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Der Schmerz(1995) 9:1-2 Springer-Verlag1995 M. Zenz ,,Schmerz" in Publikationen Der Schmerz erscheint jetzt im neunten Jahrgang. Und bevor das erste Jahrzehnt vollendet wird, ist es viel- leicht einmal Zeit, etwas nachzudenken. ,,Schmerz" ist glticklicherweise inzwischen ein Thema in der Medizin. Davon zeugen die gewachsene Aufmerksamkeit der Of- fentlichkeit, der Politik, der Zeitschriften und nicht zu- letzt unserer Patienten. Schmerzkliniken sind entstan- den, wo vor 20 oder auch vor 10 Jahren Pioniere noch bel~chelt wurden. Selbst die Diskussion um Morphium und Opioide ist aus dem Dunstkreis der ,Szene" ge- rtickt worden, und es hat sich schon das erste Bundes- land gefunden, das ftir eine Abschaffung der BtMVV pl~diert hat. Vor 10 Jahren noch geradezu undenkbar und zwangslaufig im Bereich von Utopie angesiedelt. Die Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmer- zes hat mittlerweile tiber 1000Mitglieder; ,,Der Schmerz" hat inzwischen tiber 2000 regelm~Bige Abon- nenten; Schmerztherapie ist Examensfach; die Ersatz- kassen haben bundesweit die Schmerztherapie aner- kannt. Aber nicht nur Sonnenschein, sondern auch Schat- ten. Eine Medline| - Analyse der letzten 6 Jahre zum Yhema ,,Schmerz" im Titel der Arbeit ergibt ftir man- then vielleicht ein fiberraschendes, auf jeden Fall ftir die Deutschen und Osterreicher ein entt~iuschendes Bild. 1994 kamen die meisten Publikationen aus den USA, und Deutschland liegt hinter GroBbritannien auf dem dritten Platz. Ein scheinbar gutes Ergebnis. Doch be- zieht man die Anzahl der Publikationen einem Rechen- konzept von Eldor folgend [1, 2] auf die Anzahl der Arzte in den betreffenden L~indern, ergibt sich pl6tz- lich ein v6llig anderes Bild. Die USA finden sich dann auf Platz 8, Deutschland auf Platz 13 und Osterreich M. Zenz ( ~ ) Klinik fur An~isthesiologie, Intensiv-und Schmerztherapie, Berufsgenossenschaftliche Kliniken,,Bergmannsheil" Universit~itsklinik, Btirkle-de-la-Camp-Platz1, D-44789 Bochum auf Platz 15. Auf den ersten 3 Pl~itzen liegen die skandi- navischen L~inder D~inemark, Schweden, Finnland. Deutschland dagegen hat seit 1989 nie besser als auf Platz 11 gelegen. (Tabelle 1) Die USA haben seit 1989 nicht auf den ersten 5 Pl~it- zen gelegen; Finnland, D~inemark und Schweden haben seitd989 die ersten 3 Pl~itze nicht verlassen. Das ist tibri- gens auch im Bereich der An~isthesie so [2]. Osterreich lag 3mal vor Deutschland unter den ersten 10. Oberraschend vielteicht auch, dab Japan nie vor Deutschland lag. (Tabelle 1) Das andere deutschspra- chige Land, Schweiz, lag tibrigens nie .s.chlechter als auf Platz 7. In Finnland hat 1994 von 330 Arzten jeweils ei- ner tiber Schmerz geschrieben. In Deutschland kommt eine Publikation tiber Schmerz auf 3193 ,~rzte, ein 10fach schlechteres Verhfiltnis. ,,Schmerz" ist allem Anschein nach in den drei skan- dinavischen L~indern ein Thema von gr6Berem Interes- seals bei uns. Dies hat sich in den letzten Jahren nicht ver~indert, auch nicht bei dem eingangs erw~ihnten wachsenden Interesse an Schmerz und Schmerzthera- pie. Es sollte vielleicht zum Nachdenken AnlaB geben. Unsere Zeitschrift Der Schmerz ist leider noch nicht in Current Contents ~ oder Medline | aufgenommen. Dann g~ibe es durchschnittlich 40 Publikationen mehr aus Deutschland und Osterreich. Wir mtissen uns alle weiter bemtihen, durch wachsende Qualit~it und Aktua- lit~it der Ver6ffentlichungen zu diesem Ziel beizutragen. Doch sollen auch die Beitr~ige in Der Schmerz ein- mal einer Betrachtung unterzogen werden. Bei Analy- se der Beitr~ige von 1993 und 1994 zeigt sich folgendes Bild: 87 % aller Beitr~ige stammen von klinisch t~itigen Arzten oder Psychologen. Nur 13% der Beitr~ige kommt aus theoretischen Instituten (Physiologie, Phar- makologie, Anatomie). Das erscheint angesichts der ForschungsfOrderung im Bereich Schmerz quantitativ gering. Uberraschenderweise sind vor allem die operati- ven Disziplinen stark vertreten. Allein die An~isthesi- sten stellen 42 % aller Publikationen der beiden letzten

