52

s17_gesamt

Embed Size (px)

DESCRIPTION

________________________________________________________________________________________________________________________ UneingeschränkteSolidarität Regelmäßige InformationenundAustauschforum zu flüchtlingspolitischenundMigrationsthemen inder „MailinglisteSchleswig-Holstein“:[email protected] Bankverbindung: Flüchtlingsrat S.-H.,EDGKiel,Kto-Nr.152870, BLZ: 21060237 Druck:WDABrodersdorf Fotos:privat

Citation preview

Page 1: s17_gesamt
Page 2: s17_gesamt

Uneingeschränkte Solidarität

Im 50. Jahr der Genfer Flüchtlingskonvention wird die Bundeswehr in den Krieg nach Afghanistan beordert.Völkerrechtliche Bedenken in die asiatischen Winde schlagend, schwant dem Kanzler offenbar dennoch, dassabendländische Truppen - wie schon in der Vergangenheit - den Frieden am Hindukusch nicht garantierenwerden.So umgetrieben erwirkt er beim Europäischen Rat erfolgreich den Verriss des von der Kommission vorgelegtenflüchtlingsfreundlichen Richtlinienentwurfs für ein EU-einheitliches Asylverfahren.

Seit dem vergangenen September ist darüber hinaus die Hochzeit der „Sicherheitstechnokraten“ ausgebro-chen. Paketweise werden Antiterrorgesetze geschnürt, und Zuwanderungskonzepte mutieren endgültig zurFlüchtlingsabwehrmasse. So gelingt es Überwachungsstaatlern im Schatten des allgemeinen Schreckens über dasGeschehene den Datenschutz für Ausländer wesentlich und für Flüchtlinge allemal zu demontieren. Als derBundesbeauftragte für den Datenschutz im Oktober seinen Eindruck äußert, „dass einige geplante Maßnahmenzum Teil weit über die Zielsetzung hinausgehen" und „kaum geeignet erscheinen, den internationalen Terrorismusangemessen zu bekämpfen", hört kaum jemand zu.

Auch in Schleswig-Holstein hat die Landespolizei das Recht erhalten, „von öffentlichen und nichtöffentlichenStellen die Übermittlung von personenbezogenen Daten bestimmter Personengruppen aus dortigen Dateien zumautomatischen Abgleich mit anderen Dateien nach fahndungsspezifischen Suchkriterien zu verlangen“ (IMSH2.10.01). Innenminister Klaus Buß meint, der automatische Datenabgleich sei (nur?) „ein polizeiliches Mittel untermehreren“. Justizministerin Anne Lütkes glaubt: „Nach meiner Überzeugung stellt die Neuregelung mit ihrenVoraussetzungen ein sowohl rechtsstaatlich vertretbares als auch sicherheitspolitisch gebotenes Mittel in derAuseinandersetzung mit dem internationalen Terrorismus dar.“

Während sich MitarbeiterInnen von Beratungsstellen und Unterstützungsinitiativen zunehmend über dieihnen u.U. selbst künftig drohenden rechtlichen Konsequenzen ihrer Solidaritätsarbeit Gedanken machen müssen,führen Beamte des Landeskriminalamtes in Flüchtlingsunterkünften „freiwillige“ Befragungen bei Nachbarn, Ver-mietern und aus dem Nahen und Mittleren Osten stammenden Betroffenen durch. Ausländische Studierendeerhalten polizeiliche Vorladungen und werden aufgefordert, Geburtsurkunde, Kontoauszüge von anderthalb Jahren,Mietverträge und Unterlagen über Reisen und Flüge sowie Studienbescheinigungen sämtlicher besuchter Univer-sitäten mitzubringen.

„Das Vorgehen des Gesetzentwurfes ist schon vom Grundansatz problematisch, da er pauschal ausländi-sche Menschen dem Verdacht aussetzt, eine Kriminalitätsgefahr zu sein.“ warnt der stellvertretende Datenschutz-beauftragte Thilo Weichert.

So ganz geheuer scheint das alles auch der Kieler Landesregierung nicht zu sein. „In Schleswig-Holsteindarf niemand ausgegrenzt werden“ beteuert sie tapfer in ihrem noch Ende des vergangenen Jahres vorgelegten

Entwurf eines Konzeptes zur Integration von Migrantinnen und Migranten. Das erweckt dennoch den Eindruck, dass Flüchtlinge beiIntegrationsmaßnahmen außen vor gehalten werden sollen. Im Übrigen werde es das künftige Zuwanderungsgesetz schon richten.

Die diesbezüglichen Erwartungen der solidarischen Flüchtlingshilfe sind inzwischen eher bescheiden. Die nach dem Zuwanderungs-gesetzentwurf gegenwärtig noch vorgesehene Asylanerkennung nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung werde erkauft mitweitreichenden Verschlechterungen für Flüchtlinge erklären Flüchtlingsrat und PRO ASYL. So drohe Flüchtlingen u.a. die Internierung insog. Ausreisezentren, mehr Einschränkung der Bewegungsfreiheit, weniger Arbeitsmarktzugang und regelmäßige Neuüberprüfung desAsyls.

Das Licht am Ende des Tunnels kommt aus Brüssel. Ein vom Flüchtingsrat koordinierter schleswig-holsteinischer Trägerkreis erhältden Zuschlag bei der EU-Förderung von Qualifizierungsmaßnahmen bleiberechtsungesicherter Flüchtlinge.

Und es gibt noch mehr gute Nachrichten:Angesichts der aktuellen Herausforderungen für die praktische Flüchtlingshilfe und politische Lobbyarbeit sei eine grenzüberschrei-

tende Kooperation unabdingbar, erklären im November VertreterInnen von Flüchtlingsorganisationen aller Ostseeanrainerländer nach derSegeberger Konferenz „Fluchtweg Ostsee“. Sie beschließen, ein Netzwerk der solidarischen Flüchtlingshilfe im Ostseeraum aufzubauen.In Frankfurt wird mit Beteiligung des Flüchtlingsrates Schleswig-Holstein das Irak-Kurdistan-Netzwerk gegründet. In Kiel konstituiert sich imJanuar ebenfalls unter Beteiligung des Flüchtlingsrates ein landesweiter Arbeitskreis, der sich die Unterstützung und parteinehmendeÖffentlichkeitsarbeit für illegalisierte Menschen in Schleswig-Holstein auf die Fahnen geschrieben hat. Nach beharrlicher Einflussnahmedes Flüchtlingsrates erhalten die besonderen Probleme unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge in Schleswig-Holstein seitens obersterLandesbehörden und Jugendämter inzwischen einer größere Aufmerksamkeit.

Mit der vorliegenden Ausgabe unseres Quartalsmagazins Der Schlepper erklären wir einmal mehr den in Schleswig-Holstein undanderen Orts Asyl, Schutz und menschenwürdiges (Über)Leben suchenden Menschen unsere uneingeschränkte Solidarität.

Martin Link, Kiel 20.1.2002

ED

ITO

RIA

LIM

PR

ESSU

M

Der Schlepper erscheint vierteljährlich als Rundbrief des Flüchtlingsrates Schleswig-Holstein e.V. Für Vereinsmitglieder ist DerSchlepper kostenlos. Nichtmitglieder können ihn für 16,50 EURO jährlich abonnieren. – Angebote zur Mitarbeit sind erwünscht.Beiträge bitte möglichst auf Diskette oder per e-Mail zusenden. Eingesandte Manuskripte werden nicht zurückgesandt. Namentlichgekennzeichnete Artikel geben nicht immer die Meinung der Redaktion wieder.Redaktion: Martin Link (v.i.S.d.P.)Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.Oldenburger Str. 25, D-24143 KielTel.: 0431 / 735 000, Fax: 0431/736 077e-Mail: [email protected] Schlepper online im Internet: www.frsh.de/schlepp.htm

Regelmäßige Informationen und Austauschforum zuflüchtlingspolitischen und Migrationsthemen in der„Mailingliste Schleswig-Holstein“: [email protected]: Flüchtlingsrat S.-H., EDG Kiel, Kto-Nr. 152 870,BLZ: 210 602 37Druck: WDA Brodersdorf Fotos: privat

________________________________________________________________________________________________________________________

Page 3: s17_gesamt
Page 4: s17_gesamt

„Seit dem 11. September ist al-les anders.“ Wie oft haben wir diesenSatz in den vergangenen Wochen undMonaten gehört. Zutreffend ist er alle-mal, wenn mensch ihn auf den Bestandbisher sicher geglaubten völkerrechtli-chen Konsenses in Politik und Gesell-schaft anwendet. Auf den zahlreichenSchlachtfeldern der Dritten und ViertenWelt, die schon vordem Flüchtlinge aufden Weg zu uns getrieben haben, istseit dem 11. September auch die Bun-deswehr dabei. Norman Paech, Völker-und Verfassungsrechtler aus Ham-burg, liefert hier eine kritische Untersu-chung der völkerrechtlichen Legitimitätdes deutschen Militäreinsatzes am Hin-dukusch.

Die Bundesregierung stützt denEinsatz bewaffneter Streitkräfte sowohlauf das Selbstverteidigungsrecht gem.Art. 51 UN-Charta als auf eine Ermächti-gung durch Resolutionen des UN-Sicher-heitsrats.1 Ferner bezieht sie sich auf dieBeistandsverpflichtung des Art. 5 NATO-Vertrag als Bündnispartner der USA.

Die Resolution 1368 (2001)

Die USA haben sich zunächst umeine Ermächtigung für ein militärischesVorgehen gegen bin Laden und die Tali-ban durch den UN-Sicherheitsrat bemüht.Bereits einen Tag nach dem Terroran-schlag verabschiedete der Sicherheitsrat

seine Resolution 1368 (2001), in der erdie »entsetzlichen Anschläge in streng-ster Weise« verurteilte und den Anschlag»wie jeden anderen Akt internationalenTerrorismus als eine Gefährdung desWeltfriedens und der internationalen Si-cherheit« betrachtete. Dieses ist die ge-bräuchliche Formel nach Art. 39 UN-Char-ta, mit der sich der Sicherheitsrat die wei-teren Schritte für politische, ökonomischeund militärische Sanktionen nach Art. 41und 42 UN-Charta eröffnet.

Derartige Maßnahmen ergreift erallerdings nicht, er beruft sich nicht aufdas Kapitel VII UN-Charta, sondern ruft le-diglich »alle Staaten dringend zur Zusam-menarbeit auf, um die Täter, die Organisa-tionen und Unterstützer dieser terroristi-schen Anschläge vor Gericht zu bringen«und betont, »dass jene, die den Tätern ge-holfen, sie unterstützt oder ihnen Unter-schlupf gewährt haben, zur Verantwor-tung gezogen werden.« Ferner ruft er dieStaaten dazu auf, durch »engere Zusam-menarbeit und vollständige Umsetzungder Anti-Terror-Konvention und der Reso-lutionen des Sicherheitsrats, vor allem derResolution 1269 vom 19.10.1999, Terror-anschläge zu verhindern und zuunterdrücken«.

Schließlich erklärt der Sicherheits-rat seine Bereitschaft, »alle notwendigenSchritte zu unternehmen, um auf die Ter-roranschläge zu reagieren und alle For-men des Terrorismus in Übereinstimmungmit der Verantwortung gemäß der UN-Charta zu bekämpfen«. Er »beschließt,sich weiter mit der Angelegenheit zu be-fassen«.

Der Wortlaut dieser Resolutionzeigt eindeutig, dass die USA ihr Ziel,eine Ermächtigung für militärische Reak-tionen auf den Terroranschlag zu erhal-ten, nicht erreichen konnten. Vielmehrdeutet der Sicherheitsrat an, dass er dieGerichte für die geeigneten Mittel ansieht,die Täter, ihre Organisationen und Unter-stützer zur Verantwortung zu ziehen. Dieswird durch die Erwähnung der Anti-Terror-Konvention bestätigt. Es handelt sich umdie »International Convention for theSuppression of the Financing of Terro-rism«, die von der UN-Generalversamm-

lung am 9.12.1999 mit der Resolution54/169 verabschiedet wurde. Mit der An-nahme dieser Konvention sollen sich dieStaaten verpflichten, bestimmte genau de-finierte Taten der Finanzierung und finan-ziellen Unterstützung terroristischer Aktivi-täten unter bestimmten Voraussetzun-gen2 unter Strafe zu stellen und für derenVerfolgung eine strafrechtliche Zuständig-keit zu begründen.3

Die Resolution 1368 geht insofernüber die bis dahin bekannten Anti-Terror-Resolutionen hinaus, als sie nicht erst dieWeigerung einer Regierung, die mutmaßli-chen Täter auszuliefern, als eine Bedro-hung des Weltfriedens und der internatio-nalen Sicherheit bezeichnet so wie dieResolution gegen Libyen im Lockerbie-Fall und die Resolution 1267 von 1999 ge-gen die Taliban , sondern bereits den Ter-roranschlag selbst als eine solche Bedro-hung nach Art. 39 UN-Charta bezeichnet.Dennoch ändert diese neue Qualitätnichts an dem Ergebnis, dass diese Reso-lution keine Ermächtigung für eine militäri-sche Reaktion enthält. Die Auffassung derBundesregierung in Punkt 3 ihres An-trags, dass »nach der Resolution 1368(2001) alle erforderlichen Schritte zu un-ternehmen« seien, also auch militärische,ist falsch. Der Sicherheitsrat hat »seine

Der Krieg in Afghanistan

im Lichte des VölkerrechtsNorman Paech

Norman Paech ist Professor für öffentlichesRecht an der Hochschule für Wirtschaft undPolitik, Hamburg, und Mitautor des Studien-buches »Völkerrecht und Machtpolitik inden internationalen Beziehungen«, Ham-burg 2001. Bei dem Beitrag handelt es sichum Auszüge aus einem Gutachten, dessenvollständiger Text beim Flüchtlingsrat ange-fordert werden kann: T. 0431-735 000, mail:[email protected]

Wir bedanken uns für die Abdruck-genehmigung bei der MonatszeitschriftSozialismus (Heft 251, Dezember 2001,S. 8-11).

Fußnoten:1 Das zwingende Verbot der Androhung oder

Anwendung militärischer Gewalt gem. Art. 2 Z. 4 UN-Charta kennt nur zwei Ausnahmen: 1. Die Ermächti-gung zu militärischen Zwangsmaßnahmen gem. Art.42 UN-Charta durch den UN-Sicherheitsrat und 2. dasindividuelle und kollektive Selbstverteidigungsrechtgem. Art. 51 UN-Charta.

2 Begehung der Unterstützungshandlungenauf dem Gebiet des Vertragsstaates, Begehung durchStaatsangehörige oder durch Handlungen an Bord vonunter der Flagge des Staates fahrenden Schiffen bzw.Flugzeugen.

3 Die ebenfalls angeführte Resolution 1269vom 19.10.1999 fordert die Staaten zu einer allgemeinstärkeren Zusammenarbeit und zum Beitritt zu denzahlreichen Konventionen auf, unterstreicht die wichti-ge Rolle der Vereinten Nationen bei dem Anti-Terror-kampf und mahnt besseren Informationsaustausch, Un-terbindung der Finanzierung von Terroraktivitäten,Sorgfalt bei der Zuerkennung des Flüchtlingsstatusund Zusammenarbeit auf der Verwaltungs- und Justize-bene an. Militärische Maßnahmen werden in keinemZusammenhang erwähnt.

4______________ „Anti-Terror“ ______________

Der Schlepper Nr. 17 Flüchtlingsrat SH Februar 2002

Page 5: s17_gesamt

Bereitschaft« erklärt, »alle notwendigenSchritte zu unternehmen, um auf die Ter-roranschläge zu reagieren«. Er hat sichdamit die Auswahl der erforderlichenSchritte vorbehalten und beansprucht hierseine alleinige Kompetenz für Maßnah-men nach Art. 41 und 42 UN-Charta. Erhat den Staaten keine Blankovollmachtgegeben.

Die Resolution 1373 (2001)

Kurze Zeit später versuchten dieUSA erneut, eine Ermächtigung durchden Sicherheitsrat zu erhalten. Die darauf-hin am 28. September verabschiedete Re-solution enthält jedoch genauso wenig dieerwünschte Ermächtigung. Sie bestätigtnoch einmal die vorangegangene Resolu-tion und bezieht sich in ihren weiteren For-derungen an die Staaten allerdings jetztausdrücklich auf das VII. Kapitel der UN-Charta, welches ihr verbindliche Sanktio-nen und Maßnahmen ermöglicht. Als sol-che fordert sie in einem ersten Punkt vonden Staaten, alles zu unterlassen, zu ver-hindern und zu bestrafen, was mit der Fi-nanzierung terroristischer Handlungen zu-sammenhängt. In einem zweiten Punktfordert sie das Gleiche bezüglich jeglicheranderen Unterstützung von terroristischenAktivitäten. Insbesondere fordert sie diestrafrechtliche Verfolgung, gerichtliche Un-tersuchung und Aburteilung von Terrori-sten, die Zusammenarbeit bei der Be-schaffung von Beweisen, effektivenGrenzkontrollen und strenger Überwa-chung der Ausgabe und Fälschung vonPass- und Reisedokumenten. Sie fordertdie Staaten ferner auf, ihre Zusammenar-beit bei der wechselseitigen Informationüber alle Fragen, die den Terrorismus be-treffen, zu verstärken und durch bi- undmultilaterale Abmachungen sowie durchUnterzeichnung der wichtigen Anti-Terro-rismus-Konventionen und Umsetzung derResolutionen des UN-Sicherheitsrats zuergänzen. Insbesondere sollen die Staa-ten darauf achten, dass der Flüchtlingssta-tus nicht von Terroristen missbraucht wer-de, allerdings seien dabei die anerkann-ten Standards der Menschenrechte unddes Völkerrechts zu berücksichtigen.

Schließlich richtet der Sicherheits-rat mit der Resolution ein spezielles Komi-tee ein, welches aus allen Mitgliedern desSicherheitsrats besteht, um die Umset-zung der Resolution zu kontrollieren undfordert alle Staaten auf, binnen 90 Tagendem Komitee über ihre Maßnahmen zuberichten. Der Sicherheitsrat schließt dieResolution mit der Versicherung, alle not-wendigen Schritte zu unternehmen, dieUmsetzung der Maßnahmen zu garantie-ren, und der Absicht, »weiter mit der Sa-che befasst« zu sein.

Auch aus dem Wortlaut dieser Re-solution geht zweifelsfrei hervor, dass derSicherheitsrat die Bekämpfung des Terro-rismus mit anderen Mitteln als militäri-schen unternehmen will und dass er keineErmächtigung zu einer militärischen Reak-tion irgendeines einzelnen Staates gege-ben hat. Dieses wird besonders deutlich,wenn man den Wortlaut mit dem der be-kannten Resolution 678 (1990) des Si-cherheitsrats vom November 1990 ver-gleicht, mit der er die Ermächtigung zu mi-litärischen Zwangsmaßnahmen nach Art.42 UN-Charta gegeben hat. In ihr heißtes:

»Der Sicherheitsrat, tätig werdendnach Kapitel VII der UN-Charta, ermäch-tigt die Mitgliedsstaaten für den Fall, dassder Irak die oben genannten Resolutionenbis zum 15. Januar 1991 nicht entspre-chend Ziffer 1 vollständig durchführt, alleerforderlichen Mittel einzusetzen, um derResolution 660 (1990) und allen dazu spä-ter verabschiedeten Resolutionen Geltungzu verschaffen und sie durchzuführen undden Weltfrieden und die internationale Si-cherheit in dem Gebiet wiederherzustel-len.«

Eine derart schwerwiegende Ent-scheidung wie die Ermächtigung zu ei-nem militärischen Angriff bedarf einerdeutlichen und unmissverständlichen Er-klärung. Beide Resolutionen sind hinge-gen unmissverständlich nicht als Ermächti-gung zu werten. (...)

Das Recht auf Selbstverteidigung

gem. Art. 51 UN-Charta

Diese zweite Ausnahme vom zwin-genden Gewaltverbot haben die USA inAnspruch genommen, als klar wurde,dass sie eine Ermächtigung durch den Si-cherheitsrat nicht erhalten würden. Eskann als individuelles Verteidigungsrechtvon demjenigen Staat in Anspruch genom-men werden, der unmittelbar angegriffenworden ist (USA), und als kollektives

Recht von denjenigen Staaten (Großbri-tannien, NATO-Staaten), die dem Ange-griffenen zu Hilfe kommen.

Art. 51 UN-Charta hat genaue Vor-aussetzungen für das Recht normiert, umeinem Missbrauch vorzubeugen. Es musssich um einen bewaffneten Angriff einesStaates handeln, der gegenwärtig ist, unddie Verteidigungsmaßnahmen dürfen nurso lange dauern, bis der Sicherheitsratselbst die erforderlichen Maßnahmen ein-geleitet hat.

Klassischerweise wird man in derZerstörung von Wohn- und Bürogebäu-den mittels Passagiermaschinen keinen»bewaffneten Angriff« sehen. Wenn manaber weniger auf das Instrument als aufdie Zerstörungswirkung abstellt und einensolchen Angriff bejaht, bleibt immer nochzweifelhaft, ob es sich um den Angriff ei-nes Staates gehandelt hat. Ein Terroran-schlag einzelner Personen, selbst wennsie ein »Netzwerk« bilden, ist ein Verbre-chen, welches vor einem Gericht geahn-det werden müsste, wie es jedes nationa-le Strafrecht sowie das »Haager Überein-kommen zur Bekämpfung der widerrechtli-chen Inbesitznahme von Luftfahrzeugen«vom 16.12.1970 und das »MontrealerÜbereinkommen zur Bekämpfung wider-rechtlicher Handlungen gegen die Sicher-heit der Zivilluftfahrt« vom 23. September1971 vorsehen.

Als Angriff eines Staates könntendie Anschläge nur dann gewertet werden,wenn erstens klar wäre, dass bin Ladenden Auftrag erteilt hätte und zweitens erwiederum im Auftrag oder zumindest Ein-verständnis der Taliban gehandelt hätte.Außenminister Powell musste jedoch in ei-nem Interview in der »New York Times«einräumen, dass es nicht einmal Indizienfür die entscheidende Rolle bin Ladensgäbe. Das von ihm angekündigte »WhitePaper« zu den Hintergründen und Bewei-sen des Terror-Netzwerkes ist bishernicht erschienen. Auch hat der Sonderbe-auftragte Taylor nach Aussagen westli-cher Diplomaten auf der Sitzung desNATO-Rates keinerlei Beweise dafür vor-

Die Hermann-Ehlers-Akademie (Kiel, Gurlittstr. 11) lädt ein:Freitag, 8. März, 12 00 Uhr,Dr. Günther Beckstein (MdL, Bayerischer Staatsminister des Inneren):

Innere Sicherheit in Deutschland„Am 11. September 2001 sind wir mit großer Bestürzung Zeugen eines Terrors geworden, der in seiner

kaltblütigen Menschenverachtung alle Vorstellungskraft übertrifft. Wir haben es mit einer neuen Dimension desVerbrechens zu tun. Es gilt, unsere Wertmaßstäbe und all das, was unsere freiheitliche und zivilisierte Welt aus-macht, mit Entschlossenheit gegen Barbarei und Fanatismus zu verteidigen. Vor dem Hintergrund dieser neuenArt der Bedrohung müssen wir alle Kräfte bündeln, um die Innere Sicherheit auf höchstmöglichem Niveau zu ge-währleisten. Wir müssen für die unterschiedlichsten Gefahrenlagen und Eventualitäten gerüstet sein. Bund undLänder sind gleichermaßen aufgerufen, unsere Bevölkerung umfassend vor terroristischen Anschlägen zu schüt-zen. Innenminister Dr. Beckstein wird das Sicherheitspaket der Bayerischen Staatsregierung erläutern, das einVolumen von 200 Millionen Euro erreicht. Weiterhin wird er darlegen, wie sowohl auf Bundesebene als auch aufeuropäischer und internationaler Ebene die Sicherheitsbemühungen weiter verstärkt werden können.“

Die Akademie bittet um verbindliche Anmeldung bis zum 4. März 2002, da ein kleiner Imbiss gereicht wird.

______________ „Anti-Terror“ ______________5

Februar 2002 Flüchtlingsrat SH Der Schlepper Nr. 17

Page 6: s17_gesamt

gelegt, dass bin Laden die Anschläge ge-plant oder angeordnet habe. Das vondem britischen Premier Blair veröffentlich-te Material erhebt nach seinen eigenenWorten »nicht den Anspruch, eine ausrei-chende Grundlage für ein Gerichtsverfah-ren gegen Osama bin Laden darzustel-len« (Frankfurter Rundschau v.9.10.2001). Ist also die Verbindung zwi-schen den Beteiligten des Anschlags undbin Laden äußerst zweifelhaft, so fehlt bis-her jeder Anhalt dafür, dass die Talibanbin Laden entsandt bzw. von dem An-schlag etwas gewusst haben. (...)

Weitere Zweifel an einem Selbst-verteidigungsrecht gegen die Terroran-schläge vom 11. September ergeben sichdaraus, dass der Angriff gegenwärtig seinmuss. Selbst wenn man einem angegriffe-nen Staat das Recht und die Zeit zu wohlüberlegten Verteidigungshandlungen ein-räumen muss, so sollte die Gefahr einerWiederholung bzw. neuer Anschläge prä-sent sein. Dies ist zwar von JustizministerAshcroft mehrfach behauptet worden undauch bin Laden hat (am 10.11.2001) Ver-geltungsschläge mit biologischen und nu-klearen Waffen angedroht, falls die USAderartige Waffen benutzen würden. Vonden Anschlägen mit Anthrax ist bishernicht behauptet worden, dass sie von binLaden kämen und weitere Indizien für un-mittelbar drohende Angriffe aus RichtungAfghanistan sind nicht genannt worden.Überhaupt sprechen die Ubiquität des Ter-rorismus und die Tatsache, dass die Ter-roristen an keine Grenzen gebunden sindund die Staaten nach Belieben wechselnkönnen dafür, dass mögliche weitere An-schläge aus ganz anderen geographi-schen Richtungen zu erwarten sind. Dieeinzig gesicherten Verbindungen derSelbstmordattentäter zu ihren Aufenthalts-orten und Hintermännern verweisen der-zeit nur auf Deutschland, Großbritannien,Spanien und die USA selbst.

Schiebt man alle diese Bedenkenbeiseite und akzeptiert ein Selbstverteidi-gungsrecht, so begrenzt Art. 51 UN-Char-ta die Dauer dieses Rechts ausdrücklichauf die Zeit, »bis der Sicherheitsrat diezur Wahrung des Weltfriedens und der in-ternationalen Sicherheit erforderlichenMaßnahmen getroffen hat«. In seiner Re-solution vom 12. September hatte der Si-cherheitsrat zunächst lediglich angekün-digt, dass er alle notwendigen Schritte zurBeantwortung der Terroranschläge vom11. September unternehmen und alle For-men des Terrorismus bekämpfen werde.Derartige Schritte hat der Sicherheitsratdann in seiner Sitzung vom 28. Septem-ber mit der Resolution 1373 beschlossenund konkrete Maßnahmen gegen die fi-nanzielle Basis und logistische Unterstüt-zung von Terroristen eingeleitet. Er hatein Komitee eingerichtet und mit der Über-wachung der Maßnahmen beauftragt, dieauch bereits von einzelnen Staaten einge-

leitet worden sind. Schließlich hat er er-neut betont, dass er »mit der Angelegen-heit« weiter befasst bleiben wolle.

Damit war zu jener Zeit bereits dasVerteidigungsrecht der USA konsumiertund die alleinige Kompetenz für militäri-sche Maßnahmen lag gem. Art. 39 und 42UN-Charta beim Sicherheitsrat. (...)

Der Bündnisfall gem. Art. 5

Nordatlantikvertrag

Damit entbehrt auch die Erklärungdes sog. Bündnisfalles durch die NATO-Vertragsstaaten am 5.10.2001 ihrer fakti-schen und rechtlichen Grundlage.

Art. 5 Nordatlantikvertrag ist eineErmächtigungs- und Verpflichtungsnorm,die im Falle eines Angriffs auf einen Mit-gliedstaat jedem anderen Mitglied diePflicht auferlegt, zu prüfen, was er zur Ab-wehr des Angriffs beisteuern kann. Daskönnen politische, ökonomische oder mili-tärische Maßnahmen sein. Vorausset-zung ist jedoch, dass ein Fall der Selbst-verteidigung nach Art. 51 UN-Charta vor-liegt, den Art. 5 Nordatlantikvertrag nur inseiner kollektiven Verteidigungskompo-nente für die NATO-Staaten präzisiert.Art. 5 Nordatlantikvertrag ist also keineselbstständige Ermächtigungsgrundlage,sondern direkt abhängig von Art. 51 UN-Charta und dem Vorliegen seiner Voraus-setzungen. Art. 52 UN-Charta bindet Re-gionalorganisationen, von denen dieNATO eine ist, in ihren Aktivitäten zur Frie-denssicherung ausdrücklich an die Zieleund Bestimmungen der Vereinten Natio-nen. (...)

»Selbstverteidigungsexzess«

Die USA, Großbritannien und dieBundesregierung beanspruchen weiterhindas Recht auf Selbstverteidigung für denaktuellen Kriegseinsatz. Sie nehmen un-beeindruckt von allen völkerrechtlichenBedenken das ius ad bellum in Anspruch.Unterstellen wir trotz der zahlreichen Be-denken das Recht für die USA und ihreVerbündeten, so befreit sie das jedochnicht von den weiteren Regeln des Kriegs-völkerrechts, das sog. ius in bello, wel-ches für jeden militärischen Einsatz gilt,sei er völkerrechtlich legitimiert oder auchnicht. Dieses Recht ist vornehmlich indem I. Zusatzprotokoll zu den Genfer Kon-ventionen von 1949 über den Schutz derOpfer internationaler bewaffneter Konflik-te von 1977 zusammengefasst. Das Proto-koll konkretisiert den allgemeinen Grund-satz der Verhältnismäßigkeit der Mittel,das strikte Verbot der Bedrohung oderdes Angriffs auf Zivilisten und zivile Ein-

richtungen und das Verbot unterschiedslo-ser Angriffe. Die USA haben das I. Zusatz-protokoll zwar bisher nicht ratifiziert, diefolgenden Grundsätze haben jedoch völ-kergewohnheitsrechtliche Geltung und bin-den die USA ebenso.

So lautet Art. 35 I. Zusatzprotokoll:

»1. In einem bewaffneten Konflikthaben die am Konflikt beteiligten Parteienkein uneingeschränktes Recht in derWahl der Methoden und Mittel der Krieg-führung. 2. Es ist verboten, Waffen, Ge-schosse und Material sowie Methodender Kriegführung zu verwenden, die geeig-net sind, überflüssige Verletzungen undunnötige Leiden zu verursachen. 3. Es istverboten, Methoden oder Mittel der Krieg-führung zu verwenden, die dazu bestimmtsind oder von denen erwartet werdenkann, dass sie ausgedehnte, langanhal-tende und schwere Schäden der natürli-chen Umwelt verursachen.«

In den folgenden Artikeln wird die-ses Verbot der Unverhältnismäßigkeit unddes Übermaßes an Waffenwirkungen undZielobjekten präzisiert. So verstößt derEinsatz von Streubomben, deren einzelneSprengladungen wie Landminen noch lan-ge nach ihrem Abwurf explodieren kön-nen, gegen Art. 51 I. Zusatzprotokoll.Trinkwasser- und Bewässerungsanlagensind nach Art. 54 ebenso geschützt wieDeiche und Staudämme nach Art. 56. Sowirksam die Informationen über dieKriegsführung durch die amerikanischeRegierung und Fernsehsender auch zen-siert und gefiltert werden, die freigegebe-nen Nachrichten und Bilder belegen den-noch die massiven Verletzungen diesesKriegsvölkerrechts. Das Elend der Flücht-lingsströme und die absehbare Winterka-tastrophe für die fliehenden Menschen ste-hen völlig außer Verhältnis zu der ur-sprünglichen Absicht, bin Laden zu fan-gen.

Darüber hinaus ist eine deutlicheVerschiebung des Kriegsziels zu beobach-ten. Von der Ergreifung bin Ladens hatdas Ziel zu der Beseitigung des Taliban-Regimes gewechselt. Das hat in der Tatnichts mehr mit Selbstverteidigung, son-dern mit der Neuordnung einer Region zutun, was nach Art. 2 Z. 7 UN-Charta ein-deutig verboten ist. Das ist endgültig einVerteidigungsexzess, wenn man über-haupt die These von der Selbstverteidi-gung akzeptiert. Für den Beschluss desBundestages, ab Mitte November in dasmilitärische Geschehen einzugreifen, istder Zeitpunkt und die Entwicklung desKrieges entscheidend, da er jetzt definitivdie Grenzen der Verteidigung überschrit-ten hat.

6______________ „Anti-Terror“ ______________

Der Schlepper Nr. 17 Flüchtlingsrat SH Februar 2002

Page 7: s17_gesamt

Seit dem 9. Januar 2002 ist dasneue Terrorismusbekämpfungsgesetzin Kraft, nachdem es von einer „Gro-ßen Koalition“ in kürzester Zeit überdie parlamentarischen Hürden ge-peitscht worden war. Flüchtlingsratund Pro Asyl hatten schon im Gesetz-gebungsverfahren ihre massiven Be-fürchtungen hinsichtlich der Konse-quenzen für die solidarische Flücht-lingshilfe vorgetragen. Hier dokumen-tieren wir die Presseerklärung desFlüchtlingsrates Schleswig-Holsteinvom 28.11.2001. Weitere Informationenzum Thema Terrorrismusbekämpfungs-gesetz befinden sich auf der homepagedes Flüchtlingsrates:http://www.frsh.de/meldung.html

Appell an Bundes- und

LandesparlamentarierInnen

Nachdem die rot-grüne Bundesre-gierung den Entwurf für ein „Terrorismus-bekämpfungsgesetz“ beschlossen hat, be-rät am Freitag der Bundesrat über das Si-cherheitspaket. Eiltempo ist angesagtund eine sorgfältige Prüfung offenbarnicht vorgesehen. Der Flüchtlingsrat kriti-siert die Gesetzespläne als allgemeineVerdachtserklärung gegen Flüchtlinge, Mi-granten und deren Unterstützerinnen undUnterstützer.

Schon jetzt ist die Beobachtungs-dichte des Verfassungsschutzes bei Aus-länderInnen 20 mal so hoch, wie bei Deut-schen. Dieser Multiplikator wird laut demKieler Vorsitzenden der Deutschen Verei-nigung für Datenschutz, Dr. Thilo Wei-chert, auf Grundlage des geplanten Terro-rismusbekämpfungsgesetzes noch gestei-gert werden. Das Forum Menschenrech-te, ein Netzwerk von über 40 Nichtregie-rungsorganisationen, teilt die grundlegen-den Zweifel der Stellungnahme des Bun-desjustizministeriums an der Erforderlich-keit, der Verhältnismäßigkeit und insbe-sondere auch der Geeignetheit alles dreiPrüfungsmaßstäbe, an denen von Verfas-sung wegen die Gesetzesvorschläge zumessen sind. Mit dem Gesetz werden

grundlegende Freiheits- und Bürgerrechtebeschnitten erklärt auch die BundesweiteArbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge ProAsyl und bezweifelt, dass sich die Maß-nahmen des geplanten Gesetzes über-haupt zur Bekämpfung von Terrorismuseignen.

„Stattdessen droht ein Klima, indem willkürliches staatliches Vorgehen ge-gen ausländische ‚Sündenböcke’ auf dereinen Seite und politische Gewalt gegenAndersdenkende und Menschen andererHerkunft auf der anderen Seite vortrefflichentwickeln können.“ erklärt Martin Link,Geschäftsführer beim FlüchtlingsratSchleswig-Holstein.

Der Flüchtlingsrat wendet sich indiesen Tagen mit seiner Kritik am Geset-zesvorhaben an Abgeordnete aus Bun-destag und schleswig-holsteinischemLandtag mit dem dringenden Appell, die-se mögen ihren Einfluss gegen die Umset-zung der Gesetzesinitiative geltend zu ma-chen.

Der Flüchtlingsrat Schleswig-Hol-stein kritisiert mit den anderen Landes-flüchtlingsräten und Pro Asyl das geplanteTerrorismusbekämpfungssgesetz in fol-genden Punkten:

Ungehemmter Datenfluss

Ab jetzt wird hemmungslos ver-messen, registriert, gesammelt und vergli-chen: Im Ausweis dürfen über Foto undUnterschrift hinaus bestimmte „biometri-sche Merkmale“ (von Fingern, Händenoder Gesicht) gespeichert werden. Hiergeht es nicht nur um die zweifelsfreie Zu-ordnung PersonPass. Zu befürchten istdie Einrichtung einer Referenzdatenbank,in der unverwechselbare Daten jedesMenschen abgespeichert sind und überdie jede/r identifizierbar wird. Migrantenwerden zusätzlich diskriminiert: Für Deut-sche werden die genauen Regelungen zuden gespeicherten Daten per Gesetz fest-gelegt, für Ausländer genügt schon eineRechtsverordnung des BMI. Im Gegen-satz zu Deutschen sind die verschlüsselt

angebrachten Daten von Migranten undFlüchtlingen auch nicht an den Zweck derIdentitätsfeststellung gebunden, sondernkönnen von allen Behörden verwendetund weitergegeben werden. Bei Auslän-dern fehlt überdies das für Deutsche vor-gesehene Recht zu erfahren, welche Da-ten gespeichert sind. (§ 4 PassG, § 1 Per-sAuswG, §§ 5, 39, 56a AuslG)

Bewertung: strukturell rassistisch

Migranten im Visier der Ermittler

Schon heute kann die Polizei beiVorliegen konkreter Gefahr auf das Aus-länderzentralregister (AZR) zugreifen, indem nicht nur die Migranten gespeichertsind, die schon jahre- oder jahrzehntelangin Deutschland leben, sondern auch Per-sonen, die früher in Deutschland gelebthaben und längst ausgewandert sind. DieDaten von mehr als 10 Millionen Men-schen sind im AZR registriert. Zukünftigsoll die Polizei den gesamten Datenbe-stand in einem automatisierten Verfahrenper Rasterfahndung auswerten könnenauch ohne dass eine konkrete Gefahr er-kennbar ist. Die bisherige Erfahrung mitRasterfahndungen zeigt: Fast immer sindUnschuldige von schweren Eingriffen inihre Persönlichkeitsrechte betroffen. (§ 12Abs. 1 AZRG)

unpraktikabel, datenschutzrecht-lich bedenklich

Flüchtlinge unter Generalverdacht

Flüchtlinge sind heute die am peni-belsten erfasste Bevölkerungsgruppe. ImFingerabdrucksystem AFIS werden ihreDaten gespeichert. Darauf kann die Poli-zei bislang bei begründetem Verdacht aufeine Straftat zugreifen. Zukünftig sollendie Daten einem automatischen Abgleichmit polizeilichen Tatortspuren unterzogenwerden. Auf 10 Jahre soll die Spei-cherungsdauer ihrer Daten verlängert wer-den, sogar über die Anerkennung alsFlüchtling hinaus. Die geplante zwek-

Generalverdacht gegen Flüchtlinge

und ihre UnterstützerFlüchtlingsrat SH

______________ „Anti-Terror“ ______________7

Februar 2002 Flüchtlingsrat SH Der Schlepper Nr. 17

Page 8: s17_gesamt

kentfremdete Verwendung dieser Datenist datenschutzrechtlich bedenklich undstellt Flüchtlinge unter Generalverdacht.(§ 16 Abs. 5 u. 6 AsylVfG)

datenschutzrechtlich bedenklich,strukturell rassistisch

Missbrauch von Asylinformationen

Das Bundesamt für die Anerken-nung ausländischer Flüchtlinge soll ver-pflichtet werden, Informationen aus derAnhörung an den Verfassungsschutz wei-terzuleiten. Ein faires Asylverfahren istaber kaum möglich, wenn Flüchtlinge sichauf die Vertraulichkeit des Gesprächsnicht mehr verlassen können: Denn diepersönlichen und und teils hochsensiblenInformationen können auf Geheimdienst-kanälen in den Verfolgerstaat gelangen.Der Verrat des „Asylgeheimnisses“ durchdeutsche Behörden kann für Flüchtlingeund deren Angehörige im Herkunftslandlebensgefährlich sein. (§ 18 BVerfSchG)

rechtsstaatlich unverantwortlich

Pauschalangriff auf Ausländische

Vereine

Vereine von Migranten werden zu-künftig noch stärker vom Verfassungs-schutz überwacht, wenn sie sich gegen„den Gedanken der Völkerverständigung“oder „das friedliche Zusammenleben derVölker richten“. Darüber hinaus sollen sieleichter verboten werden können, z.B.wenn sie Gewaltanwendung befürwortenoder androhen, auch wenn sich dies nichtauf Deutschland, sondern auf ihr Her-kunftsland bezieht. Was sich nach Terro-rismusbekämpfung anhört, ist in der Pra-xis hochproblematisch: Exilvereinen, diesich politisch gegen Unrechtsregime in ih-ren Herkunftsstaaten engagieren, drohtdie Verbotsverfügung. Soll ein afghani-scher Verein, der in Deutschland zum ge-waltsamen Sturz der Taliban aufruft, ver-boten werden? Aus der Perspektive vonVerfolgerstaaten sind Oppositionelle oftTerroristen. Eine Gleichsetzung zwischenTerrorismus und dem Kampf gegen dikta-torische Regime darf es nicht geben! (§ 3BVerfSchG, § 14 Abs. 2 VereinsG)

missbrauchsanfällig

Verschärfung der

Ausweisungsbestimmungen

Die Ausweisungstatbestände sol-len erheblich verschärft werden. Dabei

wird mit unscharfen Generalklauseln han-tiert: Gründe für eine Ausweisung sindz.B. schon die Drohung mit Gewalt oderdie Unterstützung bestimmter verdächtig-ter Vereinigungen (s.o.). Eine genaue Ab-grenzung zum Terrorismus ist auch hierkaum möglich. Selbst nicht gewalttätigeUnterstützer von politischen Exilgruppenkönnten betroffen sein. Klagen dagegenstellen nicht automatisch die aufschieben-de Wirkung mehr her, d.h. die Betroffenenmüssen u.U. die ausländerrechtlichen Fol-gen tragen, bevor ein Gericht die Ent-scheidung überprüfen kann. (§§ 8, 47Abs.2, § 72 Abs.1 AuslG)

missbrauchsanfällig, rechtsstaat-lich bedenklich

Sprachanalysen

Menschen im Asylverfahren undbestimmte Ausreisepflichtige sollen sichSprachanalysen „zur Bestimmung der Her-kunftsregion“ unterziehen. In der Geset-zesbegründung wird erläutert, dass essich um eine Maßnahme zur Erleichte-rung der Abschiebung Ausreisepflichtigerhandelt. Damit wird eine Praxis, die PROASYL schon lange als wissenschaftlichfragwürdig kritisiert, aus der rechtlichenGrauzone heraus geholt und in Gesetzes-form zementiert. Mit Terrorismusbekämp-fung hat dies offensichtlich gar nichts zutun. (§ 16 Abs. 2 AsylVfG)

unzweckmäßig

Visumantragsteller: Behandelt wie

Kriminelle

Die Visadatei soll ausgebaut wer-den, u.a. durch die Speicherung von Fo-tos. Visumantragsteller müssen unter Um-ständen auch ihre Fingerabdrücke ablie-fern, die dann für alle Behörden zugäng-lich sind. Sogar die Daten derjenigen, diedie Menschen nach Deutschland einla-den, können registriert und weitergeleitetwerden. Das Auswärtige Amt hat die Be-handlung von Visumantragstellern als„nicht akzeptabel“ beurteilt: Die Vorschrift„kollidiert erheblich mit dem ... Interessean einer Präsentation Deutschlands alsweltoffenes und gastfreundliches Land“und könnte „grundsätzliche politische undwirtschaftspolitische Interessen Deut-schlands dauerhaft ... beeinträchtigen.“ (§29 AZRG, §§ 41, 64 a AuslG)

ineffektiv, datenschutzrechtlich be-denklich

Der BGS: Auf Grenzpatrouille im

Inland

Schon jetzt darf der BGS im 30 km-Raum von der Grenze sowie u.a. an Flug-häfen, Bahnhöfen und in allen Zügen Per-sonen kontrollieren und ggf. die Sachendurchsuchen. Zukünftig soll der BGS-Zu-griffsbereich im Küstenbereich auf 50 bis80 km ausgedehnt werden. In Schleswig-Holstein führt dies ggf. dazu, dass derBGS fast landesweit verdachtsunabhän-gig Personen festhalten und kontrollierendarf. Auch andere Teile der Nord-Bundes-länder sowie Städte wie Hamburg, Bre-men oder Schwerin müssten nun mit per-manenter BGS-Präsenz rechnen. MitGrenzüberwachung hat das wenig zu tun,wohl aber mit Rassismus. Denn die Aus-wahl der Kontrollierten orientiert sich nachallen Erfahrungen und den Kriterien desAntiterrorgesetzes an rassistischen Kriteri-en: Betroffen sind fast ausnahmslos (ver-meintliche) Flüchtlinge und Migranten. Fürsie ist, z.B. am Bahnhof, das Landesinne-re schon längst „Grenzgebiet“. Je dunklerdie Hautfarbe, desto verdächtiger. Die inDeutschland lebenden Attentäter vonNew York hätte man mit Kontrollen an je-der Straßenecke übrigens nicht gefunden:Sie hatten fehlerfreie Papiere. (§ 2 Abs. 2BGSG)

unzweckmäßig, rechtsstaatlichfragwürdig, im Ergebnis rassistisch

Abschließend:

„Der Staat ergreift im Schatten derAnschläge vom 11. September hier offen-bar die Chance, schon lang gehegte Wün-sche von Überwachungsdiensten und Si-cherheitstechnokraten zu befriedigen.“mutmaßt Martin Link. Der Flüchtlingsratweist in diesem Zusammenhang daraufhin, dass nicht nur die Grundrechte vonFlüchtlingen und Migranten durch das„Terrorismusbekämpfungsgesetz“ dra-stisch beschnitten werden. Bürger-rechtsorganisationen und Datenschützerweisen immer wieder auf den Verlust anFreiheit hin, die jeder Bürger und jede Bür-gerin hinnehmen soll. Einschränkung desBrief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses,allgegenwärtige Überwachung, fließendeGrenzen zwischen Polizei und Verfas-sungsschutz, unkontrollierbare Datenflüs-se: Der Staat sichert sich den Zugriff aufseine Bürgerinnen und Bürger ohne dassdies mit tatsächlich drohenden Terrorge-fahren bzw. gesellschaftlichen Sicherheits-bedarfen gerechtfertigt werden könnteund riskiert irreparable Schäden für diefreiheitliche Demokratie.

