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MEDIZIN & TECHNIK] Schäden der M.-tibialis-posterior-Sehne [ 18 ] Orthopädieschuhtechnik 10/2005 M.-tibialis-posterior-Sehnendys- funktion ist ein Begriff, der sich an die angloamerikanische Literatur anlehnt. Daneben werden die Termi- ni M.-tibialis-posterior-Peritendinitis, M.-tibialis-posterior-Sehnendegenera- tion oder M.-tibialis-posterior-Tendi- nose verwandt. Elongation der M.-ti- bialis-posterior-Sehne und Ruptur der M.-tibialis-posterior-Sehne kennzeich- nen fortgeschrittenere Stadien des Sehnenschadens, die einen erworbe- nen Knick-Senkfuß oder Plattfuß zur Folge haben. Ätiologie Schäden der M.-tibialis-posterior-Seh- ne haben nahezu ausschließlich einen degenerativen Hintergrund. Eine zu- grunde liegende rheumatische Prädis- position sollte laborchemisch ausge- schlossen werden. Der senkfüßige Ath- let neigt mehr zur Mikrotraumatisie- rung der M.-tibialis-posterior-Sehne. Pathogenese Die M.-tibialis-posterior-Sehne leistet einen wesentlichen Beitrag zur aktiven Stabilisation der medialen Fußlängs- wölbung (Kitaoka et al. 1997). Sie wird daher besonders bei der Pronationsbe- wegung in der Standphase des Laufens und Gehens, sowie bei der Landung nach Sprüngen beansprucht. In ihrem Verlauf wird sie um den als Hypomoch- lion wirkenden Innenknöchel je nach Stellung des Sprunggelenkes um 0 bis 90° umgelenkt. In diesem Bereich scheint eine hypovaskuläre Zone vor- zuliegen (Frey et al. 1990). Die M.-tibialis-posterior-Sehnende- generation verläuft stadienhaft. Ein langwieriger präklinischer Verlauf ist nahezu regelmäßig nachweisbar. Sub- jektiv manifestiert sich das Krank- heitsbild meist als akutes Ereignis, oft im Zusammenhang mit einem Supina- tionstrauma des Sprunggelenkes. Das Stadium I nach Johnson & Strom (1989) ist durch eine entzündliche Reizung und/oder durch beginnende degenerative Veränderungen der Sehne gekennzeichnet. Im Stadium II kommt es durch weitere Degeneration zur In- suffizienz und Elongation der Sehne, noch ohne Beeinträchtigung der Statik und Funktion der passiven Anteile der Fußwurzel. Im Stadium III schließlich entwickelt sich durch eine weitere In- suffizienz und Elongation der M.-tibia- lis-posterior-Sehne und der sekun- dären Weichteilstabilisatoren (Riss des Lig. Calcaneonaviculare plantare) der medialen Fußwölbung sowie durch funktionelles Übergewicht der antago- nistischen Peronaeus-brevis-Sehne ei- ne fixierte Valgusstellung des Rück- fußes und eine Abduktion im Mittel- fuß. Epidemiologie Schäden der M.-tibialis-posterior-Seh- ne sind eher untypisch für den aktiven Sportler im Leistungsalter. Der Beginn der M.