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Aus dem Inhalt Akzente Ausblick (RAuN Dr. Bernhard Dombek) 1 Aufsätze Marketing in Anwaltskanzleien (RA Ottheinz Kääb) 2 Anwaltsmarketing im Kanzleivergleich. Ergänzende Untersuchungen im Rahmen der Studie „Marketing in Anwaltskanzleien“ (Alexandra Schmucker) 3 Sammeltermine und „neue“ ZPO – Ende einer Unsitte? (RA Wolfgang Schirp) 6 Pflichten und Haftung des Anwalts Das aktuelle Urteil (RA Bertin Chab) Zustellung „demnächst“ (OLG München v. 7.3.2002) 10 Zusammenschluss von Anwälten (RA Holger Grams) Freier Mitarbeiter 12 Berufsrechtliche Rechtsprechung Anwaltliche Werbung – zur Auslegung und Anwendung von Satzungsrecht (BVerfG v. 21.11.2002) 18 Zur Zulässigkeit von Ranglisten in einem Handbuch über Anwaltskanzleien (BVerfG v. 7.11.2002) 19 Zu einer Unterlassungsverfügung durch eine Rechtsanwaltskammer/ Zur Nutzung der Domain „www.rechtsanwaelte-notar.de“ (mit Anm. RA Christian Dahns) (BGH v. 25.11.2002) 22 Fachanwalt – zum Erwerb besonderer theoretischer Kenntnisse und praktischer Erfahrungen (mit Anm. RA Dr. Susanne Offermann-Burckart) (BGH v. 23.9.2002) 25 1/2003 15. 2. 2003 34. Jahrgang BRAK Mitteilungen Herausgeber BUNDESRECHTSANWALTSKAMMER Beirat RAuN Dr. Eberhard Haas, Bremen RA Dr. Christian Kirchberg, Karlsruhe RA Heinz Weil, Paris BRAKMagazin Anwalt ohne Recht

seite 01 40 - BRAK online · Bayerischer AGH 20.11.2002 BayAGH I 19/01 Fachanwalt – zum Erwerb der besonderen praktischen Erfahrungen 32 Nieder- 21.10.2002 AGH 27/01 Zulassungsversagung

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Aus dem Inhalt

AkzenteAusblick (RAuN Dr. Bernhard Dombek) 1

AufsätzeMarketing in Anwaltskanzleien (RA Ottheinz Kääb) 2

Anwaltsmarketing im Kanzleivergleich. Ergänzende Untersuchungen imRahmen der Studie „Marketing in Anwaltskanzleien“ (Alexandra Schmucker) 3

Sammeltermine und „neue“ ZPO – Ende einer Unsitte?(RA Wolfgang Schirp) 6

Pflichten und Haftung des AnwaltsDas aktuelle Urteil (RA Bertin Chab)Zustellung „demnächst“ (OLG München v. 7.3.2002) 10

Zusammenschluss von Anwälten (RA Holger Grams)Freier Mitarbeiter 12

Berufsrechtliche RechtsprechungAnwaltliche Werbung – zur Auslegung und Anwendung von Satzungsrecht(BVerfG v. 21.11.2002) 18

Zur Zulässigkeit von Ranglisten in einem Handbuch über Anwaltskanzleien(BVerfG v. 7.11.2002) 19

Zu einer Unterlassungsverfügung durch eine Rechtsanwaltskammer/Zur Nutzung der Domain „www.rechtsanwaelte-notar.de“(mit Anm. RA Christian Dahns) (BGH v. 25.11.2002) 22

Fachanwalt – zum Erwerb besonderer theoretischer Kenntnisse undpraktischer Erfahrungen(mit Anm. RA Dr. Susanne Offermann-Burckart) (BGH v. 23.9.2002) 25

1/200315. 2. 2003 34. Jahrgang BRAK

MitteilungenHerausgeberB U N D E S R E C H T S A N W A L T S K A M M E R

Beirat

RAuN Dr. Eberhard Haas, BremenRA Dr. Christian Kirchberg, KarlsruheRA Heinz Weil, Paris

BRAKMagazin

Anwalt ohne Recht

Akzente

Ausblick (B. Dombek) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

Aufsätze

Marketing in Anwaltskanzleien (O. Kääb) . . . . . . . . . . . . 2

Anwaltsmarketing im Kanzleivergleich. Ergänzende Untersuchungen im Rahmen der Studie „Marketing in Anwaltskanzleien“ (A. Schmucker) . . . . . . 3

Sammeltermine und „neue“ ZPO – Ende einer Unsitte? (W. Schirp) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6

Die übermäßige Dauer der Zivilprozesse in Italien und entsprechende Gegenmaßnahmen (St. Grigolli) . . . . . . . . 8

Pflichten und Haftung des Anwalts

Überblick (B. Chab)

Mandatsbearbeitung bei Rechtsschutzversicherung . . . . . 9

Das aktuelle Urteil (A. Jungk)

Zustellung „demnächst“ (OLG München v. 7.3.2002 — 1 U 4978/01) . . . . . . . . . . 10

Rechtsprechungsleitsätze (B. Chab/H. Grams/A. Jungk)

Haftung

Kosten des Korrespondenzanwalts (Schleswig-Holsteinisches OLG v. 22.8.2002 – 11 U 30/01) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

Fehlende Postulationsfähigkeit und Untervollmacht(BGH v. 9.7.2002 – X ZR 70/00) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

Fristen

Keine Anfechtung der Wiedereinsetzung(BGH v. 8.10.2002 – VI ZB 27/02) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

Missachtung einer Einzelweisung(BGH v. 31.10.2002 – III ZB 23/02) . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

Häufung von Fehlern bei der Fristwahrung (OLG Frankfurt v. 17.7.2002 – 1 U 70/02) . . . . . . . . . . . . 12

Empfangsbekenntnis und Eingangsstempel(BGH v. 5.11.2002 – VI ZR 399/01) . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

Zusammenschluss von Anwälten (H. Grams)

Freier Mitarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

Aus der Arbeit der BRAK

Bericht über die 3. Konferenz der Berufsrechtsreferenten . 14

Bericht über die 182. Tagung des Strafrechtsausschussesder BRAK in Berlin vom 25.–27. Oktober 2002 . . . . . . . . 16

Presseerklärungen/Stellungnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

1/2003Inhalt

BRAKMitteilungen

IV Inhalt BRAK-Mitt. 1/2003

Berufsrechtliche RechtsprechungBundesverfassungsgericht2

BVerfG 21.11.2002 1 BvR 1965/02 Anwaltliche Werbung – zur Auslegung und Anwendung von Satzungsrecht 18BVerfG 7.11.2002 1 BvR 580/02 Zur Zulässigkeit von Ranglisten in einem Handbuch über Anwaltskanzleien 19BVerfG 12.8.2002 1 BvR 1264/02 Rechtsberatungsgesetz – zu einer Fernsehsendung, die Zuschauern bei der

Durchsetzung ihrer Interessen hilft 21

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechung2

BGH 25.11.2002 AnwZ (B) 8/02 Zu einer Unterlassungsverfügung durch eine Rechtsanwaltskammer/ Zur Nutzung der Domain „www.rechtsanwaelte-notar.de“ (mit Anm. Ch. Dahns) 22

BGH 17.10.2002 AnwZ (B) 37/00 Zur Erstattung von Gebühren und Auslagen in einem berufsrechtlichenVerfahren 24

BGH 16.10.2002 VIII ZB 30/02 Kosten – zur Frage der Erstattungsfähigkeit der Kosten eines Unterbevollmächtigten (LS) 25

BGH 23.9.2002 AnwZ (B) 40/01 Fachanwalt – zum Erwerb besonderer theoretischer Kenntnisse und praktischer Erfahrungen (mit Anm. S. Offermann-Burckart) 25

BGH 23.9.2002 AnwZ (B) 56/01 Zulassungswiderruf – zur Bestimmtheit einer Verfügung im Zusammenhangmit einem ärztlichen Gutachten 29

BGH 23.9.2002 AnwZ (B) 67/01 Anwaltliche Werbung – Briefbogengestaltung einer überörtlichen Anwaltssozietät 31

BGH 12.9.2002 IX ZR 66/01 Zur Aufrechnung eines Rechtsanwalts gegen den Anspruch des Auftraggebers auf Herausgabe eines eingezogenen Geldbetrags (LS) 32

Bayerischer AGH 20.11.2002 BayAGH I 19/01 Fachanwalt – zum Erwerb der besonderen praktischen Erfahrungen 32Nieder- 21.10.2002 AGH 27/01 Zulassungsversagung – zu den Voraussetzungen einer sächsischer AGH Versagung wegen geistiger Schwäche 34Nieder- 14.10.2002 AGH 35/01 Berufspflichtverletzung – zur Aufgabe des Grundsatzes der Einheitlichkeit sächsischer AGH der Pflichtverletzung (LS) 36Nieder- 17.9.2002 AGH 8/2002 Zur Ermächtigungsgrundlage für eine Untersagungsverfügung/sächsischer AGH Zur Angabe eines wissenschaftlichen Mitarbeiters 37Bayerischer AGH 2.7.2002 BayAGH II 3/02 Anwaltliche Werbung – Formulierungen in einer Kanzleibroschüre 38

Weitere berufsrechtliche Rechtsprechung2

Hanseatisches OLG 12.9.2002 5 W 63/02 Anwaltliche Werbung – Weiterführung des Namens eines ehemaligen Partners nach Beendigung einer Sozietät 40

BRAK-MITTEILUNGENInformationen zu Berufsrecht und BerufspolitikHERAUSGEBER: Bundesrechtsanwaltskammer (Littenstr. 9, 10179 Berlin, Tel. 0 30/28 49 39-0, Telefax 0 30/28 49 39-11).E-Mail: [email protected], Internet: http://www.brak.de.Schriftleitung: Rechtsanwalt Stephan Göcken (Geschäftsführer der BRAK)Redaktion: Rechtsanwalt Anton Braun (Hauptgeschäftsführer der BRAK), RechtsanwaltFrank Johnigk, Rechtsanwältin Dr. Heike Lörcher (beide Geschäftsführer der BRAK).Ständiger Mitarbeiter: Rechtsanwalt Christian Dahns, Berlin (Rubrik: Rechtsprechung)VERLAG: Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Unter den Ulmen 96–98, 50968 Köln (Marien-burg), Tel. (02 21) 9 37 38-01; Telefax 02 21/ 9 37 38-9 21.E-Mail: [email protected]: Stadtsparkasse Köln (BLZ 37050198) 30602155; Postgiroamt Köln (BLZ37010050) 53950-508.ERSCHEINUNGSWEISE: Zweimonatlich jeweils zum 15. 2., 15. 4., 15. 6., 15. 8.,15. 10., 15. 12.BEZUGSPREISE: Den Mitgliedern der Rechtsanwaltskammern werden die BRAK-Mittei-lungen im Rahmen der Mitgliedschaft ohne Erhebung einer besonderen Bezugsgebührzugestellt. Jahresabonnement 72 € (zzgl. Zustellgebühr); Einzelheft 18 € (zzgl. Versand-kosten). In diesen Preisen ist die Mehrwertsteuer mit 6,54% (Steuersatz 7%) enthalten.

ANZEIGEN: an den Verlag. Anzeigenleitung: Renate Becker (verantwortlich).Gültig ist Preisliste Nr. 17 vom 1. 1. 2002DRUCKAUFLAGE dieser Ausgabe: 123 900 Exemplare (Verlagsausgabe).DRUCK: Westholsteinische Verlagsdruckerei Boyens & Co., Heide/Holstein. Hergestelltauf chlorfrei gebleichtem Papier.URHEBER- UND VERLAGSRECHTE: Die in dieser Zeitschrift veröffentlichten Beiträgesind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung infremde Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieser Zeitschrift darf ohne schriftliche Geneh-migung des Verlages in irgendeiner Form durch Fotokopie, Mikrofilm oder andere Ver-fahren reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbei-tungsanlagen verwendbare Sprache übertragen werden. Das gilt auch für die veröffent-lichten Entscheidungen und deren Leitsätze, wenn und soweit sie von der Schriftleitungbearbeitet sind. Fotokopien für den persönlichen und sonstigen eigenen Gebrauch dür-fen nur von einzelnen Beiträgen oder Teilen daraus als Einzelkopien hergestellt werden.

IVW-Druckauflage 4. Quartal 2002 122 475 Exemplare.

ISSN 0722-6934

BUNDESRECHTSANWALTSKAMMERBerufliche Vertretung aller Rechtsanwälte in der Bundesrepublik Deutschland; 28 Mit-gliedskammern (27 regionale Rechtsanwaltskammern und Rechtsanwaltskammer beimBundesgerichtshof). Körperschaft des öffentlichen Rechts. Die Rechtsanwaltskammernund die Bundesrechtsanwaltskammer als Dachorganisation sind die Selbstverwaltungs-organe der Anwaltschaft.

GESETZLICHE GRUNDLAGE: Bundesrechtsanwaltsordnung vom 1. August 1959,BGBl. I S. 565, in der Fassung vom 2. 9. 1994, BGBl. I S. 2278.

ORGANE: Hauptversammlung bestehend aus den 28 gewählten Präsidenten der Rechts-anwaltskammern; Präsidium, gewählt aus der Mitte der Hauptversammlung; Präsident:Rechtsanwalt und Notar Dr. Bernhard Dombek, Berlin. Vorbereitung der Organentschei-dungen durch Fachausschüsse.AUFGABEN: Befassung mit allen Angelegenheiten, die für die Anwaltschaft von allge-meiner Bedeutung sind; Vertretung der Anwaltschaft gegenüber Gesetzgeber, Gerichten,Behörden; Förderung der Fortbildung; Berufsrecht; Satzungsversammlung; Koordinie-rung der Tätigkeit der Rechtsanwaltskammern, z. B. Zulassungswesen, Berufsaufsicht,Juristenausbildung (Mitwirkung), Ausbildungswesen, Gutachtenerstattung, Mitwirkungin der Berufsgerichtsbarkeit.

BRAK-Mitt. 1/2003 Aktuelle Hinweise IX

(Fortsetzung Seite X)

Buchbesprechung

Zöller, Zivilprozessordnung, 23. Aufl.2002, Verlag Dr. Otto Schmidt, Köln,2820 S., 149,50 Euro, ISBN 3-504-47012-7

In der „Reform-Auflage“ haben die bis-herigen 7 Bearbeiter die reformierte ZPOauf (ebenso wie in der Vorauflage) rund2800 Seiten auf der Höhe der Zeit kom-mentiert. In den 40 Jahren meiner Nut-zung hat sich ein typischer und sehr prak-tischer „Rechtspfleger-Kommentar“ zueinem Werk entwickelt, das jedemRechtsanwender ebenso praktische, ver-ständliche wie verständige Argumenteliefert: Der Druck ist gut leserlich, dieGliederung übersichtlich, insbesonderedort, wo sie der Kommentierung voran-gestellt ist. Die vielen Änderungen in derletzten Legislaturperiode (neben der Re-form für die ZPO und die Zulassung – fürbeide eine Synopse zum bisherigenRecht etwas versteckt in Einleitung 22 –auch Änderungen durch die Schuld-rechtsmodernisierung, die eingetragenenLebenspartnerschaften, das Unterlas-sungsklagengesetz sowie die Änderungder Pfändungsfreigrenzen usw.) verlan-gen vom Anwalt, sich in den neuen Vor-schriften zu Recht zu finden und verstärktzum Kommentar zu greifen. Hierbeikann niemand erwarten, für alle neuenProbleme bereits eine gesicherte Lösungzu finden – der Zöller schneidet jeden-falls bei einem Vergleich der Kommentie-rung zum Reformgesetz gut ab, weilspürbar wird, wie die Bearbeiter um einepragmatische Lösung bemüht sind. Ver-ständlicherweise lese ich den Kommen-tar aus anwaltlicher Sicht:

Zu der praktischen Handhabung des„Zöller“ gehören die Hinweise auf Kos-ten und Gebühren; manchmal wünschteich mir jedoch eine unmittelbare Infor-mation: Welcher RA weiß, dass der nacheinem Hinweis ergehende Beschlussüber die Zurückweisung einer Berufungdrei Gerichtsgebühren kostet – und des-halb möglichst zu vermeiden ist, zumaler nicht angefochten werden kann (§ 522Abs. 3 ZPO) und üblicherweise ohneweitere Erkenntnisse ist? Der Hinweis inRdnr. 43 zu § 522 ZPO lediglich auf KV1226, 1227 ist für den Kostenbeamten

lediglich der Fälschungsnachweis zuläs-sig ist (§ 139 Abs. 4 Satz 2 ZPO), kann derRA in Schwierigkeiten geraten, wenn ernicht seinerseits den Hinweis in seinerStellungnahme so vorstellt, wie er ihnverstanden hat: Hat der Anwalt ihn miss-verstanden, wird der Richter daraufebenso hinzuweisen haben, wie er diesdann tun soll, wenn eine Partei sich aufeinen Hinweis nicht ausreichend erklärt(Rdnr. 14).

Wenn der RA mit der Berufungsbegrün-dung eine Tatsachenfeststellung im Urteilangreift, muss er konkrete Anhaltspunktebezeichnen, die Zweifel an deren Rich-tigkeit und Vollständigkeit begründen(§ 520 Abs. 3 Nr. 3 ZPO): Dazu findet erbei der Kommentierung zu § 520 ZPOkeine Hilfe (Rdnr. 33–35); der Kommen-tator Gummer hat jedoch aus seiner rich-terlichen Sicht bei der korrespondieren-den Vorschrift des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPOÜberlegungen gebracht (Rdnrn. 3–12),die das schwierige Verständnis der Vor-schrift (Rdnr. 2) erleichtern können: DerAnwalt hat aus den richterlichen Überle-gungen herauszuarbeiten, wie er durchseine Berufungsbegründung den Richterzu solchen Überlegungen zwingt, wieGummer sie zu § 529 ZPO anstellt. Ausanwaltlicher Sicht wird, gerade nach der-art erheblichen Reformen, deutlich spür-bar, dass der praktische Anwalt kaummehr in die Erläuterungen der maßgebli-chen aktuellen ZPO-Kommentare einge-bunden ist (lediglich im MünchenerKommentar haben Anwälte kommen-tiert, dies allerdings für weniger als 25 Pa-ragraphen).

Die Gehörsrüge (§ 321a ZPO) beschränktVollkommer auf das nicht berufungs-fähige erstinstanzliche Urteil und nimmtan, dass im Übrigen die von der Rspr.entwickelten außerordentlichen Rechts-behelfe fortgelten (Rdnr. 3) – der BGHschließt umgekehrt aus der Nichtauf-nahme der bisherigen außerordentlichenRechtsbehelfe in das Reformgesetz derenAbschaffung. Es bleibt zu hoffen, dass dieRspr. sich dahin öffnet, § 321a ZPO aufalle nicht mehr angreifbaren Entschei-dungen zu erweitern, was Gummer inseiner Kommentierung von § 567 ZPO

ausreichend – für den nicht kostenbe-wussten Anwalt allerdings keine „War-nung“ (die allerdings der RA durch an-dere Kommentare ebenso wenig erfährt).

Erfrischend versucht Geimer, die Beru-fungszuständigkeit (des OLG gegen Ur-teile des AG) bei Auslandsberührung(§ 119 Abs. 1 Nr. 1 b c GVG) praktikabelzu regulieren, nachdem diese Vorschrift„ohne Einbindung der Fachwissenschaftund Praxis“ (so § 119 GVG, 1) geschaffenwurde. Hoffentlich folgt die Praxis sei-nem Vorschlag, entsprechend § 281 ZPO(oder aber entsprechend einem anderenVorschlag nach § 17a GVG vorzugehen– so Münchener Kommentar Rdnrn. 7Nr. 11 a.a.O.) bindend zu verweisen(Rdnr. 16), wenn die Berufung nicht andas richtige (LG oder OLG) Berufungsge-richt gerichtet ist. Greger (§281 ZPO, 4)hält eine solche Verweisung leider für un-zulässig; dann wäre die nach Auffassungdes angerufenen Gerichts falsch adres-sierte Berufung unzulässig: Hoffentlichwird die missglückte Vorschrift entwedernicht zur Regressfalle – oder besser: baldaufgehoben.

Zu Recht verteidigt Greger den durch§ 139 ZPO zwingend vorgeschriebenenkooperativen Prozessstil (Rnr. 1). DerRechtsstreit kann nur dann konzentriertwerden, wenn der Richter mit den Pro-zessbeteiligten den maßgeblichen Pro-zessstoff abstimmt – anderenfalls ufertder Sachvortrag aus, der ja im Falle einerBerufung grundsätzlich nicht nachgeholtwerden kann (§ 531 ZPO). Gerade des-halb wird den neuerlichen Bestrebungendes Bundesrates entgegenzutreten sein,diese – einzig verbliebene – Stärkung desersten Rechtszuges wieder zurückzuneh-men. Es muss entsprechend Greger dasZiel aller Prozessbeteiligten sein – auchund gerade des Richters –, „dass das Par-teivorbringen strukturiert, an der Rechts-lage orientiert und auf das Wesentlichekonzentriert wird“ (Rdnr. 3). Leider folgtGreger der Gesetzesbegründung dahin,dass Hinweise „aktenkundig“ auch durcheinen bloßen Vermerk in der Akte ge-macht werden können (Rdnr. 13): Wiesollen die Parteien überprüfen können,ob der (möglicherweise der Anwaltsge-hilfin telefonisch gegebene) Hinweisrichtig erteilt oder verstanden wurde? Da

Aktuelle Hinweise

X Aktuelle Hinweise BRAK-Mitt. 1/2003

(Rdnr. 20a) befürwortet: Es ist verständ-lich – und für den eine Lösung in seinemSinne suchenden RA hilfreich, dass beieinem neuen Gesetz noch nicht alle Lö-sungen feststellen und er in demselbenKommentar unterschiedliche Auffassun-gen findet; für den praktisch tätigen RAwerden auf diese Weise die offenen Pro-bleme deutlich – und es ist keinesfalls einNachteil, dass sich in der gedrängten Zeitdie Bearbeiter nicht voll abstimmenkonnten (dieselbe Divergenz weist der 9Monate später fertiggestellte MünchenerKommentar auf – § 321a ZPO, 1 im Ge-gensatz zu § 567 ZPO, 13).

Das Novenverbot der neuen Berufung(§§ 530, 531 ZPO) gilt für Familiensa-chen nicht; der Gesetzestext lässt diesnur mittelbar (in §§ 615, 621 d ZPO) er-kennen; erfreulich ist deshalb, dass Phi-lippi diese Ausnahme in der zusammen-gefassten Kommentierung der beidenVorschriften drucktechnisch hervorhebt(Rdnr. 10).

Die Arbeit mit dem „Zöller“ machtFreude. Soweit die vorstehenden Hin-weise kritisch klingen, ist dies eher an

den Gesetzgeber als die Kommentatorengerichtet. Für den RA ist der Zöller eingelungenes Handwerkszeug. Wenn ichihn in der Praxis benötige, muss ich ihnmeist bei einem Sozius suchen; er wirdvon den sieben bei mir greifbaren Kom-mentaren am meisten benutzt, weil derEinstieg schnell und die Lösung für denanwaltlichen Alltag meist ausreichendist. Mehr kann ich von einem Handkom-mentar nicht erwarten.

RA JR Dr. Karl Eichele, Koblenz

Klaus Schnitzler (Hrsg.), Münchener An-waltshandbuch, Familienrecht, VerlagC. H. Beck, 2002, 1518 S., 112,00 Euro,ISBN 3-406-48965-6

Wenn ein Werk schon wenige Wochennach seinem Erscheinen von der höchst-richterlichen Rspr. rezipiert worden ist,braucht es eigentlich keine weitere Emp-fehlung. Fast sensationell erscheint es,wenn ein Praktikerhandbuch zu dernicht nur praktisch bedeutsamen, son-dern auch rechtspolitisch brisanten Prob-lematik des Elternunterhalts vom BGHals Beleg angeführt wird. Dem Münche-ner Anwaltshandbuch Familienrecht ist

ein solcher Überraschungscoup gelun-gen. Es wird gleich mehrfach in der Ent-scheidung vom 23.10.2002 – XII ZR266/99 (FamRZ 2002/1698) zitiert. DerErfolg beruht auf einer überzeugendenKonzeption und solider Arbeit: Der pas-sionierte Fachanwalt für FamilienrechtKlaus Schnitzler, Schriftleiter der FF, hatin seiner bekannt energisch-aktiven Artein Team von 24 ausgewiesenen Fami-lienrechtspraktikern zusammengestelltund zum Schreiben sowie vor allem zurrechtzeitigen Abgabe der Manuskriptemotiviert. In 10 Teilen und 30 Einzelka-piteln wird das gesamte Familienrechtabgedeckt. Vorbildlich werden dabeiauch oft vernachlässigte Schnittstellen zuanderen Rechtsgebieten einbezogen,wie etwa die steuer- und versicherungs-rechtlichen Dimensionen des Familien-rechts (Brieske/Arens). Das internatio-nale Familienrecht (Friederici/Finger) istebenso in einem eigenen Kapitel be-handelt wie das Gebührenrecht (Groß).Verdienstvoll ist, dass auch die Mitver-pflichtung nahestehender Personen (Jos-wig) und der Gesamtschuldnerausgleich(Maurer-Wildermann) sowie nichteheli-che Lebensgemeinschaften und eingetra-

(Fortsetzung von Seite IX)

(Fortsetzung Seite XII)

XII Aktuelle Hinweise BRAK-Mitt. 1/2003

gene Lebenspartnerschaften (Kleinwege-ner/Grziwotz) behandelt werden. In dernächsten Aufl. verdienen die engen Be-züge zwischen Familien- und Erbrechtwohl ein eigenes Kapitel.

Die Einleitungskapitel sind grundsätz-lichen Aspekten des familienrechtlichenMandats (Schnitzler/Kath/Zurhorst), be-rufsrechtlichen Fragen (Groß), der Haf-tung des RA im Familienrecht (Bräuer)sowie Verfahrensfragen (Schnitzler/Sar-res) gewidmet. Ein deutlicher Schwer-punkt des Buches liegt dann selbstver-ständlich auf dem Unterhaltsrecht, dasallein schon von 6 Autoren umfassendbeleuchtet wird (Önning/Miesen/Schnitz-ler/Kath-Zuhorst/Wever/Günther). Eben-so sorgfältig und praxisnah werden dieelterliche Sorge (Knittel), das Umgangs-recht (Rakete-Dombek), das Eherecht,das eheliche Güterrecht und der Versor-gungsausgleich behandelt (Müller/Mie-sen/Kogel/Glockner/Friederici). Beson-ders aktuell sind im Hinblick auf dasUrteil des BVerfG v. 6.2.2001 (FamRZ2001, 985) die Ausführungen zu Ehever-trägen und Scheidungsvereinbarungen(Brambring). Sie sind – wie nicht anders

zu erwarten – sorgfältig und kundig, al-lerdings insoweit ein wenig notarlastig,als die Gestaltungsfragen ganz im Vor-dergrund stehen. Den Familienrechtsan-walt interessiert vor allem aber auch dieFrage, welche Eheverträge vor dem Hin-tergrund der neuen Rspr. nunmehr an-greifbar erscheinen. Im Übrigen wird dieReichweite der neuen Urteile möglicher-weise zu eng interpretiert.