Mehr Information:www.frsh.de/meldung.html

8______________ „Anti-Terror“ ______________

Der Schlepper Nr. 17 Flüchtlingsrat SH Februar 2002

Page 9: s17_gesamt

Das geplante Zuwanderungsge-setz wird die rechtliche Situation vonVerfolgten nicht unwesentlich zumschlechteren verändern. Der Flücht-lingsrat Schleswig-Holstein hat die Vor-lage im Januar 2002 auch gegenüberdem Bundestagsinnenausschussscharf kritisiert. Im folgenden stellenKai Weber und Andrea Kothen ausführ-lich die Konsequenzen des drohendenGesetzes für Flüchtlinge und Asylsu-chende dar.

Das Zuwanderungsgesetz, dasuns in der Entwurfsfassung vom6.11.2001 vorliegt, ist ein Artikelgesetz.Es besteht aus umfangreichen Änderun-gen verschiedener bestehender Gesetze.Größte Veränderung: Das Ausländerge-setz soll abgeschafft und durch das sog.Aufenthaltsgesetz” ersetzt werden. Dane-ben sind Änderungen in anderen beste-henden Gesetzen wie dem Asylverfah-rensgesetz, dem Asylbewerberleistungs-gesetz, dem Kindergeldgesetz usw. vorge-sehen.

Mit dem neuen Aufenthaltsgesetzwill Rot-Grün die gesetzlichen Vorausset-zungen für die Anwerbung und Beschäfti-gung von Arbeitskräften aus dem Auslandauf dem deutschen Arbeitsmarkt schaf-fen. Der Entwurf markiert einen Paradig-menwechsel von dem erklärten Anwer-bestopp von 1973 hin zu dem Eingeständ-nis, dass Deutschland ein Einwanderungs-land ist und auf Einwanderung auch wei-terhin ökonomisch angewiesen bleibenwird. Gleichwohl scheint fraglich, ob dieMigration nach Deutschland sich durchdie im Gesetzentwurf vorgesehenen neu-en Zuwanderungsmöglichkeiten tatsäch-lich in quantitativer wie qualitativer Hin-sicht fundamental verändert. Selbst Schilygeht davon aus, dass die Regelungenerst im Jahre 2010 richtig zum Tragenkommen werden.

Entgegen manchen Befürchtungensieht der vorliegende Entwurf keine „Ver-

rechnung” der Zuwanderung hochqualifi-zierter Arbeitskräfte gegen den menschen-rechtlich begründeten Flüchtlingsschutzvor. Dennoch steht die Arbeitskräftezu-wanderung in einem gewissen Span-nungsverhältnis zum Flüchtlingsschutz.Es entspricht der Zielsetzung des Ent-wurfs, die staatliche Regulationspotenz zuvergrößern und bevorzugt diejenigen insLand zu lassen und zu integrieren, derenAufenthalt im ökonomischen Interesse derBundesrepublik liegt.

Für den Flüchtlingsbereich lässtsich feststellen, dass einerseits Verbesse-rungen beim materiellen Asylrecht vorge-nommen, andererseits aber die Repressio-nen gegen „unerwünschte” Flüchtlingeausgebaut werden sollen: Eine grundle-gende Verbesserung stellt die von Men-schenrechtsorganisationen, Flüchtlings-verbänden und dem UNHCR seit Jahrengeforderte Anerkennung von nichtstaatli-cher und geschlechtsspezifischer Verfol-gung als Asylgrund dar. Diese Gruppensollen einen Flüchtlingsausweis nach derGenfer Flüchtlingskonvention erhalten. Esbleibt abzuwarten, ob diese bemerkens-werte und leider auch einzige grundlegen-de Verbesserung für Flüchtlinge das Ge-setzgebungsverfahren überlebt. WeitereForderungen wie z.B. die Beendigung desFlughafenverfahrens, die Abschaffungdes Asylbewerberleistungsgesetzes, eineÜberprüfung von Abschiebungshaft oderdie uneingeschränkte Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention, werden dagegennicht erfüllt. Stattdessen enthält der Geset-zesentwurf leider eine ganze Reihe von in-akzeptablen Verschärfungen: Zu nennenwären insbesondere „Maßnahmen gegenTerrorismus” wie z.B. verschärfte Auswei-sungsbestimmungen (s. hierzu die Pres-seerklärung des Flüchtlingsrates vom28.11.2001 in diesem Heft), schwerwie-gende Einschränkungen des Datenschut-zes und massive Restriktionen gegenübersolchen Flüchtlingen, die zur Ausreise ge-nötigt werden sollen (Ausreisezentren, ge-nerelles Arbeitsverbot, Residenzpflichtpp.).

Schon auf den ersten Blick fällt dieReduktion der Zahl der Aufenthaltstitel insAuge: Sieht das bisherige Ausländerge-setz fünf verschiedene Aufenthaltsgeneh-

migungen je nach Zweck des Aufenthaltsvor, so sind es nach dem derzeitigen Au-fenthaltsgesetzentwurf nur noch zwei: Diebisherigen Aufenthaltstitel „Aufenthaltsbe-rechtigung” und „unbefristete Aufenthalts-erlaubnis”, deren Unterscheidung auslän-derrechtlich kaum noch einen Sinn ergibt,sollen durch die sog. “Niederlassungser-laubnis” ersetzt werden. Diese soll zeitlichund räumlich unbefristet gelten und darfnicht mit Auflagen versehen werden. DieAufenthaltstitel „Aufenthaltsbefugnis” und„Aufenthaltsbewilligung” sollen ersatzlosgestrichen werden, lediglich die (befriste-te) „Aufenthaltserlaubnis“ soll als Aufent-haltstitel erhalten bleiben.

Unterschiede zwischen den einzel-nen Zuwanderungsgruppen drücken sichbisher in unterschiedlichen Aufenthaltsti-teln aus: So erhalten z.B. Studierendeeine „Aufenthaltsbewilligung” zum Zweckdes Studiums. Für sie ist eine sog. Aufent-haltsverfestigung grundsätzlich ausge-schlossen. Flüchtlinge, die ein Aufenthalts-recht unterhalb der Asylberechtigung er-werben (GFK-Flüchtlinge, Altfälle, u.U.auch Flüchtlinge mit rechtlichem Abschie-bungsschutz, ...), erhalten gegenwärtigeine „Aufenthaltsbefugnis”, die erst nachacht Jahren in eine „unbefristete Aufent-haltserlaubnis” umgewandelt werdenkann. Eine befristete Aufenthaltserlaubniserhalten zur Zeit (neben EU-Angehörigen)v.a. MigrantInnen, die im Rahmen des Fa-miliennachzugs nach Deutschland kom-men, sowie ArbeitnehmerInnen, die aufder Grundlage der „Anwerbestopp-Aus-nahmeverordnung” oder anderer Sonder-regelungen einer Arbeit in Deutschlandnachgehen wollen.

Auch wenn alle MigrantInnen undFlüchtlinge mit einem befristeten Aufent-haltsrecht zukünftig also eine Aufenthalts-erlaubnis bekommen sollen, bedeutetdies leider nicht, dass sie alle gleicheRechte hätten. Nachfolgend stellen wirdie Rechte und Lebensbedingungen ein-zelner Gruppen von MigrantInnen undFlüchtlinge dar, wie sie der Gesetzesent-wurf vorsieht. Daraus wird deutlich, dassdie Partizipations- und Integrationsange-bote höchst unterschiedlich verteilt sind.Insbesondere Flüchtlinge werden benach-teiligt. Zwar sollen nunmehr auch bislang

Das neueZuwanderungsgesetzAndrea KothenKai Weber

Kai Weber ist Geschäftsführer des Flücht-lingsrates Niedersachsen.Andrea Kothen ist Referentin bei Pro Asyl,Frankfurt.

______________ Einwanderung ______________9

Februar 2002 Flüchtlingsrat SH Der Schlepper Nr. 17

Page 10: s17_gesamt

geduldete Flüchtlinge unter bestimmten,eng begrenzten Umständen eine Aufent-haltserlaubnis erhalten können; die Redevon der angeblichen „Integrationsperspek-tive”, wie sie insbesondere von Bünd-nis90/Die Grünen für diesen Personen-kreis behauptet wird, ist aber angesichtsder weiterhin vorgesehenen rechtlichenBenachteiligungen reine Augenwischerei.Aus systematischen Gründen beginnenwir mit der allgemeinen Migration (A) undwenden uns im zweiten Teil den Flüchtlin-gen zu (B).

A) Allgemeine Migration

Zu den besonders privilegiertenGruppen von MigrantInnen gehören sog.„Hochqualifizierte” (z.B. WissenschaftlerIn-nen) und Personen, die im Auswahlverfah-ren (Punktesystem) aufgenommen wer-den, um Lücken auf dem deutschen Ar-beitsmarkt zu schließen: Sie sollen vonBeginn an eine Niederlassungserlaubniserhalten und haben Anspruch auf Famili-ennachzug für Ehegatten und Kinder biszum 18. Lebensjahr, Integrationsleistun-gen, Kindergeld, BAFöG, Erziehungsgeldu.a.

„Selbstständige mit guten Ge-schäftsideen” erhalten dem Entwurf zufol-ge zwar zunächst nur eine befristete Auf-enthaltserlaubnis, können aber bereitsnach drei Jahren eine Niederlassungser-laubnis beanspruchen. Es besteht ein An-spruch auf Teilnahme an einem Integrati-onskurs (§ 44 AufentGE). Der Familien-nachzug ist möglich für Kinder bis zum14. Lebensjahr, hier wurde die Schwellevon 16 auf 14 Jahre gesenkt. Ab einem Al-ter von 15 müssen die MinderjährigenDeutschkenntnisse” nachweisen, um imRahmen des Familiennachzugs einen Au-fenthaltstitel zu erhalten. Es besteht An-spruch auf Kindergeld, BAFöG, Erzie-hungsgeld, ggf. Unterhaltsvorschuss u.a.

Studierende sollen für die Dauer ih-res Studiums zunächst eine Aufenthaltser-laubnis erhalten, die bis ein Jahr nach Ab-lauf des Studiums zur Arbeitsplatzsuche”verlängert werden kann. Eine Arbeitsauf-nahme im Anschluss an das Studium sollalso grundsätzlich möglich werden. Wäh-rend des Studiums ist eine Beschäftigungbis zu 90 Tagen im Jahr sowie die Aus-übung studentischer Nebentätigkeiten er-laubt. Ein Familiennachzug ist grundsätz-lich möglich, dürfte aber wegen der einge-schränkten Arbeitserlaubnis während desStudiums schwierig sein, da nach den all-gemeinen Bestimmungen zum Familien-nachzug u.a. ausreichender Wohnraumund die Deckung des Lebensunterhaltsohne Sozialhilfe nachgewiesen werdenmuss.

Sonstige ArbeitnehmerInnen, dienach dem Entwurf eine Aufenthaltserlaub-

nis erhalten, können eine Niederlassungs-erlaubnis erst nach frühestens fünf Jahrenentsprechend den allgemeinen Richtlinien(§9 AufenthGE) beanspruchen. Diese se-hen Bedingungen vor, wie sie bislang inetwa für die Erteilung einer Aufenthaltsbe-rechtigung gelten: U.a. werden 60 MonateRentenversicherungsbeiträge - und damiteine fünfjährige sozialversicherungspflich-tige Beschäftigung vorausgesetzt. Famili-ennachzug ist grundsätzlich möglich. Kin-der sollen nur noch bis zum Alter von 14Jahren im Rahmen des Familiennachzugseinreisen können, danach ist der Nach-weis von Deutschkenntnissen erforder-lich. Es besteht Anspruch auf Kindergeld,Erziehungsgeld, BAFöG, Unterhaltsvor-schuss.

Familienangehörige von Deut-schen können bereits nach dreijährigerWartezeit von der Aufenthaltserlaubniszur Niederlassungserlaubnis wechseln.Sie dürfen von Beginn an ohne Einschrän-kungen arbeiten.

Familienangehörige von MigrantIn-nen erhalten zunächst eine Aufenthaltser-laubnis, die nach fünf Jahren entspre-chend den allgemeinen Richtlinien des §9 AufenthGE in eine Niederlassungser-laubnis umgewandelt werden kann.

B) Flüchtlinge

Die folgende Übersicht verdeut-licht, wie sich das Zuwanderungsgesetzauf die aufenthalts- und sozialrechtlicheSituation der verschiedenen Flüchtlings-gruppen auswirkt:

Asylsuchende

Flüchtlinge im laufenden Asylver-fahren sollen wie bisher eine Aufenthalts-gestattung erhalten. Wie schon im gelten-den Recht sieht der Gesetzentwurf ein Ar-beitsverbot im ersten Jahr des Asylverfah-rens vor. Auch die Abschrek-kungsmaßnahmen im sozialen Bereichbleiben im Wesentlichen bestehen. Es giltweiterhin das AsylbLG inklusive dreijährigabgesenkter Sozialleistungen und Ein-schränkungen bei der medizinischen Ver-sorgung. Die Residenzpflicht, die den Auf-enthalt auf ein kleines Territorium be-grenzt, soll unangetastet bleiben. Auchdie Einweisung in Sammellager ist weiter-hin die gesetzlich gewünschte Unterbrin-gungsform.

Asylberechtigte

Asylberechtigte sollen dem Ent-wurf zufolge nach ihrer Anerkennung zu-

nächst nur eine befristete Aufenthaltser-laubnis erhalten. Dies wäre eine Ver-schlechterung gegenüber der geltendenRechtslage, nach der Asylberechtigte so-fort eine unbefristete Aufenthaltserlaubniserhalten. Verbunden mit der geplanten Än-derung wäre eine Überprüfung des Flücht-lingsstatus nach drei Jahren. Nur wennkeine Gründe für einen Widerruf oder eineRücknahme der Anerkennung vorliegen,sollen Asylberechtigte eine Niederlas-sungserlaubnis erhalten. Andernfalls sollder Flüchtlingsstatus wieder entzogenwerden. Flüchtlinge würden damit jahre-lang unter dem Damoklesschwert einermöglicherweise später drohenden Aufent-haltsbeendigung leben. Im Hinblick aufdie vom Gesetzgeber angestrebte frühest-mögliche Integration ist dies eine widersin-nige Rechtskonstruktion.

Hinsichtlich der sozialen Ausgestal-tung des Aufenthalts sollen die Asylbe-rechtigten wie bisher auch Deutschenweitgehend gleichgestellt bleiben: Sie dür-fen uneingeschränkt arbeiten und habenAnspruch auf Kinder- und Erziehungs-geld, Unterhaltsvorschuss sowie Leistun-gen nach dem Arbeitsförderungsgesetzund dem BAföG. Es besteht auch einRechtsanspruch auf Integrationskurseund Sozialhilfe bei Bedürftigkeit. Auf Fami-liennachzug besteht grundsätzlich ein An-spruch, der allerdings bei Sozialhilfebe-zug auch versagt werden kann. Kinder sol-len wie bisher bis zum Alter von 18 Jah-ren nachziehen können.

Konventionsflüchtlinge

Der rechtliche Status von Konventi-onsflüchtlingen soll demjenigen der Asyl-berechtigen angeglichen werden, was Ver-besserungen für Erstere mit sich brächte,z.B. im Bereich des Kindernachzugs, derbislang nur bis zum Alter von 15 Jahrenauf dem Ermessensweg möglich ist. DieGleichstellung wird allerdings nicht konse-quent vorgenommen: Familienasyl sollKonventionsflüchtlingen nach wie vornicht gewährt werden (§ 26 AsylVfG). Insozialer Hinsicht sollen die gleichen Rege-lungen wie für Asylberechtigte gelten.

Auch für Konventionsflüchtlingewürde die Überprüfung des Flüchtlingssta-tus eine lang andauernde psychische Be-lastung bedeuten, die die Integration unddie Verarbeitung von Verfolgungserfahrun-gen erschwert. Allerdings hätten sie nachdem Gesetzesentwurf früher eine Chanceauf unbefristeten Aufenthalt als bisher.

Kontingentflüchtlinge

Kontingentflüchtlinge, v.a. Judenund Jüdinnen aus Osteuropa, sollen wei-

10______________ Einwanderung ______________

Der Schlepper Nr. 17 Flüchtlingsrat SH Februar 2002

Page 11: s17_gesamt

terhin im Bundesgebiet Aufnahme finden.Zwar soll das der Aufnahme zu Grundeliegende Gesetz über „Maßnahmen für imRahmen humanitärer Hilfsaktionen aufge-nommene Flüchtlinge” (HumAG) abge-schafft werden, die Regelungen zur Auf-nahme von Personengruppen aus demAusland finden sich aber im Aufenthalts-gesetzentwurf wieder (§ 23 Abs. 2 Au-fenthGE): Bei „besonders gelagerten politi-schen Interessen der BundesrepublikDeutschland” soll zukünftig „eine Nieder-lassungserlaubnis erteilt werden können”.Während das bisherige Kontingentflücht-lingsgesetz die Erteilung einer unbefriste-ten Aufenthaltserlaubnis zwingend vor-schreibt, ist die Erteilung einer Niederlas-sungserlaubnis also nur noch als „kann”-Regelung vorsehen eine klare Verschlech-terung gegenüber dem geltenden Recht.

Bei Erteilung einer Niederlassungs-erlaubnis hätten die Betroffenen dasRecht auf unbeschränkte Arbeitserlaubnisund soziale Sicherung, allerdings mit ei-ner Einschränkung: Trotz Niederlassungs-erlaubnis soll eine wohnsitzbeschränken-de Auflage erteilt werden können. DieseEinschränkung der Freizügigkeit von Kon-tingentflüchtlingen ist schon heute Praxis,wird aber im AufenthGE zum ersten Malgesetzlich festgeschrieben.

Flüchtlinge mit„vorübergehendem Schutz”

Diejenigen, die vorübergehendenSchutz als Kriegs- oder Bürgerkriegs-flüchtlinge erhalten, haben bereits heuteobwohl im Besitz einer Aufenthaltsbefug-nis einen Schutzstatus zweiter Klasse.Ihr Aufenthaltsrecht ist grundlegend sokonzipiert, dass es nach erklärter Beendi-gung der Kriegssituation entzogen wirdund die Abschiebung droht (wie dies beiBosnien und Kosovo-Flüchtlingen ge-schah). Ein Familienmitglied erhält dengleichen Status wie die aufgenommenePerson.

Hinsichtlich der Ausgestaltung desAufenthalts von Bürgerkriegsflüchtlingenwürde sich dem Gesetzentwurf zufolgenichts Wesentliches bessern: Die Betroffe-nen sollen zunächst eine Aufenthaltser-laubnis erhalten (§ 24 AufenthGE), abernur eingeschränkt arbeiten dürfen: Die in-dividuelle Vorrangprüfung, schon heutevielfach auch von Arbeitgeberseite abge-lehntes bürokratisches Hemmnis bei derArbeitssuche, soll bestehen bleiben. Alter-nativ und wohl nur in Ausnahmefällensoll eine Arbeitserlaubnis für bestimmteeinzelne Berufsgruppen / Wirtschaftszwei-ge in Betracht kommen. Darüber hinaussoll zukünftig in beiden Fällen eine regio-nale Arbeitsmarktprüfung durchgeführtwerden (§§ 4, 39 Abs. 2 AufenthG).

Wie bisher sollen Bürgerkriegs-flüchtlinge sozialrechtlich unter dasAsylbLG fallen. Aufenthaltsbeschränkungund Wohnsitzauflage sind auch weiterhinvorgeschrieben. Die nach der Regelungdes vorübergehenden Schutzes aufge-nommenen Flüchtlinge sollen über dasBundesgebiet verteilt werden. Gegen denZuweisungsbescheid etwa um zu Ver-wandten zu ziehen kann man keinen Wi-derspruch einlegen, eine Klage hat keineaufschiebende Wirkung. Dies wiegtschwer angesichts der Tatsache, dasseine Schutznorm fehlt, die sicherstellt,dass Familien nicht getrennt werden.

Eine Niederlassungserlaubnis sollerst nach Ablauf von sieben Jahren bei Er-füllung der allgemeinen Voraussetzungen(§ 9 AufenthGE) möglich sein. Es ist nachden bisherigen Erfahrungen kaum wahr-scheinlich, dass Kriegsflüchtlinge über-haupt so lange bleiben dürfen. Eine Verfe-stigung des Aufenthalts scheint demnachnahezu ausgeschlossen.

Flüchtlinge mit „ergänzendem Schutz”

Menschen, die nicht unter denFlüchtlingsbegriff der Genfer Konventionfallen, denen aber dennoch ernste Gefah-ren drohen (Folter, Todesstrafe, men-schenrechtswidriger Behandlung oder indi-viduelle Gefahr für Leib, Leben und Frei-heit), werden bislang u.a. durch völker-rechtliche Vereinbarungen (Anti-Folterkon-vention, EMRK) geschützt. Ihnen werdenim geltenden Recht nach § 53 Abschie-bungshindernisse in der europäischenTerminologie „ergänzender Schutz” zuge-standen. In der Praxis erhielten dieseMenschen zumeist nur eine Duldung, einkleiner Teil erhielt eine Aufenthaltsbefug-nis.

Diese Flüchtlinge sollen dem Ent-wurf zufolge eine Aufenthaltserlaubnis er-halten gegenüber der geltenden Kann-Be-stimmung im Ausländergesetz zunächsteine Rechtsverbesserung (§ 25 Abs. 3und § 5 Abs. 3 AufenthGE). Der Haken:„Die Aufenthaltserlaubnis wird nicht erteilt,wenn die Ausreise in einen anderen Staatmöglich und zumutbar ist.” Die Möglich-keit der Ausreise in einen Drittstaat wirdoft leichtfertig von Behörden und Gerich-ten unterstellt. Allerdings erhielten Flücht-linge mit Abschiebungsschutz nach §53AuslG in Niedersachsen auf Anordnungdes Innenministeriums bislang durchwegeine Aufenthaltsbefugnis. Man wird abwar-ten müssen, ob völkerrechtlich geschütz-ten Flüchtlingen zukünftig ein Aufenthalts-recht verweigert wird.

Auch der erlaubte Aufenthalt vonFlüchtlingen mit ergänzendem Schutz sollerheblichen Beschränkungen unterworfenwerden und deutlich hinter den Integrati-onserfordernissen dieses erwartbar dauer-haften Aufenthalts zurück bleiben: Bei Er-teilung einer Aufenthaltserlaubnis soll einFamiliennachzug nur aus völkerrechtli-chen oder humanitären Gründen oder zurWahrung der Interessen der BRD” mög-lich sein (§ 29 Abs. 3 AufenthGE). Wennder Familiennachzug überhaupt geneh-migt wird, sollen Kinder nur bis zum 14.Lebensjahr nachziehen können, danachmüssen sie Deutschkenntnisse vorwei-sen. Auch die Aufnahme einer Arbeit sollnur eingeschränkt möglich sein. Die Teil-nahme an Integrationskursen kann er-laubt werden, es besteht aber anders alsbei Flüchtlingen mit Konventionspasskein Rechtsanspruch. Die Betroffenen sol-len im Bedarfsfall Leistungen nach BSHGerhalten, aber keinen Anspruch auf Kin-der- und Erziehungsgeld oder Unterhalts-vorschuss geltend machen können. EineNiederlassungserlaubnis soll erst nach Ab-lauf von sieben Jahren unter Erfüllung der

In welchem Umfang im Rahmen von Einbürgerungsverfahren Erkenntnisse derVerfassungsschutzbehörden abgefragt werden, ist bislang Ländersache. Als Folge derTerrorismusdiskussion haben offenbar einige Länder ihre Praktiken verändert. Das In-nenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hat mit Schnellbrief vom 18. Oktober2001 an die Bezirksregierungen geregelt, dass für alle Fälle einer Ermessenseinbürge-rung gilt, dass regelmäßig abgefragt wird, ob Erkenntnisse vorliegen, die Bedenken ge-gen die beantragte Einbürgerung begründen können. Bei Anspruchseinbürgerungenist die Regelanfrage auf die Angehörigen der nachfolgenden Staaten beschränkt:

„Afghanistan, Ägypten, Albanien, Algerien, Bahrain, GUS-Staaten (nur: Armeni-en, Aserbaidschan, Georgien, Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Turkmenistan, Us-bekistan und Russland beschränkt auf tschetschenische Volkszugehörige); Indonesi-en, Irak, Iran, Jemen, Jordanien, Katar, Kuwait, Libanon (einschl. ungeklärter Staatsan-gehörigkeitsfälle aus dem Libanon), Libyen, Malaysia, Marokko, Mauretanien, Nigeria,Oman, Pakistan, Saudi Arabien, Somalia, Sudan, Syrien, Tunesien, Vereinigte Arabi-sche Emirate.“

Aus dieser Liste, die aussieht, als hätte sie Peter Scholl-Latour verfasst, ergibtsich das aktuelle Bedrohungsszenario. „Eine Entscheidung über die Einbeziehung derTürkei bleibt vorbehalten“, so der NRW-Erlass.

Wir sind für Informationen dankbar, ob diese nordrhein-westfälische »Schurken-staatenliste« in anderen Bundesländern anders aussieht.

Pro Asyl, Frankfurt, e-Mail: [email protected]

______________ Einwanderung ______________11

Februar 2002 Flüchtlingsrat SH Der Schlepper Nr. 17

Page 12: s17_gesamt

allgemeinen Voraussetzungen erteilt wer-den können. Dazu zählt u.a. die fünfjähri-ge versicherungspflichtige Beschäftigungeine Maßgabe, die angesichts der einge-schränkten Arbeitserlaubnis für viele uner-füllbar sein dürfte. Abgesehen davon gibtes im Gesetzentwurf keine Klarstellung,dass der Besitz einer beschränkten Ar-beitserlaubnis als Voraussetzung für dieErteilung einer Niederlassungserlaubnisnach § 9 Abs.2 Nr. 5 überhaupt ausreicht.

Flüchtlinge mit sonstigen Abschie-bungshindernissen

Viele Flüchtlinge werden nicht alsFlüchtlinge anerkannt, können aber ausden verschiedensten Gründen nicht aus-reisen und bleiben bislang als „Gedulde-te” über Jahre im Land. Sie werden auchin Zukunft die aufenthalts- und sozialrecht-lich am schlechtesten gestellten Personensein. Zusätzlich wird innerhalb dieses Per-sonenkreises weiter differenziert zwi-schen denjenigen, die auch nach behördli-cher Einschätzung nicht ausreisen kön-nen, und denjenigen, die angeblich nichtausreisen wollen oder ihre Ausreise garvorsätzlich verhindern – eine fragwürdigeUnterscheidung.

Nach § 25 Abs. 4 AufenthGE sollzukünftig eine Aufenthaltserlaubnis erteiltwerden können, wenn dringende humani-täre oder persönliche Gründe oder „erheb-liche öffentliche Interessen” dies erfor-dern. Damit sollen, so steht in der Begrün-dung, z.B. Menschen, die krank sind, diekranke Familienangehörige betreuen oderdie einen Schulabschluss machen, einenAufenthaltstitel erhalten. Bislang wurdensie häufig nur geduldet. Allerdings ist die-se Regelung für einen vorübergehendenAufenthalt” (Gesetzestext) konzipiert. Nun-mehr liegt also ein legaler Aufenthalt vor,der aber kaum als gesichert gelten kann,da er seiner Natur nach als vorüberge-hend begriffen wird. Eine Verlängerungder Aufenthaltserlaubnis kommt grund-sätzlich dann in Betracht, wenn die Ausrei-se eine außergewöhnliche Härte” bedeu-ten würde.

Kaum besser wird wohl auch dasAufenthaltsrecht derjenigen sein, die zu-künftig eine Aufenthaltserlaubnis nach §25 Abs. 5 AufenthGE erhalten. Diese Auf-enthaltserlaubnis soll erteilt werden kön-nen, sofern die Ausreise aus rechtlichenoder tatsächlichen Gründen unmöglich”

ist. Diesen Nachweis zu erbringen dürftefür viele Flüchtlinge jedoch gar nicht mög-lich sein. Zu häufig unterstellen Ausländer-behörden oder Gerichte, dass zwar eineAbschiebung nicht durchführbar, gleich-wohl aber die freiwillige” Ausreise z.B.über Drittstaaten möglich ist. Das Bundes-innenministerium hat beispielsweise nochvor einem Jahr die Ausreise nach Afghani-stan - ggfs. über Pakistan - ausdrücklichfür möglich erklärt.

Darüber hinaus besteht für die Er-teilung einer Aufenthaltserlaubnis nach 25Abs. 4 oder 5 AufenthGE eine weiterewichtige Hürde: Flüchtlinge, deren Asylan-trag als offensichtlich unbegründet” nach§ 30 Abs. 3 AsylvfG abgelehnt wurde,sind per se von der Erteilung einer Aufent-haltserlaubnis ausgeschlossen (§ 10 Abs.3 AufenthGE). Der Anteil der o.u.-Flücht-linge an allen abgelehnten Asylbewerbernbetrug bis Januar bis Oktober 2001 rund37%. Wie viele Anträge davon nach Ab-satz 3 abgelehnt wurden, lässt sich nichtsicher sagen. Klar ist aber, dass es einennicht geringen Teil treffen wird, und dassdie Ausschlussklausel des § 10 Abs. 3 Au-fenthGE für die Betroffenen weitreichendeFolgen haben würde. Dies betrifft z.B. Kin-der, deren Asylanträge aufgrund altersge-mäßer Darstellungsschwierigkeiten ihresVerfolgungsschicksals als unsubstantiiert”abqualifiziert und deshalb als offensicht-lich unbegründet abgelehnt werden.

Fraglich ist darüber hinaus, inwie-fern Flüchtlingen eine Aufenthaltserlaub-nis unter Berufung auf den Versagungs-grund des Sozialhilfebezugs verweigertwird. Die diesbezügliche Regelung (§ 5Abs. 1 und 3 AufenthGE) soll jedoch ge-genüber dem geltenden Recht leichtgelockert und als Ermessensentschei-dung geregelt werden. In der Gesetzesbe-gründung wird ausgeführt, dass die Ertei-lung u.a. dieses Aufenthaltstitels typischer-weise nicht von der Einhaltung aller Vor-aussetzungen des § 5 abhängig gemachtwerden” kann.

Sofern Flüchtlinge trotz aller Wi-drigkeiten eine Aufenthaltserlaubnis nach§ 25 Abs. 4 oder 5 AufenthGE erhaltensollten, hätten sie kaum Grund aufzuat-men. Denn mit Blick auf die Lebensbedin-gungen wird deutlich, dass abgesehenvon der Erteilung eines legalen Aufent-haltstitels eine Verbesserung der Lebens-lage gegenüber den bislang Geduldeten”nicht vorgesehen ist:. Die Betroffenen sollen nur unter einge-

schränkten Bedingungen eine Arbeitser-laubnis erhalten (Vorrangprüfung plusregionale Arbeitsmarktprüfung oder Ar-beitserlaubnis für einzelne Berufsgrup-pen / Wirtschaftszweige plus regionaleArbeitsmarktprüfung, §§ 4, 39 Abs. 2AufenthGE).. Trotz Aufenthaltserlaubnis ist grundsätz-lich die Möglichkeit vorgesehen, denAufenthalt räumlich zu beschränken(§12 Abs. 2), also z.B. die Wohnsitznah-

GnadenrechtNach dem Gesetzentwurf zur Zuwanderung soll gemäß Artikel 3, Nr. 4a des Zu-

wanderungsgesetzes die Weisungsunabhängigkeit der Einzelentscheider, als derjeni-gen Mitarbeiter des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, wel-che über Asylanträge entscheiden, entfallen. Hierzu erlaube ich, Einzelentscheiderbeim Bundesamt, mir einige kurze Bemerkungen:

Durch den Wegfall der Weisungsunabhängigkeit wird aus dem Asylrecht aufder Ebene der Verwaltung überspitzt formuliert, im Kern ein Gnadenrecht; die beab-sichtigte Neuregelung wird zu einer sowohl nach außen als auch nach innen wirken-den massiven Entwertung der Verfahren führen.

Mit dem Wegfall der Weisungsunabhängigkeit wird den Antragstellern eine un-abhängige Instanz genommen; der asylrechtliche Schutz wird, zumindest ein Stückweit, in das Belieben der jeweiligen Regierung und deren Interessen gestellt. Mankann sich doch schon jetzt vorstellen, wie groß die Empörung derjenigen, welche dieoben genannte Regelung auf den Weg bringen, sein wird, wenn eines Tages unter ge-änderten politischen Verhältnissen die ministeriellen Vorgaben ganz andere sein wer-den als die von der aktuellen Regierung zu erwartenden.

Ebenso gewichtig werden die zu erwartenden Auswirkungen der geplanten ge-setzlichen Regelung innerhalb des Amtes sein, zumal bereits jetzt, im Hinblick auf diesteigende Zahl anhängiger Verfahren und unter Bezugnahme auf neue Vorgaben, Ge-schäftsverteilungspläne, in welchen die Anhörungszahlen auf ein leidlich vertretbaresMaß begrenzt wurden, aufgehoben werden; es werden Anhörungszahlen, unabhängigvon den Herkunftsländern der Antragsteller vorgegeben, welche, nicht selten, nurschwerlich ein faires Verfahren zulassen. Diese Ausführungen sollen veranschauli-chen, was passieren wird, wenn die Grenze der Weisungsunabhängigkeit fällt. Andersformuliert: Allein die Weisungsunabhängigkeit sichert halbwegs faire Verfahrensbedin-gungen, und zwar sowohl für die Antragsteller als auch für die Entscheider. (...)

Wenn man davon ausgeht, dass es für den Gesetzgeber, zumindest auch, hi-storische Gründe gab, die Weisungsunabhängigkeit der Einzelentscheider, zuvor derAnerkennungsausschüsse, zu installieren, fragt es sich, wodurch und weshalb dieseGründe entfallen sein sollen, es fragt sich, weshalb nicht irgendeine frühere Regierungauch nur ansatzweise auf die anscheinend so nahe und offen auf der Hand liegendeIdee kam, die Weisungsunabhängigkeit entfallen zu lassen.

Leserbrief von Manfred Grünebaum, Frankfurt am Main,aus FR 15.11.01 zu „Koalition einig bei Zuwanderung“ (FR vom 3 . November 2001)

12______________ Einwanderung ______________

Der Schlepper Nr. 17 Flüchtlingsrat SH Februar 2002

Page 13: s17_gesamt

me im Bundesland X vorzunehmen. Diesist bereits teilweise Praxis. Theoretischdenkbar wäre aber auch, die alltäglicheBewegungsfreiheit auf einen engen Ra-dius einzugrenzen.. Ein Familiennachzug soll Personen mitAufenthaltserlaubnis nach 25 Abs. 4oder 5 AufenthGE sogar ausdrücklichausgeschlossen sein.. Es soll weder Kinder- noch Erziehungs-geld, BAföG oder sonstige soziale Lei-stungen geben. Stattdessen soll dasAsylbewerberleistungsgesetz den schä-bigen Standard zum Leben setzen, waseine dramatische Schlechterstellungdes betroffenen Personenkreises zurFolge hätte: Sofern diesen Gruppen bis-her eine Aufenthaltsbefugnis zugebilligtwird, haben sie Anspruch auf Leistungennach BSHG. Nun bezieht der Gesetzes-entwurf erstmalig auch solche Perso-nengruppen ein, die unbestrittenerma-ßen legal in Deutschland leben. Die ein-zige dem AsylbLG unterworfene Gruppemit einer Aufenthaltsgenehmigung wa-ren bislang die Bürgerkriegsflüchtlingefür die Dauer des Krieges”. Hier wird dieDiskriminierung eines Bevölkerungsteilsstrukturell verfestigt. Ihr Ausmaß mussinsbesondere dann Sorgen machen,wenn man daran denkt, welche Auswei-tung der Sonderbehandlung über dasAsylbLG in Zukunft noch denkbar ist.. Auch die Hoffnung auf eine Aufenthalts-verfestigung ist getrübt: Personen mitAuenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4und 5 AufenthGE sollen frühestens nach7 Jahren unter den allgemeinen Voraus-setzungen eine Niederlassungserlaub-nis erhalten können, wobei die Zeit desAsylverfahrens auf die Frist angerechnetwerden soll. Aufgrund der eingeschränk-ten Arbeitsgenehmigung ist dies eineHürde: Der heute für viele Geduldeteexistierende Teufelskreis ohne Arbeitkeine Aufenthaltsgenehmigung ohneAufenthaltsgenehmigung keine Arbeit”wird, so ist zu befürchten, nun auf formalhöherer Aufenthaltsstufe fortgeführt.Hinzu kommt auch hier, dass im derzei-tigen Entwurf noch nicht eindeutig klar-gestellt ist, dass eine eingeschränkte Ar-beitserlaubnis für den Erhalt einer Nie-derlassungserlaubnis überhaupt aus-reicht.

Flüchtlinge ohne Aufenthaltsrecht

Nach dem Gesetzentwurf soll dieDuldung abgeschafft und durch eine sogenannte „Bescheinigung über die Ausset-zung der Abschiebung“ (§ 60 Abs.11 Au-fenthGE) ersetzt werden. Damit würdendie Betroffenen zwar nicht zu „Papierlo-sen”, dennoch würden die Personen mit„Bescheinigung” zukünftig sogar unterden Status Quo rutschen.

Weiterhin sollen die Betroffenenfür mindestens drei Jahre den diskriminie-renden Leistungskürzungen und Be-schränkungen des Asylbewerberleistungs-gesetzes unterworfen bleiben. Nach dreiJahren sollen die Leistungen analogBSHG umgestellt werden, wenn die Be-troffenen die Dauer des Aufenthalts nichtrechtsmissbräuchlich selbst beeinflussthaben”. Für diejenigen, denen dieserMissbrauch unterstellt wird, sollen die ein-geschränkten Leistungen nach §§ 3-7AsylbLG künftig unbefristet gelten. Aller-dings dürften sie bereits unter § 1aAsylbLG fallen, so dass eine Angleichungan BSHG ohnehin verweigert wird. Füralle, die die „normalen” Grundleistungennach §§3-7 AsylbLG bekommen, dürftesich die Angleichung an BSHG nach dreiJahren zum Automatismus entwickelneine leichte Verbesserung gegenüber dergeltenden Gesetzeslage, die an der Ge-samtsituation jedoch nur wenig ändert.

Flüchtlinge mit „Bescheinigung”sollen künftig einem totalen Arbeitsverbotunterliegen (ergibt sich aus § 4 Abs.3 Au-fenthGE). Die halbherzige Lockerung desArbeitsverbots vor einem Jahr würde

durch die neue Regelung wieder zunichtegemacht. Die Residenzpflicht soll ver-schärft werden: Die vielfach kritisierte,überflüssige Regelung, die die Bewe-gungsfreiheit von Asylsuchenden auf ei-nen kleinen Radius (i.d.R. kreisfreieStadt/Kreis) begrenzt, soll in aller Härteauf diejenigen ausgeweitet werden, dienur noch über eine „Bescheinigung” verfü-gen. Geduldete können sich bislang im-merhin innerhalb des Bundeslandes freibewegen.

Darüber hinaus soll gesetzlich fi-xiert werden, was einige Bundesländer be-reits erproben: Flüchtlinge, denen manz.B. aufgrund fehlender Papiere falscheAngaben zur Identität unterstellt, müssenin Sammellagern – sog. „Ausreisezentren”leben, in denen eine intensive „soziale Be-treuung” Flüchtlinge zur Ausreise nötigensoll. Dies kann ausdrücklich auch Kinderund Traumatisierte treffen, wie aus derGesetzesbegründung (S.199) hervorgeht.Die bisherige Erfahrung zeigt, dass vieleFlüchtlinge zu Unrecht in Ausreisezentrenlanden. Psychische Zermürbung ist dieTaktik und Flucht in die Illegalität daskaum verhohlene Ziel der „Ausreisezen-

Das Fremdenabwehrrecht wirdfortgeschrieben

Kirchliche Einrichtungen lehnen das geplante Zuwanderungsgesetz ab

Der nordelbische Arbeitskreis Asyl in der Kirche und die Arbeitsgemeinschaftder kirchlichen Flüchtlingsarbeit in Hamburg lehnen den gegenwärtigen Gesetzentwurffür ein Zuwanderungsgesetz ab.

Für die in Deutschland Schutz suchenden Flüchtlinge sieht das Gesetz erheb-lich mehr Verschlechterungen als Verbesserungen vor. Weder ist sicher gestellt, dassSchutzbedürftige wirklich Schutz finden, noch dass sie in die Gesellschaft integriert

werden.Der von der Zuwanderungskommission empfohlene Paradigmenwechsel vom

“Fremdenabwehrrecht” zu weltoffenen Zuwanderungsregelungen, wie sie für das 21.Jahrhundert erforderlich sind, ist im neuen Zuwanderungsgesetz nicht zu erkennen.Es ist zu befürchten, dass im bereits beginnenden Wahlkampf das Thema Zuwande-rung missbraucht wird, um Fremdenangst zu schüren und den Gesetzentwurf nochweiter zu verschärfen.

