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Schreibaffären

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Sie wollten schon immer einmal wissen, wie und wo Autoren ihre Inspiration erhalten? Man nehme eine Portion Frühlingserwachen, eine Pistole oder einen Kommunikator und schon gibt es eine Fehlbesetzung am Richard-Wagner-Platz. Ein berühmter Detektiv beschäftigt sich mit rauchenden Adlern, mancher Poet verfällt in einen Goldrausch oder klärt Morde literarisch auf. Schuldig ist nie der Autor – er ist unfehlbar und genial! Droht dennoch eine Schreibblockade, können Sie als Leser diese lösen. Aber keine Angst: Alles nur ein Spiel!

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek. Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

1. Auflage April 2013

© 2013

art&words – verlag für kunst und literaturZerzabelshofstraße 41, D-90480 Nürnberg

Homepage: http://art-and-words.de Twitter: http://twitter.com/#!/art_and_words

Facebook: http://www.facebook.com/artandwords

Lektorat: Ursula Schmidt-Spreer und Kerstin Lange

Umschlaggestaltung: Peter R. Hellinger

ISBN 978-3-943140-32-3 (pdf ) Auch als Print erhältlich.

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Inhalt

Anne Hassel Wolfs Gedanken Kerstin Lange Fantasiegeschichten Ursula Schmid-Spreer Ein besonderes Geschenk Simone Jöst Schreib! Josef Rauch Mörderischer Frühling Alex Conrad Der Buchliebhaber Dolores Pieschke Ballade vom armen Poeten zu Nürnberg Gerald Kaliwoda Carpe Diem Michael Kress Fehlbesetzung Florian Sußner Richard-Wagner-Platz Paul Pfeffer Frühlingslyrik Volkmar Kuhnle Der rauchende Adler Maike Frie Kopfsache Doris Preusche Nichts für Weicheier Gabriela Bley Waagrecht und senkrecht Sonja Birkhofer-Hoffmann Ich bin genial Petra Scheuermann Die heilende Kraft der Suggestion Leonhard F. Seidl Goldrausch Ella Daelken Koinzidenz Anna Banfhile Mord literarisch gelöst Klaus Köllisch Frühlingserwachen Jennifer Mürmann Zwischenmenschliche Begegnungen Jürgen Edelmayer Habermann Elisabeth Gerber Hasas Äpfelchen Katrin Langmuth Quallenburger Roy Francis Ley Die Verführung eines Schriftstellers Ludwig Dippold Alles nur ein Spiel Dirk Mühlinghaus Die Stimmen der toten Dichter Elisa Knoener Den Frühling sehn Günter Wirtz Der Mann mit dem Gedicht Claudia Luz Zehn toughe Schreiberlein Kriminalinski Nürnberger Himmelfahrtskommando Anja Rechenbach Nürnberger Papierrosen Brigitte Vollenberg Tödliche Emanzipation Olga Baumfels Das Loblied des Schuhmachers Autorenvita

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Anne Hassel

Wolfs Gedanken„Na, wohin so eilig, Kleine“, fragte der Wolf und versperrte dem Mädchen den Weg. „Das geht dich gar nichts an“, antwortete dieses zickig und versuchte sich an dem großen Tier vorbeizudrängen.

„Halt! Wie sprichst du denn mit mir? Weißt du nicht, dass man höf-lich und respektvoll mit anderen umzugehen hat?“ Noch immer rückte der Wolf keinen Zentimeter zur Seite. „Und außerdem, wie siehst du denn aus? Du bist doch schon zehn Jahre alt, wenn ich mich recht er-innere. Deine Großmutter sagte es vor nicht allzu langer Zeit. Also – in dem Alter noch mit solch einem roten, albernen, unmodernen Käpp-chen herumzulaufen, das wäre mir zu dumm!“

„Rot! Albern! Unmodern! Du hast keine Ahnung! Rot ist die absolute Trendfarbe in diesem Jahr, albern bist du, weil du mir den Weg ver-sperrst und unmodern ist nur dein Fell – grau, zottelig und unansehn-lich. Außerdem finde ich es heute, obwohl Frühling ist, noch ziemlich kalt und ich möchte nicht krank werden und dann eventuell einmal so alt aussehen wie du! Also, troll dich endlich!“, fauchte das Mädchen.

„Gut, du hast gewonnen“, ant wortete der Wolf. „Aber verrate mir mal, wo du so schnell hingehen möchtest. Deine Großmutter ist nicht in ihrem Haus, das habe ich vorhin schon herausgefunden, als ich sie kurz besuchen wollte. Natürlich nur zu einem Plausch, wie du dir sicherlich vorstellen kannst. Sie sei mit ihren Freundinnen zu einem Wellness-wochenende nach Nürnberg unterwegs, berichtete mir der Förster, den ich wenig später traf. Bestimmt kennst du auch diese große Stadt mit der interessanten Burg, dem Sinwellturm und vielen anderen berühmten Sehenswürdigkeiten. Wie ich weiter erfahren habe, wird deine Groß-mutter erst in ein paar Tagen zurückkommen.“

„Ich weiß! Deshalb hat sie ja auch ihr Haus während dieser Zeit ver-mietet.“ „Vermietet?“ Der Wolf kam dem Mädchen gefährlich nahe und es wich zurück.

„Für ein Autorentreffen. Siehste, das ist dir nicht bekannt.“ „Autorentreffen?“, fragte der Wolf.

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Kerstin Lange

Fantasiegeschichten„Das Zimmer ist noch nicht fertig. Ihr Gepäck nehme ich gerne in Ver-wahrung. Eine gute Stunde dauert es“, sagte die Rezeptionistin und reichte mir einen Stadtplan. „Nutzen Sie die Frühlingsluft für einen Spaziergang.“ Sie lachte über das ganze Gesicht.

Der Stadtplan war überflüssig. Ich kannte Nürnberg, war hier auf-gewachsen und zur Schule gegangen, bis ich an den Niederrhein zog. Ich ging geradeaus, ließ mich treiben, wollte sehen, wie sich die Stadt im Laufe der Jahre verändert hatte. Ich betrachtete die Menschen, vertrieb mir die Zeit mit Beruferaten. Wer war Autor? Wen würde ich auf dem morgigen Autorentreffen wiedersehen? Vielleicht diesen Mann, der gerade an einem Würstchenstand ein Paar Nürnberger Bratwürstl ver-langte. Er sah aus wie ein Künstler. Trug rote Socken zu seinen braunen Lederschuhen. Ständig schaute er sich um und beobachtete die Menschen. Bestimmt dachte er sich Geschichten aus. So, wie ich es auch immer tat. Aber vielleicht war er auch ein Taschendieb? Ich stellte mir vor, wie ich auf ihn zu ging, laut Diebstahl rufen würde und er sich ertappt fühlte. Ich grinste, schüttelte dann aber den Kopf. Ich hatte viel zu viel Fantasie. Schon immer gehabt. Es machte alles etwas erträglicher, wenn es mal nicht so lief, wie man es sich wünschte.

Um mich herum herrschte ein Stim mengewirr in vielen unterschied-lichen Sprachen. Immer wieder stieß ich gegen jemanden, entschul digte mich mehrfach und bog schließlich genervt in eine Seitenstraße. Nach ein paar Metern lag die Pegnitz vor mir. Ich blieb stehen, als ich eine Bank erblickte, und nahm Platz.

„Ein schöner Tag“, hörte ich plötzlich eine Stimme neben mir. Ich drehte mich um und sah einen älteren Herrn, der sich ebenfalls setzte. Auf den ersten Blick wirkte er ganz normal, erst auf dem Zweiten bemerkte ich drei Plastiktüten, die er krampfhaft neben sich hielt, den säuerlichen Ge-ruch, der von ihm ausging. Die fleckige Hose, die bessere Zeiten gesehen hatte. „Ja“, antwortete ich, „ein schöner Tag.“ Die anschließende Stille war nicht unangenehm. Wir saßen und schauten. Alles war gut.

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Ursula Schmid-Spreer

Ein besonderes GeschenkZögerlich betrat Nina den Laden. Nur mal schauen, nichts kaufen, dachte sie. Das Geld war knapp, denn als Zimmermädchen verdiente sie nicht viel. Es roch angenehm nach Rosen. Im Hintergrund hörte sie leise klassische Musik.

„Wie schön Ihr Laden ist – so schön.“Ninas Augen leuchteten. Der Verkäufer nickte geschmeichelt. Der

Mann erinnerte sie an ihren Großvater. Stämmig war dieser gewesen, groß gewachsen und sein weißes Haar reichte ihm bis zum Kinn. Interessante Geschichten konnte Opa erzählen.

„Ich möchte auch solche Geschichten schreiben können, Opa. Hilfst du mir dabei?“

Ninas Großvater ermunterte sie immer wieder, ihre Erlebnisse aufzu-schreiben und an ihrem Schreibstil zu feilen. Sie hatte schon mehr als zehn Geschichten an diverse Zeitschriften geschickt. Bisher waren alle abgelehnt worden. Nina seufzte tief.

„Wir geben uns Mühe“, holte sie der Verkäufer aus ihren Gedanken. „Sehen Sie sich ruhig um.“

Sie bewegte sich vorsichtig zwischen all den hübschen Dingen. Wie eine geschmückte Puppenstube sah das Geschäft aus. Altes und Neues harmonierten miteinander. Achtsam nahm sie einen Kugelschreiber. Er wirkte wie eine altmodische Feder, lag leicht in ihrer Hand. Zu teuer für sie.

„Dieses Kästchen hier ist im Angebot. Ist es nicht großartig? Was es wohl verbirgt?“ Der Mann tat geheimnisvoll.

Nina betrachtete das Kästchen entzückt. Mit Ehrfurcht machte sie es auf. Die Kiste war mit rotem Samt ausgeschlagen. Ein Brief lag darin. Braunstichiges altes Papier, verschnörkelte Handschrift, Sütterlin. Ein Liebesgedicht, die Worte berührten sie. Behutsam legte sie den Brief zurück und schloss das Kistchen.

