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Sagenhaftes Muldenland Von Kobold, Nix und Weißen Frauen, Huckauf, Mahr und Wiedergängern Anne Maurer Sax Verlag

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Sagenhaftes Muldenland

Von Kobold, Nix und Weißen Frauen,Huckauf, Mahr und Wiedergängern

Anne Maurer

Sax VerlagSax VerlagSax Verlag

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Fotografien: Harry Gugisch, Schmannewitz

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikationin der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internetüber http://dnb.ddb.de abrufbar.

ISBN 978-3-934544-18-5

E-Book-AusgabenISBN 978-3-86729-516-1 (epub)ISBN 978-3-86729-517-8 (pdf)

2. Auflage 2013© Sax-Verlag Beucha • Markkleeberg, 2003Alle Rechte vorbehaltenPrinted in Germanywww.sax-verlag.de

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Inhalt

Es geht die Sage ... 5Was ist eine Sage? 6Das kann man glauben oder nicht 8Geheimnisvolle Muldenlandschaft 10Sagenhaftes aus Napoleons Zeiten 12Ausgewählte Sagenmotive 14Die Quellen der Sammlung 20Sage oder Fälschung? 34Auf der Suche nach vergessenen Sagen 35

Die Sagensammlung zum Muldental 37Von Ammelshain bis Zwochau

Bibliografie 158Anmerkungen 160Motiv-Verzeichnis 161

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Es geht die Sage ...

Viel Arges gibt es heute zu fürchten. Doch das besondere Grauen, das ein Spuk auslöst, ist selten geworden. Nur wenige können sich einer unheimli-chen Erfahrung rühmen, so beliebt sie auch als erzählte ist. (...) Wie aber be-kannt, fühlten sich frühere Zeiten unvorstellbar verspukt. Jeder dritte Bau-er hatte seinen Kobold im Haus, in allen Winkeln fürchtete man die andere Welt. Teufel drückten und drängten in der nächtlichen Zimmerwand, bald brach ein Auge, bald eine Zunge vor, nur Gebete verhinderten, dass der ganze Dämon kam. In den Wäldern hausten Geister, wilde und zarte, Männer ohne Kopf am Kreuzweg (...). Die Sage ist voll solcher Berichte, und sie wirken des-to erstaunlicher, als sie bei allem Aberglauben so schlicht und zweifelsfrei vor-getragen werden wie eine wirkliche Beschwerde oder Mitteilung.1

Ernst Bloch, S. 358

Wer kennt sie nicht, die Spuk- und Gruselgeschichten, die von ver-borgenen, jenseitigen Welten und unheimlichen Schreckgestalten berichten. Wenn wir in vertrauter Runde näher zusammenrücken und ein Erzähler mit den bedeutsamen Worten Es geht die Sage ... seine Geschichte beginnt, jagen uns rätselhafte, Mark und Bein er-schütternde Begebenheiten eine Gänsehaut über den Rücken. Die vertraute Welt wird plötzlich fremd und unheimlich. Im Nachbarort, im angrenzenden Wald, ja sogar im Haus nebenan soll sich Unge-heuerliches zugetragen haben.

Zugegeben, mit einigen dieser Sagen kann man nur noch die ganz Kleinen unter uns erschrecken. Wer sonst findet heutzutage den Drachen im Grimmaer Stadtwald oder die Nixen in der Mulde wirklich bedrohlich. Aber kennen Sie die Sage vom gespenstischen Leichenzug zu Wurzen, vom zwielichtigen Doktor aus Großbothen oder dem kopflosen Reiter bei Thammenhain? Es gibt Wunderli-ches zu entdecken in der jahrhundertealten Sagenwelt des Mulden-landes. Durch sie erfahren wir, wie sich unsere Vorfahren ihre Welt erklärten, was sie ängstigte und bewegte. Einige ihrer Probleme be-trachten wir amüsiert aus der Distanz der Zeit. Irrlichter- und Ko-boldspukgeschichten lassen uns nicht mehr in Panik geraten. An-dere Sagenthemen haben hingegen kaum an Aktualität eingebüßt. Oder hätten Sie nicht auch Lust, sich von der sagenumwobenen Grimmaer Wunderblume mit Schätzen und ewiger Jugend beschen-ken zu lassen? Einen Versuch wäre es doch wert ...

Im ersten Teil des Buches finden Sie Hintergrundinformatio-nen zur Sage selbst, zu den Besonderheiten der Muldentaler Sagen-welt sowie zu den Sagenquellen. Im zweiten Teil wartet die bislang größte Sagensammlung der Region mit über 200 Sagen aus nahezu 1000 Jahren darauf, von Ihnen entdeckt zu werden. Ich wünsche Ih-nen dabei sagenhafte Unterhaltung!

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Was ist eine Sage?

