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SKRIPTUM - PHILOSOPHIE Definition: Philosophie kommt aus dem Griechischen und meint ursprünglich, die Weisheit lieben, sich Weisheit aneignen, nach Weisheit streben. Der Philosoph wähnt sich nicht im Besitze der Weisheit (Sophist), sondern ist vielmehr „nur“ auf der Suche nach ihr! Ursprünge der Philosophie: Lehrbuch S. 7-15 vgl. dtv- Atlas-Philosophie S.10f (Kopie) das Staunen: Platon/Aristoteles: Ursprung der Philosophie ist das Staunen; wer aber fragt und staunt, fühlt sich unwissend. Um diesem Gefühl der Unwissenheit zu entkommen, begannen die Menschen zu philosophieren. der Zweifel: ist auch eine Kraft, die zum Philosophieren führt; scheinbar Selbstverständliches wird hinterfragt: Quellen der Erkenntnis, überlieferte Werte und Normen das Todesbewusstsein (homo moribundus): das stets drohende Ende verwehrt ein fragloses Dahinleben, drängt zum Nachdenken über das, was im Leben wirklich wesentlich ist. Hier taucht vor allem die Sinnfrage auf. die Frage nach dem Grund: der Mensch stellt immer wieder die Warum-Frage und gibt sich nicht damit zufrieden, dass etwas so ist wie es ist. Grundfragen der Philosophie: FOLIE 5 Platon: Die Frage nach dem Wahren, nach dem Schönen und nach dem Guten. Kants 4 Fragen: Was kann ich wissen? (Metaphysik) Was soll ich tun? (Moral) Was darf ich hoffen? (Religion) Was ist der Mensch? (Anthropologie) Beschreibungsversuch: Wozu Philosophie? FOLIE 6 Philosophie ist der Versuch, sich Wissen und Weisheit anzueignen (K. Jaspers) Philosophie heißt, Selbstverständliches in Frage stellen (Sokrates) Philosophie ist zwar ein Skandal, aber doch notwendig (K. Popper): wir haben alle unsere Philosophien, die unser Handeln oft verheerend beeinflussen und so ist es notwendig, unsere Philosophien durch Kritik zu verbessern. Inkompetenz der Philosophie (Odo Marquard) Früher war die Philosophie für alles kompetent. das Christentum übernahm von der Philosophie die Heilskompetenz, die Naturwissenschaft die technologische Kompetenz, die politische Praxis die politische Kompetenz, die Psychologie die Probleme der Lebensbewältigung. Die Philosophie hat keine Kompetenzen mehr. Ihre einzige Kompetenz besteht nur noch darin, ihre eigene Inkompetenz zu kompensieren = die Inkompetenzkompensationskompetenz. Die Philosophie bezieht sich im Unterschied zu den Einzelwissenschaften nicht auf einen begrenzten Ausschnitt der Wirklichkeit, sondern richtet ihren Blick auf das Ganze dessen, was ist, um zum Wesen der Dinge vorzudringen und dem Menschen Sinn und Werte zu vermitteln.

Schulskriptum Philosophie

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German philosophy of science intro

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SKRIPTUM - PHILOSOPHIEDefinition:Philosophie kommt aus dem Griechischen und meint ursprünglich, die Weisheit lieben,sich Weisheit aneignen, nach Weisheit streben. Der Philosoph wähnt sich nicht im Besitzeder Weisheit (Sophist), sondern ist vielmehr „nur“ auf der Suche nach ihr!

Ursprünge der Philosophie: Lehrbuch S. 7-15vgl. dtv- Atlas-Philosophie S.10f (Kopie)• das Staunen:Platon/Aristoteles: Ursprung der Philosophie ist das Staunen; wer aber fragt und staunt,fühlt sich unwissend. Um diesem Gefühl der Unwissenheit zu entkommen, begannen dieMenschen zu philosophieren.• der Zweifel:ist auch eine Kraft, die zum Philosophieren führt; scheinbar Selbstverständliches wirdhinterfragt: Quellen der Erkenntnis, überlieferte Werte und Normen• das Todesbewusstsein (homo moribundus):das stets drohende Ende verwehrt ein fragloses Dahinleben, drängt zum Nachdenkenüber das, was im Leben wirklich wesentlich ist. Hier taucht vor allem die Sinnfrage auf.• die Frage nach dem Grund:der Mensch stellt immer wieder die Warum-Frage und gibt sich nicht damit zufrieden, dassetwas so ist wie es ist.

Grundfragen der Philosophie: FOLIE 5Platon: Die Frage nach dem Wahren, nach dem Schönen und nach dem Guten.Kants 4 Fragen: Was kann ich wissen? (Metaphysik)

Was soll ich tun? (Moral)Was darf ich hoffen? (Religion)Was ist der Mensch? (Anthropologie)

Beschreibungsversuch: Wozu Philosophie? FOLIE 6• Philosophie ist der Versuch, sich Wissen und Weisheit anzueignen (K. Jaspers)• Philosophie heißt, Selbstverständliches in Frage stellen (Sokrates)• Philosophie ist zwar ein Skandal, aber doch notwendig (K. Popper): wir haben alle unsere Philosophien, die unser Handeln oft verheerend beeinflussen und so ist es notwendig, unsere Philosophien durch Kritik zu verbessern.• Inkompetenz der Philosophie (Odo Marquard) Früher war die Philosophie für alles kompetent. das Christentum übernahm von der Philosophie die Heilskompetenz, die Naturwissenschaft die technologische Kompetenz, die politische Praxis die politische Kompetenz, die Psychologie die Probleme der Lebensbewältigung. Die Philosophie hat keine Kompetenzen mehr. Ihre einzige Kompetenz besteht nur noch darin, ihre eigene Inkompetenz zu kompensieren = die Inkompetenzkompensationskompetenz.Die Philosophie bezieht sich im Unterschied zu den Einzelwissenschaften nicht auf einenbegrenzten Ausschnitt der Wirklichkeit, sondern richtet ihren Blick auf das Ganzedessen, was ist, um zum Wesen der Dinge vorzudringen und dem Menschen Sinn undWerte zu vermitteln.

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1. Die Vorsokratiker: Buch S. 42-45

1.1. Die ionischen NaturphilosophenIonien (heutige Türkei) gehörte damals zum griech. Kolonialreich. Die Originalität desgriechischen Denkens lag in der systematischen Erforschung aller Wissensgebiete,losgelöst von mythologischem Denken � Beginn des abstrakten Denkens, Erkenntnis umder Erkenntnis willen.Das Anliegen der ionischen Naturphilosophen war die Suche nach einer allumfassendenGesetzlichkeit unabhängig von irgendwelchen (religiösen, mythologischen, praktischen)Zwängen.Die Frage, die sie beschäftigt ist: Liegt der Vielfalt der Erscheinungen ein oder wenigeGrundstoff/e zugrunde? � Hylozoisten (=Urstoff als etwas Lebendiges)• Thales von Milet (624-546): FOLIE 7Er sagt: Der Urstoff von allen Erscheinungen ist das Wasser, wobei Wasser nicht H2Omeint, sondern eher ein metaphorischer Begriff ist. Das Wasser ist belebt.Thales hat auch eine erste Erdbebentheorie entwickelt (Meer schlägt ans Festland� Schwingungen � Beben) im Unterschied zur Mythologie: Poseidon schlägt mit seinemDreizack auf die Erde.• Anaximander (611-546): FOLIE 8Der Urstoff ist das Apeiron (= unbestimmt, weder räumlich noch zeitlich begrenzt).Aus diesem gehen die Dinge der Welt als Gegensätze hervor und fallen wieder in eszurück. Mit dem Herausfallen aus dem Apeiron werden die Dinge räumlich und zeitlichbegrenzt, aber auch individuell. Mit dem Zurückfallen ins Apeiron werden sie wiederunbegrenzt und verlieren aber auch ihre Individualität.(Indem etwas aus dem Apeiron heraustritt, wird es an diesem schuldig, weil es ihm etwaswegnimmt �Buße/Sühne: es kehrt nach einer gewissen Zeitordnung wieder ins Apeironzurück. Das Ganze gilt auch umgekehrt!)• Anaximenes (um 585-525): FOLIE 7Der Urstoff ist die Luft. Verdichtet sie sich, so entsteht das Kalte (z.B. Wasser, Erde,Stein), verdünnt sie sich, so entsteht das Warme (z.B. Feuer). � Die Vielfalt derPhänomene entsteht also durch Verdichtung und Verdünnung.Würdigung:Wir verdanken diesem Dreigestirn drei fundamentale Grundgedanken, die auch derheutigen Naturwissenschaft noch zugrunde liegen:- die Welt kann ohne Hinweis auf einen Mythos verstanden werden.- die Ursachen aller Phänomene sind in der Natur selbst zu suchen- die Welt kann aus einem einheitlichen Grundprinzip heraus verstanden werden (Urstoff)

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1.2. Die Pythagoreer:Pythagoras (570 - 500) gründete eine Schule in Kroton (Unteritalien), die inklosterähnlicher Gemeinschaft lebte.Die Erkenntnis, dass sich die Intervalle der Tonleiter auf rationale Zahlenverhältnisseschwingender Saiten zurückführen lassen, brachte die Pythagoreer auf die Idee, dass dasWesen der gesamten Wirklichkeit in Zahlen besteht. Die Dinge sind Abbilder der Zahlen.Das geht bis in den Bereich der Ethik hinein: bestimmte Tugenden werden mit einer Zahlidentifiziert. z.B.: Redlichkeit = 4. Bei den ionischen Naturphilosophen war der Urstoff substanziell, bei den Pythagoreern ister formal. Die Pythagoreer sind die Begründer der mathematischen Beschreibung vonNaturgesetzlichkeit. Das Gegenstück zu den natürlichen Zahlen ist der leere Raum(zwischen den Punkten liegt der leere Raum). � ontologisch formuliert: die ganzen Zahlensind das Seiende, der leere Raum das Nicht-Seiende (aber doch real existierend!!)In der pythagoreischen Schule herrscht ein mystisch-religiöser Grundzug. Das zeigt sichvor allem auch in der Seelenwanderungslehre und dem Gedanken der Trennung von Leibund Seele: die Seele ist das eigentliche Wesen des Menschen und muss von derVerunreinigung durch das Körperliche befreit werden.

1.3. Die eleatische Schule:entwickelt sich zeitgleich zu den Pythagoreern in Elea (südlich von Salerno).Sie leugnen die pythagoreische Ontologie.Sie leugnen die Existenz eines leeren Raumes und damit leugnen sie auch alle Vielfalt undVeränderung in der Welt. � sie leugnen die ganze Erscheinungswelt• Xenophanes (* um 560):kritisiert die homerische Götterwelt. Es gibt nur eine Gottheit = die Einheit des Weltganzen.Er sagt aber nicht, wie die Vielheit aus dieser Einheit hervorgeht.• Parmenides (um 540-470):Schüler des Xenophanes; sein Lehre: „Das Seiende ist; das Nicht-Seiende ist nicht.“Parmenides versteht unter Nicht-Seiendem den leeren Raum, das Vakuum. (DieseAnnahme ist problematisch und geht über logische Richtigkeit hinaus!!)Das Sein ist unbewegt und unveränderlich, da sonst ein Nicht-seiendes angenommenwerden müsste, in das hinein Bewegung erfolgt. Die Diskrepanz zwischen dieser Theseund der Alltagserfahrung (die ständige Veränderung zeigt) hebt Parmenides auf, indem erdie Sinneserfahrung als trügerisch und dem Schein verfallen erklärt. � strikte Trennungzwischen empirischer Anschauung und Vernunfterkenntnis!!2 Lehrsätze: - Denken und Sein ist identisch.

- Raum und Sein sind identisch. (� Raum kann also kein Nicht- Seiendessein, ergo gibt es keinen leeren Raum)

• Zenon von Elea :Schüler des Parmenides, versucht dessen Lehre durch einige berühmte Argumentationenzu untermauern. Die Annahme von Bewegung als Ortsveränderung in der Zeit führt zuWidersprüchen:- der fliegende Pfeil: Zeit als Folge getrennter Zeitpunkte, der Pfeil steht in jedem derPunkte, die er durchfliegt still � er bewegt sich nicht.- Achill und die Schildkröte: Zeit als unendliches Kontinuum � Paradox, dass Achill dieSchildkröte nie einholen kann, denn wenn Achill den Punkt erreicht, an dem dieSchildkröte gerade war, ist diese schon wieder ein Stück weiter. er kann sich ihr nähern,sie aber nie einholen. � aus den Paradoxa: es gibt keine Bewegung!!

