberg“

Regine Gudat Stadt Waldkirch, Amt für Bildung u. Soziales - www.stadt-waldkirch.de

Astrid Hale Nachbarschaftsetage Fabrik Osloer Straße

Katharina Hassel Interkulturelles MGH Neukölln - www. stadtoase.info

Barbara Hauenstein emmy Mehrgenerationenhaus Dortmund

Martina Hellmich Nachbarschaftshaus Am Berl - www.vav-hhausen.de

Wolfgang Hinte, Prof. Dr. ISSAB, Universität Duisburg-Essen - www.uni-duisburg-essen.de/issab

David Hirsch Mehrgenerationenhaus der ÜAG gGmbH - www.ueag-jena.de

Anna Holfeld Familientreff Johannisthal

Katrin Holland-Letz Stadtteilzentrum Pankow - www.stz-pankow.de

Frank Holzmann BALL e.V. - www.ball-ev-berlin.de

Dr. Konrad Hummel NBHS

Gerhard Ilian Nachbarschaftshilfeverein - www.nhv-hy.de

Monika Ittner Mehrgenerationenhaus Hof - www.mehrgenerationenhaus-hof.de

Adelheid Iwanow IN VIA Center gGmbH

Bengt Jakobs Labyrinth, ISSA e.V., Greifswald - www.im-labyrinth.de

Iris Jarschel MGH Langen - www.zenja-langen.de

Ralf Jonas Geschäftsführer des Bürgerhauses Oslebshausen

Heidrun Kahle IN VIA Center gGmbH - www.invia-center-berlin.de

Carla Kaiser CJD Prignitz, Mehrgenerationenhaus

Yasemin Karaoglu MGT Augsburg Herrenbach

Tobias Kemnitzer BAGFA e.V. - www.bagfa.de

Christina Kettler NUSZ ufafabrik e.V. - www.nusz.de

Petra Kindermann Kotti e.V. - www.kotti-berlin.de

Sigrid Klebba Leiterin Abt. III, Jugend u. Fam., Landesjugendamt, Senat von Berlin

Ursula Köcher Stadtteilzentrum “Club Spittelkolonnaden“

Marco Koppe Klub 74 / STZ Hellersdorf-Süd

Annette Köppel MOBILE e.V. Mehrgenerationenhaus Pattensen - www.mobile-pattensen.de/

Heike Kötter MGH Königs Wusterhausen

Bärbel Kramer Kiek in e.V., KieztreffWest - www.verein-kiekin.de

Sabine Kruse Nachbarschafthaus Bremen e.V.

Petra Kübler NBHS

Michael Kunze Kiezspinne FAS e.V.

Michaela Kuse MGH Familienzentrum Leuchtturm Brilon

Bettina Lange MUT Ges. f. Gesundheit mbH - www.mut-gesundheit.de

Dirk Lashlee Outreach - Mobile Jugendarbeit

Rainer Laudan Labyrinth, ISSA e.V., Greifswald - www.im-labyrinth.de

Julia Lehmann Interkulturelle Begegnungsstätte MGH Wassertor - www.mgh-wassertor.de

Timm Lehmann Mehrgenerationenhaus Phoenix Bln-Zehlendorf - www.mittelhof.org

Christoph Lewek Frei-Zeit-Haus e.V. - www.frei-zeit-haus.de

Franziska Lichtenstein NBH Schöneberg, Pfl .Dienstl. - www.nbhs.de

Christoph Linzbach Unterabteilungsleiter in der Abt. Ältere Menschen, Wohlfahrtspfl ege, Engagementpolitik im BMFSFJ

Toni Lompa Diakonisches Werk Hochtaunus, Mehrgenerationenhaus Wehrheim

Carola Lorenz DRK-Kreisverband Rostock e. V. - www.drk-rostock.de

Hannelore Lorenz MGH Neukölln - www.stadtoase.info

Cornelia Lüddemann BV Soziokultureller Zentren - www.soziokultur.de

Fachtagung 2010 Kontakt Teilnehmerliste

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Reinhard Mäding Nachbarschaftshilfeverein e.V. - www.nhv-hy.de