-tibialis-posterior-Sehnenschä- digung, die Frauen dreimal häufiger trifft, liegt meist jenseits des 40. Le- bensjahres. Übergewicht und Hyperto- nie sollen prädisponierend wirken (Holmes & Mann 1992). Komplette Risse der Sehne sind selten (Gazdag & Cracchiolo 1997), Längsrisse sind die Regel. Einzelfälle kommen im Sport bereits bei jüngeren Patienten vor (Porter et al. 1998). Dabei können In- und Eversionstraumen verursachend wirken. Diagnostik Klinische Diagnostik Die Patienten können sich oft an einen plötzlich auftretenden, undefinierba- ren Schmerz am Innenknöchel und am medialen Fuß erinnern. Ein auslösen- des Ereignis (evertorisches oder inver- torisches Umknicken) wird von etwa 50 Prozent der Patienten berichtet. In der weiteren Folge kann eine Vielzahl unspezifischer Symptome am gesam- ten Fuß auftreten. Beschwerden beim Gehen und Laufen auf unebenem Un- tergrund und beim Halten der Balance auf einem Bein sind typisch. In fortge- schrittenen Stadien tritt der belas- tungsabhängige Schmerz auch an der lateralen Fußwurzel (Sinus tarsi und laterales USG und OSG) im Sinne einer belastungsabhängigen Impingement- symptomatik auf. Die Entwicklung des Knick-Senkfußes geht einher mit einer arthrotischen Gelenkschädigung im OSG und USG, die zunächst lateral be- ginnt. Die Inspektion des stehenden Pa- tienten konzentriert sich auf seitendif- ferente Schwellungen im Bereich des medialen Malleolus und auf Asymme- trien der Fußstatik (einseitiger Senk- fuß). Spezifische Tests sind der Ein- beinzehenstand und das „Too-many- toes“-Zeichen (Pomeroy et al. 1999, Johnson 1995). Beim „Too-many- toes“-Zeichen werden im beidbeinigen Stand die Knie nach vorn zentriert. Der einseitig vorhandene Pes planovalgus gibt sich dadurch zu erkennen, dass beim Blick von dorsal auf der betroffe- nen Seite neben dem Außenknöchel mehr Zehen zu sehen sind, als auf der gesunden Gegenseite. Im beidbeinig ausgeführten Zehenstand gelingen die Aufrichtung der Fußlängswölbung und die Inversion der Ferse am betroffenen Fuß weniger oder gar nicht. Sehr spe- zifisch ist der Einbeinzehenstandtest, der für eine Läsion der M.-tibialis-pos- terior-Sehne spricht, wenn seine Aus- führung Schwierigkeiten bereitet oder unmöglich ist, wenn der Patient eine Unsicherheit empfindet oder wenn die Inversion des Rückfußes nicht voll- ständig gelingt. Frühe Stadien der Schädigung der M.-tibialis-posterior- Sehne sollen durch Schmerzhaftigkeit oder durch seitendifferente Probleme bei der fünf- bis zehnfachen Wiederho- lung des Einbeinzehenstandtestes be- reits erkennbar sein (Mann 1993). Bei der Untersuchung soll zunächst der Verlauf der M.-tibialis-posterior- Sehne von retromalleolar bis zu ihrer Insertion am medioplantaren Os navi- culare pedis auf Schwellungen und Schäden der M.-tibialis- posterior-Sehne Heinz Lohrer: Eine progrediente Degeneration der M.-tibialis-posterior-Seh- ne mit sukzessiver Elongation und daraus resultierender statischer Dysfunktion (Entwicklung eines Knick-Senkfußes) kennzeichnet die Schädigung der M.-tibia- lis-posterior-Sehne. [

