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Schwerstbetroffene Patienten Janine Ehlers Diplom-Sprachheilpädagogin

Schwerstbetroffene Patienten - thera-trainer.de · Das VeRegO-Konzept Seine Aufgabenfelder und Hauptakteure Ergotherapie Pflege VERTIKALISIERUNG REGULATION ORALISIERUNG Physiotherapie

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Schwerstbetroffene Patienten

Janine Ehlers Diplom-Sprachheilpädagogin

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Die Ihnen vorliegende Broschüre ist Teil einer Serie, in der namhafte Ärzte und Therapeuten über gerätegestützte Therapiekonzepte informieren. Die Broschüre richtet sich vor allem an Ärzte und Therapeuten aus dem Bereich der neurologischen, geriatrischen oder orthopädischen Rehabilitation.

Wir wünschen Ihnen viel Freude beim Lesen und gute Impulse für Ihre tägliche Arbeit.

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Inhalt

Vorwort

1.0 Einführung

2.0 Die Behandlung schwerstbetroffener Patienten – Neue Wege durch geräteunterstützte Therapie

3.0 Je früher, desto besser! Stehen schon auf der Intensivstation

4.0 Stehen mit Menschen im Wachkoma

5.0 Warum ist von einer Vertikalisierung mit dem Kipptisch bei schwerstbetroffenen Patienten dringend abzuraten?

6.0 Literaturverzeichnis

05

07

08

10

11

12

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Janine Ehlers ist Diplom-Sprachheilpädagogin, Ergotherapeutin und Fachtherapeutin Wachkoma. Sie leitet drei interdisziplinäre Therapiezentren in Kerpen, Köln und Solingen mit Schwerpunkt außerklinische Intensivversorgung und behandelt dort vorrangig Menschen im Wachkoma, tracheotomierte und respiratorabhängige Patienten. Sie promoviert am Department für Neurowissenschaften & Rehabilitation der Universität zu Köln. Janine Ehlers engagiert sich aktiv in der Deutschen Interdisziplinären Gesellschaft für Außerklinische Beatmung und ist Gründungsmitglied der dort ansässigen AG Therapeuten in der Heimbeatmung. Sie übt Lehrtätigkeiten für verschiedene Einrichtungen (Wako-Akademie, BaWiG, AGewis) im Bereich der außerklinischen Intensivversorgung (Wachkoma & Beatmung) aus und war maßgeblich an der Entwicklung und Implementierung der Fachweiterbildung „Fachtherapeut Wachkoma und MCS“, sowie „Fachtherapeut (außerklinische) Beatmung“ beteiligt.

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Janine EhlersDiplom-Sprachheilpädagogin

Sowohl im häuslichen Bereich, als auch in der stationären Pflege trifft man auf schwerstbetroffene Patienten, die nicht oder viel zu selten mobilisiert und aktiviert wer-den. Die Therapie findet liegend im und am Bett statt. Der Patient verlässt selten oder nie sein Zimmer, so dass eine aktive Teil-nahme am sozialen Leben unbewusst ver-wehrt wird. Kommunikation auf Augenhöhe findet kaum statt; es wird viel mehr über den Patienten in einem Kommunikations-gefälle von oben (stehend) nach unten (lie-gend) gesprochen. Dies geschieht sicherlich nicht aus einer bösen Absicht heraus. Die Angst „etwas falsch zu machen“, dem Pa-tienten Schmerzen zu zufügen oder ihn zu überfordern, steht meist im Vordergrund.

VorwortDiese Broschüre möchte Ärzte und Thera-peuten, welche Menschen im Wachkoma, mit fortgeschrittener ALS (01) oder beat-mete Patienten betreuen, motivieren und unterstützen neue therapeutische Wege zu gehen und dem Patienten die Teilnahme am sozialen Leben auf Augenhöhe zu er-möglichen.

(01) ALS: Amyotrophe Lateralsklerose bezeichnet eine voranschreitende Erkrankung des zentralen Nervensystems

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Das VeRegO-Konzept Seine Aufgabenfelder und Hauptakteure

Ergotherapie

Pflege

VERTIKALISIERUNG

REGULATION

ORALISIERUNG

LogopädiePhysiotherapie

Abb. 01

Nicht in der Grafik1 berücksichtigt, ist das weitere Netzwerk, welches ebenfalls einen wichtigen Beitrag zum Therapieverlauf leis-tet. Dazu gehören u.a. Ärzte und Angehörige,

1. Das VeRegO-Konzept (Infografik: J. Ehlers)

Sanitätshäuser, Krankenkassen, Sozialer Dienst und viele weitere Leistungserbringer.

