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| TREFFPUNKT FORSCHUNG Dass ein gewisser Anteil der Bienen- völker, etwa sieben bis zehn Prozent, den Winter nicht überlebt, gilt als normal. In den von CCD betroffenen Gebieten sind die Verluste jedoch oft deutlich höher. Im Winter 2007/08 verloren US-Imker 36 % der Völker; in Großbritannien waren es 30,5 %. Für Deutschland ermittelte die Arbeitsge- meinschaft der Institute für Bienen- forschung eine geringere Verlustquo- te von 12,8 %, wobei aber starke re- gionale Unterschiede auftraten [3]. Als mögliche Ursachen kommen bisher noch nicht identifizierte Krankheitserreger in Betracht, even- tuell in Verbindung mit dem Stress, der aus nicht artgerechter Haltung resultiert. Insbesondere in den USA (wo die Honigbiene sowieso nicht heimisch ist und nur zu landwirt- schaftlichen Zwecken eingeführt wurde), werden Bienenvölker per Lastwagen zum Arbeitseinsatz in gro- ßen monokulturellen Plantagen ge- karrt [1]. In Europa, wo die Imkerei weniger industrialisiert ist, verwen- det man hingegen „bienenfreundli- chere“ Methoden und hat bisher auch weniger Verluste zu vermelden. Ein örtlich begrenztes Bienenster- ben in Baden-Württemberg im Jahr 2008 wurde mit unsachgemäßer An- wendung eines Pestizids, des Neoni- cotinoids Clothianidin (Markenname: Poncho Pro),in Verbindung gebracht. Der Hersteller, die Bayer AG, zahlte ei- ne Entschädigung von zwei Millionen Euro an rund 700 betroffene Imker. Das umfassendere Bienensterben in den USA hingegen lässt sich im- mer noch nicht mit einer definierten Ursache in Verbindung bringen. Die Arbeitsgruppe von May Berenbaum an der University of Illinois in Urba- na-Champaign hat nun das Genom der Bienen nach Genen abgesucht, die in von CCD betroffenen Tieren stärker aktiv sind als in historischen Proben aus der Zeit vor CCD [2]. Die Untersuchung ergab mehrere Überraschungen. Zum einen hätten die Forscher erwartet, dass Gene, die bekanntermaßen mit der Immunant- wort in Verbindung stehen, bei den betroffenen Insekten aktiviert sein müssten, doch eine solche Mobilisie- rung der Krankheitsabwehr konnte man nicht nachweisen. Aktiviert wa- ren hingegen Gene, die nach bisheri- gem Stand der Wissenschaft auf dem verwendeten DNA-Chip gar nicht auftauchen dürften. Es handelte sich um einen DNA- Array, also einen Chip, der viele ver- schiedene DNA-Abschnitte trägt.Aus- wahlkriterium war, dass das entspre- chende RNA-Transkript in der Zelle einen Poly-A-Marker trägt. Diese Mar- kierung kennzeichnet das Ende von Boten-RNAs, die dann als Vorlage für die Herstellung von Proteinen die- nen. Sie sollte aber bei RNA-Molekü- len, die einem anderen Zweck die- nen, etwa den ribosomalen und Transfer-RNAs, fehlen. Zu ihrer Überraschung fanden die Forscher, dass sich auch riboso- male Sequenzen in ihren DNA-Array eingeschmuggelt hatten. Daraus muss man schließen, dass in der Zelle, im Gegensatz zu bisherigem Lehrbuch- wissen, auch mit poly-A markierte ribosomale RNA auftritt. Und genau diese ribosomalen Sequenzen schei- nen bei den von CCD betroffenen Bienen aktiviert zu sein. Dieses unerwartete Ergebnis fügt dem bereits mysteriösen Phänomen CCD noch ein weiteres Rätsel hinzu, doch die Forscher hoffen, dass es als Methode zur Diagnose von CCD die- nen kann. Sie spekulieren, dass die Aktivierung dieser RNA-Synthese ei- ne noch nicht bekannte Nebenwir- kung der Infektion mit Picorna-Viren ist.Tatsächlich fanden sie auch einige Vertreter dieser Gruppe von Viren, die auch mit CCD in Verbindung ge- bracht wird, in den CCD-Proben häu- figer als in den historischen Proben. Trotz Fortschritten in der For- schung und Anwendung modernster Untersuchungsmethoden bleibt also das Verschwinden der Bienenvölker vorerst ein Rätsel. BIENENSTERBEN | Sag mir, wo die Bienen sind Ein mysteriöses Bienensterben beunruhigt seit einigen Jahren die Imker vor allem in den USA aber auch in einigen europäischen Ländern. „Colony Collapse Disorder“ (CCD) äußert sich so, dass ganze Bienen- völker einfach spurlos verschwinden, ohne dass man tote Bienen findet oder eine Ursache erkennen könnte. Detaillierte Analysen auf Genom- ebene haben jetzt erste Anhaltspunkte geliefert, aber auch weitere Fragen aufgeworfen. Abb. Bienen übernehmen durch die Pflanzenbefruchtung eine wichtige Rolle im Ökosystem. Das Bild zeigt eine Königin umgeben von Arbeite- rinnen auf einer Wabe. [Foto: Wangs- berg, Wikipedia commons] Chem. Unserer Zeit, 2009, 43, 266 – 700 www.chiuz.de © 2009 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim | 267 [1] Alison Benjamin und Brian McCal- lum: Welt ohne Bienen: Wie das Sterben einer Art unsere Zivilisation bedroht, Fackel- träger-Verlag, 2009. [2] R.M. Johnson et al., Proc. Natl. Acad. Sci. USA 2009, 106, 14790. [3] http://staff- www.uni-mar- burg.de/ag- biene/dMonito- ring.html Michael Groß, Oxford