Statt ein mit der “heißen Nadel” gestricktes Gesetz mit all seinen Unzulänglich-keiten in großer Hast einzuführen, sollte die schwierige Materie sorgfältig beraten wer-den und die begonnene Auseinandersetzung mit den von Kirchen, Wohlfahrtsverbän-den, Flüchtlingsorganisationen, UNHCR, Arbeitgebern und Gewerkschaften vorge-brachten Änderungsvorschlägen wieder aufgenommen werden.

Nordelbischer Arbeitskreis Asyl in der KircheFluchtpunkt, kirchliche Hilfsstelle für Flüchtlinge

Flüchtlingsarbeit des Kirchenkreises NiendorfFlüchtlingsarbeit des Kirchenkreises Stormarn

Flüchtlingsarbeit des Kirchenkreises HarburgDiakonisches Werk Hamburg, Fachbereich Migration

Hamburg / Schleswig-Holstein, 17. Januar 2002

______________ Einwanderung ______________13

Februar 2002 Flüchtlingsrat SH Der Schlepper Nr. 17

Page 14: s17_gesamt

tren” (§ 61 Abs. 2 AufenthGE). Dass die-se schäbige Taktik funktioniert, zeigen dieErgebnis der Modellprojekte in Nieder-sachsen (ZASten in Braunschweig und Ol-denburg) und Rheinland-Pfalz (Ingel-heim). Nur eine geringe Zahl von Flüchtlin-gen wurde aus den Ausreisezentren abge-schoben, aber ein sehr großer Teil zogdas Leben in der Illegalität dem psychi-schen Druck der Ausreisezentren vor.

Illegalisierte

Für Illegalisierte soll es entgegenden Empfehlungen der Zuwanderungs-kommission und des Beschlusses des EU-Ministerrats keinerlei Erleichterungen ge-ben. Vor allem ist keine „Amnestie” oder„Schlusstrichregelung” wie in anderen eu-ropäischen Staaten vorgesehen. Nicht ein-mal die Aufhebung der Meldepflicht vonSchulen und die Straflosigkeit von humani-tärer Flüchtlingshilfe für Illegalisierte sindim Gesetzesentwurf berücksichtigt. MitBlick auf die neu eingeführte Klausel zurSchaffung von sog. Ausreisezentren istsogar damit zu rechnen, dass die Zahl derin Deutschland „illegal” lebenden Men-schen steigen wird.

Übergangsregelungen

MigrantInnen haben Anspruch aufVertrauensschutz: Wer bereits hier ist,soll seinen Aufenthalt nach den Bestim-mungen des alten Ausländergesetzes ver-festigen können. Dabei ist es unerheblich,ob eine Aufenthaltsberechtigung odereine Aufenthaltsbefugnis vorliegt. Im Be-reich der Aufenthaltsverfestigung dürftees für die bereits hier lebenden MigrantIn-nen also keine Verschlechterungen geben.

Ein kleines Feigenblättchen derVernunft gibt es auch im Arbeitsbereich:Diejenigen, die vor Inkrafttreten des Ge-setzes eine Arbeitserlaubnis oder Arbeits-berechtigung erhielten, sollen diese nachInkrafttreten des Gesetzes behalten kön-nen. Pech haben freilich die nachkommen-den Flüchtlingsgenerationen und diejeni-gen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretensgerade keine Arbeit haben. Dramatisch istdies insbesondere für diejenigen, die heu-te nach der Härtefallregelung eine Arbeits-berechtigung beanspruchen können, alsoz.B. Traumatisierte, deren Anträge aberzum Zeitpunkt des Inkrafttretens nochnicht bearbeitet bzw. entschieden sind.

Fazit

Erklärtes Ziel der Bundesregierungist die Erleichterung, Steuerung und Be-grenzung der Zuwanderung entsprechenddem ökonomischen Interesse der Bundes-republik. Entsprechend ermöglicht der Ge-setzentwurf eine gezielte Anwerbung vonHochqualifizierten und sonstigen Fachkräf-ten, deren Beschäftigung im ökonomi-schen Interesse der Bundesrepublik liegt.Zu den privilegierten Gruppen werden zu-künftig auch Studierende gehören. Aufder anderen Seite schafft der Entwurf dieGrundlagen für eine noch schärfere Aus-grenzung und Diskriminierung solcher Mi-grantInnen und Flüchtlinge, die ohne offizi-elles Visum nach Deutschland gekommensind, und denen nach Auffassung der Poli-tik eine Rückkehr in ihr Herkunftsland zu-gemutet werden kann.

Die proklamierte Zielsetzung derBundesregierung, die Integration dauer-haft aufhältiger Ausländer” zu verbessern,wird deutlich verfehlt: Tatsächlich werdennur die Bedingungen für Konventions-flüchtlinge spürbar verbessert. Asylberech-tigte müssen sogar eine deutlicheSchlechterstellung in Kauf nehmen. Auchdie Personen mit Aufenthaltsbefugnisohne Flüchtlingsstatus haben dem Ent-wurf zufolge zukünftig eher schlechtereLebensbedingungen. Viele derzeit gedul-dete Flüchtlinge werden aufgrund forma-ler Ausschlussklauseln auch weiterhin kei-ne Chance auf ein formalrechtlich legalesAufenthaltsrecht erhalten. Wer es dochschafft, eine Aufenthaltserlaubnis zu be-kommen, wird durch Beschränkungen beider Arbeitsaufnahme, Wohnsitzauflagen,räumliche Beschränkungen des Aufent-halts, Ausschluss von Kinder- und Erzie-hungsgeld, und vor allem durch die An-wendung des AsylbLG weiterhin diskrimi-niert. Die strukturelle Ausgrenzung von an-erkanntermaßen legal in Deutschland le-benden Menschen ist in diesem Ausmaßneu und zeugt einmal mehr von derScheinheiligkeit bundesdeutscher Zuwan-derungspolitik”. Über das vom BMJ am3.12.2001 angekündigte Gesetz zur Ver-hinderung von Diskriminierungen im Zivil-recht” kann man in diesem Kontext nurmüde lächeln.

Mehr Informationen:www.frsh.de/meldung.html

Seminarreihe

Fit für FlüchtlingeQualifizierung von Freiwilligen

Viele Menschen möchten gern konkret helfen, wenn sie hören, wie schwie-rig die Situation für Flüchtlinge z.B. aus Afghanistan, aus Togo, aus dem Iran, ausTschetschenien und vielen anderen Ländern ist. Angesichts einer schwierigen Ge-setzeslage und anderer Hindernisse fühlen sie sich aber häufig zu unsicher, umsich tatsächlich an die Begleitung von Flüchtlingen heranzuwagen. Darum bestehtmit der Reihe „Fit für Flüchtlinge“ die Möglichkeit, sicher und kompetent zu werdenund Schritte in die Praxis zu wagen.

. 5./6. April: Begehung der Ausländerbehörde Hamburg, Konflikttraining, Hand-lungsfelder der Alltagsbegleitung am Beispiel Wohnsituation, Übersicht zu Institu-tionen und Rechtsfragen, interkulturelle Kommunikation

. 31. Mai / 1. Juni: Abbrüche, Ausstiege, Abschiebungen, Abtauchen. Handlungs-felder der Alltagsbegleitung am Beispiel Arbeitsrecht, Schule, Ausbildung. Reflek-tion der eigenen Arbeit. Fallbesprechungen

. 1./2. November: Neues Zuwanderungsgesetz. Reflektion und Auswertung.Ausblicke. Was noch fehlt. Zertifikate.

Info/Anmeldung: Diakonisches Werk Hamburg, Tel. 040 / 306 20-227, Fax -340e-Mail: [email protected]

14______________ Einwanderung ______________

Der Schlepper Nr. 17 Flüchtlingsrat SH Februar 2002

Page 15: s17_gesamt

Vortrag am 1. Oktober 2001 im

Kieler Landeshaus auf Einladung des

Flüchtlingsrats Schleswig Holstein

Ich komme gern nach Kiel dennich erinnere mich sehr gut daran, dassSchleswig Holstein 1990 als erstes Landneben Hamburg ein kommunales Auslän-derwahlrecht einrichten wollte, was be-kanntlich am Bundesverfassungsgerichtscheiterte. Und dieses Bundesland habeich schon mehrmals als vergleichsweise li-berale Adresse für Asylbewerber empfoh-len. Doch erinnern sie sich an so mancheFlüchtlingstragödie, die sich auch hier inSchleswig-Holstein abgespielt hat, so wirddeutlich, dass sich keine Region im Wind-schatten der großen Entwicklungen undKatastrophen aus den Konflikten heraus-halten kann. Ich bin allerdings nicht derweitverbreiteten Ansicht, dass nach demapokalyptischen Terroranschlag vom 11.September die Welt eine grundsätzlich an-dere geworden ist, die nun auch grund-sätzlich neu zu denken sei. Sie ist soziemlich die alte geblieben, wenn sichauch einige Tendenzen deutlich zuge-spitzt haben und damit ihre Gefahren undBedrohungen sichtbarer geworden sind.Das gilt nicht nur für unsere Gesellschaft,sondern auch für diejenigen, deren Tagwir heute begehen, die Flüchtlinge. Dennes zeigt sich schon heute, dass die Kata-strophe nicht nur Energien zur Sicherungder Zivilisation und Humanität freisetzt,sondern auch dazu benutzt wird, alte Stig-matisierungen, Feinderklärungen, Aus-grenzungen und Selektionen von Auslän-dern neu zu beleben.

Die Diskussion ist gespalten, wider-sprüchlich, mitunter verlogen, zwischenhumanitärer Geste und ökonomischemNutzenkalkül eingeklemmt. Eine Diskussi-on des Übergangs in einer Zeit, in dersich eine Gesellschaft ein neues Verständ-

nis im Umgang mit ihren Ausländern erar-beiten muss. Denn was Jahrzehnte langgegen die anschwellende Realität hartnäk-kig abgewehrt wurde, ist von dieser nunendgültig überrollt worden: aus Deutsch-land als Gastland ist definitiv ein Einwan-derungsland geworden. Doch die Duldungeines Begriffs bedeutet noch lange nicht,dass auch die mit ihm verbundenen Auf-gaben und Verpflichtungen akzeptiert wer-den. Gesellschaftlicher Wandel deutetsich in neuen Begriffen an, verwirklichtsich in ihnen aber nicht. Vielmehr drohtdie positive Assoziation von „Ein- und Zu-wanderung“ sich nur auf den hochqualifi-zierten, sofort produktiven und pflegeleich-ten Ausländer mit grünen oder blauen Kar-ten zu konzentrieren. Was ist mit den an-deren Ausländern, den Flüchtlingen, er-streckt sich auch auf diese Fremden derSinneswandel einer Nation?

Ist Deutschland auch ein Flücht-lingsland? Als ein solches wollte es derParlamentarische Rat seinerzeit durchArt. 16 im Grundgesetz definieren. Diessollte ein für die europäische Verfassungs-kultur einmaliges humanitäres Bekenntnisbleiben aber dann doch kaum ein halbesJahrhundert dauern. Und die Beseitigungdes Asylgrundrechts durch den sog. Kom-promiss von 1993 war wiederum nur dieAnpassung eines Begriffes an die in denletzten Jahrzehnten gewandelte Einstel-lung gegenüber in ein „gegen“ Ausländer.Nicht gegen den wohlhabenden, sozial-und kulturverwandten, d. h. westlichenAusländer, sondern gegen den armen,verfolgten, kulturfremden und sozial ent-wurzelten Ausländer, den Flüchtling, dernichts bringt sondern lediglich um Hilferuft. Es ist zwar richtig, dass Deutschlandsoviel Bosnien-Flüchtlinge wie kein ande-res Land in Europa aufgenommen hat,aber in der Aufnahme von Flüchtlingeninsgesamt im Verhältnis zu der Zahl derEinwohner nimmt es nur einen der hinte-ren Plätze ein. Dies ist die bewusste Fol-ge einer Flüchtlingspolitik, die bereits seitden siebziger Jahren immer stärker aufAbschottung und Abschreckung, auf Ab-weisung denn auf Aufnahme ausgerichtetist. Asyl- und Flüchtlingsfragen wurdenbei den Schengener Verhandlungen, diedie Binnengrenzen in Europa aufheben

sollten, stets mit Terrorismus und Drogen-schmuggel verbunden und werden seit-dem als Sicherheitsproblem behandelt.Schon 1983 hatte der sog. Toscani Be-richt des UN-Flüchtlingskommissars be-funden, dass in der Bundesrepublik, vergli-chen mit dem übrigen Europa, „einzigarti-ge Abschreckungsmaßnahmen gegenAsylbewerber zum Tragen gebracht wer-den“ trotz eines noch unangetastetenAsylgrundrechts.

Doch die Tendenz ist in Europadie gleiche: Aus dem Prinzip derAbschreckung gegen den Kommunismusist nach dessen ideologischem und staatli-chem Zerfall die Abschreckung der Asy-lantenflut und aus der Berliner Mauer dieSchengener Mauer um Europa geworden.Alle politischen Erklärungen über die „Har-monisierung des europäischen Asylrechtsauf der Basis der Genfer Flüchtlingskon-vention“ haben bisher vor allem Abwehr-maßnahmen hervorgebracht, die demGeist dieses Abkommens von 1951 Hohnsprechen. Die zahlreichen Feiern undSymposien zu Ehren ihres 50. Jahresta-ges haben die Errungenschaften diesereinzig verbliebenen Magna Charta derFlüchtlinge ausgiebig gewürdigt und ihreGefährdungen nicht verschwiegen. Aberdie Situation ist dramatischer für dieFlüchtlinge, im Ernstfall ist sie in Europaund der Welt soviel wert wie die leere Hül-se des Art. 16 GG in Deutschland. Wer er-wähnt schon, dass die Bundesrepublik inden letzten zehn Jahren ihren Beitragzum Haushalt des UNHCR von 60, 9 Mio.US-Dollar (1991) auf 14, 2 Mio. US-Dollar(2001) gekürzt hat? Wer erinnert sichnoch der Mobilmachung in Süditalien, alsvor genau 10 Jahren im August 1991 einbis über den Rand mit Flüchtlingen aus Al-banien gefülltes Schiff in Bari landete?Die Soldaten jagten sie durch die Straßender Stadt und kasernierten sie imSportstadium. Selbst Kriegsgefangenehätten nach den Genfer Konventioneneine bessere Behandlung verlangen kön-nen die Genfer Flüchtlingskonvention warfaktisch aufgehoben und der Anspruchauf Asyl in einen Krieg gegen die Flüchtlin-ge verwandelt. Die Konvention bestand of-fensichtlich auch nicht für den Führer derkurdischen Arbeiterpartei PKK Abdullah

Tag des Flüchtlings:

50 Jahre Genfer

FlüchtlingskonventionNorman Paech

Norman Paech ist Professor für öffentlichesRecht an der Hochschule für Wirtschaft undPolitik, Hamburg.

______________ Tag des Flüchtlings______________15

Februar 2002 Flüchtlingsrat SH Der Schlepper Nr. 17

Page 16: s17_gesamt

Öcalan, als dieser in Europa um Asylnachsuchte der klassische Fall einesAsylsuchenden nach der Genfer Konventi-on. Er wurde systematisch vertrieben undden Fängen seiner Verfolger ausgeliefert.

Dieses sind gewiss nur Einzelfälle,die jedoch die Haltung und den Geist illu-strieren, die in Ernstfällen sich um keineKonvention kümmern und zu radikalenMitteln der Abwehr greifen lassen. Vor die-sem Exzess der Mittel und dem Absturzder Flüchtlingspolitik in die Barbarei liegtaber ein Kontinuum an Maßnahmen, dassich gesetzlich oder verwaltungstechnischauf der schiefen Ebene zwischen frühemhumanitären Gelöbnis (Art. 16 GG, GFKv. 1951) und Schengener Festungsmauerbewegt und immer weiter abzugleitendroht. Die neue Einwanderungsdebattemüsste diesem negativen Trend entge-genwirken, den Blick auf den Ausländerund seine positive Rolle in unserer Gesell-schaft schärfen sowie unsere Verantwor-tung für die Flucht- und Migrationsbewe-gungen aktivieren aber es gibt Anzei-chen, dass sie diese Aufgabe nicht nurnicht leistet, sondern ihr auch entgegenar-beitet. Die aktuellen Forderungen nachRasterfahndung, Regelanfrage bei denNachrichtendiensten, nach generellem Ab-gleich der Daten der Sicherheitsbehördenmit Daten von Flüchtlingen und politischVerfolgten, nach Einschränkung des Da-tenschutzes sind keine guten Rahmenbe-dingungen für die Beratungen des neuenGesetzentwurfes.

In der neu belebten Diskussiongibt es zwei Hypotheken aus der altenAusländerdebatte, für deren Überwindungund Abtragung ich auch heute kaum An-sätze sehe: Zum einen ist der Ausländernicht nur der Fremde, was ja korrekt ist,sondern in der höflichen Variante der zeit-weise Gast, was aber allenfalls für Touri-sten, Studierende und Zeitarbeitskräfte zu-trifft. In dem offiziellen wie öffentlichen Be-wusstsein wird die Tatsache, dass auslän-dische Arbeitskräfte, die man hierher ge-beten hat, auch in diesem Land eine lang-fristige familiäre Zukunft entwickeln kön-nen, immer noch in erster Linie als Bedro-hung empfunden. Deshalb heißt auch derneue Entwurf zu einem Einwanderungsge-setz aus dem Bundesinnenministeriumnicht etwa „Gesetz über die Aufnahmeausländischer Bürgerinnen und Bürger“,sondern „Gesetz zur Steuerung und Be-grenzung der Zuwanderung und zur Rege-lung des Aufenthalts und der Integrationvon Unionsbürgern und Ausländern“.Zwar hat man begriffen, dass wir sowohlaus demografischen wie ökonomischenund rententechnischen Gründen unab-dingbar und langfristig auf eine Vielzahlneuer Bürgerinnen und Bürger angewie-sen sind Wirtschaftsinstitute, Unterneh-men und Politiker sprechen von einemjährlichen Bedarf von 400 000 bis 600

000 Arbeitnehmern -, und spricht von le-benslanger Zuwanderung. Aber man willnur Leute aufnehmen, „die wir brauchen“und möchte sie auf jederzeit verfügbareKontingente und zurückschickbare Paketebegrenzen, um sie in einem permanentenRotationsprozess fortlaufend zu erneuern,zu verjüngen und ihnen damit jeden Hangzur Sesshaftigkeit und Ruhe zu nehmen.Nur eine exklusive Minderheit jene hoch-qualifizierten Spezialkräfte - soll in denGenuss eines unbeschränkten Aufenthal-tes einschließlich Familie kommen. DasFußvolk der Arbeitskräfte, der gemeine Ar-beitsmigrant erhält nur eine befristete Auf-enthaltserlaubnis, die sogar bei Änderungder Arbeitsmarktlage vorzeitig widerrufenwerden kann. Es scheint mir unklar, obdieses forcierte Maß an Mobilität und Fle-xibilität wirklich den Interessen der deut-schen Wirtschaft, an denen dieser Ent-wurf vor allem ausgerichtet ist, entspricht.Noch größere Zweifel habe ich aber dar-an, ob dieses Konzept überhaupt auf dieBedürfnisse der meisten neuen Arbeits-kräfte eingeht. Man entbürokratisiert undverschlankt, d.h. modernisiert das alte Ge-setz, hat dabei aber das alte Gastarbeiter-konzept der sechziger Jahre immer noch

im Kopf. Nichts anderes spricht aus denWorten des Bundesinnenministers von An-fang August: „ Durch ein modernes Zu-wanderungsrecht Deutschlands Wettbe-werbsfähigkeit sichern, Arbeitsplätzeschaffen und die Zukunft gestalten; zu-gleich die Zuwanderung begrenzen, illega-le Zuwanderung bekämpfen und den Miss-brauch des Asylrechts entgegen wirken.“Selbst der nützliche Ausländer, die pro-duktive Arbeitskraft, wird so auf seine zeit-weise Verwertbarkeit reduziert, so dassdahinter der vitale Mensch mit seinem po-sitiven Beitrag für die Kultur und das so-ziale Leben der neuen Gesellschaft totalverschwindet.

Der „Ausländer als Gast“ enthältaber noch eine zweite Hypothek, die wieein unverrückbarer Balken im Auge derPolitik wirkt. Das große Konzept nicht nurdes ursprünglichen GG sondern auch derGFK, dass ein politisch Verfolgter, einFlüchtling vor politischer, rassischer oderreligiöser Verfolgung einen Anspruch aufAsyl hat, gleichgültig ob er willkommen istoder nicht, wird nach wie vor dem perma-nenten Verdacht des Missbrauchs ausge-setzt und faktisch zunehmend ausgehöhlt.

EINLADUNGMitarbeiter der Infostelle aus

dem Kosovo zu BesuchDas DIAKONISCHE WERK HAMBURG und der FLÜCHTLINGSRAT

SCHLESWIG-HOLSTEIN laden ein zu einem Informationsgespräch mit

Herrn Driton Mustafa,

Mitarbeiter der Informationsstelle von Diakonie

und Caritas in Pristina

am Montag, den 4.2.2002, um 15 Uhr

bei „woge e.V.“, Bahrenfelder Str. 244, 22765 Hamburg-Altona.

Driton Mustafa besucht verschiedene Beratungsstellen in Deutschland. Er istan einem Austausch über die Arbeit mit Flüchtlingen aus dem ehemaligen Jugosla-wien interessiert. Für die Arbeit der Infostelle Pristina ist es wichtig, die Fragen undRecherche-Wünsche der Berater/innen in Deutschland kennenzulernen, um sie inden regelmäßigen Berichten über die Situation vor Ort zu berücksichtigen.

Wir freuen uns auf Ihre Teilnahme!

Weitere Informationen beimReferat Interkulturelle Arbeit und Asyl des Diakonischen Werkes Hamburg,Tel: 040-30620-342, Fax: 040-30620-340e-mail: [email protected]://www.hamburgasyl.de

16______________Tag des Flüchtlings ______________

Der Schlepper Nr. 17 Flüchtlingsrat SH Februar 2002

Page 17: s17_gesamt

Dies ist das Kampffeld, auf dem sich GFKund das neue Einwanderungsgesetz ge-genüberstehen werden und dem ich michdeshalb etwas näher zuwenden will.

Zunächst wird alles unternommen,um dem Flüchtling jede Möglichkeit zu ver-wehren, auch nur einen Zipfel vom Asylzu ergreifen indem er einen Fuß auf frem-des Territorium setzt. Sei es durchDrittstaaten- oder Flughafenregelung,durch Abschottung der Hoheitsgewässerwie im Fall des norwegischen Frachters„Tampa“ mit 460 afghanischen Flüchtlin-gen vor der australischen Küste oder mili-tärische und elektronische Befestigungder Außengrenzen. Das Ziel ist, demFlüchtling gar nicht erst die Chance derGenfer Flüchtlingskonvention in die Hän-de zu spielen. An dieser Abwehrstrategiewill auch der neue Gesetzentwurf nichtsändern.

Misslingt die Abwehr, wird demAsylsuchenden der dornige Weg seinerBewerbung nicht etwa erleichtert. Hiergreift die Genfer Flüchtlingskonventionein, die z.B. in Art. 23 bestimmt, dass„den Flüchtlingen, die sich rechtmäßig indem Staatsgebiet (der Konventionsstaa-ten) aufhalten, auf dem Gebiet der öffentli-chen Fürsorge und sonstigen Hilfeleistun-gen die gleiche Behandlung wie ihren ei-genen Staatsangehörigen“ gewährt wer-den muss.“ Ich kenne niemand, der zu be-haupten wagt, dass die Leistungen nachdem seit 1992 geltenden Asylbewerberlei-stungsgesetz dem Standard entspricht,welches das Bundessozialhilfegesetz fürdie Sozialhilfe formuliert, nämlich „demEmpfänger der Hilfe die Führung eines Le-bens zu ermöglichen, das der Würde desMenschen entspricht.“ Die Befristung die-ser Minimalleistungen auf drei Jahre sollnun aufgehoben und bis zur asylrechtli-chen Entscheidung verlängert werden. Da-mit entfallen für diese Zeit, die oft mehrereJahre dauert, auch die Integrationsleistun-gen, mit denen der Gesetzentwurf nunwirbt. Gleichzeitig wird die einjährige Ar-beitssperre nicht auf gehoben.

Für Asylberechtigte, die bishereine unbefristete Aufenthaltserlaubnis er-hielten, soll diese nun auf drei Jahre ver-kürzt und erst nach erneuter Prüfung derVerfolgungssituation evtl. in eine unbefri-stete Niederlassungserlaubnis umgewan-delt werden. Entsprechend soll auch ihreArbeitsberechtigung, die bisher ohne Er-laubnis gegeben war, auf die ersten dreiJahre befristet werden. Das sind nur Nu-ancen, die aber in das Leben der Asylbe-rechtigten erhebliche Unsicherheiten hin-eintragen und für die Arbeitssuche Hinder-nisse aufbauen, da damit längerfristigeBeschäftigungen mit qualifizierter Einar-beitung für die Arbeitgeber praktisch aus-fallen.

Begrüßt wird allgemein, dass derwohl nur für die Fachbürokratie und ihrelangjährige Klientel durchschaubareDschungel an differenzierten Aufenthaltsti-teln nun gelichtet und auf zwei reduziertwerden soll. Das ist zweifellos rechtssyste-matisch und verwaltungstechnisch eineVerbesserung. Doch ob es das auch fürdie etwa 250 000 geduldeten Flüchtlingeist, wenn die Duldung ganz entfällt, istsehr zweifelhaft. Eine Duldung bekom-men derzeit Flüchtlinge, die der Staat aushumanitären oder praktischen Gründennicht abschieben kann. Wird die Duldungdurch eine Bescheinigung über die Aus-setzung der Abschiebung ersetzt, wirddas in Zukunft für eine Arbeitserlaubnisnicht mehr ausreichen, da diese einen Au-fenthaltstitel voraussetzt. Die Mehrzahlwird in der Rechtlosigkeit und dann insog. Ausreisezentren landen, wie sieschon in Niedersachsen und Rheinland-Pfalz bestehen. Viele davon werden dasUntertauchen in die Illegalität vorziehen.So prekär dieser Duldungsstatus bisherauch war, seine Abschaffung und dieÜberführung in das Ermessen der Behör-den, ob dem Flüchtling eine freiwilligeAusreise „in einen anderen Staat“ zumut-bar ist, bedeutet eine weitere Verschlech-terung seiner Existenz in unserem Land.

Es geht hier nicht um eine umfas-sende Analyse des neuen Gesetzentwur-fes, sondern mehr um seine Philosophie,seine innere Konzeption. Sie ist geprägtvon der alten Trennung in „erwünschte“und „unerwünschte“ Zuwanderer, „nützli-che“ und „lästige“ Ausländer, wobei dasNutzenkalkül eindeutig an fiskalischenund ökonomischen Kriterien orientiertwird. An der Spitze der Pyramide rangie-ren die Hochqualifizierten und Unionsbür-ger, ganz unten an den breiten Sockel derAsylbewerber ohne sicheren Status klam-mern sich noch die Illegalen ohne Papiere- in Europa jährlich an die 500 000 Men-schen - deren einzige Sicherheit die ist,dass sie immer mehr werden. Für dieFlüchtlinge im Land und an den Grenzenenthält der Entwurf keine positive Per-spektive, er produziert weitere Illegalität.Pro Asyl spricht von dem „weitreichend-sten Beitrag zur Entrechtung von Asylsu-chenden und Geduldeten seit dem Asyl-kompromiss 1993“ – und das ist so ge-wollt.

Der Entwurf hat nach den erstenEinschätzungen keine der Forderungender Flüchtlingsräte und verbände über-nommen. Dazu gehört seit Jahren die An-erkennung von Flüchtlingen vor nichtstaat-licher Verfolgung. Flüchtlinge, die aus im-mer mehr Ländern, aus Algerien, demIrak, Sierra Leone, dem Kongo, Angolaoder Palästina fliehen, um den Verfolgun-gen und Anschlägen irgendwelcher heili-gen Krieger, Gangs und mafiotischer Ban-den zu entgehen. Sie fallen zwar unter

den Flüchtlingsbegriff der Genfer Konven-tion nicht aber unter den der deutschenAsylpolitik und rechtsprechung. Es wer-den immer mehr und sie erhalten bisherallenfalls eine Duldung, die in Zukunft nunauch wegfallen soll. Ohne Anerkennungist auch die geschlechtsspezifische Verfol-gung geblieben. Sexistische Folter, Verge-waltigung und Beschneidung und andereFormen sexueller Gewalt werden zumeistals individuelle Exzesse und gesellschaftli-che Abnormitäten nicht aber als staatlicheVerfolgung gewertet. Eine gesetzliche Re-gelung dieser Tatbestände und ihre siche-re Anerkennung als Asylgrund entsprichtseit 1951 den Möglichkeiten, die die Gen-fer Flüchtlingskonvention eröffnet, aber of-fensichtlich immer noch nicht dem Be-wusstseinsstand der Ministerialbürokratieund der tonangebenden Parteien inDeutschland. Die Gefahr besteht sogar,dass die einseitige Einschränkung desFlüchtlingsbegriffs der Genfer Konventionauf nur staatlich Verfolgte zum Standardin Europa wird, wie es der EuropäischeRat bereits 1996 in einem sog. Gemeinsa-men Standpunkt („betreffend die harmoni-sierte Anwendung der Definition des Be-griffs Flüchtling in Art. 1 des Genfer Ab-kommens vom 28, Juli 1951 über dieRechtstellung der Flüchtlinge“) empfohlenhat. Für eine Aufenthaltserlaubnis werdendie Flüchtlinge in Zukunft zudem bewei-sen müssen, dass die Gefahr, die ihnen inihrer Heimat droht, über die hinausgeht,der die Bevölkerung „allgemein ausge-setzt“ wird wer im Teufelskreis sitzt,kommt nicht aus ihm heraus.

Schließlich konnte sich der Ent-wurf auch nicht zu einer vorbehaltlosenAnerkennung der UN-Kinderrechtskonven-tion durchringen, wie immer wieder gefor-dert. Die Bundesregierung hatte bei derRatifizierung der Konvention über dieRechte des Kindes vom 20. November1989 eine zusätzliche Erklärung abgege-ben, in der es u.a. hieß, dass keine Be-stimmung der Konvention so ausgelegtwerden dürfe, dass sie die illegale Einrei-se oder den illegalen Aufenthalt einesAusländers gestatte. Es gibt Gerichte, diediese Erklärung als unbeachtlich anse-hen, und die Konvention in bestimmtenFällen gegen aufenthaltsbeendende Maß-nahmen ins Feld führen. Das ist abernicht allgemeine Rechtsprechung undeine Klärung zum Schutz der Kinder drin-gend nötig.

Bisher ist der Nachzug von Kin-dern zu ihren Eltern in Deutschland nurbis zu einem Alter von 16 Jahren möglicheine Regelung, die schon immer als inhu-man und nicht familienfreundlich kritisiertworden ist. Die Süßmuth-Kommission hatdie in den EU-Staaten vorherrschendePraxis übernommen und die Erhöhungdes Nachzugsalter auf 18 Jahre empfoh-len. Nach dem Gesetzentwurf soll nur ein

______________ Tag des Flüchtlings______________17

Februar 2002 Flüchtlingsrat SH Der Schlepper Nr. 17

Page 18: s17_gesamt

Asylberechtigter, ein Hochqualifizierterbzw. ein Zuwanderer, der über ein Punkte-system für den Arbeitsmarkt ausgewähltwurde, sein Kind bis 18 Jahre zu sich ho-len können. Die Kinder aller anderen Aus-länder und das wird die Mehrheit sein be-kommen nur dann eine Aufenthaltserlaub-nis, wenn sie das 12. Lebensjahr nochnicht vollendet haben. Eine Ausnahmehiervon soll dann möglich sein, wenn aus-reichende Kenntnisse der deutschen Spra-che bei dem Kind festgestellt werden. DieSenkung des Nachzugsalters widersprichtnun nicht nur den Vorschlägen des Euro-päischen Rates und den Erkenntnissendes sechsten Familienberichtes, sondernauch denen des Bundesinstituts für Be-rufsbildung. Die Integrationsfähigkeit vonKindern mit einem Schulabschluss im Hei-matland also in höherem Alter ist vielbesser ist als von jenen Kindern, die miteiner abgebrochenen Schulausbildungalso bis 12 Jahre - einreisen. Abgesehendavon habe ich erhebliche Zweifel, ob die-se durchaus willkürliche Ungleichbehand-lung, die sich allenfalls an den Erfordernis-sen des Arbeitsmarktes nicht aber der Fa-milie und der Kinder orientiert, mit demGrundgesetz (Art. 1, 3 I, 6 III GG) verein-bar ist.

Und schließlich wird in einem wei-teren nicht unwesentlichen Punkt Handan die Genfer Flüchtlingskonvention ge-legt. Wer sich gegen die Zustände in sei-nem Heimatland, vor denen er geflohenist, öffentlich engagiert, gegen Menschen-rechtsverletzungen protestiert und Folteranprangert, soll in Zukunft das sog. kleineAsyl, den Flüchtlingsstatus nach der Gen-fer Konvention nicht mehr erhalten. Sog.Nachfluchtgründe sollen nicht mehr aner-kannt werden. Dieser Vorschlag ist gänz-lich unvereinbar mit Geist und Wortlautder Genfer Konvention, die die Verweige-rung des Flüchtlingsstatus wegen politi-schen Engagements nicht kennt.

Es ist nur eine vorläufige Bilanz,die ich hier ziehen kann. Aber ich habeZweifel, ob eine noch genauere Analysez. B. der Integrationsangebote einen we-sentlich anderen Eindruck vermitteln wird.Die Suche nach Verbesserungen und Ver-schlechterungen bleibt vorwiegend anden Verschärfungen, Restriktionen unddem Entzug von Rechten hängen, die dieschiefe Ebene der Abschreckung und Ab-wehr weiter nach unten verlängert. Vondiesem Entwurf geht kein Signal in Rich-tung eines humanitären Flüchtlingsrechtsaus, wie es die Genfer Konvention ent-hält. Sie wird umgangen, unterlaufen undschleichend ausgehöhlt, die faktischeFlüchtlingspolitik koppelt sich von ihr ab,bis sich ihre reale Bedeutung nur nochauf Fest- und Gedenkreden begrenzt. Esist zweifellos richtig, dass die Flucht vorArmut, Naturkatastrophen und allgemei-ner Gewalt, auf die sich die Konvention

nicht bezieht, zugenommen hat. Darausjedoch die Bedeutung der Konvention fürdie aktuelle Flüchtlingspolitik in Frage zustellen, da es kaum noch „echte“ Konventi-onsflüchtlinge gebe, ist vollkommenfalsch. Wir sollten nicht vergessen, dassdie Beratungen zur Konvention gerade un-ter dem Eindruck des überstandenenWeltkriegs und seiner Flüchtlingsströmeund in der noch frischen Erinnerung andas Scheitern der internationalen Flücht-lingskonferenz von Evian im Jahre 1938gestanden haben. Dort hatte man ver-sucht, Aufnahmekontingente für deutscheJuden zu vereinbaren. Doch kein Staatwar zur Öffnung seiner Grenzen bereit,ein böses Menetekel für die zukünftigeFlüchtlingspolitik. Die Konvention von1951 konnte diesen Tiefpunkt überwin-den, indem es an die zwischenstaatlichenAbkommen für bestimmte Flüchtlingsgrup-pen vor dem Krieg anknüpfte und ein all-gemeines internationales Flüchtlingsrechtkonstituierte und dieses von einem Gna-denakt in einen individuellen Schutzan-spruch umwandelte. Die Europäisierungder Zuwanderungs- und Flüchtlingspolitik,die die erreichten Aufnahmestandardsdurch eine Harmonisierung weiter anhe-ben sollte, hat ganz im Gegenteil zu einerAbsenkung auf ein immer niedrigeres Ni-veau geführt. Verantwortlich dafür sinddarüber sind sich die Experten einig dienationalen Gesetzgebungspraktiken derAbschottung und Abschreckung - und einweiteres Beispiel liegt uns jetzt mit demneuen Gesetzentwurf vor.

Es ist erst ein viertel Jahr her, dahat die Europäische Kommission gegenRassismus und Intoleranz der deutschenGesellschaft bescheinigt, „dass Themenwie Rassismus, Antisemitismus, Fremden-hass und Intoleranz erst noch als solcheerkannt und bekämpft werden müssen“.Die allgemeine Empörung über derartdeutliche Worte hat verdeckt, was dieKommission darüber hinaus gesagt hat:„Der bestehende Gesetzesrahmen unddie politischen Maßnahmen haben sichals unzureichend bei der wirksamen Be-kämpfung dieser Probleme erwiesen. Be-sonders besorgniserregend sind die Situa-tion von und die Einstellung gegenüberdenen, die als ‚Ausländer betrachtet wer-den, die unzureichenden Maßnahmen fürdie Integration und die fehlende Anerken-nung, dass die deutsche Identität mit an-deren Identitätsformen als den traditionel-len einher gehen kann.“ Die Kommissionhat u. a. empfohlen, „die Notwendigkeit,Deutschland als ein Einwanderungslandund den positiven Beitrag der Menschenausländischer Herkunft sowie die Notwen-digkeit, verschiedene Identitätsformen ne-ben der deutschen Identität anzuerken-nen“.

Ich bezweifle, dass der vorliegen-de Entwurf, wenn er so Gesetz werden

sollte, einen Beitrag zu dieser Aufgabe lie-fern wird. Ich vermute das Gegenteil, daEinwanderung ob als Arbeitskraft oderFlüchtling nicht als Chance und positiverBeitrag zur deutschen Gesellschaft, son-dern als Problem und Bedrohung begrif-fen wird, die durch „Steuerung und Be-grenzung“ bewältigt werden müssen. Dasangekündigte Integrationsprogramm mitSprach-, Rechts- und Gesellschaftskur-sen soll nichts kosten, der Vollzug des ge-samten Gesetzes sogar die öffentlichenHaushalte entlasten. Was ist das, eineTäuschung der Abgeordneten oder diewohlweisliche Ankündigung, dass allesdoch nicht so gemeint ist? Im Zuge dervor uns stehenden Auseinandersetzun-gen wissen wir, zu welchen populisti-schen Barbareien ein nahender Wahl-kampf führen kann. Die Abweisung desnorwegischen Frachters „Tampa“ mit sei-nen afghanischen Flüchtlingen durch dieRegierung Australiens kurz vor denWahlnhat uns kürzlich ein Beispiel gege-ben.

Flucht, Migration und Integrationkommen nicht ohne politische Regelungund gesetzliche Vorschriften aus, sie fügtkeine „invisible hand“ hinter dem Rückender Akteure problemlos in die Gesell-schaft ein. Sie verlangt Opfer von den Mi-granten aber auch von der Gesellschaft,wenn überhaupt Begriffe wie Verantwor-tung und Solidarität in diesem Feld eineBedeutung haben sollen. Vorwiegend wer-den sie als finanzielle Aufwendungen undVerluste saldiert, ohne den volkswirt-schaftlichen Nutzen wirklich zu berück-sichtigen. Entscheidender und wohl auchschwieriger ist jedoch der Prozess desUmdenkens und des Wechsels der Per-spektive von der unzumutbaren Herausfor-derung durch zivilisatorische Fremdheitund den Anspruch auf soziale Teilhabezur Erkenntnis der kulturellen Bereiche-rung und des sozialen Beitrags in einemumfassenden Sinne für die Gesellschaft.Die Diskussion muss sich gründlich vonden traditionellen Identitäts- und Assimila-tionsvorstellungen befreien, wie sie dieEuropäische Antirassismuskommissiongerügt hat und wie sie in der Forderungnach einer „deutschen Leitkultur“ wiederin den Vordergrund geschoben wurden.Sie hängt wie ideologisches Blei an demneuen Zuwanderungskonzept und verhin-dert, dass in unserer Gesellschaft dieIdee der Multikulturalität im Interesse ei-ner offenen, nicht selektiven und nicht dis-kriminierenden Aufnahme von AusländernFuß fassen kann. Dies ist natürlich eineFrage der Humanität und Toleranz aberauch schlicht der Vernunft im Interesseder Zukunft unserer Gesellschaft, in derwir leben.

18______________Tag des Flüchtlings ______________

Der Schlepper Nr. 17 Flüchtlingsrat SH Februar 2002

Page 19: s17_gesamt

Flüchtlinge aus den palästinensi-schen Autonomiegebieten kommennicht erst seit der erneuten Eskalationder israelisch-palästinensischen Kon-frontation in die BundesrepublikDeutschland. Von israelischen Bulldo-zern um Haus und Existenz gebrachtoder von der korrupten Willkür der pa-lästinensischen Nomenklatur verfolgt,hoffen sie hier auf Schutz und Überle-ben. In Israel und Palästina bestimmendie Extremisten längst die Szenerie.Doch immer noch gibt es Menschenauf beiden Konfliktseiten, die sich Ge-walt und propagandistischer Hetze ent-gegenstellen.

DLF im Januar 2002

Sprecherin: Die Spirale der Ge-walt hat im Nahen Osten einen neuen Hö-hepunkt erreicht, ein dauerhafter Friedenscheint weiter entfernt denn je. Viele Men-schen, die sich früher für den Frieden en-gagiert haben, sind mittlerweile aus Ent-täuschung und Frustration ins andere La-ger gewechselt: Ein großer Teil der Palä-stinenser begrüßt die Selbstmordattenta-te, viele Israelis unterstützen die Bombar-dierung palästinensischer Städte. Trotz al-ledem engagieren sich auf beiden SeitenFriedensaktivisten, die gerade jetzt weiter-machen. In manchen Friedensgruppen ha-ben sich Israelis und Palästinenser sogarzusammengeschlossen - so undenkbardas den meisten ihrer Landsleute erschei-nen mag. Ihre Arbeit hat zwei Schwer-punkte: Zum einen analysieren sie, war-um Friedensprozess und Osloer Vertragkeine Chance hatten, um so neue, zu-kunftsträchtigere Visionen entwickeln zukönnen. Zum anderen setzen sie sich inMenschenrechtsorganisationen mit prakti-scher Arbeit für den Frieden ein. Wie zumBeispiel Ruchama Marton: Sie gründetevor 13 Jahren die Gruppe Ärzte für Men-schenrechte. Die Organisation kämpft vorallem für das Menschenrecht auf medizini-

sche Versorgung. Mit Autos und Kleinbus-sen fahren die 50 israelischen Ärzte in diePalästinensergebiete, um notleidende Pa-tienten zu behandeln:

Ruchama Marton: Mit unserenmobilen Kliniken bieten wir dann einmaloder zweimal im Monat einen ganzen Taglang kostenlos ärztliche Behandlung an.Dafür fahren wir in die palästinensischenGebiete der Westbank, meistens in ein ab-gelegenes Dorf ohne Krankenhaus in derNähe. 13 Kleinbusse sind derzeit im Ein-satz. Und jeder aus dem Dorf und den um-liegenden Orten kann kommen: Wir unter-suchen und behandeln wirklich jeden.