Sie sah auf den Preis. „Ich kann es mir leider nicht leisten.“ Sie stellte das Kästchen fast zärtlich auf die Anrichte zurück.

„Vielen Dank.“ Nina wandte sich zum Gehen.

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Simone Jöst

Schreib!Zehn Minuten. Das sind sechshundert Sekunden, die mir bleiben, um meine Haut zu retten. Die Zeit ist viel zu knapp bemessen. Meine Finger zittern. Mir wird übel, wenn ich daran denke, was mein Versagen auslösen wird. Die goldene Feder des Füllers ruht auf dem linierten Papier, bereit den Schwüngen meiner Hand zu folgen, Linien und Striche niederzu-schreiben, die sich auf wundersame Weise zu einem Ganzen fügen sollen. Doch anstatt zu tun, was von mir verlangt wird, starre ich auf den leeren Briefbogen vor mir und kann keinen klaren Gedanken fassen.

„Mach schon!“, brüllt der Mann hinter mir und drückt den Lauf seiner Pistole fester gegen meinen Kopf. Er riecht nach Schweiß und Alkohol. Sein Gestank und die Angst, dass ich den Nachmittag nicht überleben werde, machen es mir unmöglich Worte zu formulieren, die ihren Sinn erfüllen sollen. Totenstarre.

„Schreib endlich!“ Der Lauf der Pistole wandert an meine Schläfe. Ich kann die Waffe

aus dem Augenwinkel sehen. Kaltes Metall, das mich sekundenschnell zu kaltem Fleisch verwandeln wird, wenn ich nicht gehorche.

„Bitte, verstehen Sie doch, ich ... ich kann das nicht“, wimmere ich und wende den Kopf in Richtung meines Peinigers, schaue ihn flehent-lich an und weiß, dass er nicht auf mich hören wird. Ich will nicht sterben. Die geforderten Buchstaben sträuben sich in meinem Geist. Sie weigern sich eine Einheit zu bilden und wie kleine Soldaten in Reih und Glied tapfer über das Papier zu marschieren, Spuren zu hinterlassen, die alles verändern könnten. Mein Blick schwenkt zur Wanduhr hinüber. Mir bleiben nur noch neun Minuten.

„Du sollst schreiben, habe ich gesagt“, drängt der Mann und bohrt die Pistole noch fester gegen meine Schläfe. Ich kneife die Augen zu-sammen und ziehe die Schultern ein wenig in die Höhe, darauf gefasst dem Tod jeden Moment gegenüberzutreten. In meiner Fantasie streift dessen eisiger Atem bereits um meinen Hals. Mir läuft ein Schauer über den Rücken.

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Josef Rauch

Mörderischer FrühlingIch saß im Chefsessel hinter meinem Schreibtisch und aalte mich in den ersten Strahlen der Frühlingssonne, die durch das Fenster herein drangen. Gerade als ich einen kräftigen Schluck aus der Pulle nahm, betrat ein junger Mann mein Büro. Er hatte einen schlurfenden Gang, eine nach vorne gebeugte Körperhaltung mit herabhängenden Schultern, und war blass und schmächtig. Er trug Klamotten, die schon vor zwanzig Jahren aus der Mode waren, sowie eine Brille, der man ansah, dass er dafür keinen Cent dazu bezahlt hatte. Sein schütteres Haar hing ihm wirr ins Gesicht. Er sprach mit einer piepsigen Fistelstimme.

„Guten Tag. Sind Sie Privatdetektiv Philipp Marlein?“Ich stellte die Thermoskanne zurück auf den Schreibtisch und nickte

bejahend. Er platzierte sich mir gegenüber auf meinem Klientenstuhl, ohne dass ich es ihm angeboten hätte.

„Ich bin Krimi-Autor und bräuchte ein paar Informationen von Ihnen.“„Krimi-Autor? Was haben Sie denn veröffentlicht?“„Noch nichts. Ich arbeite gerade an meinem Erstlingswerk. Aber ich

habe alle verfügbaren Ratgeber zum Thema Wie schreibe ich einen Kriminalroman? gelesen. Ich weiß also voll Bescheid. Wichtig ist zum Beispiel ein packender und mitreißender Titel, der den Leser anspricht. Mein Roman wird Mörderischer Frühling heißen.“

„Was soll denn daran ansprechend sein?“„Die Widersprüchlichkeit! Frühling assoziiert man automatisch mit

Leben, Liebe und Wärme. Und ausgerechnet davor das brutale Ad-jektiv mörderisch, das für Tod, Hass und Kälte steht – das wird niemanden gleichgültig lassen.“

„Und Ihr Krimi spielt hier in Fürth?“„Um Gottes willen, nein! Wo denken Sie hin? Mit Fürth-Krimis holen

Sie keinen Hund hinter dem Ofen hervor. Fürth ist viel zu friedlich als erwiesenermaßen sicherste Großstadt in ganz Deutschland. Nein, er spielt natürlich in Nürnberg. Nürnberg ist die sündige Metropole, der

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Alex Conrad

Der BuchliebhaberAls der Raumgleiter aus dem Wurmloch trat und die vom Frost weiß überzogene Erde in Sicht kam, hüpfte Scribil vor Freude von seinem Sitz. Endlich durfte er den Planeten seiner Vorfahren betreten. Er überprüfte den Ladezustand des Geo-Erfassers und gab die Koordinaten von Nürnberg ein. Anschließend nahm er seine Ausrüstung, verstaute sie in der solarbetriebenen Landefähre und schwebte zur Erde.

Nach der Landung richteten sich die Solarsegel zur hochstehenden Frühlingssonne. Mit einem Blick auf das Thermometer hakte Scribil den Thermokragen ein, schnappte seine Tasche und begab sich ins Freie. Sein Atem bildete Dampfwölkchen um sein Gesicht und die Eiskrusten knirschten unter seinen Schritten. Aktuell herrschten nur einundzwanzig Grad minus, was der Polverschiebung zu verdanken war; so wurde der Frühling zum Sommer.

In maximal zehn Tagen musste er seinen Auftrag erfüllen. Danach nähmen die Sonnenstunden schon wieder ab und ein Start der Fähre wäre nicht mehr möglich.

Scribil tippte auf seinem Geo-Erfasser Felsengänge ein und lief los, als sein Kommunikator fiepte. Das Display zeigte einen Anruf des obersten Archivars und Chefs aller Erfasser und Autoren. Hoffentlich musste er nicht abbrechen, bevor es überhaupt begonnen hatte. Zöger-lich nahm er das Gespräch an. „Guten Morgen Archeo. Was gibt es?“

„Hallo Scribil. Der Rat hat beschlossen, dass du ausschließlich die Ge-mälde und Skulpturen erfassen und beschreiben sollst; nicht die Bücher.“

Keine Bücher? Scribil durchfuhr es heiß und er wischte sich mit den Fingern den Schweiß unter seinem Thermokragen vom Hals.

„Aber als Autor ist mir die komplette Sammlung vorbehalten. Immer-hin werde ich anschließend mehr als zwei Jahre mit dem Schreiben darüber befasst sein. Und die Bücher gehören dazu.“

„Der Beschluss steht fest. Gemälde und Skulpturen. Und dafür wirst du bezahlt werden. Also halte dich daran, sonst war das dein erster und letzter Auftrag. Los, an die Arbeit.“

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Dolores Pieschke

Ballade vom armen Poeten zu Nürnbergoder: Wenn der Autor des Frühlings Triebe fühlt

Hört, was in dieser alterwürd’gen Stadt vor Jahr und Tag sich ereignet hat: Es lebte ein junger, gar armer Poet – und wie es armen Poeten so geht – verfasste er immer nur Liebespoeme für Berta, damit sie zum Liebsten Ihn nehme. Doch Berta, die Schöne, doch Berta, die Stolze, die war aus ganz anderem, eisernem Holze.

„Wenn du“, sprach sie laut mit Spott in der Kehle, „willst meinen Körper und meine Seele, so singe mir Lieder von Liebe und Leid! Nur eine Woche, die geb ich dir Zeit, bis Vollmond, dem güldnen, dem ersten im Frühling.“ Das Herz schlug rasend dem armen Jüngling. Er konnte nicht schlafen und konnte nicht essen, war so von der Liebe und Dichtkunst besessen. Bei Vollmond Schlag Zwölf, am Brunnen, dem Schönen, begann er, in Versen von Liebe zu tönen. Bei Vers Nummer eins das Näschen sie rümpfte, beim Zweiten Berta ihn „Schmalzpoet“ schimpfte. Die Worte des Dritten, die ließen sie schweigen. Der Vierte, der klang ihr wie lieblicher Reigen. Der Fünfte war lautere Himmelsmusik. Beim Sechsten, da warf sie den innigsten Blick. Beim Siebten, da stellte die Liebe sich ein. Beim Achten sie sagte: „Ewig“ und „Dein“. Des Dichters Stimme beim neunten Vers stockte,

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Gerald Kaliwoda

Carpe Diem„Die wahren Abenteuer sind im Kopf … im Kopf … und sind sie nicht im Kopf, dann sind sie nirgendwo.“

André Heller hat gut singen. In meinem Kopf war seit Tagen nichts mehr. Ich redete mich mit Frühjahrsmüdigkeit heraus. Die unerwartet kräftigen Sonnenstrahlen der ersten Maiwoche musste mein Körper noch verarbeiten.

Ich saß in meiner Wohnung in der Saubertstraße vor meinem Notebook. Der Cursor blinkte fordernd am Anfang der leeren Seite. Ich hatte das Fenster weit geöffnet. Hyazinthen- und Narzissenduft drang aus dem Garten herein, vertrieb die letzten Gedanken an dunkle Winter-tage. Nur frische, zündende Ideen wollten nicht aufkommen. Für einen Autor ein quälender Zustand.