“Schmerz” in Publikationen

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Page 1: “Schmerz” in Publikationen

Der Schmerz (1995) 9:1-2 �9 Springer-Verlag 1995

M. Zenz ,,Schmerz" in Publikationen

Der Schmerz erscheint jetzt im neunten Jahrgang. Und bevor das erste Jahrzehnt vollendet wird, ist es viel- leicht einmal Zeit, etwas nachzudenken. ,,Schmerz" ist glticklicherweise inzwischen ein Thema in der Medizin. Davon zeugen die gewachsene Aufmerksamkeit der Of- fentlichkeit, der Politik, der Zeitschriften und nicht zu- letzt unserer Patienten. Schmerzkliniken sind entstan- den, wo vor 20 oder auch vor 10 Jahren Pioniere noch bel~chelt wurden. Selbst die Diskussion um Morphium und Opioide ist aus dem Dunstkreis der ,Szene" ge- rtickt worden, und es hat sich schon das erste Bundes- land gefunden, das ftir eine Abschaffung der BtMVV pl~diert hat. Vor 10 Jahren noch geradezu undenkbar und zwangslaufig im Bereich von Utopie angesiedelt. Die Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmer- zes hat mittlerweile tiber 1000Mitglieder; ,,Der Schmerz" hat inzwischen tiber 2000 regelm~Bige Abon- nenten; Schmerztherapie ist Examensfach; die Ersatz- kassen haben bundesweit die Schmerztherapie aner- kannt.

Aber nicht nur Sonnenschein, sondern auch Schat- ten. Eine Medline | - Analyse der letzten 6 Jahre zum Yhema ,,Schmerz" im Titel der Arbeit ergibt ftir man- then vielleicht ein fiberraschendes, auf jeden Fall ftir die Deutschen und Osterreicher ein entt~iuschendes Bild.

1994 kamen die meisten Publikationen aus den USA, und Deutschland liegt hinter GroBbritannien auf dem dritten Platz. Ein scheinbar gutes Ergebnis. Doch be- zieht man die Anzahl der Publikationen einem Rechen- konzept von Eldor folgend [1, 2] auf die Anzahl der Arzte in den betreffenden L~indern, ergibt sich pl6tz- lich ein v6llig anderes Bild. Die USA finden sich dann auf Platz 8, Deutschland auf Platz 13 und Osterreich

M. Zenz (~) Klinik fur An~isthesiologie, Intensiv- und Schmerztherapie, Berufsgenossenschaftliche Kliniken ,,Bergmannsheil" Universit~itsklinik, Btirkle-de-la-Camp-Platz 1, D-44789 Bochum

auf Platz 15. Auf den ersten 3 Pl~itzen liegen die skandi- navischen L~inder D~inemark, Schweden, Finnland. Deutschland dagegen hat seit 1989 nie besser als auf Platz 11 gelegen. (Tabelle 1)

Die USA haben seit 1989 nicht auf den ersten 5 Pl~it- zen gelegen; Finnland, D~inemark und Schweden haben seitd989 die ersten 3 Pl~itze nicht verlassen. Das ist tibri- gens auch im Bereich der An~isthesie so [2]. Osterreich lag 3mal vor Deutschland unter den ersten 10.

Oberraschend vielteicht auch, dab Japan nie vor Deutschland lag. (Tabelle 1) Das andere deutschspra- chige Land, Schweiz, lag tibrigens nie .s.chlechter als auf Platz 7. In Finnland hat 1994 von 330 Arzten jeweils ei- ner tiber Schmerz geschrieben. In Deutschland kommt eine Publikation tiber Schmerz auf 3193 ,~rzte, ein 10fach schlechteres Verhfiltnis.

,,Schmerz" ist allem Anschein nach in den drei skan- dinavischen L~indern ein Thema von gr6Berem Interes- seals bei uns. Dies hat sich in den letzten Jahren nicht ver~indert, auch nicht bei dem eingangs erw~ihnten wachsenden Interesse an Schmerz und Schmerzthera- pie. Es sollte vielleicht zum Nachdenken AnlaB geben.

Unsere Zeitschrift Der Schmerz ist leider noch nicht in Current Contents ~ oder Medline | aufgenommen. Dann g~ibe es durchschnittlich 40 Publikationen mehr aus Deutschland und Osterreich. Wir mtissen uns alle weiter bemtihen, durch wachsende Qualit~it und Aktua- lit~it der Ver6ffentlichungen zu diesem Ziel beizutragen.