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1.4 Heraklit (um 550 bis 480), in Ephesus FOLIE 9Gegenspieler des Parmenides! Nach ihm gibt es nur die Vielheit und die Einheit ist eineIllusion. Es gibt kein unveränderliches Seiendes, sondern nur ein unveränderlichesWerden und Vergehen der Dinge. Die Wandelbarkeit der Dinge ist das ewige Grundprinzipder Welt (= das Urfeuer, das immateriell, ja göttlich zu denken ist: „Alle Dinge sindAustausch für Feuer und Feuer für alle Dinge.“): panta rhei = alles fließt (und nichts bleibt) bzw. „man kann nicht zweimal in den gleichenFluß steigen“.Heraklit gilt als Begründer eines dynamischen Weltbildes. Alles ist aber gesetzmäßigbewegt und zwar durch den „Logos“.Die Welt ist ein ständiger Austausch von Gegensätzen: „Der Krieg (Streit, als dauernderKampf der Gegensätze) ist der Vater aller Dinge.“„Das Kalte wird warm, das Warme kalt, das Dürre wird feucht, das Feuchte dürr, ....aus allem wird eins und aus allem eines“ (In diesem dynamischen Prinzip stellt sich dieFrage, warum bzw. woher es etwas Gleichbleibendes gibt?)Mit dem Gedanken der Einheit der Gegensätze kann Heraklit als erster dialektischerDenker gelten.

1.5 Empedokles (um 492-432): in Siziliener nimmt vier Elemente an, die durch die Kräfte Liebe (Anziehung) und Hass (Abstoßung)bewegt werden:Wasser, Erde, Feuer, Luft.4 stoffliche Wesenheiten + 2 nicht-stoffliche Wesenheiten!In der absoluten Liebe bilden die 4 eine homogene Einheit, im Hass werden sie getrennt.Durch den Kampf beider Kräfte entstehen die konkreten Dinge durch Mischung derElemente.(Empedokles hat als erster den Dualismus von Stoff und Dynamik eingeführt � vgl.moderne Physik: Feld - Kräfte)Er war auch politisch tätig, so etwas wie ein Demokrat und genoss eine hohe, fast heiligeVerehrung (1. Himmelfahrt: entschwebte in die Höhe)

1.6 Anaxagoras (um 500-425), in Clazomenaees gibt unendlich viele, qualitativ unterschiedliche Grundstoffe. Die konkreten Dingeentstehen aufgrund eines charakteristischen Mischungsverhältnisses all dieser Stoffe.Wichtig: Bewegt werden die Stoffe durch den „NOUS“ (= der erste Beweger, vgl.Aristoteles!), heißt „Geist“, der planmäßig ordnend vorgeht.

1.7 Die AtomistenLeukipp (5.Jh.): gilt als Begründer der Atomlehre, die von seinem Schüler Demokrit (460-370) überliefert und weiterentwickelt wurde.Vermutlich gegenseitige Beeinflussung von Leukipp und Empedokles, dem Leukipp einenRückfall ins Mythische („Hass und Liebe“) vorwirft.Die Atomisten sehen nicht ein, warum das Seiende gerade auf 4 Elemente beschränktsein soll und weshalb diese 4 Grundstoffe beliebig oft teilbar sein sollen.2 Thesen des Leukipp:• das stofflich Seiende besteht aus nicht teilbaren (a-tomos) unveränderlichen

Elementen (vgl. Pythagoreer: Atome als Gegenstück zu den rationalen Zahlen)• es gibt unbegrenzt viele solcher Atome

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Demokrit fügt noch hinzu:• Die Atome sind unsichtbar klein• Die Atome sind stofflich gleich, jedoch unterscheiden sie sich hinsichtlich Gewicht, Größe und Gestalt.• Die Atome sind getrennt durch den leeren Raum.• Die Atome bewegen sich ständig durch den leeren Raum. Durch die ständige

Bewegung kommt es zu Konfigurationen - damit erklären sie die Vielfalt in der Welt �das scheint allerdings eine sehr „flüchtige“ Welt .

Demokrit entwickelt als erster ein System des Materialismus. Auch die Seele besteht ausfeinen (Feuer-)Atomen und die Verstandestätigkeit des Menschen ist ein materieller,atomarer Prozeß. (Sinneserkenntnis durch Bilderchen, die die Dinge ausfließen lassenund die die Atome der Seele in Bewegung versetzen, wodurch der sinnliche Eindruckhervorgerufen wird!)

1.8 Die Sophisten: Buch S. 45f, FOLIE 10Nach den Perserkriegen (um 480) wächst mit zunehmenden Wohlstand auch dasBedürfnis nach Bildung. Die demokratische Staatsform verlangte auch vom Bürger,elegant reden zu können.Es gab eine Reihe von Rhetorik-Lehrern, die man unter dem Begriff „Sophisten“zusammenfasste. Die Kunst des Rhetorikers besteht darin, jeden beliebigen Sachverhaltüberzeugend vertreten zu können. Diese Haltung fördert einen ausgeprägtenRelativismus.Protagoras (480-410): „Homo-mensura-Satz“„Der Mensch ist das Maß aller Dinge, der seienden, dass sie sind, der nicht-seienden,dass sie nicht sind. Wie jedes Ding mir erscheint, so ist es für mich, wie es dir scheint, soist es für dich. du bist ein Mensch und ich bin ein Mensch.“� alles Sein ist subjektiv und wandelbar.Gorgias (um 485-419): treibt mit seinen berühmten drei Thesen den sophistischen Zweifelauf die Spitze:

- nichts existiert- selbst wenn etwas existiert, ist es doch nicht erkennbar- selbst wenn etwas erkennbar ist, ist es doch nicht mitteilbar

Auch in der Religion und in der Ethik vertreten die Sophisten relativistische Standpunkte,wonach z.B. die Götter nichts anderes als Ausdruck der menschlichen Gefühle seien (�Feuerbach: Projektion!).Mit ihrer Kritik und ihrem Zweifel gegenüber allem traditionellen Denken bereiten dieSophisten das Feld für ein neues, ganz aus der Vernunft kommendes Denken � dieklassische griechische Philosophie

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2. Die klassische griechische Philosophie:

2.1 Sokrates von Athen (470-399): Buch S.17ff, FILM: „Sokrates darf nicht sterben“gilt als Begründer einer autonomen philosophischen Ethik.In unermüdlichen Gesprächen stellt er das Wissen seiner Mitbürger auf die Probe undentlarvt es als Scheinwissen. Darum auch der Satz über sich selbst: „Ich weiß, dass ichnichts weiß.“ Er versucht, seine Mitbürger zu einer gerechten Lebensführung zuermahnen. Daraus entstehen auch Feindschaften, die schließlich zu einem Prozeß wegenGotteslästerung und Verführung der Jugend führen. Er wird zum Tod durch Gift(Schierlingsbecher) verurteilt.Seine zentrale Frage ist die nach dem Guten und nach der Tugend (areté).Berühmt wurde vor allem seine Methode: das elenktische Verfahren:durch prüfendes Fragen erschüttert Sokrates das Scheinwissen des anderen, bis dieseran den Punkt gelangt, an dem er einsieht, nicht zu wissen. Dieser scheinbare Punkt derAusweglosigkeit (Aporie) wird zum Ausgangspunkt für ein von vernünftigem Denken (=Logos) geleitetes Suchen nach wahrer Einsicht.Sokrates ist der Auffassung, dass „niemand freiwillig (wissentlich) Unrecht tut“, denn jedeschlechte Handlung entspringt der Unkenntnis über Gut und Böse. Der Wissende jedochist gut. Er allein kann die „Eudaimonia“ (= Glückseligkeit) erreichen, denn diese besteht inder Ordnung und Harmonie der Seele.Die meisten Menschen befinden sich aber im Irrtum über das Wesentliche des Lebens: „...schämst du dich nicht, dich um möglichst großen Reichtum zu sorgen und für Ruhm undGeltung, dagegen um Einsicht und Wahrheit und um deine Seele, dass sie so gut werdewie möglich, darum sorgst und besinnst du dich nicht.“Sokrates versteht seine Philosophie als Maieutik (Hebammenkunst), denn er will nurHelfer sein bei der Einsicht und Selbsterkenntnis, die jeder aus sich selbst finden muss,die ihm aber nicht von außen gegeben werden kann.Sokrates hat keine Schule gegründet. Trotzdem berufen sich zwei gegensätzlichephilosophische Strömungen auf ihn:Kyrenaiker: bauen den Eudämonismus um zu einem Hedonismus, der die Lust zur

Maxime des Handelns macht (Aristipp)Kyniker: treiben die sokratische Geringschätzung des Materiellen auf die Spitze (Diogenesvon Sinope lebte in einer Tonne)

2.2 Platon (427-347), in Athen, Buch s. 48ffSchüler des Sokrates, gründet seine eigene Schule, die sog. Akademie.A) die Ideenlehre:Lesen des Höhlengleichnisses (Buch, S. 52ff) FOLIE 12Er nimmt ein Reich immaterieller, ewiger, unveränderlicher Ideen an. Sie sind die Urbilderder Realität. Diese Ideen existieren unabhängig von unserer Kenntnisnahme, sind alsonicht Ergebnis einer Setzung durch das menschliche Bewusstsein. Platons Position nenntman deshalb auch objektiven Idealismus.Die Körperwelt ist dem Reich der Ideen untergeordnet und besteht nur durch Teilhabebzw. Nachahmung der eigentlich seienden Welt der Ideen.Zentraler Punkt ist die Idee des Guten. Sie ist der Wurzelgrund aller anderen Ideen.Die materielle Welt wird durch den sogenannten Demiurgen (Weltbildner) gemäß derVernunft planvoll angelegt, indem er sie nach dem Vorbild der Ideen gestaltet � Welt istKosmos und Harmonie.Da aber die Ideen in vernunftloser Materie abgebildet werden, bleiben sie in dieser Weltunvollkommen (Dualismus).

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B) Erkenntnistheorie:Platon vertritt einen rationalistischen Standpunkt, d.h.: was unsere Sinne wahrnehmen istnur eine Schattenwelt, ein unvollkommenes Abbild der Wirklichkeit (der Ideenwelt). Nur dieVernunft kann aufsteigen aus der Höhle und die Wirklichkeit schauen wie sie ist. C) Anthropologie:Woher kennt die Seele die Ideen?Die Seele hat die Ideen in der Präexistenz geschaut, aber beim Eintritt in den Körpervergessen. Die Seele ist unsterblich und stammt aus der Sphäre des Göttlichen,Vernünftigen und inkarniert aufgrund der sinnlichen Begierde. Sie ist eingesperrt in denLeib: Soma (Leib) = sema (Grab)Dreigliederung der Seele: - das Göttliche (Vernunft)

- das zur Wahrnehmungswelt Gehörige: + das Edlere (der Mut) + das Niedere, weil Widerstrebende (die Begierde)

Jedem Seelenteil entspricht eine Tugend: - die Weisheit - die Tapferkeit - die Mäßigung

Diesen drei Tugenden übergeordnet ist noch die Tugend der Gerechtigkeit. Diese 4Tugenden heißen bis heute die Kardinaltugenden.D) Staatslehre: FOLIE 14Entstehung des Staates liegt nicht im Trieb des Menschen zur Staatenbildung, sondern inder Schwäche des einzelnen. Von sich aus nur zu bestimmten Tätigkeiten begabt, muss ersich mit anderen zusammenschließen.Es gibt eine Entwicklung von der primitiven Stadt (Schweinestadt) über die üppige Stadtzur schönen Stadt.In 1) sind die Grundbedürfnisse (Essen, Kleidung, Wohnung) abgedeckt und es gibt eineArbeitsteilung, wo jeder die seinen Fähigkeiten entsprechende Tätigkeit ausübt.In 2) gibt es darüber hinaus auch kulturelle Einrichtungen (Literatur, Theater) undLuxusgüter, wodurch neue Berufe nötig sind (v.a. Händler und zum Schutz derexpandierenden Stadt das Militär). Hier kommt es auch zum „Mehrhabenwollen“, was zuUngerechtigkeit, ja Krieg führt und es entstehen auch Zivilisationskrankheiten � manbraucht Ärzte.3) das ist Platons Staatsutopie:3 Stände:- Nährstand: Bauern Handwerker, Gewerbetreibende- Wehrstand: Sorge für die Verteidigung des Staates nach innen und außen- Lehrstand: Sorge für die richtige Lebensweise der Bürger können nur Weise tragen �Philosophenkönige.Staat übernimmt Aufsicht über alle Bereiche: Erziehung: Frauen- und Kindergemeinschaftenmilitärische Ausbildung auch für FrauenPrivates (Eigentum, Familie) wird abgeschafftFortpflanzung im Sinne der Eugenik vorgeschriebenZensur von regimefeindlicher LiteraturVermeiden von fremden Einflüssen (Xenophobie)

Platon vertritt also eine aristokratische Staatsform = Herrschaft der Besten.Philosophenkönige müssen eine 50jährige Ausbildung durchmachen (Musik, Dichtung,Gymnastik, Mathematik, Astronomie, Philosophie, prakt. politische Arbeit), bevor sie an dieHerrschaft kommen.