Und jetzt lenkte mich auch noch diese freche Stechmücke ab. Darf es um diese Zeit schon Mücken geben? Viel leicht als blinder Passagier einer Fern-reise eingeschleppt. Sie ließ sich auf meiner linken Hand nieder, ich hob die Rechte zum Schlag – hielt inne. Sie flog auf, drehte eine kühne Pirouette vor meinem Kopf, lockte mich, ihrem Summen zu lauschen.

Tragen Mücken nicht manchmal Krankheitserreger mit sich? So was hatte ich neulich doch gelesen? Malaria! Fiel mir ein. Weltweit sterben daran etwa eine Million Menschen, hieß es. Diese Krankheit ist tückisch. Be-sonders die Malaria Tropica mit ihren unregelmäßig auftretenden, heftigen Fieberschüben, die einem kaum Zeit zur Erholung lassen. Früher soll die Krankheit sogar hier, in den Flussauen zwischen Nürnberg und Erlangen, heimisch gewesen sein. Aber heute, in unseren Breitengraden?

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Michael Kress

FehlbesetzungMein Zug zurück ging erst am nächsten Morgen. So schlenderte ich durch Nürnbergs Fußgängerzone, genoss die warme Frühjahrssonne. Sah einem einsamen Leseabend im Hotel entgegen. In Höhe einer Lit-faßsäule stolperte ich über meine offenen Schnürsenkel, strauchelte und landete unsanft auf den Knien. Ich stand auf, klopfte mir den Staub von den Hosenbeinen und betrachtete dabei ein Plakat. Es warb für eine Lesung heute Abend, die im Zeitungscafé Hermann Kesten stattfinden sollte. Die untere Hälfte des Plakats war abgerissen.

Ich betrat das Café um halb sieben. Nur wenige Lampen beleuchteten den Raum. An den dunklen Holzvertäfelungen der Wände hingen alte Emaille-Werbetafeln. Aus einem Lautsprecher im Hintergrund erklang Harry Belafonte. Ich setzte mich an einen der Tische. Eine Frau, Mitte fünfzig, trat auf mich zu. Unter einer viel zu großen weißen Schürze trug sie eine Bluse mit Blumenmuster. Sie betrachte mich eingehend.

„Aus welcher Geschichte sind Sie denn entsprungen?“, fragte sie.Was sollte ich darauf erwidern? Ich ignorierte ihre Frage. „Ich hätte gerne einen Kaffee und ein Stückchen Kuchen. Haben Sie

Kuchen?“, fragte ich stattdessen. „Apfelkuchen“, antworte sie. „Das andere können wir ja später klären.“

Damit verschwand sie.Ich sah mich um. Das Café war in einem ehemaligen Kloster ein-

gerichtet worden. Und eine Tür führte in die angrenzende Bücherei. Hinter gotischen Bögen und einer davor angebrachten Glasfront lag ein Garten. Einer der runden Bistrotische im Raum stand separiert. Jemand hatte ein Glas und eine Flasche Mineralwasser bereitgestellt. Ein Buch lag ebenfalls da. Aus Neugier stand ich auf. „Heinrich Böll – Erzählungen“ lautete der Titel. Heinrich Bölls Geschichten hatten mir stets gefallen. Wann war er doch gleich gestorben? Irgendwann in den Achtzigern?

Ich drehte mich um und stand einem grauhaarigen Pfarrer gegenüber. Mit einem gütigen Blick sah er mich an. Seine Hände hielt er wie zum Gebet vor seinem stattlichen Bauch gefaltet. Als er sich setzte, erschien

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Florian Sussner

Richard-Wagner-PlatzEr rasierte sich und summte vor sich hin. Danach kämmte er die kurzen braunen Haare, zog sein einziges Hemd an, dann die schwarze Hose und das Tweed-Jackett. Über seine Lederschuhe ging er schnell mit dem Lappen, bevor er hineinschlüpfte.

Der Kaffee auf seinem Schreibtisch war längst kalt, dennoch trank er die letzten Schlucke und schaltete den PC aus. Der Autor lächelte. Heute früh hatte er in nur drei Stunden sein Tagessoll von genau viereinhalb Seiten erfüllt. Es war gut gelaufen. Die Formulierungen flogen ihm zu wie die gebratenen Tauben im Schlaraffenland. Jetzt stand ihm nur noch das Treffen mit dem Schauspieler bevor, und danach noch ein einziger weiterer Termin. Den Rest des Tages konnte er sich zurücklehnen. Er nahm das Manuskript, steckte es in seine braune Ledertasche und ver-ließ, pfeifend wie ein Schuljunge, das Haus.

Die Putzfrau war heute Morgen da gewesen. Das erkannte der Schau-spieler, als er hinter die Tür sah. Der armlange Schuhlöffel, ohne den er nicht in seine Schuhe kam, befand sich nicht an seinem Platz. Er ließ den Blick durch den Raum schweifen, vorbei am viertürigen Kleiderschrank, am Fenster, zum Bett. Dort, an dessen Fußende, angelehnt wie ein Spazier-stock, sah er ihn. Zum Teufel. Er setzte sich auf das Bett und griff danach.

Verfluchtes Telefonat, er hätte diesem Treffen nie zusagen sollen. Wie alt mochte der Kerl sein? Er hatte sich mit ‚Hallo‘ am Telefon gemeldet, und mit ‚Tschüssi‘ verabschiedet. Unter dreißig, beschloss er. Der Schau-spieler stand auf und schlurfte in die Küche. Die Kaffeemaschine hatte er schon ausgeschaltet, dennoch überprüfte er das noch einmal.

Eines der Werke von diesem jungen Mann hatte vor ein paar Jahren den größten Preis der deutschen Theaterwelt, den Faust, gewonnen, deshalb hielt er sich für einen bedeutenden Theaterautoren. Lächerlich – den Faust hatte nicht sein Stück, sondern der damalige Hauptdarsteller erhalten.

Er schüttelte leicht den Kopf. Warum hatte er am Telefon nicht nach einer Rückrufnummer gefragt? Ihm blieb nichts anderes übrig, als das

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Paul Pfeffer

FrühlingslyrikFriedhelm Brasch liegt vor der Stufe zum Essplatz auf dem Rücken. Die Augen sind geschlossen, die Arme über der Brust verschränkt. Ein fried-liches Bild, das nur durch das Knäuel aus Papier, das aus seinem Mund quillt, gestört wird. Um den Toten herum liegen einige bedruckte Din-A4-Seiten. Kommissar Schrader hebt eine davon auf und wendet sich an Hauptkommissar Fink.

„Hör dir das an: ‚Der Frühling naht, die Knospen sprießen, wir lassen die Gefühle schießen.‘ So was braucht doch kein Mensch.“

„Die literarische Qualität von dem, was Brasch geschrieben hat, ist für uns ohne Bedeutung.“

„Für mich nicht“, brummt Schrader, „ich mag nämlich Gedichte.“„Das habe ich gar nicht gewusst.“„Du weißt eben auch nicht alles. Aber gerade, weil ich Gedichte mag,

habe ich die Machwerke von Brasch nicht ausstehen können. In den Wochenendbeilagen aller Zeitungen im Umkreis von hundert Kilo-metern um Nürnberg waren sie drin.“

„Na und?“Schrader machte ein Gesicht, als habe er gerade in eine Zitrone ge-

bissen. „Frühlingsgedichte, immer nur Frühlingsgedichte. Er machte ja auch nichts anderes.“

„Wie bitte?“„Friedhelm Brasch war der Spezialist für Frühlingslyrik. Egal, ob er

über die Natur, die Gesellschaft, die Liebe oder sonst was schrieb, seine Gedichte waren praktisch immer Frühlingsgedichte. In literarischen Kreisen wurde er auch Knospen-Brasch genannt.“

„Nicht besonders schmeichelhaft.“„Nein, Dichter untereinander können ziemlich giftig sein. Eifer-

süchteleien, Neid, Konkurrenz, diese Sachen. Und Brasch wurde be-neidet, er hatte im Unterschied zu den anderen die allerbesten Kontakte zur Presse, quasi ein Monopol.“

„Woher weißt du denn das?“

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Volkmar Kuhnle

Der rauchende Adler„Sie haben mich nach meiner Meinung gefragt.“ Johann Angermaier nahm seinen Zwicker von der Nase und wandte sich Georg Müller zu, der direkt vor ihm saß. „Lassen Sie es mich mit einem Wort sagen: Ich finde Ihre Gedichte ausgezeichnet.“

Ein Strahlen ging über Georgs Gesicht. Sein Herz machte einen Sprung. Ausgezeichnet hatte der Verleger seine Gedichte genannt! Aus-gezeichnet! War das der Durchbruch, von dem er, Georg, immer ge-träumt hatte? Würde Angermaier, Inhaber des bekannten gleichnamigen Verlagshauses, seine Gedichte drucken? Würde Georg ein berühmter Dichter werden und so der Enge der Provinz entfliehen können? Aber vorher waren noch ein paar Fragen zu klären.

„Danke, Herr Angermaier!“, sagte Georg, „Sie können sich gar nicht vorstellen, wie sehr Ihr Lob mich freut!“

Angermaier lächelte. „Keine Ursache, Herr Müller. Selten habe ich so wunderbare Gedichte gelesen wie Ihre Werke. Die Leser und die Kritiker werden sie lieben!“ Wie Sphärenklänge tönte der letzte Satz in Georgs Ohren. Leser? Sollte das heißen, dass Angermaier seine, Georgs, Ge-dichte tatsächlich drucken wollte? Zaghaft fragte er nach.