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MEDIZIN & TECHNIK] Schäden der M.-tibialis-posterior-Sehne

[18] O r t h o p ä d i e s c h u h t e c h n i k 1 0 / 2 0 0 5

M.-tibialis-posterior-Sehnendys-funktion ist ein Begriff, der sich andie angloamerikanische Literaturanlehnt. Daneben werden die Termi-

ni M.-tibialis-posterior-Peritendinitis,M.-tibialis-posterior-Sehnendegenera-tion oder M.-tibialis-posterior-Tendi-nose verwandt. Elongation der M.-ti-bialis-posterior-Sehne und Ruptur derM.-tibialis-posterior-Sehne kennzeich-nen fortgeschrittenere Stadien desSehnenschadens, die einen erworbe-nen Knick-Senkfuß oder Plattfuß zurFolge haben.

ÄtiologieSchäden der M.-tibialis-posterior-Seh-ne haben nahezu ausschließlich einendegenerativen Hintergrund. Eine zu-grunde liegende rheumatische Prädis-position sollte laborchemisch ausge-schlossen werden. Der senkfüßige Ath-let neigt mehr zur Mikrotraumatisie-rung der M.-tibialis-posterior-Sehne.

PathogeneseDie M.-tibialis-posterior-Sehne leisteteinen wesentlichen Beitrag zur aktivenStabilisation der medialen Fußlängs-wölbung (Kitaoka et al. 1997). Sie wirddaher besonders bei der Pronationsbe-wegung in der Standphase des Laufensund Gehens, sowie bei der Landungnach Sprüngen beansprucht. In ihremVerlauf wird sie um den als Hypomoch-lion wirkenden Innenknöchel je nachStellung des Sprunggelenkes um 0 bis90° umgelenkt. In diesem Bereichscheint eine hypovaskuläre Zone vor-zuliegen (Frey et al. 1990).

Die M.-tibialis-posterior-Sehnende-generation verläuft stadienhaft. Einlangwieriger präklinischer Verlauf istnahezu regelmäßig nachweisbar. Sub-jektiv manifestiert sich das Krank-heitsbild meist als akutes Ereignis, oftim Zusammenhang mit einem Supina-tionstrauma des Sprunggelenkes. DasStadium I nach Johnson & Strom

(1989) ist durch eine entzündlicheReizung und/oder durch beginnendedegenerative Veränderungen der Sehnegekennzeichnet. Im Stadium II kommtes durch weitere Degeneration zur In-suffizienz und Elongation der Sehne,noch ohne Beeinträchtigung der Statikund Funktion der passiven Anteile derFußwurzel. Im Stadium III schließlichentwickelt sich durch eine weitere In-suffizienz und Elongation der M.-tibia-lis-posterior-Sehne und der sekun-dären Weichteilstabilisatoren (Riss desLig. Calcaneonaviculare plantare) dermedialen Fußwölbung sowie durchfunktionelles Übergewicht der antago-nistischen Peronaeus-brevis-Sehne ei-ne fixierte Valgusstellung des Rück-fußes und eine Abduktion im Mittel-fuß.

EpidemiologieSchäden der M.-tibialis-posterior-Seh-ne sind eher untypisch für den aktivenSportler im Leistungsalter. Der Beginnder M.-tibialis-posterior-Sehnenschä-digung, die Frauen dreimal häufigertrifft, liegt meist jenseits des 40. Le-bensjahres. Übergewicht und Hyperto-nie sollen prädisponierend wirken(Holmes & Mann 1992). KompletteRisse der Sehne sind selten (Gazdag &Cracchiolo 1997), Längsrisse sind dieRegel. Einzelfälle kommen im Sportbereits bei jüngeren Patienten vor(Porter et al. 1998). Dabei können In-und Eversionstraumen verursachendwirken.

DiagnostikKlinische DiagnostikDie Patienten können sich oft an einenplötzlich auftretenden, undefinierba-ren Schmerz am Innenknöchel und ammedialen Fuß erinnern. Ein auslösen-des Ereignis (evertorisches oder inver-torisches Umknicken) wird von etwa50 Prozent der Patienten berichtet. Inder weiteren Folge kann eine Vielzahl

unspezifischer Symptome am gesam-ten Fuß auftreten. Beschwerden beimGehen und Laufen auf unebenem Un-tergrund und beim Halten der Balanceauf einem Bein sind typisch. In fortge-schrittenen Stadien tritt der belas-tungsabhängige Schmerz auch an derlateralen Fußwurzel (Sinus tarsi undlaterales USG und OSG) im Sinne einerbelastungsabhängigen Impingement-symptomatik auf. Die Entwicklung desKnick-Senkfußes geht einher mit einerarthrotischen Gelenkschädigung imOSG und USG, die zunächst lateral be-ginnt.