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Adäquate Therapie und Pflege schwerst-betroffener Patienten in der Häuslichkeit ist ein wichtiger werdendes Thema. Fort-schritte in der medizinischen Technologie lassen die Überlebensrate schwerkranker oder schwerverletzter Personen drastisch ansteigen. Von der Neonatologie bis zur Ge-riatrie sind hochentwickelte Systeme zur Lebenserhaltung in der Lage vital gefähr-dete Patienten zu retten und Ihre Lebens-spanne um ein Vielfaches zu verlängern. Die von Schädel-Hirn-Traumen, Herzinfarkten und Schlaganfällen betroffenen Patienten, sowie chronisch erkrankte Menschen benö-tigen deshalb immer häufiger langfristige, z.T. außerklinische, intensivmedizinische Betreuung. Ein neues herausforderndes

Betätigungsfeld für die unterschiedlichen Gesundheitsberufe wurde geschaffen. Pflege, Atemtherapie, Physio-, Ergo- und Sprachtherapie müssen sich anpassen und in ihrer inhaltlichen Ausrichtung neuorien-tieren. Das gemeinsame Bestreben der in-volvierten Professionen und Disziplinen ist das Sicherstellen und die Verbesserung der Lebensqualität der Betroffenen. Moderne, an die Bedürfnisse von schwerstbetroffe-nen Patienten angepaßte Geräte, wie der THERA-Trainer tigo und der THERA-Trai-ner balo, bieten Therapeuten von der In-tensivstation bis ins häusliche Umfeld effi-ziente Möglichkeiten der Optimierung ihrer Behandlungskonzepte.

1.0 Einführung

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Abb. 01 | Das VeRegO-KonzeptSeine Aufgaben-felder und Hauptakteure

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(01) THERA-Trainer tigo: Bewegungs-trainer für die aktive, assistive und passive Mobilisierung von Patienten mit Bewegungs- einschränkungen

Die Komplexität und innere Bezogenheit der Symptome schwerstbetroffener Patienten erfordert aktuelles und tiefgreifendes Fach-wissen aller am Therapieprozess beteiligten Personen. Symptomkomplexe wie Spasti-ken, Kontrakturen, Dysphagien und Respi-ratorabhängigkeit können durch frühzeitige Mobilisierung und Vertikalisierung vermie-den oder gemildert werden.

Eine Mobilisierung und Aktivierung mit dem THERA-Trainer tigo (01) bleibt nicht nur wachen und leichter betroffenen Patienten vorbehalten. Selbst bei Menschen im Wach-koma kann durch passives oder assistives Training mit dem THERA-Trainer tigo das Herz-Kreislauf-System und die Stoffwech-selvorgänge aktiviert, sowie die Beweglich-keit erhalten bzw. verbessert werden. Eine vollständige physiologische Vertikali-sierung, also Aufrichtung, kann nur in ei-ner stehenden Position gelingen. Ein phy-siologisches, biomechanisch günstiges Stehen erfordert den Körperschwerpunkt entlang der Lotlinie im Bereich der unteren Wirbelsäule. Je weiter ein Körperteil von der Lotlinie abweicht, umso mehr werden Knochen, Bandscheiben, Bänder, Sehnen und Muskulatur aufgrund der Schwerkraft belastet. Wir sprechen erst dann von ei-ner Vertikalisierung, wenn der Mensch von Kopf bis Fuß über den Körperschwerpunkt ins Lot gebracht wird (Abb. 01). Dies ist je-doch nur möglich, wenn das Becken in ei-ner weitwinkligen Stellung dynamisch stabil gehalten wird. Am leichtesten erfolgt die-se dynamische Stabiliserung in einer ste-henden Position. Die Mobilisierung an die Bettkante ist demnach noch keine „echte“

Vertikalisierung, da erst in vollständiger Aufrichtung der schwerstbetroffene Patient die notwendige biomechanische Unterstüt-zung erhält, um adäquate Rumpf- und Kopf-kontrolle erlernen zu können.