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2.3 Aristoteles (*384 in Stageira/Makedonien, gest. 324 in Chalkis/Euböa):Schüler Platons, 2 Jahre am makedonischen Hof als Lehrer Alexanders d. Großen,gründet eigene Schule in Athen (Lykeion bzw. auch Peripatos genannt), weil man ihn nichtzum Leiter der platonischen Akademie wählte.A. unterscheidet erstmals zwischen theoretischer und praktischer Philosophie. Ersterebefasst sich mit dem, was ist (Naturphilosophie, Metaphysik), letztere mit dem, was seinsoll (Ethik, Politik). Ziel der Theorie ist die Wahrheit. Ziel der Praxis das (tugendhafte)Handeln. Dazu kommt die Logik, die als Werkzeug der Beweisführung auf allen Gebietenangewendet werden soll.A) Metaphysik (1. Philosophie, Ontologie): Buch S. 57ff A. will platonischen Dualismus zwischen Idee und realem Gegenstand überwinden �seine These: das Wesen der Dinge liegt in ihnen selbst.A. unterscheidet Stoff (hýle) und Form (morphé). Im Gegenstand treten beide zusammen.Reinen Stoff gibt es ebensowenig wie reine Form.In der Materie ist das Wesen nur der Möglichkeit nach angelegt. Aktualität (Wirklichkeit)gewinnt es durch die Form. Die Form als bewegende und zielgerichtete innere Wesenheitdes Seienden nennt A. auch „Entelechie“ (= das Ziel, die Vollendung in sich haben).A. nennt 4 Ursachen für die Entwicklung des Seienden: FOLIE 16/17* causa materialis: jeder Gegenstand besteht aus Materie, z.B. Holz für Sessel* causa formalis: jeder Gegenstand hat eine bestimmte Form, z.B. Form des Sessels* causa efficiens: jede Entwicklung braucht einen Motor, der sie vorantreibt, z.B. der

Tischler, der den Sessel macht.* causa finalis: nichts geschieht ohne Zweck, z.B. Sessel zum AusruhenDie Stoffursache ist übrigens der Grund für Zufälligkeiten und Unregelmäßigkeiten, da sichdie Materie gegen die Formung „sperrt“ � (= Akzidentien)A. vertritt auch einen Schichtenbau der Welt vom reinen Stoff bis zur reinen Form. DasHöchste, die Gottheit, ist die reine Form. Diese Gottheit ist zugleich, da die Welt in ihremWandel ständig der Bewegung bedarf, der erste Beweger, der selbst unbewegt ist. DiesesGottesbild impliziert ein Desinteresse an der Welt. Gott greift nicht ein in den Lauf der Weltund ist von ihr auch nicht zu beeinflussen. Die Welt wird nicht durch ihn bewegt, sonderndurch das sehnsüchtige Streben des Stoffes nach ihm als der reinen Form.B) Psychologie:A. unterscheidet drei Seelenteile:- vegetative oder Pflanzenseele: Ernährung- sensitive oder Tierseele: Empfindungen und lokale Beweglichkeit- Vernunftseele (nur beim Menschen) geistige Tätigkeit, C) Ethik:Für A. entspringt die sittliche Haltung nicht allein schon der Einsicht, sondern muss durchÜbung, Gewohnheit und Lernen erworben werden. (anders als Sokrates!!)Tugend ist für A. die Mitte (mesótes) zwischen zwei Extremen: (vgl. goldene Mitte!!)z.B. Tapferkeit = Mitte zwischen Feigheit und Tollkühnheit Mäßigung = Mitte zwischen Stumpfheit der Sinne und Wollust Großzügigkeit = Mitte zwischen Geiz und VerschwendungBesondere Betonung gilt der Tugend der Gerechtigkeit:- austeilende Gerechtigkeit: sorgt für gerechte Verteilung der Güter- ausgleichende Gerechtigkeit: sorgt als Korrektiv für erlittenen Schaden

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D) Politik:„Man muss nicht nur den besten Staat im Auge haben, sondern auch den möglichen.“Staat entsteht nicht aus einer Schwäche des Menschen (Platon), sondern aus einernatürlichen Neigung: „Der Mensch ist von Natur aus ein staatenbildendes Wesen“(anthropos physei politikon zoon)Aufgabe des Staates: sittliche Vervollkommnung der Bürger.Familie und Privateigentum sind zu erhalten. Sklaverei wie auch Ungleichheit etwa zw.Mann und Frau gelten als natürliche Einrichtung.Verfassungsformen: drei richtige und drei entartete:Königtum und TyrannisAristokratie und OligarchieVolksherrschaft und DemokratieGut ist die Form, die dem Gemeinwohl dient, entartet jene, die nur den Herrschendenzugute kommt.A. ist wirkungsgeschichtlich nur mit Platon und Kant zu vergleichen. Er wurde zu derGrundlage der Scholastik. Sein Werk galt bis an die Schwelle der Neuzeit als unfehlbar.

3. Hellenistische Philosophie:

3.1. Die Stoa: Buch S. 137gliedert sich in drei Epochen:• alte Stoa: Gründer der Stoa ist Zenon von Kition (336 - 264), Chrysipp• mittlere Stoa: Übertragung stoischen Gedankenguts nach Rom, Panaitios und

Poseidonios• späte Stoa: dazu gehören Seneca (4v.C.-65n.C.), Epiktet und Marc Aurel(121-180) in

dieser Zeit ist die Stoa schon eine Art Populärphilosophie.Die Stoiker entwickeln die aristotelische Logik weiter, beschäftigen sich mitSprachphilosophie (Etymologie), Physik (Logos bewirkt die Entwicklung dereigenschaftslosen Materie. In allen Gegenständen sind logoi spermatikoi enthalten, indenen ihre Entwicklung planartig festgelegt ist. Stoiker vertreten Zykluslehre: Wie die Weltaus dem Urfeuer hervorgegangen ist, wird sie auch wieder in diesem vergehen. Nachdiesem Weltbrand wird sich wieder die Welt der konkreten Einzeldinge ausbilden.)Von besonderer Bedeutung ist ihre Ethik :Ziel des Menschen ist, einstimmig mit der Natur zu leben. So erreicht er Harmonie undGlückseligkeit.Glück ist nur erreichbar, wenn kein Affekt (= übersteigerter Trieb, dem ein falscher Wertzugrunde liegt und der zum Pathos = Leidenschaft führt) die Seelenruhe stört.� stoisches Ideal ist demnach die Apathie, die Freiheit von solchen Affekten.Die Einsicht in den wahren Wert der Dinge verhindert das Erstreben von falschen Güternoder beseitigt die Furcht vor vermeintlichen Übeln. Dazu gehört die Erkenntnis, dass alleäußeren Güter keinen Wert für die Glückseligkeit haben. Für das Glück entscheidend sinddie Tugenden.

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3.2. Epikur (342-271) Buch S. 136fbegründet eine Lehre, der es besonders auf die Praxis ankommt. Seine Lehre wirkt fort beiHoraz und Lukrez.E. lehnt sich an die Lehre der Atomisten an in seiner Physik und Erkenntnistheorie.Kernstück seiner Lehre ist aber die Ethik:Ihr Grundprinzip ist die Lust. Jedes Lebewesen erstrebt natürlicherweise die Lust undmeidet den Schmerz. Lust definiert er als Abwesenheit von Schmerz und Unruhe.Sind die elementaren Bedürfnisse durch Beseitigung von Hunger, Durst usw. gedeckt, gibtes keine Steigerung der Lust mehr, sondern nur noch deren Variationen.E. empfiehlt deshalb Genügsamkeit als wichtige Tugend zur Erreichung von Lust.Zur Ataraxia, zum richtigen Leben ohne Unruhe, gehört neben der körperlichenSchmerzfreiheit auch die seelische Freiheit von Unruhe und Verwirrung. Dazu dient dieBeachtung der Tugenden.

3.3. Neuplatonismus:gründet auf der Lehre Platons und verbindet diese mit aristotelischen und stoischenGedanken.bedeutendster Vertreter: Plotin (204-270 n. C.)Am Beginn steht das „EINE“( ist zugleich das Gute, Schöne,...). Von ihm kommt alles Sein(vgl. Sonne: Licht ist untrennbar mit der Sonne verbunden. Es ist nicht von ihrabzuschneiden. Das Licht bleibt immer auf der Seite der Sonne. Analog ist auch das Seinnicht von seiner Quelle, dem Einen, zu trennen.)Das EINE fließt wegen seiner Überfülle aus � Ausstrahlung oder Emanation!Die 1. Emanationsstufe ist der Geist (Nous). Das ist die Sphäre der Ideen = Urbilder allerDinge. Das Abbild des Geistes ist dann die Seele, die als Weltseele den Kosmos formtund beseelt und Harmonie verleiht. Aus der Seele fließen die Einzelseelen, die sichschließlich mit der Materie verbinden und so die Einzeldinge der körperlichen Weltschaffen.Die Materie selbst bezeichnet Plotin als das Nichtseiende. Sie ist an sich ohne Form,ungeordnet und hässlich.Den Aufstieg zum EINEN sieht Plotin als einen Prozess der Reinigung. Antrieb dazu ist dieLiebe (Eros) zum Ur-Einen und Ur-Schönen. Erste Stufe ist die Kontemplation (Kunst z.B. führt über die Wahrnehmung sinnlicherSchönheit zur Erfassung der Schönheit der reinen, in sich geschlossenen Form.)In der Philosophie überwindet die Seele die Schattenwelt der Körper und kehrt zum Geistzurück.Die höchste Befreiung ist die Ekstase, die unmittelbare Versenkung in der Betrachtung desEINEN.

4. Philosophie im MittelalterDie abendländische mittelalterliche Philosophie ist geprägt durch die Verknüpfung vonChristentum und Philosophie. Die meisten Philosophen sind auch Kleriker(Bildungsmonopol der Kirchen- und Klosterschulen). Beständiges Grundthema istdemnach das Verhältnis von Glauben und Wissen.4.1. Patristik: (2. -7. Jh.)ist gekennzeichnet durch die Bemühungen der Kirchenväter (= patres), die christlicheLehre mithilfe der Philosophie auszubauen und zu festigen sowie gegen das Heidentumund die Gnosis zu verteidigen.