Die Inspektion des stehenden Pa-tienten konzentriert sich auf seitendif-ferente Schwellungen im Bereich desmedialen Malleolus und auf Asymme-trien der Fußstatik (einseitiger Senk-fuß). Spezifische Tests sind der Ein-beinzehenstand und das „Too-many-toes“-Zeichen (Pomeroy et al. 1999,Johnson 1995). Beim „Too-many-toes“-Zeichen werden im beidbeinigenStand die Knie nach vorn zentriert. Dereinseitig vorhandene Pes planovalgusgibt sich dadurch zu erkennen, dassbeim Blick von dorsal auf der betroffe-nen Seite neben dem Außenknöchelmehr Zehen zu sehen sind, als auf dergesunden Gegenseite. Im beidbeinigausgeführten Zehenstand gelingen dieAufrichtung der Fußlängswölbung unddie Inversion der Ferse am betroffenenFuß weniger oder gar nicht. Sehr spe-zifisch ist der Einbeinzehenstandtest,der für eine Läsion der M.-tibialis-pos-terior-Sehne spricht, wenn seine Aus-führung Schwierigkeiten bereitet oderunmöglich ist, wenn der Patient eineUnsicherheit empfindet oder wenn dieInversion des Rückfußes nicht voll-ständig gelingt. Frühe Stadien derSchädigung der M.-tibialis-posterior-Sehne sollen durch Schmerzhaftigkeitoder durch seitendifferente Problemebei der fünf- bis zehnfachen Wiederho-lung des Einbeinzehenstandtestes be-reits erkennbar sein (Mann 1993).

Bei der Untersuchung soll zunächstder Verlauf der M.-tibialis-posterior-Sehne von retromalleolar bis zu ihrerInsertion am medioplantaren Os navi-culare pedis auf Schwellungen und

Schäden der M.-tibialis-posterior-SehneH e i n z L o h r e r : Eine progrediente Degeneration der M.-tibialis-posterior-Seh-ne mit sukzessiver Elongation und daraus resultierender statischer Dysfunktion(Entwicklung eines Knick-Senkfußes) kennzeichnet die Schädigung der M.-tibia-lis-posterior-Sehne.

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[MEDIZIN & TECHNIKSchäden der M.-tibialis-posterior-Sehne

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Druckdolenzen getastet werden. DieFunktionsprüfung des Tibialis posteri-or erfolgt im invertorischen Wider-standstest, der in maximaler Spitzfuß-stellung (Ausschalten der invertori-schen Komponente des Tibialis anteri-or) durchgeführt wird. Untertherapeutischen Gesichtspunkten istdie Evaluation des Rück- und Mittel-fußes zum Nachweis bestehender fi-xierter oder passiv korrigierbarer Kon-trakturen wichtig (Pomeroy et al.1999, Johnson & Strom 1989). Nebeneiner fixierten valgischen Kontrakturdes Rückfußes sind im Stadium IIIauch druckschmerzhafte obere und un-tere Sprunggelenkanteile (Arthrose)palpatorisch nachweisbar.

Bildgebende DiagnostikDie Diagnose der Schädigungen derM.-tibialis-posterior-Sehne erfolgt kli-nisch. Röntgenübersichtsaufnahmendes Fußes in zwei Ebenen und des obe-ren Sprunggelenkes a.p. sollten sei-tenvergleichend und im Stehen ange-

fertigt werden. In frühen Stadien las-sen sich keine wegweisenden Befundeerkennen. Erst später können die pro-grediente Deformierung des Fußes an-hand zahlreicher objektiver Meß- undWinkelwerte ebenso wie die sich ent-wickelnden arthrotischen Veränderun-gen seitenvergleichend beurteilt wer-den (Pomeroy et al. 1999).

Die sonografische Darstellung derSchäden der M.-tibialis-posterior-Seh-ne ist schwierig und gelingt nur mithochauflösenden Schallköpfen und infortgeschrittenen Fällen, wenn einerelevante Sehnenverdickung und Syno-vialitis vorliegen.

Nur der erfahrene Kernspindiagnos-tiker kann bereits frühe, und erst rechtfortgeschrittene Veränderungen derSehne des M. tibialis posterior nach-weisen. Die Qualität der kernspintomo-grafischen Aussage ist wesentlich vonder klinischen Fragestellung, das heißtvon der Verdachtsdiagnose abhängig.