Das Buch will weder Lehrbuch nochKommentar sein, sondern eine integ-rierte Darstellung aktuell fallbezogenerProblembereiche für die tägliche Anwen-dung in Anwaltspraxis bringen. Damitkann und will es eine normbezogeneKommentierung nicht ersetzen; anderer-seits setzt eine effektive Nutzung des indas Werk eingeflossenen, beeindrucken-den Know-hows Grundkenntnisse desFamilienrechts voraus. Daher wäre fürdie nächste Aufl. zu überlegen, ob manin den Literaturübersichten nicht zusätz-lich auch auf besonders gut lesbare,übersichtliche Lehrtexte verweisensollte. Es ist Mode geworden, besonderePraxisnähe durch farblich abgesetztePraxistipps, Übersichten und Materialienzu dokumentieren. Dementsprechendenthält auch das vorliegende Werk For-

mulierungshilfen, Muster für die Ferti-gung von Schriftsätzen, Checklisten undÜbersichten. Ob der allgemeine Trendzum juristischen Bilder- und Kochbuchder Praxis tatsächlich das bringt, was ihr(vor allem von den Verlagen) verspro-chen wird, kann man bezweifeln. Pro-zesse gewinnt man jedenfalls nach wievor nicht durch vertiefte Kenntnisse derBuchmalerei, sondern durch Sachkom-petenz, Nachdenken und überzeugendeArgumentation. Insoweit hat das vorlie-gende Werk aber jedenfalls einen wohl-tuend zurückhaltenden Mittelweg gefun-den: Der Anhang mit den Tabellen istäußerst sinnvoll, die Checklisten undFormulierungsvorschläge ganz überwie-gend hilfreich. Die grau unterlegten Pra-xistipps hätte man genauso gut auch imnormalen Text lassen können; die Her-vorhebung ist aber so dezent, dass sieauch nicht wirklich stört. Manche Re-chenbeispiele sind sicher aus dem Lebengegriffen, damit aber geradezu zwangs-läufig für pädagogische Zwecke reichlichkompliziert.

Der Gesamteindruck ist jedenfalls unein-geschränkt positiv. Jeder Familienrechts-

(Fortsetzung von Seite X)

(Fortsetzung Seite XX)

XX Aktuelle Hinweise BRAK-Mitt. 1/2003

praktiker aber auch der familienrechtli-che Amateur wird an dem Werk Freudehaben und aus ihm Nutzen ziehen. DerHochschullehrer wünscht sich für dienächste Aufl. ein Einleitungskapitel, indem die prägenden Entwicklungsliniender Vergangenheit, die aktuellen rechts-politischen Tendenzen sowie vor allemdie europäische Perspektive ausgeleuch-tet werden. Man unterschätzt die Praxis,wenn man glaubt, dass sie sich für diegroßen Veränderungen ihres Fachs erstinteressiert, wenn sie sich im Tagesge-schäft niederschlagen.

Professor Dr. Barbara Dauner-Lieb,Richterin am OLG Köln

Veranstaltungshinweise

Institut für Anwaltsrechtan der Humboldt-Universität

zu Berlin

Rechtsanwalt Dr. Kai von Lewinski(Lovells, Berlin)

Kolloquium im Sommersemester 2003Anwaltliches Berufsrecht

Das Anwaltsinstitut veranstaltet für Refe-rendare und Studenten eine Einführungin das Anwaltsrecht.

Themen sind unter anderem:

– Mandatsvertrag, Pflichtverteidigung,Interessenkollision

– Mandatsführung, Handakte, Fristen-kontrolle, Fremdgelder

– Verschwiegenheit, Datenschutz– Haftung, Versicherung, Anwaltsge-

richtsbarkeit– Honorar, BRAGO– Werbung, Briefbogen– Kanzleiorganisation, Sozietät, Anwalt-

liches Gesellschaftsrecht– Organisation der Anwaltschaft, Zulas-

sung, Kammern, DAV– Berufsrecht für Notare, Schiedsrichter,

Mediatoren (Überblick)

Die Veranstaltung findet während desSommersemesters 2003 ab dem 23.4.2003 mittwochs von 18 bis 20 Uhr inRaum E.42 in der Juristischen Fakultätder Humboldt-Universität („Kommode“),Hebelplatz 1, statt. Die Teilnahme ist frei-willig und darf nicht mit Dienstpflichtenaus dem Vorbereitungsdienst kollidieren.

Weitere Informationen:Anwaltsinstitut an der Humboldt-Univer-

sität zu Berlin, Unter den Linden 11,Raum E.09, Tel.: 20 93-35 78, E-Mail:[email protected]

14. Jahrestagung derDeutsch-Israelischen

Juristenvereinigung (DIJV)

Vom 2.–9.4.2003 findet in ZichronYáakov/Israel die 14. Jahrestagung derDIJV statt.

Anfragen und Anmeldungen hierzu wer-den erbeten an DIJV Geschäftsführung,Roseggerstr. 15, 60320 Frankfurt/Main,Tel.: 0 69/53 26 82, Fax: 0 69/52 68 99,E-Mail: [email protected].

7. Symposium derDeutsch-Kroatischen

Juristenvereinigung (DKJV)

Am 24./25.4.2003 findet in Split das7. Symposium der DKJV statt. Das Themalautet „Neuentwicklung des kroatischenArbeitsrechtes im europäischen Kon-text“. Vorgesehen sind insgesamt 12 Re-ferate führender deutscher und kroati-scher Arbeitsrechtler mit anschließen-dem Erfahrungsaustausch.

Anfragen und Anmeldungen hierzu wer-den erbeten an den 1. Vorsitzenden derVereinigung, Rechtsanwalt MichaelStrunk, Rathenaustr. 16, 67547 Worms,Telefon: 0 62 41/88 90 00, E-Mail: [email protected].

World Women LawyersConference – Vorankündigung

Die IBA informiert, dass die 2. WorldWomen Lawyers Conference v. 30.6.–1.7.2003 in London stattfinden wird. DasProgramm der Konferenz wird voraus-sichtlich im Frühjahr bekannt gemachtwerden.

Vermischtes

DAAD-Stipendien fürjüngere Juristen zum Studium

in Großbritannien 2004

Für das Jahr 2004 bieten der DeutscheAkademische Austauschdienst und derBritish Council i.V.m. dem „British Insti-

tute for International and ComparativeLaw“ wieder Stipendien für deutsche Ju-risten an. Ort des Studienaufenthaltes istentweder London oder Edinburgh, dieLaufzeit beträgt jeweils 6 Monate, begin-nend im Januar 2004.

Diese Stipendien stehen Juristen mit II.Staatsexamen/I. Staatsexamen plus min-destens 12 Monate der Referendarzeitbei Stipendienantritt zur Verfügung. DieTeilnahme an diesem Kurs kann u.U. alsTeil der Referendarzeit anerkannt wer-den; Bewerber müssen dies allerdingsselber mit den zuständigen deutschenAusbildungsbehörden abklären.

Bewerbungen sind bis spätenstens 1. April2003 möglich.

Weitere Informationen und Antragsfor-mulare beim DAAD, Kennedyallee 50,53175 Bonn, Referat 313 erhältlich, zu-ständige Sachbearbeiterin: Susanne Pütz,Tel.: 02 28/8 82-4 35, E-Mail: Susanne.Puetz @daad.de.

Digitales Diktieren

Eine bundesweite Roadshow zum Thema„Digitales Diktieren“ veranstaltet dieDictaNet Software AG, Berlin, im kom-menden Frühjahr. Zwischen dem 3. Fe-bruar und 15. April können sich Interes-senten an 23 Terminen in 22 deutschenStädten zwischen Kiel und Rosenheimüber das Potential zur Kosteneinsparungdurch Einsatz der DictaNet-Produktpa-lette informieren.

Anwaltliche Fachreferenten werdenüber die Möglichkeiten von DictaNetsowie ihre praktischen Erfahrungen mitder Software im Kanzleialltag berich-ten.

Weitere Informationen überwww.dictanet.com.

(Fortsetzung von Seite XII)

Vermietung

Ca. 110 qm Büroräume in zentralerLage in Berlin-Mitte/Nähe Gendar-menmarkt

Weitere Mieter: Dt. Notarverein,Wirtschaftsverlag

Vermieter: Deutscher Richterbund,Kronenstr. 73/74, 10117 Berlin, Tel.0 30/2 06 12 50, E-Mail [email protected].

1/200315. 2. 2003 34. Jahrgang

Informationenzu Berufsrecht undBerufspolitik

BRAKMitteilungenHerausgeberB U N D E S R E C H T S A N W A L T S K A M M E R

Die Koalitionsvereinbarung sieht im Gegensatz zur letztenLegislaturperiode nur wenige Änderungen im Bereich Rechtvor. Dennoch wird gerade die Anwaltschaft von den wenigenVorhaben besonders betroffen. Zwangsverwaltervergütungs-verordnung, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, Rechtsberatungs-gesetz, Bundesrechtsanwaltsordnung, also alle Gesetze imKernbereich der anwaltlichen Berufspolitik, sollen Gegen-stand des Arbeitsprogramms des Deutschen Bundestages sein.

Das Durchschnittseinkommen der Anwaltschaft ist, wie dasInstitut für Freie Berufe in Nürnberg festgestellt hat, weiter ge-sunken. Der Einzelanwalt – immerhin 55 % der deutschen An-waltschaft – erzielte im Jahre 2000 durchschnittlich ein Netto-einkommen i.H.v. 1511,51 Euro. Dies ist nicht allein daraufzurückzuführen, dass die Zahl der RAe überproportional ge-stiegen ist. Die Zahl der Richter ist von 1950 bis zum Jahre2001 um 38,7 %, die Zahl der RAe um 758,3 % gestiegen.Auch die fehlenden Anpassungen der Anwaltsgebühren sindein Grund für den wirtschaftlichen Niedergang der Anwalt-schaft. Dies gilt sowohl hinsichtlich der Höhe als auch derHäufigkeit der Anpassungen. Während die übrigen Bürger inder Regel alljährlich eine Anpassung ihres Einkommens erhal-ten, hat die Anwaltschaft seit dem Jahre 1957 lediglich siebenAnpassungen durch den Gesetzgeber erhalten. Auch die Höheder Anpassung war immer unzureichend. Während z. B. bei ei-nem Streitwert von 300 DM eine Gebühr nach GKG im Jahre1957 12 DM betrug, ist sie bis zum Jahre 2002 auf 49 DM ge-stiegen; dies ist eine Erhöhung um 308 %. Die Gebühren derAnwälte sind von 19 DM auf 49 DM gestiegen; dies ist eine Er-höhung i.H.v. 158 %. Gegenstand der Diskussion zu Beginndieser Legislaturperiode wird deshalb nicht nur sein, endlichdie in der letzten Legislaturperiode versprochene Anpassungder Gebühren vorzunehmen; notwendig wird es auch sein,über die bisherige zwangsläufige Verbindung zu sprechen,dass jede Anpassung der Anwaltsgebühren auch eine Anpas-sung der Gebühren nach GKG zwingend erfordert; es ist nochniemand auf die Idee gekommen, bei den alljährlich erfolgtenAnpassungen der Gehälter von Richtern und Staatsanwältendie Forderung aufzustellen, dass gleichzeitig die Gerichts-kosten anzuheben sind.

Von interessierten Kreisen, nämlich Personen, denen dieRechtsberatung derzeit nicht erlaubt ist, wird der Bestand desRechtsberatungsgesetzes infrage gestellt. Warum sollen nichtMedien, Inkassobüros, Banken oder Versicherungen, warumsoll nicht „Jedermann“ umfassende Rechtsberatung erlaubtsein? Die Bundesregierung hat in der letzten Legislaturperiode(BT-Drucks. 14/3959) die Frage dahingehend beantwortet,dass dies nicht im Interesse der Bürgerinnen und Bürger sei.Die Vorschrift im Rechtsberatungsgesetz, nach der „jede ge-schäftsmäßige Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten“ nurfachkundigen Personen erlaubt ist, diene dem Verbraucher-schutz. Dennoch hat sich die neue Bundesregierung zum Zielgesetzt, das Rechtsberatungsgesetz zu novellieren. Der Wider-spruch zur Antwort der Bundesregierung in der letzten Legis-laturperiode ist offensichtlich. Die Anwaltschaft wird in der be-ginnenden Diskussion darauf achten müssen, die Rechte derVerbraucher zu wahren.

Die BRAO bedarf nicht nur redaktioneller, sondern inhaltlicherÜberarbeitung. Schon anlässlich der Verabschiedung der Vor-schriften zur Rechtsanwaltsgesellschaft (§ 59c ff. BRAO) hattedie BRAK darauf hingewiesen, dass es inkonsequent sei, alsGesellschaftsform für die Anwaltschaft nur die GmbH zu re-geln; es sei kein Grund ersichtlich, nicht auch andere Gesell-schaftsformen, wie z. B. die AG, für die Anwaltschaft zu eröff-nen. Diese Lücke soll nunmehr geschlossen werden. Darüberhinaus ist der Tatsache Rechnung zu tragen, dass die Zulassungzur Anwaltschaft nicht mehr durch die Landesjustizverwaltun-gen, sondern durch die RAKn erfolgt.

Der Bestand der Rechtsanwaltsversorgungswerke ist ebenfallsin die Diskussion geraten ebenso wie die Ausdehnung derGewerbesteuer, vielleicht mit einem anderen Namen, auf dieAnwaltschaft. Die auf Kapitaldeckung aufbauenden Rechts-anwaltsversorgungswerke sind in ihrer Selbständigkeit zu er-halten. Der Griff des Gesetzgebers nach weiteren Steuer-erhöhungen für die Anwaltschaft ist abzuwehren.

Wir stehen vor einer interessanten Legislaturperiode. Jeder Be-rufsangehörige sollte die Gelegenheit wahrnehmen, seinenAbgeordneten auf Kommunal-, Landes- und Bundesebene aufseine Interessen anzusprechen.

Bernhard Dombek

Akzente

Ausblick

Der Rechtsberatungsmarkt in Deutschland zeichnet sich seiteiniger Zeit durch eine enorme Dynamik aus. So stieg die Zahlder zugelassenen RAinnen und RAe von 67 120 im Jahr 1993auf 116 305 zum Jahresende 2001. Dies ist ein Wachstum von73 %. Zudem drängten auch immer mehr ausländische Kanz-leien (u.a. aus Großbritannien und den USA) auf den Markt. Indiesem Zusammenhang kam es häufig zu Fusionen mit ansässi-gen Sozietäten. Aber auch viele deutsche Kanzleien schlossensich zusammen. Die verstärkte Konkurrenzsituation und die ver-änderten Strukturen innerhalb der Kanzleien (Größe, Internatio-nalität, Kooperationen etc.) stellen nun neue Anforderungen andie Führung und das äußere Auftreten einer Sozietät. Zudem ge-staltet sich der Marktzugang für die jungen Anwältinnen undAnwälte zunehmend schwieriger. Somit gewinnt das Marketingeine immer größere Bedeutung auch in Anwaltskanzleien. Da-neben wurden die Einschränkungen der Werbung für anwaltli-che Dienstleistungen reduziert, sodass die Anwältinnen und An-wälte hier mehr Gestaltungsfreiheiten haben.

Wie reagieren nun die deutschen Anwältinnen und Anwälte aufdie veränderten Anforderungen an ihre Kanzlei? Wie verbreitetsind Marketingkonzepte, was beinhalten sie, wie nutzen dieRAinnen und RAe die erweiterten Werbemöglichkeiten und wiesieht die Planung für die zukünftige Nutzung aus? Obwohl dasThema „Marketing in Anwaltskanzleien“ aktuell von großem In-teresse ist, lagen bisher keinerlei zuverlässige Daten über dieUmsetzung in den deutschen Anwaltskanzleien vor. Um dieseLücke zu schließen, wurden diese Fragen auf dem Weg einerempirischen Untersuchung geklärt. Die Selbsthilfe der RAe e.V.beauftragte hierzu das Institut für Freie Berufe Nürnberg (IFB)mit der Durchführung einer quantitativen Erhebung zum Thema„Marketing in Anwaltskanzleien“, deren Ergebnisse jetzt vor-liegen1.

Trotz des verlorenen Gleichgewichts zwischen Angebot undNachfrage auf dem Rechtsberatungsmarkt der letzten Jahre undder konjunkturellen Schwankungen sind betriebswirtschaftlicheÜberlegungen und Instrumentarien, insbesondere das Marke-ting, in den deutschen Anwaltskanzleien immer noch nicht weitverbreitet. Fast drei Viertel aller Kanzleien haben weder ein Mar-keting-Konzept noch planen sie für die nahe Zukunft dessen Ein-führung.

Obwohl etwa ein Viertel der Befragten ein Marketing-Konzeptfür (eher) unentbehrlich hält, konnten selbst in dieser Gruppenur 27 % ein Marketing-Konzept in ihrer Kanzlei vorweisen.Auch der Einsatz einzelner Marketinginstrumente ist noch nichtweit verbreitet. Die meisten der abgefragten Instrumente wur-den nur von etwa jeder 4. bzw. jeder 5. Kanzlei zur Anwendunggebracht. Ein Sechstel der Kanzleien hat weder Marketing-Instrumente im Einsatz, noch plant sie deren Einführung in dennächsten 1 bis 2 Jahren.

Daneben zeigt sich, dass auch das Bewusstsein, bestimmte Ak-tivitäten mit dem Begriff des Marketing in unmittelbaren Zu-

sammenhang zu bringen, noch nicht ausreichend vorhanden ist.So nutzten zwar fast alle Kanzleien – wenn auch nur in kleinemUmfang – Werbemöglichkeiten, aber nur 28 % gaben an, Wer-bung als Marketinginstrument im Einsatz zu haben. ÄhnlicheDiskrepanzen werden bei der Öffentlichkeitsarbeit offensicht-lich. Auch beim Mandanten-Feedback zeigen sich deutlicheUnstimmigkeiten. Zwar hielten ca. zwei Drittel der Anwältin-nen und Anwälte das Mandanten-Feedback für wichtig, aller-dings führten lediglich 6 % aller Kanzleien schriftliche Befra-gungen bei ihren Mandanten durch. Aber auch für die Zukunftzeigt sich bei diesem Aspekt kaum Steigerungspotential: Nur13 % der Kanzleien, die bisher keine schriftliche Mandantenbe-fragung durchführten, wollen dies einführen.

Insgesamt entsteht der Eindruck, dass man sich zwar einerseitsder Bedeutung von Marketing in den Anwaltskanzleien zuneh-mend bewusst wird. Andererseits aber sind die Umsetzung die-ser Erkenntnisse in der Praxis und die Verknüpfung eines ein-heitlichen Konzepts mit der täglichen Arbeit noch kaum vor-handen. D.h. man ist sich der Bedeutung des Marketingsbewusst, man unternimmt auch einige ausgewählte bzw. spora-dische Aktivitäten i.S.v. Marketing, aber es gibt keine konkretformulierten Ziele und kein Konzept, das alle Aktivitäten i.S.d.Zielerreichung koordiniert.

Was die Nutzung einzelner Werbemaßnahmen angeht, greiftein Großteil der Kanzleien hauptsächlich auf konventionelleWerbemittel (wie Anzeigen in der Presse oder Anwaltssuch-dienste) zurück. Die zielgruppenorientierte Werbung ist dage-gen noch nicht so weit verbreitet. Wobei die RAinnen und RAe,in deren Kanzleien diese Werbeformen zum Einsatz kommen,diesen Werbemaßnahmen eine höhere Effektivität zuschreibenals die jeweiligen Nutzer der konventionellen Werbung. Bei denInstrumenten der Öffentlichkeitsarbeit wurde deutlich, dass de-ren Einsatz nicht in dem Maße ausgeprägt war wie bei den Wer-bemaßnahmen. Die einzelnen Instrumente wurden meist nurvon einem Drittel der Kanzleien eingesetzt. Ca. ein Drittel derKanzleien betrieb sogar überhaupt keine PR. Obwohl in denRatgebern häufig darauf hingewiesen wird, dass eine gute Öf-fentlichkeitsarbeit, wie z.B. Veröffentlichungen, Auftritte in denMedien, Informationsveranstaltungen oder Mitgliedschaften inverschiedenen Organisationen, bei der Mandantenakquirierungbesonders hilfreich ist, wurde die Wirksamkeit der einzelnenInstrumente von den Befragten nicht besser eingestuft als beiden Werbemaßnahmen. Damit scheint die Öffentlichkeitsarbeitim Meinungsbild der RAinnen und RAe nicht mehr Erfolg als dieWerbung zu haben.

Auffällig ist sowohl bei der Werbung als auch bei der PR, dassKanzleien, die die Maßnahmen verstärkt im Einsatz hatten, de-ren Effektivität auch höher eingestuft haben. Ob nun eine inten-sivere Nutzung auch tatsächlich eine bessere Wirksamkeit mitsich bringt oder ob der Erfolg einer Maßnahme zu einer ver-stärkten Nutzung führte, kann nur vermutet werden. Eine weitereInterpretation dieses Ergebnisses wäre der Effekt, dass der Einsatzvon Maßnahmen den Glauben an ihren Nutzen verstärkt.

Interessant ist auch der Zusammenhang der Nutzung von Wer-bung und Öffentlichkeitsarbeit. So betrieben die Kanzleien, dieüberdurchschnittlich viele Werbemaßnahmen im Einsatz hat-

2 Aufsätze BRAK-Mitt. 1/2003

Kääb, Marketing in Anwaltskanzleien

Marketing in Anwaltskanzleien

Rechtsanwalt Ottheinz Kääb, München

1 Allen RAinnen und RAen, die mitgewirkt haben, sei an dieser Stelleherzlich gedankt. Der gesamte Ergebnisbericht ist in der Schriftenreihedes Instituts für Freie Berufe Nürnberg (IFB) erschienen und gegen eineSchutzgebühr von Euro 17,80 beim IFB (www.ifb.uni-erlangen.de) zubeziehen.

ten, auch überproportional häufig Öffentlichkeitsarbeit. Damitwerden Werbung und PR nicht etwa als austauschbare Instru-mentarien verwendet, sondern als sich ergänzende Faktoreneingesetzt. D.h. eine Kanzlei, die bei der Außenkommunikationbesonders aktiv ist, nutzt die Maßnahmen aus beiden Bereichenhäufig, während Kanzleien, die kaum Werbung betreiben, auchselten PR anwenden.

Aufgrund des nur mäßigen Einsatzes von Werbung und Öffent-lichkeitsarbeit wundert es nicht, dass fast drei Viertel der Kanz-leien die Entwicklung und Umsetzung der Maßnahmen selbstbetreiben. 24 % ziehen Experten hinzu und nur 3 % überlassendie Gestaltung alleine den Fachleuten. Hier muss dann auch diekritische Frage gestellt werden, ob der geringe Erfolg der Maß-nahmen vielleicht auch auf unprofessionelles Vorgehen zurück-zuführen ist. Sparen die Kanzleien am falschen Ende? Betrach-tet man die Bewertungen des Erfolgs aller Maßnahmen zusam-men danach, wer die Gestaltung übernommen hat, weisen dieKanzleien, die die Entwicklung und Umsetzung in Zusammen-arbeit mit den Experten vorgenommen haben, die besten Be-wertungen auf. 22 % der Befragten aus dieser Gruppe bewerte-ten den Gesamterfolg der Außenkommunikation als (eher) groß.Die Kanzleien, die die Gestaltung ausschließlich selbst vornah-men bzw. nur von Experten entwickeln ließen, sahen nur zu je-weils 12 % einen (eher) großen Erfolg. Insgesamt wurde der Er-folg der Außenkommunikation eher schlecht bewertet. Nur13 % der Befragten waren der Meinung, dass die Maßnahmeneinen (eher) großen Erfolg hatten.

Angesichts der schlechteren wirtschaftlichen Situation der An-waltschaft gibt es doch immer noch viele Kanzleien, die auf-

grund guter Auslastung keine Werbung machen müssen. Fast einDrittel der teilnehmenden Kanzleien nannten diesen Grund fürihre Zurückhaltung beim Einsatz von Werbung und PR. Zudemgibt es immer noch eine Minderheit von 13 %, die Werbungprinzipiell ablehnt. Als Hindernisse bei der Außenkommunika-tion stehen bei den meisten dagegen praktische Gründe im Vor-dergrund: Der hohe Zeitaufwand, das unzureichende Kosten-Nutzen-Verhältnis und mangelnde Kontrollmöglichkeiten in Be-zug auf den Erfolg. Rechtliche Hindernisse spielen dagegenkeine große Rolle. Dieses Ergebnis spiegelt sich auch bei denAntworten zur allgemeinen Zufriedenheit mit den Werbemög-lichkeiten wieder: 85 % der Befragten äußerten sich zufriedenmit den derzeit eingeräumten Werbemöglichkeiten. Damit sindalso nur 15 % der Befragten nicht zufrieden, wobei sich etwa dieHälfte der Unzufriedenen eine Erweiterung der Möglichkeitenwünscht.

Das Thema Kollektivwerbung findet bei den meisten Befragtenkeine große Zustimmung: Nicht einmal ein Drittel der Anwäl-tinnen und Anwälte erklärte sich zu einer finanziellen Beteili-gung an einer Kollektivwerbung bereit.

Abschließend kann man sagen, dass Marketing in den deut-schen Anwaltskanzleien noch nicht weit verbreitet ist undhäufig nur einzelne, wenig koordinierte Aktivitäten in diesemBereich unternommen werden. Viele Berufsangehörige habenProbleme, den Aufwand an Zeit und Geld ins Verhältnis zu demerkennbaren Nutzen von Marketing zu bringen. Somit bestehtfür die Zukunft noch erheblicher Handlungsbedarf für die An-wältinnen und Anwälte, um sich den Anforderungen des mo-dernen Kanzleimanagements zu stellen.

BRAK-Mitt. 1/2003 Aufsätze 3

Schmucker, Anwaltsmarketing im Kanzleivergleich

Das Thema Marketing spielt zwar in den anwaltspezifischenZeitschriften und Fachbüchern eine immer größere Rolle, je-doch lagen bisher keine Daten über die tatsächliche Verbreitungund Umsetzung von Marketinginstrumenten in Anwaltskanz-leien vor. Um zu diesen Fragestellungen detaillierte Informatio-nen zu erhalten, führte das Institut für Freie Berufe Nürnberg(IFB) im Auftrag der Selbsthilfe der RAe e.V. 2002 eine empiri-sche Untersuchung zum Thema Marketing in Anwaltskanzleiendurch. Hierzu wurden von Anfang Februar bis Ende Mai 2002in den Kammern Bremen, Celle, Düsseldorf, Koblenz, Köln,Mecklenburg-Vorpommern, Nürnberg, Sachsen, Sachsen-An-halt und Tübingen insgesamt 9471 RAinnen und RAe befragt,von denen 3588 den Fragebogen ausgefüllt an das IFB zurück-sandten. Dies bedeutet eine Rücklaufquote von 38 %. Auf

Grund dieser relativ hohen Rücklaufquote und der guten Über-einstimmung der Strukturdaten1 aus der Erhebung mit den Statis-tiken der BRAK kann von der Repräsentativität der Daten aus-gegangen werden.

Bei den Analysen der erfassten Daten konnte festgestellt wer-den, dass sich vor allem zwei Vergleichskategorien jeweils vonden restlichen befragten Kanzleien besonders abhoben. Zum ei-nen sind dies Kanzleien mit über 10 RAinnen und RAen2, die imFolgenden als „große Kanzleien“ bezeichnet werden, und zumanderen weisen die neu gegründeten Kanzleien3 spezifische Er-gebnisse auf. Da bereits im Beitrag von Ottheinz Kääb4 einÜberblick über die Gesamtergebnisse der Studie gegebenwurde, soll in diesem Artikel auf die Besonderheiten dieser bei-den Gruppen eingegangen werden.