Bei schwerstbetroffenen Patienten mit de-fizitärer Kopf- und Rumpfkontrolle, sowie mangelndem Tonus in den unteren Extremi-täten ist die therapeutische Aufrichtung in den Stand nur schwer ohne entsprechende Hilfsmittel umzusetzen. Es bietet sich des-halb eine frühzeitige Vertikalisierung mit

2.0 Die Behandlung schwerstbetroffener Patienten – Neue Wege durch geräte- unterstützte Therapie

SO STEHEN SIE RICHTIG

oberes Sprunggelenk

Ohr

Schultergelenk

Hüftgelenk

Kniegelenk

Abb. 01 | Visualisiert das Stehen

Abb. 01

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9(01) THERA-Trainer balo: Steh- und Balance-Trainer für Schwerst- betroffene Patienten

(02) Spitzfuß (03) Wachheit/ Wachheitsgrad (04) Wundliege- geschwür

2. Davies 19963. Davies 1994

Davies 19964. Jakob & Takala

2009, Gill- Thwaites 2006

5. BMGS 2004, Schäfer 2009

einem flexibel einstellbaren Stehgerät an. Ein starres Stehgerät, ohne Möglichkeiten über flexible Knie- und Beckenpelotten die individuelle und aktuelle Gelenkbeweglich-keit des Patienten zu unterstützen, ist we-nig sinnvoll. Der THERA-Trainer balo (01) bietet Therapeuten, Pflegekräften und gut geschulten Angehörigen die Möglichkeit ein effizientes, kräfteschonendes Stehtraining durchzuführen ohne Fallangst beim Pati-enten zu provozieren. Die Option statisch, als reines Stehgerät, oder dynamisch, als Balancetrainer, arbeiten zu können, ermög-licht eine individuelle Anpassung der Trai-ningssituation an die jeweilige Tagesverfas-sung und/oder die Therapiefortschritte des Patienten.

Pat Davies forderte schon vor 20 Jahren das tägliche Stehen mit schwerstbetroffenen Patienten, beginnend auf der Intensivstati-on.2

2.1 Warum ist das Stehen von solcher Relevanz für die therapeutische Behandlung schwerstbetroffener Patienten?

� Hypertonus und Spastizität können durch das Stehen deutlich reduziert werden.

� Tägliches Stehen kann Kontrakturen des Rumpfes und der unteren Extremitäten vorbeugen. Bei starker Spastizität in den Plantarflexoren (02) ist das Stehen die einzige Möglichkeit, um volle Dorsalfle-xion des Fußes zu erhalten. Die Muskel-gruppe ist für eine manuelle Manipulation zu kräftig.

� Eine Mobilisierung des gesamten Ner-vensystems ist im Stehen leichter durchzuführen.

� Regelmäßiges Stehen bietet Osteopo-rose- und Frakturprophylaxe

� Aufrechtes Stehen scheint sich positiv auf die Vigilanz (03) auszuwirken. Die Patien-ten werden wacher.

� Frühes und regelmäßiges Stehen redu-ziert die Fallangst beim späteren Training von Aufstehen und Gehen.

� Verbessertes Kreislauftraining � Entlastung und Vermeidung von Dekubiti (04). Der Heilungsprozess von schon ent-standenen Druckgeschwüren wird durch das Stehen zeitlich verkürzt.

� Verbesserter Abfluß der oberen Harnwege

� Regelmäßiges Stehen unterstützt die Lungenbelüftung und erleichtert und verbessert so die Atmung.

� Wieder auf den eigenen Füßen aufrecht zu stehen, ist eine äußerst positive Erfah-rung. Ein Therapiefortschritt, den auch der vigilanzgeminderte Patient nachvoll-ziehen kann.

� Angehörigen, Therapeuten und Pflegern bietet sich die Möglichkeit mit dem Pati-enten auf Augenhöhe zu kommunizieren.3

Wissenschaftliche Studien4 und neue Re-habilitationskonzepte5 zeigen, dass passive Mobilisierung am und/oder im Krankenbett nicht ausreichend ist, um dem Weg zu ei-ner aktiven Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ebnen. Die Mobilisation aus dem Bett in eine stehende Position nimmt einen immer größeren Stellenwert in der Behand-lung schwerstbetroffener Patienten, sowohl im innerklinischen, als auch im außerklini-schen Setting ein.