„Sicher werde ich sie eines Tages drucken. Ich wäre ein schlechter Ver-leger, wenn ich es nicht täte!“, antwortete Angermaier. Er nahm einen tiefen Zug aus seiner weißen Porzellanpfeife. „Allerdings kann ich Ihre Gedichte so nicht drucken. Etwas fehlt noch.“

Georg stutzte. Was konnte sein Gegenüber nur meinen? Zaghaft fragte er: „Was vermissen Sie, Herr Angermaier?“

Als Antwort tippte der Verleger auf das hellbraune, leicht zerfledderte Notizbuch, das vor ihm lag. „Hier drin stehen neunzig Gedichte, nicht wahr?“ Als Georg dies durch Kopfnicken bestätigte, fuhr Angermaier fort: „In unseren Gedichtbänden befinden sich aber normalerweise hundert Gedichte. Das hier sind also zehn zu wenig.“

Angesichts dieser Äußerung wäre Georg beinahe das Herz in die Hose gerutscht. Sein Leben lang hatte er Gedichte geschrieben, und die

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Maike Frie

KopfsacheHagen rückte seinen Stuhl zurecht und begann zu lesen: Du irrst, hatte der Alte gesagt, der Krieg hat noch lange nicht begonnen. Hier war es gewesen. Genau hier, in diese Vertiefung hatte er auch damals in dem brüchigen Mörtel herumgepult. Sehen konnte man es nicht. Er hatte zwar auf Anhieb die Grotte wiedererkannt, in der er damals mit zwanzig anderen gelangweilten Jugendlichen an den Wänden lehnte, aber die exakte Stelle hatte er unter genauer Beobachtung der Journalistenmeute nur erspüren können. Wie sie sich um ihn gescharrt hatten, als er mit dem Finger über die Wände fuhr und hin und wieder bedauernd den Kopf schüttelte, bis er schließlich freudestrahlend aufjuchzte.

Hagen rückte seinen Stuhl zurecht. Mit der dicken Jacke war es gar nicht so einfach, in einer bequemen Position zu verharren. Doch er musste auf die Zettel auf seinem Pult blicken, die Beine lässig vom Hocker herab-hängen lassen und gleichzeitig die Verbindung zu seiner Stelle in der Wand mit der Zeigefingerspitze aufrechterhalten. Genau das erwarteten sie von ihm. Er hatte nicht vor, den Erwartungen zu widersprechen. Provokationen konnten gut fürs Geschäft sein, aber da er, Hagen, das inspirierte Genie, eine einzige Provokation für den Literaturbetrieb war, hatte er von Anfang an dafür gesorgt, ansonsten nicht weiter anzuecken.

Die Spots waren passend in dem breiten Gang verteilt. Sie ließen sein Gesicht im Dunkeln, sodass seine Stimme durch den Gewölbehall umso unheimlicher klang. Aber sein Finger in der Mauer war deutlich zu erkennen.

Und er konnte die Leute beobachten, über die flackernder Licht-schein von Hunderten von Wandfackeln wogte. Das brauchte er. Sie zu sehen, wie sie geifernd an seinen Lippen hingen, am liebsten von ihren Stühlen gesunken und vor ihm auf die Knie gefallen wären. Für diese Bewunderung, diesen Hype, diese Ergebung hielt er diesen Zirkus gerne aus. Dafür hockte er sich auch bei strahlender Frühlings-sonne in einen finsteren Felsengang, steckte seinen Zeigefinger in ein Mauerloch und las ihnen vor.

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Doris Preusche

Nichts für Weicheier„Sabine“, hat mein Vater immer gesagt, „unser Geschäft ist nix für Frauen. Und“, so fügte er stets augenzwinkernd hinzu, „schon gar nichts für Weicheier.“ Da hat er sich jedoch mächtig getäuscht. Denn während er mit mäßigem Erfolg als Verkäufer von japanischen Gabelstaplern im In- und Ausland unterwegs war, dann zu Landmaschinen wechselte, um sich schließlich als Handelsvertreter von Baggern und Baumaschinen in Nürnberg selbstständig zu machen, lief bei mir von Anfang an alles wie am Schnürchen. Und das, obwohl ich eine Frau bin. Das klingt über-heblich, denken Sie sicher. Mein Vater fand das zuerst auch. Doch vor einer Pleite hat ihn tatsächlich nur mein kluges Köpfchen gerettet.

Was meinen Sie, Herr Löber, wer wohl die geniale Idee hatte, unsere Bagger an gelangweilte Freizeitsüchtige zu vermieten? Besonders die Männer fahren darauf ab. Es ist einfach verrückt. Total verrückt. Man bietet denen nur etwas Action, Spiel und Spaß mit einem echten Bagger und sie geraten komplett aus dem Häuschen.

Und Sie Herr Löber? Sie sind anscheinend auch auf den Geschmack gekommen, was? Ha! Ich kann es Ihnen ansehen. Dieses Glitzern in Ihren Augen … Das verrät Sie! Eine Antwort können Sie sich sparen. Ich kann’s mir eh schon denken, was Sie in mein Büro getrieben hat. Die Knete ist es. Und mein Erfolg.

Und dass Sie von meinem Flyer mit den Abbildungen heißer Mädels die Augen nicht lassen können, das hab ich ebenfalls registriert. Die Fotos sind fast so scharf wie mein erfolgreicher Slogan: Hier baggern attraktive Schönheiten und coole Machos mit Genuss.

Sie müssen zugeben, dass dieser Spruch selbst den ältesten Opa noch hinterm Ofen hervorlockt. Und Sie sind bestimmt aus Ihrem Bastel-keller hervor gekrochen, so blass, wie Sie um Ihre Nasenspitze herum sind. Und nun wollen Sie endlich auch mal im großen Sandkasten baggern. Oder haben Sie ein Kindheitstrauma erlitten, als Ihnen das böse Nachbarkind sein Schäufelchen auf den Kopf gedonnert und Sie aus dem Sandkasten vertrieben hat?

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Gabriela Bley

Waagrecht und senkrechtMan kann es mit freiem Auge nicht erkennen, und, ehrlich gesagt, mir ist das so was von egal. Meinem Nachbarn Nüsslein aber bedeutet es alles: Unsere Wohnsiedlung liegt am neunundvierzigsten Breitengrad. Also neunundvierzig Komma vier sechs null, verläuft exakt durch seinen Garten, geschnitten vom elften Längengrad. Und genau auf der Kante 49,460° zu 11,070° steht Herbert Nüssleins Gartenstuhl und daneben, so dicht, dass sich die Armlehnen berühren, der seiner Gattin Helga.

Was soll das? Eines schönen Tages hab ich ihn danach gefragt und prompt einen umfassenden Vortrag über Zahlen, Verhältnisse und ihren Ordnung gebenden Sinn erhalten, der mit dem unmissverständlichen Wink endete – und dabei ließ Nüsslein missbilligend seinen Blick über das Wirrwarr auf meinem Grund und Boden schweifen –, dass bei mir etwas mehr Akribie nicht inadäquat wäre. Genau so hat er es gesagt: Nicht inadäquat. Blöder Pedant!

Die Geschichte mit den Koordinaten indes ist verblüffend. „Wenn man die Zahlenkonstellation des Längengrades mit vier multi-

pliziert und das Produkt von der des Breitengrades abzieht,“ so Nüsslein gewichtig, „erhält man fünf Komma achtzehn.“

„Aha“, sag ich und guck nur doof.„Na?“ Er malt mit dem Finger die Zahlen in die Luft und wartet, dass

mir ein Licht aufgeht. Mir dämmert nichts.„Das ist meine Hausnummer!“, konstatiert er, wobei er das ganze Ge-

wicht dieser Offenbarung in seine ausgebreiteten Hände legt. „Wow.“„Ordnung ist das halbe Leben, Fräulein.“Tja, die andere Hälfte, die ist dann wohl mein Leben. Ich kann mit

den Koordinaten, der Hausnummer, und von mir aus auch mit meiner Telefonnummer herumjonglieren und rechnen, wie ich will, ich erziele kein adäquates Ergebnis. Genauso wenig, wie ich Ordnung in meinen Garten, in meine Zettelwirtschaft oder meine Gedanken bringe. Bei mir geht immer alles quer. Bin ich deshalb ein Loser? Hach Gott noch mal,

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Sonja Birkhofer-Hoffmann

Ich bin genialIch, das bisher unentdeckte Genie, die künftige Bestsellerautorin, der Kassenmagnet der kommenden Jahre, sitze bei gigantischen Frühlings-temperaturen im Bildungszentrum in Nürnberg und warte auf meine Auszeichnung.Etwa ein Jahr ist es her, als ich in einer Zeit-schrift von diesem Autorentreffen erfuhr. Anlässlich des zehn-jährigen Ju biläums hatte die Or ga ni sa torin einen Ge schich ten-Wett be-werb ausge schrieben. Schlagartig sah ich mich als zweite Joanne K. Rowling. Millionen hat sie gescheffelt mit ihren

„Harry Potter“- Büchern.Meine einst beste Freundin Jessy hat mich ausgelacht, als ich ihr von meiner Teilnahme an diesem Autoren-Wettbewerb erzählt habe. Im Grunde genommen eine bodenlose Frech-heit. Wenn sich nämlich eine Naturbegabung wie ich ein bisschen mit dem Handwerk beschäftigt, dann ist eine Geschichte schreiben ein Klacks. Das predigt übrigens jeder Schreibratgeber, und ich habe drei davon gelesen. Schade, dass Jessy meinen Triumph nicht miterlebt. Andererseits, was will ich mit so einer Freundin?

Die Organisatorin des Treffens schreitet nun mit einem Stapel Papier an den aufgereihten Stühlen vorbei und stellt sich auf ein Podest. Sie wirft

Eingang Bildungszentrum

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Petra Scheuermann

Die heilende Kraft der SuggestionWenigstens einen richtigen Verhörraum hatte ich erwartet und zwei Kommissare, die guter und böser Bulle mit mir spielten. Stattdessen saß ich in diesem mickrigen Büro und musste warten bis Herr Obermeier, ein Endfünfziger mit fahler, ungesunder Gesichtsfarbe, Zeit für mich hatte. Endlich notierte der Polizist meinen Namen und meine Anschrift.