Anwaltsmarketing im KanzleivergleichErgänzende Untersuchungen im Rahmen der Studie „Marketing in Anwaltskanzleien“

Alexandra Schmucker, Institut für Freie Berufe, Nürnberg

1 Als Strukturdaten wurden die Verteilungen nach Geschlecht, Alter,Fachanwaltsbezeichnungen und dem Anwaltsnotariat aus der Erhe-bung mit den entsprechenden Verteilungen in der BRAK-Statistik ver-glichen.

2 Die Kanzleigröße wurde anhand der Anzahl der RAinnen und RAe inder Kanzlei (Inhaber und angestellte bzw. frei mitarbeitende Kollegin-nen und Kollegen) ermittelt, da die Kanzleigröße sehr stark von derenAnzahl abhängt. Bei Kanzleien mit Steuerberatern, Wirtschaftsprüfernetc. wurden diese Partner zu den RAinnen und RAen dazugezählt. Dieteilzeitbeschäftigten Anwältinnen und Anwälte gehen in die Sum-menbildung mit 0,5 ein. Zudem ist zu beachten, dass die Gruppe der

großen Kanzleien sehr heterogen ist. Zwar sind in der Mehrheit derKanzleien in dieser Gruppe bis zu 25 RAinnen und RAe tätig, es gibtjedoch auch einige große Kanzleien mit weit über 100 Anwältinnenund Anwälten.

3 Neu gegründete Kanzleien sind Kanzleien, die maximal ein Jahr be-stehen.

4 Ottheinz Kääb: Marketing in Anwaltskanzleien. In: BRAK-Mitteilun-gen 1/2003, S. 2. Der gesamte Ergebnisbericht ist in der Schriftenreihedes Instituts für Freie Berufe Nürnberg (IFB) erschienen und gegen eineSchutzgebühr von € 17,80 beim IFB (www.ifb.uni-erlangen.de) zu be-ziehen.

Neu gegründete Kanzleien im Vergleich zu denrestlichen Kanzleien

Auf Grund der in den letzten Jahren stetig stark stei-genden Anzahl der Anwältinnen und Anwälte haben esBerufsanfänger besonders schwer auf dem Rechtsbera-tungsmarkt. Gerade für neu gegründete Kanzleien stelltdie Mandantenakquisition eine besondere Herausfor-derung dar. Der effektive und effiziente Einsatz vonMarketinginstrumenten ist in dieser Situation für dieEtablierung der Kanzlei sehr wichtig. So verwundert esnicht, dass diese Kanzleien im Vergleich zu den längerbestehenden Kanzleien deutlich mehr Aktivitäten indiesem Bereich aufweisen und vor allem auch fürdie nahe Zukunft weitere Maßnahmen planen (sieheTab. 1a und 1b).

So haben nur 7 % der Kanzleien, die bereits länger als1 Jahr bestehen (im Folgenden als „ältere Kanzleien“bezeichnet), ein Marketing-Konzept, aber bereits 12 %der neuen Kanzleien. Zudem ist in 23 % der neu ge-gründeten Kanzleien die Erstellung von Marketing-Konzepten für die nächsten 1 bis 2 Jahre geplant; in derVergleichsgruppe sehen nur 19 % eine Einführung vor.Dieser Unterschied spiegelt sich auch in den Einschät-zungen zur Wichtigkeit von Marketing-Konzepten wi-der: Während lediglich 20 % der Befragten aus älterenKanzleien diese für (eher) unentbehrlich halten, liegtder entsprechende Anteil bei den Existenzgründern mit32 % deutlich höher.

Selbst wenn in den Kanzleien kein Marketing-Konzeptvorliegt, können einzelne Marketinginstrumente zumEinsatz kommen. Um dies zu erfassen, wurden die An-wältinnen und Anwälte zu sieben Marketinginstrumen-ten befragt, inwieweit diese in ihrer Kanzlei bereits imEinsatz sind bzw. deren Einführung in naher Zukunftgeplant ist. Die durchschnittliche Anzahl der einge-setzten Marketinginstrumente liegt in den älteren Kanz-leien bei 1,7; des Weiteren wollen sie im Schnitt 0,8weitere Instrumente in den nächsten 1 bis 2 Jahren ein-führen. Auch hier sind die neu gegründeten Kanzleienaktiver: Sie haben im Mittel 2,2 Marketinginstrumenteim Einsatz und planen durchschnittlich 1,2 weitere ein-zuführen.

Ein wichtiger Bestandteil des Marketings bildet die Kun-denzufriedenheit. Um die Anforderungen der Mandan-ten gut zu kennen und angemessen darauf reagieren zukönnen, ist eine genaue Kenntnis zur Zufriedenheit derKlienten erforderlich. Diese Bedeutung des Mandan-tenfeedbacks findet zwar unter den befragten Anwäl-tinnen und Anwälten besonders hohe Zustimmung, je-doch besteht bei der praktischen Umsetzung noch er-heblicher Handlungsbedarf: So geben lediglich 6 % derälteren Kanzleien und 3 % der neuen Kanzleien an,schriftliche Mandantenbefragungen durchzuführen.Obwohl hier die Existenzgründer hinter den anderenKanzleien zurückliegen, planen 19 % der jungen Kanz-leien, die bisher keine schriftlichen Befragungen durch-geführt haben, die Einführung in den nächsten 1 bis 2Jahren. Bei den älteren Kanzleien beabsichtigen diesnur 11 %.

Auch beim Einsatz von Instrumenten für Werbung undÖffentlichkeitsarbeit weisen die „jungen“ Kanzleieneinen Vorsprung gegenüber den älteren auf. Sie führtenin den letzten beiden Jahren im Schnitt 3,7 Werbe- und1,5 PR-Maßnahmen durch. Die Vergleichsgruppebringt es dagegen nur auf durchschnittlich 3,4 Werbe-

4 Aufsätze BRAK-Mitt. 1/2003

Schmucker, Anwaltsmarketing im Kanzleivergleich

maßnahmen und 1,4 eingesetzte Instrumente zur Öf-fentlichkeitsarbeit.

Angesichts des eher geringen Einsatzes von Werbe- undPR-Maßnahmen stellt sich die Frage nach den Grün-den. Vor allem praktische Hindernisse (wie z.B. hoherZeitaufwand, schlechte Kontrollmöglichkeiten) werdenvon den Befragten als Hindernisse genannt. Dabei be-urteilen 54 % der Anwältinnen und Anwälte aus neugegründeten Kanzleien und 61 % der Befragten aus denälteren Kanzleien diese Probleme als zutreffend. Beiden rechtlichen Hindernissen zeigen sich zwischenbeiden Gruppen dagegen nur geringe Unterschiede: Sogeben 14 % der Anwältinnen und Anwälte aus denneuen und 12 % der Kolleginnen und Kollegen aus denälteren Kanzleien an, dass ihre Werbemaßnahmen we-gen rechtlicher Einschränkungen, Intransparenz etc.behindert werden. Ein weiterer Grund, keine Werbungzu betreiben, ist eine ausreichend gute Auslastung derKanzlei, sodass Werbemaßnahmen als nicht nötig be-trachtet werden. Zudem lehnen einige Kolleginnen undKollegen Werbung prinzipiell ab. Bei den neu gegrün-deten Kanzleien spielen diese beiden Motive nur eineuntergeordnete Rolle: lediglich 6 % der Befragten ausdieser Gruppe nennen diese als Hindernisse, aber 13 %der Kolleginnen und Kollegen aus den älteren Kanz-leien.

Die Anwältinnen und Anwälte wurden zudem nachdem Erfolg der gesamten Werbe- und PR-Maßnahmenin ihrer Kanzlei gefragt; dabei sollten sie den Erfolg aufeiner Skala von 1 = „großer Erfolg/Umsatzsteigerung“bis 5 = „hat überhaupt nichts gebracht“ einordnen. Ins-gesamt fällt das Urteil der befragten RAinnen und RAenicht besonders gut aus, dennoch bewerten die Be-fragten aus den jungen Kanzleien mit durchschnittlich3,3 den Werbeerfolg besser als die Kolleginnen undKollegen aus den bereits länger bestehenden Kanz-leien (3,7).

Große Kanzleien im Vergleich zu den restlichenKanzleien

Die zweite „auffällige“ Gruppe bilden die Kanzleienmit über 10 RAinnen und RAen (siehe Tab. 2a und 2b).Sie unternehmen bedeutend mehr im Bereich Marke-ting als die kleineren Kanzleien. So haben sie im Schnitt2,9 der 7 abgefragten Marketing-Instrumente im Ein-satz, alle anderen Kanzleien kommen im Mittel nur auf1,8. Dennoch haben selbst über die Hälfte der großenSozietäten bisher noch kein Marketing-Konzept, in derVergleichsgruppe sind es sogar 93 %. Die Bedeutungeines Marketing-Konzepts wird von den Befragten ausden großen Kanzleien wesentlich höher eingeschätztals von allen anderen Anwältinnen und Anwälten. Sogeben 64 % der Anwältinnen und Anwälte aus diesenKanzleien an, dass sie ein Marketing-Konzept für (eher)unentbehrlich halten, in den kleineren Kanzleien liegtder entsprechende Anteil bei 24 %.

Zwar beurteilen nur etwas mehr Befragte aus dengroßen Kanzleien (77 %) das Mandanten-Feedback als(sehr) wichtig als Befragte aus den kleineren Kanzleien(67 %), aber mit der Umsetzung dieser Bestrebungen indie Praxis ist man in den großen Sozietäten schon wei-ter: 20 % führen bereits eine schriftliche Mandantenbe-fragung durch (zum Vergleich: kleinere Kanzleien 5 %).D.h. aber auch, dass selbst bei diesen Vorreitern immernoch 80 % ihre Mandanten nicht schriftlich befragen.

BRAK-Mitt. 1/2003 Aufsätze 5

Schmucker, Anwaltsmarketing im Kanzleivergleich

Auch auf dem Gebiet der Werbung und Öffentlichkeitsarbeit lie-gen die großen Kanzleien vorne: Sie setzten im Schnitt wesent-lich mehr Instrumente für Werbung und PR ein als die anderenKanzleien. Für sie spielen praktische Hindernisse beim Werbenauch eine geringere Rolle als für die kleineren Kanzleien: So ge-ben 58 % der Befragten aus den Kanzleien mit bis zu 10 RAin-nen und RAen an, dass praktische Hindernisse ihnen beim Ein-satz von Werbemaßnahmen entgegenstehen. Bei den Kollegin-nen und Kollegen aus den großen Kanzleien liegt derentsprechende Anteil nur bei 41 %.

Für die Entwicklung und Umsetzung der Maßnahmen konsul-tieren die großen Kanzleien auch vermehrt Experten. Während77 % der kleineren Kanzleien die Gestaltung ihrer Außenkom-munikation alleine übernehmen, gehen lediglich 28 % dergroßen Kanzleien entsprechend vor.

Die Beurteilung des Erfolgs der gesamten Werbemaßnahmenund Öffentlichkeitsarbeit fallen bei den Befragten aus den klei-

neren Kanzleien mit 3,6 eher negativ aus. Die Anwältinnen undAnwälte aus den großen Sozietäten sehen die Wirkung ihrerMaßnahmen zwar deutlich besser (2,9), dennoch zeigt auchdieser Wert, dass sich der Erfolg auch in dieser Gruppe in Gren-zen hält.

Insgesamt zeigt die vorliegende Studie, dass selbst die großenKanzleien, die den anderen in den meisten Marketing-Angele-genheiten weit voraus sind, noch deutliche Nutzungsdefiziteaufweisen. Auch die Bewertungen der Effektivität und Effizienzder Maßnahmen lassen erkennen, dass die Befragten den Akti-vitäten weitgehend keinen allzu großen Erfolg bescheinigen.Dennoch machen die Ergebnisse für die jungen Kanzleien eineneue Entwicklung deutlich: Die Existenzgründer setzen sichwesentlich intensiver mit der Thematik auseinander und somitwird Marketing wohl in Zukunft auch in der Praxis an Relevanzgewinnen.

6 Aufsätze BRAK-Mitt. 1/2003

Schirp, Sammeltermine und „neue“ ZPO – Ende einer Unsitte?

1. Sammeltermine

Unter dem Begriff „Sammeltermine“ werden im folgenden Ter-mine zur mündlichen Verhandlung verstanden, bei denen dasGericht auf die gleiche Terminsstunde mehrere Verfahren lädt1.In der Praxis sind dies oft nicht nur zwei oder drei, sondern weitmehr Verfahren; das BVerfG hatte sich im Jahre 1985 mit Sam-melterminen zu befassen, in denen 50 bzw. 68 Sachen gleich-zeitig geladen worden waren2. Die regionale Verbreitung vonSammelterminen ist unterschiedlich. In Bayern und Baden-Württemberg finden Sammeltermine, soweit ersichtlich, garnicht statt; in Berlin gibt es sie bei einigen AG; im Rheinland da-gegen erfreuen sich Sammeltermine auch bei LG nach wie vorgroßer Beliebtheit.

Der Unterhaltungswert von Sammelterminen ist groß. Der Sit-zungssaal ist gut gefüllt; zahlreiche Anwälte verfolgen gut ge-launt die Anstrengungen der Kollegen, die sich bereits gefundenhaben und „dran sind“; es wird um die Reihenfolge gedrängelt;das Gericht ersetzt die oft nicht hinreichende Vorbereitung dereinzelnen Sachen durch apodiktische Schärfe und Zynismus.Was dabei produziert wird, ist allzu oft ein Zerrbild von Justiz.Die vorliegende Untersuchung geht der Frage nach, ob Sam-meltermine rechtlich zulässig sind und ob sich ggf. hieran etwasdurch die ZPO-Reform geändert hat. Dabei wird die ZPO in derbis 31.12.2001 geltenden Fassung als „alte“, in der seit 1.1.2002geltenden Fassung als „neue“ ZPO bezeichnet.

2. Sammeltermine nach „alter“ und „neuer“ ZPO

Eine ausdrückliche Regelung zur Zulässigkeit von Sammelter-minen ist weder in der „alten“ noch in der „neuen“ ZPO ent-halten. Nach dem unverändert gebliebenen § 216 Abs. 1 ZPOwerden Termine von Amts wegen bestimmt; die Wahl von Ter-minstag und -stunde liegt in dem durch § 216 Abs. 3, § 272Abs. 3 gebundenen Ermessen des Vorsitzenden3. Fragt man nach

der Zulässigkeit von Sammelterminen, so lässt sich die Antwortnur durch Rückgriff auf die allgemeinen Vorschriften der ZPOgewinnen. Prüfmaßstab sind insbesondere die §§ 139 und 278ZPO, die im Zuge der ZPO-Novelle erhebliche Änderungen er-fahren haben.

2.1 Sammeltermine nach „alter“ ZPO

Nach § 139 Abs. 1 ZPO a.F. hatte das Gericht auf rechtzeitigeund vollständige Erklärungen zur tatsächlichen und rechtlichenSeite nebst sachdienlichen Anträgen und Beweismitteln hinzu-wirken. Nach § 139 Abs. 2 ZPO a.F. hatte der Vorsitzende aufdie Bedenken aufmerksam zu machen, die in Ansehung der vonAmts wegen zu beachtenden Umstände obwalten. Das Gerichttrug in diesem Sinne die Verantwortung für ein faires Verfahren4.Die Erörterung des Sach- und Streitverhältnisses (§§ 139 Abs. 1,Satz 2, 278 Abs. 3) diente der Offenlegung der vom Richter fürmaßgebend erachteten Gesichtspunkte. Gemäß § 278 Abs. 1,Satz 2 ZPO a.F. sollten die erschienenen Parteien persönlichwährend des Haupttermins gehört werden. Zudem hatte dasGericht gem. § 278 Abs. 3 ZPO auf rechtliche Gesichtspunktehinzuweisen, die die Parteien erkennbar übersehen oder fürunerheblich gehalten hatten.

Diese rechtlichen Vorgaben ließen bereits unter Geltung der „al-ten“ ZPO Sammeltermine zumindest als „oft nicht empfehlens-wert“ oder als „im Regelfall wenig ratsam“ erscheinen5. Eineordnungsgemäße Anwendung der §§ 139, 278 ZPO a.F. war je-denfalls dann nicht mehr möglich, wenn es sich um komplexeund streitige Verfahren handelte.

Dies betrifft zum einen die gebotene Erörterung des Sach- undStreitstoffs. Unter Erörterung des Sach- und Streitverhältnissesist eine umfassende Erörterung zu verstehen, in der der Streit-stoff begrenzt und konkretisiert wird, z.B. indem bestimmtePunkte unstreitig gestellt werden, Anträge präziser gefasst wer-den oder die rechtlichen Aspekte und Konsequenzen erörtert

Sammeltermine und „neue“ ZPO – Ende einer Unsitte?

Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Schirp, Berlin

1 Stöber in: Zöller, ZPO, 23. Aufl., 2002, § 216 Rdnr. 19.2 BVerfG NJW 1985, 1149 = MDR 1985, 551.3 Stöber in: Zöller, ZPO, 23. Aufl., 2002, § 216 Rdnr. 18.

4 Thomas-Putzo, ZPO, 18. Aufl., 1993, § 139 Rdnr. 1. 5 Thomas-Putzo, ZPO, 18. Aufl., 1993, § 216 Rdnr. 9.

werden6. Kein Richter ist in der Lage, diesen Anforderungen in45 oder 60 Minuten für sechs, acht, zehn oder mehr Verfahrengerecht zu werden. Zum anderen ergab sich schon aus § 278ZPO a.F. eine Verpflichtung des Gerichts, erschienene Parteienpersönlich zu hören. Auch dieser Verpflichtung konnte das Ge-richt unter den Bedingungen eines Sammeltermins nicht nach-kommen.

Wir können als Zwischenergebnis demnach festhalten, dass inSammelterminen eine ordnungsgemäße Anwendung der§§ 139, 278 ZPO a.F. an der verfügbaren Zeit zwingend schei-tern musste. Jeder RA, der unter derartigen Bedingungen pro-zessieren musste, wird dies aus seiner Erfahrung bestätigen. Istdies aber so, so wird man konsequenterweise zu dem Ergebniskommen, dass bereits unter der Herrschaft der alten ZPO Sam-meltermine nicht nur „wenig ratsam“ waren, sondern jedenfallsbei komplexeren Verfahren schlicht unzulässig.

2.2 Sammeltermine nach „neuer“ ZPO

Die neue ZPO hat die Verpflichtungen des Gerichts erster In-stanz verschärft. Wesentliches Ziel der Reform ist, die erste In-stanz zu stärken und die Rechtsmittelinstanzen zu entlasten.Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn die erstinstanzli-chen Entscheidungen einem hohen Qualitätsniveau genügen.„Fixigkeit hat keinen Vorrang vor Gerechtigkeit“7. Ein Eckpfeilerdieser Bemühungen sind die Veränderungen, die die ZPO-No-velle bezüglich der §§ 139, 278 ZPO gebracht hat.

In § 139 ZPO n.F. wird dem Gericht eine sehr weitgehende undverschärfte Aufklärungs- und Hinweispflicht auferlegt. Der Rich-ter soll seine Hinweise frühestmöglich geben. Dies soll eineneventuellen Zusatzaufwand an Zeit und Kosten und eine nach-teilige Beeinflussung des weiteren Rechtsstreits vermeiden, derdurch verspätete Aufklärung entstehen könnte8. § 139 Abs. 2Satz 2 ZPO erweitert die Pflicht zum Rechtsgespräch. Nicht le-diglich die Erörterung eines von der Partei erkennbar übersehe-nen oder für unerheblich gehaltenen Punktes (§ 278 Abs. 3 ZPOa.F.) ist damit gemeint, sondern auch ein Gesichtspunkt, dernicht von der Partei übersehen worden ist, aber der vom Gerichtanders beurteilt wird als von beiden Parteien. Hiermit verbun-den ist die Notwendigkeit des direkten Gesprächs über eine ju-ristische Streitfrage9. Dabei bezieht sich die Hinweispflicht neu-erdings auch auf übersehene tatsächliche Gesichtspunkte, wasdurch die Streichung des Wortes „rechtlich“ in § 278 Abs. 3 ZPOdeutlich wird. Allgemeine und pauschale Hinweise des Gerichtssind ungenügend. Sie bedürfen der Präzisierung, da die Parteinicht erst aus dem Urteil erfahren soll, dass die Rechtslage vomGericht anders beurteilt wird10. Für die zu führenden Gütever-handlungen soll das Gericht gem. § 278 Abs. 3 Satz 1 ZPO n.F.das persönliche Erscheinen der Parteien anordnen. Damit ver-bunden ist die Verpflichtung des Gerichts, die erschienenen Par-teien anzuhören. Gemäß § 279 Abs. 3 ZPO n.F. hat das Gerichtim Anschluss an eine Beweisaufnahme erneut den Sach- undStreitstand sowie, soweit bereits möglich, das Ergebnis der Be-weisaufnahme zu erörtern.

Diese Verschärfung der aus § 139 ZPO folgenden richterlichenPflichten führt dazu, dass die oben unter Ziffer 2.1 entwickeltenÜberlegungen „erst recht“ Anwendung finden müssen. Das Ge-richt muss unter der Geltung der „neuen“ ZPO ein qualifiziertesGespräch über die tatsächlichen und rechtlichen Aspekte desRechtsstreits führen. Gerade auch juristische Streitfragen sind imunmittelbaren Gespräch mit den Parteivertretern zu erörtern.

Mag dies auch in der gebotenen Kürze und unter Beibehaltungeiner straffen Verhandlungsleitung geschehen, so ist es dennochausgeschlossen, derartige qualifizierte Rechtsgespräche in zehnoder mehr Sachen binnen 60 Minuten zu führen und abzu-schließen. Auch Güteverhandlungen unter Einbeziehung der– im Regelfall – erschienenen Parteien sowie eine ggf. an die Be-weisaufnahme anschließende neuerliche Erörterung sind inSammelterminen nicht darstellbar11. Als Ergebnis sei festgehalten: Schon unter Geltung der „alten“ZPO waren Sammeltermine in der Regel unzulässig. Unter Gel-tung der „neuen“ ZPO gilt dies erst recht.

3. Rechtsfolgen von Verstößen

Folgt man den vorstehend niedergelegten Überlegungen, sostellt sich die Folgefrage, welche Rechtsfolgen sich aus Ver-stößen ergeben. Denn Sammeltermine sind, insbesondere imRheinland, eine jahrzehntealte Verfahrensweise. Es ist nicht da-mit zu rechnen, dass diese Verfahrensweise freiwillig eingestelltwird, zumal sie immer noch unter Hinweis auf angebliche Effi-zienzgewinne ihre Fürsprecher findet. Was also gilt, wenn einGericht erster Instanz einen Sammeltermin durchführt und bei-spielsweise sieben Sachen auf 9.00 Uhr lädt, die nächste Ter-minstunde aber bereits auf 9.45 Uhr anberaumt hat?Erfolgversprechende Rechtsbehelfe vor Erlass der Entscheidungder ersten Instanz sind nicht ersichtlich. Zwar unterfällt die Ter-minsbestimmung nicht der richterlichen Unabhängigkeit; dierichterliche Unabhängigkeit i.S.d. § 26 DRiG bezieht sich nur aufdie Sachbehandlung des Einzelfalls, nicht aber auf die organisa-torische Erledigung des allgemeinen Geschäftsanfalls12. Auchkann gegen unrechtmäßige Nichtterminierung oder zu späte Ter-minierung durch sofortige Beschwerde vorgegangen werden13.Vorliegend geht es jedoch nicht um das Unterlassen oder die Ver-zögerung der Terminierung, sondern um deren äußere Um-stände. Hier dürfte es bei dem Grundsatz bleiben, dass gegen dieTerminsbestimmung keine Rechtsbehelfe gegeben sind. Allen-falls eine Gegenvorstellung wäre statthaft14, dürfte aber erfah-rungsgemäß die Mühe und die Portokosten kaum lohnen.Zu denken ist an die Berufung oder, ersatzweise, an die neu ein-geführte Gehörsrüge nach § 321a ZPO n.F. Nach § 513 ZPO n.F.kann die Berufung darauf gestützt werden, dass die erstinstanz-liche Entscheidung auf einer Verletzung des Gesetzes beruhe.Eine Verletzung des Gesetzes liegt gem. § 546 ZPO n.F. vor,wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendetworden ist. Der Berufungskläger muss darlegen, welche Rechts-vorschrift das erstinstanzliche Gericht gar nicht oder falsch an-gewendet habe15. Er muss weiter vortragen, aufgrund welcherUmstände die behauptete Rechtsverletzung zur Unrichtigkeitdes angefochtenen Urteils geführt habe16. Wenn – wie hier – dieVerletzung von Verfahrensrecht gerügt wird, muss der Beru-fungskläger darlegen, wie er sich bei prozessordnungsgemäßemVerlauf verhalten und inwieweit dies das Urteil beeinflussthätte. Ein solcher Vortrag erscheint in den hier gegebenen Fall-konstellationen durchaus als möglich. Zu rügen ist die nichtordnungsgemäße Anwendung der §§ 139, 278, 279 ZPO n.F. In-soweit werden nach dem oben Gesagten Rechtsverletzungennachweisbar sein. Der Berufungskläger hat darzulegen, was erbei ordnungsgemäßer Durchführung eines Gespräches über dierechtlichen und tatsächlichen Umstände des Falles oder bei ord-nungsgemäßer Anhörung der Parteien getan und inwieweit sich

BRAK-Mitt. 1/2003 Aufsätze 7

Schirp, Sammeltermine und „neue“ ZPO – Ende einer Unsitte?

6 Greger in: Zöller, ZPO, 23. Aufl., 2002, § 278 Rdnr. 9.7 Hartmann, NJW 2001, 2577, 2583.8 Hartmann, NJW 2001, 2577, 2582.9 Hartmann, NJW 2001, 2577, 2582.

10 Hartmann, NJW 2001, 2577, 2582.

11 Schneider, ZPO-Reform, 2001, Rdnr. 192.12 BGH, MDR 91, 150 = NJW 91, 421.13 Stöber in: Zöller, ZPO, 23. Aufl., 2002, § 216 Rdnr. 21 mit Nach-

weisen aus der oberlandesgerichtlichen Rspr.14 BAG 72, 320 = MDR 93, 547.15 Schellhammer, MDR 2001, 1141, 1143.16 Schellhammer, MDR 2001, 1141, 1143.

dies auf das Urteil ausgewirkt hätte. Auch ein solcher Vortragwird möglich sein. Denn eine Prozessführung unter Verletzungdes Verfahrensrechts und der Äußerungsrechte der Parteien führtin der Mehrzahl der Fälle auch zur Verletzung materiellenRechts oder zumindest zum voreiligen Ausschluss von Ent-scheidungsalternativen, denen das Gericht hätte nachgehenmüssen. Eine Berufung in den hier beschriebenen Fallkonstella-tionen dürfte daher aussichtsreich sein. Das Gleiche gilt, unterden in § 321a Abs. 1 n.F. näher geregelten Voraussetzungen, fürdie Gehörsrüge bei nicht berufungsfähigen Entscheidungen. Ins-besondere die in § 321a Abs. 1 Nr. 2 ZPO n.F. geforderte ent-scheidungserhebliche Gehörsverletzung wird unter den hier be-schriebenen Voraussetzungen nachweisbar sein.