Sprecherin: Der Einsatz der Ärztefür Menschenrechte ist seit mehr als ei-nem Jahr illegal, denn offiziell dürfen Is-raelis seit Ausbruch der 2. Intifada die pa-lästinensischen Gebiete nicht mehr betre-ten. Zu ihrer eigenen Sicherheit, so dasArgument israelische Regierung. EndeNovember versuchten die engagierten Ärzte dann, offiziell über einen Checkpointeinzureisen; das Militär ließ sie aber nichtdurch. Jetzt will sich die Organisation ihreArbeit von höchster Stelle legalisieren las-sen: Vor dem Obersten Gericht versu-chen die Ärzte, die Einreiseerlaubnis ein-zuklagen. Denn die mobilen Kliniken kön-nen Leben retten: Ein Großteil der palästi-nensischen Gebiete ist medizinisch unter-versorgt. Oft erreichen Palästinenser keinKrankenhaus, weil israelische Soldatendie Straßen sperren. Der Osloer Friedens-vertrag besagt, dass Israel die palästinen-sischen Gebiete auch untereinander ab-sperren kann. So entstanden 220 kleineKantone, oft durch israelische Check-points und Blockaden voneinander ge-trennt. Die Palästinenser sind dadurchstark in ihrer Bewegungsfreiheit be-schränkt: Eine Reise zu Freunden oderVerwandten dauert oft Stunden, selbstwenn sie nur einige Kilometer entfernt le-ben. Auch für die palästinensische Wirt-schaft bedeuten die Abriegelungen enor-me Verluste. Diese Situation, sagt Rucha-ma Marton, ist ein wesentlicher Grund,dass die 2. Intifada mit ihren gewalttätigenAuseinandersetzungen begann. Die Ge-walt, so Ruchama Marton, muss gestopptwerden, denn sie wirkt sich auf beide Sei-ten verheerend aus. Auch auf die israeli-sche Gesellschaft:

Ruchama Marton: Im letzten Jahrwurden in Israel doppelt so viele Frauenermordet wie im Jahr zuvor, meistens ka-men die Täter aus der eigenen Familie.Auch die Vergewaltigungen haben sichmehr als verdoppelt, denn Gewalt kenntkeine Grenzen: Wenn israelische Solda-ten und israelische Siedler jeden Tag Pa-lästinenser töten, und alle Probleme nurmit Gewalt lösen, bringen sie dieses Ver-ständnis und Verhalten von den besetztenGebieten mit nach Hause. Wenn eineFrau oder eine Freundin dir nicht ge-horcht, bringst du sie um.

Sprecherin: Die Frauenhäuser inIsrael sind zur Zeit überfüllt. Doch auchzwischen Jugendlichen kommt es schnellzu gewalttätigem Streit und Messersteche-reien, berichtet die 60-jährige Ärztin undPsychoanalytikerin. Kein Israeli führt mehrein normales Leben, und das merkt manauch in ganz alltäglichen Situationen. Vie-le leben, als würde es kein Morgen ge-ben. Theater und Konzerthäuser zum Bei-spiel verkaufen keine Karten mehr im Vor-aus. Früher war es üblich, zu Beginn desJahres ein Abonnement für die ganze Sai-son zu buchen.

Ruchama Marton: Die Leute wer-den verrückt. Ich meine, wir sind wirklichverrückt, und wir werden immer verrück-ter. Die Leute gehen praktisch jedenAbend aus, um sich zu amüsieren, aberdie Stimmung ist dabei immer angespanntund nervös. Man hat Angst, will sich abernicht unterkriegen lassen. Aber wirklichSpaß haben die Leute nicht mehr.

Sprecherin: Ruchama Martonkämpft mit den Ärzten für Menschenrech-te auch dafür, dass die jüdischen Siedlun-gen geräumt werden. Denn die sind seitBeginn des Friedensprozesses nicht weni-ger geworden, sondern haben sich sogarverdoppelt. Die Besiedlung bedeutet nichtnur Verluste für die palästinensische Sei-te, sondern auch für die israelische,glaubt Ruchama Marton. Ein Leben inden Siedlungen sei insbesondere gegen-über den eigenen Kindern unverantwort-lich, denn auch sie seien ständig von At-tentaten und Übergriffen bedroht. Rucha-ma Marton erzählt von einem Mädchen,das in einer Siedlung angeschossen undspäter im Krankenhaus interviewt wurde:

Ruchama Marton: Dieses Mäd-chen hat gesagt: Ich habe Angst, ich will

... längst keine Angst mehr

vor dem TodBrigitte Schulz

Wir danken dem Deutschlandfunk für dieAbdruckgenehmigung dieses Sendema-nuskriptes.

______________ Israel/Palästina ______________19

Februar 2002 Flüchtlingsrat SH Der Schlepper Nr. 17

Page 20: s17_gesamt

nicht nach Hause. Aber ihre Mutter hat sieunterbrochen und gesagt: Nein, du hastkeine Angst, du wirst mit mir nach Hausegehen und du wirst lernen, mutig undstark zu sein. Das war furchtbar, dieseMutter hatte kein Mitgefühl. Sie hat zurNation gesprochen, nicht mit ihrer Toch-ter. Ich denke, dass diese Eltern wirklichverantwortungslos handeln. Sie setzendas Leben ihrer Kinder aufs Spiel, ihrePsyche und ihre Seelen. Diese Kinderwerden verrückt. Sie sind entweder ge-lähmt vor Angst und wollen das Hausnicht mehr verlassen. Oder aber sie wer-den extrem gewalttätig gegenüber Palästi-nensern und untereinander.

Sprecherin: Genau so äußerteRuchama Marton sich auch in einem Inter-view des israelischen Rundfunks. Sieschlug vor, die Kinder aus den Siedlun-gen herauszuholen, damit sie an einem si-chern Ort aufwachsen könnten. Ein em-pörter Aufschrei ging durch die Nation:

Ruchama Marton: Ich habe so vie-le beängstigende Anrufe bekommen, überzwei Wochen oder länger. Sie haben mirden Tod gewünscht und mir sexistische,wirklich schreckliche Beschimpfungen anden Kopf geworfen.

Sprecherin: Auch die palästinensi-sche Gesellschaft leidet zunehmend unterden Folgen der Gewalt. Der Gaza-Strei-fen ist besonders betroffen: Seit AnfangDezember wird er von den Israelis bom-bardiert, und jeden Tag kommt es zu Aus-einandersetzungen zwischen Palästi-nensern und dem israelischen Militär. Hierim Gaza-Streifen gründete der Psychiaterund Menschenrechtler Eyad El-Sarray vor11 Jahren das Zentrum für psychische Ge-sundheit, Gaza-Community Mental HealthProgramms genannt. Er behandelt Fol-teropfer aus israelischen und palästinensi-schen Gefängnissen, aber auch Kinder,die durch die kriegerischen Auseinander-setzungen traumatisiert sind:

El-Sarraj: Die Kinder sind allenmöglichen Traumata ausgesetzt, die gan-ze Umgebung an einem Ort wie Gaza isthochtraumatisch für Menschen: Man lebtauf einem kleinen Stück Land, das abso-lut überbevölkert ist und kann sich nichtfortbewegen, weil die Israelis die Grenzensperren. Gaza ist ein großes Gefängnisohne Dach, aber ein Gefängnis, das dasLeben der Menschen nicht schützt: Die Is-raelis greifen mit ihren Flugzeugen undJets an und ihre Hubschrauber werfenBomben. Dann bekommen die MenschelnAngst und werden panisch, und die Panikder Erwachsenen überträgt sich auf dieKinder.

Sprecherin: Die Kinder erleben,wie Menschen verletzt oder getötet wer-den, wie Freunde oder Verwandte vor ih-ren Augen sterben. Einige von ihnen wer-den selbst Opfer von Gewalt. Die Trauma-tisierung hat viele Gesichter, sie zeigt sichzum Beispiel in Panikattacken und Kon-zentrationsstörungen. Hinzu kommt, dassviele Kinder und Jugendliche unterernährt

sind, da sie weit unterhalb der Armuts-grenze leben. Viele Kinder reagierenSpannung und Angst aus, indem sieselbst gewalttätig werden. Eyad El-Sarrajund seine Mitarbeiter sprechen mit ihnenund ermutigen sie, ihre Erlebnisseauszudrücken - zum Beispiel in Bildernoder durch Rollenspiele:

El-Sarraj: Wenn sie gewalttätigsind, erlauben wir ihnen zum Beispiel,sich auszudrücken, indem sie in die Rolleeines gewalttätigen Soldaten schlüpfen.Durch das Spiel und dadurch, dass siespäter darüber reden, verstehen die Kin-der, dass sie sich mit dieser gewalttätigenPerson identifiziert haben, und häufiglässt ihre Gewaltbereitschaft nach.

Sprecherin: Doch die Therapie istnur ein Tropfen auf den heißen Stein,denn die Gewalt nimmt weiter zu. Wie inIsrael, so bewaffnen sich auch im Gaza-Streifen immer mehr Menschen. Viele Ju-gendliche besitzen ein Gewehr und Kin-der fordern ihre Väter auf, sich eine Pisto-le zu besorgen, um sie vor dem israeli-schen Militär zu schützen, so El-Sarraj.Eine friedliche Lösung des Konflikts kön-nen sich nur noch wenige vorstellen.Denn schon vor den verstärkten Bombar-dements der Israelis war die Situation inGaza dramatisch: Bis zu 50 Prozent derBevölkerung sind arbeitslos, und 64 Pro-zent leben unterhalb der Armutsgrenze:Ihnen steht weniger als zwei US-Dollaram Tag zur Verfügung. Denn mit der Wirt-schaft ging es in den letzten Jahren stetigbergab: Die Abriegelung des Gazastrei-fens hatte den Handel oft zum Erliegengebracht. Auch die palästinensischen Ar-beiter durften Gaza in der letzten Zeitkaum noch verlassen: Vor Ausbruch der2. Intifada konnten viele von ihnen wenig-stens noch zu Billiglöhnen in Israel arbei-ten. Das ist jetzt vorbei. Und im eigenenGebiet hat sich die Lage durch die Korrup-tion und Vetternwirtschaft unter Arafat wei-ter verschlechtert.

El-Sarraj: Frieden ist bei uns keingutes Wort, es hat seine noble Bedeutungverloren: Die Palästinenser verbinden esmit Prostitution und Entwürdigung. Dennder Friedensprozess hat uns keine Würdegegeben, im Gegenteil. Die israelische Be-satzung ist de facto geblieben, und die pa-lästinensischen Offiziere und die Polizeiverhalten sich arrogant und unmenschlichgegenüber ihren eigenen Leuten. Sie las-sen uns ständig fühlen, dass wir Bürger 2.Klasse sind, machtlos und erniedrigt, wäh-rend sie unglaubliche Privilegien genie-ßen. Und die Israelis haben uns mit demFrieden noch weitere Bürden auferlegt, in-dem sie unser Land konfiszieren, die Stra-ßen absperren und wir an den Check-points langwierige entwürdigende Untersu-chungen erdulden müssen.

Sprecherin: Auffällig ist, dass vie-le Selbstmordattentäter, die in Israel sichund andere in die Luft sprengen, im Gaza-Streifen zu Hause sind. Eyad El-Sarraj er-klärt das so: Die Attentäter seien mit Ge-walt, Entwürdigung und Hoffnungslosig-

keit aufgewachsen, darum hätten sielängst keine Angst mehr vor dem Tod.Durch ein Selbstmordattentat bekämensie schließlich, was ihnen das Leben inGaza sonst vorenthalte: Würde und Ach-tung in der Gesellschaft, denn sie geltenals Märtyrer. Eyad-El-Sarraj sieht nur eineMöglichkeit, den Zirkel der Gewalt zwi-schen Israelis und Palästinensern zudurchbrechen:

El-Sarraj: Ich glaube, die Palästi-nenser müssen ihre Taktik ändern. DieSchießereien und die Gewalt zu Beginnder Intifada waren ein wichtiger Faktor,dass Scharon an die Macht gekommenist. Denn die Kugeln unserer Gewehre ha-ben den Israelis Angst gemacht, und dieisraelische Gesellschaft wurde durch die-se Furcht radikalisiert. Und wenn die Palä-stinenser das verstehen, sollten sie end-lich jegliche Art der Gewalt beenden undmit einem gewaltlosen Widerstand gegendie israelische Besatzung beginnen. (...)

Sprecherin: Als Leiter des Zen-trums für psychische Gesundheit hilftEyad El-Sarraj, wo immer er kann: ZumBeispiel bietet er verzweifelten Menschenauch kleinere Arbeiten an, damit sie we-nigstens etwas Geld mit nach Hause brin-gen. El-Sarraj hat in Alexandria Medizinstudiert und in London seine Ausbildungzum Psychiater gemacht. Er spricht her-vorragend Englisch und könnte sicherüberall auf der Welt einen guten Arbeits-platz finden. Doch er will in Gaza bleiben,denn hier sieht er seinen Platz im Leben.Früher wurde er öfter von den Israelis in-haftiert, dreimal saß er schon in palästi-nensischen Gefängnissen. Dort wurde ergefoltert, weil er die Menschenrechtsver-letzungen und Korruption der Autonomie-behörde unter Arafat öffentlich angepran-gert hatte. Eyad El-Sarraj bekennt sichdazu, durch Geburt und Kultur Moslem zusein - allerdings einer, der Schweine-fleisch isst und sich auch sonst nicht anstarre Regeln hält. Er hat seinen eigenenGlauben:

El-Sarraj: Ich habe vor langer Zeitbeschlossen, dass ich lieber einmal inWürde sterben möchte, als jeden Tag vorAngst zu sterben. Meine Kraft bekommeich daher, dass ich an die Menschlichkeitglaube, und ich sehe in jedem Menscheneinen Gott, besonders in den Kindern.Und dieser Gott muss gedeihen und ge-nährt werden, so dass er größer wird, umandere Menschen zum Lächeln zu brin-gen. Ich glaube an die Kindheit, ich glau-be an das Leben, und ich glaube an dieWürde von Menschen und ich glaube anmein Recht, meine Meinung zu sagen,mich selbst auszudrücken, was immer derPreis ist. Ich muss natürlich aufpassen.(...)

Mehr Information:www.gush-shalom.orgwww.dpg-netz.dewww.btselem.orgwww.merip.org

20______________ Israel/Palästina ______________

Der Schlepper Nr. 17 Flüchtlingsrat SH Februar 2002

Page 21: s17_gesamt

Seit Jahrzehnten leben die Men-schen im Irak in Angst und Schrecken.Öffentliche Hinrichtungen wie Enthaup-tungen, das Verschwindenlassen vonTausenden Oppositionellen in den be-rüchtigten irakischen Gefängnissen,das Brandmarken von Deserteurendurch Tätowierung auf die Stirn als ewi-ges Zeichen ihrer Abtrünnigkeit sindschreckliche Realität. Sie deuten aufdas Ausmaß des Terrors im Irak, woSaddam Hussein Menschenrechte unddie Freiheit zur Meinungsäußerung all-täglich mit Füssen tritt.

Um dem Terror des irakischenBaath-Regimes zu entkommen, versu-chen Menschen täglich aus dem Iraknach Europa zu fliehen. IrakischeStaatsbürger sind derzeit die größteGruppe, die in Deutschland einen Asy-lantrag stellen. Darum bemühen sich inEuropa verschiedene Organisationen –u.a. der Flüchtlingsrat Schleswig-Hol-stein – und Personen, ein Netzwerk auf-zubauen, welches sich den spezifi-schen Probleme irakischer Flüchtlingeim Exil widmen soll.

Was ist IKCON?

IKCON steht als Abkürzung fürdas Iraq/Kurdistan Coordination Network.Es handelt sich um ein europaweites Netz-werk, das seinen Schwerpunkt bei asylpo-litischen Entwicklungen in Sachen iraki-scher Flüchtlinge hat.

IKCON ist im Internet auf der WebSite www.iconet.org vertreten und per E-Mail unter [email protected] zu erreichen.

Zur Entstehung von IKCON

Am 2. Mai 2001 haben verschiede-ne Organisationen (u.a. Pro Asyl, WADI,Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein, IMK,medico international und die niederländi-schen Organisationen PRIM und Vluchte-

lingen in de Knel) und Einzelpersonen(u.a. aus Großbritannien) in Frank-furt/Main ein Netzwerk zur besseren Koor-dination der Arbeit für, über und mitFlüchtlingen aus dem Irak und dem kurdi-schen Nordirak ins Leben gerufen. DiesesNetzwerk ist eine Antwort auf die politi-schen und asylrechtlichen Entwicklungeninnerhalb Europas, die eine verstärkte Zu-sammenarbeit, einen regelmäßigen Aus-tausch von Informationen und die gemein-same Diskussion und Analyse asylrechtli-cher, asylpraktischer und politisch-strategi-scher Probleme notwendig machen.

Die im Netzwerk vertretenen Orga-nisationen und Personen wollen eine ge-meinsame Struktur aufbauen, um die Ar-beit für irakische und irakisch-kurdischeFlüchtlinge auf drei Ebenen zu verbes-sern:

1.) die Faktensammlung, Analyseund Darstellung der Situation vor Ort,

2.) die konkrete Asylpraxis inner-halb Europas,

3.) die Analyse (flüchtlings-) politi-scher Konzepte und Entwicklung eigenerStrategien.

Europäische Fluchtabwehr

Das Netzwerk hat seinen Aus-gangspunkt in Deutschland, kann abernotwendigerweise nicht auf einen nationa-len Rahmen beschränkt bleiben. Denn dieGefahren einer repressiven Fluchtabwehrsind nicht nur insofern ein europäischesProblem, als Flüchtlinge in allen europäi-schen Staaten zunehmend mit ähnlichenRepressionen und Beschränkungen kon-frontiert werden. Die EU, die sich auf demWeg zu einem gemeinsamen Asylrechtbefindet, setzt längst eine koordinierteAsylpraxis um, die eine europäische Zu-sammenarbeit zur Unterstätzung vonFlüchtlingen immer notwendiger macht.Vorstöße der Einzelstaaten beispielswei-se bei der Schaffung von Abschiebewe-gen sind für alle europäischen Staaten

von Relevanz. Auf der Ebene der Fakten-sammlung und Lagedarstellung droht eineArt selbstreferentielles System zu entste-hen, das kritische oder nichtstaatliche In-formationen ausschließt: Nationale Außen-ministerien/Innenministerien beziehensich auf andere europäische Lageanaly-sen oder ziehen EU-Papiere als Quellenheran, an deren Formulierung sie selbstbeteiligt waren. Eine alternative Informati-onspolitik existiert weitestgehend nichtoder verliert sich in nationalen Einzelinitia-tiven.

Es ist hohe Zeit, eine Struktur auf-zubauen, die diesen Entwicklungen Rech-nung trägt:. den stetig sinkenden Anerkennungsquo-

ten,

. der Aushungerung von nicht-rückführba-ren Flüchtlingen,

. der Falschdarstellung der Verhältnissevor Ort,

. der Auslagerung grenzpolizeilicher Re-pression,

. der Ethnisierung und erzwungenenRückbindung von Flüchtlingen an ihre“Heimat”.

Dies wird effektiv durch eine Zu-sammenführung von Initiativen und Orga-nisationen: Flüchtlingsräte und Asylrecht-ler, Menschenrechtsgruppen, Organisatio-nen der Entwicklungszusammenarbeit,Unterstützer und Wissenschaftler, die sichmit der Situation vor Ort beschäftigen,flüchtlingspolitischen Initiativen.

Folgende konkrete Aufgabenfelderund Ziele des Netzwerks sollen entspre-chend der drei maßgeblichen Ebenen derflüchtlingspolitischen und asylrechtlichenProblematik angegangen werden:

1.) Faktensammlung, Analyse und

Darstellung der Situation vor Ort

Das Problem der Faktensammlungund Darstellung der Situation vor Ort stellt

Irak - Kurdistan - Netzwerk

gegründetIrene Dulz

______________ Irak ______________21

Februar 2002 Flüchtlingsrat SH Der Schlepper Nr. 17

Page 22: s17_gesamt

sich auf der politischen, wie auf der ganzpraktischen Ebene allen, die für irakischeund irakisch-kurdische Flüchtlinge arbei-ten.

Dies zeigt sich am deutlichsten inder grundsätzlichen Fehleinschätzungdes kurdischen Nordirak als “Schutzzo-ne”, “Safe Haven” oder “inländischeFluchtalternative”, mit deren Hilfe immeröfter Flüchtlinge auf die Möglichkeit einesAusweichens innerhalb des Herkunftslan-des verwiesen werden. Auf dieser Fehlein-schätzung basieren weitestgehend allePapiere, die sich mit der Abwehr iraki-scher/irakisch-kurdischer Flüchtlinge be-schäftigen: Die Lageberichte des BerlinerAuswärtigen Amtes, der NiederländischeBericht an CIREA, die Guidance NotesIraq des britischen Home Office, die Lage-analyse des Norwegischen RefugeeCouncil, der EU-Aktionsplan Irak etc.Während das Regime im Zentralirak auf-grund seiner gravierenden Menschen-rechtsverletzungen nach wie vor interna-tional geächtet ist und eine massenhafteAblehnung/Rückführung kurzfristig uner-reichbar ist, dient der kurdische Nordirakals der Schlüssel, mit dem der Irak füreine Rückführung geöffnet werden soll.Die Region im kurdischen Nordirak hinge-gen ist in keiner Weise eine Schutzzone,im Gegenteil: “Die friktionell von der iraki-schen Verwaltungshoheit abgetrenntenkurdischen Gebiete können sich wederauf völkerrechtlich oder aufgrund interna-tionaler Verträge anerkannte Hoheitsrech-te berufen, noch auf das bloße Verspre-chen einer Teilautonomie, geschweigedenn auf ein innerstaatliches Abkommenzur Regelung der Selbstverwaltung. Siesind mithin also im vollen rechtlichen wiepraktischen Sinne Bestandteil des iraki-schen Staates.” (Uwer/v. der Osten-Sak-ken, “...keinen staatlichen Sanktionen un-terworfen”, Frankfurt/Main 2000, S. 28)Daraus ergeben sich zwei weitreichendeKonsequenzen für den Umgang mitFlüchtlingen aus der Region. Erstenskann unter den derzeitigen Bedingungentheoretisch jederzeit ein Wiedereinmarschder irakischen Armee in die Region statt-finden ein Schutz bzw. eine über den Taghinaus dauernde Sicherheit für die Men-schen in der Region existiert mithin nicht.Zweitens müssen die Entwicklungen inner-halb der kurdischen Gebiete vor dem Hin-tergrund dieser Kontinuität irakischerRechtshoheit betrachtet werden. Viele derProbleme innerhalb der Region habenhier ihre Wurzeln: Von der mangelndenUnabhängigkeit der Gerichte bis zur ge-schlechtsspezifischen Verfolgung vonFrauen aufgrund des sog. Gesetzes überdie persönliche Ehre.

Die im Netzwerk vertretenen Orga-nisationen und Personen sind sich derProblematik bewusst, das sich aus dieserEinschätzung ein Konflikt mit der deut-

schen Asylrechtspraxis ergeben kann, dielediglich die staatliche, bzw. staatsähnli-che (Afghanistanurteil des BVerfG) Verfol-gung als asylerheblich anerkennt. Eskann daher nicht darum gehen, die spezifi-sche Verfolgungssituation innerhalb derkurdischen Region zu missachten. Die ge-ringe Möglichkeit, die kurdischen Parteienkönnten tatsächlich als staatsähnliche Ver-folger im vollen Umfange anerkannt wer-den, kann schlechterdings nur mit der Ver-leugnung der eigentlichen Gefahr erkauftwerden.

Die erwähnten Berichte weisensich darüber hinaus durch Faktenmangelund teilweise eklatante Fehleinschätzun-gen der irakischen Herrschaftspraxis aus.Dies betrifft insbesondere Fragen derRechtssicherheit, der Rechtspraxis undder Gültigkeit von Amnestien und Dekre-ten. Aufgrund des dekretären Charaktersder irakischen Rechtsprechung ist einüberblick über die aktuelle Rechtsentwick-lung kaum zu gewinnen. Eine übersichtli-che Darstellung irakischer Herrschaftspra-xis in deutscher Sprache, die Richtern,Entscheidern und betrauten Anwälteneine Wertung der Tatbestände ermögli-chen könnte, fehlt zudem vollständig.

Aufgrund der schlechten Informati-onslage werden Gerichtsurteile und Asy-lentscheidungen des Bundesamtes viel-fach allein auf Grundlage der Berichte desAußenamtes, der Einzelgutachten desDeutschen Orient Institutes und der Stel-lungnahmen von Amnesty Internationalund UNHCR gefällt. In mitunter entschei-denden Detailfragen sind die Gerichte aufMutmaßungen angewiesen (beispielswei-se über die Kontrollpraxis der kurdischenParteien an der Grenze).

Die im Netzwerk vertretenen Orga-nisationen und Personen werden immerwieder mit Einzelfragen konfrontiert, dienur mit großem Rechercheaufwand beant-wortet werden können.

Das Netzwerk soll dazu dienen,. einen besseren Austausch von Informa-tionen zu gewährleisten,

. Detailfragen an jene weiterzuleiten, dieüber umfangreiche Kenntnisse zu die-sen Bereichen verfügen,

. eine gemeinsame Linie gegenüber derEinschätzung der Lage (Schutzzone) zuentwickeln,

. über gemeinsame Recherche- und For-schungsprojekte Wissens- undInformationslücken zu schließen.

2.) die konkrete Asylpraxis innerhalbEuropas

Die konkrete Asylpraxis gegenüberirakischen/irakisch-kurdischen Flüchtlin-gen ist von einer Entwicklung hin zu zu-nehmend prekäreren Lebensbedingungender Flüchtlinge gekennzeichnet. Der sin-kenden Anerkennungsquote steht die Tat-sache entgegen, dass eine Abschiebungin den kurdischen Nordirak und den Irakderzeit praktisch nicht möglich ist.

Sinkender Status bei Asylsuchen-den aber bringt auch eine Einschränkungpersönlicher Freiheiten und ein Sinkender zur Verfügung stehenden Soziallei-stungen mit sich. Die im Netzwerk vertre-tenen Organisationen und Personen se-hen im Falle irakischer/irakisch-kurdischerFlüchtlinge eine Art “Aushungerungspoli-tik”, die auf die “freiwillige” Rückkehr derMenschen setzt. In den Niederlanden wer-den seit Anfang dieses Jahres vollständigabgelehnte Flüchtlinge, die nicht rückführ-bar sind, mit dem fast vollständigen Ent-zug von Sozialleistungen unter Druck ge-setzt und erhalten keine Wohnberechti-gungen mehr. Vor allem irakische/irakisch-kurdische Flüchtlinge wurden in den ver-gangenen Monaten regelrecht auf dieStrasse gesetzt. In Deutschland, derSchweiz und in den Niederlanden werdenrückreisewillige Iraker gefördert. Die Inter-nationale Organisation für Migration (IOM)organisiert Transitvisa für die Türkei undeinen Flugschein; die Kosten werden vonden zuständigen Sozialministerien ge-deckt. In der Schweiz erhalten Rückreise-willige 2000 USD Startgeld. Ein Monito-ring vor Ort existiert nicht.

Ähnliche Entwicklungen zeichnensich in allen europäischen Ländern ab.Frankreich beispielsweise hat durch dengezielten und dauerhaften Entzug von So-zialleistungen (Asylbewerber erhalten inFrankreich eine Aufenthaltsgenehmigungohne Anrecht auf Sozialleistungen biszum Beginn des Verfahrens, dass in derRegel innerhalb der ersten zwei Wocheneinsetzen muss – irakische/irakisch-kurdi-sche Flüchtlinge warten derzeit bis zusechs Monate auf den Beginn des Verfah-rens) erreicht, dass von den bei der spek-takulären Landung eines Schiffes an dersüdfranzösischen Küste eingereistenFlüchtlingen bereits jetzt gut zwei Drittel“verschwunden”, das heißt: weitergeflo-hen sind.

Das Netzwerk soll,. eine bessere Öffentlichkeitsarbeit überdie Asylpraxis gewähren,

. helfen, Kontakte für Betroffene zu An-wälten und Unterstützern zu vermitteln,

22______________ Irak ______________

Der Schlepper Nr. 17 Flüchtlingsrat SH Februar 2002

Page 23: s17_gesamt

. Möglichkeiten für politische Initiativenund Kampagnen entwickeln.

3.) die Analyse (flüchtlings-)politischer Konzepte und Entwicklung

eigener Strategien.

Der kurdische Nordirak gilt als Mo-dellfall für eine koordinierte europäischeFluchtabwehr. Modelle wie die “Regionali-sierung der Flüchtlingsaufnahme” oderder “Kohärenz von Außen-, Asyl- und Ent-wicklungspolitik” fußen maßgeblich aufdem Modellfall kurdischer Nordirak. Damitbietet die Region die Möglichkeit, die prak-tische Wirksamkeit dieser Programme zuuntersuchen. Dabei scheint offenkundig,dass die entwicklungspolitische und huma-nitäre Politik gegenüber der Region einhohes Maß an Verantwortung für die Ent-wicklung vor Ort tragen. Eine genauereAnalyse des Zusammenhangs von huma-

nitärem Hilfsregime und Flucht müsstedringend geleistet werden, um das Kon-zept auf praktischer Ebene anzugehen.

Die “Regionalisierung” funktioniertauch in den Strategiepapieren der EU undin Einzelstaaten nur in Zusammenhangmit Repression. Die ausgelagerten Re-pressionsmaßnahmen gegenüber iraki-schen/irakisch-kurdischen Flüchtlingen ha-ben in den vergangenen Jahren massivzugenommen. Dies hat vor allem zur Fol-ge, dass die Flucht aus dem Irak immergefährlicher und aufgrund der notwendi-gen Professionalisierung der Fluchthelferund Schleuser immer teurer wird. Vor al-lem die Pläne der EU im Bezug auf dieAuslagerung des repressiven Grenzregi-mes in die Türkei müssen hier genau be-obachtet, analysiert und kritisiert werden.Aufgrund der türkischen Staatskrise unddes erst kürzlich in einem nationalen Akti-onsprogramm unterstrichenen Wunschesder Türkei der EU beizutreten, bestehthier aller Grund zur Sorge.

Da die gegenüber dem Irak/kurdi-scher Nordirak verfassten Papiere undKonzepte eine Vorreiterrolle spielen, istihre Analyse auch von Relevanz für ande-re Regionen und die Orientierung der eu-ropäischen Asylpolitik im Hinblick auf einangestrebtes gemeinsames europäischesAsylrecht. Die darin enthaltenen Tenden-zen zur Ethnisierung, Regionalisierungund Auslagerung sind nicht zuletzt des-halb brandgefährlich, weil sie in der Pra-xis Tatsachen zu schaffen drohen, diesich auf die Formulierung dieses Rechtsdirekt auswirken werden. Bereits jetzt sindzentrale Punkte der Genfer Flüchtlings-konvention in der Praxis außer Kraft ge-setzt.

Das Netzwerk soll. die Analyse europäischer Entwicklun-gen vorantreiben und die einzelnen An-sätze in verschiedenen Staaten zusam-menführen,

. Ansätze einer gezielten Informationspo-litik auf europäischer Ebene entwickeln,

. die Kritik an der europäischen Flücht-lingspolitik forcieren, die von weitrei-chender Bedeutung für die Situation vonFlüchtlingen innerhalb der europäischenStaaten ist, genauso wie für die Entwick-lung der sogenannten Herkunftsregio-nen.

Die im Netzwerk vertretenen Orga-nisationen und Personen wollen diesedringenden Aufgaben in gemeinsamer An-strengung angehen. Gemeinsam bedeu-tet in Zusammenarbeit mit irakischen, kur-dischen und europäischen Initiativen. Wirladen alle Interessierten dazu ein, sich andem Netzwerk zu beteiligen. Termine dernächsten Treffen sind unter der E-Mailvon IKCON: [email protected] zu erfragen.

Der Flüchtlingsrat Schleswig-Hol-stein ist durch Irene Dulz bei IKCON ver-treten. Die Mitarbeiterin der DW-Flücht-lingsarbeit in Norderstedt ist dienstagsund donnerstags von 11 bis 15 Uhr zu er-reichen.

DW-Flüchtlingsarbeit NorderstedtSchulweg 30, 22844 NorderstedtTel.: 040-5 26 26 88Fax: 040- 5 26 26 60E-Mail: [email protected]

Mehr Informationen:http://www.iconet.org

Herzliche Einladung

Sonntagsspaziergänge 2002zum AbschiebungsgefängnisGlasmoor (Norderstedt)

Durch eine Initiative des Nordelbischen Arbeitskreises Asyl in der Kirche gibtes seit 1995 regelmäßig friedliche Kundgebungen vor der Hamburger Abschie-bungshaftanstalt Glasmoor.

Einzelne Kirchengemeinden, Pastorinnen und Pastoren oder andere kirchli-che Gruppen gestalten jeweils eigenverantwortlich diese Andacht oder Protestkund-gebung. Es steht den Gruppen frei, mit welchen Forderungen sie neben ihrer erklär-ten Solidarität mit den Gefangenen nach außen treten werden.

Der Nordelbische Arbeitskreis Asyl in der Kirche spricht sich uneinge-schränkt für die Abschaffung von Abschiebungshaft für Flüchtlinge aus. An Stellevon Haft muß ein nationales und internationales Flüchtlingsprogramm treten, dasden Flüchtlingen ermöglicht, ihre Menschenwürde zu wahren.

Vier Sonntage im Jahr werden vom Nordelbischen Arbeitskreis Asyl in derKirche koordiniert.

Sonntag, 3. März 2002

„Spaziergang“ zum Abschiebegefängnis Glasmoor

gestaltet von Pastor Uwe Heinrich mit Saxophon-Musik

Treffpunkt: 15 Uhr, in der Glasmoorstraße/Ecke Am Glasmoor, Norderstedt

______________ Irak ______________23

Februar 2002 Flüchtlingsrat SH Der Schlepper Nr. 17

Page 24: s17_gesamt

Den Menschen in der Demokrati-schen Republik Kongo bleibt nichts er-spart. Der Osten des Landes wurde am18. Januar von einem verheerendenVulkanausbruch heimgesucht. Wiederbefinden sich Hunderttausende auf derFlucht. Einstweilen gehen vor der Welt-öffentlichkeit weitgeehnd unbeachtetKrieg, Menschenrechtsverbrechen unddie Ausplünderung des Landes unge-hemmt weiter. Wir dokumentieren hierden aktuellen Jahresbericht der Afrika-nischen Vereinigung für Menschen-rechte, ASADHO.

Zusammenfassung des Jahresberichts

2000 der ASADHO:

“Die Zeit ist in der DemokratischenRepublik Kongo (RDC) stehen geblieben”stellt Sidiki Kaba, Vorsitzender der FIDH(Fédération internationale des Ligues desDroits de lHomme) in seinem Vorwortzum Jahresbericht 2000 der ASADHOfest.

Die Zeit ist stehengeblieben, be-gründet er weiter, da keine Verbesserungin bezug auf die Situation der Menschen-rechte festzustellen ist: Ermordungen, au-ßergerichtliche Hinrichtungen, Verschwin-denlassen, systematische Anwendungder Folter oder Mißhandlungen, Kriegsver-brechen und sogar Verbrechen gegen dieMenschlichkeit sind für die Kongolesentägliche Realität.

Die Ermordung von L.D. Kabilasam 17. Januar diesen Jahres hatte Hoff-nungen auf Änderungen gebracht. Diesewaren von kurzer Dauer. Auch wenn seinNachfolger, sein Sohn, Josef Kabila auf in-ternationaler Ebene akpzetiert wird,scheint er nicht in der Lage zu sein, vorOrt seine eigenen Sicherheitsdienste un-ter Kontrolle zu haben. Die Festnahmen

gehen weiter, die Anwendung der Folterist systematisch, die Presse trägt einenMaulkorb, die Menschenrechtler werdenverfolgt, einige befinden sich immer nochin Haft.

Auch in den Ostgebieten, die vonRuanda bzw. Uganda kontrolliert werden,ist keine Verbesserung zu verzeichnen:Die Menschenrechte werden weiter ver-letzt und die Bodenschätze geplündert.Der Krieg dauert an und ist ein idealerVorwand für die unbestrafte Plünderungder Ressourcen des Landes.

I. Die sozio-ökonomische Situation

In ihrem Bericht 2000 beklagt dieASADHO, dass die sozialen und wirt-schaftlichen Grundbedürfnisse weiterhinnicht befriedigt werden können. Für dieStadt Kinshasa wurde im Oktober 2000festgestellt (S.6): “Das Leben ist stehenge-blieben. Die kongolesische Hauptstadt er-lebt eine dieser schweren sozio-ökonomi-schen Krisen, die woanders des öfterenzum Sturz des Regimes führen. Unter denzahlreichen schwierigen Problemen, de-nen diese Stadt mit 6. Mio. Einwohnernkonfrontiert ist, ist die wochenlange Ben-zinknappheit, die wenigen öffentlichenVerkehrsmittel, die rasante Erhöhung derPreise für Gebrauchsgüter und Dienstlei-stungen, die Nichtzahlung der Gehälter inzahlreichen Bereichen des öffentlichenDienstes”. Das was für Kinshasa gilt, trifftebenfalls für den Rest des Landes zu.

Diese katastrophale Situation hatzur Folge, dass die Mehrheit der Bevölke-rung , die bereits Schwierigkeiten hat, derPreisteuerung für Lebensmittel nachzu-kommen, kein Geld für Schüle, Gesund-heit und andere Bedürfnisse ausgebenkann (S .10).

Im Bildungsbereich werden die De-fizite besonders deutlich: Der Anteil fürden Bildungsbereich im Haushalt der kon-golesischen Regierung 2000 betrug ledig-lich 0,6%: dadurch wird klar, dass das Re-gime sich aus der Verantwortung zieht,dass das Niveau des Schulwesens immerweiter sinkt. Nach einer Studie derLIZADEL (Ligue de la Zone Afrique pourla Défense des Droits des Etudiants etdes Elèves = Liga für die Rechte der Stu-denten und Schüler) sind im ersten Halb-

jahr 2000 ca. 6 Millionen kongolesischerKinder im Schulalter nicht zur Schule ge-gangen. 5 Millionen haben endgültig vorEnde der Grundschule die Schule abge-brochen. Viele Kinder sind auf sich ge-stellt, müssen kleine Jobs aufnehmen, umihre Schulgebühren zu bezahlen, da ihreEltern das nicht können. An den Universi-täten ist die Situation ähnlich.

Im Gesundheitsbereich ist die Si-tuation ebenfalls besorgniserregend. “DieKosten für Arztbesuch, Krankenhausau-fenthalt und Kauf von Medikamenten sindim Vergleich zu den niedrigen Gehälternund zu der hohen Arbeitslosenquote der-maßen hoch, dass man ohne zu übertrei-ben behaupten kann, dass in der RDC ge-sund werden an ein Wunder grenzt”,meint die ASADHO. Außerdem “sind diehohen Behandlungskosten, das nicht moti-vierte Personal, der verfallene Zustandder Krankenhäuser die Ursachen dafür,dass die medizinischen Einrichtungennicht in Anspruch genommen werden kön-nen und dass die Sterberate besondershoch ist.”

Der ASADHO sind Fälle bekannt,in denen die Familie eines Patienten al-les, was sie ihm Haus besaß, verkaufenmußte, um die Behandlungskosten zu fi-nanzieren. Andere mußten aus dem Kran-kenhaus flüchten, weil sie die Kostennicht bezahlen konnten.

Die Zahlen, die im ASADHO-Be-richt veröffentlicht werden, sprechen fürsich. Besonders erschreckend ist folgen-des Beispiel aus offizieller Quelle: Lautdem kongolesischen Gesundheitsministe-rium leben 80 % der Bevölkerung in chro-nischer Armut. Parallel zu dieser großenArmut steigt die Zahl der Skandale: Fasttäglich berichtet die Presse in Kinshasaüber Veruntreuung von Staatsgelderndurch Regierungsmitglieder oder Ange-stellte der öffentlichen Hand.

Die offizielle Erklärung für die Ursa-che dieser großen Armut in der Bevölke-rung ist “der Kriegszustand”. Aber selbstdie Soldaten der FAC (Forces ArméesCongolaises) sind davon getroffen, daihre Gehälter nicht bezahlt werden. Dieshat zur Folge, dass sie die Zivilbevölke-rung ausrauben, um selber überleben zukönnen. Die ASADHO berichtet über zahl-reiche Überfälle von Soldaten gegenüberder Bevölkerung. (S. 14 und 15). DieseBeispiele zeigen, in welcher Unsicherheitdie Zivilbevölkerung lebt, denn die Men-

Ein Krieg als Vorwand

für die Plünderung der Ressourcen

und die Verletzungen der MenschenrechteASADHO

ASADHO ist die Afrikanische Vereinigungfür Menschenrechte. Sie liefert seit Jahrenwichtige Informationen zur Lage in der D.R.Kongo. Der Bericht wurde von PierretteRoussillat übersetzt und zusammenge-fasst. Pierrette Roussillat ist Mitarbeiterinder Beratungsstelle ZBBS, Kiel.

24______________ DR Kongo ______________

Der Schlepper Nr. 17 Flüchtlingsrat SH Februar 2002

Page 25: s17_gesamt

schen werden nicht nur ausgeraubt, son-dern auch oft brutal mißhandelt. DieseÜberfälle sind willkürlich und bleiben inder Regel unbestraft.

II. Die Verletzung der politischen

Rechte

(a) Die JustizErneut prangert die ASADHO in ih-

rem Jahresbericht die Rolle des Millitärge-richtshofes (COM = Cour dOrdre Militaire)an (S. 16 bis 22): Der COM wurde im Au-gust 1997 per Dekret geschaffen. AlleRichter sind Offiziere der Streitkräfte, sieignorieren die Grundgarantien für faire Ge-richtsverfahren. Wie in den Jahren zuvorbetont die ASADHO, dass die Zuständig-keiten des COM unkontrolliert ausgewei-tet wurden. Ursprünglich beschränkte sichdie örtliche Zuständigkeit des COM aufKinshasa und Umgebung, mittlerweilewurde dies aber auf das ganze Territori-um erweitert. Außerdem ist der COMauch für alle Arten von Straftaten zustän-dig, einschließlich politische Delikte, dieals “Staatsgefährdung” eingestuft werden.

1997 wurde der COM geschaffen,mit dem Ziel, Ordnung unter die neuenStreitkräfte zu bringen . Der COM solltedaher, Mißbräuche durch Angehörige derArmee gegenüber Zivilisten unterbinden.Aber auch hier deuten die Zahlen, dassdieses Ziel nicht erreicht wurde, vielmehr,dass der COM mittlerweile “mehr ein Re-pressionsorgan als ein Gerichtshof ” ist: Inden 3 Jahren seines Bestehens hat derCOM mehr Todesurteile als die Militär-und Zivilgerichte in den letzten 20 Jahrendes Mobutu-Regimes ausgesprochen. Un-ter den Verurteilten waren keine Offiziereder Streitkräfte und die Hauptgründe fürdie höchsten Strafen (Todesstrafe, lebens-längliche Haft und Haft zu 20 Jahren) wa-ren “Flucht vor dem Feind, Desertion undVerteilung von Munitionen und Waffen”.Also keine Straftaten wie Überfälle oderMißhandlungen von Zivilisten.

Diese Entwicklung ist für die AS-ADHO um so beunruhigender, dass derCOM nun verstärkt für Zivilisten zuständigist, vor allem mit dem Zweck, die Freiheitder Meinungsäußerung und die Versamm-lungsfreiheit zu unterdrücken oder dieAusübung der politischen Rechte und an-derer Zivilrechte zu verhindern. Journali-sten, aktive Mitglieder der Oppositionspar-teien, Angehörige der Zivilgesellschaftwurden vor den COM zitiert. Die ASAD-HO benennt zahlreiche Fälle, bei denendie Journalisten, die Übergriffe durch Offi-ziere öffentlich kritisiert hatten, des “Ver-rats, der Verunglimpfung der Armee” be-zichtigt wurden (S. 18 +19).