Gleichgültig blickte mich Herr Obermeier an: „Es geht um einen Mord?“ Er war vom Kriminaldauerdienst und sah entsprechend müde aus. Ich nahm all meinen Mut zusammen und presste hervor: „Ich habe meine Schwiegermutter ermordet.“ Jetzt war’s raus.

„Ihre Schwiegermutter?“, fragte der Beamte gelangweilt. „Meine Schwiegermutter und Florian Silbereisen.“Endlich kam Leben in ihn: „Sie haben ihre Schwiegermutter ermor-

det und …“, er machte kunstvoll eine Pause, „und Florian Silbereisen?“ Jetzt sah er mich sehr interessiert an. „Gestern beim Dirndlfest der Volksmusik hat er noch gelebt. Na ja, war wahrscheinlich eine Auf-zeichnung“, der Spott in seiner Stimme war unverkennbar.

„Ja, wahrscheinlich. Aber diesen Volksmusikanten meine ich nicht.“ „Ach, schade eigentlich.“ Sein Interesse an mir war augenblicklich erloschen.

„Florian Silbereisen war der Dackel meiner Schwiegermutter Magda“, sagte ich, um das Ganze zu beschleunigen.

„Der Hund Ihrer Schwiegermutter heißt Florian Silbereisen?“ „Hieß“, verbesserte ich ihn.

„Ja, stimmt, Sie haben ihn ja umgebracht, ihn und Ihre Schwieger-mutter. Wie haben Sie das denn angestellt?“

„Sie sind in den Aufzugsschacht der Seniorenresidenz Am Hauptmarkt gestürzt, erst Silbereisen und dann meine Schwiegermutter.“

„Haben Sie die beiden hinunter gestoßen?“„Natürlich nicht.“

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Leonhard F. Seidl

GoldrauschJonny Bendixen hatte es satt, ein Penner zu sein. Bei Wind und Wetter draußen. Die zerschlissenen Klamotten. Der Fuselgestank. Und die blöden Sprüche der Passanten, wenn er sie um Kleingeld anschnorrte. Vielleicht sollte er doch wieder an den Schreibtisch zurückkehren und in die Tasten hauen? Aber von seinen Krimis konnte er nicht leben, die waren nur zum Sterben gut.

Die sprießenden Knospen, die der Frühling austrieb, ließen ihn an seine Verena denken. Wie gerne wäre er jetzt mit ihr durch die Fränkische Schweiz gewandert, hätte an einem unbeobachteten Plätzchen eine

Decke ausgebreitet und eine Flasche Wein geöffnet.Stattdessen trieb er sich seit Wochen in der Königstraße, um das Admiral-Kino herum, mimte den Penner und spähte den Juwelier-laden Schmidtke aus. Oder besser ge-sagt, die Gewohn-heiten des Sicher-heitsunternehmens FD-Security, das einmal wöchentlich Gold in Millionen-höhe transportierte.

Bei dem Gedanken zuckten Jonnys Mundwinkel vor Freude. Er nahm einen Schluck aus der Wodkaflasche, in der nur Wasser war, und schob sie in die braune Papiertüte.

Das Admiral-Kino in der Königstraße

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Ella Daelken

Koinzidenzoder: Das Zusammentreffen zweier Ereignisse

Motiv, Mittel und Gelegenheit. Die drei großen Pfeiler der Kriminalistik. Für mich als Krimiautor mein täglich Brot. Warum tötet Frau X ihren Mann? Was täuscht sie als Alibi vor? Welche Spuren hinterlässt sie? Gott, es könnte so einfach sein, aber Frau X denkt einfach nicht richtig nach. Und wird natürlich gefasst, so wollen es die Leser – meistens jedenfalls.

Der Vorteil meiner Arbeit als Autor ist, dass ich einen guten Einblick in die Vorgehensweise der Polizei bekomme. Bereitwillig öffnen sie mir ihre Archive, erläutern ihr Vorgehen, führen mich durch die Spuren-sicherung. Kurz, ich habe eine ganze Menge Wissen angehäuft. Genug, um mich gefahrlos um meine Frau zu kümmern. Gefahrlos für mich natürlich.

Heute kann ich noch nicht mal genau sagen, wann es begann. Es lag auch nicht wirklich an ihr, es war eine Phase in meinem Leben, in der ich einfach nicht zufrieden war. Nicht zufrieden mit dem beruflich Er-reichten, nicht zufrieden mit meiner Ehe, nicht zufrieden mit allem. Morgens stand ich auf, schrieb üblicherweise drei Stunden, dann eine Stunde laufen, anschließend wieder an den Schreibtisch. Wenn ich nicht schrieb, war ich auf Lesereise, was noch ermüdender war. Hände schütteln, immer wieder die gleichen Fragen:

Wie sind Sie auf die Idee gekommen? Schreiben Sie intuitiv oder nach Plan? Nehmen Sie Vorbilder aus Ihrer direkten Umgebung? Die Antworten waren je nach Laune verschieden: Aus der Realität.

Es fliegt mir einfach zu. Ja. Ja. Nein. Ja. Ach was soll’s, es war einfach langweilig. Und Greta verbesserte das Ganze nicht gerade. Ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass in jeder Beziehung irgendwann der Punkt kommt, an dem man den anderen nicht mehr respektiert?

Als ich Greta das erste Mal sah, stand sie vor mir in der Mensa-schlange. Es dauerte drei Wochen, dann sah ich sie wieder. Auf einer

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Anna Banfhile

Mord literarisch gelöstGudrun freute sich auch dieses Jahr auf das Autorentreffen an Christi Himmelfahrt in Nürnberg. Der Termin war seit zehn Jahren jeden Mai rot im Kalender angestrichen. Es gehörte zu ihren Highlights des Jahres. Trotz aller widrigen Umstände war sie auf dem Weg. Weder die Drohung ihres Exmannes, die Kinder nicht zu nehmen, noch die Über-schwemmung durch die überlaufende Waschmaschine am Vorabend hatten sie gebremst.

Sie grinste, weil sie noch nicht einmal die Vorstellung zurückgehalten hatte, dass schwelende Streitereien zwischen ihren drei Freundinnen, die sie beim ersten Autorentreffen kennengelernt hatte, wieder aufbrechen könnten. Sie nahm sich vor, ausgleichend zwischen ihnen zu wirken, wie sie es in den gemeinsamen Schreibprojekten auch praktizierte.

Während der Zugfahrt lehnte sie sich im Sessel ganz weit zurück, um die ewig alten Späße der frühen Vatertagsausflügler nicht zu hören. Lieber träumte sie von ihrem Lieblingsmotto Mord literarisch gelöst. Doch das stand auch dieses Jahr nicht auf dem Seminarprogramm. Sie wünschte sich so sehr, dass jemand von der Spurensicherung des LKA über seine aufregende Arbeit berichten würde. Bei diesen Gedanken überlief Gudrun ein wohliger Schauer. Das wäre der ultimative Vortrag, denn sie bemühte sich immer sehr, in ihren Krimis möglichst authentisch zu schreiben.

Nach dem Einchecken in der Pension umarmte sie stürmisch ihre Freundinnen Katja und Annika, die es geschafft hatten, die Zimmer neben ihr zu bekommen.

„Komm lass dich knuddeln“, grinste Annika und umarmte Gudrun, „auch wenn du noch so gemein warst. Dir kann ich nicht lange böse sein.“

Verschwörerisch ließen die Drei ihre Nummernanhänger der Schlüssel aneinanderstoßen. Auf der Party am Abend würden sie los-legen und tanzen, bis die Sohlen glühten. Aber auch das Reden würde nicht zu kurz kommen. Erika, die Vierte im Bunde, war noch nirgends zu sehen. Gudrun winkte kurz und eilte zu den schon versammelten Autoren, um auch dort alle Bekannten zu begrüßen.

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Klaus Köllisch

Frühlingserwachen„Glorreicher Feldherr, als Zeichen unserer Kapitulation reiche ich Euch demütig das Siegel unserer Stadt.“ Maximilian richtete sich im Sattel auf und blickte stolz auf die Nürnberger Burg, die nun ihm gehörte. An-mutig hob er die Hand und sagte würdevoll: „Am Tag dieses großartigen Sieges werden Feinde zu Freunden! Daher erlasse ich, Kronprinz Maximilian von Bayern, folgendes Dekret …“

„Weißt du eigentlich, dass ich immer noch keinen Verlobungsring von dir bekommen habe?“

Iris Stimme ließ Max Inspiration für sein neues Buch wie eine Seifen-blase platzen. Seufzend drehte er sich zu seiner Freundin um. Besser ge-sagt, zu seiner Verlobten. Neuerdings.

In der warmen Frühlingssonne betrachtete Iris das Schaufenster des teuersten Juweliers in Nürnbergs Fußgängerzone.

„Der würde mir gefallen“, sagte sie und zeigte auf einen Ring, den ein hellblauer Edelstein zierte. Verdächtigerweise konnte Max kein Preis-schild entdecken.

„Lass uns mal reingehen“, schlug sie mit diesem besonderen Lächeln vor, das keinen Widerspruch duldete.

Max bekam Angst. Sein Kontostand dümpelte im Minus. Und die zweitausend Euro für den Kreta-Urlaub, die er mit High-Speed-Zerti-fikaten an der Börse verloren hatte, musste er Iris auch noch beichten.

„Meinst du nicht, dass das ein bisschen teuer wird?“ Doch die dunkel getönte Schiebetür schloss sich bereits geräuschlos

hinter Iris. Max eilte hinterher, um das Schlimmste zu verhindern. Warmes Licht. Holzgetäfelte Wände. Weiche Teppiche. Goldener

Schmuck und unbezahlbare Uhren funkelten in kunstvoll aus-geleuchteten Vitrinen. Max drehte sich staunend im Kreis.

