Script 14_erweiterter Kunstbegriff

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  • 8/8/2019 Script 14_erweiterter Kunstbegriff

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    Formeln der Kunst (14)Erweiterter Kunstbegriff

    11.6.2004

    die letzten drei Vorlesungen bildeten einen etwas engeren Zusammenhang als die Vorlesungen

    davor: wc, RM und hal - jeweils ging es, in unterschiedlicher Hinsicht, darum, da in derModerne Kunstwerke nicht ber bestimmte objektive Eigenschaften definiert werden, sondernda sich eine eigene Art der Wahrnehmung ausgebildet hat, die es erlaubt, etwas als Kunstanzusehen=> der Kontext entscheidet darber, ob etwas als Kunst oder aber als etwas anderes erfahrenwird (z.B. kann man sich die Schneeschaufel von Duchamp ebenso vorstellen als ein Ge-

    brauchsgegenstand, ein Stck Ware, ein Beweisstck in einem Indizienproze)ein Ort, der als Ort der Kunst ausgewiesen ist, wie z.B. ein Museum oder eine Galerie, lst eine

    bestimmte Erwartungshaltung, eine bestimmte Stimmung, eine bestimmte Aufmerksamkeit aus- damit ergibt sich eine andere Art der Wahrnehmung als an anderen Ortenwas bei den R.-m.s in Reinkultur passiert ist, hat in der Kunst des 20. Jhdts. immer wieder und

    in vielfltiger Weise stattgefunden: Aufsehen wurde erregt durch Kontextwechsel - dadurch,da es gelang, etwas Profanes in den Bereich der Kunst zu translozieren, damit den Blick daraufzu verndern und das zuerst Profane als etwas besonders Interessantes und Neues erscheinen zulassenschon die Kubisten nahmen Objekte der Massenkultur wie Zeitungen als Ressource fr ihreCollagenv.a. die Pop-Art rekrutierte ihre Sujets und ihre sthetik aus der Massenkultur - Werbung,Comics, Massenpresse, Fernsehen etc.das Verhltnis von hal - von hoher Kunst und profaner Massenware - ist im 20. Jhdt. immer einseltsam doppeltes:whrend man das Triviale blicherweise als Schwundstufe und Derivat der hohen Kunst

    einschtzt und davon berzeugt ist, da es in Abhngigkeit zu dieser steht, ja da die Massen-kultur der knstlerischen Avantgarde hinterherhinkt und davon beeinflut ist, kann manumgekehrt konstatieren: das Triviale und Profane bietet immer wieder Stoff fr neue Anstzeder hohen Kunst - es eignet sich als Quelle, ist Reservoir fr Innovationen innerhalb der Kunst=> die hohe Kunst ist zumindest ebenso angewiesen auf das Profane und Triviale als Ressourcewie umgekehrtvgl. Groys: Innovation innerhalb der Kunst heit "Umwertung der Werte", d.h.: etwas zuerstnicht besonders Geschtztes bzw. als profan und trivial Geringgeachtetes und auch kaumBeachtetes wird auf einmal allein dadurch interessant, da es in den Kontext der Kunst gelangt -diese vermag es zu erneuerndas impliziert zweierlei:

    1. das Profane und Triviale ist gar nicht unbedingt so profan und trivial - es kann, wird es nuraus einer anderen Perspektive als der blichen betrachtet, berraschen und faszinieren2. damit ein solcher Erscheinungswechsel desselben mglich ist, mssen die jeweiligenKontexte klar voneinander unterschieden sein=> es ergibt sich ein Paradoxon: einerseits wird die Grenzziehung zwischen hal zweifelhaft,wenn das Profane ebenso als hohe Kunst angesehen werden kann, andererseits ist dies nurmglich, weil es eine klare Grenzziehung zwischen hal gibt, d.h. weil klar voneinandergetrennte Kontexte und damit auch Wahrnehmungsweisen existieren - so da dasselbe einmal

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    aber die Gestaltung dessen, was fr den Menschen am wichtigsten ist, nmlich er selbst> Erweiterung des Kunstbegriffs bedeutet fr Beuys keine beliebige Ausdehnung - und es gehtfr ihn auch nicht darum, primr z.B. Gegenstnde bzw. Phnomene aus der Massenkultur, die

    bislang nicht als kunstwrdig galten, in den Kontext der Kunst zu bringen - vielmehr begreift erkonkret den 'sozialen Organismus' als dasjenige, was unter Kategorien der Kunst bzw. Plastik

    betrachtet werden sollte> es erscheint Beuys widersinnig, da man dem 'sozialen Organismus' im allgemeinen so wenigAufmerksamkeit schenkt - und da der Umgang mit toten Materialien als Kunst bezeichnetwird, die Arbeit mit "wirklich lebendigem Material" hingegen bisher nicht als Kunst (und sogarals grere und wichtigere Kunst!) eingeschtzt wird=> Ziel des Erweiterten Kunstbegriffs: alle Ttigkeiten, die sich auf den Menschen und diemenschliche Gesellschaft beziehen, sollen als Form von Kunst gewrdigt werden - insofern

    jeder Mensch in Beziehung zu anderen Menschen steht und auf diese einwirkt, ist auch jederMensch gestalterisch ttig ("Gestalter einer lebendigen Substanz") - indem man dies als Kunstqualifiziert, wird nicht nur mehr Aufmerksamkeit darauf gelenkt, sondern Beuys erhofft sichdavon v.a. auch eine breitere Diskussion gesellschaftsrelevanter Fragen und mehr Engagement