Manja Mai Projekt Outreach - Mobile Jugendarbeit - www.outreach-marzahn.de

Maximilian Mai VskA Geschäftsst. - www.stadtteilzentren.de

Claudia Mai

Annette Maurer-Kartal Stadtteilverein Schöneberg e.V. - www.stadtteilvereinschoeneberg.de

Eleny McIlroy-Earp Mehrgenerationenhaus Duisburg

Margit Mehr “Wir“ e.V. Jessen

Silke Migala KompetenzZentrum Pfl egeEngagement

Erich Mitbach Jugendamt Neukölln, Region Nord-West - www.neukoelln-jugend.de/regionen/nordwest.p

Birgit Monteiro Verband für sozial-kulturelle Arbeit - www.stadtteilzentren.de

Friederike Müller MGH Bochum

Ute Müller Haus der Generationen - www.mehrgenerationenhaeuser.de/stolzenau

Ingrid Müller NBZ Bürger für Bürger

Lisa Müller-Arnold Mehrgenerationenhaus Duisburg

Conny Müller-Kern TÄKS e.V. - www.taeks.de

Liane Muth Deutscher Caritasverband - www.caritas.de

Zeinab Nasereddin Albatros gGmbH

Andreas Näther Sprungbrett e.V. - www.sprungbrett-riesa.de

Julia Navarro Ortiz Mehrgenerationen/Mütterzentrum Ansbach - www.muetterzentrum-ansbach.de

Monika Neumann MGH Gerolstein

Rüsch Nicole

Johanna Niedermüller Nachbarschaftsheim Wuppertal e. V.

Eva-Marie Niemann KREATIVHAUS e.V.

Gabriele Ohl Diakonisches Werk Hochtaunus, Mehrgenerationenhaus Wehrheim

Manfred Oschkinat MGH Eschborn - www.dekanat-kronberg.de

Brigitte Osterburg VskA-Geschäftsstelle

Anke Otto Bezirksstadträtin für die Abteilung Jugend, Schule und Umwelt in Berlin Steglitz-Zehlendorf

Richard Palm Albatros gGmbH

Hella Pergande VskA, Projekt Outreach, Schöneberg-Nord

Jörg Piecha MGH 1004, Sassnitz - www.grundtvighaus-sassnitz.de

Sabine Pöhl BA Lichtenberg

Elsie Poser

Ulrike Preisser www.nachbarschaftsetage.de

Bernd Preußer Klub 74 NBZ Hellersdorf - www.klub74.de

Cornelia Pudor MGH Radolfzell - www.mgh-radolfzell.de

Christina Putze Kreativhaus e.V. - www.kreativhaus-berlin.de

Miriam Rausch NUSZ ufafabrik e.V. - www.nusz.de

Alix Rehlinger Theater der Erfahrungen NBH Schöneberg

Sabine Reich MGH Mannheim/ Paritätischer W. - www.paritaet-ma.de

Susanne Reichert NBH Schöneberg e.v.

Marianne Reißing Ehrenamtliche Hausleiterin des “Mehrgenerationenhauses Familien-Zentrum-Freudenstadt e.V.“

Hans - Georg Rennert SprengelHaus / Gemeinsam im Stadtteil e.V.

Stephanie Riedel Mehrgenerationenhaus “Neustädter Feld Magdeburg“

Birgit Ritter MGH Augsburg “Augsburger Stern“

Grit Rohde Offensiv 91 e.V. - www.offensiv91.de

Anne Royston Serviceagentur Mehrgenerationenhäuser - www.familienservice.de

Markus Runge Nachbarschaftshaus Urbanstraße e.V. - www.nachbarschaftshaus.de

Uta Samy Mehrgenerationenhaus Herbrechtingen - www.mehrgenerationenhaeuser.de/herbrechtingen

Gudrun Scheithauer Referatsleiterin für Generationenbeziehungen, Mehrgenerationenhäuser im BMFSFJ

Tina Schenck Nachbarschaftshaus Centrum e. V. - www.nachbarschaftshaus-centrum.de