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Bedeutendster Vertreter ist Aurelius Augustinus (354 - 430):ist stark beeinflusst vom Neuplatonismus.Er sieht zwischen Glaube und Einsicht keinen Gegensatz, sondern vielmehr eine sichgegenseitig befruchtende Gemeinschaft.: „Credo ut intelligas, intellige ut credas!“ =Glaube, um zu erkennen und erkenne, um zu glauben.Die Suche nach den Voraussetzungen des Erkennens führt Augustinus zur Entdeckungder Fundierung von Wissen in der inneren Selbstgewissheit des Bewusstseins. SeinGrundgedanke ist (ähnlich wie später Descartes): Über die Dinge außerhalb meiner kannich mich täuschen. Aber indem ich darüber zweifle, bin ich mir selbst als eines Zweifelndenbewußt. Meine Existenz ist in allem Zweifeln, Irren, Urteilen als gewiss vorausgesetzt. „Sienim fallor sum“ = Wenn ich mich nämlich täusche, bin ich.So führt der Weg zur Gewissheit nach Innen: „Gehe nicht nach draußen, kehre in dichselbst ein; im Inneren wohnt die Wahrheit.“Es gibt also einen Aufstieg von der sinnlichen Außenwelt zur Innenwelt des menschlichenGeistes und von dort zum Innersten des Herzens. Dort findet der Mensch auch Gott, denUrgrund der Wahrheit selber.Illuminationstheorie:Im Innern findet der Mensch zeitlose, ewige, sichere Wahrheiten vor (z.B. Grundsätze derMathematik, Satz vom Widerspruch). Diese Wahrheiten entstammen nicht derSinneserfahrung, sondern sind uns dank der Einstrahlung durch Gott gegeben.Diese Ideen sind die Urbilder allen Seins. Die geschaffene Welt ist die Verwirklichung unddas Abbild dieser Urbilder.Creatio ex nihilo = Gott schafft die Welt aus dem Nichts � vor der Schöpfung gab esweder Zeit noch Materie. Es ist also sinnlos nach dem Wann der Entstehung der Welt zufragen, da Gott ja außerhalb der Zeit steht.Die Welt ist konstituiert durch die Faktoren: Materie, Zeit und Form (=ewige Ideen).Die Veränderung und Entwicklung in der Welt erklärt Augustinus mit der Theorie derUrkeime (rationes seminales): Diese Keime wurden von Gott in der Materie angelegt undaus ihnen entwickeln sich die Lebewesen. vgl. logoi spermatikoi (Stoiker)Berühmt ist noch seine Analyse der Zeit (im 11. Buch seiner Confessiones):Eigentlich gibt es nur den jeweils gegenwärtigen Zeitpunkt. Das Vergangene ist nichtmehr, das Zukünftige ist noch nicht. Dennoch hat der Mensch ein Bewusstsein von Dauer.Das ist nur möglich, wenn der Mensch die Fähigkeit hat, den flüchtigen Sinneseindruck alsBild im Gedächtnis zu bewahren und ihm so Dauer zu verleihen.Augustinus unterscheidet 3 Zeitdimensionen:Gegenwart von Vergangenem = ErinnerungGegenwart von Gegenwärtigem = AugenscheinGegenwart von Künftigem = ErwartungDas Innere des Menschen ist somit in ständige Erwartung, Vollzug und Erinnerungzersplittert.Ethik: „Ama et fac quod vis“ = Liebe und tue, was du willst!Geschichtsauffassung:Die Geschichte ist das Ringen zweier Reiche: der Civitas Dei (Gottesstaat) und der Civitasterrena (Erdenstaat). Beide basieren auf einer anderen Art des Liebens: Gottesliebe bzw.Selbstliebe. Grundsätzlich entsprechen zwar Kirche und Staat diesen beiden Reichen,aber es gibt in beiden auch Vertreter der anderen Seite, sodass in unserer Geschichteimmer ein gewisses Ineinander beider Reiche anzutreffen ist, bis am Ende der Zeit beidegetrennt werden und der Gottesstaat als Sieger hervorgeht.

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4.2. Scholastik: (9. - 14. Jh.)Unter Scholastikern versteht man diejenigen, die sich schulmäßig (schola) mit denWissenschaften beschäftigen, an den Dom- und Hofschulen bzw. ab dem 12 Jh. an denneugegründeten Universitäten.Scholastische Methode:Fragen werden rational in ihrem Für und Wider geprüft (Pro- und Contrastandpunkte),worauf dann die eigene Antwort folgt. (Disputationen an den Universitäten).Quellen, aus den sich die Scholastik nährt, sind v.a.:Augustinus, Neuplatonismus, die aristotelische Logik und später alle Schriften desAristoteles.Von 800 - 1200 bewahrte die islamische Kultur (Averroes; Avicenna) die Überlieferung dergriech. Philosophie, die im Westen verlorengegangen war und nun in arabischerÜbersetzung wieder in den Westen gelangte (v.a. die Werke des Aristoteles).

3 Epochen:• Frühscholastik: (11./12. Jh.)In dieser Zeit entbrennt der Universalienstreit, der über Jahrhunderte die weiterePhilosophie beschäftigte. Universalien sind Allgemeinbegriffe, Gattungen (z.B.Lebewesen, Mensch) im Unterschied zu den Einzeldingen.2 Positionen: (dazu: Folie 19 - Universalienstreit)

+ Universalienrealismus :Die Universalien existieren an sich und die Einzeldinge bestehen nur als untergeordneteFormen des ihnen gemeinsamen Wesens. (= universalia ante res)+ Nominalismus:Nur die Einzeldinge existieren real, während die Universalien bloß im menschlichen Geistexistieren und zwar als von den konkreten Dingen abstrahierte Begriffe bzw. als bloßeNamen. (= universalia in rebus) (flatus vocis = Hauch der Stimme)

Anselm von Canterbury (1033-1109) und sein ontologi scher Gottesbeweis:„fides quaerens intellectum“ = Glaube drängt nach rationalem Verstehen.Für ihn ist zwar der Glaube der Ausgangspunkt und Glaubenswahrheiten können durchdie Vernunft nicht umgestoßen werden, aber die wahre Vernunft führt notwendig zu denGlaubenswahrheiten � der Christ sollte daher versuchen, seinen Glauben intellektuell zuverstehen! („credo ut intelligam“)Sein ontologisches Argument für einen rational zwingenden Beweis der Existenz Gottes:Gott wird definiert als „das, worüber hinaus nichts Größeres (Vollkommeneres) gedachtwerden kann“. Wenn man nun zugibt, dass das vollkommener ist, was nicht nur gedachtwird, sondern darüber hinaus auch real existiert, so muss „das, worüber nichtsVollkommeneres gedacht werden kann“, real existieren.Anselm erweitert das Argument, indem er feststellt, dass etwas, das notwendig existiert,vollkommener ist als etwas, das nur zufällig existiert, dessen Nicht-Existenz also gedachtwerden kann. Da nun nach der Ausgangsdefinition Gott das Vollkommenste ist, kann seineNicht-Existenz nicht gedacht werden.

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• Hochscholastik: (12./13.Jh.)Bedeutende Vertreter:Roger Bacon, Bonaventura, Albertus Magnus („doctor universalis“ genannt wegen seinesenzyklopädischen Wissens), Thomas von Aquin, Johannes Duns Scotus (alle im 13. Jh.)Wichtigster Vertreter: Thomas von Aquin (1225-1274): seine bedeutendsten Werke sinddie „Summa contra gentiles“ und die „Summa Theologiae“. Seine Leistung liegt in derVerbindung von Aristotelismus und der von Augustinus herkommenden christlichenPhilosophie.im 14. Jh. erreicht die Tradition der mittelalterlichen Mystik ihren Höhepunkt. Ihrbedeutendster Vertreter ist Meister Eckhart (1260-1328), dessen Werk mystischeErfahrung und philosophische Reflexion gleichermaßen prägen.

• Spätscholastik: (14. Jh.)Bedeutende Vertreter: Wilhelm von Ockham und Nikolaus von Kues.In dieser Zeit setzt die Kritik an den metaphysischen Systemen der alten Schulen ein (viaantiqua). Der neue Weg (via moderna) vertritt den Standpunkt des Nominalismus und eskommt in der Folge zu einem Aufblühen der Naturwissenschaften.Nikolaus von Kues (1401- 1464) und seine „coincidentia oppositorum “:Die Einheit der Welt in ihrer Vielheit gründet in Gott, dem Unendlichen, in dem alleGegensätze der endlichen Dinge aufgehoben sind. Den Zusammenfall der Gegensätze inGott versucht er anhand eines mathematischen Beispiels zu verdeutlichen: Je größer der Umfang eines Kreises ist, desto mehr nähert sich der Bogen einer Geradenan, bis im Unendlichen beide zusammenfallen, die Gegensätze also aufgehoben sind. (vgl.Darstellung in: dtv - Atlas zur Philosophie, S. 90)oder: der kleinste spitze Winkel und der größte stumpfe Winkel koinzidieren imUnendlichen.

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ERKENNTNISTHEORIE - Methoden des Erkennens

1. Ablehnende Theorien:sie bestreiten oder bezweifeln eine Möglichkeit von Erkenntnis im Sinne eines „Treffens“des Erkenntnisobjektes.• Agnostizismus: gr. a-gnosis = Nicht-Kennen; vor allem auf religiösem Gebiet.• Skeptizismus: ist weniger radikal; sagt nur, dass alles zu bezweifeln sei, wobei Kritiker

anmerken, dass dann auch dieser Satz zu bezweifeln sei, oder ungekehrt: wenn gelte:„Es gibt keine Wahrheit!“, dann sei dies zumindest ein Satz mit dem Anspruch, wahr zusein. Also gäbe es doch Erkenntnis.

2. Idealismus:Unter Idealismus versteht man seit dem 18. Jh. alle philosophischen Modelle, die dieBestimmung der Welt und des Wissens von der Vernunft oder vom Geist aus vornehmen.Der Mensch kann danach allein mithilfe von Begriffen und Ideen die Welt erkennen. Im Gegensatz zum Idealismus stehen Empirismus, Materialismus, Realismus.Zum Idealismus gehören: Platons Ideenlehre, deren Weiterentwicklung durch die Stoa (Ideen = Gedanken Gottes),Augustinus, Descartes (erkenntnistheoretischer Idealismus = Ideen als Inhalte desmenschlichen Bewusstseins und nicht mehr ewige Werte einer weltentrückten Sphäre),Kant (transzendentaler Idealismus = spricht von Ideen nur im Blick auf denZusammenhang von Bewusstsein und Welt),Deutscher Idealismus (Fichte - subj. Idealismus, Schelling - obj. Idealismus, Hegel -absoluter Idealismus)

3. (Begriffs-)Realismus vs. Nominalismus:(siehe auch Universalienstreit)Der Realismus geht im Unterschied zum Idealismus von einer vom menschlichen Denkenunabhängigen Wirklichkeit aus. Diese Dingwelt sei aber im Denken erkennbar:naiver Realismus: Dingwelt ist (fast) so wie sie vom Menschen wahrgenommen wird �Materialismuskritischer Realismus: Das Denken sei ein so anpassungsfähiges Erkenntnis-werkzeug,dass immer bessere Einsichten in das Reale erreicht werden können.Gegenposition: Nominalismus (Begrifflich Allgemeines existiert nur im menschlichenDenken)

4. Klassischer Rationalismus: Lehrbuch, S. 66ff FOLIE 20ist verbunden mit dem Namen René Descartes (1596-1650):Der klassische Rationalismus ist eine theoretische Richtung, die die Vernunft (rationaleEinsicht) zur Grundlage unseres Wissens macht.Der eigentliche Ausgangspunkt der cartesianischen Philosophie ist der Zweifel:Descartes sucht nach einem sicheren Ausgangspunkt philosophischen Erkennens, dernicht mehr anzuzweifeln ist, der weder einer Sinnestäuschung, noch einerVerstandestäuschung oder einer metaphysischen Täuschung unterliegt und er findetdiesen im denkenden Ich (= res cogitans). Ich kann nämlich alles bezweifeln, nur dass ichdenke (= die Voraussetzung des Zweifelns), das kann ich nicht mehr bezweifeln, daher:„cogito ergo sum.“ Das ist das oberste Axiom.

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Der res cogitans korrespondiert die res extensa (= die ausgedehnte Substanz oderKörperwelt), deren Sein und Erkennbarkeit garantiert ist durch eine dritte Substanz,nämlich Gott. Wahrheit kann das Ich nur erreichen, wenn Gott das ermöglicht. Die IdeeGottes ist eine idea innata, eine eingeborenen Idee.Zum Gottesbeweis: D. folgt dem ontologischen Argument Anselms, wonach dasontologisch Geringere, die Idee, nicht Ursache des Höheren, der göttlichen Substanz, seinkann. Die Idee Gottes schließt auch die Wahrhaftigkeit mit ein und somit ist er der Garantfür die Richtigkeit der Welt und ihrer Erkenntnis.