Das Wort Sage hat eine lange Geschichte. Seinen Ursprung hat es in dem germanischen Wort *sago(n)2 vor etwa eintausendsiebenhun-dert Jahren. Für das Althochdeutsche ist saga im 9. Jahrhundert belegt, und bereits im Mittelhochdeutschen des 12. Jahrhunderts kennt man das Wort in der heute bekannten Form sage. Seine Be-deutung hat sich einige Male geändert. Während es anfangs allge-mein für Rede, Aussage, Erzählung, Bericht, Gerücht stand, wurde es seit dem 14. Jahrhundert für die Kunde von Ereignissen der Vergan-genheit (ohne historische Beglaubigung)3 gebraucht. Diese Bedeutung blieb bis zum 18. Jahrhundert bestehen. Zu Beginn des 19. Jahr-hunderts, als das Interesse an volkskundlichen Überlieferungen er-wachte und zahlreiche Märchen- und Sagensammlungen entstan-den, gelangte das Wort Sage mit der uns geläufigen Bedeutung in den Fachwortschatz der literaturwissenschaftlichen und volks- kundlichen Forschung. Die Brüder Grimm gaben 1816 und 1818 die bis dahin größte Sagensammlung »Deutsche Sagen« in zwei Bänden heraus und stellten ihr folgende Worte voran:

Es wird dem Menschen von heimatswegen ein guter Engel beigegeben, der ihn, wann er ins Leben auszieht, unter der vertraulichen Gestalt eines Mit-wandernden begleitet; wer nicht ahnt, was ihm Gutes dadurch widerfährt, der mag es fühlen, wenn er die Grenzen des Vaterlandes überschreitet, wo ihn jener verläßt. Diese wohltätige Begleitung ist das unerschöpfliche Gut der Märchen, Sagen und Geschichte (...).4

Schon zuvor hatten sich Jakob und Wilhelm Grimm in theoretischen Schriften mit jenem guten Engel der Volksüberlieferungen beschäf-tigt. In der »Zeitung für Einsiedler« 1808 beschrieb Jakob Grimm die Sage als alte Poesie, die sich das gemeine Volk erzählt, in dessen Mit-te sie niemals untergegangen ist, sondern sich fortgesetzt und vermehrt hat.5 Sie berichtet von Geistern, Zwergen, Zauberern und ungeheuern Wundern.6 Jakob Grimm nahm zu dieser Zeit an, dass die Volkssage lange Zeit vom Vater dem Sohne erzählt7 wurde und sie deshalb be-reits so alt war, dass sie Auskunft über germanische Mythen und Gott-heiten wie Holda, Bertha, Fricka oder Wotan geben könne. Sein Ziel war es, anhand der deutschen Sagen eine germanische Urreligion zu rekonstruieren.

Nachdem die mythologischen Vorstellungen der Brüder Grimm in den folgenden Jahren von zahlreichen Forschern übernommen wur-den, etwa von Karl Simrock (1802–1876) und Albert Kuhn (1812–1881), wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts kritische Stimmen laut. 1925, als der Basler Germanist und Volkskundler Friedrich Ranke seinen programmatischen Vortrag »Grundfragen der Volks-sagenforschung« hielt,8 hatte sich die Forschung weitgehend von der Grimmschen Vorstellung entfernt. Ranke schrieb über ihre so ge-nannte Mythologische Schule:

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Ihre kühnen Träume von einer Zurückgewinnung altheidnischer Mythen aus dem Schatz abergläubischer Erzählungen des heutigen Volkes sind zerron-nen, nur in Büchern halbwissenschaftlicher Art führen ihre Gestalten noch ein ungewisses Dasein im Zwielicht unklarer Scheinerkenntnisse.9