Herbert Scherer Verband für sozial-kulturelle Arbeit

Elena Scherer VskA Geschäftsst. - www.stadtteilzentren.de

Dr. Gabriele Schlimper DPW LV Berlin e.V. - www.paritaet-berlin.de

Gerd Schmitt Kiezoase Schöneberg / PFH - www.pfh-berlin.de

Peter Schmitz MGH Köln / IZ Bertramstr. - www.caritas-koeln.de

Katharina Schnier MGH-Phoenix; Bln.-Zehlendorf

Markus Schönbauer Bürgerhaus e.V. - swww.buergerhaus-ev.de

Uwe Schönfelder FV Jugend-, Kultur- und Sozialzentrum Aue e. V. / Bürgerhaus www.buergerhaus-aue.de

Heike Schwagerus VskA

Claudia Schwarz Gemeinsam im Stadtteil e.V.

Romy Seidel Mehrgenerationenhaus der ÜAG gGmbH - www.ueag-jena.de

Elvira Smolakowa Albatros gGbmH

Sarah Maria Soldanski MGH Schöneberg - www.nbhs.de

Petra Sperling Gemeinwesenverein Heerstraße Nord e.V. - www.heerstrasse.net, www.gwv-heerstrasse.de

Gerlinde Spotka SenIntArbSoz

Ramona Sprenger DRK-Kreisverband Rostock e. V. - www.drk-rostock.de

Peter Stawenow Sozialwerk Berlin e.v.

Karin Stötzner selko e.V. - www.sekis.de

Birgit Sunder Plaßmann NBH Urbanstr.

Haroun Sweis VskA, Verstärkung der Jugendarbeit

Katrin Thiele MGH Kulturwerkstatt Art - www.kulturschleuder.de

Dr. Manfred Thuns Caritas Verband für das Erzbistum Berlin

Elke Troch Sozialamt Lichtenberg,Soz G 22

Evelyn Ulrich Nachbarschaftshaus Am Berl - www.vav-hhausen.de

Marina Ungureanu-Wernecke Ev. Familienzentrum

Carmen Urrutia Pankower Früchtchen gGmbH - www.pankower-fruechtchen.de

Thomas Vietz VskA Geschäftsst. - www.stadtteilzentren.de

Andreas Warnke Sozialamt Lichtenberg, Soz G 23

Christa Waschke Deutsche Alzheimer Gesellschaft

Birgit Weber BAGFA e.V. - www.bagfa.de

Bettina Weber MGH Kuppelhalle - www.kuppelhalle.com

Gabriele Wegerich Nachbarschaftsheim Wiesbaden - www.nachbarschaftshaus-wiesbaden.de

Katrin Wegner TÄKS e.V. - www.taeks.de

Andreas Weingart Outreach Karow

Silja Weßelmann

Kira Wieczarkowiecz MGH Aachen - www.invia-aachen.de

Kerstin Wiehe K&K Kulturmanagement & Kommunikation - www.kultkom.de

Annette Kio Wilhelm Mehrgenerationenhaus Pankow - www.pankower-fruechtchen.de

Renate Wilkening Nachbarschafts-und Selbsthilfezentrum in der ufafabrik e.V. - www.nusz.de

Matthias Winter Nachbarschaftshaus Urbanstraße e. V. - www.nachbarschaftshaus.de

Barbara Winter SOS-Kinderdorf Bln-Moabit - www.sos-kd-berlin.de

Yvonne Wittig NBH Schöneberg e.v. - www.nbhs.de

Torsten Wlock VskA Geschäftsst. - www.stadtteilzentren.de

Djamila Younis Mehrgenerationenhaus KREATIVHAUS - www.kreativhaus-berlin.de

Georg Zinner Nachbarschaftsheim Schöneberg e.V. - www.nbhs.de

Helmtrud Ziska www.oelmuehle-rosslau.de

Fachtagung 2010 Kontakt Teilnehmerliste

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Der Rundbrief wird herausgegeben vomVerband für sozial-kulturelle Arbeit e.V.Tucholskystraße 11, 10117 Berlin

Telefon: 030 280 961 03Fax: 030 862 11 55Email: [email protected]: www.vska.de

Redaktion: Birgit MonteiroGestaltung: hulitschke mediengestaltungDruck: Agit-Druck Berlin

Der Rundbrief erscheint halbjährlichEinzelheft: 5 Euro inkl. Versand

Impressum

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