Charakteristik des klass. Rationalismus:Wahr und logisch ist das, was klar und logisch gedacht werden kann (Beginn desmodernen wissenschaftlichen Denkens). Quelle der Erkenntnis ist die Vernunft. AlleErkenntnis muss vom Subjekt ausgehen. Diese Vernunft ist bei allen Menschen gleich. Sieist der Garant für sicheres Wissen. Damit ist ein Dualismus geprägt: Subjekt - Objekt,Geist - Materie, Mensch - Natur, Forscher - zu Erforschendes bzw. Erforschtes.Die Geometrie bietet ein Modell, wie man - ausgehend von einsichtigen Voraussetzungen(Axiomen) - durch streng logisches Denken zu sicheren Schlussfolgerungen gelangenkann. Dieses mathematische Modell wird nun auf alle Lebensbereiche übertragen. Dielogische Ordnung der Welt ermöglicht es, sie deduktiv zu erfassen.Andere bedeutende Vertreter: Spinoza, Leibniz (Monadenlehre)

5. Klassischer Empirismus: Lehrbuch, S. 60ffist verbunden mit dem Namen: Francis Bacon (1561-1626)

John Locke (1632-1704) und vor allem David Hume (1711-1776)

Der klassische Empirismus ist eine erkenntnistheoretische Richtung, die alle Erkenntnisauf Sinnes-Erfahrung zurückführt. Das Ich kann kein wahres Wesen beanspruchen, es istnur ein Bündel wechselnder Empfindungen. Der Erkenntnisakt ist nichts anderes alsEmpfindung und Zusammenfassung der Empfindung zu simpler Gewohnheit. AlleVorstellungen und Ideen sind nur Abbilder der Wahrnehmung, der Eindrücke(Perzeptionen). Was der Verstand leistet, ist ein Bezugssystem. Es gibt keinemetaphysische Hinterwelt, keine Ideen im Sinne Platons, etc.

Charakteristik des klassischen Empirismus Folie 21Quelle aller Erkenntnis ist die Sinneswahrnehmung (empirischer Sensualismus). Es ist nichts imVerstand, was nicht vorher in den Sinnen gewesen ist; esse est percipi.

Hume unterscheidet:• Eindrücke: sind alle Sinneswahrnehmungen und Selbstwahrnehmungen (Emotionen,

Wünsche)• Vorstellungen: sind Abbilder von Eindrücken, die wir in Form von Erinnerungen und

Nachdenken haben• einfache Vorstellungen: werden aufgrund der Einbildungskraft zu komplexen

Vorstellungen• die Verbindung von Vorstellungen: folgt dem Gesetz der Assoziation, das auf den

Prinzipien der Ähnlichkeit, der Nähe von Zeit und Raum, der Ursache und Wirkungberuht

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Die Konsequenz aus diesem Ansatz ist ein gemäßigter Skeptizismus gegenüber allerErkenntnis. Nur in der Mathematik und Logik gibt es sicheres Wissen (weil analytisch undformal!), in den Naturwissenschaften gibt es nur (hohe) Wahrscheinlichkeit, aber keineabsolute Sicherheit (� mod. Naturwissenschaften, Kritischer Rationalismus), dieMetaphysik schafft gar kein Wissen, höchstens Dogmatismus, Fanatismus undAberglauben. (Zitat: „Nehmen wir irgendein Buch zur Hand, z.B. über Theologie oder Schulmetaphysik,so lasst uns fragen: Enthält es eine abstrakte Erörterung über Größe und Zahl? Nein.Enthält es eine auf Erfahrung beruhende Erörterung über Tatsachen und Existenz? Nein.So übergebe man es den Flammen, denn es kann nichts als Sophisterei und Blendwerkenthalten.“)

6. Kritizismus: Lehrbuch, S. 73ff FOLIE 22 + 23ist verbunden mit dem Namen Immanuel Kant (1724-1804)Kant will eine Verbindung von Rationalismus und Empirismus herstellen: Denken ohneAnschauung (Erfahrung) ist leer , Anschauung ohne Denken ist blind .Kant fragt nicht. „Was ist“, sondern „Welche Bedingungen machen Erkenntnis überhauptmöglich?“ Diese Art der Fragestellung nennt er „transzendental“.In seiner „Kritik der reinen Vernunft“ findet Kant die Lösung in der kopernikanischenWende der Metaphysik: Die Erkenntnis richtet sich nicht nach den Gegenständen,sondern die Gegenstände richten sich nach der Erkenntnis. 1. Die Sinne liefern nur ein strukturloses Gebilde von Empfindungen. Diese Empfindungenwerden im Subjekt geordnet nach den Anschauungsformen von Raum und Zeit und nachden Kategorien (Verstandesbegriffen)Ein Bsp.: Die Größe eines Gegenstandes bestimmen wir als Relation; dabei gehört demBereich der Erfahrung das konkrete „Größer oder Kleiner“ an, während die Tatsache, daßwir überhaupt Relationen herstellen, nicht dem Bereich der Erfahrung entstammt. Wasnicht dem Bereich der Erfahrung entstammt nennt Kant a priori .2. Raum und Zeit sind reine a priorische Anschauungsformen, d.h. vor bzw. unabhängigvon jeder Erfahrung, allgemeingültig.Raum und Zeit haben empirische Realität insofern, als wir alle Gegenstände in ihnenoder durch diese „Brille“ wahrnehmen;Raum und Zeit haben andererseits transzendentale Idealität , d.h. sie existieren nicht alsBestimmungen der Dinge an sich, sondern nur als Bedingungen unserer Wahrnehmung.3. Kategorien sind Verstandesbegriffe, mithilfe derer der Verstand die Wahrnehmungordnet, ihnen eine Struktur gibt; sie sind ebenfalls a priori.Kant unterscheidet 4 Kategorien:+ Quantität: was ich über die Anzahl aussagen kann (alle - einige - einzelnes)+ Qualität: was ich über die Beschaffenheit sagen kann (Apfel ist saftig, schwer, etc.)+ Relation: was ich über Beziehungen aussagen kann (größer, kleiner, etc.)+ Modalität: etwas ist möglich, notwendig, zufällig oder überhaupt nicht4. Die Bedingungen unserer Wahrnehmung sind a priori. Der Aufbau der Objektwelt erfolgtbei allen Menschen auf dieselbe Weise.A posteriori sind durch Erfahrung gewonnene Einsichten und Erkenntnisse.Kant hat den Bereich der Verstandestätigkeit auf die Welt der Erscheinungen(phänomena ) beschränkt, d.h. an die Dinge für uns gebunden.Die Dinge an sich (noumena ) bleiben unerkennbar. Ihre Welt ist „problematisch“, d.h.möglich, sind aber mithilfe der Kategorien nicht erkennbar.

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Die Hauptfrage Kants ist. Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?Er sucht die Begründung für Urteile, die nicht aus der Erfahrung (= a posteriori) stammenund die auch nicht analytisch sind (die also das Subjekt nicht erweitern, sondern nurentfalten!)analytisches Urteil : Der Kreis ist rund (Das Rundsein ist im Kreis schon enthalten)

dieses Urteil ist tautologisch, a priori, allgemein gültigsynthetisches Urteil : Heute ist schönes Wetter (das muss nicht so sein, ist also

erfahrungsbedingt, a posteriori, und nicht allgemein gültig)Wirklich wissenschaftliche Erkenntnis muss nach Kant notwendig und allgemein sein,ansonsten ist sie zufällig, beliebig, unwissenschaftlich. Gibt es aber solche synthetischeUrteile a priori? Kant meint, eine Reihe solcher Sätze gefunden zu haben, z.B. Urteile inder Mathematik, Prinzipien der Naturwissenschaft (Kausalitätsprinzip) und seinkategorischer Imperativ (� Ethik)Andere Philosophen haben ihm widersprochen und bis heute ist umstritten, ob essynthetische Urteile a priori und damit Wissenschaft im strengen Sinn gibt.Bsp. für ein synthetisches Urteil a priori : 7 + 5 = 12 (12 ist weder in 7 noch in 5 enthalten) dieses Urteil ist nicht aus der Erfahrungund auch nicht analytisch

7. Deutscher Idealismus:

7.1. Johann Gottlieb Fichte (1762-1814): (Buch S. 95ff)Betrachtet sich als Fortsetzer und Vollender Kants. Er formuliert Kants Entgegensetzung vonmenschlichen Vernunft und natürlicher Welt als den Gegensatz von Ich und Nicht-Ich. Es gibt einProblem, wenn das Nicht-Ich Gegenstand der Erkenntnis des Ich sein soll. Ist das Ich durch dasNicht-Ich bestimmt (weil es nichts erkennen kann, was nicht auf es einwirkt), oder ist das Ich fürdas Nicht-Ich bestimmend (weil es ja als Nicht-Ich nur anerkennen kann, was es erkennt)?

Fichte entschied sich für eine streng subjektivistische Formulierung des Zusammenhangsvon Geist (Ich) und Welt (Nicht-Ich). Das Ich setzt sich selbst und damit zugleich seinGegenüber, das Nicht-Ich. Die Grundbedingung für die Möglichkeit der Erkenntnis (KantsAusgangsfrage) fand Fichte also im schöpferischen Tätigsein des Bewusstseins, das dieWelt von sich aus sozusagen entwirft.

7.2. Friedrich Wilhelm Schelling (1775-1854):ist zunächst von Fichte angetan, trennt sich aber dann von ihm.Seine Grundfrage ist die nach der Einheit der Gegensätze von Subjekt und Objekt, vonGeist und Natur. Er sieht die Rolle der Natur als untergeordnete Natur verkannt.Die Selbstsetzung des Ich erfolgt parallel mit dessen Hervorgehen aus der Natur.Er entwickelt seine Identitätsphilosophie: „Alles, was ist, ist an sich eines, ist etwasschlechthin Identisches.“Die Subjekt- und Objektsphäre entspringen also einer absoluten, gottähnlichen, geistigenEinheit.Dieselbe Tätigkeit, die im freien menschlichen Handeln mit Bewusstsein produktiv ist, istim Hervorbringen der Natur ohne Bewusstsein produktiv. Der Geist ist bewusste, die Naturbewusstlose Intelligenz.

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7.3. Georg Friedrich Hegel (1770-1831): (Buch S. 97ff)Gehört mit Aristoteles und Thomas von Aquin zu den großen Systemdenkern.Hegel will zeigen, wie sich der Geist nach dem dialektischen Prinzip Stufe um Stufe zumAbsoluten erhebt. Im Laufe der Welt zeigt sich nichts Anderes als die Selbstentfaltung desabsoluten Geistes.Die Dialektik Hegels beschreibt die Gesetzmäßigkeiten, die der Natur des Denkens undder Wirklichkeit zugrunde liegen. Jede These birgt in sich bereits ihre Antithese , beidewerden aufgehoben (Doppelsinn) in der Synthese . FOLIE 25Widersprüche sind Momente des Übergangs bzw. des Werdens in einem Ganzen, dessenjeweils letzte Stufe die beiden vorherigen hinter sich gelassen hat, wobei die eigeneBedeutung nicht preisgegeben wird.Der Geist selbst hat sich entfremdet oder entäußert und hat sich wieder mit sich versöhntoder ist in sich zurückgekehrt. Das Denken Hegels beschreibt den Prozess, bei dem derGeist. sich in die ihm fremde Form der Natur entlässt und durch die Geschichte hindurchim Menschen zu sich kommt. Am Ende steht der sich selbst wissende Geist, das Absoluteals „die Identität der Identität und der Nicht-Identität“.� Religionsphilosophie Hegels: Der Mensch weiß nur von Gott, insofern Gott imMenschen von sich selbst weiß. � Hegels gnostische Theosophie identifiziertmenschliches Wissen mit der Vollendung der Wirklichkeit Gottes. Das ist der höchsteAnspruch, den je eine Philosophie erhoben hat.Geschichtsphilosophie Hegels: FOLIE 26Hegel versucht in einem großangelegten Entwurf, alle Elemente und Widersprüche derhistorischen Prozesse zu einem System zu vereinen. Die Vernunft (bei Hegel: Weltgeist)kommt im Verlauf der Geschichte zu sich, zum Bewusstsein seiner selbst. Der Weltgeistverwirklicht sich in der und durch die Geschichte der Menschheit. Er spaltet sich gleichsamauf in verschiedene Volksgeister. Alle Handlungen der Menschen (kollektiv, individuell)sind nach Hegel Ausdruck dieser Vernunft. Geschichte ist der Fortschritt der Vernunft, d.h.nach Hegel auch Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit. Das Maß der erreichten Freiheitist nach Hegel die Norm, nach der man eine Gesellschaft beurteilen kann (negativeEntwicklungen nennt er die „List der Vernunft“: die Vernunft setze sich auf Umwegendurch). Mittels der dialektischen Methode beschreibt Hegel die Dynamik der Entwicklung:Von der Freiheit eines Einzelnen (Tyrannen im alten Orient) � über die Freiheit Weniger(Sklavenhaltergesellschaft in der Antike) � zur Freiheit aller (preußischer Staat).