CT und Scintigrafie haben allenfallsdifferentialdiagnostische Bedeutung.

DifferentialdiagnoseAbzugrenzen sind schmerzhafte Verän-derungen der medialen und lateralenBeugesehnen am oberen Sprungge-lenk, sowie kongenitale Knick-Senk-und Plattfüße, die meist beidseitigauftreten. Auch M.-tibialis-posterior-Sehnenluxationen sind beschrieben(Loncarich & Clapper 1998). Posttrau-matische Fehlstellungen nach Sprung-gelenkfrakturen und laterale mono-kompartimentale OSG und USG Arthro-sen, beispielsweise nach einerOsteochondrosis dissecans oder beitarsalen Koalitionen können zu einerprogredienten Rückfußvalgusstellungführen. Ein Taraltunnelsyndrom kanndas Stadium I der M.-tibialis-posteri-or-Sehnenläsion imitieren.

Therapie Konservative TherapieTrotz des grundsätzlich progredientenVerlaufes der Schäden der M.-tibialis-posterior-Sehne ist zunächst eine kon-servative Behandlung über mindestens

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drei Monate indiziert. In den seltenenFällen, wo der Patient einen akutenBeginn (Bagatelltrauma) schildert,und wo es sich nicht um einen kom-pletten Abriss der Sehne handelt, kanneine Immobilisation im Unterschenkel-liegegips für bis zu sechs Wochen indi-ziert sein. Eine Belastung sollte nurdann erfolgen, wenn dabei keineSchmerzen auftreten. In den häufigenFällen zunehmender degenerativerSchädigungen der M.-tibialis-posteri-or-Sehne sind das Behandlungsziel dieSchmerzfreiheit und die Kontrolle derfunktionellen Deformität (Pomeroy etal. 1999). Neben symptomatischenphysiotherapeutischen Maßnahmen(Hochvolt), lokaler (Salbe) und sys-temischer antiphlogistischer (NSAR)Therapie, muss eine passive Unterstüt-zung der Fußlängswölbung mittelsEinlagen erfolgen, die besonders dasSustentaculum tali abfangen. Wennbereits ein funktioneller Knick-Senk-fuß vorliegt (Stadium II), kann zusätz-lich eine supramalleoläre Stabilisie-rung mit einem Stabilschuh vorteilhaftsein. Im Stadium III sollte wegen derkontrakten Situation lediglich eine Bet-tung des Fußes durch orthopädieschuh-technische Maßnahmen erfolgen.

Infiltrationen mit wasserlöslichenCorticosteroiden sind allenfalls in Pha-sen sinnvoll, wo die Synovialitis denSchmerzprozess dominiert.

Operative TherapieVerfahren 1: Im Stadium I nach John-son und Strom (1989) wird zunächsteine operative Exploration des M.-ti-bialis-posterior-Sehnenlagers von ei-nem retromalleolären Hautschnitt aus-gehend durchgeführt. SynovialitischesGewebe wird reseziert. DegenerativeVeränderungen der M.-tibialis-posteri-

or-Sehne, die meist durch eine Quer-schnittsvergrößerung erkennbar sind,werden nach Längstenotomie aus demZentrum der Sehne debridiert. Die Seh-ne wird danach mit feinem (Vicryl oderPDS 4-0) Faden fortlaufend vernäht.