    hinsichtlich sozialer InitiativenBeuys' Motivation, eine Erweiterung des Kunstbegriffs auf den gesellschaftlichen undzwischenmenschlichen Bereich zu proklamieren, speist sich aus seiner Unzufriedenheit mit denherrschenden sozialen Verhltnissenwie viele Kulturkritiker seit der Romantik kritisiert Beuys immer wieder die Klte undZersplitterung der Gesellschaft und wirft vor allem der modernen Wissenschaft und demRationalismus vor, die Menschen ihrer Welt zunehmend zu entfremden, sie zu verarmen,wesentliche Komponenten des Erlebens auszulschener sieht in der Kunst in doppelter Weise einen Magneten, der die Menschen wieder nher zu-sammenbringen kann ("Ja, das [=Kunst] ist der therapeutische Proze an sich. Sonst sehe ichkeinen Aspekt. Das ist das Wesentlichste in der Kunst."2)

    1. Kunst im traditionellen Sinne wirkt bereits therapeutisch - ist kompensierend, vermittelt neueund vielfltige Erfahrungen, befreit den Menschen aus Einseitigkeiten und Entfremdung und istdamit auch resozialisierend - Beuys beruft sich hierbei hufig auf Schiller und dessen Konzeptsthetischer Erziehung2. Kunst im erweiterten Sinne erklrt die Gestaltung der Gesellschaft ausdrcklich zu ihrem Zielund kmmert sich um bessere zwischenmenschliche Verhltnissefr Beuys ist letzteres sogar Voraussetzung dafr, da Kunst im traditionellen Sinn noch (oderwieder) Bedeutung haben kann ("Ohne diese Erweiterung des Kunstbegriffes mit dieserPerspektive werden Menschen keinen Grund mehr haben, Bilder zu malen. Dann luft sich dastot.") - d.h.: ohne Erweiterung des Kunstbegriffs besteht fr Beuys die Gefahr, da es bald garkeine Kunst mehr gibt! - Isolation und Klte werden zu gro

    => Beuys Erweiterung des Kunstbegriffs ist zugleich eine Radikalisierung des revolutionrenAnspruchs an die Kunst - Kunst nicht als l'art pour l'art, als ewige kleine Insel inmitten einerfeindlichen Umwelt, sondern als Motor gesellschaftlicher Umwlzungen - als Ort der Utopie,verbunden mit der Kraft, aus der Utopie Wirklichkeit werden zu lassen ("Man kommt dannauch ber diese hochgestochene, elitre, elfenbeinerne Turmsituation hinaus mit der Kunst"3)

    2 Beuys, in: Harlan, a.a.O., S.21.

    3 Ebd., S.21.

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    Beuys geht so weit, allein der Kunst eine Verbesserung der gesellschaftlichen Verhltnisse -eine Aufhebung der Entfremdung - zuzutrauen - er ist gleichsam der letzte und zugleich derstrkste Romantiker:"Die einzig revolutionre Kraft ist die Kunst."4 - entsprechend stilisiert er sich selbst gerne alsRevolutionr[Dia links: La rivoluzione siamo Noi (1971)]

    das Ziel der Revolution durch die Kunst wird am knappsten folgendermaen formuliert: "Da,wo gegenwrtig die Entfremdung zwischen den Menschen sitzt - man knnte fast sagen als eineKlteplastik -, da mu (...) die Wrmeplastik hinein."5

    es geht darum, die Menschen aus ihrer jeweiligen Isolation zu holen und zu einer Einheit, zueiner Gemeinschaft zusammenzubringen, insofern also plastisch zu formen ('Plastik', nicht'Skulptur'!)dem zugrunde liegt die Vorstellung, da die Menschen im besten Fall wie ein einzigerOrganismus zusammenwirken knnten, wobei der einzelne Zelle eines organischen undharmonisch zusammenwirkenden Gebildes ist - entsprechend beschreibt Beuys die gegen-wrtigen Gesellschaftsverhltnisse auch mit dem Bild der Krebsgeschwulst, ja erkennt einenZustand, in dem einzelne Zellkrper sich absondern und zerstrerisch gegen andere Zellver-

    bnde richten (vgl. der problematische Begriff "Volkskrper"!)=> die Formung des "Gesellschaftleibs" - eines gesunden Organismus - wird zur Hauptaufgabeder Kunst erklrt, und Beuys stellt (in einem anderen Interview) ausdrcklich fest, "da von derStellung der Kunst heute, und nur von ihr, (...) die Wandlung zum Besseren in der Zukunft, zueinem volleren Menschenwesen und zu einem krftigen, nicht von der Arbeit entfremdetenMenschen vollzogen werden kann."6

    dabei begreift er die therapeutische Kraft der Kunst nicht primr als Ergebnis einer gelungenenRezeption, sondern vielmehr darin, da sich mglichst viele Menschen selbst als kreativ, alsknstlerisch ttig erfahren=> Erweiterung des Kunstbegriffs meint v.a.: es wird nicht nur etwas auf einmal als Kunstgesehen, was bisher unter andere Kategorien fiel, sondern es wird damit etwas zu Kunst erklrt,