Die junge Volkssagenforschung irrte sich in der Annahme, dass die Sagen in der mündlichen Überlieferung die Jahrhunderte ohne Ver-änderungen überdauert hatten. Nach Rankes Erkenntnissen reichte das Gedächtnis des Volkes kaum je weiter als etwa drei Generatio-nen zurück, und was darin haftet, das sind (...) Ereignisse von meist eng begrenztem lokalgeschichtlichem Interesse.10 Während Friedrich Ranke 1925 noch kritisierte, dass der Fachgelehrte es im allgemei-nen für unter seiner Würde hält, in diese Niederungen der deutschen Volksdichtung, zu diesen so formlosen und unscheinbaren Erzeug-nissen volkstümlicher Phantasie hinabzusteigen,11 ließ sich in den folgenden Jahrzehnten ein wachsendes Interesse an der Sagenfor-schung beobachten. Als wichtige Vertreter der europäischen For-schung sind André Jolles,12 Will-Erich Peuckert,13 Max Lüthi,14 Lutz Röhrich15 und Leander Petzoldt16 zu nennen. Nach ihren Er-kenntnissen ist die Sage eine Erzählung, die mündlich oder schrift-lich überliefert werden kann. Sie erweckt immer den Anschein, tatsächlich geschehen zu sein, indem exakte Ortsangaben und Ge-währspersonen angeführt werden. Inhaltlich umfasst die Sage das breite Spektrum der Auseinandersetzung des Menschen mit seiner Umwelt, der ihn umgebenden Natur, mit historischen Begebenhei-ten und der jenseitigen Welt. Der Einbruch des Übernatürlichen, das Aufeinandertreffen der Diesseits- und der Jenseitswelt ist häu-fig Thema der Sage, wobei stets voll Angst und Schrecken vom Kon-takt mit dem Übernatürlichen, mit Geistern und Dämonen berichtet wird. Sagen sind meist kurz, einepisodisch und werden in der Um-gangssprache oder im Dialekt vorgetragen. In einigen Fällen wur-den sie auch novellistisch umgearbeitet oder in Versform gebracht. Immer dann, wenn der Aufschreibende oder Erzähler nicht mehr an das glaubte, was er zu Papier brachte oder erzählte, wurde er freier in der Gestaltung des Textes. Er fügte dann persönliche Anmerkun-gen ein, sprach in gewählten Worten und formvollendeten Sätzen. Die Sage wurde zum unterhaltsamen Geschichtchen. Wieder andere Sagen sind zum mageren Sagenskelett zusammengeschrumpft, weil das Glaubensinteresse erloschen ist und Einzelheiten in Vergessen-heit geraten sind. Unentwickelte Vorformen, künstlerische Formen und zerfallene Restformen stehen daher im Bereich der Sage ne-beneinander.

Durch Sagen versuchte man, Unerklärliches zu deuten. Was hat es mit den unheimlichen Flämmchen am Mutzschener Göttwitzsee auf sich? Weshalb kommt das Vieh in einem Großbothener Stall ausgerechnet in der Walpurgisnacht nicht zur Ruhe? Der Volksglau-be fand seine eigene Erklärung für all diese merkwürdigen Bege-benheiten.

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Doch Sagen sind kein Relikt längst vergangener Zeiten, auch heut-zutage können sie entstehen. Da sich das Wissen und die Geistes-haltung der europäischen Kultur verändert haben, handeln diese modernen Sagen meist nicht mehr von Irrlichtern und Kobolden, sondern von mythischen Dingen, die auch in unserer hochzivili-sierten, technisierten Welt glaubwürdig erscheinen: Berichte über UFOs und Kontakte zu Außerirdischen zählen dazu. Und auch in den Tiefen von Loch Ness vermutet so mancher noch ein ungelöstes Geheimnis ...

Das kann man glauben oder nicht

Ältere Erzähler gebrauchen für ihre Berichte sagenhafter Art gelegentlich den Ausdruck »Wahrheiten«. Dieses Für-wahr-halten des Erzählten gehört – mindestens in älterer Zeit – zum Wesensmerkmal der Sage.17

Lutz Röhrich, 1966

In der beinahe 1000-jährigen Muldentaler Sagengeschichte wurde viel Unglaubliches für wahr gehalten, aufgeschrieben und weiter- erzählt. So warnten die Sermuther ihre Mitmenschen vor einer auf-erstandenen Toten an der Mulde; in Kötteritzsch beriet man sich, wie man der Koboldplage Herr werden könne.

Die älteste uns bekannte Sage aus dem Raum des Mulden-tals stammt aus der 1018 veröffentlichten Chronik »Chronici Dit-mari Episcopi Mersepurgii« von Ditmar (Thietmar), Bischof von Merseburg und Berater des Kaisers. Sie berichtet von einem bö-sen Omen, das die kriegführenden Lausitzer Wenden bei Wurzen erzittern ließ und zum Rückzug zwang (S. 144). In den folgenden Jahrhunderten kann man viele Sagen in den Chroniken der Region finden. Auch zwei Heiligenviten des Bischofs Benno und zwei Er-bauungs- und Unterhaltungsbücher gehören zu den frühen Quel-len. Eine Übersicht aller Sagenquellen finden Sie auf S. 20 f. Alle diese Werke sind von geistlichen und weltlichen Gelehrten, von Kaplanen, Bischöfen, Universitätsprofessoren, also den Gebildeten der damaligen Zeit, aufgeschrieben worden. Sie alle glaubten die wundersamen Geschichten und fügten sie wie tatsächliche histori-sche Begebenheiten in ihre Schriften ein. So berichtete Hierony-mus Emser im Jahre 1512, dass Bischof Benno den morgendlichen Gottesdienst in Meißen hielt, aber dank wunderbarer Fähigkeiten zur Frühstückszeit wieder in Nauberg, einem Dorf bei Mutzschen, war (S. 111).