Hier nur ein Beispiel, das die Will-kür des Regimes verdeutlicht und zeigt,dass Aktivitäten im Ausland offensichtlichbeobachtet werden (S.19): Herr FaustinKibancha, Leader der Zivilgesellschaft indem Nord-Kivu wurde im Juli 2000 durchAngehörige des ANR (Agence Nationale

de Renseignements = einer der Geheim-dienste) in seinem Haus in Kinshasa fest-genommen. Ihm wurde vorgeworfen, aneinem Treffen der Zivilgesellschaft desKivu im Februar 2000 in Schweden teilge-nommen zu haben. Personen, die sich andiesem Tag bei ihm befanden, wurden mit-verschleppt. Am 04.12.00 kam er vor Ge-richt (den COM). Hauptanklagegrund war“Entgegennehmen von Spenden und an-deren Geschenken, die die Loyalität derBürger gegenüber den Institutionen desLandes unterhöhlen sollten und Teilnah-me an einem Komplott gegen das Regi-me”.

Außerdem beklagt die ASADHO,dass der COM die Armeeangehörigen be-schützt, die Straftaten begangen haben.Sie nennt den COM “ein Organ zumSchutz der Straffreiheit der Armee”.

Gegen die vom COM gefällten Ent-scheidungen können keine Rechtsmitteleingelegt werden. Der Oberste Gerichts-hof (Cour suprême de justice), der die kor-rekte Anwendung der Gesetze durch dieunteren Gerichtsinstanzen überwachensoll, hat keine Machtbefugnis gegenüberdem COM. Wenn Entscheidungen desCOM eine Verletzung der Verfassung be-deuten, - was regelmäßig vorkommt -, ha-ben die Opfer dieser Verletzungen keineMöglichkeit, sie vom Obersten Gerichts-hof annullieren zu lassen.

Die Vorherrschaft des COM findetauf Kosten der unteren Instanzen statt.Eine Untersuchung der Sektion Katanga

der ASADHO zeigt, dass 60 % der Strafta-ten in der Zuständigkeit des COM liegen.Dadurch werden die anderen Gerichte inihrer Beteutung verdrängt. Trotzdem sindRichter /Staatsanwälte oft selber Opfervon Repressionsmaßnahmen und Angrif-fen (S. 21), vor allem dann, wenn sie Offi-ziere der Armee oder der Sicherheitsdien-ste bestrafen sollen.

(b) Einschränkung der Freiheitder Meinungsäußerung, menschenun-würdige Behandlungen, Folter, Haftbe-dingungen.

Medien und Journalisten sind auchZielscheibe der Angriffe durch das Justiz-system, die Sicherheitsdienste oder durchdie Polizeikräfte, sobald sie verdächtigtwerden, in Opposition mit dem Regime zustehen. Nach der Meinung der Regierungsoll die Presse die “Feinde des Volkes”bekämpfen und eine wichtige Rolle für dieBeendigung des Krieges spielen. Dies er-klärte der Kommunikationsminister, Domi-nique Sakombi, am 27.12.2000. DieserGedanke steht im krassen Gegensatz zuder Unabhängigkeit der Presse und derFreiheit der Meinungsäußerung. DieserWiderspruch war Auslöser für zahlreicheFestnahmen und Angriffe gegenüber Jour-nalisten, die die Informationen in den Au-gen der Regierung nicht “richtig” behan-delt hatten. Die ASADHO zählt zahlreicheFälle von Sendeverboten für verschiede-ne Fernseh- und Radiosender, von Be-

______________ DR Kongo ______________25

Februar 2002 Flüchtlingsrat SH Der Schlepper Nr. 17

Page 26: s17_gesamt

schlagnahmen von Material, von Festnah-men von Journalisten (S. 22 bis 25) auf.

Die ASADHO dokumentiert eben-falls (S. 25 bis 28) Fälle von willkürlichenFestnahmen von Mitgliedern politischerParteien. Diese richten sich gegen alleOppositionsparteien, insbesondere gegenMitglieder der FONUS, UDPS, PDSC,CODEP, MPR, MNCK. Es wird in der Re-gel den Festgenommenen vorgeworfen,gegen das Versammlungsverbot versto-ßen zu haben und an politischen Ver-sammlungen, auch wenn es sich um priva-te Zusammenkünfte in Privathäusern han-delt - teilgenommen zu haben, oder sichkritisch über die politische Situation in derRDC geäußert zu haben. Festgenommenwerden sowohl bekannte Persönlichkeitenwie Herr Olengha Nkoy, Vorsitzender desFonus als auch einfache Mitglieder. Beiden von der ASADHO genannten Fällenwurden die Menschen in Privathäusernfestgenommen und von dort aus zu denGefängnissen der verschiedenen Geheim-dienste (ANR, DEMIAP) verschleppt.Auch an diesen Fällen wird die Willkürdes Regimes besonders deutlich: alle an-wesenden Personen werden einfach mit-verhaftet, in einigen Fällen ausländischeGäste, Hausangestellte und in einem Fallsogar ein Baby!

Die Festgenommenen werden indie Gefängnisse der verschiedenen Si-cherheitsdienste (ANR, DEMIAP, GSSPusw.) und erleiden teilweise dort Mißhand-lungen und Folter.

Aus anderen Provinzen der RDCwerden von den ASADHO-Sektionen ähn-liche Fälle gemeldet.

Im Kapitel III des Jahresberichtes(S. 29 bis 31) listet die ASADHO zahlrei-che Fälle von willkürlichen Festnahmenund illegalen Verhaftungen auf. Diese Ver-haftungen durch Angehörige der Sicher-heitsdienste richten sich gezielt gegenMenschen, die verdächtigt werden, mitder Rebellion zusammenzuarbeiten, ge-gen Menschenrechtsaktivisten, gegen Op-positionelle, aber auch willkürlich gegendie Bevölkerung.

Weiterhin berichtet die ASADHOim Kapitel IV (S. 32 bis 34) über men-schenunwürdige Behandlungen, über will-kürliche Hinrichtungen ohne Gerichtsver-fahren.

Unter den von der ASADHO zitier-ten Fällen sind Menschen, die infolge derMißhandlungen in den Gefängnissen oderbei der Festnahme gestorben sind.

Alle dokumentierten Fälle der AS-ADHO zeigen den diktatorischen Charak-ter des Regimes. Daraus wird klar, dassdie Soldaten der FAC und die Angehörigeder verschiedenen Sicherheitsdienste will-kürlich und unkontrolliert operieren. Auchdie Tatsache, dass sie in der Regel unbe-straft bleiben bzw. den Schutz des COMerhalten, macht sie besonders gefährlich.

Die Frauen und die Mädchen wer-den von Soldaten , die sie auf dem Marktoder auf dem Feld überraschen, erpresstoder vergewaltigt und anschließend be-stialisch zerstümmelt oder gar ermordet.Auch zu diesem Punkt nennt die ASAD-

HO Fälle von Aggressionen gegenüberFrauen (S. 37 + 38.)

III. Menschenrechtsverletungen in den

von der ruandischen bzw. ugandischen

Armeen und den alliierten Rebellen

kontollierten Gebieten.

(a) Gebiete unter der Kontrolleder ruandischen Armee und derRCD/Goma

Auch in diesen Gebieten ist die Si-tuation alarmierend. Die ASADHO wurdeüber Mißhandlungen und Vergewaltigun-gen von jungen Frauen durch Soldatender ruandischen Armee informiert.

Die ASADHO berichtet ebenfallsvon Massakern in der Zivilbevölkerung:Unter dem Vorwand, die ruandischen Mili-zen, Interahamwes, bekämpfen zu müs-sen, werden Zivilisten angegriffen, Dörferin Brand gesetzt und Menschen ver-schleppt oder getötet. Leidtragende sindimmer Frauen, Kinder, Männer in der Zivil-bevölkerung. Diese Angriffe können sichaber auch gezielt gegen Menschen rich-ten, die verdächtigt werden, mit den Mili-zen zu kollaborieren. In diesen Gebietenherrschen Angst und Terror.

(b) Gebiete unter der Kontrolleder ugandischen Armee und der RCD-ML

Auch in diesen Gebieten dient dieBekämpfung der Milizen, May May, alsVorwand für Massaker in der Zivilbevölke-rung, Zerstörung von Dörfern und Verbrei-tung des Terrors. Verschleppungen, Ver-gewaltigungen von Frauen und Mädchenund willkürliche Verhaftungen in sog. “Lö-chern” (siehe Bericht 1999) zählen zuden menschenunwürdigen Behandlungs-methoden der ugandischen Armee. Da indiesem Teil des Landes keine Gerichtebestehen, die für die Bestrafung ugandi-scher Soldaten zuständig sind, müssendie Opfer sich an die Organe der Rebelli-on wenden. Da diese die ugandische Ar-mee schützt, bleiben die ugandischen Sol-daten unbestraft. Dies scheint eine gewoll-te Politik Ugandas zu sein: Die Bevölke-rung wird terrorisiert, damit sie schweigt,während die Ressourcen geplündert wer-den.

(c) Menschenrechtsverletzun-gen durch beide Armeen und ihre kon-golesischen Alliierten

Hierzu zählen vor allem die Kämp-fe in Kisangani im Mai und Juni 2000, beidenen ca. 900 Menschen (meistens Zivili-sten) ums Leben gekommen sind und wei-tere 2000 verletzt wurden. Große Teileder Stadt wurden zerstört.

Kinder und Frauen in den Gebie-ten unter der Kontrolle der Rebellen lei-den unter den Folgen des Krieges undder Plünderungen durch die ruandischebzw. ugandische Armeen.

Die Plünderung der Bodenschätzeist, nachdem die Kämpfe nachgelassenhaben, die Hauptaktivität der Rebellen inden Ostgebieten. Die Hauptrolle dabeispiel Coltan: Die SOMIGL ( Société Mi-nière des Grands Lacs) hat das Kauf- undVerkaufmonopol für Coltan. Ende Dezem-ber 2000 verkaufte die SOMIGL 78. 553kg Coltan und erhielt 3.942.636 US-Dol-lar. Geliefert wurde dies an 2 belgischeFirmen. Laut der RCD/Goma betrugen dieGewinne für den illegalen Abbau von Col-tan 5 Mio US-Dollar seit Dezember 2000.Im Vergleich dazu haben im DezemberBeamte ein Gehalt von 300 Francs Con-golais, d.h. ca 4 US-Dollar, erhalten, unddies war ihr einziges Gehalt für das Jahr2000. Die Bevölkerung im Kivu lebt in ei-ner großen Misere. Laut der ASADHOwürden ruandische Gefangene beim Ab-bau von Coltan arbeiten.

IV. Zusammenfassung

Die ASADHO schließt ihren Jah-resbericht mit der bitteren Feststellung ab,dass die Situation sich in der RDC weiterverschlimmert hat: Seitens des Regimesin Kinshasa ist die Repression stärker ge-worden, die Strukturen der Sicherheits-dienste haben sich verschärft: Sie sind Or-gane des Terrors und der Folter gewor-den. Das Regime ist nicht mehr in derLage, diesen Repressionsapparat zu stop-pen, den er in Gang gesetzt hat. Die Ju-stiz ist wie ein Bollwerk vor diesen Ab-schweifungen: Der COM ist mit der syste-matischen Repression der Akteure der Po-litik und der Zivilgesellschaft das Hauptin-strument zur Sicherung der Diktatur. Op-positionnelle, Menschenrechtsaktivisten,Kirchenmenschen, Menschen aus denMedien sind ihre Opfer.

Da der Staat 60% der Ressourcenin den Krieg investiert, ist er gezwungen,sich aus den anderen Bereichen (Bildung,Gesundheit, Arbeit..) zurückzuziehen. DieZivilbevölkerung verelendet.

In den besetzten Gebieten ist dieSituation von Massakern gekennzeichnet.Uganda, Ruanda und die Rebellengrup-pen bereichern sich, indem sie die Boden-schätze hemmungslos ausplündern.

Die ASADHO ruft daher alleKriegsparteien auf, das Abkommen vonLusaka umzusetzen, die Grundrechte derMenschen zu achten und die Ausplünde-rung des Landes zu beenden. Sie bittetdie Internationale Gemeinschaft darum,Druck auf die Kriegsparteien auszuüben,damit die genannten Ziele erreicht wer-den, plädiert erneut für die Schaffung ei-nes internationalen Strafgerichts für dieRDC, fordert eine Änderung des Mandatsder UNO und eine Erweiterung der huma-nitären Hilfe in der RDC.

Mehr Informationen:www.congoline.com

26______________ DR Kongo ______________

Der Schlepper Nr. 17 Flüchtlingsrat SH Februar 2002

Page 27: s17_gesamt

Die Konferenz „Fluchtweg Ostsee“

Die vom Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein und einem breiten Trägerkreis or-ganisierte Konferenz mit dem Titel “Flucht-weg Ostsee” fand vom 16. 18. 11. 2001in der Evangelischen Akademie Nordelbi-en (Bad Segeberg) statt. Angesichts derEU-Osterweiterung und der Harmonisie-rung des Europäischen Asylrechts in des-sen Verlauf alle nordischen Staaten dasSchengenregelwerk übernommen haben,haben über 100 TeilnehmerInnen aus al-len Ostseeanrainerländern in Bad Sege-berg drei Tage lang die Aufnahme- unddie Integrationsbedingungen für Flüchtlin-ge in Polen und Russland sowie in denbaltischen und skandinavischen Ländernerörtert. Bei einer der Konferenz vorge-schalteten Exkursion hatten die ausländi-schen TeilnehmerInnen bei Besuchen inBundes- und Landesbehörden in Lübecksowie bei Unterstützungsinitiativen inHamburg Gelegenheit, sich über die Asyl-praxis und Probleme des Flüchtlingsexilsin Deutschland zu informieren. Die Span-ne der Beteiligten ReferentInnen und Teil-nehmerInnen reichte von zwischenstaatli-chen Organisationen wie UNHCR Polen,Litauen und Lettland, über große Wohl-

fahrtsverbände wieRotes Kreuz Litauenoder Refugee AdviceCentre Finnland bishin zu politisch Enga-gierten ehrenamtli-chen Unterstützer-gruppen und Einzel-personen sowieSelbtshilfeorganisatio-nen von Flüchtlingen,wie die Foreigner As-sociation aus Lettlandoder The Voice ausDeutschland.

Besonderes Interesse fand dieKonferenz bei zahlreichen Organisationenaus den baltischen Staaten, Polen, St. Pe-tersburg und Kaliningrad. Sie gaben enga-giert Einblicke in die Etablierung einesAsylsystems in ihren Ländern, das zuwei-len skurrile Züge annimmt, da insbesonde-re in Lettland und Estland die Zahl vonAsylanträgen minimal ist und trotzdem einausgefeiltes und mit zahlreichen Restrik-tionen versehenes Prozedere aufgebautwird. Die Angleichung der Asylsysteme an„EU-Standards“ ist weit fortgeschritten.Dies hat den positiven Effekt, dass über-haupt gesetzliche Regelungen zumSchutz von Flüchtlingen eingeführt wur-den, jedoch auch den negativen Effekt

der gleichzeitigen Einführung restriktiverElemente wie beschleunigte Asylverfah-ren, Drittstaatenregelung, dem Konzept si-cherer Herkunftsländer etc. Damit einhergeht eine weitere Aufrüstung der Grenzenund eine Verlagerung der Entscheidungüber Zugang zum Land und damit zumAsylverfahren auf die Grenzbehörden.Dies wurde einhellig kritisch betrachtet.Der UNHCR befindet sich in diesem Pro-zess in der schwierigen Situation, einer-seits die Etablierung des Asylsystems zubegleiten, andererseits auch die Arbeitvon Nichtregierungsorganisationen (NGO)zu stützen, die bisher kaum über Struktu-ren verfügen.

Die Vertreter/innen von UNHCRund NGOs aus den EU-Anwärterstaatenwaren sich einig darin, dass zu wenig fürdie soziale Integration der Flüchtlinge ge-tan wird und u.a. deshalb selbst anerkann-te Flüchtlinge in westliche EU-Länder wei-terwandern möchten. Besonders proble-matisch ist die soziale Lage von Flüchtlin-gen in Russland, wie Vertreter/innen ausSt. Petersburg und Kaliningrad berichte-ten. Sie erhalten keinerlei soziale Unter-stützung und sind bis zum Erhalt einesFlüchtlingsstatus existenziell auf unbüro-kratische Hilfe von engagierten Einzelper-sonen und Organisationen angewiesen.

Auf dem Weg zu einer

Vernetzung von untenAstrid Willer

Astrid Willer ist Mitarbeiterin beim Flücht-lingsrat Schleswig-Holstein e.V.

______________ Ostsee ______________27

Februar 2002 Flüchtlingsrat SH Der Schlepper Nr. 17

Page 28: s17_gesamt

„Gestrandet - Afghanische Flüchtlinge in Warschau“

Sendung „Klartext“, ORB, vom 11.12.2001Beitrag von: Sascha Adamek

Dembak, eine abgelegene Waldregion 40 Kilometernördlich von Warschau. Hier besuchen wir das größte Flücht-lingsheim Polens 360 Menschen warten hier auf ihre Aner-kennung als Asylbewerber darunter gut 50 Afghanen undjede Woche werden es mehr.

Die Sozialarbeiterin Anna Duszynska arbeitet seitsechs Jahren hier. Sie führt uns zu den afghanischen Flücht-lingen. Ihr Besuch stößt auf reges Interesse. Es scheint,zu selten schaut hier jemand vorbei, bei dem die Menschenihre Sorgen loswerden können.

Ein afghanischer Flüchtling berichtet: „Wir kamen ineiner Gruppe von hundert Menschen aus unserer Gegend.Dabei hätte dieser Junge ums Leben kommen können, dermit seinen Eltern, seiner Schwester flüchtete, mit uns zusam-men. Es ist schwierig, auf diesem Weg zu flüchten, niemandkann dort einfach das Land verlassen, weil überall noch im-mer gekämpft wird. Wir wünschen uns, dass hier alles o.k.sein wird und uns jemand hilft, ein menschenwürdiges Le-ben zu führen.“

Frau Duszynska weiß allzu gut, woran es mangelt imHeim: besonders die Kinder und Jugendlichen haben esschwer, würden gern die Schule besuchen doch die gibt esnicht.“Ich bin Medizinstudent.“ sagt einer, „Deshalb hätte ichniemals freiwillig mein Land verlassen. Die Situation zwangmich dazu, ich wäre sonst nie in ein solches Land gekom-men. Ich bin ein friedfertiger Mensch, habe eine Ausbildung.Ich möchte eine Zukunft. Aber sie haben meinen Pass ge-nommen, so habe ich keine Möglichkeit, in ein anderes Landweiterzureisen. Ich kann auch nicht zurück in mein Land.Aber ich möchte nicht hier bleiben. Hier gibt es für michnichts zu tun. Wie soll ich hier eine Zukunft haben, das istdie Frage.“

Zwölf Personen in einem Zimmer, trotzdem ist es einDach über dem Kopf für Menschen, die ihr Leben gerettethaben ein Fortschritt. Die meisten hier haben eine strapaziö-se Reise von zwei, drei Monaten hinter sich sie wurdenüber tausende Kilometer hierher geschleust.

Die Essensausgabe: eine willkommene Abwechslungfür die Kinder. Pro Person eine Mahlzeit nach Vorlage einesLichtbildausweises die polnischen Flüchtlingseinrichtungenmüssen haushalten. Heute gibt es Schweinsbuletten mitRotkohl. Die moslemischen Bewohner müssen daher an die-sem Abend auf Fleisch verzichten.Während in ihrer Heimatnoch immer täglich Menschen bei Gefechten sterben, sindsie vorerst sicher. Ein zwiespältiges Gefühl. Die Ungewiss-heit ist am schlimmsten: kaum jemand hat hier Kontakt mitden Verwandten in Afghanistan, weiß, wie es um sie steht.Geld erhalten Flüchtlinge in Polen nicht auch nicht zum Te-lefonieren “Mein großer Bruder ist in Deutschland,“ erklärtein Jugendlicher, „deshalb will ich nach Deutschland gehen,das ist ein großes Problem. Ich bin 15 Jahre alt und das hierist mein anderer Bruder, er ist 16. Mein großer Bruder inDeutschland ist wie mein Vater, ich bin erst 15 und hier inPolen haben wir niemanden. Und in Afghanistan wissen wirnicht, was aus unseren Leuten geworden ist.“

Anna Duszynska, die Sozialarbeiterin, ergänzt: „Daswichtigste ist jetzt: Du kannst auf legalem Weg nicht nachDeutschland gehen. Du musst auf die Dokumente warten.Und das ist es, was du beantragt hast. Du wartest auf denFlüchtlingsstatus in Polen. Und das dauert eine lange Zeit.“

Die zentrale Aufnahmestelle für Flüchtlinge in War-schau. Tausende Menschen warten hier auf ihre Asylbe-scheide und das kann auch in Polen Jahre dauern. Die mei-sten ziehen derweil weiter nach Westen von bislang 2500Afghanen 2100 - für sie ist Polen ein Transitland. Grund: nie-mand hat in Polen Freunde oder Verwandte, die bei der Inte-gration helfen könnten kein Wunder bei einem Ausländeran-teil von nur 0,1 Prozent.

Und wer irgendwann zu den wenigen anerkanntenFlüchtlingen gehört, dem verweigert der Staat meist jede Hil-fe, wie Mietzuschüsse oder Arbeitsvermittlung. Dabei sinddiese Integrationshilfen offiziell vorgesehen, kritisiert WojechTrojan, Vertreter des UNHCR in Polen: „Tatsächlich existie-ren die meisten dieser Rechte nur auf dem Papier. Weil ihregrundlegendsten Bedürfnisse nicht befriedigt werden, habenanerkannte Flüchtlinge keine andere Option, als ihre Kofferzu packen, Geld zu sammeln, falls es welches gibt unddann westwärts weiterzuziehen. Das ist die Realität in Po-len.“

Polen, das Tor zum Westen. Doch seit dem soge-nannten Drittstaaten-Abkommen 1993 darf kein Flüchtlingder Welt mehr auf legalem Weg über Länder wie Polen oderTschechien nach Deutschland reisen. Jedes Jahr versuchendaher Tausende Flüchtlinge den illegalen Grenzübertritt.Doch keine Grenze in Europa wird besser bewacht als diedeutsche Ostgrenze. Gefährlicher Höhepunkt der illegalenEinreise ist für viele das Durchschwimmen von Oder undNeiße in der Dunkelheit. Hier ein häufiger Fluchtort bei Pu-sack in Brandenburg. Dabei ertranken in den letzten zehnJahren fast 90 Menschen - wie dieser Libanese 1992 an derOder.

Und wen der BGS in Grenznähe erwischt, der wirdsofort nach Polen abgeschoben. Dort erlebten einige afgha-nische Flüchtlinge, die aus Deutschland abgeschoben wor-den waren, kürzlich eine böse Überraschung, berichtet Wo-jech Trojan: „Wir waren sehr überrascht, dass einige von de-nen, die man an der polnisch-deutschen Grenze geschnapptund zurückgeschickt hatte, hier in Polen einen Abschie-bungsbefehl direkt nach Kabul erhielten. Und das nachdemder Krieg dort begonnen hatte. Das zeigt, dass diejenigenBeamten, die solche Entscheidungen treffen, außerhalb je-der Realität stehen.“

Die Haltestelle von Otrebusy. Hier hält der Vorstadt-zug aus Warschau. Diese Flüchtlinge kommen gerade vonder Visastelle, haben dort ihre Papiere erneuert. Von hieraus sind es vier Kilometer Fußmarsch zum Asylbewerber-heim.Die Zeit eilt. Um 16 Uhr ruft der Imam zum Nachmit-tagsgebet. Afghanen, Tschetschenen und Afrikaner. Dengläubigen Flüchtlingen gibt das Gebet neue Kraft. Esscheint, das Asylbewerberheim ist einer der wenigen multi-kulturellen Orte Polens.

28______________ Ostsee ______________

Der Schlepper Nr. 17 Flüchtlingsrat SH Februar 2002

Page 29: s17_gesamt

Ein weiterer Schwerpunkt war dieSituation von Menschen in Abschiebehaftund die zunehmende Illegalisierung vonMigrant/innen, die in den Baltischen Staa-ten, insbesondere in Lettland und Estland,noch eine besondere Komponente hat, dahier auch Angehörige des russischen Be-völkerungsteils durch die Einbürgerungs-gesetze in die Illegalität geraten. Die Be-dingungen in den Abschiebeeinrichtungender Baltischen Staaten wurden als kata-strophal beschrieben. Der Zugang istselbst für den UNHCR nicht immer ge-währleistet und die Haftdauer ist unbefri-stet, so dass Menschen zum Teil jahre-lang in Abschiebehaft sitzen.

Bedauerlicherweise waren nur we-nige Organisationen aus Skandinavienvertreten. Ob dies skandinavischer Ta-gungskonkurrenz zu schulden ist, oderdort der Bedarf an regionalem Kontaktund Vernetzung nicht so groß ist, bleibtnoch zu prüfen. Es existieren von Skandi-navien aus schon seit längerem bilateralePartnerschaften mit Organisationen imBaltikum, die sich im Wesentlichen in logi-stischer Unterstützung manifestieren.Zum anderen arbeiten die jeweils landes-weit agierenden Organisationen wie derDänische Flüchtlingsrat oder das FinnishRefugee Advice Centre teilweise in quasi-staatlichen Strukturen und scheinen zu-mindest dem Eindruck nach wenig Kon-takt zu Basisorganisationen zu haben. Sowurde dann auch die Vertreterin des Däni-schen Flüchtlingsrates gefragt, ob ihre Or-ganisation nicht im Kreuzfeuer der Kritikaus der solidarischen Flüchtlingsarbeitstünde, wenn der Flüchtlingsrat z.B. seinVetorecht im Rahmen der Widerspruchs-kammer nur in 20% der negativ entschie-denen Asylanträge nutzt.

Wichtig wäre es in Bezug auf dieskandinavischen Länder in jedem Fall,stärker in Kontakt mit kleineren Organisa-tionen zu treten, um sich ein differenzierte-res Bild von der Lage zu machen. Die an-wesenden skandinavischen Teilnehmer/in-nen betonten, dass sich eine zunehmen-de Restriktion im Asylrecht erkennen lässtund die Einführung der Schengen-Rege-lungen nationale Spielräume negativ ein-geengt haben.

In den Arbeitsgruppen am Sonntagwurde noch einmal deutlich, wie notwen-dig ein weiterer Austausch über Länder-grenzen hinweg ist: Für die politische Lob-byarbeit gegen eine Festung Europa,aber auch für praktische Kooperation zumBeispiel bei Familienzusammenführungoder minderjährigen Flüchtlingen. Es wur-de aber auch erheblicher Gesprächsbe-darf über grundlegende Sichtweisen deut-lich, denn die NGOs in den EU-Anwärter-staaten sahen die zu erwartende Zunah-me an Flüchtlingszahlen angesichts derwirtschaftlichen Lage ihrer Länder vorran-

gig unter dem Aspekt der „Belastung“. DieErklärung, die die Teilnehmer/innen im An-schluss an die Konferenz verabschiede-ten, enthielt dann die Forderung, dass derProzess der Harmonisierung des Europäi-schen Asylrechts nicht zu Lasten humani-tärer Standards im Flüchtlingsrecht gehendarf und die wirtschaftliche Belastungnicht in die Anwärterstaaten als Vorpo-sten der EU verlagert werden kann.

Die VertreterInnen von NGOs allerOstseeanrainerstaaten erklärten ihr Inter-esse und ihre Bereitschaft, den regelmäßi-gen Austausch über Ländergrenzen hin-weg zu intensivieren und auf diesemWege ein Netzwerk der in der solidari-schen Flüchtlingshilfe im Ostseeraum Tä-tigen zu schaffen. Angedacht wurde in die-sem Zusammenhang die Umsetzung ei-nes EDV-gestützten Netzwerkes vonGruppen und Organisationen der Flücht-lingssolidarität im Ostseeraum.

Eine Dokumentation mit allen Vor-trägen der Konferenz ist ab Februar 2002über den Flüchtlingsrat Schleswig-Hol-stein erhältlich. Weitere Informationenzum Thema sind zu finden unter www.bal-

tic-refugee.net, die E-Mail-Adresse [email protected]. Auch der ausführlicheBericht über eine Delegationsreise nachPolen und in die baltischen Staaten vomHerbst 2001 kann beim Flüchtlingsat be-stellt oder online gelesen werden:www.frsh.de/schl_16/inhalt_301.html

Illegale Einreisen nach Litauen

Nach Meldung des litauischenAußenministeriums wurden im Jahr2001 an den Grenzen Litauens 107 Mi-grantInnen bei dem Versuch der Einrei-se ohne Papiere festgenommen. ImJahr 2000 waren es nach offiziellen An-gaben 1000. Circa die Hälfte der in2001 an der Grenze Inhaftierten kamaus Afghanistan.

SCHIFF-Kolloquium zu Kooperation und Konflikt in der Ostseeregion

Vortrag und Diskussion:Fluchtweg Ostsee. Asylpolitikund Flüchtlingshilfe als Gegen-stand regionaler Kooperation

Mit Helmut Frenz, Landes-Flüchtlingsbeauftragter, Kielund Astrid Willer, Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein.

Am Dienstag, 5. Februar, 18 Uhr im Hörsaal „Aquarium“ der TechnischenFakultät, Gebäude D, Kaiserstr. 2 (Ecke Werftstr.), 24143 Kiel-Gaarden

Es geht um folgende Fragen:

. In welchem Umfang ist die Ostseeregion Zielgebiet oder Durchreiseroute fürMigranten? Welche Gruppen lassen sich unterscheiden, wie sieht ihre rechtlicheund soziale Situation aus? Welche aktuellen Brennpunkte bestehen?. Wie reagieren die Sicherheitsbehörden der Ostseeanrainerstaaten auf Flucht undMigration? Wo liegen die Schwerpunkte der Kooperation?. Welche Aufgaben stellen sich den Flüchtlingsinitiativen und anderen Nichtregie-rungsorganisationen? Wie arbeiten sie zusammen?. Wie steht es in der Region um das Verhältnis von Asylstandards und Menschen-rechtsstandards? Wo besteht besonders dringlicher Handlungs- und Verände-rungsbedarf?

______________ Ostsee ______________29

Februar 2002 Flüchtlingsrat SH Der Schlepper Nr. 17

Page 30: s17_gesamt

Beobachtungen zur Praxis der

Altersbestimmungen bei

minderjährigen, unbegleiteten

Flüchtlingen in der Hansestadt

Hamburg im Jahr 2001

Der minderjährige, unbegleiteteFlüchtling Mohamed Nagano* bittet am02.02.2001 in der Hamburger Ausländer-behörde um Asyl. Mohamed ist 15 Jahrealt. Sein Alter wird von der Ausländerbe-hörde angezweifelt. Da er keine Passpa-piere vorweisen kann, setzen die Sachbe-arbeiterInnen sein Alter fiktiv fest. Der afri-kanische Junge wird kurz in Augenscheingenommen. Anschließend wird der Tagseiner Geburt auf den 02.02.1985 fiktivfestgesetzt. Mohamed hat nach Einschät-zung der Behörde am Tag der Vorspra-che sein 16. Lebensjahr vollendet. Er wirdbehandelt wie ein Erwachsener und musssein Asylverfahren ohne Unterstützungdurch einen gesetzlichen Vormund be-streiten. Die Unterbringung in einer Ju-gendhilfeeinrichtung wird Mohamed ver-weigert, vom Schulbesuch bleibt er ausge-schlossen.

Auf dem Flur der Ausländerbehör-de trifft Mohamed einen Mitarbeiter desCafé Exils und bittet diesen um Hilfe. AlsMohamed erneut von den Sachbearbeite-rInnen der Ausländerbehörde hereingeru-fen wird, warten bereits zwei BeamtInnendes Landeskriminalamtes auf ihn. Moha-med wird nach seinem Alter befragt. Mo-hamed nennt erneut sein Alter von 15 Jah-ren. Die BeamtInnen nehmen ihn darauf-hin in Augenschein. Ein Beamter fordertihn auf, den Mund zu öffnen, damit dieserseine Zähne sehen könne. Dann wird ihmmitgeteilt, er sei mindestens 16 Jahre altund hiermit wegen mittelbarer Falschbeur-kundung festgenommen.

Am 03.02.01 legt der Mitarbeiterdes Café Exils Dienstaufsichtsbe-schwerde beim Landeskriminalamt ein„gegen die menschenverachtenden undrassistischen Maßnahmen des Beamtenzur Altersfeststellung“. Der Beamte sei zu-dem weder befugt noch in der Lage, einemedizinisch fundierte Altersbestimmungzu erbringen.

Im Antwortschreiben vom 27.02.01rechtfertigt das Landeskriminalamt dasVorgehen der BeamtInnen:

„Ziel der polizeilichen Maßnahmenin einem solchen Fall ist die objektive Be-weisführung...“ Es habe sich nach dem„persönlichen Augenschein“ des Beamteneine „augenfällige Diskrepanz“ zwischenMohameds Altersangabe und der Ein-schätzung des Beamten dargestellt. „Umim Interesse des Beschuldigten ganz si-cher zu gehen, bat er Herrn Nagano, sei-nen Mund zu öffnen, um einen Überblicküber die Entwicklung des Gebisses zu er-halten (...) Bei Betrachtung der Weisheits-zähne stellte sich heraus, dass sie deut-lich erkennbar waren. Nach weitgehendeinhelliger Auffassung in der medizini-schen Fachliteratur sind Weisheitszähneerst sichtbar, wenn sich die Personen be-reits im Erwachsenenalter befinden.“

Am 20.03.01 wendet sich der Mitar-beiter des Café Exils in einem OffenenBrief an die Ärztekammer Hamburg. Erbittet die Kammer um eine Stellungnahmezur Praxis der Altersbestimmungen durch1.) in Augenscheinnahme in Hinblick aufKörpergröße, Bartwuchs etc. und 2.) Un-tersuchung der Weisheitszähne.

Die Ärztekammer teilt in ihremSchreiben vom 17.04.01 mit:

1.) „Aufgrund der Körpergröße unddes Bartwuchses gibt es sicher nicht dieMöglichkeit festzustellen, ob ein jungerMensch unter oder über 16 Jahre alt ist.Individuelle und ethnische Unterschiedesind so groß, dass eine sichere Altersbe-stimmung so nicht möglich ist.“ Auch sei2.) „eine Altersfeststellung mit hinreichen-der Sicherheit (...) aufgrund der Zahnent-wicklung nicht möglich.“

Auf die Fragen, ob 3.) fachlich zuverantworten sei, dass Nichtmediziner ge-nannte Altersbestimmungen durchführen,und ob 4.) aus medizinischer Sicht dieseüberhaupt möglich und aus berufsethi-

scher Sicht zu verantworten seien, meintdie Ärztekammer:

Wie ausgeführt ist die „ausrei-chend sichere Altersbestimmung nichtmöglich.“ „ (...) die fachliche und berufse-thische Problematik, ob Ärzte oder Nich-tärzte das Alter von Jugendlichen feststel-len, [ist somit] von nachrangiger Bedeu-tung.“

Am 21. und 24.04.01 berichten dieFrankfurter Rundschau, am 26.04 dietageszeitung über die Stellungnahme derHamburger Ärztekammer. Der Sprechervon Pro Asyl nennt die Altersbestimmun-gen „eine Kopfgeburt der deutschen Büro-kratie“ und fordert ihre Abschaffung.„Mehr Schutz für junge Flüchtlinge gefor-dert“, schreibt die Frankfurter Rundschauam 05.06.01 und berichtet über einen Of-fenen Brief an die Hamburger Regie-rungsfraktionen SPD und GAL. Mehre-re Hamburger Flüchtlingsgruppen und Ju-gendhilfeeinrichtungen, sowie Unicef, ter-re des hommes und der Bundesfachver-band Unbegleiteter Minderjähriger Flücht-linge fordern darin u.a. die Abschaffungder entwürdigenden und willkürlichen Al-tersbestimmungen, die volle Anwendungdes Kinder- und Jugendhilfegesetzes füralle jungen Flüchtlinge sowie eine Politik,die sich zur vollständigen Umsetzung derUN-Kinderrechtskonvention verpflichtet.

Am 26. bzw. 27.06.01 informierendie taz hamburg und die Frankfurter Rund-schau über einen Beschluss des Verwal-tungsgerichts Hamburg zum Altersfest-stellungsverfahren bei minderjährigenFlüchtlingen. Die Hamburger Ausländerbe-hörde und ein von der Behörde bestimm-ter Arzt hatten im Falle einer Minderjähri-gen aus Togo das Alter fiktiv auf 16 Jahrefestgesetzt. Die Ausländerbehörde ordne-te die Umverteilung des Mädchens in eineAufnahmeeinrichtung nach Halberstadtan. Das Gericht stoppte jedoch per einst-weiliger Anordnung die Umverteilung undließ die Unterbringung in einer HamburgerJugendhilfeeinrichtung zu. Das Verwal-tungsgericht rügt die Hamburger Auslän-derbehörde:

Die Verfahrensweise der fiktivenAltersbestimmungen in Grenzfällen er-scheint „zynisch und lässt nicht erkennen,dass den Grundsätzen des Minderjähri-genschutzes Rechnung getragen wird.“

„Gib meine Jugend

mir zurück“*Burkhard Werner

Burkhard Werner engagiert sich im CaféExil in Hamburg. *Der Titel stammt aus demVorspiel zu Goethes „Faust“. *Der Namewurde vom Autor geändert.

30______________ Kinderflüchtlinge ______________

Der Schlepper Nr. 17 Flüchtlingsrat SH Februar 2002

Page 31: s17_gesamt

„Angesichts ihres erlittenen Schicksals(...) kann die Antragstellerin nicht dennaiv-unbeschwerten Gesichtsausdruck ha-ben, den die Antragsgegnerin offenbarvon 15-jährigen erwartet,“ missbilligt dasGericht in seinem Beschluss. Auch weistdas Gericht die Anzweiflung der Geburts-urkunde der jungen Togoerin zurück: „Le-diglich die pauschale Feststellung, es seiin Afrika leicht, an gefälschte Urkunden zukommen, genügt nicht...“ Das Gerichtstellt deshalb grundsätzlich klar: „Bei Un-gewissheit über das Alter des Minderjähri-gen ist somit im Zweifel das für ihn günsti-gere Recht anzuwenden, denn in einerAufnahmeeinrichtung besteht für diesenin der Regel keine Betreuungsmöglich-keit.“

Das Gericht kommt zu einer eben-falls kritischen Auffassung zu den in Ham-burg üblichen ärztlichen Altersbestimmun-gen. Gemäß Koalitionsvereinbarung kannder junge Flüchtling einen von der Auslän-derbehörde vorgegebenen Arzt aufsu-chen, der die behördliche Altersbestim-mung überprüfen soll. Die ärztliche Alter-seinschätzung hat das Verwaltungsge-richt Hamburg nun in seinem Urteil als„nicht aussagekräftig“ getadelt. Sie seienweder medizinisch begründet, bemängeltdas Gericht, noch werde angegeben, fürwie alt genau der Arzt den Minderjährigenhalte.

Trotz der neuen Sachlage siehtman sich im Hamburger Rathaus nichtveranlasst, zum Altersbestimmungsverfah-

ren öffentlich Stellung zu beziehen. DieAusländerbehörde indessen reagiertmit immer neuen Hürden: Seit ca. Au-gust 2001 muss die kleine Schar der min-derjährigen Flüchtlinge, deren Alter vonunter 16 Jahren vom Sachbearbeiter nichtangezweifelt wurde, am Abteilungsleitervorbeimarschieren. Erst wenn auch dieserzustimmt, dürfen die Jugendlichen demJugendamt zur Inobhutnahme übergebenwerden. Darüber hinaus lässt die Behördewiederholt bereits in Obhut genommeneJugendliche, die nach ärztlicher Einschät-zung unter 16 Jahre sind, diese zu einererneuten Alterseinschätzung ins Institutfür Rechtsmedizin am Universitätskran-kenhaus Eppendorf vorladen. Die Rechts-mediziner korrigieren das Alter der Ju-gendlichen in vielen Fällen wieder nachoben. Die Ausländerbehörde nutzte inden vergangenen Jahren die Gegengut-achten des Instituts und ließ wegen „Aus-stellung von Falschattesten“ gegen minde-stens zwei am Altersbestimmungsverfah-ren beteiligten Ärzten ermitteln (Beitragauf NDR 4, Mitte 12/01; taz hamburg17.12.01). „Eines Morgens stand plötzlichPolizei bei mir und wollte meine Praxisdurchsuchen“, berichtet Dr. Gerhard Wie-thold. Gegen ihn wurde ein Verfahren ein-geleitet. Er zog sich daraufhin aus demHamburger Altersfeststellungsverfahrenzurück. Weitere Ärzte folgten ihm. SeitNovember 2001 ist von ehemals 15 amVerfahren beteiligten Ärzten allein dasInstitut für Rechtsmedizin am UKE ge-

blieben, das zuletzt aufgrund des tödli-chen Brechmitteleinsatz` bei dem 19-jährigen Achidi J. vom 09.12.01 in denSchlagzeilen war. Das Institut für Rechts-medizin veränderte bei 281 von 342 Ju-gendlichen, die angaben unter 16 Jahrezu sein, das Alter nach oben, schreibt dieSüddeutsche Zeitung in ihrem Artikel „DieGeburtstagsmacher“ am 08.01.02. „Mit un-seren Methoden kann man das Alter sehrwohl bestimmen, und das ist wissenschaft-lich belegbar“, behauptet Rechtsmedizine-rin Lockemann im Beitrag auf NDR 4. Siehabe weder ethische noch medizinischeBedenken. Dieser Auffassung wider-spricht der geschäftsführende Arzt derÄrztekammer Hamburg, Dr. Klaus-Hein-rich Damm, erneut energisch:

Es gibt „keine zuverlässige einfa-che Lösung, das Alter eines Jugendlichenpräzise festzulegen. Da kann man nichtdran vorbei, und da können auch sachver-ständige Ärzte nicht dran vorbei, und eskann auch nicht ein Rechtsmediziner dranvorbei.“ (NDR 4, Mitte 12/01)

In die website des Flüchtlingsrates Schleswig-Holstein werden regelmäßig

aktuelle Informationen eingestellt:• z.B. Presseerklärungen und Stellungnahmen, Veranstaltungstermine, Weisungen und Erlasse.

• Es gibt einen link zur „Mailingliste Schleswig-Holstein“,

• zur online-Ausgabe des Magazins „Der Schlepper“

• und eine nahezu lückenlose Auflistung von Behördenadressen und Beratungsstellen

im gesamten Bundesland.

Flüchtlingssolidarität online!

www.frsh.de

______________ Kinderflüchtlinge ______________31

Februar 2002 Flüchtlingsrat SH Der Schlepper Nr. 17

Page 32: s17_gesamt

Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge

in Schleswig-Holstein

Der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein hat im letzten Jahr immer wie-der auf die Defizite im Verwaltungsum-gang mit unbegleiteten minderjährigenFlüchtlingen hingewiesen und ihreschwierige Situation, in der sie auch inSchleswig-Holstein leben, deutlich ge-macht. Erste Schritte hin zur Verbesse-rung der Situation dieser besondersschutzbedürftigen Flüchtlingsgruppesind inzwischen festzustellen.

Seit Mitte letzten Jahres werdenalle Kinderflüchtlinge bis 18 Jahre vomLandesamt für AusländerangelegenheitenSchleswig-Holstein statistisch erfasst unddem zuständigen Jugendamt in Lübeckgemeldet.