    an dem auch alle Menschen mitwirken - Demokratisierung des Kunstbegriffs!es gilt gerade: insofern jeder Mensch Gemeinschaftswesen ist und mit anderen Menschen zu tunhat, ist auch jeder Mensch gestaltend ttig - und insofern (im erweiterten Sinne des Begriffs) einKnstler"Jeder Mensch ist ein Knstler" - d.h. fr Beuys aber noch mehr: jeder Mensch hat Fhigkeiten,die er immer auch zugunsten anderer Menschen einsetzen kann (Beuys fordert eine'Fhigkeitswirtschaft' anstelle einer 'Marktwirtschaft'!) - insofern ist auch jede Fhigkeit bereitsals Kunst zu begreifen, als etwas, das dazu beitragen kann, die Gesellschaft zu gestalten und dasZusammenleben der Menschen zu verbessern:"Wenn ich sage: 'Jeder Mensch ist ein Knstler', dann meine ich: Jeder Mensch ist das Wesen,was in seiner Sphre den Weltinhalt gestalten kann, entweder als Malerei, als Musik, oder als

    Ingenieurkunst, als Krankenpflege, als Geldwissenschaft usw. berall drngen die Prinzipiendes Lebens dahin, in eine Form gebracht zu werden, also gestaltet zu werden. Wir habendeswegen einen so verkrzten kulturellen Begriff, weil wir das bezogen haben auf die Kunst.Da die Kunst in so einem isolierten Gehuse existiert und innerhalb der Kultur sogar noch

    4 Ebd., S.59.

    5 Ebd., S.21.

    6 Gesprche mit Beuys, Klagenfurt 1988, S.136.

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    extra klein isoliert ist, das ist das Dilemma der Museen. (...) Durch diesen reduziertenKunstbegriff sind die Museen in diese reduzierte und isolierte Situation geraten. Deswegen sageich (...): Es mu universal, es mu universitr werden."7

    > hier wird deutlich: Beuys lehnt die herrschende Grenzziehung zwischen einer Hochkunst undeinem blo profanen Raum ab - diese Grenze ist ihrerseits Zeichen einer Gesellschaft, in der

    alles voneinander isoliert ist und einander entfremdet> Beuys kritisiert insbesondere die Isolation, der Kunstwerke in Museen ausgesetzt sind, alsunangemessen - einerseits werden die Werke damit ihrer mglichen Wirkung beraubt undknnen gerade nicht therapeutisch zur Verbesserung der gesellschaftlichen Verhltnisse

    beitragen - andererseits wird damit auch suggeriert, allein diese Werke seien kreative Leistun-gen - entsprechend wenig Aufmerksamkeit und Anerkennung finden jene zahlreichen Formenvon Weltgestaltung, die auerhalb des Museums (und auerhalb des traditionellenKunstbegriffs) stattfinden> fr Beuys mte das Museum der Universitt angenhert werden, wobei er 'Universitt'ebenfalls in einem idealen Sinne versteht und v.a. das Universelle, Ganzheitliche damitverbindet ("weil bei einer Universitt ein interdisziplinrer Zusammenhang zwischen allen

    Ttigkeitsfeldern der Menschen ist, und weil dieser interdisziplinre Zusammenhang dann fhigist, einen neuen Kunstbegriff zu entwickeln."8) (interdisziplinr = gemeinschaftlich)die Hauptschuld fr die jetzige Situation der Museen gibt Beuys allerdings den Knstlern - sie

    beharren auf ihrem Standesdenken, wollen vom hohen und exklusiven Kunstbegriff profitieren,sondern sich ab, kultivieren die Isolation, frieren die Kunst gleichsam ein und begreifen deren

    politisches Potential nicht=> Beuys fordert vom Museum, sich zu ffnen und die herrschende Spartentrennung, diegegenwrtige Grenze zwischen h.a.l. aufzugeben, ausgehend von den Exponaten zum Ort derDiskussion zu werden, zu einer Art von Schule, die der sthetischen Erziehung des Menschendient - d.h. die vereinzelte, schweigende Rezeption in einem nur fr hohe Kunst reserviertenw.c. wird fr berholt und als zu monologisch und asymmetrisch - auch fr zu undemokratisch -

    erachtetebenso mssen andere Institutionen sich ffnen und ihrerseits Elemente zulassen, die bisher aufdie Kunst beschrnkt waren: "Die isolierte Kunsterziehung mu abgeschafft werden. Dasknstlerische Element ist generell in alle Fcher hineinzutragen, in die Muttersprache,Geographie, Mathematik, Turnen. Ich pldiere fr ein Bewutsein, da es nach und nach keineandere Mglichkeit gibt, als da die Menschen knstlerisch erzogen werden."9 (vgl. Steiner unddie Anthroposophie)Beuys stellt sich klar in die Tradition der Aufklrung: er verlangt, da die Menschen zuSelbstbestimmung nach und nach angeleitet werden - da sich immer mehr Inseln und Felder

    bilden, auf denen die kreativen Potentiale der Menschen bewut genutzt werden1971 grndete er in Dsseldorf das "Bro fr direkte Demokratie", jenseits des Kunstkontexts

    [Dia links: Leuchtschrift] [Dia rechts: Schild], lange Zeit plante er auch eine "Freie Inter-nationale Hochschule fr Kreativitt und interdisziplinre Forschung" - in dieser Hochschulehtte es neben Kunstfchern "intermedire Diszipinen" geben sollen, z.B. Erkenntnislehre,soziales Verhalten, Solidaritt, Kritik der Kritik, Kritik der Kunst, Sinneslehre, Wrtlich-