8. Positivismus: (Auguste Comte: 1798-1857) Buch S. 244f FOLIE 28Grundlage der Theorie von Comte ist das sog. Dreistadiengesetz. Es betrifft die geistigeEntwicklung der Menschheit, die jeder einzelnen Wissenschaft sowie des Individuums.• Im theologischen oder fiktiven Stadium erklärt der Mensch die Erscheinungen in der

Welt durch das Wirken übernatürlicher Kräfte.• im metaphysischen oder abstrakten Stadium werden übernatürliche Kräfte durch

abstrakte (leere) Wesenheiten ersetzt. (= verkappte Theologie!!)• im wissenschaftlichen oder positiven Stadium wird die Suche nach letzten Ursachen

aufgegeben und das Erkenntnisinteresse wendet sich bestehenden Tatsachen zu.Grundlage ist die Beobachtung und die Methode der Induktion (von einzelnenBeobachtungen werden allgemeine Gesetzmäßigkeiten abgeleitet. Unter positivversteht man: tatsächlich, nützlich, genau, relativ (keine Absolutheitsansprüche).Positive Wissenschaften sind für Comte: Mathematik, Astronomie, Physik, Chemie,Biologie, Soziologie, wobei der Grad der Komplexität von der ersteren zur letzterenzunimmt. Die Soziologie soll die Wissenschaft von der Gesamtheit der menschlichenVerhältnisse sein, muss aber erst als positive Wissenschaft aufgebaut werden.

Die von Comte später proklamierte positive Religion gründet sich auf die Liebe zurMenschheit als dem höchsten Wesen, wofür Comte den Ausdruck Altruismus prägt.

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vgl. R. Haller, Grenzen der Sprache -Grenzen der Welt (zit. aus Philosophie zum Lesen, 57)Auguste Comte nennt seine Lehre Positivismus, das heißt das positive Stadium der Wissen-schaft, abgeleitet vom lat. Wort ponere (bezogen auf alles, was vor einem steht oder liegt,was man angreifen, anschauen, hören, riechen kann). Comte stellt die Entwicklung dermenschlichen Erkenntnis so dar, dass am Beginn ein theologisches Stadium steht, das voneinem metaphysischen Stadium abgelöst wird. Während im theologischen Stadium diegeistigen Kräfte im Fetischismus und in der Vielgötterei personifiziert werden und auf dasHandeln der Menschen einwirken, treten im metaphysischen Stadium an die Stelle derGötter Ideen und abstrakte Prinzipien, um das Wesen der Welt zu erklären. Die beidenStadien werden abgelöst durch das Stadium der positiven Wissenschaften, für die die Regelgilt, dass alle Behauptungen auf Tatsachen zurückzuführen sind. In diesem Stadium ist diesinnliche Erfahrung einziger gültiger Ausgangspunkt, hypothetisch Aussagen zu treffen. Zusehen, um vorauszusehen, ist der Leitspruch der positivistischen Philosophie.

9. Dialektischer und historischer Materialismus: Buch S. 273ffDer Materialismus geht im Gegensatz zum Idealismus (vgl. Platon oder Hegel) davon aus,dass die Materie das Bewusstsein bestimmt und nicht umgekehrt, wonach ein Weltgeistoder Ideen das Stoffliche bestimmen. Die Materie entwickelt sich dialektisch durch denZusammenprall entgegengesetzter Kräfte.Der historische Materialismus (Karl Marx (1818-1883) ist ein Sonderfall des dialektischenMaterialismus (Friedrich Engels (1820-1895).Der DIAMAT besteht im wesentlichen aus der Beschreibung der objektiven, von dermenschlichen Erkenntnis unabhängigen Entwicklung der Materie. Diese ist nie statisch,sondern stets im Werden begriffen, was sich nach drei Gesetzen vollzieht:• das Gesetz von der Negation der Negation• das Gesetz von der Durchdringung der Gegensätze• das Gesetz vom Umschlag von Quantität und Qualität FOLIE 30Engels wählt zur Veranschaulichung das Beispiel des Gerstenkorns:ad 1): Das Korn fällt in die Erde und wird dort vernichtet (= negiert). Daraus sprosst diePflanze und aus deren Negation, dem Absterben, ergibt sich wieder das Korn, dasallerdings auf höherer Ebene, weil um ein Vielfaches vermehrt.ad 2): Die Gegensätze Korn - Pflanze greifen ineinander über und lösen sich gegenseitigab. Das Korn keimt, es entsteht eine Pflanze, aus der Pflanze entsteht Korn etc.ad 3): Die Veränderung der Quantität (hier an Zellen) ist Voraussetzung für den Umschlagin qualitativ Anderes: vom Samen zur Pflanze.Die ganze Materie entwickelt sich in solchem Umschlag der Gegensätze; damit ist auchdie Geschichte zu erklären. � HISTOMAT (ist eine Umsetzung von HegelsGeschichtsphilosophie)Marx hat die Philosophie Hegels vom Kopf auf die Füße gestellt: Nicht der Weltgeist,sondern die ökonomischen Bedingungen sind für den Geschichtsverlauf entscheidend.Dialektik wirkt sowohl an der materiellen Basis (Natur und Aneignung der Natur durch denMenschen = Produktion), als auch im darüber sich erhebenden kulturellen Überbau(Wissenschaft, Kultur). Das Endziel des Geschichtsverlaufs liegt in der Verwirklichungidealer, d.h. gleicher Lebensverhältnisse.Das folgende Zitat von K. Marx verdeutlicht die Aspekte der sogenanntenWiderspiegelungstheorie (G. Klaus/M. Buhr, Philosophisches Wörterbuch, Bd. 2, Leipzig1975, 757):

Ganz im Gegensatz zur deutschen Philosophie (= Philosophie Hegels), welche vom Himmelauf die Erde herabsteigt, wird hier von der Erde zum Himmel gestiegen. Das heißt, es wirdnicht ausgegangen von dem, was die Menschen sagen, sich einbilden, sich vorstellen, auch

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nicht von den gesagten, gedachten, eingebildeten, vorgestellten Menschen, um davon ausbei den leibhaftigen Menschen anzukommen; es wird von den wirklichen, tätigen Menschenausgegangen, und aus ihrem wirklichen Lebensprozeß auch die Entwicklung derideologischen Reflexe und Echos dieses Lebensprozesses dargestellt ...Die Gesamtheit der Produktionsverhältnisse bildet die ökonomische Struktur der

Gesellschaftdie reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer Überbau erhebt, und welcherbestimmte gesellschaftliche Bewusstseinsformen entsprechen. Die Produktionsweise desmateriellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozeß überhaupt.Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihrgesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt.

Nicht der Weltgeist, sondern die ökonomischen Bedingungen bestimmen das Bewusstseinund Denken der Menschen. Geschichte ist nicht Entfaltung der Vernunft, sondernGeschichte von Klassenkämpfen. Jede Gesellschaft ist bestimmt durch ihre materielleBasis, wie die Produktionsmittel verteilt sind, welche Produktionsverhältnisse (Gesamtheitder materiellen Beziehungen der Menschen, z.B. Eigentum) vorherrschen, wie der Standder Produktivkräfte (Fähigkeiten und Erfahrungen, Produktionsmittel) ist, wie dieReichtümer verteilt werden. Der geistige Überbau ist von der Basis abhängig.Philosophische Ideen sind nicht Ausdruck genialer Einzelmenschen, sondern eine Formgeistiger Reflexe der wirtschaftlichen Verhältnisse (= Widerspiegelungstheorie , vgl.dazu: FOLIE 31). Widersprüche in der Basis (Ungleichheiten etc.) führen zu Klassenkämpfen und spiegelnsich auch im Überbau (bürgerliche Revolutionen).Marx unterscheidet 5 große Geschichtsepochen: FOLIE 32• die kommunistische Urgesellschaft• die antike Sklavenhaltergesellschaft• die mittelalterliche Feudalgesellschaft• die bürgerliche Gesellschaft (Widerspruch zwischen Kapital und Lohnarbeit,

Ausbeutung der Arbeiter)• und die zukünftige sozialistische Gesellschaft (mit dem Übergangsstadium der Diktatur

des Proletariats)

Die Religion ist für Marx, der Feuerbachs Projektionsthese (Kern der Religion ist dieHypostasierung des Selbstbewusstseins des Menschen als Gattungswesen) folgt, „derGeist geistloser Zustände, ..... das Opium des Volkes“.

Wichtig bei Marx ist noch der Begriff der Entfremdung, v.a. im Zusammenhang mit demKapitalismus. Der Arbeiter verliert im arbeitsteiligen Prozess jeden Kontakt mit demProdukt seiner Arbeit. Er sieht sich in Ausbeutung durch den Kapitalisten und inKonkurrenz mit seinesgleichen. Die anonyme Macht des Geldes entfremdet ihn vonseinem Wesen.

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10. Kritische Theorie: Buch S. 276ff

Sie geht davon aus, dass sich Widersprüche im kapitalistischen System nicht auflösenlassen. Wichtigste Vertreter: Erich Fromm, Theodor Adorno, Jürgen Habermas, HerbertMarcuse, Max Horkheimer (Frankfurter Schule).Eine zentrale Rolle spielt auch hier der Begriff der „Entfremdung“.Ein Text von E. Fromm (zitiert aus: Lust an der Erkenntnis. Die Philosophie des 20.Jahrhunderts. - München 1986, 291):Der moderne Kapitalismus braucht Menschen, die reibungslos und in großer Zahl zusammenarbeiten, diemehr und mehr konsumieren wollen, deren Geschmack jedochstandardisiert, leicht zu beeinflussen und vorauszusagen ist. Der moderne Kapitalismus braucht Menschen,die sich frei und unabhängig fühlen und glauben, keiner Autorität, keinem Prinzip und keinem Gewissenunterworfen zu sein - die aber dennoch bereit sind, Befehle auszuführen, das zu tun, was man von ihnenerwartet, sich reibungslos in die gesellschaftliche Maschine einfügen, sich leiten und dirigieren lassen - mitder einen Ausnahme: nie untätig zu sein, zu funktionieren und weiterzustreben.Was ist das Ergebnis? Der moderne Mensch ist sich selbst wie auch den Menschen und der Naturentfremdet. Er ist zu einer Ware geworden, erlebt seine Lebenskraft als eine Kapitalanlage. Diemenschlichen Beziehungen sind im wesentlichen die entfremdeter Automaten, deren Sicherheit daraufberuht, möglichst dicht bei der Herde zu bleiben und sich im Denken, Fühlen oder Handeln nicht von ihr zuunterscheiden.