Obgleich Schleswig-Holstein alsFlächenland im Gegensatz zu Hamburg,Berlin, Köln, Frankfurt oder München fürKinderflüchtlinge nicht unbedingt das be-vorzugte Zielgebiet in Deutschland ist,wurden von Juli bis Dezember 2001 in derZentralen Aufnahmestelle für Flüchtlingein Lübeck nach Auskunft des Landesam-tes 61 unbegleitete minderjährige Flücht-linge registriert und zwar 53 Jungen und 8Mädchen.

Oft endet in Schleswig-Holsteinnur einfach ihr Reiseweg zu den skandina-vischen Ländern wegen fehlender Grenz-übertrittspapiere oder die Jugendlichenwerden als Asylbewerber über 16 Jahrevon anderen Bundesländern der Aufnah-mequote für Flüchtlinge entsprechendnach Schleswig-Holstein verteilt. So istdie Gruppe der 16 bis 18jährigen Kinder-flüchtlinge von den Zahlen her die stärk-ste.

Von den 61 Jugendlichen haltensich zur Zeit noch gut 20 in Lübeck auf,13 sind in der Zentralen Gemeinschaftsun-

terkunft Neumünster untergebracht, eini-ge tauchten wieder unter, der Rest wurdenach Lage der jeweiligen Einzelfälle an-derweitig verteilt.

Die Jugendlichen kommen aus Af-ghanistan, Palästina, Tschetschenien, Ge-orgien, aus der Türkei, aus dem Irak undanderen Ländern. Die große Gruppe derKinderflüchtlinge aus Sierra Leone, Äthio-pien, Eritrea, Sri Lanka oder Vietnam trittin Schleswig-Holstein im Vergleich zu an-deren Bundesländern eher nicht in Er-scheinung. Das hat wohl damit zu tun,dass für die Bearbeitung der Asylanträgevon Flüchtlingen aus diesen Ländern dieAußenstelle des Bundesamtes für die An-erkennung ausländischer Flüchtlinge inLübeck nicht zuständig ist.

Noch nicht erfasst werden die 16bis 18 jährigen unbegleiteten Flüchtlinge,die an den Grenzübergängen nach Skan-dinavien vom Bundesgrenzschutz oder dä-nischen Grenzschutz ohne gültige Grenz-übertrittspapiere aufgegriffen werden,aber in Deutschland keinen Asylantragstellen wollen oder können und deshalbzur Ausreise aufgefordert werden.

In ganz Deutschland leben grobgeschätzt gut 10.000 unbegleitete minder-jährige Flüchtlinge. Die Statistik des Bun-desamt für die Anerkennung ausländi-scher Flüchtlinge weist für das Jahr 1999(2000) eine Neuaufnahme von 781 (703)männlichen und 336 (243) weiblichen un-begleiteten minderjährigen Flüchtlingenunter 16 Jahre aus.

Etwa 20% der Kinderflüchtlinge,die in Deutschland Zuflucht suchten, ka-men auch in diesen beiden vergangenenJahren schon aus Afghanistan, in der Grö-ßenordnung gefolgt von den Herkunftslän-dern Türkei, Sierra Leone, Äthiopien, Eri-trea, Vietnam, Irak, Syrien, Sri Lanka, Pa-kistan.

Auch der Flüchtlingsrat Schles-wig-Holstein ist hinsichtlich der Lö-sung der vielfältigen Probleme im Um-gang mit Kinderflüchtlingen initiativ ge-worden!

Im Sommer 2001 startete er einneues Projekt „Vormundschaften für unbe-gleitete minderjährige Flüchtlinge“. Die Le-

benssituation der jungen Flüchtlinge istgekennzeichnet von gesetzlicher und ad-ministrativer Ausgrenzung. 16 bis 18 jähri-ge unbegleitete Flüchtlinge sind nachdem Ausländer- und Asylverfahrensge-setz asylverfahrensfähig. Für alle anderensie betreffenden Rechtsbereiche gilt dieVollendung des 18. Lebensjahres alsGrenze zwischen Minder- und Volljährig-keit. Ihre Handlungsfähigkeit im Asylver-fahren wird von den Jugendbehörden je-doch zu Unrecht als vorgezogene Volljäh-rigkeit interpretiert mit der Folge, dass kei-ne Vormundschaften eingerichtet werden.Ein minderjähriger Flüchtling, der ab 16seinen Asylantrag zwar selbständig stellt,kann dann aber ohne gesetzlichen Vertre-ter (Eltern oder Vormund) nach dem Ge-setz beispielsweise nicht den Rechtsan-walt bevollmächtigen, die nötigen rechtli-chen Schritte gegen einen ablehnendenBescheid im Asylverfahren für ihn einzulei-ten.

Die jungen Flüchtlinge sind entwur-zelt, ihre Lebensentwürfe zerstört, ihre Fa-milien zerrissen, ihre soziale Teilhabe hierbehindert und ihre Perspektiven ungewiss.

Konfrontiert mit einer fremden Kul-tur, mit für sie undurchsichtigen Behörden-und Verfahrensstrukturen , belastet mitder Fluchterfahrung und ohne deutscheSprachkenntnisse müssen sie auch inSchleswig-Holstein bis jetzt in der Regelganz allein die Verantwortung für die Be-streitung ihrer Asylverfahren, die Gestal-tung ihres Alltags und ihrer Schul- und Be-rufsausbildung tragen.

Unbegleitete minderjährige Flücht-linge haben aber nach den Regelungendes Bürgerlichen Gesetzbuches und desKinder- und Jugendhilfegesetzes wie alleMinderjährigen in Deutschland einen An-spruch auf einen Amts-, Vereins- oder Ein-zelvormund, der die Personensorge trägt.

Die Übernahme der Personensor-ge ist ein wesentlicher Faktor der Schutz-,Erziehungs- und Fördermaßnahmen fürMinderjährige ohne Eltern. Deshalb ist un-mittelbar nach der Einreise für diese Ju-gendlichen unabhängig von ihrem Aufent-haltsstatus ein Vormund zu bestellen.

Das obengenannte neue Projektdes Flüchtlingsrates verfolgt drei Ziele:

Erste Verbesserungen erkennbarMargret Best

Margret Best ist Vorsitzende des Flücht-lingsrates Schleswig-Holstein e.V.

32______________ Kinderflüchtlinge ______________

Der Schlepper Nr. 17 Flüchtlingsrat SH Februar 2002

Page 33: s17_gesamt

1. Personen zu finden, die bereitsind, ehrenamtlich Einzelvormundschaf-ten für Kinderflüchtlinge zu übernehmen,

2. zusammen mit den potentiell zu-künftigen Vormündern Vormundschaftenfür unbegleitete minderjährige Flüchtlingezu beantragen und die Vormünder dannbei ihrer oft sehr schwierigen Arbeit zu be-gleiten und zu unterstützen und

3. langfristig einen vom Landesju-gendamt anerkannten Vormundschaftsver-ein für unbegleitete minderjährige Flücht-linge in Schleswig-Holstein zu etablieren.

Erste Ergebnisse

Für eine Jugendliche aus Tschet-schenien, einen Jugendlichen aus Georgi-en und zwei palästinensische Jugendlichekonnten in enger Zusammenarbeit vonFlüchtlingsrat, Jugendamt und Familienge-richt VormünderInnen gefunden und Vor-mundschaften bzw. eine Betreuung einge-richtet werden.

Nach intensiver Öffentlichkeitsar-beit haben sich jetzt weitere Personen ge-meldet, die bereit wären, ehrenamtlichEinzelvormundschaften zu übernehmen.Ende Januar findet für sie beim Flücht-lingsrat ein Interessententreffen statt, beidem die zukünftigen Vormünder ausführ-lich über ihre Aufgaben informiert werden.Wir hoffen, dass dann bald noch mehr Kin-derflüchtlinge einen Einzelvormund be-kommen werden.

Der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V. will erreichen, dass inSchleswig-Holstein zumindest dieRechte, die den unbegleiteten minder-jährigen Flüchtlingen bis 18 schon heu-te zustehen, für sie auch wahrgenom-men werden.

Er fordert weitergehend1. die Einrichtung eines speziellen

Erstaufnahmeverfahrens mit einer 3 bis 6-monatigen Clearingsphase unter siche-rem Aufenthaltsstatus für alle unbegleite-ten minderjährigen Flüchtlinge bis 18 Jah-re

2. die Anerkennung von kinder-und jugendspezifischen Fluchtgründen

3. eine jugendgerechte Unterbrin-gung für unbegleitete minderjährigeFlüchtlinge bis 18

4. Ausbildungsmöglichkeiten fürminderjährige Flüchtlinge auch bei unsi-cherem Aufenthaltsstus

5. Bleiberecht nach 2 Jahren er-folgreicher Integration

6. Keine Abschiebehaft für minder-jährige Flüchtlinge

Mehr Informationen auf der Home-page des Flüchtlingsrates: www.frsh.de

Tagung„Leben in der Illegalität

in Hamburg“Eine humanitäre und pastorale Herausforderung

Die Zahl der Frauen, Männer und Kinder, die in Deutschland ein Leben inder Illegalität führen, ist in den letzten Jahre ständig gewachsen. Schätzungen ge-hen von 500.000 bis 1 Million Menschen aus. Diese Menschen, die aus den unter-schiedlichsten Gründen ihre Heimatländer verlassen haben, leben bei uns in eineräußerst schwierigen Situation. Ihre Faktische Rechtlosigkeit macht sie immer wie-der zu Opfern von Bedrohung, Belästigung und Ausbeutung; sie befinden sich inständiger Angst davor, entdeckt und abgeschoben zu werden; sie haben kaum dieMöglichkeit, ihre fundamentalen Grundrecht wahrzunehmen.

Auf unserer Veranstaltung wollen wir die Problematik vor dem Hintergrundder besonderen Situation in Hamburg analysieren und mit Experten, Politikern undBetroffenen diskutieren.

Freitag, 1. FebruarCornelia Bührle: Leben in der Illegalität

Sonnabend, 2. FebruarKarl Ludwig Kohlwage: Leben in der Illegalität als pastorale HerausforderungJörg Alt: Lebensbedingungen illegaler MigrantenUrsula Neumann: Illegalität in HamburgNorbert Kessler: Illegalität in HamburgBirgit Dethlefs: Grundrechte für IllegalePodiumsdiskussion (u.a. mit Ralph Bornhöft

Katholische Akademie Hamburg, Tel. 040/369520, Fax 36952101,Teilnahme 16 EUR, Mittagessen 8,50 EUR, Anmeldung erforderlich

I n d e n f i n s t e r e n Z e i t e n ?

W i rd d a a u c h g e s u n g e n w e rd e n ?

- D a w i rd a u c h g e s u n g e n w e rd e n :

V o n d e n f i n s t e r e n Z e i t e n .

Bert Brecht

Das kostet Geld: Spenden-Konto Nr. 383 520Ev. Darlehnsgenossenschaft eG, Kiel (BLZ 210 602 37)

Informationen:FÖRDERVEREIN Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.Oldenburger Str. 25, D-24143 Kiel, Tel: 0431 / 735 000, Fax: 0431 / 736 077

eMail: [email protected]

(Der Verein ist als gemeinnützig anerkannt und stellt Spendenquittungen aus.)

F Ö R D E R V E R E I NFlüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.

______________ Kinderflüchtlinge ______________33

Februar 2002 Flüchtlingsrat SH Der Schlepper Nr. 17

Page 34: s17_gesamt

Mein Name ist Awagulan (Bedeu-tung: Rosenwasser). Da kurdische Na-men in der Türkei verboten sind, heiße ichauf türkisch Abdullah Aytekin.

Mein Großvater mütterlicherseitsstarb bei einem Massaker 1938 in Der-sim. Mein Großvater väterlicherseits starbbei einem Massaker 1922 in Six-Sait. Bei-de Überfälle geschahen durch das türki-sche Militär unter Kemal Atatürk.

1942 ging mein Vater zum türki-schen Militär, um seinen Wehrdienst abzu-leisten. Der Kommandant meines Vaterverdächtigte ihn wegen Seperatismus,weil meine beiden Großväter für die Frei-heit des kurdischen Volkes kämpften. Dar-aufhin schoss der Kommandant meinemVater mehrmals in den Fuß. Meinem Va-ter wurde es nicht erlaubt, einen Arzt auf-zusuchen. Er wurde sehr krank. Sein Le-ben konnte nur durch die Amputation desFußes gerettet werden.

Ich habe drei Geschwister, zwei äl-tere Brüder und eine ältere Schwester.

Als ich 6 Jahre alt war ging ich mitmeiner Schwester zu einer Wasserquelle,die 1 km von unserem Dorf Cakan ent-fernt lag. Plötzlich kamen 5 Soldaten vomtürkischen Militär und wollten meineSchwester entführen. Meine Schwesterund ich schrien um unser Leben. Die Sol-daten rissen meiner Schwester die Klei-der vom Leib und vergewaltigten sie. Siewar10 Jahre alt. Ich rannte zu meiner Fa-milie um Hilfe zu holen.

Ich habe meinem Vater erzähltwas geschah. Er und mein älterer Brudernahmen ein Gewehr und rannten mit mirzur Wasserquelle. Mein Vater hatte nurnoch einen Fuß und konnte mit der Ge-schwindigkeit meines Bruders nicht mithal-ten. Vor lauter Angst schoss mein Vaterwährend des Laufens mehrmals in dieLuft um die Soldaten zu verjagen.

Andere Leute aus dem Dorf hörtendie Schüsse und die verzweifelten Rufemeines Vaters. Sie liefen auch zur Was-serquelle.

Meine Schwester lag entkleidetund blutend auf dem Boden. Sie schrieund weinte unaufhörlich. Ich sah wie dieSoldaten wegliefen.

Wir brachten sie nach Hause. IhrOberkörper war blutig geschlagen wordenund ihr Arm war gebrochen.

Noch am gleichen Tag machtenmein Vater und mein Bruder eine Anzeigebeim Staatsanwalt in Karakocan. Näch-sten Tag gingen mein Vater, Bruder,Schwester und ich nach Elazig zum Kran-kenhaus.

Der Chefarzt des Krankenhausesbehandelte meine Schwester und sprachmit meinem Vater. Er sagte zu ihm, dasser meinen gesundheitlichen Zustand auchüberprüfen müsste.

Daraufhin blieb ich im Kranken-haus. Der Chefarzt untersuchte mich. Ersagte, dass ich gesund sei. Aber ich solltedas machen, was er mir sagen würde,dann könnte ich wieder nach Hause zumeiner Familie gehen.

Ich fragte, was das wäre.Der Chefarzt sagte, ich solle erzäh-

len, dass meine Schwester freiwillig mitden Soldaten geschlafen hätte. Wenn ichdas nicht erzählen würde, würde er michzu den Leichen in den Keller bringen. Ichsagte zu ihm, dass ich darüber nachden-ken würde und dass ich erst mal meinenVater sehen möchte.

Mein Vater kam am nächsten Tagin das Krankenhaus. Ich erzählte ihm vonden Forderungen des Arztes. Er glaubtemir nicht, ich hätte wohl nur schlecht ge-träumt.

Mein Vater wollte mich mit nachHause nehmen, aber der Chefarzt ließmich nicht gehen. Ich weinte und schrievor Angst. Mein Vater meinte ich wärehier in Sicherheit, weil es im Krankenhauskeine Soldaten geben würde. Am Abendkam der Chefarzt in mein Zimmer. Er frag-te mich, ob ich meine Schwester liebenwürde und ob ich Angst vor ihm hätte. Ichsagte: Ja, beides. Er sagte, dass ich alseinziger Zeuge vor dem Gericht nur einenSatz sagen müsste:„ Ja, sie tat es freiwil-lig.“

Ich sagte ihm, dass ich nur dieWahrheit erzählen würde. Er nahm meineHand, ich schrie, und brachte mich in denKeller. Der Chefarzt zeigte mir die Toten

und sagte, dass sie jede Nacht lebendigwerden würden. Wenn ich dann schreienwürde, würden sie mich zu sich holen. Ichstarrte auf die toten Menschen und konn-te mich während der ganzen Nacht vorAngst nicht bewegen. So musste ich 10angstvolle Nächte bei den Toten im Kellerverbringen.

Dann kam mein Vater in Beglei-tung eines befreundeten Arztes zu Be-such. Ich habe geweint und meinen Vaterangefleht mir zu glauben. Ich wollte mei-nem Vater den Leichenkeller zeigen, indem ich übernachten musste. EineSchwester sagte zu meinem Vater unddem befreundetem Arzt, dass sie nicht inden Keller hinein dürften, nur ich dürfedort hinein.

Mein Vater erschrak und glaubtemir plötzlich. Er zog ein Messer und wollteden Chefarzt umbringen. Er humpeltedurch das Krankenhaus, um den Chefarztzu finden. Dann kamen Polizisten undnahmen meinen Vater mit.

Der Arzt, der mit meinem Vaterkam, entdeckte, dass meine Augen gelbunterlaufen waren. Er führte das auf mei-ne großen Angstzustände zurück.

Wir gingen zur Polizeistation. MeinVater hatte die Polizei schon über die Fol-ter an mir informiert. Der Freund meinesVaters bestätigte das. Die Polizei sagte,sie könne nichts unternehmen, wir müss-ten das gerichtlich regeln.

Wir fuhren nach Karakocan. Dortstellte der befreundete Arzt bei mir eineGelbsucht fest. Da ich jetzt eine großeAngst vor Krankenhäusern und Ärzten hat-te, blieb ich bei dem Freund meines Va-ters 2 Monate in Behandlung. Ich wurdewieder gesund und kehrte nach Hause zu-rück.

Meine Schwester heiratete in ih-rem 12. Lebensjahr einen 55 jährigenMann als seine 4. Frau.

Ich habe bis heute immer nocheine Todesangst vor Krankenhäusern undÄrzten.

Deshalb kämpfe ich für ein freiesKurdistan und gegen das diktatorische Re-gime in der Türkei.

Die Wahrheit ist schlimmer

als ein schlechter TraumAwagulan

Awagulan (Abdullah Aytekin) wurde MitteNovember 2001 durch das Verwaltungsge-richt Schleswig als asylberechtigt aner-kannt.

34______________ Kinderflüchtlinge ______________

Der Schlepper Nr. 17 Flüchtlingsrat SH Februar 2002

Page 35: s17_gesamt

MERKBLATTzu Maßnahmen der Passbeschaffung

durch das Bundesamt für dieAnerkennung ausländischer Flüchtlinge

(BAFI) und ihre Auswirkungen auf

Asylbewerber

Im Zusammenhang mit der An-hörung von Asylbewerbern werdendurch das BAFl Maßnahmen ergriffen,die drastische Auswirkungen auf dasVertrauen von Flüchtlingen haben(müssen), dass ihr Fluchtschicksal un-voreingenommen durch das Bundes-amt geprüft wird. Diese Maßnahmensind den meisten Beteiligten (bis jetzt)unbekannt, ebenso wie deren gravie-rende psychischen und rechtlichenAuswirkungen. Die Maßnahmen sollenhier beschrieben werden.

Ausgangspunkt

Nach § 15 Absatz 2 Nr. 6 Asylver-fahrensgesetz (AsylVfG) sind Asylbewer-ber verpflichtet, im Falle des Nichtbesit-zes eines gültigen Passes oder Passersat-zes an der Beschaffung eines Identitätspa-piers mitzuwirken.

Nach § 43 b AsylVfG ist das Bun-desinnenministerium verpflichtet, imWege der Amtshilfe für die Beschaffungvon Heinreisedokumenten für die genann-ten Ausländer Sorge zu tragen, und zwarzum frühestmöglichen Zeitpunkt. Dies giltfür diejenigen Asylbewerber, die verpflich-tet sind, in einer Aufnahmeeinrichtung zuwohnen (also für alle Asylbewerber bis zudrei Monaten nach Aufnahme in die Auf-nahmeeinrichtung).

Maßnahmen durch das Bundesamt

Kommt ein Asylbewerber ohne gül-tige Reisedokumente zum BAFl, so hältsich dieses für verpflichtet, den Asylbewer-ber anzuhalten, an der Beschaffung vonHeimreisedokumenten mitzuwirken.

Zumeist bereits bei der Aufnahmeder Personalien im „Verfahrenssekretari-at“, gelegentlich aber auch zu Beginn derAnhörung zum Fluchtschicksal (nahezunie nach der Anhörung) werden demFlüchtling, der nicht im Besitz eines Pas-ses ist, Unterlagen zum Ausfüllen und zurUnterschrift vorgelegt, mit denen er Reise-dokumente seines Herkunftsstaates bean-tragen soll. Überwiegend handelt es sichhier um Original-Antragsformulare desHerkunftsstaates in der Sprache des Her-kunftsstaates.

Mir wurde sogar ein Fall berichtet,bei dem von einer Iranerin im Zusammen-hang mit der (vorsorglichen) Beantragungeines Reisepasses auf einem Formularder „Islamischen Republik Iran“ zusätzlichverlangt wurde, sich beim Bundesamt mitSchleier für ein Passbild fotografieren zulassen.

Zu einem Zeitpunkt also, zu demder Flüchtling noch erschöpft von der Rei-se ist und sich voller Angst an die zustän-dige Behörde wendet, die über die Asylbe-rechtigung entscheiden soll, tritt ihm dieseBehörde quasi als ersten Schritt entgegenmit der Aufforderung, er möge Anträge fürHeimreisedokumente unterschreiben.

Die katastrophalen Auswirkungeneiner solchen Handlung auf die Angst desFlüchtlings sind evident.

Hinzu kommt, dass in dem Flücht-ling die Sorge genährt wird, dass engeKontakte zwischen dem Bundesamt unddem Herkunftsstaat bestehen. Wohersonst, so fragt sich der Flüchtling, hat dasBundesamt Originalantragsformulare?

Wie ein solcher Flüchtling sich inder am selben Tag oder wenige Tage da-nach stattfindenden Anhörung vertrauens-voll dem Bundesamt für die Anerkennung

ausländischer Flüchtlinge offenbaren soll,ist völlig unverständlich.

Bedenkt man hierbei noch, dass -abgesegnet durch die Rechtsprechungdes Bundesverfassungsgerichts - einFlüchtling, der nach der Anhörung beimBundesamt noch zusätzliche Fluchtgrün-de vorträgt, häufig in die Falle des „gestei-gerten Vorbringens“, welches unglaubwür-dig sein soll, tappt, so ist es nicht fernlie-gend, zu behaupten, dass die beschriebe-nen Verfahrenswelsen beim BundesamtMisstrauen, unvollständigen Vortrag unddamit Ablehnungsentscheidungen gerade-zu vorprogrammieren.

Führende Mitarbeiter des Bundes-amtes haben erklärt, dass es zwar keineWeisung gäbe, zu welchem Zeitpunkt dasAusfüllen der Antragsformulare zur Be-schaffung von Heimreisedokumenten be-gehrt werden soll, dass es aber „mensch-lich nachvollziehbar“ sei, wenn man dieseinem Flüchtling zu einem Zeitpunkt ab-verlangt, wo dieser glaubt, mit angepass-tem Vorhalten noch „Pluspunkte“ sam-meln zu können.

Im Klartext bedeutet dies das Ein-geständnis einer verfassungswidrigenMaßnahme, einer Maßnahme nämlich,mit der ein Individuum zum Objekt staatli-chen Handelns (möglichst erleichterteRückführung) degradiert wird.

Es muss auch berichtet werden,dass sich die Belege über die ausgefüll-ten Anträge für Heimreisedokumente sichnach Erlass eines Ablehnungsbescheidesnahezu nie in den Akten des Bundesam-tes vorfinden lassen. Im Falle einer Ableh-nung als „offensichtlich unbegründet“, wer-den diese Papiere an den Bundesgrenz-schutz weitergeleitet. Im Falle einer Ableh-nung als „einfach unbegründet“ werdensie regelmäßig den Ausländerbehördonzur Verfügung gestellt. Dieser dem Vor-waltungsverfahrensgesetz widersprechen-den Aktenunvollständigkeit ist es geschul-det, dass die beschriebenen Maßnahmendes Bundesamtes bisher noch nicht mehrin das Blickfeld der - interessierten - Öf-fentlichkeit gerückt ist. Auch viele Richterund selbst spezialisierte Anwälte wusstenhiervon bislang zu häufig nicht.

Zur Passbeschaffung

durch das BundesamtRainer M. Hofmann

Rainer M. Hofmann ist Rechtsanwalt in Aa-chen

______________ Asylverfahren ______________35

Februar 2002 Flüchtlingsrat SH Der Schlepper Nr. 17

Page 36: s17_gesamt

Es ist allerdings auch zu berichten,dass Flüchtlinge, die sich weigern, Anträ-ge für Heimreisepapiere zu unterschrei-ben, bisher nicht - jedenfalls nicht offen -mit irgendwelchen Sanktionen seitens desBundesamtes bedroht worden sind. Auchhabe ich noch zu keinem Zeitpunkt eineWeigerung - offen - als Grund für die Ab-lehnung eines Asylantrages herangezo-gen gesehen.

Rechtliche Bewertung

Zwar ist durch die Verpflichtungdes Bundesinnenministeriums (nicht desBundesamtes für die Anerkennung auslän-discher Flüchtlinge!) in § 43 b AsylVfG,zum „frühestmöglichen Zeitpunkt“ für dieBeschaffung von HeimreisedokumentenSorge zu tragen, scheinbar eine Automat-ik in Gang gesetzt worden, die die vorbe-schriebene Praxis erlaubt. Dies ist abernur scheinbar der Fall.

Tatsächlich ist ein Asylbewerbernicht verpflichtet, vor rechtskräftiger Ent-scheidung an derartigen Maßnahmen mit-zuwirken. Ferner ist auch eine Passbe-schaffung vor rechtskräftigem Abschlussdes Asylverfahrens rechtswidrig. Ich ver-weise hierzu auf folgende Veröffentlichun-gen/Gerichtsentscheidungen:

. Weichert: Die Beschaffung von Reisedo-kumenten für Flüchtlinge, NRW 1998,184-186;

. VHG Baden-Württemberg, Urteil v.06.10.1998, A 9 S 856/98, AuAs 1999, 8;

. VG Stuttgart, Beschluss v. 15.09.1997,Az.: A 4 K 13316/97;

. VG Karlsruhe, Beschluss v. 22.01.1997,Az. A 13 K 13786/96, amnesty interna-tional Index-Nr. 5/97/1;

. VGH Baden-Württemberg, Beschluss v.10.03.1995, Az.: A 13 5 571/95;

. VG Aachen, Beschluss v. 21.07.1994,Az.: 4 L 1216/94.A

. Bay VGH, Beschluss v. 14.11.1994, Az.:25 AE 94.32705

Was ist zu tun?

1. Insbesondere in Fällen, in denen derAsylantrag mit der Bewertung der „Un-glaubwürdigkeit“ abgelehnt wordenist, sollte jeder Flüchtling befragt wer-den, ob auch ihm derartige Papierezur Unterschrift vorgelegt wordensind, ob er sie unterschrieben hat undob die Vorlage dieser Dokumente ir-gendwelche Auswirkungen auf seine„Aussagefreudigkeit“ gehabt hat. Ein„Warnsignal“ in diesem Zusammen-

Anlage: Musterschriftsatz an das Vorwaltungsgericht

(Stand: November 2001)

In dem Verwaltungsstreitverfahren ............... ./. BRD

Aktenzeichen: ............................

weise ich das Gericht auf Folgendes hin:

Die eingesehene Akte des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischerFlüchtlinge (BAFl) ist unvollständig. In der Akte fehlen Unterlagen, die das BAFl demKläger/der Klägerin zur Unterschrift vorgelegt hat zwecks Beschaffung von Heimreise-dokumenten.

Hierzu ist zu erläutern:

Bevor überhaupt die Anhörung beim BAFl durchgeführt worden ist, wurden An-träge auf Ausstellung von Heimreisedokumenten (auf Originalformblättern des Verfol-gerstaates) zur Unterschrift vorgelegt, verbunden mit der Aufforderung, diese auszufül-len und zu unterschreiben (ggf.: diese Unterlagen sind von dem Kläger/der Klägerinauch unterschrieben worden).

Es wird deshalb beantragt:1. Beim Bundesamt der Beklagten Erklärungen darüber herbeizuführen,

a) ob die Schilderung zutrifft;b) wieso sich die Unterlagen nicht in den Akten befinden;c) ob die Akte im Übrigen vollständig ist.

2. Das Bundesamt der Beklagten zu vollständiger Aktenvorlage aufzufordern.3. Mir nach Vervollständigung der Akten erneut Akteneinsicht (durch kurzfristige Über-

lassung in meiner Kanzlei) zu gewähren.

Ferner teile ich mit:

Durch die Vorlage dieser Papiere, von denen der Kläger/die Klägerin erkannte,dass es sich um Formulare zur Beantragung von Dokumenten beim Heimatstaat han-delte, hat das Bundesamt eine unvollständige Aussage in der Anhörung vorprogram-miert.

Kann sich das Gericht vorstellen. welche angstauslösende Wirkung es auf ei-nen Flüchtling hat und haben muss, wenn man ihm, bevor er in irgendeiner Weise zuseinem Verfolgungsschicksal befragt worden ist, zunächst einmal ein Formblatt seinesHerkunftsstaates, der gleichzeitig Verfolgerstaat war und ist, zum Ausfüllen vorlegt?Dies ist klar und deutlich eine Maßnahme, die nur zu einer Verhinderung wahrheitsge-mäßer Aussagen in der Anhörung führen kann! Sie ist unverantwortlich!

Die hier aktenkundig gemachte Verfahrensweise ist der Regelfall beim Bundes-amt der Beklagten. Dies ist ein unhaltbarer Zustand! Das Gericht muss derartiges Wis-sen jetzt und für die Zukunft auch berücksichtigen, wenn es die Aussagen von Asylbe-werbern bei Anhörungen beim Bundesamt auf ihre Stimmigkeit überprüft. Dies gilt ins-besondere (aber nicht ausschließlich) in Fällen, in denen vom jeweiligen Kläger darge-legt wird, dass er sich nicht getraut habe, beim Bundesamt alles zu sagen! Dies istnämlich ein völlig nachvollziehbares menschliches Verhalten, wenn man als Flüchtlingaufgrund der Zusammenhänge der Ansicht sein muss, dass das Amt, bei dem manAsyl begehrt, direkten Kontakt mit dem Herkunftsstaat hat! Das Protokoll der Anhörungbeim Bundesamt der Beklagten ist damit unverwertbar!

Es wird ferner beantragt:4. Zum Beweis für die Behauptung, dass die vorbeschriebenen Tatsachen bei dem Klä-

ger/der Klägerin zu einer Blockade hinsichtlich einer umfassenden und wahrheits-gemäßen Aussage in der Anhörung geführt haben muss und geführt hat:Ein aussagepsychologisches Gutachten einzuholen.

Die Einholung dieses Gutachtens wird die Richtigkeit der vorstehenden Beweis-behauptung ergeben und damit die Unverwertbarkeit des Anhörungsprotokolls bele-gen. In jedem Falle aber wird das Gutachten ergeben, dass dem Kläger/der Klägerinhinsichtlich nachträglich mitgeteilter Umstände der Verfolgung kein „gesteigertes Vor-bringen“ vorgehalten werden darf.

Abschließend wird das Gericht darum gebeten, bei dem Präsidenten des Bun-desamtes der Beklagten und bei dem Leiter der zuständigen Ausländerbehörde desBeklagten vorstellig zu werden, mit Blick auf eine Änderung der beschriebenen Praxis.

36______________ Asylverfahren ______________

Der Schlepper Nr. 17 Flüchtlingsrat SH Februar 2002

Page 37: s17_gesamt

hang, welches auch ich in der Vergan-genheit viel zu häufig gering geachtethabe, ist, wenn der Flüchtling berich-tet, er habe Angst gehabt, dass Anga-ben von ihm den Behörden des Hei-matstaates zukommen könnten undz. B. dort lebende Personen gefähr-den würden.

2. Bejaht der Flüchtling einen Einfluss derUnterschrift unter solche Papiere(oder bereits der Vorlage dieser Pa-piere) auf seine Äußerungsfreudigkeitbei der Anhörung beim Bundesamt,ist spätestens jetzt das Gericht zu in-formieren. Es sollten auch Anträge ge-stellt werden. Ein Muster hierzu ist inder Anlage beigefügt.

3. Vorrangig aber ist, dass die beschriebe-ne unselige Praxis auf der Stelle ge-stoppt wird. Alle Interessierten solltensich an alle in Betracht kommendenStellen mit Beschwerden wenden.

4. Obwohl es auf der Hand liegt, dass dasbeschriebene Verhalten negative Aus-wirkungen auf die Aussagefreudigkeiteines Flüchtlings hat (ich stelle mirden Fall vor, dass ein Gewaltopfersich an die Polizei wendet und vondort aufgefordert wird, vor der Aufnah-me der Anzeige vorsorglich einen Ent-schuldigungsbrief an den Täter zuschreiben), sollte versucht werden,ein psychologisches Gutachten zuden Auswirkungen solcher Verhal-

tensweisen auf die Aussagefreudig-keit und Aussagefähigkeit von Flücht-lingen beim Bundesamt zu erstellen.

Rainer M. Hofmann ist daran in-teressiert, gut dokumentierte Informa-tionen über Fälle zu erhalten, in denendas beschriebene Verfahren nachweis-lich oder mutmaßlich zu negativen Er-gebnissen geführt hat (Kontakt über denFlüchtlingsrat SH, Tel. 0431 / 735 000,e-Mail: [email protected]).

Beschluss der Kirchenleitung der Nordelbischen ev.-luth.

Kirche vom 8. Januar 2002

Die Kirchenleitung lehnt Abschiebungshaft für Flücht-linge und abgelehnte Asylbewerber in ihrer gegenwärtigen ge-setzlichen Ausgestaltung und Praxis ab. Freiheitsentzug stellteinen so schwerwiegenden Eingriff in die Menschenrechtedar, dass uns die Anordnung von Abschiebungshaft ohne Ver-urteilung wegen eines kriminellen Delikts allein zur Durchset-zung einer Ausreiseverpflichtung als unverhältnismäßig er-scheint. Die psychischen Folgen für die Betroffenen sind gra-vierend: Retraumatisierung und Depression bis hin zu Suizid-versuchen aus Verzweiflung und der Angst um Leib und Le-ben.

Jeder Mensch ist ein Ebenbild Gottes und verdient Ach-tung und Schutz.

Solange Abschiebungshaft weiterhin stattfindet, for-dern wir:

. Vorbereitungshaft (§ 57, 1 AuslG) darf generell nicht angeordnetwerden.

. Sicherungshaft (§ 57, 2 und 3 AuslG) darf nur vorgenommenwerden, wenn die vollziehbare Ausreisepflicht auch durchsetzbarist. Sie darf eine Woche nicht überschreiten.

. Vor Abschiebungshaft als letztem Mittel sollte eine intensivereRückkehrberatung zur Gestaltung einer freiwilligen Ausrreise er-folgen, damit eine Rückkehr in Würde ermöglicht werden kann.

. Minderjährige, Mütter mit Kleinkindern, Traumatisierte, Schwan-gere, Kranke, AIDS-Erkrankte, Behinderte und alte Menschendürfen nicht in Abschiebungshaft genommen werden.

. Die Kosten der Abschiebungshaft dürfen den Häftlingen nicht inRechnung gestellt werden.

Für Abschiebungshaft sollten grundsätzlich folgendeHaftbedingungen gelten:1. Freier Zugang für unabhängige BeraterInnen, DolmetscherIn-

nen und ehrenamtliche UnterstützerInnen ist zu gewährlei-sten. Die Betroffenen müssen klare und verständliche Informa-tionen in der Mutterstprache über ausländer- und asylrechtli-che Fragen und das Abschiebungsverfahren erhalten.

2. Das Prinzip der freien Arztwahl muss auch in Abschiebungs-haft uneingeschränt gelten. Bei der medizinischen Versorgungist darauf zu achten, dass ggf. der stationäre Aufenthalt unterzivilen Bedingungen gewährleistet wird. Für die sprachlicheVermittlung sind Dolmetscher hinzuzuziehen.

3. Bei Anzeigen von Traumatisierung sind Begutachtungen durchunabhängige Fachärzte vorzunehmen.

4. Es soll ein Beirat geschaffen werden, mit der Aufgabe, huma-nitäre Zivilhaftbedingungen zu formulieren und deren Umset-zung und Einhaltung zu kontrollieren. VertreterInnen für denBeirat sollten von Kirchen, Wohlfahrtsverbänden, Flüchtlings-organisationen, Innen- und Justizbehörden, sowie den Auslän-derbeauftragten der Länder entstandt werden. Der Beirat soll-te regelmäßig einen zu veröffentlichenden Bericht über seineArbeit erstellen.

Kirchenleitung lehnt Abschiebungshaft

für Flüchtlinge abNEK-Kirchenleitung

______________ Asylverfahren ______________37

Februar 2002 Flüchtlingsrat SH Der Schlepper Nr. 17

Page 38: s17_gesamt

10. Oktober 2001

Weisung: Rückführungen nach Afghanistan

Aufgrund der derzeitigen Lage in undum Afghanistan und der Berichte über ge-schlossene Grenzen ist gegenwärtig anzuneh-men, dass eine freiwillige Rückkehr nach Afgha-nistan nicht mehr möglich ist. Auch Abschiebun-gen nach Afghanistan waren bisher schon austatsächlichen Gründen nicht möglich; die aktuel-le Lageentwicklung erfordert daher keine An-ordnung eines Abschiebungsstopps nach § 54AuslG.

Die Unmöglichkeit sowohl der freiwilli-gen Rückkehr als auch der Abschiebung nachAfghanistan dürfte nach meiner Einschätzungauch in den nächsten Monaten fortbestehen.Dies lässt die Erteilung von Aufenthaltsbefug-nissen nach § 30 Abs. 3 und 4 AuslG wieder zu(Nrn. 30.3.2, 30.3.7, 30.4.6 AuslG-VwV), wenndie sonstigen Voraussetzungen vorliegen. DieGeltungsdauer der Aufenthaltsbefugnis ist, so-lange sie allein auf die tatsächliche Unmöglich-keit der Rückkehr gestützt wird, längstens für je-weils ein Jahr zu erteilen und zu verlängern.

Haben afghanische Staatsangehörigevor den aktuellen Ereignissen ein Asylverfah-ren durchgeführt, ohne dass für sie ein rechtli-ches Abschiebungshindernis festgestellt wor-den ist, sind diese vor der Erteilung einer Au-fenthaltsbefugnis darauf hinzuweisen, dass dieVerlängerung der Aufenthaltsbefugnis ausge-schlossen ist und die Ausreisepflicht wieder ein-tritt, wenn aufgrund einer Änderung der Lage inund um Afghanistan das Ausreise- oder Ab-schiebungshindernis weggefallen ist (§ 34 Abs.2 AuslG). Den Betroffenen ist daher dringendanzuraten, die aktuelle Lage in Afghanistanzum Anlass zu nehmen, beim Bundesamt fürdie Anerkennung ausländischer Flüchtlinge un-verzüglich (s. § 51 Abs. 3 VwVfG) einen Folge-antrag oder einen Antrag auf Wiederaufgreifendes Verfahrens zu § 53 AuslG zu stellen. Nurdurch Feststellung einer politischen Verfolgungoder eines rechtlichen Abschiebungshindernis-ses können sie die Chance wahren, ihren Auf-enthalt im Bundesgebiet längerfristig zu si-chern. Auf § 11 AuslG weise ich hin.

28. November 2001

Weisung: Aussetzung von Abschiebungen in

das Kosovo

hier: 1. Minderheiten aus dem Kosovo2. Besonders hilfsbedürftige Personen

1. Auf der Ständigen Konferenz der In-nenminister und -senatoren der Länder wurdeam 07./08. November 2001 erneut über die Si-tuation der Minderheiten im Kosovo beraten.Wegen der für diese Personengruppe im Her-kunftsland nach wie vor bestehenden unsiche-ren Lage wurde beschlossen, dass die Länderdie Duldungen von Minderheiten aus dem Ko-sovo (insbesondere Serben, Roma und Aschka-li) für weitere sechs Monate verlängern kön-nen. Ich ordne daher nach § 54 Satz 1 AuslGan:

Abschiebungen von Angehörigen ethni-scher Minderheiten aus dem Kosovo in das Ko-sovo werden für die Dauer von sechs Monatenausgesetzt.

Die Duldungen sind von Beginn an fürdie sechs Monate zu erteilen, um so die Aus-sichten auf Erteilung einer Arbeitsgenehmigungzu verbessern.

Abweichend von dieser Anordnungkann bei besonders schwerwiegenden Strafta-ten im Einzelfall mit meiner Zustimmung abge-schoben werden.

2. Darüber hinaus wurde auch die Ab-schiebung in das Kosovo während der Winter-monate erörtert, ohne dass ein Beschluss ge-fasst wurde. Angesichts des bevorstehendenWinters und der daraus resultierenden Schwie-rigkeiten bei der Aufnahme und Unterbringungvon Flüchtlingen haben UNHCR und UNMIKdarum gebeten, keine Personen abzuschieben,die nicht über eigene Unterkunft verfügen odermangels eigener finanzieller Mittel auf nur be-grenzt vorhandene Unterstützung angewiesenwären. Insbesondere sollte die Rückkehr vonbesonders hilfsbedürftigen Personen so langezurückgestellt werden, bis im Kosovo eine an-gemessene Unterstützung sicher gestellt wer-den kann.

Dementsprechend ordne ich nach § 54Abs.1 AuslG an:

Die Abschiebung besonders hilfsbedürf-tiger Personen aus dem Kosovo ohne familiä-ren oder sonstigen Rückhalt im Herkunftsland,wie z.B. allein erziehen-de Mütter mit kleinenKindern, allein stehende Frauen, Alte, Krankeohne geeignete Behandlungsmöglichkeiten imKosovo, werden bis zum 31. März 2002 ausge-setzt.

Ausgenommen sind Personen, dieStraftaten begangen oder sich wiederholt au-fenthaltsbeendenden Maßnahmen entzogenhaben.

23. November 2001, Weisung:

Bleiberecht für junge volljährige Ausländer,

deren Eltern/Elternteil Abschiebeschutz nach § 51 Abs. 1

AuslG genießen und deren Restfamilie ein Bleiberecht im

Rahmen des § 31 AuslG erhält

hier: Anordnung nach § 54 Satz 1AuslG

Die Ständige Konferenz der Innenmini-ster und -senatoren der Länder hat am07./08.11.2001 beschlossen:

1. Die Innenminister und -senatorender Länder stellen fest, dass die Aufenthaltsbe-endigung von jungen Erwachsenen, die bereitsals minderjährige Kinder mit ihren Eltern alsAsylbewerber in das Bundesgebiet eingereistsind, bei denen zumindest einem Elternteil Ab-schiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG ge-währt wird und deren Restfamilie ein Bleibe-recht im Rahmen des § 31 AuslG erhält, unterhumanitären Gesichtspunkten als unbefriedi-gend anzusehen ist.

2. Allein die Tatsache des Hereinwach-sens in die Volljährigkeit soll nicht dazu führen,dass der Aufenthalt des jungen Erwachsenenabweichend vom Aufenthalt der Restfamilienicht mehr verlängert werden kann, wenn keineAusweisungsgründe nach §§ 46 Abs. 1 bis 4,47 AuslG vorliegen und damit zu rechnen ist,dass sich dieser in die hiesigen Lebensverhält-nisse einordnen und ausreichende Kenntnisseder deutschen Sprache erwerben wird.

3. Bis zur nächsten Innenministerkonfe-renz sollen Vorschläge erarbeitet werden, wiedieser Situation Rechnung getragen werdenkann. Es besteht Übereinstimung dahinge-hend, dass es die besondere Situation der Be-troffenen rechtfertigen kann, bis auf weiteresaus humanitären Gründen den weiteren Aufent-halt zu dulden.