    7 Joseph Beuys/Frans Haks, Das Museum, Wangen 1993, S.19f.

    8 Ebd., S.19.

    9 Beuys, in: Harlan, a.a.O., S.39.

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    keitslehre (betreut von Heinrich Bll) - dieses Projekt scheiterte jedoch an Finanzierungs-schwierigkeiten und blieb in Anstzen steckendas "Bro fr direkte Demokratie" sollte ein Ort der politischen Information und Diskussionsein - ein Ort, an dem demokratisches Verhalten gebt werden konnte, ja an dem die Menschenlernen sollten, wie sehr Demokratie mit Kreativitt verbunden sein kann bzw. wie sehr eine

    funktionierende Demokratie die Fhigkeiten und den Gestaltungswillen vieler brauchtein Ziel dieses Bros war es, mehr plebiszitre Elemente in der Verfassung zu verankern, ja dieParteiendemokratie abzulsen durch eine Demokratie, in der alle wichtigen Entscheidungendurch Volksabstimmungen getroffen werden[Dia links: Flugblatt]durch das Parteienwesen sah Beuys eine hnlich unheilvolle Trennung und Isolation wie durcheinen zu engen und exklusiven Kunstbegriff: anstatt da jeder Mensch sich verantwortlich frdas Ganze fhlt und auch befhigt, dazu etwas beizutragen, werden die Entscheidungen an eineKaste von Politikern deligiert - diese sind hnlich abgeschottet wie Kunstwerke im Museumfreilich: auch Beuys wurde zum Parteiengrnder; schon etwas frher, 1967 hob er die "DeutscheStudentenpartei" aus der Taufe ("jeder Mensch ist Student"), in der bereits viele Ziele formuliertsind, die dann spter von den "Grnen" bernommen wurden (z.B. Gewaltlosigkeit, Ein-

    beziehung der gesamten Natur) - das "Bro fr direkte Demokratie" wurde zu einem Vorluferder "Grnen", bei denen Beuys ebenfalls mitarbeitetehierbei sagte sich Beuys vllig vom traditionellen Kunstkontext los - seine Arbeit unterschiedsich im Grunde nicht mehr von der einer Brgerinitiative - die Idee des E.K.s wurde konsequentumgesetzthnliche Projekte fanden freilich auch innerhalb der Kunstinstitutionen statt, gleichsam um diesevon innen her aufzubrechen und so in ihrem Wirkungskreis zu erweitern - z.B. engagierte sichBeuys mit einem Projekt unter demselben Namen ("Bro fr direkte Demokratie") auf derdocumenta 5 in Kassel 1972[Dia links und rechts]- whrend der hundert Tage stand er tglichfr Diskussionen zur Verfgung und artikulierte auch konkrete politische Forderungen (z.B.Hausfrauengehalt)

    mit Tafelaufschriften und auf PVC-Tragetaschen veranschaulichte er dabei seine politischenKonzepte bzw. seine Vorstellung von der Gesellschaft als 'Sozialer Plastik' [Dia links] [Diarechts] [Dia links]doch Beuys begngte sich nicht mit solchen Aktionen, die dem E.K. unmittelbar entsprachenund die ihm keine grundstzlich andere Rolle zukommen lieen als allen anderen Interessenten,Diskutanten oder in Brgerinitiativen Engagierten auchdie Kunst im traditionelleren Sinn (Objekte, Installationen, aber auch Zeichnungen oderMultiples) sah er vielmehr als Ort an, an dem gesellschaftliche Utopien bereits punktuell entwi-kelt und erfahrbar gemacht werden knnen - die Ausstrahlung von bestimmten Materialien oderFormen war fr Beuys ein Stck vorweggenommener Zukunft:"Ich mu ab und zu nicht nur die gedankliche Form vorstellen, also die Theorie, sondern ich

    mu auch das Bild vorstellen, d.h. ein imaginres Gebilde herstellen, was von seinem eigenenAusdruck her ein bichen davon spren lt, wie die Welt in der Zukunft vielleicht aussieht."10

    im Fall von Beuys bedeutet dies vor allem: Bilder fr die Wrme zu finden, die seiner Idee der"Sozialen Plastik" zugrundeliegtdeshalb arbeitet er mit Materialien wie z.B. Fett, Filz oder Honig, die nicht nur Wrme, oderEnergie verheien oder (wie beim Honig) auf einen sozialen Organismus verweisen, sonderndie ohnehin tief in der Kultur verankert sind und entsprechend stark mit Bedeutung aufgeladen

    10 Beuys/ Haks, a.a.O., S.30.

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    es sind insofern auch geheimnisvolle, stark auratische Materialien, die zudem fremd und seltsamwirken, da sie keine klassischen Materialien der Kunst sind - hier trifft also zu, was oft beiArbeiten in der R.-m.-Tradition zutrifft: ihre Fremdheit im Kontext der Kunst lt sie um sospannender und rtselhafter erscheinen - damit erfllen sie gerade am allerbesten, was vonKunst verlangt bzw. erwartet wird - nmlich den Charakter von Geheimnis, Provokation,

    berraschung und Vieldeutigkeit (semantischer Mehrwert durch Kontextwechsel - vgl. David-sons Metapherntheorie!)durch seine Objekte und Installationen sorgte Beuys gleichsam dafr, da mit der Erweiterungdes Kunstbegriffs nicht dessen Aufweichung einher gingdies ist wichtig, denn wenn der Status des Knstlers (infolge einer inflationren Verwendung)seine besondere Aura verlre, brchte es auch nichts mehr, jeden Menschen zum Knstler undzum Gestalter des 'sozialen Organismus' zu erklren - dann knnte der Satz "Jeder Mensch istein Knstler" nicht mehr stimulieren oder motivieren - und man knnte keine Aufmerksamkeitmehr auf die Felder lenken, die man als Kunst deklariert - eben im Fall von Beuys das sozialeLeben der Menschen=> die exklusive Qualitt der Kunst mu betont werden