4. Ergebnis

Sammeltermine sind unzulässig. Ausnahmen sind allenfalls beiäußerst einfach gelagerten Fallkonstellationen vorstellbar.

Werden Sammeltermine durchgeführt, so ist dies eine Verfah-rensverletzung, die in vielen Fällen auch entscheidungserheb-lich sein wird. Ist dies der Fall, so wird die Berufung bzw. dieGehörsrüge erfolgreich sein.

Die Verfahrenspraxis derjenigen Gerichte, die noch von Sam-melterminen Gebrauch machen – zu denken ist insbesonderean verschiedene rheinische LG – wird sich unter Geltung der„neuen“ ZPO umzustellen haben.

8 Aufsätze BRAK-Mitt. 1/2003

Grigolli, Die übermäßige Dauer der Zivilprozesse in Italien und entsprechende Gegenmaßnahmen

Seit vielen Jahren schon steht die italienische Justiz unter inten-siver und aufmerksamer europäischer Beobachtung, insbeson-dere unter jener des Europäischen Gerichtshofs für Menschen-rechte in Straßburg; dort fällt der italienische Staat nämlich„nicht selten“ wegen der überlangen Dauer seiner Zivilverfah-ren auf, die – wie in einem 2001 entschiedenen Fall – sogar 26Jahre und 2 Monate betragen kann. Dies führt dazu, dass Italienzurzeit der am häufigsten verurteilte Staat in Straßburg ist.

Im Mittelpunkt der Verurteilungen steht fast immer die Vorschriftdes Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention.Hiernach hat jedermann den „Anspruch darauf, dass seine Sa-che in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemesse-nen Frist gehört wird, und zwar von einem unabhängigen undunparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht, das über zivil-rechtliche Ansprüche und Verpflichtungen [. . .] zu entscheidenhat.“ Gerade die gerne auch als „Schneckenprozesse“ (processilumaca) bezeichneten Verfahren führen dazu, dass gegen Italiennicht selten über 10 Verurteilungen an einem einzelnen Tag aus-gesprochen werden (am 26.4.2001 19 mit der Verurteilung zurZahlung einer Gesamtsumme von ca. Euro 250 000,00 wegenEntschädigung, Schmerzensgeld und Ersatz der Prozesskosten,am 16.1.2001 waren es sogar 25).

Und die Situation hat sich in den letzten Jahren leider nicht ge-bessert, im Gegenteil. Dies geht insbesondere aus einer neuenVeröffentlichung des italienischen Justizministeriums hervor, diealle bis zum 15.10.2002 eingegangenen Daten für die Jahre2000 und 2001 enthält und statistisch aufarbeitet. Auf das Prob-lem ist am 13.1.2003 in einer sehr kritischen und in der Öffent-lichkeit stark debattierten Rede zur Eröffnung des Gerichtsjah-res 2003 auch der Generalstaatsanwalt an der Corte di Cassa-zione (vergleichbar mit dem BGH) eingegangen. Seiner Aussagezufolge funktioniere das System nicht, es führe nicht zu den er-hofften Resultaten, es lasse die Bürger allzu oft im Unklaren. Ca.3,5 Millionen Zivil- und über 5,7 Millionen Strafverfahren wa-ren Mitte des Jahres 2002 anhängig. Diese seien das Ergebnis ei-ner Justiz, die nach Prozeduren und technischen Regeln ab-laufe, die von den meisten Bürgern nicht nachvollzogen werdenkönnten.

In beiden ersten zivilgerichtlichen Instanzen hat die Verfahrens-dauer in den untersuchten Jahren zugenommen. Ein erstin-

stanzliches Verfahren am Tribunale, dem LG (die AG sind mit ei-ner Gerichtsorganisationsreform 1999 abgeschafft worden undfungieren nunmehr als sezioni), dauert im Durchschnitt nunnicht mehr 597, sondern 623 Tage, ein zweitinstanzliches Ver-fahren an der Corte d’Appello, dem OLG, nicht mehr 578, son-dern 645 Tage.

Besonders auffallend ist in diesem Zusammenhang das krasseNord-Süd-Gefälle: während ein erstinstanzliches Verfahren inPalmi (einer Stadt in Kalabrien) durchschnittlich 1932 Tage dau-ert, schließen die Richter am LG Rovereto (in Trentino-Südtirol)ihre Verfahren in durchschnittlich 204 Tagen ab. Es folgen aufden nächsten Plätzen Cuneo (206), Trient (213), Alba (233) undCrema (234). Mailand rangiert bei 354, Florenz bei 519, Rombei 631, Neapel bei 767 und Messina auf dem vorletzten Platzbei 1307 Tagen. In der zweiten Instanz schwächt sich das geradeerläuterte Nord-Süd-Bild ein wenig ab: am zweitlängsten (anerster Stelle steht mit einer Durchschnittsdauer von 1156 Tagendas OLG von Reggio Calabria) dauern die Verfahren am OLG inVenedig (919 Tage). Den (positiven) Rekord hält dagegen dieAußenabteilung des OLG Trient in Bozen mit 257 Tagen, gefolgtvon Trient selbst (340), Turin (377) und süditalienischen Städtenwie Lecce, Bari, Campobasso und Potenza.

Ganz untätig bleiben will der italienische Gesetzgeber ange-sichts der erläuterten Missstände allerdings nicht. VerschiedeneMaßnahmen sind geplant, um diese Notstände zu beseitigen. Essollen Vorschriften in die Zivilprozessordung eingefügt werden,die etwa eine Anhebung der Streitwertgrenzen für die Friedens-richter vorsehen (giudici di pace, die für Streitigkeiten mit einemallgemeinen Streitwert bis 1032,91 Euro, für Streitigkeiten überbewegliche Sachen, deren Streitwert nicht über 2582,28 Euroliegt, sowie für Straßenverkehrssachen, deren Streitwert15 493,70 Euro nicht übersteigt, die erstinstanzliche Zuständig-keit besitzen) ebenso wie die Einführung gewissermaßen einerStrafe im Falle der Erhebung einer „sinnlosen“ Klage (liti te-merarie). Die Autonomie der Parteien soll gestärkt und die Ein-flussnahme der Richter vermindert werden. Eine aus Vertreterndes Justizministeriums und des Obersten Richterrates (CSM,Consiglio Superiore della Magistratura) zusammengesetzteKommission überprüft derzeit die Produktivität nicht der einzel-nen Richter, sondern der Gerichtsbehörden als solche.

Die übermäßige Dauer der Zivilprozesse in Italien und entsprechendeGegenmaßnahmen

Rechtsanwalt Dr. Stephan Grigolli, Mailand/München

Die bisher i.V.m. dem Prozessdauerproblem wohl einschnei-densten Maßnahmen wurden mit dem Gesetz Nr. 89 v.24.3.2001 („Pinto-Gesetz“) verabschiedet. Das Gesetz sieht inArt. 2 ein Recht auf „billige Entschädigung“ (seitens des Staates)für den vor, der aufgrund einer Verletzung der EuropäischenMenschenrechtskonvention (beschränkt auf die Frage der Ver-fahrensdauer) einen Vermögens- oder Nichtvermögensschadenerlitten hat. Aufgrund dieses Gesetzes braucht der Geschädigtenicht mehr eine lange und üblicherweise beschwerliche Zivil-klage gegen den jeweiligen Richter zu führen und kann unmit-telbar gegen den Staat selbst vorgehen: gegen das Justizministe-rium (wenn es sich um Verfahren vor dem ordentlichen Richtergehandelt hat), gegen das Verteidigungsministerium (wenn einmilitärgerichtliches Verfahren Ausgangspunkt ist), gegen das Fi-nanzministerium (bei steuergerichtlichen Verfahren) und in an-deren Fällen gegen den Ministerpräsidenten. Der Staat hält sichdann an den „Schädiger“, d.h. denjenigen, auf dessen Verant-wortung die Länge der Verfahrensdauer zurückzuführen ist(bspw. durch Einleitung eines Disziplinarverfahrens). Zuständi-ges Gericht ist in den Verfahren nach diesem Gesetz das OLG,die Entschädigungen erfolgen im Rahmen der hierfür zur Verfü-gung gestellten Summen (für das Jahr 2002 ca. 6 Millionen Euro).

Ob dieses Gesetz die gewünschte Wirkung zeigt, mag zumindestzum jetzigen Zeitpunkt bezweifelt werden. In der Tat hat näm-lich die Arbeitsbelastung der Gerichte noch zugenommen, dazusätzlich nun eine große Anzahl von Rekursen – ausgerichtetauf die oben erwähnte „billige Entschädigung“ – anhängig ge-macht worden ist, die die ohnehin schon überlasteten Gerichtemit zusätzlicher Arbeit versorgen. Ende Oktober 2002 ließ dieRegierung darüber hinaus auch noch die Möglichkeit verstrei-chen, die aus dieser Sicht (kontraproduktiven) Auswirkungen desPinto-Gesetzes durch neue gesetzliche Vorschriften abzumil-dern, denen zufolge die avvocatura dello stato (eine staatlicheBehörde, die so genannte „staatliche Anwaltschaft“) vor Eröff-nung eines Verfahrens zunächst eine Schlichtung bzw. einen Ver-gleich hätte anstreben müssen. Aufgrund von unterschiedlichenAuffassungen zwischen der zweiten italienischen Parlaments-kammer, dem Senat, und der Regierung ist dieses Gesetzesvor-haben allerdings endgültig im Oktober 2002 gescheitert.

Auch weiterhin wird sich der italienische Staat daher in einerbesonderen Beobachtungssituation befinden und erheblicheAnstrengungen unternehmen müssen, um nicht mehr mit demoben erwähnten, im Übrigen auch noch unrühmlichen Primatdes am meisten Verurteilten in Verbindung gebracht zu werden.

BRAK-Mitt. 1/2003 Pflichten und Haftung des Anwalts 9

Überblick

Überblick

Mandatsbearbeitung bei RechtsschutzversicherungBesteht eine Rechtsschutzversicherung, ist das in der Regel nichtallein für den Mandanten, sondern auch für dessen Anwalt einerfreulicher Umstand. Der Anwalt kann direkt mit der Versiche-rung abrechnen und bekommt gewöhnlich schnell und zuver-lässig sein Honorar. Der Mandant muss bei Vergleichen mit ent-sprechender Kostenquotelung die wirtschaftlichen Nachteileteilweiser Kostentragung nicht mit abwägen und braucht beihöherem Prozessrisiko teure Gutachten o.Ä. nicht zu fürchten.Nicht immer ist aber die Tatsache, dass der Mandant dem An-walt seine Rechtsschutzversicherung angibt, für diesen Grundzu ungetrübter Freude. Wer nicht zumindest die Grundzüge derARB kennt und einige Besonderheiten berücksichtigt, die sichfür rechtsschutzversicherte Mandanten ergeben, kann Überra-schungen erleben.

Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob denn der Anwalt stets ver-pflichtet ist, von sich aus nachzufragen, ob eine Rechtsschutz-versicherung besteht. Das OLG Nürnberg hat bereits in dieseRichtung entschieden (NJW-RR 1989,1370). Dem kann aber indieser Allgemeinheit nicht gefolgt werden. Vielmehr hat der Auf-traggeber die Obliegenheit, auf evtl. Deckung über einenRechtsschutzversicherer hinzuweisen (so auch Zugehör-Sieg,Handbuch der Anwaltshaftung, Rdnr. 689). Eine Rechtsschutz-versicherung ist schließlich nicht selbstverständlich und manwird vom Mandanten erwarten dürfen, dass er seine eigenen In-teressen insoweit auch wahrt.

Vorsicht ist geboten, wenn der Rechtsschutzversicherer – sei eszu Recht oder zu Unrecht – die Deckung auf Nachfrage des An-walts versagt, dieser den Mandanten hiervon „schlicht“ inKenntnis setzt und den Auftrag dennoch ausführt. Nicht seltenbehauptet der Mandant nach Erhalt der Honorarrechnung, erhabe den Auftrag nur unter der Bedingung erteilt, dass derRechtsschutzversicherer die Deckung auch übernimmt. Die Be-weislast dafür, dass das Mandat ohne aufschiebende Bedingungerteilt wurde, liegt im Honorarprozess beim Anwalt (OLGNaumburg v. 30.9.2002 – 1 U 28/02 mit Verweis auf BGH, NJW1985, 497 f.). Diese Beweislastverteilung wird man nicht unbe-dingt vermuten. Auch beim zitierten Urteil des OLG Naumburgwar unstreitig, dass der Mandant telefonisch über die Deckungs-ablehnung informiert worden war. Dass die Mandatserteilungnicht unter der aufschiebenden Bedingung der Deckungszusagedurch den Rechtsschutzversicherer vorgenommen worden war,konnten die klagenden Anwälte nicht beweisen. Jedoch half derSenat den Anwälten im Ergebnis dann doch noch. Der Bekl.könne sich nämlich nicht auf das „non liquet“ berufen, weil er– ebenfalls unstreitig – nach der Mitteilung über den fehlendenRechtsschutz noch Leistungen in Anspruch genommen habe,die die streitgegenständlichen Gebührentatbestände ausgelösthaben oder zumindest hätten, wären sie nicht bereits vorher ent-standen. In diesem Verhalten sieht das OLG Naumburg einekonkludente nachträgliche Änderung dahin gehend, dass dasMandat nunmehr unbedingt erteilt sei. Hiergegen konnte sichder Bekl. auch nicht erfolgreich verteidigen, indem er vortrug,er habe damit gerechnet, dass die Kl. notfalls ihr Honorar ge-genüber dem Rechtsschutzversicherer einklagen würden. Dazuhätte es dann schon konkrete Anhaltspunkte geben müssen, die

Pflichten und Haftung des Anwalts

Rechtsanwälte Bertin Chab und Holger GramsRechtsanwältin Antje Jungk

Allianz Versicherungs-AG, München

aber nicht ersichtlich waren. Es komme auch nicht darauf an,dass der Bekl. möglicherweise kein Erklärungsbewusstsein hatteim Hinblick auf die Verpflichtung, das Honorar selbst zu zahlen,als er weiterhin Leistungen in Anspruch nahm. Insoweit sei demErklärenden das Verhalten auch dann als konkludente Willens-erklärung zuzurechnen, wenn er kein Erklärungsbewusstsein imHinblick auf einen bestimmten Rechtsfolgenwillen gehabt habe.

Es ist also sinnvoll, dem Mandanten nach Deckungsablehnungdurch den Rechtsschutzversicherer Hinweise in zwei Richtun-gen hin zu erteilen: Zum einen sollte er ausdrücklich darüberbelehrt werden, dass er bei weiterer Inanspruchnahme anwalt-licher Leistungen das Honorar selbst zahlen muss. Das giltnatürlich ggf. auch für bereits entstandene Gebühren. Zumzweiten wird man bei optimaler Betreuung aber auch einigeHinweise zur Deckungsablehnung selbst geben. Auch wenn dasMandat, sich ggf. mit gerichtlicher Hilfe um Deckungsschutz zubemühen, noch nicht besteht, dürften solche Hinweise im Rah-men der allgemeinen mandatsbegleitenden Hinweispflichtengeschuldet sein. Im Rahmen kostspieliger Prozesse tut der An-walt im Übrigen gut daran, auch an die begrenzten Versiche-rungssummen bei Rechtsschutzversicherungen zu denken(siehe OLG Hamm, NJW-RR 2001, 1073).

Anlass zu Streit gibt häufig auch § 5 (3) b ARB 2001. Das Ver-hältnis der Kostenverteilung bei Vergleichen muss dem Verhält-nis der Verteilung in der Hauptsache entsprechen. Daran sollteman stets denken, wenn man Vergleichsverhandlungen führt,und sich die Kostendeckung im Zweifel auch vom Versicherervorab oder innerhalb offener Widerrufsfrist bestätigen lassen.Wenn der Versicherer dann zu Recht nur teilweise Deckung fürden Vergleich verspricht, könnte das für den Mandanten den-noch wirtschaftlich sinnvoll sein. Das ist also wieder mit demMandanten abzustimmen. Auch hier steckt also möglicherweiseMehrarbeit, die sich aber im Ergebnis häufig lohnen wird, im In-teresse des Mandanten wie auch im eigenen Honorar- oder garHaftungsinteresse.

Rechtsanwalt Bertin Chab

Das aktuelle Urteil

Zustellung „demnächst“Bei der Berechnung der Zeitdauer einer Verzögerung im Rah-men der Beurteilung einer Zustellung als „demnächst“ i. S. d.§ 270 Abs. 3 ZPO a. F. ist auf die Zeitspanne abzustellen, umdie sich die ohnehin erforderliche Zustellung der Klage alsFolge der Nachlässigkeit des Kl. verzögert.

OLG München, Urt. v. 7.3.2002 – 1 U 4978/01

Besprechung:

Die gerichtliche Geltendmachung eines Anspruchs unterbleibtoft längere Zeit, weil der Gläubiger hofft, noch außergerichtlichzu seinem Recht zu kommen. So wird die Klage häufig erst kurzvor Verjährungseintritt eingereicht. Eine Hemmung der Ver-jährung tritt aber nicht bereits mit Klageeinreichung ein: § 204Abs. 1 Nr. 1 BGB spricht von Erhebung der Klage. Diese erfolgtnach § 253 ZPO durch Zustellung der Klageschrift. Auch einMahnbescheidsantrag hemmt die Verjährung erst ab Zustellung(§ 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB). Nun hängt der Zeitraum bis zur Zu-stellung bekanntlich auch von der Bearbeitungszeit bei Gerichtund anderen Faktoren ab, die der Kl. nicht oder schwer beein-flussen kann. Die ZPO sieht daher eine Rückwirkung der Zu-stellung auf den Zeitpunkt des Eingangs des Antrags bei Gerichtvor, wenn die Zustellung „demnächst“ erfolgt. Bis zum30.6.2002 war dies in § 270 Abs. 3 ZPO für die Klageschriftbzw. in § 693 Abs. 2 ZPO für den Mahnbescheid geregelt. Nun-mehr gilt für beide der gleich lautende § 167 ZPO. Im Einzelfall

kann es fraglich sein, unter welchen Voraussetzungen die Zu-stellung i. S. d. ZPO als „demnächst erfolgt“ anzusehen ist.

In dem vom OLG München zu beurteilenden Fall hatte es diverseGründe für Verzögerungen bei der Zustellung der Klageschrift ge-geben. Es ging um eine Enteignungsentschädigung nach Art. 20DSchG, 19 ff. BayEG. Einen entsprechenden Antrag hatte die zu-ständige Entschädigungsbehörde abgelehnt, der Beschlusswurde der Kl. am 15.11.2000 zugestellt. Sie reichte daraufhin am13.12.2000, und damit innerhalb der einzuhaltenden Monats-frist, die Klage beim zuständigen LG ein. Die Zustellung an diezuständige Vertretungsbehörde des beklagten Freistaats Bayernerfolgte erst am 16.2.2001, also gut 2 Monate später. Das LGhielt die Klage für unzulässig, da die Rückwirkung nach § 270Abs. 3 ZPO (a. F.) wegen von der Kl. zu vertretender Verzöge-rungen nicht mehr greife. Im Berufungsverfahren hatte das OLGMünchen Gelegenheit, zu den Voraussetzungen einer Zustellung„demnächst“ ausführlich Stellung zu nehmen.

Die Klage richtete sich zunächst gegen den „Freistaat Bayern, v.d. d. Bay. Staatsministerium für Wissenschaft, Forschung undKunst“. Dieses war in dem angefochtenen Beschluss als Agin.angegeben. Zutreffende Vertretungsbehörde für das Klagever-fahren war allerdings gem. den entsprechenden landesrecht-lichen Vorschriften die Bezirksfinanzdirektion München. Es kamaus diesem Grunde zu einer Rückfrage des Gerichts, die am15.12.2000 verfügt, am 27.12.2000 zugestellt und am10.1.2001 beantwortet wurde. Der Zeitraum für eine solcheRückfrage und deren zeitnahe Beantwortung ist nach Ansichtdes OLG bei der Berechnung des Verzögerungszeitraums nichtzu berücksichtigen, weil der Kl. ansonsten schlechter gestelltwäre, als wenn die Klage sofort an den – falschen – Bekl. zuge-stellt worden wäre. Es kam damit nur der Zeitraum zwischendem Zustellungsversuch beim – unzuständigen – Ministeriumund der Zustellungsverfügung zur zuständigen Bezirksfinanz-direktion als schuldhafte Verzögerung in Betracht.

Nicht zuzurechnen sind dem Kl. nach Ansicht des OLG solcheVerzögerungen, die sich aus einem zögerlichen Verhalten derjeweiligen Zustellungsadressaten ergeben. „Denn dabei handeltes sich um Behörden des Bekl., deren Verhalten sich dieser zu-rechnen lassen muss (anderenfalls wäre es Beschäftigten desBekl. möglich, durch bewusst langsame Bearbeitung eine recht-zeitige Zustellung der Klage gegen ihren Dienstherren zu ver-hindern). Dazu gehört, dass auch bei sorgfältiger Bearbeitungfehladressierte Klageunterlagen bereits am Tag nach dem Zu-stellungsversuch zurückzusenden sind.“ Auch vermeidbare Ver-zögerungen im Geschäftsablauf des Gerichts bleiben außer Be-tracht. Die Verzögerung der Zustellung wegen einer von Seitendes Gerichts nicht gebotenen Rückfrage (hier neben der Frageder Vertretungsbefugnis auch noch zum Streitwert) kann dem Kl.nicht zugerechnet werden.

Das OLG hat damit in erfreulich deutlicher Weise genau unter-schieden, wem welche Verzögerungen zuzurechnen sind. Nurdie wirklich sich aus der Nachlässigkeit der Klägerseite ergeben-den Verzögerungen sind relevant, nicht hingegen die der ande-ren Beteiligten. Dies entspricht auch dem Verständnis des BGH.Dieser hat dann auch die Nichtzulassungsbeschwerde des Bekl.mit Beschl. v. 28.11.2002 (III ZR 100/02) zurückgewiesen, weilweder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe noch dieFortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichenRspr. eine Entscheidung des Revisionsgerichts erforderten.

Offen geblieben ist, ob die Maßgabe der bisherigen Rspr. beste-hen bleibt, dass nur ca. 14tägige Verzögerungen unschädlichsind. Im BGH-Urt. v. 20.4.2000 (NJW 2000, 2282) wird nochhierauf Bezug genommen. Gleichzeitig wird aber auch die Rspr.zu § 693 Abs. 2 ZPO (a. F.) herangezogen. Hierzu hat der BGHmit Urt. v. 21.3.2002 (NJW 2002, 2794) nunmehr ausdrücklichentschieden, dass aufgrund des mit Wirkung vom 1.1.1992 neugefassten § 691 Abs. 2 ZPO auch bei der Beurteilung der Zu-

10 Pflichten und Haftung des Anwalts BRAK-Mitt. 1/2003

Das aktuelle Urteil

stellung des Mahnbescheids als „demnächst“ von einer Mo-natsfrist auszugehen ist. Nachdem nun mit § 167 ZPO auchnoch eine gemeinsame Vorschrift für beide Verfahrensarten ge-schaffen wurde, spricht einiges dafür, dass sich die Monatsfristdurchsetzen wird. Gleichwohl sollte man es hierauf nicht an-kommen lassen. Der „sicherste Weg“ ist immer noch derjenige,bereits bei Klageeinreichung alle Formalien zu beachten.

Rechtsanwältin Antje Jungk

Rechtsprechungsleitsätze

Haftung

Kosten des KorrespondenzanwaltsEine Belehrungspflicht des RA über entstehende Mehrkostenkann sich ergeben, wenn der Prozessbevollmächtigte nach Ab-schluss einer Instanz weiter als Verkehrsanwalt tätig sein will,obwohl dies nicht zwingend notwendig wäre.

Schleswig-Holsteinisches OLG, Urt. v. 22.8.2002 – 11 U 30/01

Anmerkung: Eine Aufklärungspflicht des RA bezüglich der ent-stehenden Prozesskosten besteht nur in Ausnahmefällen, so z.B.bei fehlender Deckung durch einen vorhandenen Rechtsschutz-versicherer (OLG Düsseldorf, NJW 2000, 1650 mit Anm. inBRAK-Mitt. 2000, 178; NJW-RR 2002, 64) oder bei exorbitan-ten Streitwerten (BGH, BRAK-Mitt. 2001, 118 mit Anm.). Dassbei Tätigwerden von zwei Anwälten zusätzliche Kosten entste-hen können, ist für den Mandanten i. d. R. nicht zweifelhaft. Nurdann, wenn ein Missverständnis bzgl. der Vergütung entstehenkann, kommt eine Hinweispflicht nach Treu und Glauben in Be-tracht. Im konkreten Fall fehlte dem Korrespondenzanwalt imScheidungsverfahren die Postulationsfähigkeit. Hier war dieNotwendigkeit der Beauftragung eines Prozessbevollmächtigtenfür den Mandanten erkennbar. Im Trennungsunterhaltsverfahrenhätte der Korrespondenzanwalt hingegen auch als Prozessbe-vollmächtigter auftreten können. Nach Ansicht des OLG hättehier der Hinweis auf die Mehrkosten erfolgen müssen, weil nurdann dem Mandanten eine Abwägung möglich gewesen wäre,ob er dennoch die – sachlich vertretbare – Korres-pondenztätigkeit wollte. Im Ergebnis kam es hier aber zur Kla-geabweisung, weil der Mandant die fehlende Aufklärung durchden Anwalt nicht beweisen konnte.

Rechtsanwältin Antje Jungk

Fehlende Postulationsfähigkeit und UntervollmachtErteilt ein nicht postulationsfähiger RA einem postulationsfähi-gen RA Untervollmacht zur mündlichen Verhandlung, so han-delt der Unterbevollmächtigte als Vertreter der Partei und nichtdes Hauptbevollmächtigten.

BGH, Urt. v. 9.7.2002 – X ZR 70/00

Anmerkung: Der prozessbevollmächtigte Anwalt war beim Be-rufungsgericht nicht zugelassen. Somit war die von ihm einge-legte Berufung unzulässig. Da aber auch die Gegenseite Beru-fung eingelegt hatte und der Prozessbevollmächtigte in dermündlichen Verhandlung einem beim Berufungsgericht zuge-lassenen Anwalt Untervollmacht erteilt hatte, war die Berufungzwar verfristet, aber als unselbstständige Anschlussberufung zubehandeln, weil das Auftreten des Unterbevollmächtigten in derVerhandlung dahin gehend auszulegen war, dass er unmittelbarals Vertreter der Partei handelte und nicht bloß als Vertreter desProzessbevollmächtigten.

Was im vorliegenden Fall zur Rettung führte, bedeutet für denFall, dass dem Unterbevollmächtigten im Rahmen seiner Tätig-keit ein Fehler unterlaufen sollte, dass er gegenüber dem Man-danten aufgrund eines selbstständigen Mandats in der Haftungsteht und nicht bloßer Erfüllungsgehilfe des Hauptbevollmäch-tigten ist.

Anders ist die Rechtslage beim allgemeinen Vertreter eines An-walts nach § 53 BRAO. Selbst wenn dieser für sich selbst eineweiter gehende Postulationsfähigkeit als der von ihm vertreteneAnwalt besitzt, entfaltet diese bei einem Auftreten als Vertreterkeine Wirkung. Der Vertreter verfügt in dieser Eigenschaft nurüber die Befugnisse, die der vertretene Anwalt auf ihn übertra-gen kann. Hier kommt auch kein selbstständiges Mandat zwi-schen dem Mandanten und dem Vertreter zustande (vgl. Zu-gehör-Sieg, Handbuch der Anwaltshaftung, Rdnr. 270).