Unter dem Pseudonym Misander veröffentlichte Johann Samuel Adami 1689 das Buch »Deliciae Historicae«, in dem er sich magi-schen Praktiken, der Hexerei und Teufelskunst widmete. Seine Ka-

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pitel handeln vom Wettermachen, von alter Leute Verjüngung, von dienstwilligen Kobolden und Zwergen. Mit großer Ernsthaftigkeit gab er Hinweise zum Umgang mit der Unterwelt.

In dem Erbauungsbuch Christian Geberns »Die unerkannten Wohlthaten Gottes ...« aus dem Jahre 1717 steht die Sage vom Grim-maer Kelch (S. 71), von der Gebern selbst schrieb, dass folgende Historie (...) doch vor kein Mährlein soll gehalten werden.18 Sagen-haftes wurde für wahr gehalten, Sagenwelt und Wirklichkeit waren dicht miteinander verwoben.

Erste Zweifel am Wahrheitsgehalt dieser sagenhaften Begeben-heiten kann man in Rektor Christian Schöttgens Chronik »Historie der Chur-Sächsischen Stiffts-Stadt Wurtzen« aus dem Jahre 1717 nachlesen. Der Sage von der Wurzener Ruhr fügte Schöttgen den folgenden Nachsatz hinzu (S. 145):

Ich setze diese Exempel / hierher / nicht / daß man daran glauben / oder sich vor dergleichen fürchten soll / sondern nur zu beweisen / es sey nicht nöthig / daß auf dergleichen Erzehlung nothwendig etwas Böses folgen soll / und also die Leute von einer ungegründeten und unnöthigen Furcht zu befreyen.19

Schöttgen warnte seine Leser an dieser Stelle vor falschem Aber-glauben. An anderer Stelle aber, wenn er von der merkwürdigen Verwandlung von Kinderbrei, Brot und ganzen Teichen in Blut schreibt, sieht man, wie sehr Schöttgen selbst noch vom alten Aber-glauben befangen war.

1837 erschien Widar Ziehnerts Buch »Sachsens Volkssagen«. Erstmals wurden die sagenhaften Ereignisse auch des Muldentales in einem Buch veröffentlicht, das sich ausschließlich der Gattung Sage widmet. Die Volkssage ist das Eigenthum des minder gebilde-ten Standes,20 schrieb Ziehnert in der Einleitung seines Buches und brachte damit den entscheidenden Wandel auf den Punkt: die Ge-bildeten und Gelehrten glaubten nicht mehr an die sagenhaften Be-richte. Der Zeitgeist der Aufklärung wandte sich vom alten Volks-glauben ab. Für den gebildeten, aufgeklärten Menschen ließen sich Wunder und sagenhafte Begebenheiten rational erklären. Es war nun in Mode gekommen, Sagen als Unterhaltungsliteratur in klei-nen Bänden zu veröffentlichen. Erzählt und geglaubt aber wurden die Sagen in dieser Zeit nur noch von der mindergebildeten Bevöl-kerung, deren Volksgerede der Autor die bisweilen ganz verworrenen Sagen21 entnahm.

Keine vier Jahrzehnte später schrieb Johann Georg Theodor Gräße im Vorwort seiner Sagensammlung »Der Sagenschatz des Kö-nigreichs Sachsen«, dass auch unter der weniger gebildeten Stadt- und Landbevölkerung der Glaube an Sagen schwinde:

(...) seitdem die moderne Aufklärung, das nüchterne Princip der Negation, dem Volke seine Wunder- und Märchenwelt geraubt hat, seitdem mit den alten Volksbüchern auch der alte Aberglaube vertrieben wurde, ist die alte Gemüthlichkeit, Treue und Glaube im Volke um Vieles seltener geworden.22

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Und als Gräßes Sagensammlung schließlich im Jahre 1903 neu auf-gelegt wurde, stellte der Herausgeber Alfred Meiche fest:

Je kräftiger das neue Leben in ihren Straßen flutet, desto gründlicher werden Erinnerungen an vergangene Zeiten hinweggespült. (...) Auch das sogenann-te sächsische Niederland hat, trotz seiner überwiegend bäuerlichen Bevölke-rung, wenig Neues zum vorliegenden Buche beigesteuert.23

Haben die alten Sagen keinen Platz mehr im modernen Leben? Es gibt sie noch immer, schrieb der Großbothener Lehrer Rudolf Irm-scher, der in den 1920er Jahren eine beachtliche Sammlung dörfli-cher Sagen veröffentlichte. In seinem Vorwort heißt es:

Ich bringe diese Erlebnisse (...), um zu zeigen, daß der Aberglaube nicht nur ein totes Erbstück aus längstvergangenen Zeiten ist, sondern daß er lebt und heute noch die üppigsten Blüten treibt. Alle die nachfolgenden Berichte sind nach der Aussage meiner Gewährsleute so wahr wie nur irgend etwas.24