„Max. Hier drüben.“ Iris setzte sich mit einer elegant gekleideten Dame an einen Tisch und winkte ihm zu. Schnell lief er durch den Verkaufsraum. Am Nachbartisch ließ sich ein junges Paar goldene Eheringe vorführen.

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Jennifer Mürmann

Zwischenmenschliche BegegnungenWie soll man laufen, wenn die Knie sich anfühlen wie Scharniere, die ihre Schrauben verloren haben? Diese Frage stellte mein Körper mir, während ich versuchte, der Zehn nachzueilen. Ich ging in sicherem Ab-stand und war bemüht, die 10 nicht aus den Augen zu verlieren. Die 10 ging zügig die Fürther Straße entlang. In einer meiner Geschichten hatte ich meine Protagonistin an einem Herbstabend diese Straße entlang schlendern lassen. Gemeinsam mit ihrer großen Liebe. Das war das Ende eines meiner Liebesromane gewesen. Ich schrieb gerne Liebes-geschichten. Viel Emotion, viel Aufregung, etwas Verwicklung; dann das ersehnte Happy End. Gerne verlor ich mich in romantischen Fantasien, um sie mit meinen zahlreichen Lesern zu teilen. Dafür teilten sie ihr Geld mit mir. In Fantasien war die Liebe mir vertraut. Es war ein frischer Frühlingsmittag und ich verhielt mich wie ein kopfloser Teen-ager im Wahn völliger Verliebtheit. Und das als Frau, die schon auf drei-unddreißig Winter zurückblicken konnte.

Ich schüttelte meine braunen Locken und verdrehte meine Augen. Was zum Teufel tat ich hier? Abrupt blieb ich stehen. Ich suchte hastig nach Deckung, denn der Mann in dem schwarzen Pullover mit der 10 auf dem Rücken war stehen geblieben, um sich eine Zigarette anzu-zünden. Ich atmete ein. Für einen kurzen Moment schweißte uns der wehende Frühlingswind durch ein Band aus Zigarettenqualm zu-sammen. Liebe macht nicht blind – sie macht doof, dachte ich an-gewidert angesichts meiner kitschigen Anwandlungen. Ich kannte mich selbst nicht mehr. Eine solche Geschichte könnte man nie schreiben; jeder würde sie als unrealistischen Unsinn abtun.

Es hatte diesen einen Moment gegeben, in dem etwas in mir die Herrschaft über mein Tun übernahm. Es begann heute Morgen ganz harmlos. Im Bildungszentrum wollte ich ein Seminar belegen und mich beim zuständigen Fachbereichsleiter dazu anmelden. Ronny Schellen-

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Jürgen Edelmayer

Habermann„Sind Sie bereit für unser kleines Spiel?“ Habermanns Frage schreckte mich aus meiner Erinnerung. Ich saß auf seiner Wohnzimmercouch und grübelte darüber nach, warum ich mich auf sein wahnwitziges Experi-ment eingelassen hatte. Um mir darüber Klarheit zu verschaffen, rief ich mir unsere gestrige Begegnung ins Gedächtnis zurück.

Ich war gerade von einer Lesereise zurückgekehrt und noch voller Eindrücke. Trotzdem erregte Habermann sofort meine Aufmerksamkeit.

Manchmal fallen einem unter der anonymen Menschenmasse Individuen auf, die sich nicht in das graue Einerlei des Alltags einfügen. Genau so ein Typ war Habermann. Schon seine Art zu gehen, hatte etwas Eigentümliches. Beim Laufen warf er die Arme vor und zurück, was ihn lächerlich erscheinen ließ. So war er aus der Herde eiliger Passagiere, die im Nürnberger Hauptbahnhof die Bahnsteige entlang-hetzten, auf mich zugekommen. An diesem Vormittag hatte er einen verschlissenen braunen Mantel getragen, der vor dreißig Jahren sicher einmal sehr elegant gewesen war. Ich schätzte den Mann auf etwa sechzig Jahre. Als er so vor mir stand, reichte er mir nur bis an die Brust. Dabei bin ich selbst bloß einsfünfundsiebzig groß. Mit seinen grauen Augen, die kalt unter einem Paar buschiger Brauen hervorschauten, hatte er mich kurz gemustert und dann seinen schäbigen Filzhut gelüftet.

„Gestatten, Habermann.“ Ohne mir Gelegenheit zu geben, irgendetwas zu sagen, war er dann

gleich zur Sache gekommen. „Lust auf ein kleines Spielchen?“, fragte er und griff in seine Hosentasche. „Sagt Ihnen das was?“

Direkt vor meiner Nase hielt Habermann eine Figur in der Hand. Eine silberne Statuette, knapp zehn Zentimeter hoch, die eine indische Gottheit darstellte. Ein menschlicher Körper mit einem Elefantenkopf, Alter etwa zweitausend Jahre. Sie war echt, daran gab es keinen Zweifel. Allein Habermanns Behauptung, er habe das Stück während eines Be-suches auf dem Christkindlesmarkt erstanden, wirkte wenig glaubhaft. Kunstraub schien mir wahrscheinlicher.

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Elisabeth Gerber

Hasas ÄpfelchenWie glücklich war ich in jener Stunde unter Küssen und Herzen, als ich Hasas zarte Äpfelchen umfasste, mich bald in ihrem lieblichen Schoss versenkte.

Conrad Celtis (1459-1508)

Vom Hauptmarkt sah der große Dichter Conrad Celtis zur Nürnberger Burg hinauf. Wie jedes Mal, wenn er auf seinen Reisen hier Station machte, war er beeindruckt von der Anmut und der Schönheit dieser Stadt, ganz besonders im Frühling. Seit der Kaiser ihn auf der Burg zum ersten poeta laureatus gekrönt hatte, war er oft zu Besuch in Nürnberg gewesen: Der Maler Albrecht Dürer und der Diplomat und Patrizier Wilhelm Pirckheimer gehörten zu seinen besten Freunden. Die Aussicht auf anregende Gespräche über Kunst, Poesie und Politik, üppige Fest-mahle, die Frau Agnes Dürer zubereiten musste, der gute Wein und das Bier, dem die Männer häufig bis zum Exzess zusprachen, das alles er-füllte ihn mit Vorfreude.

In Dürers Wohnhaus stand die Tür einladend offen. Leise schlich er sich die Stiege hinauf und genoss die bekannte Szene: Trotz der frühen Stunde war in Albrecht Dürers Werkstatt die Arbeit in vollem Gange.

„Nicht die Schweineborsten für die feinen Pinsel, du Dummbeutel“, rief Meister Albrecht seinem Lehrjungen zu. „Wie oft muss ich das noch sagen: Schweineborsten für die groben und Kaninchenhaare für die feinen Pinsel!“ Agnes, die Ehefrau des Meisters, sah derweil dem Gesellen Winfried über die Schulter. Er war dabei, mit dem Mörser Trockenläuse zu Pulver zu zerstampfen, das, mit Eiweiß und Öl ver-mengt, eine schöne rote Farbe ergab.

Verschiedenste Gerüche lagen wie eine Decke über der Werkstatt. Es stank erdig, nach fauligem Obst und verdorbenen Eiern.

„Celtis“, rief Dürer seinem Freund fröhlich zu. „Helft mir an der Presse!“ „Das würde deinen Werken nicht gut tun, Meister Albrecht. Da lass ich schwacher Poet die Finger davon!“

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Katrin Langmuth

QuallenburgerGünter war verstimmt. Vor seinen Augen war Jakob mit einem erstickten Röcheln zusammengebrochen. Seit der ersten Werbeaktion hatte der Teenager das Probieren der neuen Sorten übernommen und die Quallen-burger, wie Günter die Brötchen mit marinierten Meerestieren werbe-wirksam genannt hatte, in rauen Mengen verschlungen. Zuerst nur wegen der kostenlosen Mahlzeiten, später mit Begeisterung verzehrte er sogar den Nomura extrasuperscharf, das Highlight seiner inzwischen zehn Angebote. Jakob war zweifellos einer der besten und treuesten Kunden – gewesen.

Nach seinem Abschluss hatte Günter bald erkannt, dass er als Sozial-pädagoge keine Zukunft hatte. Auch mit seinen – durchaus reizvollen – Gedichten und Kurzgeschichten war der Kühlschrank nicht zu füllen. Einmal durfte er beim Hähnchengrill aushelfen und dieser Job gefiel ihm. Tranchiermesserscharf hatte er geschlossen, dass er sich nur mit erfrischend neuen Ideen eine Nische auf dem Fast-Food-Markt erobern konnte. Ge-fragt war ein Billigprodukt, das sich auch Arbeitslose und Schüler leisten konnten. Die Leute, übersättigt mit Pizza, Döner und Bratwurst, war teten

nur auf ein at trak-tives Angebot wie seines. Eine dän-ische Fischereige-nos senschaft, die hocherfreut war, den Beifang zu Geld machen zu können, lieferte die fangfrischen Qual-len tiefge fro ren.

Die Geschäfte liefen gut, um nicht zu sagen glänzend. Der Standort am östlichen Ufer des Wöhrder Sees war perfekt gewählt, neben den

Zum Glück nicht aus Quallen - Nürnberger Rostbratwürste

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Roy Francis Ley

Die Verführung eines Schriftstellersoder: Wie man Schreibblockaden löst

Mark saß in einer dunklen Ecke in einem Gay Club in der Altstadt von Nürnberg. Es war sein dritter Scotch, den er trank, und wenn er so weiter machte, war es auch nicht der Letzte. Er war am Ende. In zehn Tagen musste er die Rohfassung seines Romans abgeben. Er hatte eine Schreib-blockade. Kein einziger Satz wollte ihm aus den Fingern fließen. Als wäre sein Gehirn in Watte getaucht. Wenn er doch nur mehr Zeit hätte. Doch Zeit hatte er nicht. Zehn Tage, dann war das Spiel aus. Wenn er das Skript nicht fristgerecht ablieferte, verlor er seinen Vertrag.