Sag mir, wo die Bienen sind

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| T R E F F P U N K T FO R SC H U N G

Dass ein gewisser Anteil der Bienen-völker, etwa sieben bis zehn Prozent,den Winter nicht überlebt, gilt alsnormal. In den von CCD betroffenenGebieten sind die Verluste jedoch oftdeutlich höher. Im Winter 2007/08verloren US-Imker 36 % der Völker; inGroßbritannien waren es 30,5 %. FürDeutschland ermittelte die Arbeitsge-meinschaft der Institute für Bienen-forschung eine geringere Verlustquo-te von 12,8 %, wobei aber starke re-gionale Unterschiede auftraten [3].

Als mögliche Ursachen kommenbisher noch nicht identifizierteKrankheitserreger in Betracht, even-tuell in Verbindung mit dem Stress,der aus nicht artgerechter Haltung resultiert. Insbesondere in den USA(wo die Honigbiene sowieso nichtheimisch ist und nur zu landwirt-schaftlichen Zwecken eingeführtwurde), werden Bienenvölker perLastwagen zum Arbeitseinsatz in gro-ßen monokulturellen Plantagen ge-

karrt [1]. In Europa, wo die Imkereiweniger industrialisiert ist, verwen-det man hingegen „bienenfreundli-chere“ Methoden und hat bisherauch weniger Verluste zu vermelden.

Ein örtlich begrenztes Bienenster-ben in Baden-Württemberg im Jahr2008 wurde mit unsachgemäßer An-wendung eines Pestizids, des Neoni-cotinoids Clothianidin (Markenname:Poncho Pro), in Verbindung gebracht.Der Hersteller, die Bayer AG, zahlte ei-ne Entschädigung von zwei MillionenEuro an rund 700 betroffene Imker.

Das umfassendere Bienensterbenin den USA hingegen lässt sich im-mer noch nicht mit einer definiertenUrsache in Verbindung bringen. DieArbeitsgruppe von May Berenbauman der University of Illinois in Urba-na-Champaign hat nun das Genomder Bienen nach Genen abgesucht,die in von CCD betroffenen Tierenstärker aktiv sind als in historischenProben aus der Zeit vor CCD [2].