Rechtsanwalt Holger Grams

Fristen

Keine Anfechtung der WiedereinsetzungDie Wiedereinsetzung bleibt trotz Zulassung der Rechtsbe-schwerde durch das Ausgangsgericht unanfechtbar. DieRechtsbeschwerde ist nicht statthaft.BGH, Beschl. v. 8.10.2002 – VI ZB 27/02, MDR 2003, 41

Anmerkung: Der Leitsatz spricht für sich. Hier hatte die Kl. dieVersagung der Wiedereinsetzung für den Bekl. gefordert. DasBeschwerdegericht hatte die Wiedereinsetzung gewährt und –rechtsirrig – die Rechtsbeschwerde zugelassen. Der BGH machtdeutlich, dass die Wiedereinsetzung gem. § 238 Abs. 3 ZPO un-anfechtbar bleibt. An die Zulassung der Rechtsbeschwerde istder BGH nicht gebunden, wenn das Rechtsmittel gesetzlich aus-geschlossen ist.

Rechtsanwältin Antje Jungk

Missachtung einer EinzelweisungEin RA darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass eine Büroan-gestellte, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine kon-krete Einzelweisung befolgt. Ihn trifft unter solchen Umstän-den nicht die Verpflichtung, sich anschließend über die Aus-führung seiner Anweisung zu vergewissern. (eigener Leitsatz)

BGH, Beschl. v. 31.10.2002 – III ZB 23/02

Anmerkung: Das Nichtbefolgen einer Einzelweisung ist dem RAgrds. nicht als Verschulden zuzurechnen. Eine etwas andereFrage ist es, wie er reagieren muss, wenn die Nichtbefolgung derWeisung offenbar wird. Das OLG Frankfurt/M. hatte in derVorinstanz gemeint, wenn der Anwalt ein Abweichen von derWeisung, die Berufung erst am letzten Fristtag einzulegen, er-kenne, müsse er nun selbst für die Sicherung der Notfrist zur Be-rufungsbegründung sorgen. Die erneute Weisung zum Umno-tieren der Frist hätte hier nicht genügt. Das OLG beruft sich in-des zu Unrecht auf den BGH-Beschluss, NJW 1998, 460. Dortging es um die Frage, ob der Anwalt auch bei fehlender Kenn-zeichnung der Akte als „fristgebunden“ innerhalb angemessenerFrist die ihm vorgelegte Akte auf Fristen überprüfen muss. Hierhatte die Anwältin hingegen eigens die – anhand der neuen Ge-gebenheiten (frühere Berufungseinlegung) – kürzere Berufungs-begründungsfrist errechnet und eine erneute Einzelweisungzum Umnotieren der Frist erteilt. Der BGH stellt zu Recht fest,dass die Anwältin nicht damit zu rechnen brauchte, dass eineweitere Einzelweisung ebenfalls missachtet würde.

Rechtsanwältin Antje Jungk

BRAK-Mitt. 1/2003 Pflichten und Haftung des Anwalts 11

Rechtsprechungsleitsätze

Häufung von Fehlern bei der FristwahrungEine auffällige Häufung von Versäumnissen im Zusammenhangmit der Wahrung einer Rechtsmittelfrist rechtfertigt Bedenkengegen die ordnungsgemäße Ausbildung, Zuverlässigkeit undÜberwachung des Kanzleipersonals oder Rückschlüsse auf dieUnvollständigkeit der organisatorischen Anweisungen des An-walts. In beiden Fällen ist dies dem Prozessbevollmächtigtenals Verschulden anzulasten.

OLG Frankfurt, Beschl. v. 17.7.2002 – 1 U 70/02

Anmerkung: In der Tat ergibt sich aus dem Beschluss eine unge-wöhnliche Häufung von Fehlern (fehlerhafte Notierung sowohlder Berufungsbegründungsfrist als auch der Vorfrist, keine Über-prüfung der Eintragungen nach Mitteilung des OLG über denEingang der Berufung, Streichung der Vorfrist ohne Vorlage derAkte an den Anwalt, Übersehen der irrtümlich auf einen Feier-tag notierten Endfrist), die zu der Versäumung der Berufungsbe-gründungsfrist führten. Problematisch erscheint jedoch, dass dasOLG (wie zuvor schon der III. und XII. ZS des BGH in VersR1985, 270; BGHR ZPO § 233, Büropersonal 9 und 11) aus derHäufung von Fehlern im konkreten Fall Rückschlüsse auf dieAusbildung, Zuverlässigkeit und Überwachung des Kanzleiper-sonals bzw. die Tauglichkeit der organisatorischen Anweisungenzieht und hierauf gestützt die Wiedereinsetzung versagt.

Die Frage der hinreichenden Ausbildung ist anhand objektiverKriterien zu klären. Wenn das Gericht den diesbezüglich im Wie-dereinsetzungsantrag gehaltenen Vortrag als unklar oder ergän-zungsbedürftig erachtet hätte (aus den Beschlüssen ergibt sichdies nicht), wäre eine Aufklärung gem. § 139 ZPO geboten ge-wesen (st. Rspr., z. B. BGH, NJW 1998, 1870; 1999, 2284; NJW-RR 1999, 428). Gleiches gilt für die Überwachung des Personalsdurch den Anwalt. In der Rspr. ist außerdem anerkannt, dass dieKontrolldichte bei erprobten Mitarbeitern reduziert werden darf(z. B. BGH, VersR 1967, 1204; 1981, 857; 1988, 1141).

Für die Frage der Zuverlässigkeit des Personals sind die aktuellunterlaufenen Fehler überhaupt nicht zu berücksichtigen. DieZuverlässigkeit ist nur für die Frage relevant, ob der Anwalt ausEx-ante-Sicht bestimmte Aufgaben (noch) an seine Mitarbeiterdelegieren durfte (vgl. z. B. BGH, NJW 1995, 263). Deswegendarf nur der vor den hier gegenständlichen Fehlern liegendeZeitraum berücksichtigt werden. Eine Ex-post-Betrachtung isthier nicht zulässig.

Auch bezüglich der vom Anwalt getroffenen organisatorischenVorkehrungen geht es nicht an, aus dem Auftreten von Fehlernauf die Unzulänglichkeit der Maßnahmen zu schließen, ohnekonkret zu benennen, welche der vorgetragenen Anweisungenunzureichend gewesen sein sollen.

Die genannten Entscheidungen übersehen die Möglichkeit, dassauch bei gut ausgebildetem und hinreichend überwachtem Per-sonal sowie bei ausreichenden organisatorischen Maßnahmenzur Fristenkontrolle in Einzelfällen Fehler auch einmal gehäuftauftreten können, ohne dass ein anwaltliches Verschulden vor-liegt, weil der Anwalt aufgrund der bisherigen Arbeitsleistungseines Personals von dessen Zuverlässigkeit ausgehen durfte.Nachdem solche Fehler aufgetreten sind, wird der Anwalt aller-dings gehalten sein, Nachschulungen durchzuführen und seinPersonal sehr viel enger zu überwachen, bis das Vertrauen in dieZuverlässigkeit wiederhergestellt ist.

Rechtsanwalt Holger Grams

Empfangsbekenntnis und EingangsstempelDas Empfangsbekenntnis darf durch den Anwalt erst dann un-terschrieben werden, wenn die Frist im Kalender notiert unddies in der Akte vermerkt ist. (eigener Leitsatz)

BGH, Beschl. v. 5.11.2002 – VI ZR 399/01

Anmerkung: Der zweitinstanzlich tätige Anwalt hatte dem Re-visionsanwalt das falsche Zustelldatum des Berufungsurteilsmitgeteilt, so dass es zur verspäteten Einlegung der Revisionkam. Dies ließ sich darauf zurückführen, dass das Urteil nebstEmpfangsbekenntnis zwar zusammen am Tag des Eingangs demBerufungsanwalt vorgelegt wurde und dieser nach Unterzeich-nung des EB’s nochmals ausdrücklich darauf hingewiesen hatte,die Fristen entsprechend zu notieren, dass aber versehentlichdie Urteilsausfertigung zunächst keinen Eingangsstempel erhal-ten hatte und dies erst zwei Tage später zusammen mit der dannfalschen Fristnotierung geschah. Der BGH macht wie schonrecht oft zuvor darauf aufmerksam, dass das EB eben erst unter-zeichnet werden darf, wenn aus der (dann mit vorzulegenden)Handakte ersichtlich ist, dass die Frist im Fristenkalender notiertworden ist. Dies ist konkret nicht beachtet worden und führtezur Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrages, weil derOrganisationsfehler des Anwalts dem Mandanten zugerechnetwerden kann. Der Senat prüfte auch noch, ob hier vielleicht aus-nahmsweise wegen der ausdrücklichen mündlichen Einzelan-weisung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand möglich war,meint aber dazu, dass bei einem so wichtigen Vorgang wie derNotierung einer Rechtsmittelfrist ausreichende organisatorischeVorkehrungen dazu getroffen werden müssten, dass die Anwei-sung keinesfalls in Vergessenheit gerät. Das konnten die An-wälte nicht vortragen.

Es ist zwar auch vom BGH nicht gefordert, angesichts dieses Fal-les aber durchaus überlegenswert, ob man nicht vom unter-zeichneten EB vor Rücklauf ans Gericht eine Kopie für die eige-ne Akte fertigt. So lässt sich das Zustellungsdatum auch dann zu-verlässig kontrollieren, wenn einmal der Eingangsstempel aufdem Urteil nicht oder nicht richtig angebracht ist und entspre-chend Zweifel aufkommen können.

Rechtsanwalt Bertin Chab

Zusammenschluss von Anwälten

Freier MitarbeiterFür die Frage der Haftung eines Anwalts, der in einer Kanzlei alsfreier Mitarbeiter tätig ist, ist entscheidend danach zu differen-zieren, ob der freie Mitarbeiter auf dem Briefkopf und/oderKanzleischild mit anderen Anwälten nach außen in Erscheinungtritt oder nicht.

Scheinsozietät bei gemeinsamem Briefkopf

Ist dies der Fall, gelten nach std. Rspr. die Haftungsgrundsätzeder Scheinsozietät (BGH, NJW 1978, 996; 1991, 1225; 1999,3040). Wer also auf dem Briefkopf und/oder Kanzleischild einerKanzlei mit anderen Anwälten nach außen in Erscheinung tritt,haftet im Außenverhältnis wie ein echter Sozius nach Rechts-scheingrundsätzen gesamtschuldnerisch mit den anderenScheinsozien und unbeschränkt mit seinem Privatvermögen,unabhängig davon, ob er in Wirklichkeit nur freier Mitarbeiterist (zu Einzelheiten s. Grams, BRAK-Mitt. 2002, 119).

Jedem Scheinsozius kann daher nur empfohlen werden, im In-nenverhältnis mit seinem Dienstherrn eine Haftungsfreistel-lungsvereinbarung für sich auszuhandeln. Diese sollte sich zu-mindest auf sämtliche Schadensersatzansprüche wegen solcherPflichtverletzungen beziehen, die der freie Mitarbeiter nichtselbst begangen hat; am besten aber auch auf eigene Pflichtver-letzungen, zumindest solche infolge einfacher Fahrlässigkeit.Wenn jedoch ein Schaden den Versicherungsschutz übersteigtoder wenn ein Schaden vom Versicherungsschutz überhauptnicht umfasst ist (weil z. B. keine typische anwaltliche Tätigkeitoder eine wissentliche Pflichtverletzung vorliegt), kann eine sol-

12 Pflichten und Haftung des Anwalts BRAK-Mitt. 1/2003

Zusammenschluss von Anwälten

che Freistellungsvereinbarung gleichwohl ins Leere gehen,wenn der Schuldner des Freistellungsanspruchs zahlungsun-fähig oder nicht mehr greifbar ist (vgl. BGH, NJW 1999, 3040 =BRAK-Mitt. 1999, 257 m. Anm. Borgmann = EWiR 1999, 1165m. Anm. Jungk).

Im Außenverhältnis gegenüber dem Mandanten ist an die Mög-lichkeit einer personellen Haftungsbeschränkung auf das Privat-vermögen einzelner Sozien gem. § 51a Abs. 2 S. 2 und 3 BRAOzu denken (die Zulässigkeit solcher Vereinbarungen bei Schein-sozietäten ist allerdings umstritten; vgl. Grams, AnwBl. 2001,233 und 292, 294). In der Praxis wird der freie Mitarbeiter je-doch ohnehin keinen Einfluss darauf haben, ob der Dienstherrmit den Mandanten eine solche Vereinbarung trifft.

Will man als freier Mitarbeiter das Risiko der gesamtschuldneri-schen Scheinsozienhaftung sicher vermeiden, muss man auf dieAufnahme auf den Briefkopf völlig verzichten. Möglicherweiseist es ausreichend, die Stellung als freier Mitarbeiter durch eineeindeutige und nicht im Kleingedruckten versteckte Kennzeich-nung auf dem Kanzleibriefbogen klarzustellen. Nach Ansichtdes Verfassers müsste ein Hinweis gem. § 8 BORA (z. B. „RA XY, freier Mitarbeiter“) ausreichen, um den haftungsbegründen-den Rechtsschein einer Sozietät nicht entstehen zu lassen. Zuempfehlen ist außerdem eine räumliche Absetzung auf demBriefkopf von den haftenden Sozien. Auch für einen juristischenLaien ist dann erkennbar, dass ein ausdrücklich als freier Mitar-beiter bezeichneter Anwalt in der Kanzlei nicht den Status einesSozius hat und somit nicht wie ein Sozius haftet. Rspr. zu dieserFrage gibt es bislang, soweit ersichtlich, jedoch nicht. Eine zu-verlässige Prognose, wie Gerichte eine solche Briefkopfgestal-tung bewerten, ist naturgemäß nicht möglich.

Für die Berufshaftpflichtversicherung gelten alle Berufsan-gehörigen, die ihren Beruf nach außen hin gemeinschaftlichausüben, als Sozien (§ 12 Abs. 1 Nr. 1 AVB-A bzw. § 1 Abs. 3AVB-RSW). Dies gilt also auch für eine Scheinsozietät. Alle aufdem Briefbogen genannten Berufsträger benötigen jeweils eineihre berufliche Tätigkeit vollumfänglich abdeckende Versiche-rung. Im Regulierungsfall tritt der Versicherer gem. § 12 AVB miteiner sog. Durchschnittsleistung ein. Sind (Schein-)Sozien beiverschiedenen Versicherern versichert, wird eine Versicherungs-leistung unter den Versicherern im Verhältnis der versichertenAnwälte aufgeteilt. Unterschiedlich hohe Versicherungssum-men führen bei Schäden, die die Versicherungssumme einesoder mehrerer (Schein-)Sozien übersteigen, zu Deckungslücken(zu Einzelheiten s. Grams, BRAK-Mitt. 2002, 67).

Freier Mitarbeiter – nicht auf dem Briefkopf

Tritt der freie Mitarbeiter nicht nach außen wie ein Sozius in Er-scheinung, wird er auch nicht Vertragspartner des Mandanten,so dass eine vertragliche Haftung gegenüber dem Mandanten imRegelfall ausscheidet. Ausnahmsweise kommt eine persönlichec.i.c.-Haftung (§ 311 Abs. 2 und 3 BGB n. F.) des nicht alsScheinsozius auf dem Briefkopf/Kanzleischild genannten An-walts nach den Grundsätzen der Sachwalterhaftung in Betracht,wenn der Anwalt aus der Rolle des reinen anwaltlichen Vertre-ters heraustritt und in besonderem Maße persönliches Vertrauenin Anspruch nimmt oder wenn er an dem angestrebten Geschäftein unmittelbares eigenes wirtschaftliches Interesse hat und da-bei schuldhaft Pflichten verletzt (BGH, NJW 1979, 1449; 1989,293; 1990, 1907; 1991, 21; NJW-RR 1990, 459; Zugehör, NJW2000, 1601, 1606). Denkbar ist weiter eine persönliche delikti-sche Haftung des freien Mitarbeiters gegenüber Mandantenoder Dritten, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen hierfür inseiner Person vorliegen. Der Dienstherr haftet gegenüber demMandanten im Außenverhältnis für Fehler des freien Mitarbei-ters nach § 278 BGB.

Die Tätigkeit des freien Mitarbeiters ist von der Berufshaftpflicht-versicherung des Dienstherrn abgedeckt, wenn das Dienstver-hältnis dem Versicherer gem. § 13 AVB ordnungsgemäß ange-zeigt wurde. Für die Beschäftigung eines zugelassenen Anwaltsals freier Mitarbeiter wird auf die Police des Dienstherrn ein Prä-mienzuschlag von 80 % erhoben. Unterbleibt die Anzeige, wirddie Versicherungsleistung nach § 12 AVB anteilig gekürzt. Dermitversicherte freie Mitarbeiter kann gem. § 7 Abs. 1 Nr. 2 AVBden Anspruch auf Deckungsschutz bei der Berufshaftpflichtver-sicherung selbständig geltend machen.

Unabhängig von seiner Mitversicherung unter der Police desDienstherrn benötigt der freie Mitarbeiter – allein schon für seineAnwaltszulassung – gem. § 51 BRAO eine eigene Berufshaft-pflichtversicherung (vgl. Braun, BRAK-Mitt. 1997, 5, 7,m. w. N.). Da er jedoch neben seiner Tätigkeit als freier Mitar-beiter für eigene Mandanten unter eigenem Namen und Brief-kopf allenfalls in eingeschränktem Umfang tätig sein wird, erhälter auf seine eigene Police einen Nebentätigkeitsrabatt von 80 %.

Rückgriffsansprüche gegen den freien Mitarbeiter

Die Berufshaftpflichtversicherung des Dienstherrn nimmt beifahrlässigen Pflichtverletzungen des mitversicherten freien Mit-arbeiters bei diesem keinen Rückgriff, nur bei wissentlichenPflichtverletzungen (§ 7 Abs. 4 Nr. 2 AVB). Rückgriffsansprüchedes Dienstherrn gegen den freien Mitarbeiter kommen nach§§ 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB (nach altem Recht aus pVV desDienstverhältnisses) insoweit in Betracht, als die Berufshaft-pflichtversicherung des Dienstherrn nicht eintrittspflichtig ist(z. B. Selbstbehalt, Gebühreneinwurf, an den Mandantenzurückzuzahlendes Honorar, anwaltsfremde Tätigkeit, wissent-liche Pflichtverletzung oder Veruntreuung durch den Mitarbei-ter, vgl. Brieske, AnwBl. 1992, 519).

Die Grundsätze der Arbeitnehmerhaftung finden auf echte freieMitarbeiter keine Anwendung. Es gelten die allgemeinen Regelnder Haftung wegen Verletzung dienstvertraglicher Pflichten(§§ 280, 241 BGB n. F.). Häufig wird das Dienstverhältnis je-doch unabhängig von seiner Bezeichnung dennoch als Arbeits-verhältnis zu bewerten sein (vgl. Palandt-Putzo, BGB, 62. Aufl.,Einf. vor § 611, Rdnr. 10; Staudinger-Richardi, BGB, 1999, Vor-bem. zu §§ 611 ff., Rdnr. 179 ff.). Dann gelten die Grundsätzeder Arbeitnehmerhaftung (mehr dazu in der nächsten Ausgabe).

Nicht unüblich und für den freien Mitarbeiter dringend zu emp-fehlen ist das Aushandeln einer vertraglichen Freistellungsver-einbarung mit dem Dienstherrn für eigene Pflichtverletzungen,zumindest für Fälle einfacher Fahrlässigkeit (vgl. Bohle/Eich, DieVerträge des RA mit seinen juristischen Mitarbeitern, Rdnr. 97;Wettlaufer, AnwBl. 1989, 208).

Rückgriffsansprüche des Dienstherrn gegen den freien Mitar-beiter sind nicht von der Berufshaftpflichtversicherung desDienstherrn gedeckt, selbst wenn der freie Mitarbeiter unter die-ser Police mitversichert ist (§ 7 Abs. 2 AVB). Auch die eigene(Nebentätigkeits-)Berufshaftpflichtversicherung des freien Mit-arbeiters bietet keine Deckung für Regressansprüche desDienstherrn, da sie nur Regressansprüche aus der ggü. eigenenMandanten erbrachten freiberuflich ausgeübten anwaltlichenTätigkeit abdeckt (vgl. Satz 1 der Risikobeschreibung zu denAVB; a. A. Brieske, DAV-Ratgeber, 9. Aufl., 103). Der Mitarbei-ter übt gegenüber seinem Auftraggeber (dem Dienstherrn) keineTätigkeit als dessen RA aus. Durch die Aufteilung in eine Mit-versicherung unter der Police des Dienstherrn und eine eigeneNebentätigkeitsversicherung des freien Mitarbeiters kann z. B.nicht der Selbstbehalt quasi „abbedungen“ werden. Mangelseines zwischen Dienstherrn und freiem Mitarbeiter bestehen-den Anwaltsmandats findet auch die spezialgesetzliche Ver-jährungsvorschrift des § 51b BRAO keine Anwendung.

Rechtsanwalt Holger Grams

BRAK-Mitt. 1/2003 Pflichten und Haftung des Anwalts 13

Zusammenschluss von Anwälten

Bericht über die 3. Konferenz derBerufsrechtsreferenten

Auf Einladung der RAK Hamburg fand am 8.6.2002 die 3. Kon-ferenz der Berufsrechtsreferenten der deutschen RAKn statt. Mitdieser Konferenz sollte wieder ein Diskussionsforum ermöglichtwerden, in dem die mit Berufsrecht befassten Vorstandsmitglie-der die Erfahrungen aus der Anwendung des geltenden Berufs-rechts austauschen können. Dies ist gerade im Hinblick auf diewachsende Zahl überörtlicher Sozietäten, die Kanzleien in ver-schiedenen Kammerbezirken unterhalten, von besonderer Be-deutung.

Die Konferenz war mit Vertretern nahezu aller RAKn, zum Teilwieder mit Präsidenten und Präsidiumsmitgliedern, hochrangigbesetzt. Insgesamt nahmen 62 RAinnen und RAe an der Konfe-renz teil.

Die Tagesordnung orientierte sich im Wesentlichen an den Be-stimmungen der BORA. Dabei bildeten die Problemstellungender anwaltlichen Werbung (§§ 6 ff. BORA) einen großenSchwerpunkt. U. a. wurden folgende Themen diskutiert:

Verschwiegenheitsverpflichtung auch gegenüber dem Gegner?

Die Konferenzteilnehmer gehen mehrheitlich davon aus, dass§ 2 BORA in erster Linie das Mandatsverhältnis zum eigenenMandanten schütze. Allerdings könnte sich aus dem Aspekt derGewissenhaftigkeit im Einzelfall eine Verpflichtung auch ge-genüber dem Gegner ergeben.

Verschwiegenheitspflicht auch nach nachträglichem Bekannt-werden der inhaltlichen Unrichtigkeit von Angaben in einemAntrag auf Prozesskostenhilfe

Soweit einem RA, der für seinen Mandanten einen Prozess-kostenantrag gestellt hat, nachträglich bekannt wird, dass derMandant erhebliche Vermögenswerte verwiegen hat oder derMandant nach Antragstellung erhebliches Vermögen erzielt hat,konnten sich die Teilnehmer nicht auf eine mehrheitliche Auf-fassung einigen. Zum Teil wurde die Auffassung vertreten, dassder Anwalt auf seinen Mandanten einwirken müsse, ggf. mit derDrohung der Mandatsniederlegung. Andere Teilnehmer vertra-ten die Auffassung, dass der Anwalt nach vorheriger Informationdes Mandanten die volle Gebühr abrechnen bzw. einreichenkönne. Gegen letztere Auffassung bestehe jedoch der Einwand,dass lediglich die Möglichkeit bestehe, später einen Antrag aufErstattung der Differenzgebühr zu stellen. Wieder andere ver-traten die Meinung, dass sich u.a. aus der Hinweisverpflichtungauf Änderungen der Vermögensverhältnisse die Möglichkeit er-gebe, unter dem Gesichtspunkt der Störung der Geschäfts-grundlage das Mandat niederzulegen oder einen Entpflich-tungsantrag zu stellen. Eine strafrechtliche Garantenstellung desAnwalts mit Offenbarungspflichten gegenüber dem Gerichtlehnten die Teilnehmer ab. Abschließend appellierte der Vorsit-zende der Tagung, Herr Präsident Stahle, an die Teilnehmer, dieVerschwiegenheitspflicht höher als die Honorarinteressen imEinzelfall einzustufen.

Erfüllung der Kriterien der Kanzleipflicht mit Handy- oder 0190-Nr.?

Die Teilnehmer waren sich einig, dass aufgrund der technischenEntwicklung heute keine klare Abgrenzung mehr zwischen derErreichbarkeit über Festnetzgeräte oder Mobiltelefone möglichsei.

Angabe der Kanzleianschrift auf Briefbögen erforderlich?

Unter dem Gesichtspunkt des Mandantenschutzes werde –auch nach der Rspr. des BGH – die Einrichtung und Kenntlich-machung einer Kanzlei erfordert. Dies gelte auch im Falle desBedürfnisses, z.B. beim Betreiben eines Inkassobüros, zahlrei-che Rückfragen abzuwehren. Die Angabe der Kanzleianschriftmuss öffentlich sein, um der Stellung des Anwalts als Organ derRechtspflege, wie bei Zustellungen von Anwalt zu Anwalt (etwabei Beschlussverfügungen mit kurzen Fristen) gerecht zu wer-den.

Einrichtung der Kanzlei bei einem Domizilservice

Überwiegend waren die Teilnehmer der Auffassung, dass gegendie Einrichtung einer Kanzlei bei einem Domizilservice erheb-liche berufsrechtliche Bedenken bestehen. Aufgrund der Mit-wirkung des Personals des Domizilservices könne die Ver-schwiegenheitsverpflichtung nicht gewahrt werden. Der Tele-fonanschluss sei nur eine Unternummer des Domizilservices,der nicht den Kriterien des Abhörschutzes unterliegt. Schließlichsetze der Anwalt auch einen falschen Schein durch die Büro-räume und deren Ausstattung, die nur zeitweise vom Anwalt ge-mietet sind, nicht aber seine ständige Kanzlei darstellen.

Zulässigkeit von „Etablissementbezeichnungen“, wie „Kanzleiam Isartor“:

Angelehnt an die Rspr. des OLG Düsseldorf zur Bezeichnung„Zahnarztpraxis im Stadttor“ sahen die KonferenzteilnehmerEtablissementbezeichnungen unter den Gesichtspunkten der Al-leinstellungswerbung als unzulässig an. Zulässig könne jedochder Texthinweis, „Sie finden meine Kanzlei am Isartor“, sein.

Redaktionell gestaltete Werbung über eine Kanzlei:

Trotz grundsätzlicher Bedenken kamen die Konferenzteilneh-mer bei der Frage, wie weit eine Information über eine Kanzleiin Form einer redaktionellen Anzeige gehen darf, zu der Auffas-sung, dass eine behauptete Koinzidenz von redaktionellem Bei-trag und bezahlter Werbung nur schwer nachzuweisen sei. ImGroßen und Ganzen waren die Teilnehmer der Auffassung, dassder Bereich der redaktionellen Werbung heute weitgehend alszulässig angesehen werden kann.