Doch sollen auch die Beitr~ige in Der Schmerz ein- mal einer Betrachtung unterzogen werden. Bei Analy- se der Beitr~ige von 1993 und 1994 zeigt sich folgendes Bild: 87 % aller Beitr~ige stammen von klinisch t~itigen Arzten oder Psychologen. Nur 13% der Beitr~ige kommt aus theoretischen Instituten (Physiologie, Phar- makologie, Anatomie). Das erscheint angesichts der ForschungsfOrderung im Bereich Schmerz quantitativ gering. Uberraschenderweise sind vor allem die operati- ven Disziplinen stark vertreten. Allein die An~isthesi- sten stellen 42 % aller Publikationen der beiden letzten

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Tabelle 1 Publikationen mit dem Stichwort ,,Schmerz" im Titel; Medline%Analyse. Die Zahl der .~rzte wurde dem Editorial von Eldor entnommen [2]. Sie m6gen sich inzwischen verschoben haben, das Verh~iltnis bei der Berechnung wird aber dadurch wahrscheinlich nicht beeinflul3t

Lander Arzte A B A B A B insgesamt 1989 [ % ] 1992 [ % ] 1994 [ %]

Finland 9 922 24 0,24 29 0,292 30 0,302 D~inemark 13 691 21 0,15 27 0,197 37 0,270 Schweden 26 763 38 0,14 54 0,202 52 0,194 Schweiz 19 000 12 0,063 18 0,0947 29 0,153 England 90813 93 0,10 116 0,127 108 0,119 Norwegen 13 067 6 0,046 10 0,0765 17 0,130 USA 615 618 454 0,074 454 0,0737 538 0,087 Canada 59 767 55 0,092 63 0,105 56 0,094 Niederlande 36 285 17 0,047 39 0,107 25 0,069 Australien 38 469 11 0,029 33 0,0857 31 0,081 Belgien 31297 12 0,038 14 0,0447 16 0,051 Deutschland 229 908 40 0,017 73 0,0317 72 0,031 Frankreich 140 434 30 0,020 51 0,0363 45 0,032 0sterreich 21531 6 0,028 3 0,0139 3 0,014 Italien 247 948 36 0,014 40 0,0161 48 0,019 Japan 203 640 16 0,0078 33 0,0162 29 0,014 Spanien 143 215 8 0,0056 15 0,0104 21 0,014

A, Publikationen; B, Publikationen/Arzte

Tabelle 2 Anzahl Publikationen in Der Schmerz, Erstautoren nach Disziplinen

1993 1994

An~isthesie 15 17 Anatomie 1 - Chirurgie 1 1 Innere Medizin 1 2 Neurologie 5 2 Neurochirurgie 1 2 Niedergelassene - 2 Pharmakologie 5 - Physiologie 4 - Psychologie 7 4 Varia 2 4

Jahre. Psychologen nehmen in dieser Reihenfolge den zweiten Platz ein. (Tabelle 2)

Ein ~ihnliches Bild ergibt eine Analyse der Beitr~ige des letzten Jahreskongresses in Dresden [3]. Die theore- tischen F~icher stellen zusammen nur knapp 13 % der Beitr~ige. An/~sthesisten waren mit 31% und Psycholo- gen mit 17 % der Beitr~ige vertreten. Bei einem Kon- gress mit dem Schwerpunktthema ,,Schmerzen des

Bewegungssystems" waren Orthopfiden, Neurologen und Neurochirurgen tiberraschend schwach vertreten.

Die dargestellten Zahlen belegen eine gewisse Dis- krepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit in der Schmerztherapie. Manche vehementen Rufer nach ei- nem Alleinvertretungsanspruch in der Schmerzthera- pie - aber auch ebenso manche Rufer ftir Inter- disziplinarit~it - mt~ssen sich fragen lassen, wo ihre Pu- blikationen bleiben, oder wo das breite Spektrum yon interdisziplinfirer Arbeit in den publizierten Beitr~igen bleibt.

Der Schmerz erscheint in einem neuen Bild, und soll in diesem Jahr statt mit 4 Ausgaben 6mal erscheinen. Es ist also reichlich Gelegenheit, neue Ans~itze, neue Methoden oder Medikamente vorzustellen. Ich wtin- sche mir fur die Zukunft mehr Grundlagenarbeiten, mehr iiber neue Methoden und Ans~itze, mehr Diskussi- on - vielleicht auch mehr Widerspruch und Zuspruch. Verlag und Schriftleitung bemiihen sich, wie Sie an den publizierten Zeitpunkten sehen, um rasche und aktuel- le Bearbeitung.

M. Zenz, Bochum

Literatur

1. Eldor J (1993) Geography of medical publication. Lancet I: 634

2. Eldor J (1994) Geography of an- aesthesiology publication. Acta An- aesthesiol Scand 38:409

3. Der Schmerz (1994) 8: [Suppl 1]