Die Entfremdung, wie wir sie in der modernen Gesellschaft finden, ist beinahe total.Sie durchdringt die Beziehung des Menschen zu seiner Arbeit, zu den Dingen, dieer verbraucht, zu seinen Mitmenschen und zu sich selbst. Der Mensch hat eine Weltvon Dingen aus Menschenhand geschaffen, wie es sie niemals vorher gegeben hat.Er hat eine komplizierte Gesellschaftsmaschinerie errichtet, um den von ihmaufgebauten technischen Apparat zu verwalten. Dennoch steht diese, seine eigeneSchöpfung hoch über ihm. Er empfindet sich nicht als ihren Urheber undMittelpunkt, sondern als den Diener eines Golem, den seine Hände erschaffenhaben. Je gewaltiger und riesenhafter die Mächte sind, die er entfesselt, destoohnmächtiger fühlt er sich selbst als menschliches Wesen. Seine eigene Schöpfungbesitzt ihn, während er den Besitz seiner selbst verloren hat. Er hat sich eingoldenes Kalb geschaffen und sagt: < Dies sind die Götter, die euch aus Ägyptengeführt haben.>

Absicht der kritischen Theorie ist es, die Wurzeln der Gesellschaft zu erforschen. Dazubedient man sich der (negativen) Dialektik. Sie besteht darin: FOLIE 43• Widersprüche aufzeigen, nicht beseitigen• Verschiedenes als Andersartiges gelten lassen, nicht harmonisieren• These und Antithese betonen, nicht in der Synthese vereinen• Alles Gedachte als unabgeschlossen betrachten, kein abgeschlossenes System• das Objekt ist durch die Andersartigkeit dem Subjekt gegenüber charakterisiert, sie

drückt sich auch aus in der Entfremdung Mensch - Natur

Die negative Dialektik zielt also darauf, das Andere als das Verschiedene gelten zu lassen,das Nicht-Identische zu bewahren, anstelle es in einer Synthese zu harmonisieren. Einsolcher Versuch wäre trügerischer Schein und eine vernünftig gegliederte Weltreproduzieren zu wollen. So wird z.B. Hegel als Harmonisierer kritisiert.Zwischen Objekt und Subjekt besteht immer ein Unterschied, auch dann noch, wenn dasObjekt durch das Subjekt gedacht wird.

Erstrebenswertes Ziel der kritischen Theorie ist die Emanzipation durch die Beseitigungvon Herrschaft und Unterdrückung. � Herrschaftsfreier Diskurs!

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11. Evolutionäre Erkenntnistheorie: Buch, S.78ffAusgangsposition:Das Überleben der primitivsten Urzelle hatte zur Voraussetzung, dass es in der UmweltBedingungen gab, die mit vorhersehbarer Regelmäßigkeit wiederkehrten. Nur fürBedingungen, auf die das zutrifft, lässt sich ein Programm angeborener Reaktionen oderVerhaltensweisen entwickeln. Diese Programme sind aber nichts anderes als angeboreneHypothesen über die Welt. Solche Hypothesen sind beispielsweise, dass die Weltdreidimensional strukturiert ist, dass es linear-kausal zugeht (auf A folgt B), und dassgleiche Wirkungen auf identische Ursachen schließen lassen. D.h. anders ausgedrückt,dass uns diese angeborenen Hypothesen oder Lehrmeister (der ratiomorphe Apparat)keine andere Wahl lassen, als die Welt dreidimensional zu sehen und linear-kausal zudenken.

Man geht nun davon aus, dass das Wissen zu 99% angeboren ist, dieses Wissen jedochnicht ein absolut objektives Bild der Realität vermittelt, sondern lediglich geeignet undzweckmäßig ist: unser Wissen über die Welt ist also hypothetisch. Der Wiener BiologeRupert Riedl hat das angeborene Wissen folgendermaßen systematisiert (4 Hypothesen,ratiomorpher Apparat, die angeborenen Lehrmeister, die angeborenen Vermutungen):1. Hypothese vom Anscheinend-Wahren: bedingte Reflexe (vgl. Pawlowscher Hund); oft zufällige Zusammenhänge werden als notwendige Zusammenhänge interpretiert.2. Hypothese vom Vergleichbaren: Merkmale von Gegenständen sind konstant (Apfel - Rückseite ohne beliebige Kombination); Mustererkennung: die Giraffe muss den Löwen am Schwanz erkennen, sonst ist sie bald keine Giraffe mehr.3. Hypothese von den Ur-Sachen: gleiche Dinge haben dieselbe Ursache.4. Hypothese von den Zwecken: ich erkenne die Schere am Zweck.

Der Grundsatz:Erkennen ist nicht mit absoluten Inhalten versehen, sondern ist einProblemlösungsverhalten (im Laufe der Evolution ist Erkenntnis durch Anpassungentwickelt): man erkennt, um ein Lebensproblem zu lösen. Im Gegensatz zu anderenLebewesen stellt der Mensch Theorien auf, um sein Leben planen zu können (Theorienüber die objektive Wirklichkeit).Eine lebensdienliche (zweckdienliche) Funktion kann die Erkenntnis nur dann erfüllen,wenn sie richtig ist. Wir sehen die Dinge an sich zwar immer nur aus einer bestimmten undsich wechselnden Perspektive, immer selektiv; aber dies ist zweckmäßig: Das Bild, das wirvon der Außenwelt haben, ist nicht originalgetreu, sondern zweckmäßig. In einer Weltpermanenter Täuschungen kann man auf Dauer nicht leben: Der Affe, der keinerealistische Wahrnehmung von dem Ast hatte, nach dem er sprang, war bald ein toter Affe.Das Problem des Menschen:Das Charakteristische am Menschen ist das Fehler-Machen und Durch-Fehler-Lernen: DerUnterschied zwischen der Amöbe und Einstein besteht darin, dass beide zwar dieMethode von Versuch und Irrtumsbeseitigung anwenden, aber die Amöbe nicht gern irrt,während Einstein gerade davon angezogen wird: er sucht bewusst nach seinen Fehlern,um aus ihrer Entdeckung und Beseitigung etwas zu lernen. Damit hat der Mensch einenSelektionsvorteil.

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Die biologische Lebenshilfe der angeborenen Lehrmeister hat sich Jahrmillionen bewährt.Es ging ja ursprünglich auch nie darum, herauszufinden, wie die Welt wirklich ist, sondernallein darum, wie ihr am einfachsten beizukommen ist. Unser Gehirn ist ja ursprünglichauch kein Organ zum Erkennen, sondern bloß ein Organ zum Überleben. (Heute steckenwir jedoch in dem Dilemma unserer Vernunft, dass wir ohne die uns angeborenenLehrmeister (Vorurteile) über die Welt jeden Halt und jede Orientierung verlieren, und dasswir gleichzeitig die Wahrheit über die Welt in dem Maß verfehlen, in dem wir uns denangeborenen Lehrmeistern anvertrauen.)

Heute gehört es zu den wichtigsten Aufgaben der Menschheit, Prognosen bzw.Überlebensprogramme zu erstellen. Die Welt ist jedoch so komplex, dass die für eineüberschaubare Welt konzipierten Lehrmeister versagen. Bezogen auf komplexe Systemeist der Mensch kein rationales (prometheisches) Wesen, sondern ein rationalisierendesLebewesen, ein epimetheisches Lebewesen, das immer im nachhinein weiß, wie etwashätte ausgeführt werden sollen. Diesem Dilemma stehen wir heute gegenüber: derpessimistische Aspekt dieser Feststellung führt dazu, dass der Mensch als Irrläufer derEvolution bezeichnet wird (Arthur Köstler), der optimistische Aspekt geht in die Richtung,dass behauptet wird, die Zukunft sei nicht determiniert, sondern offen; d.h.: Der Mensch istprädisponiert, aber keineswegs prädestiniert!

Zusammenfassung:1. Erkenntnis ist das Resultat von Evolution.2. Alle Organismen sind informationsverarbeitende Systeme.3. Kenntnis und Wissen haben lebenserhaltende Bedeutung und sind biologisch zweckvoll.4. Jede Spezies hat eine bestimmte Sicht der Realität, die annähernd wahr ist.5. Bei jeder Realitätswahrnehmung handelt es sich um einen Kreislauf von Erfahrung und Erwartung. Wir gehen mit Annahmen an die Außenwelt und schauen, wie weit wir damit kommen; wir revidieren diese Hypothesen jedoch ständig. Wir lernen aus unseren Fehlern (außer es war ein tödlicher Fehler).6. Aus falschen Theorien lernen wir; falsche Theorien sind allerdings lebensbedrohlich, wenn wir unsere physische Existenz auf ihnen begründen (z.B. ein Raumfahrer, der eine falsche Theorie von der Schwerkraft hat); falsche Theorien sind auch dann lebensbedrohlich, wenn daraus menschenverachtende Ideologien gemacht werden.

Text: Konrad Lorenz zur evolutionären Erkenntnistheorie:Wenn wir unseren Verstand als Organfunktion auffassen, so ist unsere naheliegende Antwort auf dieFrage, wieso seine Funktionsform auf die reale Welt passe, ganz einfach diese: Unsere vor jederindividuellen Erfahrung festliegenden Anschauungsformen und Kategorien passen aus ganzdenselben Gründen auf die Außenwelt, aus denen der Huf des Pferdes schon vor seiner Geburt aufden Steppenboden passt. Bei keinem derartigen Organ glaubt irgendein vernünftiger Mensch, dassseine Form dem Objekt seine Eigenschaft vorschreibe, sondern jedermann nimmt alsselbstverständlich an, dass das Wasser seine Eigenschaften völlig unabhängig von der Fragebesitzt, ob die Fischflossen sich mit ihnen biologisch auseinandersetzen oder nicht. Ganzselbstverständlich sind es irgendwelche Eigenschaften, die dem Ding, das hinter der Erscheinung„Wasser“ steckt, an sich zukommen, die zu der speziellen Anpassungsform der Flossen geführthaben, die von Fischen, Reptilien, Vögeln etc. unabhängig voneinander herausdifferenziert wurden.Offensichtlich sind es die Eigenschaften des Wassers, die diesen so verschiedenen Lebewesen dieübereinstimmende Form und Funktion ihres Lokomotionsorganes vorgeschrieben haben.

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12. Kritischer Rationalismus: Buch, S. 83ffKarl Popper (1902-1994) formuliert sein erkenntnistheoretisches Konzept folgendermaßen(Logik der Forschung. - Berlin 1969, S. 16)

So wie jeder seine Philosophie hat, so hat auch jeder seine - gewöhnlich -unbewusste Erkenntnistheorie; und vieles spricht dafür, dass unsereErkenntnistheorien unsere Philosophien entscheidend beeinflussen. Die Grundfrageist: Können wir überhaupt etwas wissen?Die Antwort auf diese Frage zeigt, dass wir von unseren Fehlern lernen können.Eine Annäherung an die Wahrheit ist möglich. Das war meine Antwort auf denerkenntnistheoretischen Pessimismus. Aber ich gab auch eine Antwort auf denerkenntnistheoretischen Optimismus: Sicheres Wissen ist uns versagt. UnserWissen ist ein kritisches Raten; ein Netz von Hypothesen; ein Gewebe vonVermutungen.