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Standardpflege.Schwer beeinträchtigte Patienten, die völ-lig von fremder Hilfe abhängig sind, werden zum individuell frühestmöglichen Zeitpunkt aus dem Bett mobilisiert, aktiviert und zum Stand aufgerichtet. Eine Frühmobilisierung ist selbst bei intubiert beatmeten Patien-ten möglich.8 Diese einfachen therapeuti-schen Maßnahmen in den frühesten Tagen der mechanischen Beatmung können so die Dauer des Deliriums reduzieren und zu besseren funktionellen Ergebnissen bei der Entlassung führen.9 Die unten auf-geführte Grafik10 illustriert die Wechselwir-kungen einer frühzeitigen Aktivierung und Vertikalisierung.

In den letzten Jahren konnte eine Steige-rung der Bedeutung frühzeitig einsetzender therapeutischer Maßnahmen beobachtet werden. Studien aus dem Bereich der In-tensivmedizin belegen, dass ein frühzeitiger Beginn therapeutischer Interventionen Im-mobilität, Bettlägerigkeit und sensorische Deprivation (01) verhindern kann.6 Eine randomisierte kontrollierte Studie bei beat-meten Patienten auf Intensivstation zeigt,7 dass eine Kombination aus Unterbrechung der Sedierung und zeitgleichem Beginn ergotherapeutischer und physiotherapeu-tischer Behandlung schon in der Frühpha-se zu einem besseren Outcome führt, als die alleinige auf Intensivstation übliche

3.0 Je früher, desto besser! Stehen schon auf der Intensivstation

6. Affleck et al. 1987; Griffith & Hall 2010; Jakob & Takala 2009

7. Schweickert et.al. 2009

8. Nydahl et al. 20109. Needham et al. 2010;

Pohlman et al. 2010; Schweickert et al. 2009

10. Wechselwirkung von Aktivierung und Vertikalisierung (Il-lustration: J.Ehlers)

(01) sensorische Deprivation bezeichnet den Entzug von Reizen, also Wahr-nehmungs-störungen und Schwierigkeiten Reize adäquat zu verarbeiten

Abb. 01 | Das Schaubild zeigt die Wechselwirkung von Verti-kalisierung und Aktivierung und ihre Auswirkung auf Ressourcen und Kompetenzen der Patienten

Akt

iv u

nd s

elbs

tbes

tim

mt l

eben

HypersensibilitätHyposensibilitität

Hypertonus - Spastik - KontrakturenHypotonus - Subluxierte Schulter

Mitentscheidung - SelbstbestimmungSoziale Interaktion

AdtL´s - Waschen - Anziehen - EssenSoziale Aktivitäten - Feste - Kultur

Körperlage & - Bewegung im Raum Körperschema

Exerozeption

Interozeption(Propriozeption/ Viszerozeption)

Tonus

Kommunikation

Tagesstruktur

Abb. 01

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11. Gill- Thwaites 200612. Herkenrath 2006;

Zieger 2004a13. Prigatano 1996,

Binder et al. 1999, Bienstein & Han-nich 2001

14. Nydahl 200715. Gill-Thwaites 2006

Abb. 02 | Spitz- fußbehandlung

Abb. 03 | Patientin im Minimally Conscious State (Wachkoma-Remissionsphase)

Das Wachkoma gehört zu den am wenigsten verstandenen medizinischen Phänomenen. Die Fülle an Differentialdiagnosen und De-finitionen des Wachkomas führen zu Verwir-rung und Fehldiagnosen,11 das Ausmaß der verbliebenen Fähigkeiten wird unterschätzt, falsche Prognosen gestellt und wichtige Re-habilitationschancen vertan.12 Studien der Rehabilitationsmedizin zeigen,13 dass bei Patienten im Wachkoma durch adäquate Therapie auch nach Jahren eine Remissi-on der Symptome erreicht werden bzw. das Entstehen von schwerwiegenden Sekun-därsymptomen reduziert oder verhindert werden kann. Neben dem grundsätzlichen Verständnis des Wachkomas als „men-schenmögliche Seinsweise“,14 sollte im the-rapeutischen Setting die Diagnose Wach-koma nicht als final betrachtet, sondern vielmehr als Prozess in dem funktionelle Fähigkeiten wiedererlangt werden können.