Man muss sich nur Zeit nehmen, die Menschen kennenzulernen, er-zählte mir Pfarrer Heinz Martin. Oft schämen sie sich der alten Ge-schichten und Ammenmärchen. Wer glaubt schon an die Muhre, die sich des Nachts ins Schlafzimmer schleichen soll und sich so lange auf den ahnungslosen Schläfer setzt, bis er atemlos erwacht! Mit et-was Geduld und Vertrauen offenbaren die Alten ihre Sagenschätze. 1998 konnte Heinz Martin in seinem Heimatbuch eine umfangrei-che Sagensammlung aus Falkenhain, Voigtshain und Thammenhain veröffentlichen. Und wie eh und je handeln diese Sagen von Geis-tern, Kobolden, schwarzer Magie und vergrabenen Schätzen.

Ob diese Sagen heute noch für wahr gehalten werden? Mein Großvater Ewald Müller aus Zwochau kannte einige sagenhafte Ge-schichten, die ihm von seiner Mutter und Großmutter erzählt wur-den. Mit Augenzwinkern verriet er mir: Wie die das erzählt hat, meine Mutter, das hab’ ich der geglaubt.

Geheimnisvolle Muldenlandschaft

Von alters her regten die sanften Hügel der Porphyrkuppen, die en-gen Talabschnitte mit ihren Felsformationen entlang der Mulde, die tiefen Wälder und besonders Gewässer die Phantasien der Men-schen an. Bäche und Gräben, Sumpflöcher, nebelumhüllte Dorftei-che und die Mulde mit Strudeln und Stromschnellen wurden zu un-heimlichen Orten, in denen Wassermänner und Nixen hausten und Menschen auf rätselhafte Weise ums Leben kamen. Wie eine ma-gische Grenze teilte der Fluss das Muldenland. Wenn etwa ein Ko-boldbesitzer von seinem Kobold gar zu sehr geneckt wurde, musste er nur übers Wasser ziehen, und er war von diesem frechen Kerl auf alle Zeit befreit.

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An der Mulde fallen einige markante Felsformationen ins Auge, de-ren Namen bereits Sagenhaftes erahnen lassen: der Nixstein bei Po-delwitz, der Trauschkenstein bei Wurzen oder der Trompeterfelsen bei Grimma (S. 114, 149, 75). Sagen ranken sich auch um außer-gewöhnlich große Steinblöcke, die in unserer porphyrreichen Ge-gend und eiszeitlichen Endmoränenlandschaft auf Feldern, in Wäl-dern oder auf Hügeln gefunden wurden, wie der Riesenstein bei Röcknitz, das Brautbett bei Seelingstädt oder der Napoleonstein bei Thammenhain (S. 118, 123, 127).

Unter den sanften Hügeln der Muldenlandschaft wurden – nach Funden von Schmuck und Gerätschaften aus der Bronzezeit – gewal-tige Schätze vermutet, von Zwergen- oder Menschenhand dort hin-getragen. Der Kapellenberg bei Mutzschen und der Geldberg bei Glasten wurden so Ziele eifriger Schatzsucher. Auch wähnte man ver-grabene Reichtümer unter auffälligen Bäumen wie der Küchenbuche in Großbothen oder der Bettlereiche bei Bröhsen (S. 108, 68, 85, 43).

Und wenn sich die großen Bäume am Wegesrand im starken Westwind bogen, suchte man sich in Sicherheit zu bringen: Dann war der germanische Gott Wotan mit seinem Gefolge unterwegs auf wilder Jagd durch die Muldentaler Lüfte (S. 126).

Sagenhaftes aus Napoleons Zeiten

Wussten Sie, dass die Colditzer zu Kriegszeiten durch Witz und List die schwedischen Eindringlinge zum Narren hielten und damit die Stadt vor der Einäscherung bewahrt haben (Die Colditzer Glocken, S. 46 f.)? Neben besonderen Naturerscheinungen sind historische Ereignisse wie dieses oft Thema der Muldentaler Sagen. Aus der Zeit der Befreiungskriege von der napoleonischen Fremdherrschaft sind insgesamt sieben Sagen überliefert. Da die ehemalige westli-che Kreisgrenze bei Fuchshain nur wenige Kilometer von den Fel-dern entfernt liegt, auf denen vom 16. bis zum 19. Oktober 1813 die entscheidende Schlacht gegen Napoleon geschlagen wurde, er-lebten die Muldentaler hautnah das Kriegstreiben. Gewaltige Ar-meen waren durch die Städte und Dörfer gezogen und hatte tiefe Spuren hinterlassen. Soldaten brandschatzten und plünderten, die Lebensmittel wurden knapp, das wenige Verbliebene wurde zu hor-renden Preisen gehandelt. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass das Thema Geld in den Sagen dieser Zeit eine bedeutende Rolle spielt. Die Sage Die weiße Frau vom Geldberg bei Glasten (S. 68) er-zählt davon, dass die Franzosen nach ihrer Niederlage bei Leipzig flohen und Flüchtlinge die prall gefüllte französische Kriegskasse aus Angst vor Räuberei im Glastener Wald am Geldberg vergru-ben. Überraschenderweise lebt Napoleons Kriegskasse ähnlich auch als Thammenhainer Sage (S. 127) fort: Nach dem verlorenen Russ-