Kanzleischilder mit Berufsbezeichnungen, die in der konkretenKanzlei nicht vertreten sind:

Eine im Handelsregister unter Bezeichnung „Wirtschaftsprüfer,Steuerberater, Rechtsanwälte“ eingetragene EWIV kann unterdiesen Berufsbezeichnungen auf dem Kanzleischild nicht nachaußen firmieren, wenn an dem betreffenden Kanzleisitz eineoder mehrere der angegebenen Berufsgruppen nicht vertreten

14 Aus der Arbeit der BRAK BRAK-Mitt. 1/2003

Aus der Arbeit der BRAK

ist. Dies stelle ansonsten Irreführung und damit unzulässigeWerbung dar.

Rechtsanwalts- und Kanzleidomains im Internet:

Es bestehen berufsrechtliche Bedenken gegen Domains mitmangelnder Unterscheidungsmöglichkeit und alleinstellendemCharakter, wie z.B. „rechtsanwalt.kempten.de“. Jedoch bestehtunter den Konferenzteilnehmern weitgehend die Auffassung,dass angesichts der unterschiedlichen Judikatur ein aufsichts-rechtliches Vorgehen der RAKn zum gegenwärtigen Zeitpunktnur eingeschränkt möglich sei.

Abgrenzung von Informationsrundschreiben und Werbung umdas Einzelmandat:

Es wird ein Fall erörtert, in dem ein RA einen Mandanten in ei-nem größeren Schadensfall vertritt und durch Zeugenaufrufe an-dere Geschädigte an sich zu binden versucht oder vorgibt, eineInteressengemeinschaft gründen zu wollen. Trotz bestehenderBedenken vertraten die Konferenzteilnehmer die mehrheitlicheAuffassung, dass derartige Maßnahmen unter den Gesichts-punkten des Berufsrechts und des Wettbewerbsrechts nicht alsunzulässig anzusehen seien.

Löschung einer Marke „Advokat.de“ gem. § 54 Markengesetz:

Die Mehrheit der Konferenzteilnehmer begrüßt den Vorschlagzur Durchführung eines Musterverfahrens mit dem Ziel der Lö-schung der Marke „Advokat.de“. Mit dieser Marke werden imbetroffenen Fall falsche Vorstellungen mit dem Verwender ver-bunden.

„Ungewollte“ Werbung durch Dritte:

Es stellt sich die Frage, inwieweit ein RA verhindern muss,dass ein Dritter in einem Kundenrundschreiben den RA aus-drücklich als kompetenten Ansprechpartner empfiehlt. UnterVerweis auf § 6 Abs. 4 BORA, der dem RA ein Mitwirkungs-verbot an unzulässiger Werbung auferlegt, ist eine „Mitwir-kung durch Unterlassen“ von der Norm nicht umfasst. Dem RAfehle die hierfür erforderliche Garantenstellung. Ein derartigesEmpfehlungsschreiben sei daher grundsätzlich als zulässig an-zusehen.

Überprüfung von Tätigkeits- und Interessenschwerpunkten inTelefonbüchern:

Die Konferenzteilnehmer erörtern die Möglichkeit, mit Adress-buchverlegern Vereinbarungen abzuschließen, wonach eine„Grobprüfung“ durch den Verlag auf die berufsrechtliche Zuläs-sigkeit von Eintragungen vorgesehen ist. Eine Rechtsberatung fürAdressbuchverlage durch die RAKn solle jedoch in jedem Fallvermieden werden. Unabhängig davon sollen allgemein gehal-tene Werbehinweise durch die RAKn an die Verleger möglichsein und den Verlagen regelmäßig aktuelle Fachanwaltslistenzur Verfügung gestellt werden.

Abkürzungen von Tätigkeitsschwerpunkten als „TSP“ und Inte-ressenschwerpunkten als „ISP“:

Ohne klarstellende Erläuterung sind entsprechende Abkürzun-gen nach wie vor als wettbewerbsrechtlich beanstandenswertanzusehen.

Kundgabe einer Kooperation mit Angehörigen nichtsozietäts-fähiger Berufe (§ 8 BORA):

Grundsätzlich sehen die Konferenzteilnehmer entsprechendeAngaben von Kooperationen auch mit Angehörigen nichtso-zietätsfähiger Berufe als zulässig an. Es bestand jedoch Einigkeit

darüber, dass der Hinweis auf die Kooperation der Wahrheit ent-sprechen müsse.

Sozietätsähnliche Firmierung von Bürogemeinschaften (§ 9BORA):

Eine sozietätsähnliche Firmierung einer Bürogemeinschaft, wiez.B. „Müller, Meier und Schulze – RAe in Bürogemeinschaft“,wird von den Konferenzteilnehmern als irreführend und damitals unzulässig angesehen. Dies gelte insbesondere auch, wennüber den angegebenen Personenkreis hinaus weitere RAe an derBürogemeinschaft beteiligt sind.

Fortführung der Sozietätsbezeichnung bei Verbleib von nureinem Anwalt:

Konkret stellt sich die Frage, ob eine Sozietätsbezeichnung mitden Namen zweier RAe, von denen einer ausscheidet, weiter-hin unverändert mit Nennung beider Namen und dem Zusatz„Rechtsanwälte“ geführt werden darf. Die konkrete Handha-bung dieser Frage ist unter den Konferenzteilnehmern umstrit-ten. Grundsätzlich besteht jedoch Einvernehmen, dass eine Ir-reführung des rechtsuchenden Publikums vermieden werdenmuss. Unter Beachtung von § 10 Abs. 1 Satz 3 BORA muss min-destens eine der Kurzbezeichnung entsprechende Zahl von Ge-sellschaftern, angestellten oder freien Mitarbeitern auf den Brief-bögen namentlich aufgeführt werden. Im Ergebnis konnte derVorsitzende der Konferenz, Herr Präsident Staehle, als Fazit fest-stellen, dass die Handhabung der erörterten Fälle in einer diffe-renzierten Weise erfolgen müsse. Maßgeblich seien die konkre-ten Umstände des Einzelfalles.

Umgehung des Gegenanwalts bei Anschlusssachen und Ne-benverfahren (§ 12 BORA):

Im konkreten Fall hatte ein Anwalt nach abgeschlossenemKündigungsrechtsstreit im Zusammenhang mit der Umsetzungeines Vergleichs unmittelbar Kontakt mit der – im Ausgangs-verfahren anwaltlich vertretenen – Gegenseite aufgenommen.Nach überwiegender Ansicht der Konferenzteilnehmer sei die-ses Verhalten berufsrechtlich nicht zu beanstanden. Jedenfallsmüsse dies im Einzelfall anders beurteilt werden, wenn ein un-mittelbarer Zusammenhang zum vorausgegangenen Mandatbesteht.

Hinweispflichten im Rahmen von § 16 BORA bei Prozess-kosten- und Beratungshilfe:

Es stellt sich die Frage, ob der RA auf die Kosten und insbeson-dere die unterschiedlichen Folgen der Bewilligung von Prozess-kostenhilfe mit und ohne Ratenzahlung hinweisen muss. DieKonferenzteilnehmer waren der Auffassung, dass diese Fragenicht das anwaltliche Berufsrecht, sondern das Vertragsrecht be-treffe. Im Einzelfall sei zu prüfen, ob dem Mandanten bei unter-lassenem Hinweis möglicherweise ein Schadenersatzanspruchzustehe. Berufsrechtlich bestehe eine entsprechende Hinweis-pflicht jedoch nicht.

Art und Weise der Beanstandung berufsrechtlichen Verstoßesgegenüber Kollegen (§ 25 BORA):

Unter den Konferenzteilnehmern besteht Einigkeit darüber, dass§ 25 BORA nicht auf ein Abmahnen unter Kollegen wegen be-rufs- oder wettbewerbswidriger Werbung anwendbar sei. § 25BORA solle lediglich vermeiden, dass im Rahmen einer Man-datsbearbeitung etwaige Vorwürfe von Berufsrechtsverstößen inder allgemeinen Korrespondenz mit Kenntnisnahmemöglichkeitdurch die Mandanten diskutiert werden. Allerdings solle die

BRAK-Mitt. 1/2003 Aus der Arbeit der BRAK 15

Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche nicht durch dieBORA erschwert werden.

Ordnungsgemäße Mandatsabrechnung durch den Anwalt:

Unter den Konferenzteilnehmern bestand Einigkeit darin, dassein Berufsrechtsverstoß nur bei vorsätzlich falscher Abrechnungangenommen werden könne. In einem solchen Fall sei aucheine mögliche Strafbarkeit wegen Gebührenüberhebung nach§ 320 StGB zu prüfen. Im Übrigen stelle die Frage der korrektenAbrechnung in erster Linie ein mandatsvertragliches Problemdar. Gegebenenfalls ergeben sich bei einer falschen Abrech-nung Schadenersatzansprüche des Mandanten.

Überprüfung von Anwaltsrechnungen durch die RAKn:

Mehrheitlich besteht unter den Konferenzteilnehmern die Auf-fassung, dass Anwaltsrechnungen nicht vorab im Aufsichtswegeüberprüft werden können. Gem. § 73 Abs. 2 Nr. 3 BRAO seiendie Kammern verpflichtet, bei gebührenrechtlichen Streitigkei-ten zwischen den Kammermitgliedern und Mandanten eine Ver-mittlung anzubieten. Eine solche Vermittlung dürften die Kam-mern nicht mit Hinweis auf § 12 Abs. 2 BRAGO verweigern.

Anwendung des anwaltlichen Berufsrechts bei der nichtanwalt-lichen Tätigkeit des RA (als Betreuer, Insolvenzverwalter odereiner anderen Tätigkeit nach § 1 Abs. 2 BRAGO):

Mehrheitlich wird aus § 1 Abs. 2 BRAGO geschlossen, dass diedort aufgeführten Tätigkeiten grundsätzlich auch anwaltlicheTätigkeiten darstellen, diese aber nicht nach der BRAGO abge-rechnet werden. Etwas anderes könne nur dann gelten, wennein Bezug zur Rechtsberatung nicht festgestellt werden könne.Soweit jedoch eine Tätigkeit ihren Schwerpunkt in der Rechts-beratung habe, sei auch das anwaltliche Berufsrecht zu beach-ten.

Hinweis auf Beendigung einer beruflichen Zusammenarbeit(§ 32 BORA):

Einhellig wird unter den Konferenzteilnehmern die Auffassungvertreten, dass § 32 Abs. 1 Satz 4 BORA keine bloße Ord-nungsvorschrift sei, sondern eine Berufspflicht enthalte, derenVerstoß sanktioniert werden könne. § 32 gehöre zu den „be-sonderen Berufspflichten“ der §§ 30–33 BORA.

Tätigkeitsverbot bei Vertretung der eigenen nichtanwaltlichenGesellschaft:

Soweit ein RA vor Gericht die GmbH, deren alleiniger Gesell-schafter und Geschäftsführer er ist, als RA vertritt, sehen dieKonferenzteilnehmer keine berufsrechtlichen Bedenken. EineVertretung sei grundsätzlich als zulässig anzusehen, wenn eineIdentität zwischen dem RA und den Vertretenen bestehe. In die-sem Fall könnten die Schutzbereiche des § 76 BRAO sowie des§ 45 BRAO nicht tangiert sein. Da wirtschaftlich nur von eineridentischen Person auszugehen sei, sei kein In-Sich-Konflikt ge-geben.

Neben diesen Schwerpunkt-Themen wurden in der ganztägigenVeranstaltung der Berufsrechtsreferenten noch eine Vielzahlweiterer berufsrechtlicher Fragen referiert und diskutiert. Einenähere Darstellung würde den beschränkten Rahmen dieses Ta-gungsberichts sprengen. Die überwiegende Mehrheit der Kon-ferenzteilnehmer war jedoch wieder der Auffassung, dass sichdie Berufsrechtsreferentenkonferenz erneut als Aussprachegre-mium sehr bewährt habe und in angemessenen Abständen er-neut stattfinden solle.

Rechtsanwalt Stephan Kopp, EbenhausenGeschäftsführer der RAK München

Bericht über die 182. Tagung desStrafrechtsausschusses der BRAK in Berlin

vom 25.–27. Oktober 2002

Unter dem bewährten Vorsitz von Prof. Dr. Widmaier fand die182. Tagung des Strafrechtsausschusses im Haus der BRAK v.25.–27.10.2002 statt.

1. Stand der Vorbereitungen zur Gründung einer Internationa-len Rechtsanwaltskammer (ICB) beim Internationalen Straf-gerichtshof (IntStGH)

Der Internationale Strafgerichtshof ist – nach den ad-hoc-UN-Strafgerichtshöfen für das frühere Jugoslawien, für Ruanda undBenin – ein Strafgerichtshof, an dem RAe aus allen Rechtstradi-tionen auftreten können und werden – aus dem Bereich desCommon Law, des Civil Law, aus dem arabischen Rechtsraumund aus gemischten Rechtsordnungen.

Nachdem in den verschiedenen Rechtssystemen das anwaltli-che Berufsrecht zum Teil völlig unterschiedlich geregelt ist, müs-sen die Rechte und Pflichten der RAe notwendigerweise mit ei-nem für alle gleichen Inhalt festgelegt werden.

Die bisherigen Entwürfe sind stark vom Common Law beein-flusst und es geht darum, die Dominanz dieser Common Law-Prinzipien zurückzuschrauben zugunsten der kontinentaleu-ropäischen Verfahrensgrundsätze. Die Diskussion entzündetesich insbesondere an folgenden Fragen:

– Haben bei einem Konflikt zwischen den Interessen des Ge-richts und denjenigen des Mandanten dessen Interessen denVorrang (kontinentaleuropäische Auffassung) oder diejenigendes Gerichts (Common Law-Verständnis)?

– Sind Kontakte des Verteidigers mit dem Gericht berufsrecht-lich unzulässig (Common Law-Tradition) oder nach konti-nentaleuropäischen Grundsätzen nicht zu beanstanden?

– Ist das Verhalten von Verteidigern gegenüber dem Gericht an§ 43a BRAO (Verbot der strafbaren Beleidigungen, der her-absetzenden Äußerungen ohne Anlass und der Lüge) zu ori-entieren ohne weitere Einschränkungen, wie sie im CommonLaw vorgesehen sind?

– Hat der RA für die Integrität der von ihm vorgelegten Be-weismittel einzustehen, was nach unserem Verständnis indis-kutabel ist?

Es wurde Einigkeit erzielt, dass die gemeinsame Stellungnahmeder Deutschen Anwaltsorganisationen zu dem bisher vorgeleg-ten Entwurf der Berufsordnung für die Tätigkeit von RAen vordem IntStGH gerade diesen Gesichtspunkten Rechnung tragenmuss.

Zwischenzeitlich hat am 11. und 12.11.2002 in London eineweitere Konferenz stattgefunden. Der Entwurf einer Berufsord-nung ist nach wie vor zu sehr an die richterliche Perspektive an-gelehnt und deshalb besteht weiter Diskussionsbedarf.

2. Ausweitung des Zeugnisverweigerungsrechts für Angehörigeauf Pflegeeltern und Pflegekinder

Bei allem Verständnis für die Situation von Pflegeeltern und Pfle-gekindern bestanden im Ausschuss überwiegend Bedenken ge-gen die Erweiterung des Zeugnisverweigerungsrechts. Jede Artvon Zeugnisverweigerung erfordert eine formale und strengeAbgrenzung und auch aus der Sicht der Opfer ist eine zu weiteAusdehnung des Zeugnisverweigerungsrechts abzulehnen. DerAusschuss sprach sich mit 8:2 Stimmen gegen eine entspre-chende Ausweitung des Zeugnisverweigerungsrechts auf Pfle-geeltern und Pflegekinder aus.

16 Aus der Arbeit der BRAK BRAK-Mitt. 1/2003

3. Fortentwicklung strafprozessualer Institutionen in Europa

Der fortschreitende europäische Einigungsprozess macht auchvor dem nationalen Strafrecht und den strafprozessualen Insti-tutionen nicht Halt. Dieses Thema wurde deshalb auf vergange-nen Tagungen schon intensiv bearbeitet und wird den Straf-rechtsausschuss auch in Zukunft vermehrt beschäftigen.

Auf der Berliner Tagung wurden insbesondere folgende Tenden-zen diskutiert:

– Europol soll mehr Mittel zur Bekämpfung grenzüberschrei-tender Kriminalität bekommen, wobei auch die parlamenta-rische und gerichtliche Kontrolle verstärkt werden soll.

– Eurojust soll gestärkt werden, insbesondere auch im Hinblickauf die Schaffung einer europäischen Staatsanwaltschaft.

– Das Europäische Parlament soll verstärkt an Rechtsakten aufdem Gebiet des Strafrechts beteiligt werden.

– Die Zuständigkeit der Europäischen Union im strafrechtli-chen Bereich soll einfacher und verständlicher definiert wer-den.

Konkret wurde eine Initiative des Königreichs Dänemark überdie gegenseitige Anerkennung von Einziehungsentscheidungenausführlich diskutiert. Nach deutschem Rechtsverständnis inak-zeptabel ist der Vorschlag, dass eine inhaltliche Überprüfungder Einziehungsentscheidung lediglich vor einem Gericht desErlassstaates zulässig sein soll, während vor einem deutschenGericht nur die Formalien überprüft werden können. Auch dievermögensrechtliche Haftung von gutgläubigen Ehegatten oderUnternehmen kann in Deutschland nicht über den europäi-schen Umweg sanktioniert werden.

Für die BRAK wurde vom Europaausschuss und vom Straf-rechtsausschuss ein entsprechendes Papier ausgearbeitet und ansämtliche befassten Institutionen verbreitet.

4. Konsultationspapier der Europäischen Kommission: Verfah-rensgarantien für Verdächtige und „Beklagte“ im Strafverfah-ren

Auch bei dieser Thematik drohen gesetzliche Ansprüche unddurch die Rspr. verbürgte Positionen auf der „europäischenStrecke“ zu bleiben. So wurde schon bei der Schaffung des eu-ropäischen Haftbefehls der Grundsatz des gegenseitigen Ver-trauens mit der Folge der ungeprüften Vollstreckung ausländi-scher Haftbefehle festgeschrieben.

Der Abbau rechtsstaatlicher Schutzstandards darf nicht weitergehen. Weder darf die Unschuldsvermutung eingeschränkt wer-den, noch darf die Stärkung der Rechte „besonders schutzbe-dürftiger Personen“ zu einer Absenkung der Rechte für diejeni-gen Personen führen, die in diesem Sinne nicht „besondersschutzbedürftig“ sind.

Das Gesamtthema soll gründlich vorbereitet und auf der März-tagung 2003 vertieft diskutiert werden.

5. Stellungnahme zur Anfrage des BVerfG im Hinblick auf eineVerfassungsbeschwerde wegen Durchsuchung einer Anwalts-kanzlei und Steuerberatungsgesellschaft sowie Beschlag-nahme von Computerdateien

In einer Verfassungsbeschwerde ist die Frage aufgeworfen, obund inwieweit eine Beschlagnahme von Datenbeständen beiBerufsgeheimnisträgern verfassungsrechtlich von Bedeutung ist,wenn dieser Eingriff sowohl Beschuldigte als auch Nichtbe-schuldigte trifft und die erfassten Daten zum Teil wegen Tatver-strickung i.S.d. § 97 Abs. 2 Satz 3 StPO einem Beschlagnahme-zugriff unterliegen, zum Teil aber auch gem. §§ 53 Abs. 1 Satz 1Nr. 2 und 3, 97 Abs. 1, 148 StPO rechtlich besonders geschütztsind. Das BVerfG hat zum Schutz der Berufsgeheimnisträger

eine einstweilige Anordnung erlassen (NJW 2002, 2458) unddie BRAK um Stellungnahme gebeten.

In einer intensiven Diskussion wurde als entscheidender Ge-sichtspunkt herausgearbeitet, dass die Grenze für das Durchsu-chungs- und Beschlagnahmerecht bei Geheimnisträgern sichwegen der elektronischen Aktenführung nicht verschieben darf.Die Rohfassung eines entsprechenden Papiers wurde beschlos-sen. In der Folgezeit wurde ein gemeinsames Papier mit demVerfassungsrechtsausschuss erarbeitet und als Stellungnahmeder BRAK an das BVerfG weitergeleitet.

6. Stellungnahme zur Anfrage des BVerfG hinsichtlich der Ver-fassungsmäßigkeit des derzeitigen Jugendstrafvollzuges

Nachdem das BVerfG sechs Vorlagebeschlüsse des AG Herfordaus formalen Gründen zurückgewiesen hatte, soll nunmehr eineinhaltliche Auseinandersetzung mit Vorlagebeschlüssen des AGRinteln v. 25.10.2001 und des AG Herford v. 18.2.2002 statt-finden; die BRAK ist zur Stellungnahme aufgefordert.

In der Diskussion im Strafrechtsausschuss wurde herausgearbei-tet, dass von einer Verfassungswidrigkeit des § 17 JGG nicht ge-sprochen werden könne. Wenn die Verfassungswidrigkeit mögli-cherweise mit Ladung bzw. Strafantritt beginnt, kann dieser Zu-stand nicht auf die Anordnung der Jugendstrafe durchschlagen.Es bestand Einigkeit, dass sich die Stellungnahme gegenüberdem BVerfG nicht auf § 17 JGG beziehen kann, sondern sich aufdie Notwendigkeit eines Jugendstrafvollzugsgesetzes beschrän-ken muss. Insbesondere bedürften Vollzugsmaßnahmen wiePflicht zur Arbeit oder Pflicht zur Therapie zwingend einer ge-setzlichen Regelung. In diesem Sinn wird die endgültige Fassungder Stellungnahme gegenüber dem BVerfG ausgearbeitet.

7. Rechtsbehelfe zur Rüge überlanger Verfahrensdauer

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat sich imUrt. v. 26.10.2000 (NJW 2001, 2694 ff.) wieder einmal mit derProblematik überlanger Verfahrensdauer befasst und in Abkehrvon seiner bisherigen Rspr. in den Fällen von Verfahrensverzö-gerungen, die eine Verletzung von Art. 6 Abs. 2 EMRK begrün-den, nunmehr auch Art. 13 EMRK für einschlägig erachtet. Dem-nach stellt es einen Konventionsverstoß dar, wenn das nationaleRecht keine Rechtsbehelfe zur Verfügung stellt, die einen wirk-samen Schutz gegen überlange Verfahrensdauer bieten.

Im deutschen Strafprozessrecht kann die überlange Verfahrens-dauer mit Hilfe verschiedener prozessualer Instrumentarienkompensiert werden. Dazu zählen die Einstellung aus Opportu-nitätsgründen (§§ 153, 153a StPO), die Milderung von Strafe, dasAbsehen von Strafe, die Verwarnung mit Strafvorbehalt und Gna-denerweise. Weil die hierdurch eröffneten Kompensationsmög-lichkeiten in Fällen mangelnden Tatverdachts oder erwiesenerUnschuld nicht zum Tragen kommen, schlägt der Strafrechts-ausschuss in Anlehnung an das Klageerzwingungsverfahren(§§ 172–177 StPO) die Einführung eines „Einstellungserzwin-gungsverfahrens“ vor, das dem Beschuldigten ermöglichen soll,im Falle der Einstellungsreife beim OLG eine Einstellung des ge-gen ihn geführten Ermittlungsverfahrens zu erzwingen.

Darüber hinaus soll in Anlehnung an das Strafrechtsentschädi-gungsgesetz eine verschuldensunabhängige Entschädigungsre-gelung geschaffen werden, deren Existenz allein besser als Fris-tenregelungen oder spezielle Rechtsbehelfe geeignet seindürfte, überlangen Verfahrensverzögerungen entsprechend ent-gegenzuwirken.

8. Denkschrift „Zur Reform der Verteidigung im Ermittlungsver-fahren“

Seit Jahren befasst sich der Strafrechtsausschuss mit der Denk-schrift zur Reform der Verteidigung im Ermittlungsverfahren. DerBeratung dieses Themas war auch mehr als ein halber Tag der

BRAK-Mitt. 1/2003 Aus der Arbeit der BRAK 17

Berliner Tagung gewidmet. Ein Abschluss dieser Denkschriftsteht unmittelbar bevor. Eine Unterkommission wurde gebildet,die bis Februar 2003 die Leitsätze in ihrer endgültigen Form undReihenfolge zusammenstellen wird. Über das Ergebnis der Ar-beit dieser Unterkommission und die Fertigstellung der Denk-schrift wird zu berichten sein.

Rechtsanwalt Dr. Eckhart Müller, München

I. Presseerklärungen

Nr. 42 v. 18.12.2002

Beschränkung von Mandantenrechten im ZivilprozessBundesrechtsanwaltskammer fordert Augenmaß

Bundesrechtsanwaltskammer, Berlin. Die Bundesrechtsanwalts-kammer (BRAK) wendet sich gegen eine Gesetzesinitiative derHessischen Landesregierung, mit der die richterliche Hinweis-und Dokumentationspflicht im Zivilprozess abgeschafft werdensoll. Nach dem Gesetzesentwurf, der am Freitag (20.12.2002)im Bundesrat behandelt wird, soll die Verpflichtung des Richtersentfallen, so früh wie möglich Hinweise zu erteilen und dieseaktenkundig zu machen. Diese erweiterte Hinweispflicht warerst zu Jahresbeginn mit der umstrittenen ZPO-Novelle veran-kert worden. „Die Beseitigung der erweiterten Hinweispflichtwürde zu einer einseitigen Benachteiligung der rechtsuchendenBürger im Zivilprozess und zu Rechtsunsicherheit führen. Dieseschnelle Änderung eines neuen Gesetzes ist wenig hilfreich. Essollten deshalb zunächst Erfahrungen mit der neuen Zivilpro-zessordnung gesammelt und die von der Bundesregierung an-gekündigte Evaluation der ZPO-Reform in 2004 abgewartetwerden“, so der Pressesprecher der BRAK, Dr. Ulrich Scharf.

Hinweis:

Die richterliche Hinweis- und Dokumentationspflicht imZivilprozess war notwendig geworden, weil der Gesetzge-ber die Überprüfungsmöglichkeiten in der Berufungsin-stanz durch die ZPO-Novelle erheblich eingeschränkthatte. Sie war deswegen als Ausgleich hierfür in die Zivil-prozessordnung neu aufgenommen worden. Würde siejetzt wieder gestrichen werden, entfiele jede Rechtferti-gung für die Einschränkungen in der Berufungsinstanz.Blieben diese Beschränkungen trotz Streichung der rich-terlichen Hinweis- und Dokumentationspflicht bestehen,

entwickelte sich die deutsche ordentliche Justiz im zwei-ten Anlauf zu einem beispiellosen Rechtsverkürzungsver-fahren.