Mürrisch griff Mark nach seinem Glas und leerte es. Es war unmöglich den Roman zu beenden, solange er sich jeden Satz aus den Haaren ziehen musste. Gereizt donnerte er den Schwenker auf den Tisch. Warum fiel ihm nichts ein? Warum war er nicht fähig etwas zu Papier zu bringen?

„Noch einen Scotch“, rief er.Was machte er nur, wenn er nicht fertig wurde?„Darf ich?“, fragte plötzlich eine fremde männliche Stimme. Bevor

Mark auch nur reagieren konnte, hatte sich der Kerl auch schon zu ihm gesetzt. „Du wolltest noch einen Scotch?“

Mark nickte, starrte auf den neuen Drink, als er die Finger registrierte, die ihm das Glas zuschoben. Junge Hände, manikürte Nägel, ein Hauch von goldblonden Härchen an den Unterarmen. Unvermittelt riss er den Kopf hoch und blickte in ein Paar marineblaue Augen. „Ich …“, stotterte er völlig durcheinander. Der Unbekannte lächelte lässig. „Du sitzt wohl schon länger hier, was?“, fragte dieser. Sein Kopf deutete zu den leeren Gläsern auf dem Tisch, die nicht abgeräumt waren.

Mark folgte der Gestik. Hier stand das Ergebnis seines heutigen Abends. Er hatte den Kellner darum gebeten, sie stehen zu lassen, damit er seinen Suff selbst erkannte. „Ich …“, nuschelte er beschämt.

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Ludwig Dippold

Alles nur ein Spiel„Der Strichcode ist auf meinen Nacken tätowiert!“, flüsterte sie. Sie nahm die Speisekarte und öffnete diese.

„Der Strichcode?“, murmelte ich, „tätowiert auf deinen Nacken?“Als hätte sie darauf gewartet, klappte sie die Speisekarte lautstark zu.

„Ich dulde keine Fragen. Und spiel mir nichts vor, wenn es vorbei ist. Von wegen Liebe und so. Klare Spielregeln, verstanden!“

Noch ehe ich antworten konnte, schreckte mich das dezente Räuspern des schwarz befrackten Kellners auf, der plötzlich hinter ihr auftauchte:

„Haben die Herrschaften gewählt?“ Ihr ernster Gesichtsausdruck verwandelte sich, als sie sich zu ihm

umdrehte. Zwinkernd meinte sie: „Für mich das Übliche, Eduard. Den Herrn muss ich noch beraten.“ Der Kellner verbeugte sich und entfernte sich taktvoll.

„Jetzt aber zur Sache, tu wenigstens so, als ob es dir Spaß machen würde.“ Sie richtete sich auf: „Ich will von dir erobert werden, Flirtfaktor Tausend. Mindestens.“ Mit jedem Wort wich die Schärfe in ihren Ge-sichtszügen. Stahlblaue Augen mit massiv getuschten Wimpern strahlten mich an. Sie warf ihre ultraschwarzen Haare nach hinten, beugte sich über den Tisch und kam mir diesmal bedrohlich nahe. „Für die nächsten Stunden bin ich deine Julia. Gehöre dir. Und Julia versteht es, ihre Un-schuld zu verlieren. Immer wieder von Neuem!“

Dass ich derjenige war, der für alle Zeiten seine Unschuld verlieren würde, ahnte ich damals nicht. „Alles nur ein Spiel!“, so köderte mich Chefredakteur Steffen Weyrauch, als er mich zu diesem Abenteuer über-redete. Zum zehnjährigen Jubiläum unserer Nürnberger Stadtzeitung sollte eine Sonderausgabe erscheinen: Die Liebe im Frühling. Mit spannenden Perspektiven. Auch die Illusion der Liebe sollte beleuchtet werden. Stichwort Escort. Exklusiv und extravagant. „Wir sind Nürnberg“, betonte Steffen. „Wir sind Weltstadt.“ Und mich, den un-erfahrenen Journalisten, wählte er für diese Recherche aus. Ein Abenteuer auf Kosten des Hauses.

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Dirk Mühlinghaus

Die Stimmen der toten DichterHoch über Nürnberg wachte die Burg im fahlen Licht des Mondes. Den Körper in einen schwarzen Mantel gehüllt und die Locken von der Kapuze verborgen, huschte Anna durch die Glöckleinsgasse. Sie blieb vor dem Eingang der Weinstube stehen. Das Schild über der Tür, mit der Aufschrift „Das goldene Posthorn“, schwang im Frühlingswind hin und her. Männergesang drang nach draußen. Anna öffnete die Eichen-tür, schritt durch den Schankraum und setzte sich an einen abgelegenen Tisch. Der Geruch von Bier erfüllte die verbrauchte Luft und rund-herum schwatzten Landsknechte oder vergnügten sich mit Huren.

Ein Blondschopf schwankte auf sie zu, ließ sich auf einen Schemel fallen und grinste Anna an. „Was haben wir denn da?“

Älteste Weinstube Deutschlands - gegründet 1498

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Elisa Knoener

Den Frühling sehnViktoria schloss leise die Tür. Sie drehte den Schlüssel in dem neuen Sicherheitsschloss zweimal um. Aus alter Gewohnheit schob sie auch den alten Riegel vor, der mit einem langen und etwas angerosteten Schlüssel verschlossen wurde. So hatte ihre Familie den kleinen Laden in der Albrecht-Dürer-Straße bereits vor einem halben Jahrhundert ver-riegelt. Sie sog die laue Frühlingsluft tief ein. Jetzt, Anfang April, er-wärmte sich der Wind, der sanft durch die Gassen der Nürnberger Alt-stadt strich. Viktoria liebte diese Jahreszeit.Alles roch neu und frisch. Sie ge-stattete sich einen Blick auf das Dürerhaus, bevor sie weiter zu ihrer gemütlichen Dachwohnung in der Agnesgasse schlenderte. Sie dachte an Dürer, der so eng mit Nürnberg verbun den geblie-ben war, obwohl er die entscheidenden Im pulse zur Ent-wicklung seines neu artigen Mal-stils auf seinen Rei-sen durch Italien bekam. Schon als Zehnjährige ver-liebte sie sich in Dürers Selbstbild-nis. Der sinnliche Mund und der intensive Blick aus den braunen Augen Albercht-Dürer-Haus

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Günter Wirtz

Der Mann mit dem GedichtMichael tauchte ein in den Strom der Nürnberger Fußgängerzone und trieb vorbei an den Geschäften, Fassaden und Menschen. Schaufenster, Schilder, vorbeihuschende Schemen. Absatzgeklacker und Satzfetzen vermischten sich mit dem Flügelschlagen und Gurren von Tauben, mit der Musik aus den Läden, mit Geraschel, Gelächter, Geschrei. Linker Hand der Filmpalast, rechts ein Spielzeugladen. Über der Ein-gangstür blies ein Pustefixbär Seifenblasen in die Luft, die ein lachendes Mädchen in wildem Tanz zerschlug.

Ein junger Mann mit Bier-fahne strich an Michael vorbei, hinter ihm ein Kopf mit Headphone: „Bin gerade in der Königstraße.“ Die Glocke der Lorenzkirche läutete. Automatisch zog Michael sein Handy hervor:

„12 Uhr 30, keine neuen Nach-richten.“ Sein Blick suchte die Haus-nummer 33 und fand dort an der Geschäftsfassade die Bronzefigur der Nymphe Noris. In schwarzgrüne Patina gehüllt, hielt sie mit eiserner Disziplin die Adlerscheibe hoch empor. Wie immer zwinkerte er ihr zu, und wie immer zwinkerte sie nicht zurück.

Die Nymphe Noris am Haus Königsstraße 33

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Claudia Luz

Zehn toughe SchreiberleinZehn toughe Schreiberlein, die suchten einen Job, Literaturpreise schreckten sie, doch hörten sie großes Lob. Einer war das gleich zu blöd, die sagte plötzlich Nein, die andern wollten weiterziehen, leider nur noch neun.Neun toughe Schreiberlein verlangten die halbe Macht, eine sperrte ihr Männlein weg, da waren es nur noch acht.Acht toughe Schreiberlein versuchten es mit Intrigen, doch schoss die Chefin eine ab, da waren es nur noch sieben.Sieben toughe Schreiberlein wollten an die Spitze, eine ging ins Ausland, denn hier war sie zu nichts nütze.Sechs toughe Schreiberlein strickten gerne Strümpfe, eine fiel die Treppe runter, da blieben nur noch fünfe.Fünf toughe Schreiberlein packte nach Ruhm die Gier, eine wollte Gedichte schreiben, da waren es nur noch vier.Vier toughe Schreiberlein schwärmten im Frühling aus,doch eine ward vor Liebe blind, es kamen nur drei nach Haus.Drei toughe Schreiberlein gingen zur Agentur in Nürnberg, eine mit Erfolg, da blieben zweie nur.Zwei toughe Schreiberlein, die bildeten ein Paar, von Kritikerinnen schikaniert, bis eine draußen war.Ein Schreiberlein fand im Feminismus ihr Glück, gründete einen Schreiberlein-Club, jetzt sind alle zehn zurück.

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Kriminalinski

Nürnberger Himmelfahrtskommando

„Heid reengds wider Käibadzn“, bemerkte Liselotte Weppenfitz, als starker Regen große Tropfen an die Fensterscheibe drückte. Die siebzigjährige Fränkin, gebürtig aus Nämberch, reichte ihrem Mann Elmar, einem sich stets langsam und entspannt artikulierenden Westfalen, ein Weizen.