4.0 Stehen mit Menschen im Wachkoma 11

Wachkoma-Studien15 unterstreichen, daß eine Optimierung der Position des Patien-ten in eine vertikale Position zu einem bes-serem Outcome in Diagnostik und Therapie führt. Ein flexibel einsetzbares Therapiege-rät wie der THERA-Trainer balo bieten hier optimale Möglichkeiten sowohl für die Dia-gnostik, als auch das individuell angepaßte Behandlungskonzept.

Abb. 02 Abb. 03

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5.0 Warum ist von einer Vertikalisierung mit dem Kipptisch bei schwerstbetroffenen Patienten dringend abzuraten?

Eine Vertikalisierung in den Stand ist unab-dingbarer Bestandteil einer effektiven the-rapeutischen Intervention schwerstbetroffe-ner Patienten. Der Einsatz eines Kipptisches erscheint deshalb auf den ersten Blick als praktikable und kräfteschonende Methode zur Aufrichtung, gerade für Menschen im Wachkoma. Die Vertikalisierung ist einfa-cher und für den Therapeuten scheinbar ri-sikoarm und wenig anstrengend. Aber kann man bei der Aufrichtung eines Patienten mit einem Kipptisch wirklich von Vertika-lisierung sprechen? Eine Aufrichtung von Kopf bis Fuß über dem Körperschwerpunkt im Lot ist mit einen Kipptisch definitiv nicht umzusetzen. Ähnliches gilt auch für Roll-stühle mit Aufstehfunktion. Physiologisches Stehen findet in einem Wechselspiel aus statischer und dynamischer Haltung statt; nur im dynamischen Stehen kann Muskel- aktivität physiologisch trainiert werden. Kipptisch und Rollstuhl mit Aufstehfunk-tion bieten jedoch nur die Möglichkeit in statischer Haltung zu Stehen. Es sprechen aber noch einige andere Dinge für den Ein-satz des THERA-Trainer balo, anstatt eines Kipptisches.

Eine physiologische Aufrichtung findet über die Aktivierung der Muskeln der ventralen Kette statt. Hüft- und Kniegelenke werden gebeugt und es ist ein möglichst gleichmä-ßige Druckverteilung auf die Fußsohlen ge-geben. Ein Aufrichten aus dem Liegen in den Stand ohne Hüft- und Kniebeugung führt zu Angst und Unsicherheit – gerade bei wahr-nehmungsbeeinträchtigten und vigilanzge-minderten Patienten. 16 Bei Kipptisch und Rollstuhl mit Aufstehfunktion werden eher

16. Davies 199417. Davies 1994;

Davies 1996

die Muskeln der dorsalen Kette aktiviert. Die Patienten drücken ihr Gewicht nach hin-ten gegen die Unterstützungsfläche des Ti-sches, da sie häufig das Gefühl haben, der Tisch sei schon zu weit nach vorne gekippt, obwohl er sich noch gar nicht in der Vertika-len befindet. Die Plantarflexion der Füße und das Krallen der Zehen in Flexion (Spitzfuß) werden so deutlich verstärkt. Der eigentlich

Abb. 01

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Im Gegensatz zu anderen Stehgeräten und Kipptischen, bietet der THERA-Trainer balo den Füßen ein stabiles Fundament mit fes-tem Untergrund. Auf dieser Basis kann die eigenständige Aufrichtung mit verbesserter Rumpf- und Kopfstabilität auch Menschen im Wachkoma gelingen. Durch die Balan-cefunktion werden die Propriozeptoren in Sprung-, Knie- und Hüftgelenk angeregt und die Wahrnehmung des Körperschemas und der Körperlage trainiert. Die Möglich-keit zur Gewichtsverlagerung kann zudem zur Anbahnung der ersten Schritte dienen.

Abb.01 | Der THERA- Trainer balo vermittelt Sicherheit unabhängig von Größe und Kraft des Therapeuten

Abb. 02 | Therapie, die Spaß macht und herausfordert

13positive Effekt des Stehens wird aufgehoben und es kommt zu Extensions-Massenbewe-gungen in den unteren Extremitäten.17

Eine Vertikalisierung mit dem THERA-Trai-ner balo hingegen ermöglicht ein Aufstehen aus dem Sitzen mit Hüft- und Knieflexion. Wahrnehmungsbeeinträchtige Patienten können sich besser auf das Aufrichten in den Stand vorbereiten, da sie sehen kön-nen was sie erwartet. Die Tischeinheit mit Bauchpolster bietet zudem Halt und Mög-lichkeit sich abzustützen. Außerdem schafft der Tisch eine visuelle Begrenzung und re-duziert so die Fallangst des Patienten.