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landfeldzug kamen die Franzosen auf ihrer Flucht durch Thammen-hain und vergruben sicherheitshalber die Kriegskasse im Pfarrgar-ten. Heinz Martin, der diese Sage aufschrieb, fügte hinzu, dass ihm diese Geschichte auch aus dem nahen Frauwalde bekannt ist. Die Sage Die gestohlene Kompaniekasse (S. 84) in Großbothen handelt ebenso vom Geld der Franzosen. Allerdings ist diese Kasse nicht versteckt, sondern beim Aufenthalt der Soldaten im Ort gestohlen worden. Aufgrund all dieser Sagen wurde an den jeweiligen Stellen gesucht und gegraben. Um Mitternacht begaben sich die Schatzgrä-ber in Glasten auf die Suche, wurden aber von unheimlichen Spuk- erscheinungen vertrieben. In Thammenhain grub man heimlich den Pfarrgarten um. Und in Großbothen verdächtigte man schnell den Besitzer des Gutes, auf dem sich die Franzosen aufhielten, als den Dieb der Kasse, denn nach Kriegsende war er der einzige, der nicht unter Geldnot litt. Auch an der Straßengabelung Leisenau/Kötte-ritzsch/Großbothen wurde gegraben, wie uns die Sage Erscheinun-gen am Hutenhübel (S. 102) berichtet. Gefunden wurde an dieser Stelle zwar keine Kriegskasse, dafür kamen aber Waffen aus dem Jahr 1813 zum Vorschein. Tatsächlich vergruben französische Sol-daten auf ihrem Rückzug schweres Kriegsmaterial, Kanonen und Kugeln, die sie an ihrer zügigen Weiterreise hinderten. Auch ver-storbene Kameraden wurden unterwegs beigesetzt. Beobachte-ten Ortsansässige solche Grabearbeiten, war rasch der Grundstein für eine weitere Schatzsage gelegt. Wer wollte nicht einen großen Schatz heben und fortan ohne Geldsorgen leben?

Das Erbe von 1813 ist eine Ausnahme unter den Schatzsucher-sagen. Die Sage beschreibt, wie ein Wurzener tatsächlich eine an-sehnliche Summe25 französischen Geldes erhielt (S. 148). Ein franzö-sischer Offizier vertraute es ihm vor der großen Schlacht bei Leipzig mit den Worten an, dass der Mann es behalten könne, falls er nicht von der Schlacht zurückkehren sollte. Als er nach einem Jahr noch keine Nachricht von dem Offizier hatte, nahm der Mann das Geld und kaufte Grundstücke, die in der Nachkriegszeit besonders billig waren. Wie in der Großbothener Sage Die gestohlene Kompagniekas-se versuchte man sich auf diese Weise zu erklären, warum so man-cher nach dem Krieg viel Geld besaß, während andere am Rande ihrer Existenz standen.

Zwei weitere Sagen der Befreiungskriege beschäftigen sich mit Napoleon selbst. In Der Fürstenweg (S. 123) wird der Weg angege- ben, auf dem Napoleon mit seinen Truppen von Schönbach aus Rich-tung Leipzig gezogen sein soll. Die Sage Der Napoleonstein (S. 127) berichtet davon, dass Napoleon bei seiner Flucht nach Leipzig auf dem Schildberg bei Thammenhain pausierte, von wo aus er einen gut Blick über das umliegende Land hatte und seine weitere Route plante. Die Nacht verbrachte der Kaiser in einer kleinen Höhle un-ter einem Stein, der seitdem Napoleonstein heißt. Das große weltge- schichtliche Geschehen schrumpft, mit dem Blick des Landvolkes, zu Er-eignissen sehr privater Natur zusammen,26 schreibt Friedrich Ranke.

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Und tatsächlich wird Kaiser Napoleon für die Thammenhainer zum müden, gejagten Heerführer, der die Nacht über im Wald ganz in der Nähe des Dorfes verbringt. Viele Sagen ranken sich so um ei-nen historischen Kern und geben Einblick, wie unsere Vorfahren die großen historischen Ereignisse in ihrer kleinen städtischen oder dörflichen Welt erlebten, was sie dabei bewegte, ängstigte und hof-fen ließ.