    strker noch als bei musealen Installationen wurde dies bei einigen der Aktionen von Beuysdeutlich - v.a. gelang dabei besser die von Beuys jeweils erstrebte Provokation, die fr ihnebenfalls einen primr therapeutischen Charakter besitzt:"Das ist auch ein therapeutischer Proze. Die mssen ja allmhlich einmal provoziert werden.Wenn das alles schon so verhrtet ist, dann mu man doch das wirklich generell anstoen,richtig anstoen, da das alles mal hochkommt. (...) Provozieren heit hervorrufen. Das ist ansich schon ein Auferstehungsproze, wenn etwas hervorgerufen wird."11

    > Provokation als erster Schritt - als Vorbereitung: der Notstand mu gleichsam erst bewutgemacht werden, erst dann besteht Bereitschaft und Engangement, etwas zu vernderneine dieser Aktionen mchte ich kurz vorstellen, um anzudeuten, wie Beuys versucht hat,einerseits fr seine Ideen von 'Sozialer Plastik' Bilder und Stimmungen zu finden - und wie er

    dabei andererseits dem erweiterten einen besonders elitren Kunstbegriff entgegengesetzt hat,um so der Aura der Kunst neue Nahrung zu geben und einen Satz wie "Jeder Mensch ist einKnstler" um so merkwrdiger und spannender klingen zu lassen"wie man dem toten Hasen die Bilder erklrt" (1965), Galerie Schmelka, Dsseldorfzur Vernissage einer Ausstellung mit seinen Arbeiten fhrte Beuys folgendes durch:nachdem er (noch vor der Aktion) seinen Kopf mit Honig bestreichen und mit Goldplttchen

    bedecken lie [Dia links], ging er langsam mit einem toten Hasen in den Armen durch denAusstellungsraum; dieser war - zu dessen berraschung - fr das Erffnungs-Publikumgeschlossen, es versammelte sich vor der Galerie und konnte lediglich (mehr oder weniger gut)durch die Fensterscheibe beobachten, was sich drinnen abspielte[Dia rechts]Beuys ging langsam mit dem Hasen von Exponat zu Exponat, zeigte mit dem Finger auf

    Details, schien mit dem Hasen zu sprechen, griff manchmal seine Vorderlufe und berhrte mitihnen die Arbeitengegen Ende der Aktion ging Beuys in die Knie, nahm die Hasenohren zwischen seine Zhneund zog den Hasen an den Vorderlufen ber den Fuboden, dann setzte er sich auf einenHocker auf einem Graphikschrank und blieb schweigend sowie rauchend mit dem Hasen sitzenerst jetzt - die Aktion dauerte nach verschiedenen Angaben zwischen ein und drei Stunden! -wurde die Galerie fr die Besucher geffnet, Beuys blieb sitzen und wurde selbst wie ein

    11 Beuys, a.a.O., S.20f.

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    Exponat bestaunt[Dia rechts]auch ohne nhere Kenntnisse der Material- und Handlungsssprache von Beuys ist klar, da dieseAktion vor allem eine Kritik an einer weit verbreiteten Art der Kunstbetrachtung wardie - verhinderten - Besucher sollten das Gefhl haben, es sei fr Beuys wichtiger, da ein Hase- zudem ein toter - in Ruhe und als erster die Exponate anschaut und erklrt bekommt als sie

    selbstinnerhalb des Weltbilds von Beuys sind Tiere sehr wichtig - er sieht in ihnen Vorbilder fr dieMenschen, da sie in Einklang mit ihrer Natur leben, ohne Entfremdung, ohne Reduktion auf denVerstand"Ich erklrte sie [= die Bilder] ihm [= dem Hasen], weil ich sie nicht den Leuten erklren mag.(...) Ein Hase versteht mehr als viele menschliche Wesen mit ihrem sturen Rationalismus."12

    whrend die Besucher - wrtlich - im Kalten und Dunklen standen (die Aktion fand EndeNovember, Abends nach 20 Uhr, statt!), schuf Beuys durch die Intimitt, die er im Umgang mitdem Hasen entwickelte, eine Atmosphre der Wrme bzw. des Lichtsdies wurde auch dadurch betont, da er seinen Kopf mit Honig und Blattgold bedeckt hatte:Honig ist das Produkt von Tieren, die so in einem einheitlichen Organismus zusammenleben,

    wie es Beuys auch fr die Menschen als Ideal proklamiert - insofern stehen Bienen fr Beuysfr Wrme; zudem ist ihr Werk (die Waben) Gestaltung, eine Proze gemeinsamer Kreativitt -das Bienenvolk als "Soziale Plastik"das Gold steht fr Reinheit, Transzendenz und Spiritualitt - es deutet nochmals an, da dieBeziehung von Beuys zu dem Hasen inniger, geistiger ist als es die Beziehungen zwischenMenschen blicherweise sindda gerade der Kopf mit Honig und Gold bedeckt wurde, soll verdeutlichen, da das Gehirn derkreativste Part des Menschen ist, der Ort der Ideen, der Imagination, aber auch des Mitgefhlsund der Empfindungen - der Ort, an dem besonders viele Nervenzellen miteinander in Bezie-hung treten - je mehr, desto kreativer und reicher, desto weniger einseitig ist das Denken undFhlen