„Hm“, antwortete Elmar dickfellig und hatte auch nach dreißig Ehe-jahren noch immer nicht so richtig verstanden, was seine Frau von ihm wollte. Diese setzte das Gespräch daher in Hochdeutsch fort: „Ich bin nominiert!“ Liselottes Stimme jubilierte. Ihr Mann hatte mittlerweile begonnen, sein Bierglas zu füllen. Er schüttelte und rollte die Weizen-bierflasche, damit sich die Hefe vom Flaschenboden löste, und antwortete seiner Frau brav, ohne aufzusehen: „Hm …“

„Ich bin nominiert!“, wiederholte diese und fuhr aufgeregt fort: „Für den Nämbercher Lidderadur-Breis!“ Elmar fuhr der Schreck in die Glieder. Er verpasste der Flasche ungewollt einen leichten Drall, wodurch die das Weinglas seiner Frau wegfegte. Der Inhalt des 2002-er „Fratzen-schneiders“, wie der überzeugte Biertrinker den Lieblingswein seiner Gattin nannte, landete ungewollt in deren Teller.

„Zehn Jahre bin ich nun Mitglied im Nürnberger Autorenforum, Elmar. Zehn Jahre! Und endlich haben sie mich nominiert!“ Liselotte Weppenfitz wischte sich eine Träne aus dem Gesicht. „An Himmelfahrt ist die Preisverleihung und es sind mit mir zehn Kandidaten, Elmar. Bis Himmelfahrt müssen wir noch zittern, Bärchen …“

Bis Himmelfahrt zittern? Bärchen zitterte bereits die letzten zehn Jahre, in denen seine Gattin sich mehr schlecht als recht als Krimiautorin versuchte. Liselotte veröffentlichte als großer Mel Gibson Fan Regional-krimis unter dem Pseudonym „Lisl Weppen“ bei einem unbekannten Verlag. Die Kleinauflage kaufte Elmar Stück für Stück auf. Er ließ sie in dem Glauben, ihre Krimis kämen gut an. Das war für alle Beteiligten das Beste, fand er. Zudem verfluchte er den Tag, an dem er einem arbeits-

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Anja Rechenbach

Nürnberger PapierrosenDer Text war fertig. Klick und weg. Peter Reichmann lehnte sich zurück. Er beobachtete eine Fliege beim Erklimmen eines geknüllten Papierballs. Autor sein ist eine einsame Angelegenheit. Dieser Satz klang ab-gedroschen, auch der Gedanke daran war es, aber Peter hatte keinen Ehrgeiz, ihn zu ändern. Wozu auch? Sein Text war perfekt. Der Inhalt umsetzbar. Die wievielte Gebrauchsanweisung war das eigentlich ge-wesen? Er hatte sie nicht gezählt, nicht einmal gespeichert oder in irgend-einem Ordner abgelegt. Einfach nur Klick und weg. Eine Verfahrens-weise, die er manchmal bedauerte. Er testete jedes seiner geschriebenen Werke auf Brauchbarkeit. In diesem Fall waren es zehn Rosen aus Papier. Bei jeder Rose, die er angefertigt hatte, versetzte er sich in einen anderen Menschen. Akademiker, Hausfrauen, Motorradfahrer, Kinder, Rose-marie … Rosemarie!

Wieder einmal hatte sie sich in seine illustre Vorstellung geschlichen. Und sie hatte dort nichts zu suchen. Es war bei Rose Nummer Zehn passiert. Klar, wann sonst, außergewöhnliche Ereignisse fanden sich ent-weder zu Beginn oder erst am Schluss ein. Peter straffte sich. Die Fliege verharrte auf dem geknüllten Papierball. Er schlug mit der flachen Hand nach ihr, doch sie entkam. Ihm missglückte ein Lächeln. Er rieb seine Handflächen und betrachtete dabei die Rosen. Die so ordentlich auf dem Tisch lagen, als handelte es sich um die Dekoration einer Familien-feier. Familienfeiern! Seine Schultern sackten nach vorne. Das letzte Er-eignis dieser Art lag Jahre zurück, viele Jahre, wie viele Jahre eigentlich? Er wusste es nicht mehr. Er hatte seine Tagebücher aus dieser Zeit ver-nichtet. Dafür gestattete er sich immer wieder den Versuch eines neuen Anfangs, dessen Inhalt ihm fremd blieb.

Entschlossen schob er seinen Stuhl zurück. Er ging zum Fenster, riss es auf. Frühling. Da draußen war schon wieder Frühling. Er mochte den Frühling nicht, sein laues Erwachen, dem die langen Tage folgen würden, Tage, wie von Scheinwerfern beleuchtet, heiß, grell und scharf. Diese Tage würden ihn aus dem Haus locken wollen, hinunter auf die Straße,

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Brigitte Vollenberg

Tödliche EmanzipationKarsten setzte sich hinter das Steuer des silbernen Mercedes. Es kam nie vor, dass Ella, seine Ehefrau, das auf Hochglanz polierte Heiligtum, den regelmäßig samstags gepflegten Garagenwagen, lenken durfte. 10 Jahre waren sie nun verheiratet und sie war zur Beifahrerin verdammt. In der letzten Zeit fragte sie sich oft, warum sie es bereits so lange mit ihm ausgehalten hatte. Sie war durch ihn im Laufe der Jahre zur Außenseiterin in ihrem eigenen Leben geworden. Er bestimmte, wo es langging, ohne Widerrede, immer.

Karsten wollte, zum 10. Hochzeitstag einen Kurzurlaub machen. Ella freute sich. Sie schwärmte vom Meer. Karsten wollte in die Berge. Schließlich resignierte sie.

„In den Bergen ist es auch ganz schön“, sagte sie und versuchte ihre Enttäuschung zu unterdrücken. „Wenn schon in die Berge, dann lass uns zum Tegernsee fahren“, schlug sie vor. „Dort ist es im Frühling be-stimmt herrlich und ich kann eine alte Schulfreundin besuchen. Sie wohnt in Bad Wiessee. Ich ruf sie gleich morgen an.“

„Ich habe bereits ein Hotelzimmer in Bregenz bestellt. Wir fahren zum Bodensee.“Karstens silberner Mercedes rollte seit Stunden Richtung Süden. Ella sah Karsten von der Seite an. „Ich wäre lieber an den Tegernsee gefahren“, maulte sie leise und stöhnte auf.

Karsten schnaubte wütend. Er trat das Gaspedal durch und raste über die Autobahn. „Fahr langsamer, sonst fahre ich gleich!“, schrie Ella.

„Du wirst niemals hinter diesem Lenkrad sitzen,“ entgegnete Karsten.Warum konnte sie ihren Mund nicht halten? Ella ärgerte sich über sich

selbst und natürlich auch über Karsten. Sie schloss die Augen, kniff die Lippen fest aufeinander, damit keine weiteren unüberlegten Sätze die ohnehin vergiftete Stimmung anheizten. Erst als sie abrupt in ihren Sicher-heitsgurt gedrückt wurde, riss sie ihre Augen wieder auf. Kein verkehrs-bedingtes Bremsmanöver, Gott sei Dank. Karsten hatte den Blinker gesetzt und fuhr auf eine Tankstelle zu. „Was machst du?“, rief Ella.

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Olga Baumfels

Das Loblied des Schuhmachers

Im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts kauerte ein Herr reiferen Alters auf einem flachen Felsen am Ufer der Pegnitz. Er starrte verdrießlich ins munter plätschernde Wasser. Die Härte seines Sitzes schien er nicht wahrzunehmen, ebenso wenig das glitzernde Spiel, das die Sonne und die Strömung miteinander trieben. Selbst die Schönheit der Frühlings-blumen und des Vogelgesangs war an ihn verschwendet.Ganz anders ver-hielt es sich mit dem Burschen, der beschwingt den Leinpfad entlang wan der te und die gefiederten Sän ger pfeifend begleitete. Als er die dicht am Ufer hockende Ge-stalt erspähte, ver-stummte er. Leise kam er näher und gewahrte den ge-beugten Rücken und den schwer-mütig gesenkten Kopf des Mannes. Dessen pelzverbrämtes Gewand war kostbar, seine gekräuselten langen Haare und der Bart sorgfältig gepflegt und das an einer Weide ange bun-dene Ross aus edler Zucht. Die Neugier des Wanderers erwachte. Er fragte sich, was einen wohlhabenden, ehrbaren Bürger dazu bewog, ein-sam in der Wildnis zu verweilen, weit vor Nürn bergs Stadttoren.

Pegnitz zwischen Karlsbrücke und Henkersteg

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Bildnachweis

Die Rechte aller Bilder (©) in diesem Buch liegen bei Ursula Schmid-Spreer und wurden freundlicherweise für diese Publikation bereitgestellt. Ausgenommen hiervon sind folgende Bilder und Illustrationen:

Seite 17, „Nürnbergs Altstadt“, © ArgonR CC-Lizenz (BY 2.0) http://creativecommons.org/licenses/by/2.0/de/deed.de Entnommen aus der kostenlosen Bilddatenbank www.piqs.de

Seite 38, „Zeitungscafé“, © Peter Hellinger, Verlag art&words.

Seite 54, „Ziegenmelker“; © Florian Dippold,

Seite 64, „Bagger Duo“, © Thomas Hack CC-Lizenz (BY 2.0) http://creativecommons.org/licenses/by/2.0/de/deed.de Entnommen aus der kostenlosen Bilddatenbank www.piqs.de

Seite 100, „Ring am Schönen Brunnen“; © Thomas Kaufmann Public Domain, de.wikipedia.org/wiki/Datei:Ringnuernberg.jpg

Seite 104, „Memorium Nürnberger Prozesse“; © Christine Dierenbach Mit freundlicher Genehmigung des Stadtarchivs Nürnberg

Seite 108 „Eingang Norishalle“; © NHG Nürnberg Mit freundlicher Genehmigung der Naturhistorischen Gesellschaft Nürnberg

Seite 147, „Iridium Point“, © bigemrg - Fotolia #42265251

Seite 154, „Rosen“, © Peter Hellinger, Verlag art&words.

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