Ausgewählte Sagenmotive

Gespenstische Bären, kopflose Reiter und menschenfressende Dra-chen, Hexen, Nixen und Nachtgespenster spuken durch die Mulden-taler Sagenwelt. Um bei der Vielzahl der Sagengestalten und -hand-lungen einen Überblick zu behalten, ist es hilfreich, die Sagen in drei Gruppen zu unterteilen:

– Ursprungs- und Erklärungssagen– Mythische Sagen– Religiöse Sagen / Göttermythen.

Zu den Ursprungs- und Erklärungssagen zählen alle Sagen, in de-nen Name, Herkunft und Eigenschaften von Naturerscheinungen, Bauwerken, Pflanzen oder Tieren erklärt werden. In den Mythi-schen Sagen werden Begegnungen des Menschen mit dem Jensei-tigen geschildert. Geister und Dämonen, übernatürliche Tiere und Pflanzen sowie Menschen mit magischen Fähigkeiten kommen darin vor. Religiöse Sagen bzw. Göttermythen sind solche, in denen unglaubliche Wundertaten und göttliche Bestrafungen oder magi-sche vorchristliche Praktiken beschrieben werden. Am Ende dieses Bandes gibt es ein Verzeichnis dieser drei Gruppen, das die gezielte Suche nach bestimmten Sagenmotiven erleichtert (S. 161).

Ab und zu nahmen es die Erzähler nicht so genau mit den Pla-gegeistern und vertauschten in den Sagen die verschiedenen Sagen-gestalten. So ist in der Hohburger Sage Der Siebensprung (S. 92) von Kobolden die Rede, etwas weiter wird von Teufelchen, Männlein und einer Geisterschar gesprochen.

Manchmal waren sich die Erzähler auch nicht sicher, welche der zahlreichen Schreckgestalten wohl am unheimlichen Ort ihr Unwesen treibt. Dann gaben sie ihren Zuhörern die Warnung mit auf den Wege: Nehmt euch in Acht, dort ist es nicht geheuer, dort geht es um!

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Besonders häufig begegnet man in den muldenländischen Sagen den Kobolden, Weißen Frauen, Wiedergängern, Nix und Nixen, Huckauf und Mahr, weshalb diese Sagengestalten ausführlicher vorgestellt werden sollen.

Der Kobold ist ein im Muldental weitverbreiteter Hausgeist. In Mi-sanders »Historischen Ergötzlichkeiten« aus dem Jahre 1698 wird der Kobold als der Teufel selbst beschrieben, der

in allerley Gestalt sich vermummen kann / wie er pflegt sein Affen-Spiel zu treiben / wenn ihm nehmlich von Gott nicht erlaubet ist / grössern Schaden zuzufügen. Also sind viel unsichere Ort / Zimmer und Gemach / viel Strassen / Berge / Gehöltze / viel Wasser / viel Gerichts-Städten / da Satan zwar wohnet / aber nicht Vergünstigung hat von Gott / daß er den Menschen mehr Leydes thue / als sie aus dem Schlaf zu wecken / sie zu erschrecken / sie zu locken / zu rufen / zu verführen / das Bett zu nehmen / ihnen Schätze zu verheißen / mit Wasser zu besprengen / und was des Dinges mehr / davon ein gantz Buch möchte zusammengetragen werden.27

Die Kobolde im Muldenland spielen den Menschen böse Streiche und lassen ihre Besitzer nicht in Frieden sterben (Der Kobold lässt einen Herrn nicht sterben, S. 81). Hier und da helfen sie aber auch auf Bauernhöfen bei der Wirtschaft und hexen das Mittagessen (Ein Watzschwitzer Bauer hat den Kobold, S. 144). Sie sind Künstler der Verwandlung und erscheinen in unterschiedlichsten Gestalten, meist jedoch als unheimliche schwarze Katze, als schwarzer Hund oder schwarze Henne. Sie sind wahre Tunichtgute, die ihre gemei-nen Späße mit den Menschen treiben, sie unermesslich reich ma-chen oder in den Ruin treiben können. Rudolf Irmscher gibt eine mögliche Erklärung für die Entstehung der Koboldfigur:

Die Ursache der vielen Koboldgeschichten ist heute [1926] der Neid der lie-ben Nachbarn. Wer infolge seiner Sparsamkeit und seines Fleißes reich ge-worden ist, hat eben den Kobold. Man wird doch dem Nachbarn nicht einge-stehn, daß er tüchtiger sei als man selber.28