II. Stellungnahmen

Die nachfolgenden Stellungnahmen der BRAK können im Inter-net unter www.brak.de/„BRAK-Intern“ „Ausschüsse“ abgerufenwerden:

Ausschuss Europa

– Stellungnahme der BRAK zum Sarbanes Oxley Act

– Stellungnahme der BRAK zu dem Grünbuch der Kommissionder Europäischen Gemeinschaften zum strafrechtlichen Schutzder finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaftenund zur Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft vom11.12.2001 (KOM [2001] 715 endgültig)

– Stellungnahme der BRAK zur Änderung der Verordnung zurDurchführung des § 206 BRAO

– Stellungnahme der BRAK

1. Initiative des Königreichs Dänemark im Hinblick auf die An-nahme eines Entwurfs für einen Rahmenbeschluss des Ratesüber die Einziehung von Erträgen, Tatwerkzeugen und Vermö-gensgegenständen aus Straftaten durch den Rat (ABl. C 184 v.2.8.2002, S. 3)

2. Initiative des Königreichs Dänemark zur Annahme eines Rah-menbeschlusses des Rates über die Vollstreckung von Einzie-hungsentscheidungen in der Europäischen Union (ABl. C 184 v.2.8.2002, S. 8)

Ausschuss Internationales Privat- und Prozessrecht

– Stellungnahme der BRAK zum UNCITRAL-Gesetzgebungs-leitfaden zu Sicherungsgeschäften

Ausschuss Strafrecht

– Stellungnahme der BRAK zu dem „Konsultationspapier derKommission über Verfahrensgarantien für Verdächtige und Be-klagte im Strafverfahren“

Ausschuss Familienrecht

– Praktische Auswirkungen der Änderung der unterhaltsrecht-lichen Kindergeldanrechnung gem. § 1612b Abs. 5 BGB zusam-mengestellt vom Ausschuss Familienrecht der BRAK

18 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 1/2003

Bundesverfassungsgericht

Anwaltliche Werbung – zur Auslegung und Anwen-dung von Satzungsrecht; § 7 BORA; Art. 12 GG

* 1. Bei Auslegung und Anwendung von Satzungsrecht ist mitRücksicht auf Art. 12 Abs. 1 GG eine strikte Beachtung des Ver-hältnismäßigkeitsgrundsatzes unter konkreter Benennung dervom parlamentarischen Gesetzgeber vorgegebenen Gemein-wohlbelange gefordert.

* 2. Ein Berufsgericht hat die Rspr. des EuGH für Menschen-rechte zu beachten, wonach bei der Auslegung von Vorschrif-ten über ein Werbeverbot die Meinungsfreiheit des Betroffenenund das Informationsbedürfnis der Mandanten zu berücksich-tigen sind.

BVerfG, Beschl. v. 21.11.2002 – 1 BvR 1965/02

Berufsrechtliche Rechtsprechung

Bundesverfassungsgericht*Leitsatz der Redaktion (Orientierungssatz)

Aus den Gründen:

1. Der Bf. wurde von der zuständigen RAK wegen eines Eintragsin den gelben Seiten des Telefonbuchs gerügt. Der Eintrag hattefolgendes Format und lautete wie folgt:

RECHTSANWALT##############################fon ############fax ############seit ... Jahren für Sie erfolgreichtätig im allgemeinen zivilrechtmiet- & wohnungseigentumsrechtprivaten baurechtfamilien- & erbrechtarbeitsrecht

Der Bf. räumt ein, dass sein Hinweis auf eine erfolgreiche Tätig-keit den Boden sachlicher Information verlässt. Er hält sich aberfür befugt, die von ihm langjährig bearbeiteten Materien aufzu-führen, auch wenn mehr als fünf Rechtsgebiete benannt wer-den. Die Rüge verletze ihn in seinem Grundrecht aus Art. 12Abs. 1 GG.

2. Die Verfassungsbeschwerde gegen die Rüge und die sie be-stätigenden berufsgerichtlichen Entscheidungen ist nicht zurEntscheidung anzunehmen. Die Voraussetzungen des § 93aAbs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerdehat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung. IhreAnnahme ist auch nicht zur Durchsetzung der von dem Bf. alsverletzt gerügten Rechte angezeigt. Die Verhängung der Rüge istverfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, denn der Bf. hat ein-geräumt, seine Werbung habe gegen das Sachlichkeitsgebotgem. § 43b der BRAO verstoßen.

3. Soweit dem Bf. zusätzlich vorgeworfen wird, gegen § 7 Abs. 1BORA verstoßen zu haben, fallen diese Ausführungen letztlichnicht ins Gewicht.

Allerdings wurde in den ange-griffenen Entscheidungen nichtin Erwägung gezogen, dass essich bei den Angaben „Miet-und Wohnungseigentumsrecht,

privates Baurecht, Familien- und Erbrecht“ um Präzisierungendes allgemeinen zivilrechtlichen Tätigkeitsschwerpunktes han-deln könnte; dies wäre zulässig (vgl. BVerfG, 2. Kammer des Ers-ten Senats, NJW 2001, 1926 f.). Die Vorgaben der Berufsord-nung hinsichtlich der Höchstzahl möglicher Angaben wärennicht überschritten.

Bei der Anwendung von § 7 Abs. 1 BORA fehlen auch Aus-führungen dazu, ob die Vorschrift den Anforderungen genügt,die in einer Entscheidung des EuGH v. 19.2.2002 (NJW 2002,877) formuliert worden sind. Danach legt bei der Übertragungvon Rechtsetzungsbefugnissen an einen Berufsverband der Mit-gliedstaat selbst die Kriterien des Allgemeininteresses und diewesentlichen Grundsätze fest, die bei der Normsetzung vonden öffentlichen Kammern zu beachten sind. Bei Auslegungund Anwendung von Satzungsrecht ist daher auch mit Rück-sicht auf Art. 12 Abs. 1 GG eine strikte Beachtung des Verhält-nismäßigkeitsgrundsatzes unter konkreter Benennung der vomparlamentarischen Gesetzgeber vorgegebenen Gemeinwohl-belange gefordert. Es hätte jedenfalls einer näheren Begrün-dung bedurft, dass § 7 Abs. 1 BORA diesen Anforderungengenügt.

Schließlich werden die Berufsgerichte auch die Rspr. des EuGHfür Menschenrechte zu beachten haben, wonach bei der Aus-

legung von Vorschriften über ein Werbeverbot die Meinungs-freiheit des Betroffenen und das Informationsbedürfnis derMandanten zu berücksichtigen sind (vgl. Urt. v. 17.10.2002 imVerfahren Stambuk ./. Bundesrepublik Deutschland – AZ:37928/97).

Ein Abweichen vom europäi-schen Standard ist auch im Hin-blick auf die Verbürgungen desGG rechtfertigungsbedürftig.

Zur Zulässigkeit von Ranglisten in einem Handbuchüber Anwaltskanzleien; BRAO § 1; GG Art. 5; UWG§ 1

* 1. Die in dem JUVE-Handbuch über wirtschaftsrechtlich-orientierte Anwaltskanzleien veröffentlichten Ranglisten ent-halten schwerpunktmäßig wertende Äußerungen, nicht jedochTatsachenbehauptungen.

* 2. Dass ein journalistischer Beitrag über Anwaltskanz-leien mit Werbewirkung allgemein oder im konkreten Falldem Leistungswettbewerb in der Anwaltschaft zuwider läuft,etwa mit Rücksicht auf die Funktion der Anwaltschaft als Organ der Rechtspflege, hätte der näheren Begründung be-durft.

* 3. Ein umfassendes Unterlassungsgebot ist nicht erforderlich,wenn klarstellende Zusätze – etwa Hinweise auf die Quellender Ranglisten – ausreichen, um Irreführungen und eine hier-durch hervorgerufene Beeinträchtigung des Leistungswettbe-werbs auszuschließen.

BVerfG, Beschl. v. 7.11.2002 – 1 BvR 580/02

Aus den Gründen:

Gegenstand der Verfassungsbeschwerde sind zivilgerichtlicheEntscheidungen, mit denen die Veröffentlichung optisch hervor-gehobener Rangeinstufungen (Ranking-Listen) in einem Hand-buch über wirtschaftsrechtlich orientierte Anwaltskanzleien un-tersagt wird.

I.

1. Die Bfin. zu 1 gibt seit dem Jahre 1998 das jährlich erschei-nende „JUVE-Handbuch“ heraus. Die Kl. des Ausgangsverfah-rens, zwei niedergelassene RAe, nahmen die Bf. wegen der indem Handbuch enthaltenen Anwalts-Ranglisten nach § 1 UWGauf Unterlassung in Anspruch. Das OLG gab im Berufungs-rechtszug der Klage statt (vgl. NJW 2001, 1950 = ZIP 2001,1116). Der BGH hat die Revision nicht zur Entscheidung ange-nommen.

Die Verfassungsbeschwerde rügt eine Verletzung der Grund-rechte aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG. Mit der einstweiligenAnordnung v. 1.8.2002 hat die Kammer die Zwangsvoll-streckung aus dem Urt. des OLG München im Hinblick auf diegeplante 5. Aufl. des Handbuchs einstweilen eingestellt.

2. Die Kl. des Ausgangsverfahrens, die BRAK, der DAV, die Zen-trale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs und der Zentral-verband der Deutschen Werbewirtschaft haben zur Verfas-sungsbeschwerde Stellung genommen.

II. Die Voraussetzungen einer Stattgabe durch die Kammer nach§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG sind gegeben. Das BVerfG hat imUrt. v. 12.12.2000 (BVerfGE 102, 347 – Benetton-Werbung)eine Grundsatzentscheidung zur Bedeutung des Grundrechtsauf Meinungs- und Pressefreiheit im Wettbewerbsrecht getrof-fen. Damit sind die für den vorliegenden Fall maßgeblichen Fra-gen im Wesentlichen geklärt. Nach den in dieser Entscheidung

BRAK-Mitt. 1/2003 Berufsrechtliche Rechtsprechung 19

Bundesverfassungsgericht

Präzisierungen desallgemeinen zivilrecht-lichen Schwerpunkts

Abweichen vom euro-päischen Standard

bedarf Rechtfertigung

niedergelegten Grundsätzen ist die Verfassungsbeschwerde be-gründet.

Im Anschluss an das Urt. v. 12.12.2000 hat die Kammer in denBeschl. v. 1.8.2001 (NJW 2001, 3403) und v. 6.2.2002 (NJW2002, 1187) zu Bedeutung und Tragweite des Grundrechts fürden Inhalt von Werbeaussagen Stellung genommen. Für die vor-liegende Sache gilt unter Bezugnahme hierauf Folgendes:

1. Das OLG hat bei Auslegung und Anwendung von § 1 UWGBedeutung und Tragweite des Grundrechts der Meinungsfreiheitaus Art. 5 Abs. 1 GG verkannt.

a) Die untersagten Ranglisten enthalten schwerpunktmäßig wer-tende Äußerungen, nicht jedoch Tatsachenbehauptungen.

Eine Meinung ist im Unterschied zur Tatsachenbehauptungdurch das Element des Wertens, insbesondere der Stellung-nahme und des Dafürhaltens geprägt (vgl. BVerfGE 61, 1, 9; 85,1, 14).

Die Listen geben eine von derRedaktion erstellte Rangordnungder aufgeführten Kanzleien wie-der. Sie lassen erkennen, dass da-durch über deren Leistungen ein

Werturteil abgegeben wird. Dieses baut allerdings auf Inter-views auf, also auf Auskünften Dritter, wie der jeweils am Endewiedergegebene Hinweis zeigt. Die Fundierung der Wertungenin tatsächlichen Erhebungen ändert aber nichts daran, dassWerturteile formuliert werden. Auch in den Interviews wurdenwertende Äußerungen erhoben und zur Grundlage der Auswer-tung genommen.

Soweit sich den Entscheidungsgründen Anhaltspunkte entneh-men lassen, geht das OLG demgegenüber davon aus, bei denRanglisten handele es sich um die Äußerung von Tatsachen.Den aus den Ranggruppen zu ersehenden Angaben zur Quali-fikation der genannten RAe wird ausdrücklich tatsächlicherCharakter beigemessen. Im gleichen Zusammenhang ist vonobjektiven Vergleichskriterien die Rede. An anderer Stelle wer-den die Ranggruppen als objektiv nicht zu rechtfertigende undals unrichtige Information charakterisiert, deren sachlicheRichtigkeit auch von den Bfn. nicht behauptet werde. Dies allessetzt ein Verständnis der Tabellen als Tatsachenäußerung vor-aus.

b) Auf der unzutreffenden Einordnung der Äußerungen als Tat-sachenbehauptungen beruht das Berufungsurteil. Werden dieÄußerungen bei erneuter Verhandlung der Sache als Werturteileingeordnet, besteht die Möglichkeit, dass ein dem Bf. günsti-geres Ergebnis erzielt wird. Die dahingehende Möglichkeitreicht für die Annahme eines Zusammenhangs zwischen derGrundrechtsverletzung und der angegriffenen Entscheidung aus(vgl. BVerfGE 61, 1, 13; 99, 185, 201 f.).

aa) Die Einordnung einer Äußerung als Werturteil oder als Tat-sachenbehauptung ist für die rechtliche Beurteilung von Ein-griffen in das Grundrecht auf Meinungsfreiheit nach der Rspr.der Fachgerichte und des BVerfG von weichenstellender Be-deutung (vgl. BVerfGE 61, 1, 7 f.; 99, 185, 196 f.; st. Rspr.).Führt eine Tatsachenbehauptung zu einer Rechtsverletzung,hängt das Ergebnis der Abwägung der kollidierenden Rechts-güter vom Wahrheitsgehalt der Äußerung ab. Bewusst unwahreTatsachenäußerungen genießen den Grundrechtsschutz über-haupt nicht (vgl. BVerfGE 54, 208, 219). Ist die Wahrheit nichterwiesen, wird die Rechtmäßigkeit der Beeinträchtigung einesanderen Rechtsguts davon beeinflusst, ob besondere Anforde-rungen, etwa an die Sorgfalt der Recherche, beachtet wordensind. Werturteile sind demgegenüber keinem Wahrheitsbeweiszugänglich. Sie sind grundsätzlich frei und können nur unterbesonderen Umständen beschränkt werden (vgl. BVerfGE 85,1, 16 f.).

bb) Wird die Rangliste zutreffend als Werturteil eingeordnet,lässt sich nach den bisherigen Erkenntnissen des OLG nicht fest-stellen, dass sie ein in § 1 UWG geschütztes Rechtsgut gefähr-det und dessen Schutz Vorrang vor der Freiheit der Meinungs-äußerung hat.

(1) Schutzgut des § 1 UWG ist nach der fachrichterlichen Rspr.insbesondere der Leistungswettbewerb. Zum Schutz der Wett-bewerber und sonstiger Marktbeteiligter, aber ggf. auch ge-wichtiger Interessen der Allgemeinheit, werden durch die NormVerhaltensweisen missbilligt, welche die Funktionsfähigkeitdes an der Leistung orientierten Wettbewerbs im wettbewerbli-chen Handeln einzelner Unternehmen oder als Institutionstören, so z.B. durch unlautere Einflussnahmen auf die freie Ent-schließung der Kunden (vgl. BGHZ 140, 134, 138 f.; BGH, NJW2000, 864; BGHZ 144, 255, 265 f.; Baumbach/Hefermehl,Wettbewerbsrecht, 22. Aufl., München 2001, Einl. UWG,Rdnr. 100 ff.). Diese Schutzgutbestimmung ist verfassungs-rechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BVerfG, NJW 2001, 3403,3404; 2002, 1187, 1188). Ob § 1 UWG noch weitere Schutz-güter umfasst (so, wenn auch ohne Spezifizierung, BGH, VersR2002, 456, 462 - „H.I.V. Positive“ II), brauchte vom BVerfG inden bisher entschiedenen Sachen nicht erörtert zu werden;auch der vorliegende Fall bietet hierzu keinen Anlass. Die Aus-legung des einfachen Rechts und damit auch die Herleitungvon Schutzgütern aus einer Rechtsnorm ist Aufgabe der Fach-gerichte (BVerfGE 18, 85, 92 f.; 84, 372, 379; 85, 248, 257 f.;102, 347, 362).

(2) Berührt ist vorliegend der Wettbewerb zwischen RAen. Diestreitigen Ranglisten betreffen insbesondere die Transparenz desAnwaltsmarktes. Durch Beschränkung auf verhältnismäßig we-nige Kanzleien, insbesondere auf Großkanzleien, geben dieRanglisten diesen einen Wettbewerbsvorsprung.

Die Listen beeinflussen auch dieOffenheit des Anwaltsmarktes,weil sie neu gegründete Kanz-leien im Regelfall nicht oderdoch nur mit erheblicher zeit-licher Verzögerung einbeziehen.

(3) Eine auf § 1 UWG gestützte Einschränkung der Meinungs-freiheit setzt im konkreten Fall Feststellungen zur Gefährdungdes Leistungswettbewerbs durch sittenwidriges Verhalten vo-raus. Das OLG stellt unter Bezugnahme auf die vom BGH inden Urt. „Die Besten“ I und II (BGH, NJW 1997, 2679; 2681) erarbeiteten Grundsätze tragend auf die Fallgruppe der getarn-ten Werbung ab, also eine Fallgruppe, die einen Bezug auf denauch im Medienrecht enthaltenen Grundsatz der Trennung vonredaktionellem Text und Werbung herstellt. Allein auf die Anwendbarkeit dieser Fallgruppe wird die Annahme derSittenwidrigkeit i.S.d. § 1 UWG gestützt. Das ist mit den sichaus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG herleitenden Vorgaben nicht ver-einbar.

Die Orientierung an Fallgruppen und damit an typischen Situa-tionen der Gefährdung des Schutzguts ist verfassungsrechtlichunbedenklich, wenn die betreffenden Fallgruppen den mitein-ander kollidierenden grundrechtlichen Positionen hinreichendRechnung tragen. Dies kann in abstrakter Weise geschehen. Ver-weist die Fallgruppe aber auf Prognosen und die Anwendungunbestimmter, insbesondere wertausfüllungsbedürftiger Rechts-begriffe, ist die Rechtsanwendung nicht eindeutig vorgegeben.Dann sind auf den konkreten Fall bezogene Feststellungen zurGefährdung des von § 1 UWG geschützten Rechtsgutes und beiKollisionen unterschiedlicher Rechtsgüter eine die betroffenenInteressen erfassende Abwägung erforderlich (vgl. BVerfG, NJW2002, 1187, 1188). Dementsprechend ist das BVerfG im Benet-ton-Urteil nicht von den Tatbestandselementen der einschlägi-

20 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 1/2003

Bundesverfassungsgericht

Listen beruhen aufWerturteilen über

Leistungen

Listen beeinflussenOffenheit des

Anwaltsmarktes

gen Fallgruppe ausgegangen, sondern hat das angegriffene Un-terlassungsgebot selbständig am Maßstab des Art. 5 Abs. 1 Satz1 GG bewertet (vgl. BVerfGE 102, 347, 364 ff.).

Von den Tatbestandselementen der von der Rspr. zu § 1 UWGentwickelten Fallgruppen kann eine aus praktischer Erfahrunggewonnene Indizwirkung für die Gefährdung des Leistungs-wettbewerbs und damit zusammenhängend die Sittenwidrigkeitausgehen. Allerdings müssen die Fachgerichte prüfen, ob die In-dizwirkung im konkreten Fall ausreicht, um die Rechtsfolge,eine Einschränkung der Meinungsfreiheit, zu rechtfertigen (vgl.BVerfG, NJW 2002, 1187, 1188).

Die Fallgruppe der getarnten Werbung ist nicht eindeutig ein-gegrenzt, sondern bei der Rechtsanwendung in hohem Maßeauf wertende Einschätzungen und Prognosen der Folgen einersolchen Werbung angewiesen. Das gilt insbesondere für dieMerkmale der sachlichen Unterrichtung, der Werbewirkungund deren Übermaß beziehungsweise Einseitigkeit. Wird dieFallgruppe der getarnten Werbung auf die journalistische Tätig-keit durch ein Medienunternehmen angewandt, bieten die imWettbewerbs- und Medienrecht entwickelten Grundsätze überdie Trennung von redaktionellem Teil und Anzeigenteil Anhalts-punkte der Bewertung und damit der Feststellung einer Gefähr-dung des Schutzgutes im konkreten Fall.

Eine spezifische Gefahr für denLeistungswettbewerb, die vonden Ranglisten als solchen aus-geht, wird in den Entscheidungs-gründen nicht dargelegt. Dass

ein journalistischer Beitrag über Anwaltskanzleien mit Werbe-wirkung allgemein oder im konkreten Fall dem Leistungswett-bewerb in der Anwaltschaft zuwiderläuft, etwa mit Rücksichtauf die Funktion der Anwaltschaft als Organ der Rechtspflege(§ 1 BRAO), hätte der näheren Begründung bedurft. Soweit dasOLG auf die begrenzte Offenlegung der Bewertungsgrundlagenund -kriterien abstellt, fehlen im Berufungsurteil Feststellungeninsbesondere dazu, dass die angesprochenen Kreise die Erläu-terungen nicht selbst angemessen zu werten wissen oder dassdie verbleibenden Unklarheiten Gefahren für den Leistungs-wettbewerb bedingen.

Es ist auch nicht festgestellt worden, dass durch die Veröffentli-chung von Ranglisten in sittenwidriger Weise auf die Aufgabevon Inseraten hingewirkt wird. Auch dies hätte einer die spezi-fische Gefährdung des Leistungswettbewerbs einbeziehendenBegründung bedurft. Dafür reicht der Hinweis auf das Interesseder Bf. an der Akquisition von Anzeigenaufträgen nicht aus. An-zeigenfinanzierte Medien sind regelmäßig darauf angewiesen,zur Schaltung von Anzeigen zu motivieren. Die Bewertung alssittenwidrig erfordert die Feststellung zusätzlicher Umstände,die etwa gegeben sind, wenn durch Vortäuschung einer neutra-len redaktionellen Leistung ein werbender, auf die Akquisitiongerichteter Inhalt verborgen wird. Entsprechende Feststellungenhat das OLG nicht getroffen.

cc) Schließlich fehlt es für den Fall, dass eine hinreichende Ge-fährdung des Schutzguts festgestellt werden sollte, an tragfähi-gen Erwägungen zur Verhältnismäßigkeit des Unterlassungsge-bots.

Ein umfassendes Unterlassungs-gebot ist nicht erforderlich,wenn klarstellende Zusätze,etwa Hinweise auf die Quellender Ranglisten, ausreichen, umIrreführungen und eine hierdurch hervorgerufene Beeinträchti-gung des Leistungswettbewerbs auszuschließen. Eine dahin ge-hende einschränkende Verurteilung ist, wenn nicht der Klage-antrag diese Möglichkeit ohnehin berücksichtigt, nach der

fachgerichtlichen Rspr. auch bei einem umfassenden Unterlas-sungsbegehren zulässig (vgl. BGHZ 78, 9, 18 ff.). Im Zuge desVerfahrens über die einstweilige Anordnung haben die Bf. zumTeil neue klarstellende Formulierungen für die Neuauflage desHandbuchs angekündigt, mit denen sie den Bedenken desOLG Rechnung tragen wollen. Bei der Neuverhandlung derSache wird zu prüfen sein, ob eine vom OLG möglicherweisebejahte Gefährdung des Leistungswettbewerbs auf solcheWeise abgewehrt werden kann. Die neuen Formulierungensind vom BVerfG bislang allerdings nur im Rahmen der nach§ 32 Abs. 1 BVerfGG vorzunehmenden Abwägung, nicht hin-gegen in der Sache selbst einer Würdigung unterzogen wor-den.

2. Da die Entscheidung des BGH möglicherweise auf denselbenErwägungen beruht wie das Berufungsurteil, verletzt auch siedie Bf. in ihrem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.

3. a) Gemäß § 95 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG ist die Verletzung derBf. in ihrem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG festzustel-len. Auf die weiter gehenden Grundrechtsrügen kommt es nichtan. Die angegriffenen Entscheidungen werden gem. § 95 Abs. 2BVerfGG aufgehoben. Die Sache wird an das OLG zurückver-wiesen, weil die erneute Bearbeitung in einer Tatsacheninstanzangezeigt ist.

b) Gemäß § 34a BVerfGG sind den Bfn. die notwendigen Aus-lagen von der Bundesrepublik Deutschland zu erstatten. DieFestsetzung des Gegenstandswertes folgt aus § 113 Abs. 2 Satz 3BRAGO.

Rechtsberatungsgesetz – zu einer Fernsehsendung,die Zuschauern bei der Durchsetzung ihrer Interessenhilft; GG Art. 12; RBerG Art. 1 Abs. 1; UWG § 1

* 1. Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistet den RAen grundsätzlichkeinen Schutz vor Konkurrenz.

* 2. Die Anwaltschaft kann aus dem Grundrecht der Berufs-freiheit nicht ein verfassungsmäßig verbürgtes Recht auf Fort-bestand des RBerG ableiten.

BVerfG, Beschl. v. 12.8.2002 – 1 BvR 1264/02

Aus den Gründen:

1. Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob das Gesetzüber den unlauteren Wettbewerb einem RA ermöglicht, Me-dienberichten über Rechtsfälle, bei denen sich die Medien auchaktiv einschalten, mit der Unterlassungsklage zu begegnen.Wird nur die von der Berichterstattung in Medien ausgehendeWirkung benutzt, um Forderungen von Zuschauern aufgrunddes öffentlichen Drucks durchzusetzen, ohne dass der Schwer-punkt der Hilfestellung im rechtlichen Bereich liegt, ist nicht be-reits von einer Rechtsberatung i.S.d. RBerG auszugehen, hat derBGH mit dem angegriffenen Urt. entschieden. Hiergegen wen-det sich der Bf. mit der Rüge der Verletzung von Art. 12 Abs. 1und Art. 20 Abs. 3 GG.

2. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzu-nehmen. Die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG liegennicht vor. Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzlicheverfassungsrechtliche Bedeutung. Ihre Annahme ist auch nichtzur Durchsetzung der vom Bf. als verletzt gerügten Rechte an-gezeigt. Für eine Verletzung von Grundrechten und grund-rechtsgleichen Rechten ist nichts ersichtlich.

Dass Art. 12 Abs. 1 GG den RAen keinen Schutz vor Konkurrenzgewährleistet, hat das BVerfG schon entschieden (vgl. BVerfGE97, 12, 31). Die Anwaltschaft kann aus dem Grundrecht der Be-

BRAK-Mitt. 1/2003 Berufsrechtliche Rechtsprechung 21

Bundesverfassungsgericht

Gefahr für Leistungs-wettbewerb nicht

dargelegt

Umfassendes Unter-lassungsgebot unver-

hältnismäßig

rufsfreiheit nicht ein verfassungsmäßig verbürgtes Recht aufFortbestand des RBerG ableiten. Auslegung und Anwendungdieses Gesetzes können vom BVerfG nur eingeschränkt über-prüft werden (vgl. BVerfGE 18, 85, 92 f., 96; 85, 248, 257 f.).Der BGH hat die verfassungsrechtlichen Grenzen ersichtlich

nicht überschritten. Die von ihm durchaus in Betracht gezoge-nen negativen Auswirkungen im Zusammenhang mit derartigenMedienberichten berühren nicht eigene Grundrechte des Bf.,sondern allenfalls solche von Drittbetroffenen als Teilnehmernam Rechtsverkehr.

22 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 1/2003

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechung

Zu einer Unterlassungsverfügung durch eine Rechts-anwaltskammer/Zur Nutzung der Domain „www.rechtsanwaelte-notar.de“; BRAO §§ 43b, 57, 73, 74;BORA § 6

* 1. Die BRAO verleiht dem Vorstand der RAK nicht das Recht,festgestellten Verstößen gegen berufsrechtliche Bestimmungenmit einer Unterlassungsverfügung zu begegnen.

* 2. Derart weitgehende, einschneidende Eingriffsmöglichkei-ten würden der Stellung des RA nicht gerecht, da dieser unab-hängiges Organ der Rechtspflege ist und als solches nicht ineinem allgemeinen Abhängigkeits- oder Unterordnungsver-hältnis zum Kammervorstand steht.