    signalisiert wurde, da der Mensch im Zusammenleben mit einem Tier zu sich selbst findenkann, selber Wrme produziert, Spiritualitt erzeugtgesteigert wird das Provokante dieser Aktion dadurch, da es sich um einen toten Hasenhandelt: selbst ein totes Tier ist noch ein besserer Rezipient von Kunst, ein besserer Partner, ein

    besserer Stimulans fr eine Atmosphre der Wrme - und damit des Lebens! - als andere Men-schen"Ich bin der Meinung, da der tote Hase noch intelligenter ist als der Mensch. Die Intelligenzdieser Seele, diese geistige, umfassende Gestalt versteht die Bilder noch besser als ich selbst." 13

    (Tiermetaphysik!)doch das Provokante der Aktion sollte zugleich um so mehr Gedanken beim ausgesperrtenPublikum freisetzen - ihm sollte klargemacht werden, da sich der Aufbau einer innigen Bezie-

    hung nicht primr durch den Verstand, durch Argumente oder Interessen vollzieht, sondernauch ganz andere Ebenen zu umfassen hat"Dies war wohl die Aktion, die die Imagination der Leute am strksten in Anspruch genommenhat. Auf der einen Seite mu das daran liegen, da jeder bewut oder unbewut das Problem,Dinge zu erklren, erkannt hat, besonders was Kunst und schpferische Arbeit angeht oder alles,

    12 Zitiert nach: Uwe M. Schneede, Joseph Beuys. Die Aktionen, Ostfildern 1994, S.103.

    13 Jacqueline Burckhardt (Hrsg.), Ein Gesprch (Joseph Beuys, Jannis Kounellis, Anselm

    Kiefer, Enzo Cucchi), Zrich 1988, S.110.

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    was ein gewisses Mysterium oder Fragliches enthlt. (...) Das Problem liegt im Wort 'Verstehen'und seinen vielen Schichten, die nicht auf die rationale Analyse beschrnkt werden knnen.Imagination, Inspiration, Intuition und Sehnsucht lassen die Leute spren, da diese anderenSchichten auch eine Rolle beim Verstehen spielen. (...) Ich versuche, die Komplexitt derschpferischen Bereiche ans Licht zu bringen."14

    > ausdrcklich verweist Beuys hier darauf, da Kunst nichts ist, was sich nchtern erfassen lt- sondern ein Mysterium, d.h. etwas Geheimnisvolles, Unergrndbares - etwas, das sich demVerstand verschliet und das auch deshalb exklusiv, d.h. ausschlieend wirkt: wer sich blointellektuell oder mit gesundem Menschenverstand der Kunst nhern will, wird abgestoen undsie nur als etwas Befremdliches, ganz anderes erfahren

    bei dieser Aktion (wie bei anderen Aktionen) setzt sich nicht nur der Aufklrer Beuys markantin Szene, der seinen Begriff der "Sozialen Plastik" veranschaulicht, sondern Kunst wird geradeauch als etwas Mysterises und Elitres inszeniertBeuys zelebriert Exklusivitt (wrtlich, indem er das Publikum ausschliet!), setzt sich bersein Publikum (ebenfalls wrtlich!), bezieht es auch in keiner Weise in die Aktion ein, sondernstellt sich als 'hheres', sakrosanktes Wesen dar - auch das signalisiert das Gold, das an die Dar-

    stellung von Heiligenscheinen im MA denken lt - dies ist gar nicht mehr demokratisch!=> der Knster als bermenschliches Wesen, mit besonderen Fhigkeiten, mit einem Zugang zujenseitigen Sphren - unerklrlich, unbegreiflich, d.h. genial (unterhlt sich sogar mit einemtoten Tier!)Beuys gibt vor, wie allein der Umgang mit Kunst und wie Kommunikation richtig stattfindet -und er mutet seinem Publikum nicht zuletzt zu, sich mit seiner privaten Mythologie undSymbolwelt auseinanderzusetzen, sich in Geduld und Demut zu benBeuys spielt auch damit, da das Publikum bereits einen hinreichend hohen Begriff von Kunst

    besitzt, um mehrere Stunden in der Klte zu stehen (nur wer in den vordersten Reihen stand,konnte berhaupt sehen, was im Inneren der Galerie sich abspielte), geduldig zu warten, bisman eingelassen wird

    => es gibt den Knstler Beuys, der ganz klar in der Tradition des 'hohen' Kunstbegriffs steht,der sich als jemand begreift, der lutern, erheben, reinigen, therapieren kann, der in Bereichegelangt, die anderen unzugnglich sind, ja der dabei sogar sehr zweifelhafte Genie-Diskurseweiterverfolgt (z.B. hat er nicht nur gesagt, jeder Mensch sei ein Knstler, sondern auch, daFrauen fr Kunst ungeeignet seien15) - es gibt andererseits den Knstler Beuys, der einen E.K.

    proklamiert und dabei auch in Bereiche vordringt, die bisher noch nie mit Kunst in Verbindunggebracht wurden - hierbei wird Kunst extrem demokratisiert!der Spagat zwischen beidem ist gewaltig - aber auch wichtig: ohne die demokratisch-politischeSeite von Beuys mten seine Aktionen als zu aufdringlich esoterisch, ja als zu weihevollkunstfeiernd empfunden werden - umgekehrt wird die politisch-aufklrerische Ttigkeit um somehr durch eine Aura von Kunst aufgewertet, wenn dafr gesorgt wird, da 'Kunst' (trotz aller