Ich ordne deshalb nach § 54 Satz 1AuslG an:

Abschiebungen der in Nr. 1 des IMK-Beschlusses bezeichneten jungen Erwachse-nen werden unter den in Nr. 2 des Beschlussesgenannten Voraussetzungen für sechs Monateausgesetzt. Diese Anordnung gilt darüber hin-aus auch dann, wenn für die jungen Erwachse-nen kein Asylverfahren durchgeführt wurde, sieals Minderjährige zusammen mit nur einem El-ternteil oder unbegleitet eingereist und kein wei-terer Elternteil oder keine minderjährigen Ge-schwister vorhanden sind.

Für die Erteilung der Duldungen giltmein Runderlass vom 18.01.1994 betr. Ertei-lung von Duldungen bei Abschiebungsstoppsnach § 54 AuslG - IV 610 a -212-29.233.62-8-.

Von dieser Anordnung sind nur Perso-nen begünstigt, die zuvor in Schleswig-Holsteinein Asylverfahren betrieben haben.

Neue Weisungen des

Innenministeriums Schleswig-Holstein

Informationen:www.frsh.de/behoe.html

38______________Schleswig-Holstein ______________

Der Schlepper Nr. 17 Flüchtlingsrat SH Februar 2002

Page 39: s17_gesamt

Bericht von einer Fachtagung in Kiel

Am 5. Dezember 2001 fand dieFachtagung “Ausgegrenzt und wegge-schoben - Illegalisierte Menschen inDeutschland” in der St. Nikolausgemein-de in Kiel statt. Eingeladen hatten Bil-dungswerk anderes lernen, Caritas undFlüchtlingsrat Schleswig-Holstein. Ca. 40Menschen, die in Schleswig-Holstein mitdem Thema beruflich zu tun haben odersich privat engagieren, waren gekommen.

Die Gründe für ein Leben in der Il-legalität sind vielfältig. Zum Teil begebensich Menschen ganz bewusst in diese Si-tuation, weil sie keine legale Möglichkeitfür einen Aufenthalt sehen, aber nurdurch Migration eine Verbesserung ihrerNot erwarten. Zum Teil reisen Menschenaber auch legal ein und werden durch re-striktive Gesetzgebung in die Illegalität ge-drängt, z.B. AsylbewerberInnen, die we-gen der Anerkennungspraxis in Deutsch-land abgelehnt wurden, weil Nichtstaatli-che Verfolgung nicht als Asylgrund akzep-tiert wird, oder ausländische Ehepartne-rInnen, die aufgrund der komplizierten Ge-setzeslage bestimmte Auflagen nicht er-füllt haben, sowie Angehörige, die wegender restriktiven Regelungen zum Familien-nachzug nicht bei ihren Verwandten lebenkönnen, oder Opfer von Frauenhandel,die zwangsweise in der Illegalität gehaltenwerden und auch nach einem Auffliegender TäterInnen keine Möglichkeit der Le-galisierung bekommen, aber auch keinePerspektive in einer Rückkehr sehenoder, oder ...

Jörg Alt, Jesuitenpater, der sichmit zahlreichen Veröffentlichungen zumThema einen Namen gemacht hat, mach-te deutlich, dass das Phänomen von Men-schen, die sich in Europa ohne Aufent-haltspapiere aufhalten, nicht durch restrik-tive Maßnahmen gelöst werden kann, s.E.allerdings ebenso wenig durch Legalisie-rungskampagnen, die an zahlreiche Aufla-

gen gebunden seienund die nur Wenigetatsächlich erreichen.Solange die Lebens-verhältnisse in Westund Ost bzw. Nordund Süd so unter-schiedlich sind undsich die Verhältnissevon Wohlstand einigerWeniger auf KostenVieler nicht ändern,werden Menschenauch durch repressi-ves Grenz- und Migra-tionsregime nicht vonZuwanderung in diereichen Länder abge-halten. Darüber hinaus gibt es ein Interes-se und einen Bedarf an der Existenz vonIllegalisierten, die als billige und abhängi-ge Arbeitskräfte auf dem Bau aber auchin Privathaushalten gern gesehen sind.Alt verwies auf die sehr unterschiedlichenLebensbedingungen von Illegalisierten jenach Region und je nach vorhandenen Ar-beitsmöglichkeiten oder Unterstützungdurch eine vorhandene Community, dieein soziales Leben im Ansatz ermöglicht.Begleitet ist ihre Situation allerdings im-mer von der Angst entdeckt zu werdenund von der Ausgrenzung von existentiel-len sozialen Leistungen. Aus diesemGrunde verhalten sie sich in der Regel un-auffällig und angepasst und leisten gleich-zeitig einen wesentlichen Beitrag zur Wirt-schaft in ihrem Aufnahmeland. Ein Verhal-ten, das in keiner Weise dem von Politike-rInnen verbreiteten Bild der kriminellen Il-legalen, die unsere Gesellschaft bedro-hen, entspricht. Alt plädierte für pragmati-sche Forderungen wie eine Härtefallrege-lung insbesondere für betroffene Flüchtlin-ge, die im Einzelfall eine Legalisierung er-möglichen soll. Wesentlich sei allerdings,dass den GesetzgeberInnen deutlich wer-de, dass auch Menschen ohne Papiereüber Grundrechte verfügen, z.B. dasRecht auf Gesundheit.

Rian Ederveen von der Organisati-on PICUM, Platform on International Co-operation for Undocumented Migrants, de-ren Koordinationsstelle in Brüssel ist undMitgliedsorganisationen in Großbritanni-en, Belgien, Deutschland und den Nieder-

landen hat, schilderte die Situation in Hol-land und setzte weniger Hoffnungen in Po-litikerInnen als in verschiedene Interessen-gruppen. Sie berichtete von dem Engage-ment von ÄrztInnen- und LehrerInnenver-bänden, die sich für Illegalisierte einset-zen und damit auch Beratungsstellen undUnterstützungsinitiativen den Rücken stär-ken und appellierte an die Anwesenden,informelle Netzwerke zur Unterstützungvon Menschen ohne Papiere zu bilden.So ein breites Netzwerk kann auch denje-nigen Rückhalt bieten, die z.B. in ihrer be-ruflichen Funktion als LehrerInnen, Sozial-beraterInnen oder ÄrztInnen IllegalisiertenHilfe leisten und sich in einem rechtsunsi-cheren Raum bewegen.

Einhellig lehnten ReferentInnenund TeilnehmerInnen das Zuwanderungs-gesetz ab, dass u.a. durch die Abschaf-fung der Duldung ohne geeignete Alterna-tive weitere Menschen in die Illegalitätdrängen wird. Ein Ergebnis der nach denVorträgen stattfindenden Arbeitsgruppen,war die Absichtserklärung, einen landes-weiten Arbeitskreis einzurichten, der zumeinen eine Netzwerkbildung betreiben undsich zum anderen mit praktischen Hilfenund politischer Lobbyarbeit befassen will.

Die VeranstalterInnen der Fachta-gung laden alle an der Mitarbeit interes-sierten zu einem ersten Treffen am 27.Februar um 18.00 Uhr in die Räume derSt. Nikolausgemeinde, Rathausstraße 5,24103 Kiel ein.

„Illegalisierte Menschen

in Schleswig-Holstein“Astrid Willer

Astrid Willer ist Mitarbeiterin beim Flücht-lingsrat Schleswig-Holstein e.V.

______________ Schleswig-Holstein______________39

Februar 2002 Flüchtlingsrat SH Der Schlepper Nr. 17

Page 40: s17_gesamt

Dokumentation:Rechtzeitig zur Synode der NordelbischenEv. Luth. Kirche Anfang Februar 2002 ha-ben die Diakonischen Werke und derFlüchtlingsbeauftragte der NordelbischenKirche ihr Votum zur Situation illegalisier-ter Menschen vorgelegt:

Was dieMenschenwürde

verlangt

Zur rechtlichen und sozialen Situation von

Ausländerinnen und Ausländern ohne legalen

Aufenthaltsstatus im Bereich der Nordelbischen Kirche

„Einen Fremden sollst du nicht ausbeuten. Ihrwisst doch, wie es einem Fremden zumute ist; denn ihrseid selbst in Ägypten Fremde gewesen.“ (2. Mose/Ex23,9)

(1) Flucht und Migration sind in der Bibel keine frem-den Erfahrungen. Aus dieser Tradition heraus sind Kircheund Diakonie aufgefordert, sich für alle Menschen in Not zuengagieren und ethnische und religiöse Schranken aufzuhe-ben. Der Apostel Paulus schreibt an die Galater: „Hier istnicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier,hier ist nicht Mann noch Frau, denn ihr seid allesamt einer inChristus Jesus.“ (Gal. 3,28).

(2) Mitten unter uns und dennoch heimlich leben Men-schen, die aus Nicht-EU-Staaten nach Deutschland kommenund infolge des restriktiven Ausländer- und Asylgesetzes keinAufenthaltsrecht erhalten. Die Zahl derer, die als Flüchtlinge,als Opfer von Menschenhandel, als Arbeitsmigrantinnen undArbeitsmigranten, zwecks Eheschließung und aus Gründender Familienzusammenführung ohne Aufenthaltsstatus inDeutschland leben, nimmt kontinuierlich zu. Schätzungen zu-folge kommen auf 1000 Einwohner etwa 6 bis 10 Ausländerohne legalen Aufenthaltsstatus (Anlage 1).

(3) Im Leben dieser Menschen ist die Angst vorEntdeckung, vor Denunziation und/oder einer Abschiebungtäglicher Begleiter. Ihre faktische Rechtlosigkeit macht sie an-greifbar, erpressbar und ausbeutbar. Auf der einen Seite sindsie “Täter”, weil sie gegen das Aufenthaltsrecht verstoßen,auf der anderen Seite werden sie zu Opfern derer, die ihrewirtschaftliche Not und Rechtlosigkeit wissentlich ausnutzen(Anlage 2).

(4) Die Ursachen, die zu einem illegalen Aufenthaltführen, sind vielfältig. Das Leben in der Illegalität wird nichtangestrebt, sondern entwickelt sich meist aus einer individu-ell ausweglosen Lebenssituation (Anlage 3).

(5) Für den Umgang mit Menschen ohne rechtlich ab-gesicherten Aufenthalt gibt es keinen gesellschaftlichen Kon-sens. Lange Zeit wurde jegliche Befassung mit den soge-nannten „Illegalisierten“ mit Hinweis auf die Rechtslage prinzi-piell abgewiesen; heute setzt sich mehr und mehr die Auffas-sung durch, die Lebensbedingungen von Menschen ohne le-galen Aufenthaltsstatus als eine öffentliche Angelegenheit an-zusehen (Anlagen 4, 5, 6, 7).

(6) Menschenrechte und die Achtung der Menschen-würde müssen für alle in Deutschland lebenden Menschen,ungeachtet ihrer Herkunft, ihrer Rechtsstellung und Staatsan-gehörigkeit gültig sein. Dieser Anspruch auf ein Leben in Wür-de und Gerechtigkeit leitet sich unter anderem ab aus derGlaubenserfahrung des Volkes Israel im Alten Testament,wie im 3. Buch Mose, 19.33 steht: „Wenn ein Fremdling beieuch wohnt in eurem Land, den sollt ihr nicht bedrücken. Ersoll bei euch wohnen wie ein Einheimischer unter euch, unddu sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid auch Fremd-linge gewesen in Ägyptenland. Ich bin der Herr, euer Gott."

(7) Daraus ergibt sich für Kirche und Diakonie die Auf-gabe, den Dialog mit politisch Verantwortlichen zu führen (An-lage 8).

(8) Das vorrangige Bemühen der kirchlich-diakoni-schen Beratungsstellen ist darauf gerichtet, für diese Men-schen nach Wegen zur Überwindung der illegalen Lebenssi-tuation zu suchen.Solche Beratung setzt voraus, dass sie vertrauensvoll undohne Angst vor Abschiebung aufgesucht werden kann; ihreQualität beinhaltet, dass sie zu nüchterner Situationsklärungführt, die Konfrontation mit möglichen Konsequenzen nichtvorenthält und zu eigenständiger Entscheidung befähigt.Auch die freiwillige legale Ausreise kann Inhalt der Beratungsein (Anlage 9).

(9) Gerade dort wo die „Illegalität“ nicht aufzulösen ist,sehen sich die kirchlich-diakonischen Dienste zur Begleitung,Beratung und Nothilfe verpflichtet. Die Diakonischen WerkeHamburg und Schleswig-Holstein und der Flüchtlingsbeauf-tragte der Nordelbischen Kirche bitten deshalb alle sozialenEinrichtungen innerhalb und außerhalb der Kirche zu prüfen,welche Unterstützungsmöglichkeiten sie für diese Menschenohne Aufenthaltsrecht zur Verfügung stellen können.Die beiden Diakonischen Werke stellen sich schützend vorMitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die aufgrund ihres Dienstesfür Menschen ohne Aufenthaltsrecht Anschuldigungen ausge-setzt werden. Sie rufen dazu auf, alles, was um der Men-schenwürde legitim ist, auch zu tun.

(10) Kirche und Diakonie setzen sich als Anwalt fürdie Rechte von Migrantinnen und Migranten ein, “weil ihnendas von ihrem Herrn aufgegeben ist und weil auch in diesenMenschen und Nöten Gott selbst um ihren Dienst bittet“ (Ge-meinsames Wort der Kirchen, S. 55). Kirche und Diakonieweisen darauf hin, dass zu einer Ethik der Rechtsbefolgungauch gehört, dass Menschen, die zumeist nicht freiwillig nachDeutschland gekommen sind, auf angstfreie Räume und Be-gegnungen angewiesen sind, um zu eigenständigen Entschei-dungen zu gelangen (Anlage 10).

Rendsburg/Hamburg im Dezember 2001

40______________Schleswig-Holstein ______________

Der Schlepper Nr. 17 Flüchtlingsrat SH Februar 2002

Page 41: s17_gesamt

Zum Integrationskonzept

Schleswig-Holstein

Es tut sich was. Das Kabinetthat im November einen Entwurf für einKonzept der Landesregierung zur Inte-gration von Migrantinnen und Migran-ten in Schleswig-Holstein beschlossen.Der Erstentwurf des Papiers war imLaufe des vergangenen Jahres unterengagierter Mitwirkung von verschiede-nen Ministerien, Kommunen, Landesbe-hörden sowie Verbänden und Migrati-onseinrichtungen erarbeitet worden.Bis Mitte Januar waren z.T. dieselbenVerbände und freien Träger und dar-über hinaus der Flüchtlingsrat Schles-wig-Holstein aufgefordert, zu dem vomKabinett überarbeiteten Entwurf Stel-lung zu nehmen.

Es ist nicht das erste Mal, dass Po-litik sich um bessere Integrationsbedingun-gen Gedanken macht. Überlegungen, denMigrantinnen und Migranten in Schleswig-Holstein die Integration zu erleichtern undAppelle an die einheimische Bevölkerungund Zuwanderergruppen fanden gleicher-maßen offenbar auch schon zu anderenZeiten statt. Der Abgeordnete Günther(CDU) trug im Kieler Landtag am 12. Juni1946 seine Vorstellung einer Integrations-leistungsbilanz vor: „Das Schicksal unse-res Landes Schleswig-Holstein wird da-von abhängen, wie wir hier in Schleswig-Holstein mit dem Flüchtlingsproblem fertigwerden und wie weit es gelingen wird, dieUreinwohner zu überzeugen, dass sie dieFlüchtlinge nicht für Menschen zweiterKlasse halten. Der erhaltene Besitz ver-pflichtet gegenüber den wirtschaftlichSchwächeren. Den ausgewiesenen Deut-schen aber wird klarzumachen sein, wodie Grenzen der tragbaren Belastung für

die Ureinwohnerschaft liegen und dassdie Forderungen und Wünsche unsererFlüchtlinge auf ein vertretbares Maß zubeschränken sein müssen.“

Auch jetzt versucht jetzt die Lan-desregierung mit dem vorgelegten Integra-tionskonzept „Ureinwohner“ und die inzwi-schen dazu gewordenen Flüchtlinge voneinst angesichts der Konsequenzen globa-ler Migration heute und künftiger Zuwan-derung davon zu überzeugen, ihre neuenNachbarn nicht als Menschen zweiterKlasse zu behandeln. Dabei verstehe dieLandesregierung „unter Integration weitmehr als ein freundliches Nebeneinandervon Menschen. Sie strebt als Ziel der Inte-gration vielmehr eine Kultur des Respektsund des gleichberechtigten Miteinandersan.“ (Integrationskonzept SH, S. 3).

Ob das vorgelegte Konzept die-sem hehren Ziel, die schleswig-holsteini-sche auf den Weg zu einer von gegenseiti-gem Respekt bestimmten und chancen-gleichen Gesellschaft zu führen, gerechtwerden kann, wird m.E. davon abhängen,wie ernst es bezüglich aller Zielgruppenvon der Gesellschaft und ihren Institutio-nen, den Verwaltungen und der Politik ge-nommen wird.

Zielgruppen des Integrationskon-zeptes sind neben zuzugs- oder bleibe-rechtigten AusländerInnen verschiedenerGenerationen u.a. auch deutschstämmigeEinwanderer, nichtdeutsche AngehörigeDeutscher, jüdische EmigrantInnen undangeblich auch „Asylberechtigte, Asylbe-werberinnen und Asylbewerber, (Bür-ger)Kriegsflüchtlinge (sowie) Ausländerin-nen und Ausländer, deren Aufenthalt ausverschiedenen Gründen nicht beendetwerden kann“ (S. 3) und „in Schleswig-Holstein darf niemand (!) ausgegrenzt wer-den.“ (S. 4). Ob in diesem Zusammen-hang zwischen kommunalen und Landes-behörden auf der einen Seite sowieFlüchtlingen und ihren UnterstützerInnenauf der anderen immer Einigung darüberhergestellt werden kann, wann eine „Aus-grenzung“ vorliegt, darf bezweifelt wer-den. Immerhin wird im Konzept hinsicht-lich der Integrationserfolge unmittelbar mit-bestimmenden „interkulturelle(n) Kompe-tenz des öffentlichen Dienstes und seinerMitarbeiterinnen und Mitarbeiter“ die Prü-fung der „Notwendigkeit von Rechtsände-

rungen“ bzgl. der Einstellungspraxis ange-kündigt. (S.5).

Dem Integrationsversprechens füralle Migrantengruppen in den „Grundsät-zen der Integrationspolitik“ folgen im Kon-zept weitere Kapitel bei denen die Zu-gänglichkeit diskutierter Integrationsange-bote insbesondere für Flüchtlinge immerwieder ausdrücklich relativiert wird.

Damit ist Schleswig-Holstein nichtrestriktiver als andere, sondern befindetsich lediglich im Trend der bundesweitenintegrationspolitischen Debatte und Pra-xis. Selbst aus der richtigen Feststellung,dass auch ausreisepflichtige jedoch z.T.jahrelang nicht ausreisefähige Flüchtlingeüber einen zweifelsfreien faktischen In-tegrationsbedarf verfügen, der nicht nurim Interesse der Betroffenen, sondernauch der Aufnahmegesellschaft liegt, wer-den im Konzept keine innovativen Schlüs-se für legislative Entscheidungen gezo-gen, geschweige denn entsprechende po-litische Initiativen entwickelt.

Aus Sicht des Flüchtlingsrates undseiner Mitgliedseinrichtungen und -initiati-ven bleibt es indes unerlässlich mit In-tegrationsangeboten so früh wie möglichund ausdrücklich auch auf die Gruppe derbleiberechtlich (noch) nicht abgesichertenFlüchtlinge zuzugehen.

Das hätte Konsequenzen für dieEndredaktion des schleswig-holsteini-schen Integrationskonzeptes:

Zum Beispiel erklärt sich das Kon-zept im Kapitel „Spracherwerb“ bzgl. derPflege der „Herkunftssprache“ wegen be-stehender Initiativen der Konsulate offen-bar für nicht zuständig (S.7). Aber geradeunter den Flüchtlingen gibt es viele, fürdie keine ihre Muttersprache förderndenKonsulate existieren. Das Integrationskon-zept sollte hier die Interessen von kur-disch, tschetschenisch, tamilisch... spre-chenden Kindern angemessen berücksich-tigen.

Eines der umfangreichsten Kapitelim Integrationskonzept heißt „Ausbildungund Arbeitswelt“, denn „im Interesse einerzügigen Integration der Migrantinnen undMigranten bedürfen diese zielgerichteterindividueller Hilfen, um vorhandene Bil-dungs- und Ausbildungsdefizite abzubau-en, Stärken zu fördern und dadurch ihreChancen auf dem Arbeitsmarkt zu erhö-hen.“ In der Folge sollen die Aus- und

„Migranten, für die (noch) keine

Integrationsabsicht besteht...“Martin Link

Martin Link ist Geschäftsführer des Flücht-lingsrat Schleswig-HolsteinDer Entwurf des IntegrationskonzeptesSchleswig-Holstein kann von der homepa-ge des Innenministeriums heruntergeladenwerden: www.schleswig-holstein.de/landsh/im/index_im.html

______________ Schleswig-Holstein______________41

Februar 2002 Flüchtlingsrat SH Der Schlepper Nr. 17

Page 42: s17_gesamt

Weiterbildungsangebote für bleibeberech-tigte Migrantinnen und Migranten verbes-sert werden. Aber das gilt nicht für alle!„Andere Migrantinnen und Migranten kön-nen eine Berufsausbildung wegen fehlen-der Arbeitserlaubnis nicht antreten. Ju-gendliche Flüchtlinge sind deshalb in derRegel von der Aufnahme einer Berufsaus-bildung ausgeschlossen.“ (S. 40). In Er-wartung eines neuen Zuwanderungsrech-tes wird die „Vereinfachung, Verkürzungund transparentere Gestaltung des Ar-beitsgenehmigungsverfahrens“ gefordert(S. 46). Zwar soll geprüft werden, „ob Per-sonen mit einer Aussetzungsbescheini-gung nach dem zukünftigen Zuwande-rungsgesetz arbeiten dürfen“ (S. 46), abereine dringend gebotene Bundesinitiativemit dem Ziel, der Abschaffung des einjäh-rigen Arbeitsverbotes für Flüchtlinge undder sechswöchigen Wartefrist bei der erst-maligen Beantragung einer Arbeitserlaub-nis wird nicht angekündigt. Dabei siehtselbst der entsprechende Vorschlag derEU-Kommission max. sechs Monate Aus-schluss vom Arbeitsmarkt vor.

Bei den im Konzept formuliertenAnmerkungen zur Anerkennung ausländi-scher Schulabschlüsse (S. 45) ist die Be-schäftigung mit den Schulabschlüssenvon Flüchtlingen, die diese mangels Unter-lagen nicht verifizieren können, ausge-klammert. Es stellt sich hier die Frage,warum sich das Konzept in diesem Zu-sammenhang nicht am guten Beispiel derin Mecklenburg-Vorpommern üblichen„Feststellungsprüfung“ orientiert.

Bei der Benennung spezieller fürMigrantinnen und Migranten konzipierterArbeits- und Ausbildungsförderungspro-gramme (S. 41 u. 45) sollte das Integrati-onskonzept auch auf die ab Sommer2002 zugänglichen, im Rahmen der EU-Gemeinschaftsinitiative EQUAL geförder-ten Qualifizierungsangebote der Entwick-lungspartnerschaft „Asyl“ Schleswig-Hol-stein hinweisen und bei Landes- und Kom-munalbehörden sowie Arbeitsverwaltun-gen für Unterstützung werben. Die Ent-wicklungspartnerschaft wird vom Flücht-lingsrat koordiniert, der dabei mit dem Bil-dungswerk anderes lernen e.V., der KielerMigrationseinrichtung ZBBS e.V., demRendsburger Weiterbildungsträger pädale.V. und mit der Beratungsgesellschaft fürBeschäftigung BSH in Neumünster koope-riert. Wenn die Realisierung seitens derLandesregierung nicht erwartet worden istentspricht diese Förderlinie ab jetzt bis2005 exakt dem Anspruch des Integrati-onskonzeptes, bietet insbesondere bleibe-rechtsungesicherten (!) Flüchtlingen dieTeilnahme an speziellen Qualifizierungs-maßnahmen und schafft damit auch fürdiese i.d.R. nie „förderungswürdige“ Ziel-gruppe die Möglichkeit zu Teilnahme anIntegrationsangeboten und ein breit gefä-chertes Angebot zur Schulung interkultu-reller Kompetenz der an der Durchfüh-rung der Projekte beteiligten Multiplikato-rInnen bei Verwaltungen und in Betrieben

(siehe dazu Bericht zu EQUAL in diesemHeft).

Um Klarheit der Intension bemühtsich das Konzept im Kapitel „Wohnsituati-on“: „Die Wohn- bzw. Unterbringungssitua-tion von Migrantinnen und Migrantenohne bzw. mit unsicherer Bleiberechtsper-spektive (Saisonarbeiterinnen und arbei-ter, Asylbewerberinnen und -bewerber)stellt ein gesondertes Problem dar undwird bei den Betrachtungen auf dem Woh-nungsmarkt nicht berücksichtigt.“ Basta ?!„Für diesen Bereich des Wohnens ist fest-zustellen, dass Migrantinnen und Migran-ten, für die (noch) keine Integrationsab-sicht besteht zum Teil und gemessen ander tatsächlichen Aufenthaltsdauer in denUnterkünften, nicht angemessen unterge-bracht sind.“ (S. 52). Vornehm ausge-drückt denken sich Leserinnen und Leserdes Konzeptentwurfes eingedenk einerVerwaltungspraxis, die Flüchtlingen regel-mäßig Sozialwohnungsberechtigungs-scheine oder Mietkostenübernahmezusa-gen für privaten Wohnraum verweigertund damit nicht selten die Beendigung derim Konzept beklagten „nicht angemesse-nen“ Unterbringung vereitelt. Der schles-wig-holsteinische Landesflüchtlingsbeauf-tragte hat die üblichen Un-Zustände demParlament und der Regierung schon imvergangenen Jahr vorgetragen: „Anläss-lich eines Besuchs einer entsprechendenUnterkunft der Gemeinde Tangstedt hates uns buchstäblich den Atem verschla-gen. Dort, und auch noch in anderen Ge-meinden, existieren noch immer Contai-nersiedlungen in Ortsrandlagen zwischenLandstrasse und Pferdekoppel, die dasWort Unterkunft im Sinne von Wohnunter-kunft nicht verdient haben. Die sogenann-ten Wohneinheiten bestehen aus einemRaum von ca. zehn Quadratmetern Grö-ße, in dem zwei Etagenbetten also fürvier Personen , ein Küchenblock, einTisch und vier Stühle sowie zwei Stahl-spinde untergebracht sind.“ (HelmutFrenz, Erster Tätigkeitsbericht, Kiel, Juni2001, S. 33). Im Falle einer Belegung mitvier Personen kassieren Kommunen fürein solches Loch monatlich ca. 613,55und Tangstedt ist überall! Das Integrati-onskonzept hat es m.E. sträflich ver-säumt, in seine Agenda die Schaffungvon verbindlichen menschenwürdigen Min-deststandards für Flüchtlingsunterkünfteaufzunehmen. Dass es solche in anderenBundesländern gibt, ist der Landesregie-rung bekannt (Frenz, ebd., Anhang 3) undspricht einmal mehr für die Machbarbar-keit.

„Viele mit ausländischen Klientin-nen und Klienten befasste Behörden undVerbände kennen die spezifischen Hinter-gründe der Probleme von Migrantinnenund Migranten sowie deren Wünsche undBedürfnisse nur unzureichend.“ führt dasKonzept im Kapitel „Soziale Dienste“ aus.„Oft führt Unkenntnis und Überforderungzu gegenseitigen Missverständnissen, zuunprofessioneller Beratung, zu Abwehroder Diskriminierung.“ (S. 69). Ein

Schelm, wer jetzt z.B. an die vielfältigenErfahrungen mit der für ihn oder für seineKlientInnen zuständigen Ausländerbehör-de denkt. Während das Konzept der Lan-desregierung den öffentlichen Bedienste-ten „die Beschäftigung mit interkulturellerKompetenz“ empfiehlt (S. 72), scheinenden im Alltag der Behördenkommunikati-on erfahrenen FlüchtlingshelferInnen dienst-aufsichtlich angeordnete antirassistischeTrainings hilfreicher zu sein.

Aber es wird ja alles gut. DerFlüchtlingsrat begrüßt ausdrücklich, dasszukünftig die interkulturelle Öffnung nichtnur durch den „Einsatz von mehrsprachi-gen Informationsschriften und Formularenunterstützt“ sowie „durch die Beschäfti-gung von mehrsprachigen Mitarbeiterin-nen und Mitarbeitern und der Zuhilfenah-me von Dolmetscherinnen und Dolmet-schern“ vorangetrieben werden soll. Dennweiter heißt es im Konzept, „um insge-samt die kundenorientierte Zusammenar-beit zwischen Verwaltungen und der ein-heimischen ausländischen Wohnbevölke-rung zu verbessern, wird das Innenmini-sterium prüfen, ob ein dauerhafter Pro-zess der gegenseitigen Information, desAustausches und der Schulung zwischenBehörden auf der einen Seite und Verei-nen und Verbänden, die sich dem Wohlder Migrantinnen und Migranten angenom-men haben, auf der anderen Seite, organi-siert werden kann“ (S. 85). Die Flüchtlings-gruppen bieten hier engagierte Beteili-gung an.

Die im Konzept in diesem Zusam-menhang angemahnte Notwendigkeit der„Änderung der bestehenden Strukturen“(S. 70) wird auch von Flüchtlingseinrich-tungen getragen. Beispielsweise betreibtin Norderstedt ein Arbeitskreis im Rah-men des Agenda 21 Prozesses unter Fe-derführung der kirchlichen Flüchtlingsbera-tungsstelle schon seit Herbst vergange-nen Jahres die interdisziplinäre Vernet-zung von freien Trägern, Initiativen undBehörden mit dem Ziel der Initiierung dessog. Norderstedter Integrationskonzeptes.(siehe Regionalbericht Kreis Segeberg indiesem Heft).

In wie weit das seit 2000 in einigenKreisen und kreisfreien Städten des Bun-deslandes umgesetzte Konzept der Migra-tionssozialberatung (S. 73) die Integrationvon Migrantinnen und Migranten tatsäch-lich verbessern wird, bleibt noch abzuwar-ten. Auffällig ist aber schon jetzt, dass vonfünf Pilotprojekten es zwei großen Flä-chenkreisen – OH und NF – wider alleselbst vom Innenministerium gepredigteVernunft und professionelle Erfahrung ge-lungen ist, eine behördenunabhängigeFlüchtlingsberatung zu verhindern odersogar die Beteiligung freier Träger insge-samt außen vor zu halten. Ob auf dem Bo-den solcher kommunaler Wagenburgmen-talität verbesserte Integrationsbedingun-gen gedeihen können, darf bezweifelt wer-den.

Ob die im Konzept erwähnte, imgesellschaftlichen und Verwaltungsalltag

42______________Schleswig-Holstein ______________

Der Schlepper Nr. 17 Flüchtlingsrat SH Februar 2002

Page 43: s17_gesamt

stattfindende „alltägliche Diskriminierungunterhalb des rechtlich Fassbaren“ tat-sächlich den „Urhebern in den meistenFällen gar nicht bewusst ist“, ist m. E. frag-lich. Zu unterstützen ist aber aus Sicht derFlüchtlingshilfe die Einschätzung, dass„die Prävention durch die Schaffung vonAnti-Diskriminierungs-Codes auch außer-halb des Bereichs von Bildung und Erzie-hung dabei besondere Bedeutung“ habe(S. 85). Diskriminierung ist tatsächlichdurch eine Vielzahl internationaler Über-einkommen verboten, die aber nicht sel-ten durch nationale Gesetzgebung unter-laufen werden (S. 89). Die EU-Richtlinie2000/43/43, die bis spätestens 2003 vonallen EU-Mitgliedsstaaten in nationalesRecht umgesetzt sein muss, schafft u.U.endlich die von Flüchtlingssolidaritätsgrup-pen und Migrationseinrichtungen lang er-hoffte Grundlage für ein wirksames Anti-diskriminierungsgesetz. Die EU-Richtlinieschreibt u.a. die Einrichtung von Stellenvor, „wo Diskriminierte Information undUnterstützung erhalten und gleichzeitigFälle von Diskriminierung ausgewertetwerden, um diskriminierende Strukturenzu erkennen und zu verändern“ (S. 91).

Dass gem. dem Integrationskonzept derLandesregierung das Justizministeriumals eine der obersten Landesexekutivendamit beauftragt wird, solche „Anlaufstel-len einzurichten oder bestehende Anlauf-stellen entsprechend in Aufgabenstellungund Ausstattung zu erweitern“ (S. 91) ist– so hoffen wir – so zu verstehen, dassnur staatlich unabhängige und in der Sa-che kompetente Einrichtungen sich umdie beabsichtigte Trägerschaft einer sol-chen Landes-Anti-Diskriminierungsstellebeim Justizministerium bewerben sollen,da allgemeine Einigkeit bei der Einschät-zung besteht, dass öffentliche Einrichtun-gen diesbezüglich nicht geeignet erschei-nen.

„Um die Entwicklung demokrati-scher und toleranter Gesellschaften zu ge-währleisten, die allen Menschen – ohneUnterschied der Rasse oder der ethni-schen Herkunft – eine Teilhabe ermögli-chen, sollten spezifische Maßnahmen zurBekämpfung von Diskriminierungen ausGründen der Rasse oder der ethnischenHerkunft über die Gewährleistung des Zu-gangs zu unselbständiger und selbständi-ger Erwerbstätigkeit hinausgehen und

auch Aspekte wir Bildung, Sozialschutz,einschließlich sozialer Sicherheit und derGesundheitsdienste, soziale Vergünsti-gungen, Zugang zu und Versorgung mitGütern und Dienstleistungen, mit abdek-ken.“ (EU-Richtlinie 2000/43/EG, Abs. 12vom 29.6.2000)

In diesem Zusammenhang soll dar-an erinnert werden, dass der Flüchtlings-rat Schleswig-Holstein e.V. in Konse-quenz der des von Flüchtlingsberatungs-stellen und Solidaritätsinitiativen festge-stellten Bedarfes den „Schutz vor Diskrimi-nierung aus Gründen der Rasse oder derethnischen Herkunft zu verstärken undkonkrete Hilfsangebote an die Opfer zukoordinieren“ (ebd., Abs. 24) schon an-lässlich seiner Mitgliederversammlung am18.11.2000 als zusätzlichen Vereins-zweck in seine Satzung aufgenommenhat, dass der Verein „sich auf der Grundla-ge von EU- und nationalen Richtlinien,Verordnungen und Programmen bei Maß-nahmen, Projekten und der Einrichtungvon Stellen zum ‚Schutz vor Diskriminie-rung aus Gründen der Rasse oder der eth-nischen Herkunft’“ engagiert.

Kommentar:

Wurstiger Umgang mit EU-Programmenauf höchster Ebene

Der Europäische Flüchtlingsfond (EFF) und das EQUALProgramm, Qualifizierungsmaßnahmen unter anderen auch fürAsylbewerberInnen, waren frühzeitig groß angekündigte EU-Pro-jekte. Attraktiv genug, um dort Mittel für schon länger gewünsch-te Maßnahmen zu beantragen, für die Flüchtlingsorganisationenbisher keine Finanzierungsmöglichkeit sahen. Das EU-Antrags-verfahren ist aufwendig und die Anforderungen formal wie inhalt-lich hoch, was durchaus im Sinne der Sicherstellung guter Ar-beit verstanden werden kann.

Nicht in diesem Sinne zu verstehen ist jedoch der Um-gang mit diesen Programmen auf Bundesverwaltungsebene.Die Umsetzung der EFF-Förderung hat sich in Deutschland umganze zwei Jahre verzögert. Erst im Dezember 2001 erhieltendie AntragstellerInnen pauschale Zusagen über eine Förderungfür Anträge aus 2000 und 2001, die konkrete Höhe der bewillig-ten Summen liegt weiterhin im Dunkeln. Für kleine Träger be-deutet das, erhebliche Vorleistungen bringen zu müssen undtrotz ständigem Kontakt mit den öffentlichen Koordinierungsstel-len doch immer wieder nur vertröstet zu werden.

Ist der wesentliche Grund für die wiederholten Verzöge-rungen beim EFF, dass Deutschland sich mit verschiedenenDurchführungsverordnungen schwer tat, weil sie nicht in denlandläufigen restriktiven Umgang mit AsylbewerberInnen pas-sen?

Auch beim EQUAL-Programm gab es inzwischen be-wältigte bundesdeutsche Inkompatibilitäten mit der Zielgrup-pe der Flüchtlinge, da für sie gedachte Qualifizierungsmaß-nahmen in der deutschen Asyl- und Arbeitsförderungspolitikeigentlich keinen Platz haben. Drastischer kam der laxe Um-gang mit EU-Programmen jedoch bei der Vergabe der bun-desweiten Koordinierung zum Ausdruck. Da vergab der zu-ständige Referatsleiter im Bundesarbeitsministerium den Auf-trag an die Firma seiner Tanzpartnerin ohne die vorgeschrie-bene Ausschreibung und gefährdete damit die gesamte Um-setzung. Statt bedarfsgerechter Verwaltung und Begleitungantragstellender Träger, passierten der beauftragten FirmaFehler und Pannen, die den ohnehin erheblichen Aufwanddes Antragsverfahrens noch erhöhten. Statt Transparenz zuschaffen, wurde viel Geld in pompöse und in erster Linie ef-fektheischende Infoveranstaltungen gesteckt.

Arbeitsminister Riester kam über den Skandal um dieAuftragsvergabe erheblich ins Schleudern. Wesentlich istaber, dass in großem Umfang gute soziale Projekte gefähr-det wurden. Vor allem trifft dieser unverantwortliche Umgangdie kleinen Projektträger. Es wäre zu wünschen, dass die Eu-ropafreundlichkeit der Bundesregierung sich zukünftig in ei-ner angemessenen Zuarbeit solcher Projekte und ihre enga-gierten Träger manifestiert.

Astrid Willer

______________ Schleswig-Holstein______________43

Februar 2002 Flüchtlingsrat SH Der Schlepper Nr. 17

Page 44: s17_gesamt

Die Europäische Kommissionwill Flüchtlinge in Schleswig-Holsteinfördern. Diese Zusicherung haben dieMitglieder der Regionalen Entwick-lungspartnerschaft „Asyl“ Schleswig-Holstein im Januar 2002 erhalten.Schon Ende des Jahres 2000 hattensich in Schleswig-Holstein Flüchtlings-und Weiterbildungsorganisationen alsEntwicklungspartnerschaft (EP), einemProjektverbund zusammengetan, derbesondere Qualifizierungsangebote für(noch) bleiberechtsungesicherteFlüchtlinge entworfen hat. Eine Chan-ce, entsprechende arbeitsmarktorien-tierte Projekte auch für diese Flücht-lingsgruppen finanziert zu bekommen,ergab sich aus der EU-Gemein-schaftsinitiative EQUAL. Ziel vonEQUAL ist die Förderung neuer Metho-den zur Bekämpfung von Diskriminie-rungen und Ungleichheiten jeglicherArt im Zusammenhang mit dem Ar-beitsmarkt durch regionale Netzwerk-strukturen und transnationale Zusam-menarbeit. Die vom Flüchtlingsrat koor-dinierte EP ist bundesweit eine von 10,die Flüchtlingsprojekte anbieten unddurch die EU gefördert werden. Zur Um-setzung von drei sehr unterschiedli-chen Teilprojekten, in denen Asylbe-werberInnen, Bürgerkriegs- und DeFakto Flüchtlinge sich ab Sommer2002 bis 2005 beruflich qualifizierenkönnen, kann die schleswig-holsteini-sche EP über Förderung durch Europäi-schen Sozialfonds, Landes-, Dritt- undEigenmittel verfügen.

Die Akteure der Entwicklungspart-nerschaft „Asyl“ Schleswig-Holstein sind:. der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein

e.V. wurde 1989 gegründet und bestehtals eingetragener Verein seit 1991. Erarbeitet landesweit als Dachverband derregionalen Flüchtlingsvertretung. DerVerein berät seine Mitglieder und andereinteressierte Gruppen zu Fragen derAsyl- bzw. Ausländerrechtsentwicklungund der Verwaltungspraxis, er organi-siert eigenständig oder in Kooperation

mit öffentlichen Stellen und/oder freienTrägern öffentliche Veranstaltungen,Pressearbeit sowie Fort- & Weiterbildun-gen zu Migrations- und Flüchtlingsthe-men. Der Flüchtlingsrat ist Mitglied in derBundesweiten Arbeitsgemeinschaft ProAsyl e.V.. das Bildungswerk anderes lernen e.V.besteht seit 1986 und ist die schleswig-holsteinische Landesstiftung der Hein-rich-Böll-Stiftung. Das Bildungswerkmacht politische Bildungsarbeit im Rah-men von Veranstaltungen, Seminaren,Reisen und anderen Projekten zu einerbreiten Themenpalette. Es handelt sichum einen anerkannten Weiterbildungs-träger. Das Bildungswerk anderes ler-nen ist Mitglied in der Weiterbildungs-kommission bei der schleswig-holsteini-schen Landesregierung.. die Zentrale Beratungs- und Betreu-ungsstelle für Ausländerinnen undAusländer in Schleswig-Holstein(ZBBS e.V.) besteht seit 1985, ist alsgemeinnützig anerkannt und Mitglied imDPWV. Arbeitsbereiche der ZBBS sinddie Migrationssozialberatung mit demSchwerpunkt Flüchtlingsberatung,Deutsch- und Computerkurse und dieDurchführung von Informations-, Bil-dungs- und Kulturprojekten zum ThemaFlucht und Migration. Die ZBBS verfügtdaher über langjährige Erfahrung undKenntnisse über den länderspezifischenHintergrund, die psychosoziale Situationvon Flüchtlingen, insbesondere Asylbe-werberInnen, sowie über deren auslän-der- und arbeitsrechtlich bedingten all-tags- und berufsbezogenen Möglichkei-ten und Grenzen.. Die Pädagogische Alternative Rends-burg (pädal) e.V. Der Verein pädal e.V.wurde 1984 mit dem Ziel der Schaffungzielgruppen- und bedürfnisorientierterAngebote für sozial benachteiligte Kin-der, Jugendliche und Erwachsene ge-gründet. Der Träger führt seit 1985 Maß-nahmen zur Beschäftigung und berufli-chen Qualifizierung von Langzeitarbeits-losen und besonders schwer vermittel-baren Menschen durch. Seit 1993 wer-den Bildungs-, Freizeit- und Begeg-nungsangebote für Menschen mit Migra-tionshintergrund durchgeführt und seit1998 erhalten Flüchtlinge und Mi-grant/innen Sozialberatung, Rechtshil-

fen und Hilfen auch zur arbeitsmarktori-entierten Integration.. Die Beratungsgesellschaft für Be-schäftigung (BSH) mbH: Die BSH,Neumünster, ist vom Arbeitsministeriumdes Landes Schleswig-Holstein mit derAbwicklung der arbeitsmarktpolitischenMaßnahmen und des Europäischen So-zialfonds beauftragt. Die BSH weist lang-jährige Erfahrungen im Programm-Ma-nagement auf und gewährleistet eine ef-fektive Umsetzung öffentlicher Förder-programme. Die BSH wird im Rahmender EP u.a. die folgenden Aktivitätendurchführen: Finanzmonitoring, Bera-tung aller Akteure, Controlling des Mittel-flusses, Erstellung der Verwendungs-nachweise, Fortbildungsveranstaltun-gen.