Verfahren 2: Im Stadium II mit manu-ell noch korrigierbarem Rückfußvalgusund Insuffizienz der M.-tibialis-poste-rior-Sehne wird ein zusätzlicher Trans-fer der Flexor-digitorum-longus-Sehneempfohlen (Tab. 8). Bei noch suffizi-ent imponierender proximaler Tibialis-posterior-Muskel-Sehnen-Einheit kanndieser Transfer auf die M.-tibialis-pos-terior-Sehne erfolgen (Seit- zu Seit-anastomose). Liegt eine kontrakte, un-elastische proximale Tibialis-posterior-Muskel-Sehnen-Einheit vor so ist derTransfer auf das Os naviculare pedisoder das cuneiforme I sinnvoll (Pome-roy et al. 1999). Der Zustand des Del-tabandes sollte zusätzlich evaluiertund gegebenenfalls rekonstruiert(Naht- oder Periostzügelplastik) werden(Gazdag & Cracchiolo 1997). Eine Ver-sorgung der in diesem Stadium regel-mäßig begleitend bestehenden Rupturdes Lig. Calcaneonaviculare plantare(Pfannenband oder „spring ligament“)durch raffende Nähte ist für das Gelin-gen des Eingriffes von entscheidenderBedeutung.

Verfahren 3: Für fortgeschrittene Fälleim Stadium II und im Stadium III sindknöcherne Eingriffe zusätzlich erfor-derlich. Dabei werden je nach Zustandder Fußwurzelgelenke medialisierendeCalcaneusosteotomien, subtalare undtalonaviculare sowie Triple Arthrode-sen oder calcaneocuboidale Distrakti-onsarthrodesen angegeben (Pomeroyet al. 1999).

Nachbehandlung (Lohrer et al. 2005)Weichteileingriffe im Stadium I kön-nen nach einer kurzen Immobilisati-onsphase bis zur Sicherung der Wund-heilung (etwa zwei Wochen) funktio-nell mit einer Kombination aus einermedial gut stützenden Einlage unddem OrthoTECH-Stabil-Stützschuh undmit voller Belastung behandelt wer-den.

Nach Eingriffen mit Sehnentransferssollten nicht vor der vierten postopera-tiven Woche mit der Belastung überzwei bis drei Wochen begonnen wer-den. Eine frühfunktionelle zunächstpassive, ab der dritten Woche auch ak-tive Mobilisation ist dabei möglich.

Knöcherne Eingriffe sind meistübungsstabil. Mit dem Belastungsauf-bau kann nach vier bis sechs Wochenentsprechend der radiologischen Ver-laufskontrolle begonnen werden.

In der frühen, unmittelbar postope-rativen Phase sollten besonders beiausgedehnteren Eingriffen regelmäßigLymphdrainage, Hochvolt und kurz-zeitig systemische Antiphlogistika(NSAR, Enzyme) eingesetzt werden.

Für Geh- und spätere Laufbelastun-gen, die im Stadium I nach frühestenssechs, ansonsten frühestens nachzwölf Monaten begonnen werden kön-nen, ist auf Dauer eine Einlagenversor-gung notwendig.

KomplikationenDie typische Progredienz der Schädender M.-tibialis-posterior-Sehne kanntrotz konservativer und operativer Be-handlung beobachtet werden. Meist istdas ursprüngliche sportliche Niveaunicht mehr zu erreichen.

Bei operativen Interventionen istimmer die räumliche Nähe des M.-ti-bialis-posterior-Gefäß-Nerven-Bündels

Tab. 1 Stadieneinteilung der M.-tibialis-posterior-Sehnenschäden (nach Johnson u. Strom 1998).

Stadium I Stadium II Stadium III

Sehnenzustand Peritendinitis und/oder Elongation ElongationSehnendegeneration

Rückfuß mobil, unauffällige Form mobil, wenig Valgus fixiert, mäßig bis schwerer ValgusSchmerz medial, umschrieben medial, moderat, medial und lateral

wenig bis moderat im SehnenverlaufEinbeinzehenstand geringe Schwäche mäßige Schwäche erhebliche SchwächeToo-many-toes unauffällig positiv (gering) positiv (ausgeprägt)Histologie Degeneration, Sehnenauffaserung, schwere Degeneration

synoviale Proliferation SynovialitisBehandlung konservativ: 3 Monate Sehnentransfer mit M.-flexor- subtalare Arthrodese

operativ: Synovektomie, digitorum-longus-SehneDebridement

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zu beachten. Unbefriedigende Resulta-te treten vor allem dann auf, wenn dieRekonstruktion die bereits eingetrete-nen pathologischen Veränderungennicht ausreichend berücksichtigt.