Die Untersuchung ergab mehrereÜberraschungen. Zum einen hättendie Forscher erwartet, dass Gene, diebekanntermaßen mit der Immunant-wort in Verbindung stehen, bei denbetroffenen Insekten aktiviert seinmüssten, doch eine solche Mobilisie-rung der Krankheitsabwehr konnteman nicht nachweisen.Aktiviert wa-ren hingegen Gene, die nach bisheri-gem Stand der Wissenschaft auf demverwendeten DNA-Chip gar nichtauftauchen dürften.

Es handelte sich um einen DNA-Array, also einen Chip, der viele ver-schiedene DNA-Abschnitte trägt.Aus-wahlkriterium war, dass das entspre-chende RNA-Transkript in der Zelleeinen Poly-A-Marker trägt. Diese Mar-kierung kennzeichnet das Ende vonBoten-RNAs, die dann als Vorlage fürdie Herstellung von Proteinen die-nen. Sie sollte aber bei RNA-Molekü-len, die einem anderen Zweck die-nen, etwa den ribosomalen undTransfer-RNAs, fehlen.

Zu ihrer Überraschung fandendie Forscher, dass sich auch riboso-male Sequenzen in ihren DNA-Arrayeingeschmuggelt hatten. Daraus mussman schließen, dass in der Zelle, imGegensatz zu bisherigem Lehrbuch-wissen, auch mit poly-A markierte ribosomale RNA auftritt. Und genaudiese ribosomalen Sequenzen schei-nen bei den von CCD betroffenenBienen aktiviert zu sein.

Dieses unerwartete Ergebnis fügtdem bereits mysteriösen PhänomenCCD noch ein weiteres Rätsel hinzu,doch die Forscher hoffen, dass es alsMethode zur Diagnose von CCD die-nen kann. Sie spekulieren, dass dieAktivierung dieser RNA-Synthese ei-ne noch nicht bekannte Nebenwir-kung der Infektion mit Picorna-Virenist.Tatsächlich fanden sie auch einigeVertreter dieser Gruppe von Viren,die auch mit CCD in Verbindung ge-bracht wird, in den CCD-Proben häu-figer als in den historischen Proben.

Trotz Fortschritten in der For-schung und Anwendung modernsterUntersuchungsmethoden bleibt alsodas Verschwinden der Bienenvölkervorerst ein Rätsel.

B I E N E N S T E R B E N |Sag mir, wo die Bienen sind

Ein mysteriöses Bienensterben beunruhigt seit einigen Jahren die Imkervor allem in den USA aber auch in einigen europäischen Ländern. „Colony Collapse Disorder“ (CCD) äußert sich so, dass ganze Bienen-völker einfach spurlos verschwinden, ohne dass man tote Bienen findetoder eine Ursache erkennen könnte. Detaillierte Analysen auf Genom-ebene haben jetzt erste Anhaltspunkte geliefert, aber auch weitere Fragen aufgeworfen.

Abb. Bienen übernehmen durch diePflanzenbefruchtung eine wichtigeRolle im Ökosystem. Das Bild zeigteine Königin umgeben von Arbeite-rinnen auf einer Wabe. [Foto: Wangs-berg, Wikipedia commons]

Chem. Unserer Zeit, 2009, 43, 266 – 700 www.chiuz.de © 2009 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim | 267

[1] Alison Benjaminund Brian McCal-lum: Welt ohneBienen: Wie dasSterben einer Artunsere Zivilisationbedroht, Fackel-träger-Verlag,22000099.

[2] R.M. Johnson etal., Proc. Natl.Acad. Sci. USA22000099, 106, 14790.

[3] http://staff-www.uni-mar-burg.de/∼ag-biene/dMonito-ring.html

Michael Groß,Oxford