Die Aktivitäten werden in Abstim-mung mit der Entwicklungspartnerschaftund der Nationalen KoordinierungsstelleEQUAL, dem Bundesarbeitsministerium,durchgeführt.

Zielgruppe der EP:Bei einem Vergleich der in

Deutschland definierten Flüchtlingsgrup-pen und den in den Leitlinien für EQUALdargestellten Kategorien kommen für dieFörderung im Themenbereich Asylbewer-ber folgende Zielgruppen in Betracht:. Asylsuchende im laufenden Asylverfah-

ren. Asylfolgeantragsteller (bis zur Annahmedes Antrags). rechtskräftig abgelehnte Asylbewerbermit Duldung nach §§ 53 - 55 AuslG. Schutzsuchende, die eine Aufenthalts-genehmigung beantragt und nur eineDuldung erhalten haben. ehemalige Kriegs- und Bürgerkriegs-flüchtlinge mit Aufenthaltsbefugnis nach§ 32 a AuslG bzw. Duldung. Ehegatten oder minderjährige Kinderder o. g. Gruppen

Multiplikatoren und Multiplikatorinnen

Es handelt sich dabei ausschließ-lich um Flüchtlingsgruppen, die bishernicht im Rahmen von beruflichen Qualifi-zierungsmaßnahmen oder mit Maßnah-men zur Verbesserung der Berufsfindunggefördert werden konnten. Insgesamt istfestzustellen, dass es sich bei dieser Ziel-

EQUAL:

Europa fördert Flüchtlinge

in Schleswig-HolsteinMartin Link

Martin Link ist Geschäftsführer des Flücht-lingsrat Schleswig-Holstein e.V.

44______________Schleswig-Holstein ______________

Der Schlepper Nr. 17 Flüchtlingsrat SH Februar 2002

Page 45: s17_gesamt

gruppe der schleswig-holsteinischen EP„Asyl“ um eine äußerst heterogene Grup-pe mit unterschiedlichem kulturellen, reli-giösen, sprachlichen und sozialen Hinter-grund handelt mit extrem verschiedenenBildungsvoraussetzungen und beruflichenErfahrungen.

Weiterhin gehören im Rahmen derMultiplikator/innenarbeit zur Förderung in-terkultureller Kompetenz zu den Zielgrup-pen die Mitarbeiter/innen der beteiligtenVerwaltungen, Kolleg/innen und Ausbil-dungspersonal in Betrieben und die überdie Öffentlichkeitsarbeit der EP gesuchteÖffentlichkeit.

Kurzbeschreibung der einzelnenMaßnahmen:

Maßnahme quita!mehrsprachiges Qualifizierungsprojekt für

AsylbewerberInnen im BereichTelefondienstleistungen.

Träger: ZBBS e.V.Mit dem Projekt quita! werden Asyl-

bewerberInnen, die über fortgeschritteneDeutschkenntnisse und mindestens eineinternationale einsetzbare Zweit- bzw.Muttersprache verfügen, im Bereich derTelefondienstleistungen qualifiziert.

Im Lauf eines einjährigen modula-ren Lehrgangs erwerben die TeilnehmerIn-nen Schlüsselqualifikationen wie EDV-Kenntnisse, Professionalisierung ihrersprachlichen Kompetenz, insbesondere ih-rer Mehrsprachigkeit, Erweiterung ihrerKommunikationsfähigkeit und sozialenKompetenz sowie Steigerung ihrer Flexibi-lität und Belastbarkeit.

Diese Grundqualifikationen sindnicht nur berufsspezifisch. Dadurch sindsie sowohl in anderen Berufsfeldern alsauch in anderen Ländern z. B. im Her-kunftsland einsetzbar.

Maßnahme restart - beruflicher Neuanfang fürFlüchtlinge in den Bereichen Medien und soziale

Einrichtungen

Träger: Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V. und Bildungswerk andereslernen e.V.

Projektziel ist die Verbesserungvon Berufsfähigkeit von Flüchtlingen mitungesichertem Aufenthalt für die Bereichesoziale Initiativen und Einrichtungen undMedien. Der vorliegende Projektansatzbaut dabei auf den faktisch vorhandenenBildungsstand sowie die sozialen und poli-tischen Motivationen und Kompetenzender TeilnehmerInnen auf. Das Projekt be-rücksichtigt die ungeklärte Aufenthaltssi-tuation der TN durch den modularen Auf-bau und zielt auf die Verbesserung desZugangs sowohl auf den hiesigen wie denheimischen Arbeitsmarkt.

Maßnahme mok wat! - modulare Qualifizierungs-und Trainingsmaßnahmen für Asylsuchende im

Handwerks- und Dienstleistungsbereich

Träger: Pädagogische AlternativeRendsburg e. V.

Ziel dieser Maßnahme ist es, denFlüchtlingen möglichst individuell berufli-che Qualifikationen zu vermitteln, die ihreChancen auf dem Arbeitsmarkt hier oderim Herkunftsland verbessern. Theoreti-sche und praktische Grundkenntnisse undFertigkeiten werden im Bereichen techni-scher Gewerbe und pflegerischer Dienst-leistungen durch ein speziell entwickeltesmodulares System vermittelt, das die kon-zipierte Dauer von maximal 3 Monatenpro Lehrgangsmodul eingehält. So wirdgewährleistet, dass TeilnehmerInnen ein-zelne Lehrgänge mit Zertifikat abschlie-ßen können. Damit besteht die Möglich-keit einer effizienten, flexiblen und be-darfsorientierten Qualifizierung. Ein Be-triebspraktikum, welches sich möglichst di-rekt an das Lehrgangsmodul anschließt,gibt die Möglichkeit, das Gelernte zu inten-sivieren und zu vertiefen. Durch eineenge Zusammenarbeit mit den Bildungs-trägern in der Region soll eine Öffnungder Regeldienste, ihre Sensibilisierungfür die Belange dieser Migrant/innengrup-pe und damit nachhaltige Veränderungender Angebote der Bildungsträger erreichtwerden.

Maßnahme Interkulturelle Qualifizierung fürMultiplikatorInnen

Träger: Die Akteure der EP ge-meinsam; koordiniert durch den Flücht-lingsrat Schleswig-Holstein e.V.:

Da die Maßnahmen im Rahmender Entwicklungspartnerschaft in Koopera-tion mit anderen Bildungseinrichtungen,mit Arbeitsämtern und Betrieben durchge-führt werden, sind interkulturelle Fortbil-dungsmaßnahmen für die Mitarbeiter/in-nen dieser Einrichtungen unerlässlich.Flüchtlinge unterliegen aufgrund ihrerFluchtgeschichte, ihrer Lebenssituation imAufnahmeland und ihrer unklaren Zu-kunftsperspektive vielfachen Belastungen,die zu Motivations-, Konzentrations- undLernproblemen führen können. Darüberhinaus sind ihre Lern- und Arbeitsmetho-den kulturell beeinflusst und unterschei-den sich zum Teil von in Deutschlandpraktizierten Methoden.

Maßnahme Koordination der regionalen EP

Träger: Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.:

Aufgaben sind die Entwicklungund Verankerung eines Netzwerkes vonOrganisationen und Institutionen, die inSchleswig-Holstein u. a. O. Maßnahmenzur Qualifizierung von Flüchtlingen voranbringen wollen sowie die Multiplikationvon Inhalten und Informationen, die bei

der Qualifizierungsarbeit mit dem Klienteldieser EQUAL-Themengruppe zentralsind. Die Etablierung des Themas Qualifi-zierung von Flüchtlingen in bestehendeNetzwerke auf regionaler, nationaler undtransnationaler Ebene geschieht mit demZiel der Umsetzung transnationaler Pro-jekterfahrung in der Region. Die Entwick-lung und politische Durchsetzung einesKriterienkataloges für rechtliche und fachli-che Grundlagen zur Durchführung vonQualifizierungsmaßnahmen für statusunsi-chere Flüchtlinge und das Berichts- undVerwendungsnachweiswesen gehörenebenfalls zur Koordination.

Der Kooperationsrat

Seit Mai 2001 arbeitet der Koope-rationsrat der EP “Asyl” in Schleswig-Hol-stein. Im Kooperationsrat arbeiten die Ak-teure mit den VertreterInnen folgender In-stitutionen und Organisationen zusam-men.. Landes- und Kommunalbehörden: die

VertreterInnen der Landesministerien,Landesarbeitsamt Nord und bezirklicheArbeitsämter, Beauftragter für Flücht-lings-, Asyl- und Zuwanderungsfragendes Landes Schleswig-Holstein, (ange-fragt), Schleswig-Holsteinischer Land-kreistag, Kreisverwaltung Nordfriesland.. Arbeitgeber- und Handwerksvertreter:Industrie- und Handelskammer zu Kiel,Handwerkskammer Lübeck. Weiterbildungsträger: Kieler ForumWeiterbildung, Landesverband derVolkshochschulen SH, InterkulturelleSchule Fortbildung und Ausbildung, Ar-tefact Globales Lernen Glücksburg,Centre Culturel Francais de Kiel, Institutfür Interkulturelles Training.. Kirche und Verbände: Flüchtlingsbeauf-tragter der Nordelbischen ev. luth. Kir-che, Landesverband des DiakonischenWerkes Schleswig-Holstein, Landesver-band des DPWV.. Migrationsfacheinrichtungen: LübeckerFlüchtlingsforum e.V., Flüchtlingsbera-tungsstelle des Diakonischen Werkes inNorderstedt, FrauenberatungsstelleFrauentreff e.V.

Transnationale Kooperation

Die Entwicklungspartnerschaft„Asyl“ Schleswig-Holstein wird im Rah-men ihrer Projektarbeit mit transnationa-len Partnern aus anderen europäischenLändern, die ihrerseits EQUAL-Projektedurchführen, kooperieren. Bestehende in-ternationale Kontakte des Flüchtlingsra-tes, z.B. in die skandinavischen und balti-schen Ostseeanrainerländer, werden zurkooperativen transnationalen Durchfüh-rung von EQUAL-Projekten ausgebautwerden.

Mehr Informationen im Internet:http://www.frsh.de/equal/equal.htm

______________ Schleswig-Holstein______________45

Februar 2002 Flüchtlingsrat SH Der Schlepper Nr. 17

Page 46: s17_gesamt

Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.:

Mitgliederversammlung lehnt

Zuwanderungsgesetzentwurf ab und

wählt neuen Vorstand

Anlässlich der Mitgliederversamm-lung am Samstag, den 12. Januar, in Kielhat der Flüchtlingsrat Schleswig-Holsteine.V. einen neuen Vorstand und Spreche-rInnen gewählt und sich mit dem von derBundesregierungskoalition vorgelegtenZuwanderungsgesetzentwurf befasst.

In den dreiköpfigen Vorstand wur-den Margret Best, Pädagogin aus Neu-münster, Thomas Jung, Rechtsanwalt &Notar aus Kiel, und Gisela Nuguid, Migrati-onsberaterin aus Norderstedt, gewählt.

Als SprecherInnen wurden ge-wählt: Pierrette Roussillat, Kiel; Inge Suhr,Oldesloe; Silke Nissen, Husum; GiselaNuguid, Norderstedt; und Andreas Vox,Lübeck.

„Der Flüchtlingsrat lehnt den zurDiskussion stehenden Zuwanderungsge-

setzentwurf wegen seiner zahlreichen aufFlüchtlinge zielenden Restriktionen ab.“erklärte im Anschluss an die Sitzung dieim Amt bestätigte Vorsitzende MargretBest.

Die Mitgliederversammlung unter-stütze ausdrücklich die diesbezüglichenVorbehalte der anderen Landesflüchtlings-räte und der Bundesweiten Arbeitsgemein-schaft PRO ASYL.

Die nach dem Entwurf vorgesehe-ne und von der Opposition bekämpfte An-erkennung nichtstaatlicher und ge-schlechtsspezifischer Verfolgung im Asyl-verfahren werde erkauft mit weitreichen-den, Flüchtlinge treffenden Verschlechte-rungen des Status Quo; z.B. droht Flücht-lingen die Internierung in sog. Ausreise-zentren; die UN-Kinderrechtskonventionwird auch künftig missachtet; die Bewe-gungsfreiheit von Flüchtlingen soll nochweiter eingeschränkt werden; der Arbeits-marktzugang bleibt für statusungesicherteFlüchtlinge versperrt und selbst Anerkann-ten wird die regelmäßige Neuüberprüfungdes Schutzstatus angedroht.

Darüber hinaus wirken in Verbin-dung mit dem seit Anfang des Jahres gel-tenden Terrorismusbekämpfungsgesetzweitere gegen Schutzsuchende gerichteteDiskriminierungen sowie Zwänge für de-ren UnterstützerInnen.

Eine sachlicher Grund für die ge-setzgeberische Hektik beim Zuwande-rungsgesetz ist aus Sicht des Flüchtlings-rates ohnehin nicht erkennbar. Das Ge-setz soll erst 2003 in Kraft treten, seine zu-wanderungspolitischen Effekte laut BMIerst gegen Ende des Jahrzehnts zur Wir-kung kommen.

Nicht nur die Flüchtlingsorganisa-tionen haben von einem neuen Zuwande-rungsgesetz den viel beschworenen Para-digmenwechsel erwartet: Nämlich die Ab-lösung des geltenden „Fremdenabwehr-rechts“ durch weltoffene, nicht-rassisti-sche Zuwanderungsregelungen. Stattdes-sen werden im vorliegenden Entwurf we-sentliche Teile des schon vordem vonFlüchtlings- und Menschenrechtsorganisa-tionen kritisierten Ausländerrechtsbe-stands übernommen und lediglich mit neu-en Etiketten versehen.

Kiel, 13.1.2002

Mehr Informationen:http://www.frsh.de/meldung.html

Bericht aus der Härtefallkommission

Der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein ist seit 1996 in der Härtefall-kommission des Landes Schleswig-Holstein vertreten. Mitglieder dieserKommission sind neben VertreterInnendes Innnenministeriums solche von Re-ligionsgemeinschaften, Verbänden,dem Büro des Landesflüchtlingsbeauf-tragten und dem Flüchtlingsrat Schles-wig-Holstein. Letzterer ist derzeit durchPeter Martensen, Husum; Arno Köp-pen, Tellingstedt; Sylke Willig, Riese-by; und Solveigh Deutschmann, Bram-mer, vertreten. Mehr Informationenüber die Arbeit der Härtefallkommissi-

Mitgliederversammlung 2002

v.l.n.r.: Margret Best, Thomas Jung, Astrid Willer

46______________ Flüchtlingsrat SH ______________

Der Schlepper Nr. 17 Flüchtlingsrat SH Februar 2002

Page 47: s17_gesamt

on und darüber, wie Betroffene oderUnterstützerInnen sich dorthin wendenkönnen, finden Interessierte auf der Ho-mepage des Flüchtlingsrates:www.frsh.de/behoe/hfk.html.

Im abgelaufenen Jahr 2001 setztesich die bereits in den drei letzten Jahrengrundsätzlich konstruktive Zusammenar-beit in diesem Gremium fort. Durch dieBündelung von Kompetenzen aus ver-schiedenen Bereichen konnte in einigenEinzelfällen durch kreativen Umgang mitausländerrechtlich relevanten Vorschriftenein Bleiberecht erwirkt werden.

Es wurde zum Beispiel von der Mi-grationssozialberatung des Kreises NFein Antrag für eine ältere Frau gestellt, die6 Monate untergetaucht war und sich indieser Zeit um ihre schwerkranken Neffengekümmert hat, der dort ohne jede familiä-

re Unterstützung lebte.

Sowohl die HFK als auch das In-nenministerium haben durch großen Ein-satz den Landrat des Kreises davon über-zeugt, die Frau nicht abzuschieben.

Es entstand der Eindruck, dass dieFälle durch die HFK-Geschäftsstelle sehrgut vorbereitet und vorhandene Spielräu-me grundsätzlich flexibel genutzt wurden.

In Einzelfällen gab es Abweichun-gen in der Rechtsauffassung der Vertreterdes FR SH und der anwesenden Fachauf-sicht über die Anwendung der Altfallrege-lung 99 und der Bleiberechtsregelung Ju-goslawien/ Bosnien-Herzegowina. Wir wa-

ren der Auffassung,dass bei Flüchtlin-gen, die einen gro-ßen Teil ihrer Aufent-haltszeit gearbeitethatten, der Stichtagzur Erwerbstätigkeitzu restriktiv gehand-habt wurde.

Außer derKlärung von Einzel-fällen war auch2001eine wichtigeFunktion der HFKals Institution und ei-niger dort tätiger Ein-zelpersonen die Be-ratung der Landesre-gierung im Hinblickauf folgende The-men:

Bleiberechtsregelung für erwerbs-tätige Ausreisepflichtige aus BR Jugosla-wien

Durch den ständigen intensivenDialog mit Vertretern des Innenministeri-ums konnte dazu beigetragen werden,dass der ursprüngliche Beschluss derIMK dahingehend interpretiert wurde,dass eine weit größere Anzahl von Flücht-lingen von der Regelung profitierte.

Härtefallregelung

Für die von der HFK immer wiedergeforderten Härtefallregelung wurde sichseitens des Innenministeriums vehementauf Bundes- und Länderebene eingesetzt,

leider allerdings mit dem bekannt negati-ven Ausgang.

Defizite existieren nach wie vor ineiner profilierten Öffentlichkeitsarbeit derHFK. Die Geschäftsstelle der HFK wurdebeauftragt, ein Konzept zu erstellen,durch das die Arbeit der Kommission bes-ser nach außen dargestellt werden kann.

Kiel, 12. 1. 2002

Arno KöppenPeter Martensen

Mehr Informationen:www.frsh.de/behoe/hfk.html

Sylke Willig, Arno Köppen

Alfred Schulz, Inge Suhr

Margret Best, Klaus Köhn

______________ Flüchtlingsrat SH ______________47

Februar 2002 Flüchtlingsrat SH Der Schlepper Nr. 17

Page 48: s17_gesamt

Flensburg

Unerwartet aktuell waren die Inter-kulturellen Wochen in der Stadtbüchereiin Flensburg Ende September/Anfang Ok-tober. Die lange vorbereitete Afghanistan-Veranstaltung war in einer Zeit geplantworden, als niemand sich für Afghanistaninteressierte, und fand dann zwischendem Terroranschlag in New York unddem Beginn der Bombardierungen in ei-nem brechend vollen Raum statt. Die tolleReferentin zog die über 80 BesucherIn-nen in ihren Bann, und so stimmten Quan-tität und Qualität.

Ebenso gut war die Kurdistan-Ver-anstaltung wenige Tage später: Es han-delte sich um eine Lesung auf deutschund kurdisch. Die ca. 60 BesucherInnenkamen überwiegend aus dem Irak, es wa-ren nur wenige Deutsche da.

Die Flensburger Gruppe von am-nesty international vermittelt gerne Kon-takt zu den ReferentInnen.

Nordfriesland

Die Migrationssozialberatung warin den letzten Monaten stark mit der Blei-berechtsregelung für Kosovo-Flüchtlingebeschäftigt, die langjährig hier sind. Nach-dem es anfangs stockte, konnten letztlichüber hundert Menschen davon profitieren.Die Kommunikation mit dem Innenministe-rium in Kiel half hier, eingebildete oder tat-sächliche Hürden aus dem Weg zu räu-men und eine großzügige Interpretationdurchzusetzen.

Bei Ausreisepflichtigen, die nachMeinung der Behörden selbst dafür ver-antwortlich sind, dass die Ausreise (z.B.

mangels Papieren) nicht möglich ist, istnach wie vor Linie des Kreises, die Lei-stungen bis auf Null zu kürzen. Das wird,wie anderswo auch, von der Ausländerbe-hörde entschieden und soll dann vom zu-ständigen Sozialamt ohne nochmaligePrüfung vollzogen werden. Hier zeigt sichallerdings, dass die örtlichen Sozialämterverschiedene Auffassungen darüber ha-ben, welche Kürzungen tatsächlich nochmit dem Grundgesetz vereinbar sind.

Die Umstellung von Einkaufsgut-scheinen auf Bargeld ist völlig reibungslosverlaufen. Im Grunde genommen ist esfür die Verwaltung eine große Erleichte-rung, die Sonderregelung für örtlich je-weils nur wenige Menschen jetzt nichtmehr anwenden zu müssen. Die Sozial-ämter waren in ihrer übergroßen Mehrheitschon länger dafür, den Anstoß zur Ände-rung gab offensichtlich die Pensionierungdes langjährigen Leiters des Kreissozial-amtes.

Die Aufhebung des Arbeitsverbo-tes für Flüchtlinge hat sich positiver ausge-wirkt als befürchtet: Allein für Bewohnerder Gemeinschaftsunterkunft sind 21neue Arbeitsplätze entstanden, ungefähr30 Menschen fallen jetzt aus dem Bezugvon Sozialleistungen heraus. Ursache da-für ist sicherlich auch die Struktur desKreises als Fremdenverkehrsgebiet, dortwerden in der Gastronomie mehr Vollzeit-stellen als anderswo angeboten.

Aus der Vielzahl der Veranstaltun-gen ragt eine Anfang Dezember in Husumbesonders hervor: Irene Dulz, Mitarbeite-rin der Norderstedter Flüchtlingsarbeit desDiakonischen Werkes, referierte über dasThema “Wer hört Bin Laden zu?”. Damitist es gelungen, ganz aktuell kompetenteInformationen anzubieten. Ansonsten bie-tet die Migrationssozialberatung an, in dieSchulen zu gehen, ein Angebot, das inden letzten Wochen häufig angenommenwurde. Für ehrenamtliche Flüchtlingsbera-ter wurde außerdem im Herbst eine Fort-bildung “Ausländerrecht” angeboten, dieSven Kahle, damals noch Referent beimLandesflüchtlingsbeauftragten von Schles-wig-Holstein, mit guten Erfolg durchführte.

Rendsburg-Eckernförde

In Rendsburg bleibt die geplanteAbschiebehaftanstalt Schwerpunkt der Ak-tivitäten des “Netzwerk Asyl”. Im Frühjahrsollen die bisher gesammelten rund tau-send Unterschriften gegen die Abschiebe-haft sowie die, die jetzt noch dazukom-men, dem Innenministerium übergebenwerden. Ab diesem Zeitpunkt wird dannauch landesweit zur Beteiligung an einemAktionstag gegen Abschiebehaft aufgeru-fen, der im Oktober in Rendsburg stattfin-den soll. Wie der Aktionstag ausgestaltetwerden soll, steht noch nicht fest oder an-ders: Die Rendsburger Gruppe ist offenfür alle Vorschläge und Vorbereitungen al-ler, die sich beteiligen wollen.

Ansonsten wurden jetzt mehrere al-gerische Familien mit Abschiebung be-droht. Ob die Gleichzeitigkeit Zufall ist, istnicht klar. In einem Fall traf die Andro-hung nur die erwachsenen Kinder einerFamilie, in diesem Fall wurden dadurchauch die Eltern mürbe gemacht und an-kündigten, bei erzwungener Ausreise dererwachsenen Kinder “freiwillig” auszurei-sen, um die Familie zusammenzuhalten.Zur Zeit liegen die Akten bei der Härtefall-kommission.

Kiel

Die örtliche Umsetzung der Migrati-onssozialberatung soll jetzt beginnen. FürAnfang Februar ist zu einem ersten Tref-fen eingeladen.

Das neue (bundesweite) Konzeptder Sprachförderung ist ja für ein Jahr ver-schoben worden, weil zu viele Fragennoch ungeklärt sind. Kiel ist aber als Mo-dellregion ausgesucht worden, wo dieseneue Sprachförderung in diesem Jahr be-reits erprobt wird. Es sollen mehr Men-schen mit Migrationshintergrund einbezo-gen werden. Allerdings bleibt ein großesProblem weiterhin ungelöst: Flüchtlingemit Duldung, die in der Regel zwar “ausrei-sepflichtig” sind, aber erfahrungsgemäßsehr lange oder auch für immer hier blei-

Regionalberichte

Die Regionalberichte wurden nach Telefo-naten mit örtlichen Engagierten der Flücht-lingssolidarität von Reinhard Pohl geschrie-ben. Der Bericht aus Stormarn stammt vonInge Suhr, der Bericht aus Segeberg vonMartin Link.

48______________ Regionales ______________

Der Schlepper Nr. 17 Flüchtlingsrat SH Februar 2002

Page 49: s17_gesamt

ben, sind von dieser Möglichkeit des Spra-cherwerbs nach wie vor ausgeschlossen.

Zur Zeit werden beim Verwaltungs-gericht Schleswig vermehrt Termine fürFlüchtlinge aus der Demokratischen Repu-blik Kongo (ehem. Zaire) anberaumt, an-scheinend vor allem, um sie jetzt schnellabzulehnen. Das machte sich auch in derBeratung bemerkbar.

Neumünster

Eine örtliche Umsetzung der Migra-tionssozialberatung ist in Arbeit. Es hatbisher drei Treffen gegeben, an denen diegroßen Wohlfahrtsverbände sowie die ört-liche Flüchtlingsinitiative “Grenzgänger”teilnahmen.

Dithmarschen

In Dithmarschen weitete sich der“Fall” eines togoischen Flüchtlings in bis-her nicht gekannter Weise aus: Sein Asy-lantrag war vor Jahren abgelehnt worden,1998 war er in Abschiebehaft gekommen,und zwar in der Hamburger Abschiebe-haftanstalt Glasmoor (Norderstedt). Dorthat Schleswig-Holstein vereinbart, bis zu10 Haftplätzen zu belegen, die aber vonder zuständigen Ausländerbehörde ein-zeln an Hamburg bezahlt werden müs-sen. Der Flüchtling, von dem hier dieRede ist, hatte sein Asylverfahren verlo-ren, weil er nach schwerer Traumatisie-rung durch Haft und Folter nicht in derLage war, nach den Anforderungen desdeutschen Asylrechts seinen Antrag so-fort nach der Einreise vollständig und wi-derspruchsfrei zu begründen. Es gelang,gegen den Willen der Anstaltsleitung ei-nen Psychologen in die Abschiebehaft zuschmuggeln, der ein Gutachten schrieb.In der Nacht vor der Abschiebung wurdediese nach einem Eilantrag vom Verwal-tungsgericht Schleswig ausgesetzt (Be-schluss vom 13.6.1998).

Jetzt läuft das Verfahren wieder,nachdem der Flüchtling psychisch stabili-siert und voraussichtlich in der Lage ist,auch vor Gericht von der erlittenen Verfol-gung zu berichten. Nachdem er Arbeit ge-funden hatte, von Sozialhilfe unabhängigwar und das Verfahren wieder aufgenom-men war, kam von der Ausländerbehördein Heide im April 2001 plötzlich eine Rech-nung: für die Abschiebehaft zwei Jahre zu-vor sollte der Flüchtling jetzt über 22.800Mark bezahlen, um dem Kreis die Kostenzu ersetzen. Dagegen legte der beauftrag-te Rechtsanwalt Widerspruch ein (abge-lehnt) und klagte dann. Die örtliche Zei-tung berichtete, dann waren plötzlich alleim Fernsehen. Ergebnis: Der Kreis zogden Leistungsbescheid zurück, und nach

einigen Wochen Briefwechsel entschieddann das Gericht, dass die Sache erledigtist, der Kreis aber die Verfahrenskostenvon inzwischen mehreren tausend Eurozu tragen hätte.

Jetzt kam ein neuer Bescheid: DerFlüchtling solle, so der Kreis Dithmar-schen, eine “Sicherheitsleistung” von25.000 DM / 12.800 Euro einzahlen unddamit diesmal die erwarteten Kosten desnächsten Abschiebeversuchs im Vorausbeim Kreis deponieren. Wieder kam allesin die Medien, und dann lautete der neueBescheid des Kreises auf 30.000 DM /15.400 Euro. Abgesehen davon, dass dierechtliche Zulässigkeit eines solchen Be-scheides zumindest umstritten ist, ist esnatürlich auch für einen Flüchtling mit Ar-beit und einem Einkommen knapp ober-halb der Sozialhilfegrenze gar nicht mög-lich, einfach mal locker 15.000 Euro aufden Tisch zu legen. Nebeneffekt ist aller-dings, dass es ihm deutlich schlechtergeht und sich der Therapeut erneut Ge-danken über die Stabilität und die Kraft,ein Verwaltungsgerichtsverfahren im Asyl-verfahren zu bestehen, Gedanken ma-chen muss. Das scheint auch der Kreis zuwissen, hat er sich doch im Dezember andas Verwaltungsgericht gewendet undsich dafür ausgesprochen, möglichstrasch einen Verhandlungstermin anzuset-zen.

Steinburg

Seit dem 10. Oktober gibt es inItzehoe das Café International. Dabei han-delt es sich um einen regelmäßigen Nach-mittag, und zwar alle 14 Tage mittwochsim “Come In” in der Feldschmiede 60. DieAktion 303, die seit über 10 Jahren Flücht-linge berät, bietet auch hier Beratung an,aber willkommen sind auch alle, die sicheinfach nur treffen und unterhalten wollen.

Da im “Come In” täglich wechseln-de Gruppen das Programm gestalten, wo-von die Aktion 303 mit dem Café Interna-tional nur eine ist, “verirren” sich auch oftMenschen ins Café International, die garnicht wissen, welche Gruppe an diesemNachmittag dran ist. So entstehen zwang-los Kontakte, Informationen werden wei-tergegeben, und das Cafe International istdamit tatsächlich kein Cafe nur für Auslän-derInnen und Flüchtlinge, sondern füralle, die kommen wollen.

Die Umsetzung des Landeskon-zeptes zur Migrationssozialberatungsteckt noch in den allerersten Anfängen,anscheinend lotet der Kreis gerade aus,wer Interesse an einer Zusammenarbeithat.

Pinneberg

In der Stadt Pinneberg hat der“Freundeskreis” wie jedes Jahr Ende Sep-tember die Interkulturelle Woche mit eige-nen Veranstaltungen bereichert, meistensgemeinsam mit anderen. So wurde einFrauencafé angeboten, es gab eine Ver-anstaltung über Frauenhandel (mit con-tra), auf einer eigenen Veranstaltung hatder Freundeskreis seine Beratungsange-bote vorgestellt. Ein Afrika-Tag, ein Spiel-fest in einem “Problemstadtteil” und dastraditionelle Eine-Welt-Fest rundeten dieWoche ab.

Übrigens bekamen Ingrid und Wolf-gang Neitzel in diesem Jahr als Anerken-nung für ihre Arbeit für Flüchtlinge den“Walter-Damm-Preis” der SPD, der mit3000 DM dotiert ist. Das Geld wurde ver-wendet, um DolmetscherInnen-Kosten fürdie Behandlung traumatisierter Flüchtlin-ge zu bezahlen.

Langfristig konnte der Freundes-kreis im Kontakt mit der Ausländerbehör-de beobachten, dass in Fällen traumati-sierter Flüchtlinge das Verständnis sehrgestiegen ist. Hier gibt es auch eine frucht-bare Zusammenarbeit mit dem Innenmini-sterium und der Härtefall-Kommission,wie sie vor einigen Jahren noch nicht vor-stellbar war.

Segeberg

Hier berichtet Martin Link:Wenn im Integrationskonzept

Schleswig-Holstein gefordert wird, die kun-denorientierte Zusammenarbeit zwischenVerwaltungen und der ausländischenWohnbevölkerung zu verbessern, und dieVermittlung interkultureller Kompetenz anVerwaltungsmitarbeiterInnen verlangtwird, können sich die Autoren dabei derZustimmung aller in der Flüchtlingshilfe imKreis engagierten Einrichtungen und Initia-tiven sicher wähnen. Mit Sorge erlebenBetroffene und UnterstützerInnen bei derdortigen Ausländerbehörde – bei gleich-zeitiger Resistenz gegen innenministeriel-le Empfehlungen – in einigen bestimmtenFällen nicht bleiberechtigter, jedoch lang-jährig hier aufhältiger und in vielen Fällenerkrankter Flüchtlinge positive Ermessens-spielräume zu umschiffen. Der weisungs-berechtigte Landrat scheint eine in sol-chen Fällen weniger restriktive Verwal-tungspraxis bis dato nicht durchsetzen zuwollen.

Allerdings ist zu vermelden, dassseit Anfang dieses Jahres im Kreis Sege-berg keine Wertgutscheine mehr an Lei-stungsberechtigte nach dem Asylbewer-berleistungsgesetz ausgegeben werden.Damit kann der Norderstedter Förderver-

______________ Regionales ______________49

Februar 2002 Flüchtlingsrat SH Der Schlepper Nr. 17

Page 50: s17_gesamt

ein Flüchtlingshilfe e.V. sein Projekt derNorderstedter Umtauschbörse beenden.In Kooperation mit kirchlichen Stellen,dem Eine Welt Laden und mit politischerUnterstützung des Sozialdezernenten derStadt und nicht zuletzt mit finanzieller Hil-fe zahlreicher Norderstedter BürgerInnenhatte das Projekt in den vergangenenzwei Jahren für Flüchtlinge Wertgutschei-ne gegen Geld „getauscht“ und engagiertÖffentlichkeitsarbeit geleistet.

In Norderstedt hat die Stadt imHerbst letzten Jahres zur Umsetzung ei-nes kommunalen Agenda 21 Prozessesaufgerufen. Im Zuge dessen hat sich u.a.eine Agenda 21-Arbeitsgruppe Migrationgegründet, die koordiniert von der Flücht-lingsberatungsstelle des DiakonischenWerkes in Zusammenarbeit mit der AWO,der Volkshochschule, der Gleichstellungs-stelle sowie Vereinen und unter Einbezie-hung von Ämtern, sozialen Einrichtungen,Bildungsträgern und gesellschaftlichen Or-ganisationen die Erarbeitung und Umset-zung eines Norderstedter Integrationskon-zeptes plant. Informationen dazu sind zuerhalten bei Gisela Nuguid, DW-Flücht-lingsberatung, T. 040/5262688, e-Mail:[email protected].

Stormarn

Hier berichtet Inge Suhr:Wohnverhältnisse: An den kata-

strophalen Wohnverhältnissen in der Con-tainersiedlung in Tangstedt, durch Hunger-streikatkion im Jahr 2000 in die Schlagzei-len gekommen, hat sich trotz massiverEinmischung durch den Landesflüchtlings-beauftragten und FR bisher nichts geän-dert. Ich habe mich am 12. Juni 2001 andie Kreispräsidentin Frau Stielau (Mitgliedim Gemeindeparlament Tangstedt) ge-wandt. Mir wurde mitgeteilt, dass die Gre-mien der Gemeinde sich z.Zt. mit demThema beschäftigen. Eine Antwort wurdeversprochen. Sie ist trotz zweimaligerNachfrage noch nicht erfolgt. Die dritteGemeinschaftsunterkunft in Bad Oldesloein der Turmstraße dient inzwischen nachÜbernahme der Holzhäuser als Notunter-kunft durch das Sozialamt der Stadt, u.a.zur Unterbringung von Asylbewerbern ausden übrigen beiden GUs. Sie sind reno-viert und jede Familie hat einen eigenenEingang mit vier Räumen. Eine Verbesse-rung, verglichen mit den GUs.

Kollekte für Asylbewerber-Verfah-rensberatung: Leider nur durch eine Fehl-leitung, aber am Ende doch “auf dem Kon-to”: 500 DM aus einer Kollekte in der Ol-desloer Peter-Paul-Kirche. Für das näch-ste Kollektenjahr wird ein neuer Versuchgestartet!

Aus der Ausländerbehörde: Wasfrüher nicht selten gelang, Duldungen in

Befugnisse zu verwandeln, gerät eindeu-tig ins Stocken. Auch wenn alle Bedingun-gen für die “Kann”-Gewährung vorliegen,werden die Betroffenen immer wiederweggeschickt. Man müsse noch prüfen.Bei schriftlichem Antrag bleibt die verspro-chene schriftliche Entscheidung aus.

Migrationssozialberatung: Bean-tragt sind inzwischen durch den AK Migra-tionssozialberatung über das Kreis-Sozial-amt je 1 Stelle für Nordstormarn (Diakoni-sches Werk, KK Segeberg), für den mittle-ren Teil Stormarns und für den südlichenTeil (KK Stormarn).

Ostholstein

Das Migrationsforum, ein regelmä-ßiges Treffen aller Interessierten von derAusländerbehörde bis zu amnesty interna-tional, hat sich im Herbst mit dem Thema“Umgang mit Traumatisierten” befasst.Hier gibt es die üblichen Probleme, wennFlüchtlinge ausreisepflichtig sind und erst

unter dem Druck der Abschiebeandro-hung Erlebnisse preisgeben. Bei der Aus-länderbehörde wird das schnell als reine“Störung des Abschiebebetriebes”, alsoErfindung des Flüchtlings, abgetan. DieseGefahr wurde auf dem Treffen unter Betei-ligung von Ausländerbehörde, Kreisge-sundheitsamt und einer Vertreterin des In-nenministeriums in Kiel offen diskutiert,und so werden alle Zuständigen weiter fürdieses Thema sensibilisiert. Die Vertrete-rin des Innenministeriums kündigte gleich-zeitig an, dass von dort entsprechendeFortbildungen für Ausländerbehörden ge-plant werden.

Die Gemeinschaftsunterkunft Haß-krug wurde nach Auslaufen des Pachtver-trages geschlossen, so dass der KreisOstholstein nur noch in Lübbersdorf eineGemeinschaftsunterkunft unterhält. DieMigrationssozialberatung ist bekanntlichin Ostholstein schon seit längerem nachdem neuen Konzept des Landes organi-siert, und zwar direkt angebunden an dieKreisverwaltung. Hier haben sich die Bera-

20 Jahre Flüchtlingsarbeit in Stormarn

Karfreitag vor 20 Jahren besuchte ich die erste Gemeinschaftsunterkunft amKneeden in Bad Oldesloe.

Von da an bin ich an der Arbeit für Flüchtlinge drangeblieben. Ich wurde, ummicht Mitstreitern anzuschließen, Mitglied bei amnesty international. Ich besuchte ai-Seminare, in denen es um Asylrecht ging. Schrittweise habe ich mir für meine ehren-amtliche Arbeit Kenntnisse angeeignet.

Für kurze Zeit gab es in Bad Oldesloe einen “Freundeskreis für Asylbewerber”,in dem ich mitgearbeitet habe. Die längste Zeit jedoch habe ich allein gearbeitet. ZurZeit hat sich eine kleine Gruppe von Jugendlichen in unserem “Ini-Haus” gebildet, diesich in anerkenneswerter Weise für Asylbewerber einsetzt. Ich war an der Gründungdes Flüchtlingsrates beteiligt, erlebe im Laufe meiner Asylarbeit jetzt den dritten Land-rat im Kreis Stormarn, habe hautnah alle Verschlechterungen in Asylrecht und -Recht-sprechung miterlebt.

Am Ort gab es bisweilen drei, jetzt existieren noch zwei Gemeinschaftsunter-künfte. Bis Juli 1997 war ich “hauptberuflich” Leiterin der Stadtbibliothek Bad Oldesloe,ein täglich Zehn-, oft auch Zwölf-Stunden-Job. Für die Flüchtlinge war ich nach Feier-abend und an Wochenenden da.

Seit Juli 1997 befinde ich mich im Ruhestand. Ich habe meine Tätigkeit inzwi-schen auf das Kreisgebiet ausgeweitet, bin jetzt Sprecherin im Flüchtlingsrat für denKreis Stormarn. Die früher im Kreis ehrenamtlich für Flüchtlinge arbeitenden Gruppensind meines Wissens weitgehend eingegangen. Nur in Trittau gibt es seit ein paar Jah-ren die kleine Gruppe “Füreinander - Miteinander”.

Enttäuschung, Empörung, Wut, Frustration, das kennen wir alle, die wir imFlüchtlingsrat zusammenarbeiten. Darüber will ich nicht reden. Aber über ein paar Er-lebnisse / Ereignisse möchte ich doch berichten, über die ich mich gefreut habe undnoch freue:. Einmal hat ein Richter am VG Schleswig den Folgeantrag eines Kurden als “ganz

hervorragend” bezeichnet. Ich hatte ihn formuliert.. Ich habe eine Sammelklage für Asylbewerber vor das VG Schleswig gebracht, in derist um absurd überhöhte “Mietpreise” in den GUs ging. Die Beträge wurden perGerichtsbeschluss auf die Hälfte reduziert.. Und ein besonderes Erlebnis privater Art: Ich habe eine wunderbare afghanischeFreundin gewonnen.

Inge Suhr

50______________ Regionales ______________

Der Schlepper Nr. 17 Flüchtlingsrat SH Februar 2002

Page 51: s17_gesamt

tungszeiten geändert, weil es auch perso-nellen Wechsel gegeben hat:

Bezirk Nord (Fehmarn, Heiligenha-fen, Oldenburg): Peter LangschoofMontag 9.30-11.30 Bürgerhaus Heiligen-hafen (Kalkofen 4)Montag 14-16 Uhr Rathaus Burg, Zi. 1Dienstag 9.30-11.30 Amt Oldenburg-Land, Hinter den Höfen 2, Zi. 1.16

Bezirk Mitte (Ahrensbök, Eutin,Bad Malente, Neustadt, Stockelsdorf):Herr Wille1. + 3. Montag, 10-12 Uhr, Rathaus Neu-stadt, Fraktionszimmer2. + 4. Montag 10-12 Uhr: Rathaus Grö-mitz, Zi. 14Dienstag 9-11 Uhr Stockesdorf, Ahrensbö-ker Str. 9 (neben dem Rathaus)1. + 3. Donnerstag 16-17 Uhr: RathausMalente, Zi. 21

Bezirk Süd (Bad Schwartau, Tim-mendorfer Strand): Edith Lehmann1. + 3. Donnerstag, 10-11.30 Uhr: Rat-haus Timmendorfer Strand

2. + 4. Donnertag, 10-12 Uhr: Kreisge-sundheitsamt Bad Schwartau, Geibelstr.1a

Die Fachstelle für Migrations-So-zialberatung ist im Kreishaus, LübeckerStr. 41 in Eutin in den Zimmern 408 und409 untergebracht, Tel. 04521/788-536oder 788-626.

Lübeck

Die Migrationssozialberatung istjetzt nach dem neuen Konzept des Lan-des organisiert. Zusätzlich zu den bisheri-gen Treffen, auf denen es unter den ver-schiedenen Trägern (Stadt, Wohlfahrtsver-bände, freie Träger wie Lübecker Flücht-lingsforum und IKB) hauptsächlich umGeld und Antragstellung geht, hat jetzteine weitere Arbeitsgruppe regelmäßigeTreffen angefangen, in der die Beraterin-nen und Berater ihre Erfahrungen austau-

schen. Ein kleiner Arbeitskreis aus die-sem Treffen formuliert im Moment aus die-sen Erfahrungen heraus Forderungen, umfür häufig auftretende Probleme generelleLösungen zu finden.

In der Beratungsstelle des Lübek-ker Flüchtlingsforums machen sich zuneh-mend Abschiebungen bzw. entsprechen-de Versuche in den Kongo bemerkbar.Erstmals seit längerer Zeit wird hier auchwieder Abschiebehaft verhängt, ein be-treuter Flüchtling sitzt zur Zeit in Glas-moor.

Außerdem hatte die Beratungsstel-le erstmals mit einem Bleiberechtsantragzu tun, der sich auf einer eingetragenenGemeinschaft eines schwulen Paares be-gründete. Für alle Beteiligten, ausdrück-lich auch für die Ausländerbehörde, er-kennbar Neuland. Es würde sich lohnen,speziell über diesen “Fall” mit Einwilligungder beiden Betroffenen nochmal ausführ-lich zu berichten.

______________ Regionales ______________51

Februar 2002 Flüchtlingsrat SH Der Schlepper Nr. 17

Page 52: s17_gesamt