Abb. 02

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� Affleck AT et al. Providing occupational therapy in an intensive care unit. Ame-rican Journal of Occupational Therapy 1987, 5, 323–332.

� Bienstein, C.; Hannich H. -J (2001): Forschungsprojekt zur Entwicklung, Implementierung und Evaluation von Förderungs- und Lebensgestaltungskon-zepten für Wachkoma- und Langzeitpa-tienten im stationären und ambulanten Bereich, anhand von zu entwickelnden Qualitätskriterien/1.

� Binder, J. et al (1999): Therapieeffekte in der neurologischen Langzeitrehabilita-tion. Methodik und erste Ergebnisse einer Interventionsstudie. In: Wild, Klaus R. H. von (Hg.): Das schädelhirnverletzte Kind. Motorische Therapie. Qualitätsmanage-ment. München: Zuckschwerdt (Fort-schritte in der Neurotraumatologie und klinischen Neuropsychologie, 3).

� Bundesministerium für Gesundheit und soziale Sicherung (Hg.) (2004): Pflegeein-richtungen für Menschen im Wachkoma. Expertengespräch zur Errichtung von Pflegeplätzen für Menschen mit erwor-benen neurologischen Behinderungen Wachkoma in der Phase F. Unter Mitar-beit von Kuratorium Deutsche Altershilfe. Köln.

� Davies, P. (1994): Starting again. Early Rehabilitation after Traumatic Brain Injury or Other Severe Brain Lesion. Springer-Verlag.

� Davies, P. (1996): Stehen mit dem bewußt-losen Patienten. In: Lipp,B. & Schlaegel, W. (Hg.): Wege von Anfang. Frührehabili-tation schwerst hirngeschädigter Patien-ten. Neckar Verlag GmbH.

� Gill- Thwaites, H. (2006): Lotteries, loopholes and luck: Misdiagnosis in the vegetative state patients. In: Brain Injury 20 (13-14), 1321-1328.

� Griffiths RD, Hall JB. Intensive care unit-acquired weakness. Critical Care Medicine. 2010, 3, 779–787.

� Herkenrath, A. (2006): Musiktherapie mit Menschen in der Langzeitphase des Wachkomas. Aspekte zur Evaluation von Wahrnehmung und Bewusstsein. In: Neuro Rehabil, Jg. 12, H. 1, S. 22–32.

� Jakob, S.M., Takala, J. (2009): Physical and occupational therapy during seda-tion stops. In: The Lancet 373 [9678], 1824- 1826.

� Needham DM et al. Early physical medi-cine and rehabilitation for patients with acute respiratory failure: a quality impro-vement project. Archives of Physical Medicine and Rehabilitation. 2010, 4, 536–542.

� Nydahl, P. (2007): Wachkoma: Betreuung, Pflege und Förderung eines Menschen im Wachkoma. Urban & Fischer.

� Nydahl, P. et al. (2010): Möchten Sie heute aufstehen? Gehen mit beatmeten Patien-ten. In: PflegenIntensiv 1, 21-25.

6.0 Literaturverzeichnis

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� Schäfer, S. (2009): Fachpflege Beatmung. Urban & Fischer.

� Schweickert, W.D. et al. (2009): Early phy-sical and occupational therapy in mecha-nically ventilated, critically ill patients: a randomized controlled trial. In: The Lancet 373 [9678], 1874- 1882.

� Zieger, A. (Hg.) (2004): Neurorehabilita-tion bei diffuser Hirnschädigung. Neu-ropsychologie, Neuropharmakologie, Botulinumtoxin ; aktuelle Entwicklun-gen in der Behandlung des Apallischen Syndroms, von Aufmerksamkeits-, Affekt- und Gedächtnisstörungen und der Multiplen Sklerose. Bad Honnef: Hip-pocampus-Verl. (Rehabilitationswissen-schaftliche Reihe).

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