Die Vorstellung von der Weißen Frau geht auf den frühchristli-chen Seelenglauben zurück. Danach ist die Weiße Frau ein nach dem Tode wegen eigener oder fremder Schuld zum Umgehen verdamm-ter Geist, eine büßende Seele,29 die meist nachts erscheint. Ihr langes weißes Gewand ist ihr Leichenhemd, in dem sie jede Nacht dem Grabe entsteigt. Die Gestalt der Weißen Frau ist in den Sagen aus dem Gebiet entlang der Mulde sehr vielseitig. Nur in einer Sage wird erzählt, was sich die Frau zu ihren Lebzeiten zu Schulden kom-men ließ: sie hatte Selbstmord begangen (Die weiße Frau von Schloss Colditz, S. 47). Eine andere Frau starb kurz nach der Geburt ihres Kindes und kehrte als Weiße Frau immer wieder in ihr Haus zu-rück, um nach dem Kinde zu sehen (Die weiße Frau vom alten Guts-haus, S. 63). Nicht selten erschienen Weiße Frauen dem nächtli-chen Wanderer auf einsamen Wegen, baten überraschte Passanten

Kobolde

Weisse Frauen

Page 17: Sagenhaftes Muldenland - download.e-bookshelf.de · schung sind André Jolles,12 Will-Erich Peuckert,13 Max Lüthi,14 Lutz Röhrich15 und Leander Petzoldt16 zu nennen. Nach ihren

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um ihre Erlösung (Die weiße Frau vom Falkenhainer Friedhof, S. 63), hüteten versteckte Schätze (Die weiße Frau vom Geldberg bei Glasten, S. 68, Der Schatz im Voigtshainer Gutspark, S. 140) oder bewachten einen unterirdischen Gang (Das Mönchskloster zu Schmölen, S. 122). Die Vorstellungen von den Tätigkeiten der Weißen Frauen waren im Volksglauben offensichtlich sehr verschieden. In jedem Fall handel-te es sich bei den Erscheinungen aber um verstorbene Frauen, die in ihrem Grab keine Ruhe fanden.

Auch die Wiedergänger sind Tote, die umgehen müssen, weil sie als Mörder, Selbstmörder oder Meineidige zu Lebzeiten Schuld auf sich geladen haben. Sie erscheinen in der Gestalt, in der sie lebten. Die meisten Wiedergänger in den Sagen des Muldenlandes streben nach einer Erlösung, die sie nur mit Hilfe der Lebenden erlangen kön-nen. Meist genügt eine einfache Formel, etwa ein besonderer Gruß, um den Wiedergänger von seinen Qualen zu befreien. Ein Gott helf euch oder Helf dir Gott hätte die Schlossfrau von Döben (S. 50) und die Wiedergängerin von Nimbschen (S. 112) erlöst. Eine andere Wiedergängerin, die zu Lebzeiten eine geizige Bäckerstochter war, musste erst all ihren Kuchen verschenken, bevor sie erlöst werden konnte (Die hochmütige Bäckerstochter vom Breiten Berg bei Lüptitz, S. 103).

Der nichtsahnende Mensch erkennt den erlösungsbedürftigen Wiedergänger meist nicht auf den ersten Blick. Er reagiert unwis-send und unbedacht, ergreift sogar die Flucht, weshalb sämtliche Erlösungsversuche in den Sagen des Muldentals fehlgeschlagen sind.

Der Nix, im Muldental auch Nick genannt, ist ein unberechenba-rer Wassermann, der die Menschen mit sich in die dunklen Tiefen der Gewässer zieht. Er hält sich vorzugsweise in der Mulde auf. Gelegentlich wurde er auch in Seen und Wasserlöchern gesich-tet (Die Nixen bei Nimbschen, S. 112). Offensichtlich versuchten sich unsere Vorfahren mit Hilfe dieser Gestalt zu erklären, wieso immer wieder Menschen ohne ersichtlichen Grund ertranken. In ihrer Vorstellung forderte der Nix sein jährliches Opfer. Es mag tröstlich erscheinen, dass die Männer, die der Wassermann mit sich auf den Grund zog, mit Nixen verheiratet wurden (Der Nix vom Rabenstein, S. 76). Denn der Nix hatte schöne Töchter. Ab und zu durften sie in die Dörfer zum Tanz, man konnte die Nixen am nas-sen Rocksaum erkennen (Der Tod von Nippern, S. 111, Der Nix an der Wilschmühle, S. 109). In einer Wurzener Sage wird berichtet, dass der Nix für die alljährlichen Hochwasser der Mulde verant-wortlich war (Die Sage vom Trauschkenstein, S. 149). Bezahlte man ihm aber eine gewisse Summe, blieben die verheerenden Über-schwemmungen aus.

Es gibt verschiedene Hinweise zum Aussehen des Nix. Er habe grüne Augen, trage bei Grimma weiße Hosen und bei Wurzen einen roten Mantel. Bei Döben wurde er sogar in Gestalt einer Bäuerin in

Wiedergänger

nix und nixe