    Erweiterung) den Nimbus des Besonderen, Einzigartigen, Bewundernswerten behltBeuys versucht gerade, die Energie, die die Faszination an Kunst freisetzt, fr politisch-gesellschaftliches Engagement zu nutzen - um diese Faszination sicherzustellen, bedarf essolcher Aktionen und seiner Inszenierung als Schamane, Heiliger, Religionsstifter...dies drfte Beuys besser als alle anderen durchschaut haben: je mehr der Kunstbegriff erweitert

    14 Schneede, a.a.O., S.103.

    15 Vgl. Kunst und Text, Ausstellungskalalog "Heimo Zobernig", Leipzig 1998, S.63.

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    wird, desto mehr mu andererseits seiner Profanierung gegengesteuert, d.h. desto mehr mssenseine elitren Zge betont werden - desto mehr mssen auch seine Inhalte gesichert werden('Erweiterung' heit gerade nicht inhaltliche 'Vernderung'!)fnde mit der Erweiterung des Kunstbegriffs zugleich dessen Profanierung statt, wre gerade dieArbeit jenseits des traditionellen Kunstkontexts nichts anderes als 'normale' politische Ttigkeit

    dann mte sich diese Arbeit auch allein an ihren politischen Erfolgen bzw. nach Mastben derPolitik messen lassen - dann ist Beuys im brigen keine beraus wichtige Figur der jngerenZeitgeschichte: in Bchern ber politische Strmungen der 60er, 70er oder 80er Jahre wird manihn kaum finden - hchstens abgebildet unter prominenten Nachrstungsgegnern, neben Blloder Grassd.h.: auch mit seinem E.K. ist Beuys im Terrain der Kunst geblieben bzw. die Erweiterungwurde von den Institutionen der Kunst akzeptiert und aufgenommen=> dokumentiert ist die politische Arbeit von Beuys vornehmlich in Publikationen der Kunst-szene=> Beuys wird letztlich auch nur vom blichen Kunstpublikum rezipiert - aller Erweiterung desKunstbegriffs zum Trotz (auch wegen der Esoterik seines Programms)

    gerade weil es vielen so ungewhnlich scheint, soziale Ttigkeiten als Kunst zu verbuchen, wirddies auch nur von einem an Provokationen gewhnten Kunstpublikum akzeptiert=> hier ist nochmals eine gewisse Paradoxie zu diagnostizieren: je mehr der Kunstbegrifferweitert wird - und je mehr damit gegen Erwartungen oder herrschende Begriffe verstoenwird -, desto kleiner und elitrer ist der Kreis derjenigen, die dies gutheien und aufnehmenwird schon die Einbeziehung von Produkten der Trivial- bzw. Massenkultur in den Bereich derhohen Kunst von denjenigen, die diese Produkte blicherweise konsumieren, kaum einmalwahrgenommen und erst recht nicht eigens untersttzt, so trifft dies auf die Erweiterung desKunstbegriffs im Sinne von Beuys zumindest ebenso zuein Signal kann man damit nur denjenigen geben, die einerseits selbst ber einen hohen Begriffvon Kunst verfgen und die andererseits hinreichend aufgeschlossen und neugierig sind, um auf

    eine solche Provokation nicht ablehnend zu reagierenhierbei ist interessant: die hohen Erwartungen gegenber Kunst bzw. die Faszination, die vonallem ausgeht, was unter 'Kunst' firmiert, lassen sich auch instrumentalisieren - es veredelt eineInitiative, wenn sie als Kunst deklariert werden kanninsofern hatte Beuys wohl schon eine Nachwirkung, die - wenn auch in begrenztem Rahmen -zu sozialen Fortschritten beigetragen hatauf der Basis seines E.K.s haben immer wieder Gruppen versucht, ihrem politisch-sozialenEngagement dadurch mehr Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, da es als knstlerischeAktion deklariert wurdeseit einigen Jahren diesbezglich besonders wichtig und erfolgreich: die sterreichischeIntitiative "WochenKlausur" um Wolfgang Zinggl

    die lose und von Ort zu Ort wechselnde Gruppe lt sich jeweils von einer Kunstinstitutioneinladen - anstatt in den Museums- oder Galerierumen fr einige Wochen eine Ausstellung zuprsentieren, wird ein Brobetrieb aufgebaut und ein soziales Projekt durchgefhrtzuerst: 1993 in der Wiener Secession fr elf Wochen mit einem ObdachlosenprojektWolfgang Zinggl zum Konzept der "WochenKlausur":"Seit einiger Zeit wissen wir, da sich Prozesse genauso ins Reich der Kunst manvrieren lassenwie bunte Bilder oder Bergschuhe. Sobald diese Prozesse in einer Institution wie der WienerSecession stattfinden, kommt es zur hinlnglich bekannten Verwandlung. Ein Projekt, daswoanders genauso durchgefhrt htte werden knnen, wird dann mit besonderer Bedeutung

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    versehen. Gewohnte, gewachsene Muster der Institution lassen spontan als Kunst erkennen, wasals solche deklariert wird und was woanders ein Gebrauchsgegenstand, eine ganz normaleOberflche, ein gewhnlicher Vorgang wre. Wir wissen, das ist die magische Kraft desRahmens. Eine soziale Intervention, wie zum Beispiel die Organisation eines Medizinbusses frObdachlose, unterscheidet sich diesbezglich in keiner Weise von anderen kulturellen