Popper stammt aus einer großbürgerlichen jüdischen Familie. Die Sicherheit im Alltagwurde durch den Krieg zerstört. Popper lernt der Sicherheit zu misstrauen und die Welt mitkritischen Augen zu betrachten. Nach dem 1. Weltkrieg wurde Popper Marxist. ErlebteGewalt brachte ihn dann zur Marxkritik: es kommt bei der Wissenschaft nicht auf einDogma an, sondern auf die Kritik. Er wendet sich auch gegen den Wiener Kreis, gegenden absoluten Begründungsanspruch, der auf Platon und Aristoteles zurückgeht. Er vertrittdas Ideal einer offenen Gesellschaft und einer Bescheidenheit in der Philosophie (Dieoffene Gesellschaft und ihre Feinde).Induktionsproblem: Falsifikation statt VerifikationPopper sagt, wir haben zwar eine Wahrheit, aber keine Sicherheit (wir wissen nicht, wirraten). Wir suchen immer wieder nach einer objektiven Wahrheit. Wenn eineÜbereinstimmung zwischen Beschreibung, Behauptung und objektivem Sachverhaltbesteht, ist eine Theorie wahr. Theorien können vorläufig wahr sein, es gibt aber keinesichere Wahrheit. Die Suche nach der sicheren Wahrheit war schon bei den Griechenvorhanden; Aristoteles war der Induktionsphilosoph. Die Induktion ist jedoch ein Problem,sie führt in eine Sackgasse. Lernen und Erkenntnisgewinn kann man nur durch Versuchund Irrtum erreichen, wobei am Anfang aller Erkenntnis die Probleme stehen. Wir lernennur, wenn wir Probleme haben. Jedes wissenschaftliche (theoretische) System muss an der Erfahrung scheitern können(Marx als orakelnder Philosoph, der schon längst widerlegt ist). These von der prinzipiellenFehlbarkeit der Vernunft und dem hypothetischen Charakter jeglicher Erkenntnis.Hypothesen und Theorien müssen möglichst intensiv der Kritik ausgesetzt werden. DasKriterium der prinzipiellen Falsifizierbarkeit von wissenschaftlichen Theorien. DerErkenntnisfortschritt kommt durch die Methode von Versuch und Irrtum bzw. durchVermutungen und Widerlegungen zustande.Induktion beschäftigt sich mit dem Schließen von einer Tatsache auf ein allgemeinesGesetz. Ziel ist es, eine Theorie durch immer mehr Einzelbeobachtungen zu verifizieren:Ich sehe einen weißen Schwan, ich sehe einen zweiten, dritten, vierten weißen Schwan.Aufgrund dieser Beobachtungen behaupte ich: Alle Schwäne sind weiß! DieseBehauptung wird durch weitere Beobachtungen gestützt (inzwischen habe ich 3578 weißeSchwäne beobachtet).Popper ersetzt die Verifikation durch die Falsifikation: je schwieriger die Falsifizierung einerTheorie ist, und je länger die Falsifikation nicht gelingt, desto größer wird dieWahrscheinlichkeit, dass die Theorie brauchbar ist. Trotzdem ist die Theorie nur vorläufigund relativ. Falsifikation ist die Methode eines negativen Ausleseprozesses: ähnlich wie inder Natur werden unbrauchbare Lösungsmodelle nicht weiter verfolgt (Evolution derWissenschaften).Beispiel: Ein englischer Truthahn kommt auf einen für ihn neuen Bauernhof und bemerkt,dass er immer um 9 Uhr sein Futter bekommt. Er ist ein gewissenhafter Induktionist und

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beobachtet genau das Wetter, den Tag etc.: immer bekomme ich um 9 Uhr das Futter,egal ob es regnet, bewölkt ist, Mittwoch oder Sonntag ist. Leider lebte der Truthahn inEngland und zu Weihnachten zeigte sich, dass er geirrt hatte.

Zusammenfassung:Die Ableitung von Einzelfällen aus allgemeinen Gesetzmäßigkeiten nennt man Deduktion.Wissenschaft scheint aber meist umgekehrt vorzugehen: sie versucht aus einzelnenBeobachtungen zu allgemeinen Aussagen zu gelangen. Diesen Vorgang nennt manInduktion. Das Induktionsproblem entsteht dadurch, dass Erkenntnis allgemein ist,während die Erfahrung nur Einzeldinge kennt. Es ist merkwürdig, dass wir imstande seinsollten, einige Wahrheiten im voraus über Dinge zu wissen, die uns in unserer Erfahrungnoch nicht begegnet sind. Wir wissen nicht, wer London in hundert Jahren bewohnen wird,aber wir wissen, dass auch dann zwei Einwohner und noch zwei Einwohner zusammenvier Einwohner ergeben wird

(Bertrand Russel).Rückkoppelungsprozeß:1961 ging es in Tübingen um die Streitfrage zum Verhältnis von Theorie und Praxis (dersogenannte Positivismusstreit). Für den Marxisten Adorno ging es darum, in der kritischenTheorie der Sozialwissenschaften die Widersprüche, die in einem gesellschaftlichenSystem bestehen, herauszuarbeiten und als Struktur der Wirklichkeit zu verstehen. FürPopper stellt sich das Problem anders: Wir erkennen nicht die Wirklichkeit, wie sie an sichist, sondern wie sie uns in unseren Theorien erscheint; diese Theorien müssen an denTatsachen immer wieder scheitern können. Am Anfang der Theorie steht immer einProblem, das aus der Spannung zwischen Wissen und Nicht-Wissen resultiert. Um dasProblem zu lösen, werden alle Anstrengungen des Experimentierens und der Reflexionunternommen. Die daraus resultierenden Lösungsversuche sind jedoch nicht endgültig.Eine Theorie lässt sich nicht endgültig bestätigen (verifizieren). Popper entwickelt dasSchema des Rückkoppelungskreises (hat weder Anfang noch Ende). Als wertloseTheorien werden solche angesehen, die sich nicht falsifizieren lassen (z.B. „Alle Engelsind männlichen Geschlechts“ lässt sich nicht falsifizieren, auch nicht verifizieren).Fallibilismus:Hans Albert, ein Schüler Poppers, hat gezeigt, dass jeder Versuch einer Letztbegründungin drei unauflösbare Widersprüche führt (Münchhausentrilemma).Dazu ein Beispiel: Das Schulsystem ist schlecht. Warum ist es schlecht? Das niedrigeBildungsbudget bedingt dies. Warum ist so wenig Geld für Bildung da? Weil die Politikeruneinsichtig sind.... Dieses Spiel lässt sich ins Unendliche fortsetzen, ein regressus ininfinitum .Der Circulus vitiosus geht weiter: Die Maturanten sind schlecht wegen desSchulsystems, dies ist schlecht wegen Geldmangels, dieser existiert, weil Politikeruneinsichtig sind, diese sind uneinsichtig, weil sie in der Schule zu wenig gelernt haben,sie haben zu wenig gelernt, weil das Schulsystem schlecht war(Zirkelschluß)Der dogmatische Abbruch des Begründungsverfahrens - bereits von Aristoteles in seinerEthik formuliert - ist ein denkökonomisches Verfahren: Die Politiker sind uneinsichtig, weilsie Menschen sind. Das ist so!!Alberts Konsequenz ist ein grundsätzlicher Fallibilismus, also das Eingeständnisgrundsätzlicher Irrtumsmöglichkeit bei jeglicher Erkenntnis. Es gibt nach Albert keinenanderen Ausweg aus dem Trilemma als die ständige kritische Überprüfung aller Theorienund Meinungen.

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13. Konstruktiver Realismus: Buch, S. 257ff

Der konstruktive Realismus - Vertreter sind der Philosoph Fritz Wallner, der Physiker H.Pietschmann und der Psychologe Paul Watzlawick - ist eine wissenschaftlicheMethodenlehre (Wissenschaftstheorie).Der Ausgangspunkt ist: die Wahrheit liegt nicht in der Mitte. Es gibt verschiedeneKonstrukte der Wirklichkeit, z.B. sind ein literarisches Werk und eine historischeDokumentation zu einem Ereignis zwei verschiedene Konstrukte. Während Ereignisseoder Handlungen festgelegt sind (Bsp.: der Bleistift fällt hinunter), können dieBeschreibungen oder Erklärungen jedoch unterschiedlich ausfallen (Aristoteles: dieSchwere ist im Bleistift; Newton: Schwerkraft). Der Unterschied zwischen einer alltäglichenund einer wissenschaftlichen Beschreibung besteht primär in der Methodenreflexion:während beispielsweise ein literarisches Werk wenig methodische Stringenz aufweist, hateine historische Dokumentation bestimmte methodische Vorgaben.

Beispiele aus: H. Pietschmann, die Wahrheit liegt nicht in der Mitte, Stuttgart 1990.Literatur: Winnetou lebte niemals, trotzdem regte er die Phantasie vieler an; vielevergossen bei seinem literarischen oder filmischen Tod Tränen. Geronimo war ein realerApachenhäuptling, der seine Lebensgeschichte aufschrieb und 1909 in einem Militätspitalin hohem Alter starb. 1858 wurde seine Familie von Mexikanern ausgerottet. Er starteteeinen Rachefeldzug (mit Pfeilen, Messern) und besiegte eine Übermacht mexikanischerTruppen. Er wurde zum Kriegshäuptling sämtlicher Apachen.Geronimo war Realität, seine Handlungen und Erlebnisse ändern kaum die Einstellunganderer Menschen, weil er unbekannt ist.Winnetou ist Wirklichkeit, seine Persönlichkeit wirkt noch heute auf viele, es werden einigeHandlungen von Menschen beeinflusst.

Raumfahrt: Am 28. 1. 1986 wurde in Cap Canaveral ein Traum der Menschheit begraben.Die tödlichen Sekunden wurden in alle Welt projiziert. Der Untersuchungskommissiongehörte auch der kritische Mensch und Physiker Richard Freymann an. Er verfasste einpersönliches Dokument über die Zuverlässigkeit von Raumfähren; darin heißt es:

Zur Sicherheit von Fähren differiert die Prognose bezüglich eines Versagens voneins zu hunderttausend. Eine Raumfahrt gleicht dem russischen Roulette. Wennder erste Schuss glimpflich verläuft, heißt das noch nicht, dass alle weiteren auchberuhigend ausgehen.Ich gebe die Empfehlung ab, dass sichergestellt werden soll, dass die Nasa-Offiziellen in einer Welt der Realität handeln, dass sie die technischen Schwächengut genug verstehen, um aktiv zu versuchen, sie zu eliminieren. Um einererfolgreichen Technologie willen muss die Realität Vorrang vor der Werbunggewinnen, denn die Natur kann nicht getäuscht werden.

Die Nasa hat eine Wirklichkeit geschaffen, die mit der Realität in Widerspruch geraten ist.Die Nasa hat warnende Stimmen von Ingenieuren für realitätsfern gehalten. Erst dieKatastrophe entschied darüber, was Realität war.

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Psychologie:Salomon Asch, Psychologe, führte folgende Experimente durch: Er zeichnet Linien auf einPapier, die sich durch verschiedene Länge auszeichneten (gut erkennbareLängenunterschiede!!). In zwei aufeinanderfolgenden Versuchen wurde dies von denVersuchspersonen problemlos gelöst. Beim dritten Versuch instruierte er alle bis auf einePerson, etwas Falsches zu sagen. Die eine Versuchsperson hatte sich nun zuentscheiden, ob sie sich für die Realität (um den Preis des Außenseiters) oder für diegeschaffene (künstliche) Wirklichkeit entscheidet. Im Durchschnitt war nur jede vierteVersuchsperson imstande, dem sozialen Druck standzuhalten und sich für die Realität zuentscheiden.

Anhand des einfachen Experiments kann folgendes festgestellt werden: wir befinden unsin der Ambivalenz von Wirklichkeit und Realität. Wir sehnen uns nach einer gemeinsamenWirklichkeit, weil nur sie uns soziale Sicherheit, menschliche Wärme gibt. Und wirverlangen zugleich nach Realität aus Angst, die getäuschte Natur könnte sich an unsrächen. Wir können aber nicht einfach die Realität zur gemeinsamen Wirklichkeit erklären,weil jeder von uns in einer Phantasiewelt lebt, die ihn hindert, die Realität zu erreichen. Imtechnischen Bereich wäre es anzustreben, dass die Realität Vorrang hat.

Kritik an Popper:Die Annäherung an die Wahrheit ruiniert die Wissenschaften. Theoretische Konstruktenähern sich nicht der Wahrheit an, es wird lediglich das Reflexionsausmaß durch dasScheitern (das Erkennen der Widersprüche) größer. Die Vielfalt der Konstrukte schafftIndividualität. Im technischen Sinn lassen sich selbstverständlich Fehler vermeiden;Widersprüche sind jedoch auf der Reflexionsebene wichtig. Widerspruchseliminierung istheute gefährlich geworden. Widerspruch im Bereich der Methodenreflexion bringtverschwiegene Voraussetzungen ans Tageslicht. Der Widerspruch ist notwendig für dasBestimmen im Vergleich zum anderen: ich bin Österreicher, nur weil es auch andere gibt,ich bin Mann, nur weil es eine Frau gibt, ich bin gescheit, nur weil es Dumme gibt, ich binMaturant, nur weil es auch Nicht-Maturanten gibt.

Lit. Zum Radikalen Konstruktivismus: siehe Liessmann/Zenaty S. 65f