ErgebnisseGazdag & Cracchiolo (1997) berichtenüber 22 Patienten, die mit Seh-nentransfer versorgt wurden. 16 Pa-tienten hatten nach durchschnittlich32 Monaten ein exzellentes, 3 einmäßiges und 3 ein schlechtes Ergeb-nis. Die Autoren weisen besonders da-rauf hin, dass zusätzliche Verletzungendes Deltabandes versorgt werden sol-len. Meist verblieb eine residuale De-formität des Rückfußes, allerdings oh-ne Beschwerden zu provozieren.

Knöcherne und Weichteilkombinati-onseingriffe werden derzeit kontroversdiskutiert, zeigen aber gute Resultateim kurzzeitigen Verlauf (Pomeroy et al.1999). Mann (1993) weist besondersdarauf hin, dass der Weichteileingriffdie Fußform nur in 4 von 17 Fällenvollständig und in weiteren 7 Fällen

teilweise korrigiert hat. Nach etwa 8bis 10 Jahren fand er darüber hinauseine erneute Zunahme der Plattfußde-formität, die ein arthrodetisches Vor-gehen notwendig machte. Ein Befund,der präoperativ mit dem Patienten be-sprochen werden muss. Nachuntersu-chungsergebnisse bezüglich einer ho-hen sportlichen Belastbarkeit nachoperativen Interventionen an der M.-tibialis-posterior-Sehne (Transfer) sindnur als Kasuistiken publiziert (Porteret al. 1998). ]

Literatur Frey, C., M. Shereff, N. Greenidge (1990): Vascularity of

the posterior tibial tendon. J Bone Jt Surg 72-A: 884-888Gazdag, A.R., A. Cracchiolo (1997): Rupture of the posteri-or tendon. J Bone Jt Surg 79-A: 675-680Holmes, G.B., Jr., R.A. Mann (1992): Possible epidemiologi-cal factors associated with rupture of the posterior tibialtendon. Foot Ankle 13: 70-79Lohrer, H. et al. (2005): Einlagenversorgung mit Prinzip,Orthopädieschuhtechnik 10/2005, S. 22–27.Johnson, K.A. (1995): Posterior tibial tendon. In: D.E. Bax-ter: The foot and ankle in sport. Mosby, St. Louis: 43-51 Johnson, K.A., D.E. Strom (1989): Tibialis posterior tendondysfunction. Clin Orthop 239: 196Kitaoka, H.B., Z.P. Luo, K.-N. An (1997): Effect of the po-sterior tibial tendon on the arch of the foot during simula-ted weightbearing: biomechanical analysis. Foot Ankle Int18: 43-46

Loncarich, D.P., M. Clapper (1998): Dislocation of PosteriorTibial Tendon. Foot Ankle Int 19: 821-824Mann, R.A. (1993): Flatfoot in adults. In: R.A. Mann andM.J. Coughlin: Surgery of the Foot and Ankle, ed. 6, Mosby,St. Louis: 757-784Pomeroy, G.C., R.H. Pike, T.C. Beals, A. Manoli (1999): Ac-quired flatfoot in adults due to dysfunction of posterior ti-bial tendon. J Bone Jt Surg 81-A: 1173-1182Porter, D.A., D.E. Baxter, Th.O. Clanton, Th.E. Klootwyk(1998): Posterior tibial tendon tears in young competitiveathletes: two case reports. Foot Ankle Int 19: 627-630

Der Beitrag entstammt dem Werk „Orthopä-die und orthopädische Chirurgie“ von CarlJoachim Wirth (Hrsg.), Stuttgart 2002, S. 511–512. Nachdruck mit freundlicherGenehmigung des Thieme Verlages.

● ● Anschrift des Verfassers:siehe Beitrag ab Seite 22