    Handlungen - von stinknormalen Performances, Readymades, Environments: Im Museum oderim Kunstverein kann sie zu Kunst mutieren. (...) Die kulturelle Bedeutung, das Heilige undVerehrungswerte, der Mythos des Besonderen kann zweifelsohne genutzt werden, um einerBemhung - zum Beispiel im Sozialbereich - zum Erfolg zu verhelfen."16

    > hier wird offen erklrt, da man die Aura der Kunst nutzen kann, um soziale Projekte zufrdern - dies wird sogar so nchtern analysiert, da die Frage aufkommt: handelt es sich beiden Initiatoren der "WochenKlausur" vielleicht um besonders pfiffige Sozialarbeiter, die dieKunst in ihren Dienst stellen, oder handelt es sich doch noch um Knstler, die den E.K. vonBeuys konsequent verwirklichen?das Spannende an den Projekten der "WochenKlausur" ist, da dies nicht klar entschiedenwerden kann - whrend Beuys immer als Knstler rezipiert wurde und sich ja auch eigens um

    die weitere Auratisierung der Kunst bemhte, benutzen die Aktivisten der "WochenKlausur" dieAura der Kunst lediglich - ohne sie andererseits aufzubauenwas bei Beuys ein Kreislauf zwischen Erweiterung und Elitarisierung ist, ist bei der "Wo-chenKlausur" eine einseitige Inanspruchnahmewhrend Beuys in vielen Texten und Interviews auch zu begrnden versucht, wieso dieGesellschaft als 'Soziale Plastik' verstanden werden sollte und insofern jedes Mitglied derGesellschaft in kreative Prozesse eingebunden ist, setzen die Mitglieder der "WochenKlausur"auf die berzeugungskraft der Kunstinstitution, in deren Namen sie jeweils auftretender Erfolg gibt ihnen freilich recht - bei jedem Projekt wird die auratische Macht der Kunst vonneuem sichtbargilt vielen der Erfolg der R.-m.s von Duchamp als bester Beweis fr die Macht des Kontexts

    'Kunst', so belegen die Erfolge der "WochenKlausur" diese vielleicht sogar noch besser - undsind v.a. z.T. auch in Zahlen belegbarbei der Aktion in der Wiener Secession wurde ein Medizinbus fr Obdachlose eingerichtet - diedazu erforderlichen finanziellen Mittel (fr Bus, dessen Ausstattung mit Gerten, Fahrer etc.)waren rasch aufzutreiben: bei Firmen, bei denen man anfragte, zhlte mehr, da sie alsSponsoren einer Kunstaktion auftreten konnten denn als soziale Wohltter (freilich kumuliertendie Effekte, die man sonst entweder mit einer karitativen oder mit einer knstlerischen Initiativeerzielt)v.a. aber hatte man es auch in der ffentlichen Verwaltung leichter, etwas durchzusetzen -Dienstwege konnten z.T. abgekrzt werden, weil sich Beamte, wenn es um Kunst geht, auchgerne einmal unorthodox geben und Sondergenehmigungen erteilen (freilich gab es immer noch

    zahlreiche Schwierigkeiten, doch auch immer Stadtrte oder andere lokale Gren, die immerschon davon getrumt hatten, endlich auch einmal auf den Kulturseiten der Zeitungaufzutauchen - und die deshalb ihren Ehrgeiz daran setzten, das Projekt zu untersttzen)so konnte innerhalb weniger Wochen ein Projekt gestartet (und auch lngerfristig gesichert) w-erden, das die 'Caritas' schon lngere Zeit vergeblich durchzusetzen versucht hatteam bemerkenswertesten: war die 'Caritas' v.a. daran gescheitert, rzte aufzutreiben, die - gegen

    16 Wolfgang Zinggl, Im Rahmen der Kunst, in: In Erwgung, da..., Wiener Secession

    1993, S. 9f.

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    regulre Bezahlung! - einen Medizinbus fr Obdachlose betreuen wollten, fand die"WochenKlausur" sofort 30 Interessenten! - an einer Kunstaktion mitzumachen und damit selbstein bichen Knstler sein zu drfen, war offenbar so verlockend! - dies beweist die Zugkraft derKunst, ihre Aura und Faszination am besten!"Jeder Mensch ist ein Knstler" - dieser Satz ist nicht zuletzt deshalb so berhmt und wird so oft

    zitiert, weil er offenbar eine tiefe Sehnsucht vieler ausspricht, die mit dem, was sie tun, aucheinmal als Knstler anerkannt werden wollen, ja die gerne hnlich groe Wertschtzung undAufmerksamkeit genieen wrdenhier geht es nicht mehr darum, tatschlich neue Bereiche in die Kunst zu integrieren - die Arbeitder "WochenKlausur" richtet sich nicht unbedingt an den Kunstbetrieb, whrend Beuys mitseinem E.K. nicht zuletzt ihn reformieren wolltedie Arbeit der "WochenKlausur" zeigt aber auch: der E.K. ist bereits so selbstverstndlichgeworden, da man ihn voraussetzen und deshalb auch instrumentalisieren kann - auch einBeamter, Politiker oder Unternehmer akzeptiert grundstzlich, da ein soziales Projekt Kunstsein kann!

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