* 3. Die Verwendung des Domain-Namens „www.rechtsan-waelte-notar.de“ verstößt nicht gegen § 43b BRAO, § 6 Abs. 1BORA.

BGH, Beschl. v. 25.11.2002 – AnwZ (B) 8/02

Aus den Gründen:

I. Der Ast. betreibt zusammen mit einem anderen RA eine An-waltskanzlei und ist zugleich als Notar tätig.

Im Internet unterhält er eine Homepage unter dem Domain-Namen „www.rechtsanwaelte-notar.de“. Mit Schreiben v. 29.1.2001 forderte die Agin. den Ast. auf, die Verwendung dieses Do-main-Namens „mit sofortiger Wirkung zu unterlassen“.

Dem hiergegen gerichteten Antrag auf gerichtliche Entschei-dung hat der AGH mit Beschl. v. 29.11.2001 stattgegeben undden angefochtenen Bescheid v. 29.1.2001 aufgehoben. Dage-gen richtet sich die zugelassene sofortige Beschwerde der Agin.

II. Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§ 223 Abs. 3 BRAO),bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg.

1. Der Beschwerde ist schon deshalb der Erfolg zu versagen,weil die BRAO dem Vorstand der RAK nicht das Recht verleiht,festgestellten Verstößen gegen berufsrechtliche Bestimmungenmit einer Unterlassungsverfügung zu begegnen.

a) Nach § 73 Abs. 2 Nr. 1 BRAO obliegt es dem Vorstand derRAK, die Kammermitglieder in Fragen der Berufspflichten zu be-raten und zu belehren. Des Weiteren hat er nach § 73 Abs. 2Nr. 4 BRAO die Erfüllung der den Kammermitgliedern oblie-genden Pflichten zu überwachen und das Recht der Rüge zuhandhaben.

Stellt der Vorstand einer RAK in Wahrnehmung seiner Aufgabenfest, dass sich ein RA berufswidrig verhalten hat, so belässt esder Vorstand häufig nicht dabei, den RA auf die Rechtsauffas-sung der Kammer hinzuweisen und über den Inhalt seiner Be-rufspflichten zu belehren, vielmehr wird der RA darauf hinge-wiesen, dass er das beanstandete Verhalten zu unterlassen habe,bzw. dass er dann, wenn innerhalb einer bestimmten Frist der

Berufsrechtsverstoß nicht abgestellt werde, mit der Einleitung ei-nes Rügeverfahrens oder eines anwaltsgerichtlichen Verfahrenszu rechnen habe. Diese Praxis der RAKn ist für sich genommennicht zu beanstanden, da dem betroffenen RA die möglichenKonsequenzen seines Verhaltens deutlich vor Augen geführtwerden und er zudem ausreichend Gelegenheit hat, die Rechts-lage zu prüfen, ohne unmittelbare Sanktionen fürchten zu müs-sen.

Erteilt der Vorstand einer RAK einem Kammermitglied eine der-artige missbilligende Belehrung, so stellt diese nach der Rspr.des Senats eine hoheitliche Maßnahme dar, die geeignet ist, denRA in seinen Rechten zu beeinträchtigen; als solche ist sie nach§ 223 Abs. 1 BRAO anfechtbar (vgl. Senatsbeschl. v. 18.11.1996– AnwZ [B] 20/96 – NJW-RR 1997, 759 und v. 17.12.2001 –AnwZ [B] 12/01 – NJW 2002, 608; Feuerich/Braun, BRAO,5. Aufl., § 73 Rdnr. 19 ff.).

b) Ausgehend vom Wortlaut ist aus der Sicht eines verständigenEmpfängers das Gebot, die Verwendung des Domain-Namens„www.rechtsanwaelte-notar.de“ zu unterlassen, die Kernaus-sage des Schreibens v. 29.1.2001. So hat es auch der Ast. ver-standen und unter anderem daraus die Rechtswidrigkeit des Be-scheids hergeleitet. Es geht daher nicht an, die Rechtsaus-führungen der Agin. als Belehrung zu verstehen, bei der dieUnterlassungsaufforderung nur als eine unselbständige Folge-rung erscheint (vgl. hierzu Senatsbeschl. v. 7.11.1983 – AnwZ[B] 21/83 – NJW 1984, 1042, 1044).

c) Die Frage, ob der Vorstand der RAK von einem kammeran-gehörigen RA kraft Berufsrechts die Vornahme oder Unterlas-sung einer bestimmten Handlung verlangen kann, hat der Senatbisher offengelassen (vgl. Senatsbeschl. v. 7.11.1983, a.a.O.).Sie ist im Anschluss an die ältere Rspr. des Ehrengerichtshofsbeim Reichsgericht (EGHE 1, 193, 199; 16, 205, 210) und einneueres Urt. des I. Zivilsenats des BGH (Urt. v. 25.10.2001 – I ZR 29/99 – NJW 2002, 2039, 2040) zu verneinen.

In § 73 Abs. 2 Nr. 4 BRAO wirdnicht nur die Aufgabe des Kam-mervorstands beschrieben, dieErfüllung der den Mitgliedern derKammer obliegenden Pflichtenzu überwachen, sondern zu-

gleich das Mittel genannt, das dem Vorstand zur Ahndung vonPflichtverstößen aus eigenem Recht zusteht (Rügerecht nach§ 74 BRAO; für die Einleitung eines anwaltsgerichtlichen Ver-fahrens, das allerdings vom Vorstand der RAK beantragt werdenkann, ist allein die Staatsanwaltschaft zuständig, vgl. §§ 121,122 BRAO).

Darüber hinaus ist in § 57 BRAO ausdrücklich bestimmt, dassder Vorstand der RAK einen RA zur Einhaltung der in § 56Abs. 1 Satz 1 BRAO genannten besonderen Pflichten, die demKammermitglied gegenüber dem Vorstand obliegen (insbeson-

Anwaltsgerichtliche RechtsprechungOrientierungssätze/*Leitsätze der Redaktion

Keine Rechtsgrund-lage für Unter-

lassungsverfügungenaus der BRAO

dere Auskunftspflichten), durch Festsetzung eines Zwangsgeldesanhalten kann.

Diesem Normengefüge ist insgesamt zu entnehmen, dass dieBRAO dem Vorstand der RAK keine Rechtsgrundlage dafür gibt,Pflichtverletzungen aller Art, die ein RA gegenüber einem Man-danten oder dem sonstigen rechtsuchenden Publikum gegen-über begangen hat oder deren Begehung unmittelbar bevor-steht, durch den Erlass mit Verwaltungszwang durchsetzbarerGe- und Verbote zu begegnen. Derart weitgehende, einschnei-dende Eingriffsmöglichkeiten würden auch der Stellung des RAnicht gerecht.

Dieser ist unabhängiges Or-gan der Rechtspflege (§ 1BRAO) und steht als solchesnicht in einem allgemeinenAbhängigkeits- oder Unter-ordnungsverhältnis zum Kammervorstand (vgl. Feuerich/Braun,a.a.O., § 73 Rdnr. 32).

2. Auch in der Sache selbst ist die in Form einer Untersagungs-verfügung gekleidete Beanstandung der Agin. nicht gerechtfer-tigt.

Ausgehend von der Rspr. des I Zivilsenats des BGH und der Rspr.des Senats (vgl. den zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehe-nen Beschl. v. heutigen Tage – AnwZ [B] 41/02) verstößt dieVerwendung des Domain-Namens „www.rechtsanwaelte-notar.de“ durch den Ast. nicht gegen § 43b BRAO, § 6 Abs. 1BORA.

Gemäß § 43b BRAO ist dem RA Werbung erlaubt, soweit sieüber die berufliche Tätigkeit in Form und Inhalt sachlich unter-richtet und nicht auf die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall ge-richtet ist. Diese Bestimmung hat in den §§ 6 ff. BORA teilweiseeine nähere Ausgestaltung erfahren. Nach § 6 Abs. 1 BORA darfder RA über seine Dienstleistung und seine Person informieren,soweit die Angaben sachlich unterrichten und berufsbezogensind.

Richtet eine aus einem RA und einem Anwaltsnotar bestehendeKanzlei eine eigene Homepage ein, die über die Berufsbe-zeichnung „www.rechtsanwaelte-notar.de“ zu erreichen ist, sostellt dies eine Werbung dar, die darauf abzielt, den Verkehr fürdie Inanspruchnahme von Leistungen dieser Kanzlei und ihrerMitglieder zu gewinnen.

a) Die Form und der Inhalt dieser Werbung, die sich im We-sentlichen in der Vorstellung der beiden Kanzleimitglieder (mitLichtbild) von der Angabe ihrer Tätigkeitsschwerpunkte er-schöpft, ist nicht unsachlich. Eine Diskrepanz zwischen dem Er-scheinungsbild und dem Inhalt der Werbung besteht nicht (vgl.hierzu BGHZ 147, 71, 76 ff. – Anwaltswerbung II). Sie wird vor-liegend insbesondere auch nicht dadurch hervorgerufen, dasssich der Ast. durch die Auswahl des seine beruflichen Tätigkei-ten kennzeichnenden Domain-Namens gegenüber anderenRAen und Notaren insoweit einen Vorteil verschafft hat, dassdiese daran gehindert sind, denselben Domain-Namen zu ver-wenden und die Möglichkeiten, einen Domain-Namen unterVerwendung von Begriffen auszusuchen, die alternativ den Be-ruf des RA oder Notars bezeichnen oder dessen Tätigkeit be-schreiben, naturgemäß begrenzt sind (vgl. BHG, Urt. v.21.2.2002 – I ZR 281/99 – NJW 2002, 2642, 2644 f. – Vanity-Nummer; BGHZ 148, 1, 5, ff. – Mitwohnzentrale.de).

Im Übrigen hat der AGH zu Recht darauf hingewiesen, dass dievom Ast. gewählte, einmal im Plural und einmal im Singular ste-hende, mit einem Bindestrich versehene Kombination der Be-griffe Rechtsanwälte und Notar durchaus ungewöhnlich ist. Einrechtsuchender Internet-Nutzer, der an Dienstleistungen einesRA oder eines Notars interessiert ist, wird, wenn er sich nicht ei-ner Suchmaschine bedient, sondern sich unter Einsatz der Gat-

tungsbegriffe Rechtsanwalt, Rechtsanwälte, Notar, Notare denunmittelbaren Zugang zu einem Anbieter derartiger Dienstleis-tungen zu verschaffen sucht, nur mehr oder weniger zufällig ge-nau die Bergriffskombination eingeben, mit der er auf dieHomepage des Ast. stößt.

Die Gefahr einer Kanalisierungvon Kundenströmen durch dieVerwendung des beanstandetenDomain-Namens ist daher sehrgering.

b) Die in der Verwendung des von der Agin. beanstandeten Do-main-Namens liegende Werbung ist auch nicht als irreführendunter dem Aspekt einer unzutreffenden Alleinstellungsbehaup-tung anzusehen.

Der durchschnittlich informierteund verständige Internet-Nutzer,auf den insoweit maßgeblich ab-zustellen ist (vgl. BGHZ 148, 1,7), weiß von vornherein, dass dieunter Verwendung der Gattungsbegriffe Rechtsanwalt und Notargefundene Homepage eines Anbieters nicht das gesamte Ange-bot anwaltlicher und notarieller Dienstleistungen repräsentiert.

Auch erscheint es nach der Lebenserfahrung nicht als wahr-scheinlich, dass der Internet-Nutzer die Vorstellung hat, bei Ein-gabe des vom Ast. verwendeten Domain-Namens werde er ei-nen Überblick über das gesamte Angebot anwaltlicher und no-tarieller Dienstleistungen oder auch nur ein sach- und fach-kundig aufbereitetes Informationsangebot erhalten (vgl. Urt. v.21.2.2002, a.a.O., 2645).

c) Soweit die Bfin. weiter meint, allein dadurch, dass der im Do-main-Namen enthaltene Begriff Rechtsanwalt in der Mehrzahlverwendet wird, werde über die tatsächliche Bedeutung undGröße der Kanzlei des Ast. irregeführt, ist ihr nicht zu folgen.

Durch die Pluralform wird lediglich zum Ausdruck gebracht,dass die unter diesem Begriff am Internet-Verkehr teilnehmendeKanzlei mindestens zwei Mitglieder hat, die zur Rechtsanwalt-schaft zugelassen sind. Das ist hier der Fall. Darüber hinauskann der Bfin. auch nicht darin zugestimmt werden, dass selbstderjenige, der weiß, dass es in einigen Bundesländern Anwalts-notare gibt, mit mindestens drei Sozietätsmitgliedern – zweiRAen und einem Notar – rechnet. Es ist gerade die Besonderheitdes Anwaltsnotariats, dass hier ein RA zugleich den Beruf einesNotars ausüben darf. Dann aber ist für jeden, der um diese Be-sonderheit weiß, offenkundig, dass er es vorliegend möglicher-weise mit einer Kanzlei zu tun hat, bei der nur insgesamt zweiPersonen über die angegebene berufliche Qualifikation verfü-gen.

Im Übrigen wird die etwaige Fehlvorstellung eines Internet-Nut-zers über die Zahl der Mitglieder der unter dem Domain-Namen„www.rechtsanwaelte-notar.de“ zu findenden Kanzlei bei „Auf-schlagen“ dieser Homepage sofort korrigiert. Jedenfalls dadurchwird der Gefahr einer Irreführung hinreichend begegnet (vgl.BGHZ 148, 1, 7).

AnmerkungMit seiner Grundsatzentscheidung vom 25.11.2002 hat derAnwaltssenat des BGH endlich für Rechtsklarheit gesorgt.Die Frage, ob es dem Vorstand einer RAK rechtlich möglichist, festgestellten Verstößen gegen Bestimmungen des Berufs-rechts mit einer Unterlassungsverfügung zu begegnen, istbisher äußerst umstritten gewesen. Die Mehrheit der RAKnhat aufgrund rechtlicher Bedenken grundsätzlich auf Unter-lassungsverfügungen verzichtet. Von einigen Kammervor-

BRAK-Mitt. 1/2003 Berufsrechtliche Rechtsprechung 23

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechung

Kein Abhängigkeits- undUnterordnungsverhältnis

zum Kammervorstand

Geringe Gefahr einerKanalisierung vonKundenströmen

Keine irreführendeAlleinstellungs-

behauptung

ständen wurden bisher jedoch regelmäßig Verwaltungsaktebeschlossen, die ihren Mitgliedern ein bestimmtes Tun oderUnterlassen berufsrechtlich aufgegeben haben. Die Zuläs-sigkeit derartiger Verfügungen ist von den Anwaltsgerichts-höfen – soweit ersichtlich – niemals in Frage gestellt wor-den.1 Zuletzt hatte der Niedersächsische AGH in einem Be-schl. v. 17.9.20022 § 73 Abs. 2 Nr. 1 und 4 BRAO alsRechtsgrundlage für eine Untersagungsverfügung zugrundegelegt. Das Gericht erläutert in dieser Entscheidung jedochnicht schlüssig, woraus es den zwingenden Schluss zieht,dass das Belehrungs- und Rügerecht der BRAO eine weiter-gehende Ermächtigung umfasst. Zudem stützt sich der AGHauf eine Entscheidung des BGH3, in der dieser die Frage nachder grundsätzlichen Zulässigkeit einer Unterlassungsverfü-gung gerade offen gelassen hatte.

Der BGH begründet seine Entscheidung damit, dass dem ge-samten Normengefüge der BRAO keine Ermächtigungs-grundlage zum Erlass von Unterlassungsverfügungen zu ent-nehmen sei.4 Einer derartigen Auslegung ist bisher entgegen-gehalten worden, sie sei positivistisch beschränkt und schauenicht über den Tellerrand des § 73 Abs. 2 Nr. 1 bzw. § 74BRAO hinaus. Für die Zulässigkeit eines derartigen Verwal-tungsakts spreche schon der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.5Diese Argumentation übersieht jedoch, dass die Verhältnis-mäßigkeit einer Maßnahme dann keine Berücksichtigungfinden kann, wenn es schon an einer klaren gesetzlichen Er-mächtigungsgrundlage für dieselbe fehlt. Auch ist es kaumvertretbar, das verfassungsrechtliche Prinzip vom Vorbehaltdes Gesetzes aus Art. 20 Abs. 3 GG für Unterlassungsverfü-gungen einer RAK zu vernachlässigen.6 Fordert die Kammereinen RA mit sofortiger Wirkung auf, die Verwendung einesDomain-Namens zu unterlassen, ist dieser Eingriff in die Be-rufsausübung des betreffenden Kollegen so durchgreifend,dass man aus verfassungsrechtlicher Sicht auf eine hinrei-chende Ermächtigungsgrundlage nicht verzichten kann.7 DerBGH kommt zu Recht zu dem Ergebnis, dass die BRAO dieKompetenzen des Kammervorstands abschließend be-schreibt. Weder das Recht der RAKn, ihre eigenen Mitgliederzu belehren (§ 73 Abs. 2 Nr. 1) noch das Rügerecht (§ 74) ent-halten Anhaltspunkte für eine weitere – ungeschriebene –„Annexkompetenz“. Der Gesetzgeber hätte das Recht zumErlass von Unterlassungsverfügungen explizit erwähnt, wenner dies gewollt hätte.

Der Anwaltssenat geht mit seiner Entscheidung jedoch wei-ter. Er bringt zum Ausdruck, dass seiner Ansicht nach derart

weitgehende, einschneidende Eingriffsmöglichkeiten derStellung des RA prinzipiell nicht gerecht würden. Als unab-hängiges Organ der Rechtspflege stehe dieser nicht in einemallgemeinen Abhängigkeits- oder Unterordnungsverhältniszum Kammervorstand. Dieser zu engen Sichtweise des An-waltssenats ist nicht zuzustimmen. Bei seiner Argumentationverkennt der Senat, dass aus der Tatsache, dass der Kammer-vorstand die öffentliche Aufgabe der Aufsichtsführung wahr-nimmt, nicht folgt, dass zwischen RA und Kammervorstandein generelles Abhängigkeitsverhältnis besteht. Demzufolgeist es auch nicht prinzipiell ausgeschlossen, dem Kammer-vorstand für den besonderen Bereich der Aufsicht neben demRügerecht das Recht zum Erlass von Unterlassungsverfügun-gen einzuräumen. Hierzu bedarf es allerdings einer Ände-rung durch den Gesetzgeber.

Für die Einführung einer Ermächtigungsgrundlage für Unter-lassungsverfügungen – nach der die RAK Ge- und Verboteauch mit Verwaltungszwang durchsetzen kann – sprechengute Gründe. Durch eine derartige Maßnahme ist es derRAK möglich, eine streitige berufsrechtliche Frage zu klären,ohne dass der Kammervorstand gegenüber seinem Mitgliedeine Rüge aussprechen muss. Der Bescheid könnte nach§ 223 BRAO mit einem Antrag auf gerichtliche Entschei-dung beim AGH angegriffen werden, wobei der AGH dieMöglichkeit hat, die Beschwerde zum BGH zuzulassen(§ 223 Abs. 3 BRAO). Der Rechtsweg bei einer Rüge endethingegen beim Anwaltsgericht, so dass bedeutsame undstreitige Rechtsfragen nur durch das BVerfG geklärt werdenkönnen. Zudem müssten die RAKn nicht mehr auf Klagennach § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG zurückgreifen. Der 1. ZS desBGH hat zwar anerkannt, dass eine RAK eine Klagebefugniseines rechtsfähigen Verbandes zur Förderung gewerblicherInteressen hat und mithin wettbewerbsrechtliche Unterlas-sungsansprüche auch gegen ihre Mitglieder geltend machenkann.8 Zu bedenken gilt jedoch, dass eine Klage nach § 13UWG aufgrund der einschneidenden Kostenfolge für dasKammermitglied eine besondere Härte bedeutet. Eine Un-terlassungsverfügung wäre grundsätzlich das mildere Mittel.Das Instrumentarium der Wettbewerbsklage für Kammernwird in der Literatur zudem mit guten Gründen abgelehnt9.Insbesondere leuchtet es ein, dass bei Berufsrechtsverstößenvorrangig die spezielle und zu besonderer fachlicher Kom-petenz und Erfahrung befähigte Anwaltsgerichtsbarkeit tätigwerden sollte. Eine beim BVerfG anhängige Verfassungs-beschwerde zu diesem Problem wird insofern für Klarheitsorgen10

Rechtsanwalt Christian Dahns, Berlin

24 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 1/2003

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechung

1 Anders hat dies indes die ältere Rspr. des Ehrengerichtshofs beimReichsgerichtshof (EGHE 1, 93, 199 ; 16, 205, 210) gesehen.

2 BRAK-Mitt. 2003, 37.3 BGH, NJW 1984, 1042 (1044 a.E.) = BRAK-Mitt. 1984, 84.4 Missverständlich ist, wenn der BGH ausführt, dass es keine

Rechtsgrundlage für die RAK gebe, „Pflichtverletzungen aller Art,die ein RA gegenüber einem Mandanten (...) begangen hat (...),durch den Erlass mit Verwaltungszwang durchsetzbarer Ge- undVerbote zu begegnen.“ Selbst wenn man eine Rechtsgrundlagefür den Erlass derartiger Verfügungen annimmt, hätte die RAKnach der BRAO keine Möglichkeit, diese mit Verwaltungszwangdurchzusetzen. § 57 BRAO (Festsetzung und Vollstreckung einesZwangsgeldes) kommt nach dem Wortlaut nicht in Betracht.§ 204 BRAO ist ersichtlich nicht einschlägig.

5 Kleine-Cosack, ZAP Fach 23, S. 508 f.6 So aber Kleine-Cosack, a.a.O, S. 509, der die Ansicht vertritt, dass

es mangels Wesentlichkeit einer ergänzenden Ermächtigung zurWahl dieser Handlungsform angesichts der ohnehin bestehendenKompetenz der Kammern zu einem hoheitlichen Vorgehen kei-ner spezialgesetzlichen Regelung bedürfe.

7 Vgl. auch VGH Mannheim (NJW 2000, 1810) zu einer ent-sprechenden hoheitlichen Maßnahme einer Landesärztekammer.

8 BGH, NJW 2002, 2039 ff.; st. Rspr.

9 Vgl. Römermann, MDR 2003, 12 (13); Grunewald, Stbg 2002,472.

10 BVerfG – 1 BvR 981/00.

Zur Erstattung von Gebühren und Auslagen in einemberufsrechtlichen Verfahren; ZPO § 91 Abs. 2 Satz 4

* 1. Aus der BRAO ergibt sich für einen RA, der sich in einemberufsrechtlichen Verfahren selbst vertritt und obsiegt, keinAnspruch auf Erstattung von Gebühren und Auslagen.

* 2. Es besteht kein zureichender Grund, die Vorschrift des § 91Abs. 2 Satz 4 ZPO in den sog. Streitsachen der Freiwilligen Ge-richtsbarkeit analog anzuwenden.

BGH, Beschl. v. 17.10.2002 – AnwZ (B) 37/00

Aus den Gründen:

I. Mit Beschl. v. 2.4.2001 hat der Senat ausgesprochen, dass dieAgin. die Kosten des (in der Hauptsache erledigten) Verfahrenszu tragen und die dem Ast., der sich selbst vertreten hat, ent-standenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstat-ten hat.

Die Parteien sind verschiedener Meinung darüber, ob dem Ast.– entsprechend § 91 Abs. 2 Satz 4 ZPO – die Kosten eines An-walts in eigener Sache zu erstatten sind. Der AGH hat einen ent-sprechenden Antrag des Ast. durch Beschl. v. 23.8.2002 zurück-gewiesen.

Im Wege der Gegenvorstellung begehrt der Ast. die „Berichti-gung bzw. Ergänzung“ des Senatsbeschl. v. 2.4.2001 dahin, dassdie Agin. die dem Ast. entstandenen notwendigen außerge-richtlichen Auslagen „einschließlich der Kosten eines Anwalts ineigener Sache“ zu erstatten hat.

II. Der Senatsbeschl. v. 2.4.2001 ist in formelle und materielleRechtskraft erwachsen. Er kann daher auch auf Gegenvorstel-lung hin nicht abgeändert werden (vgl. BGH, Beschl. v.11.12.1995 – AnwZ [B] 15/94, n.v.; Feuerich/Braun, BRAO,5. Aufl., § 42 Rdnr. 18). Auf eine Abänderung liefe es aber hin-aus, wenn dem Ast. nicht nur die Erstattung der ihm entstande-nen notwendigen außergerichtlichen Auslagen, sondern auchder gesetzlichen Gebühren eines RA zugebilligt würde. Da sichder Ast. vor dem AGH und dem BGH selbst vertreten hat, sindihm entsprechende Auslagen nicht entstanden.

Im Übrigen hat ein RA, der sich in einem berufsrechtlichen Ver-fahren selbst vertritt und obsiegt, keinen Anspruch auf Erstattungvon Gebühren und Auslagen nach der BRAO. Es besteht keinzureichender Grund, die Vorschrift des § 91 Abs. 2 Satz 4 ZPOin den sog. Streitsachen der Freiwilligen Gerichtsbarkeit analoganzuwenden. In diesem Bereich knüpft die Kostenerstattungs-pflicht nicht ohne weiteres an das Obsiegen und Unterliegen ei-nes Beteiligten an; sie hängt vielmehr davon ab, ob die Anord-nung der Kostenerstattung der Billigkeit entspricht (vgl. zu § 111BNotO: OLG Köln, MDR 1991, 547 f.; ferner Zimmermann, inKeidel/Kuntze/Winkler, FGG, 14. Aufl., § 13a Rdnr. 52 mitFn. 200).

Eine Umdeutung der Gegenvorstellung in ein Rechtsmittel ge-gen den Beschl. des AGH v. 23.8.2002 kommt nicht in Betracht,weil das Rechtsmittel nicht statthaft wäre (vgl. § 203 Abs. 2BRAGO).

Entgegen der Ansicht des Ast. bestehen gegen die Vorschrift des§ 203 BRAGO keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

Kosten – zur Frage der Erstattungsfähigkeit der Kosteneines Unterbevollmächtigten; ZPO § 91 Abs. 1, 2

* 1. Kosten eines Unterbevollmächtigten, der für den amWohnort der Partei ansässigen RA Termine beim Prozessgerichtwahrnimmt, sind erstattungsfähig, soweit die durch die Tätig-keit des Unterbevollmächtigten entstandenen Kosten die an-sonsten angefallenen Reisekosten des Hauptbevollmächtigtennicht wesentlich übersteigen.

* 2. Die Zuziehung eines in der Nähe ihres Wohn- oder Ge-schäftsortes ansässigen RA durch eine an einem auswärtigenGericht klagende oder verklagte Partei stellt im Regelfall eineMaßnahme zweckentsprechender Rechtsverfolgung oderRechtsverteidigung i.S.d. § 91 Abs. 2 Satz 1, zweiter HalbsatzZPO dar.

* 3. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz kann dann eingrei-fen, wenn schon im Zeitpunkt der Beauftragung des RA fest-steht, dass ein eingehendes Mandantengespräch für die Pro-zessführung nicht erforderlich sein wird. Dies ist jedoch nicht

schon dann anzunehmen, wenn es sich um einen einfach ge-lagerten Rechtsstreit handelt, der keinen umfangreichen Tat-sachenvortrag erfordert.

BGH, Beschl. v. 16.10.2002 – VIII ZB 30/02

Volltext unter www.brak.de

Fachanwalt – zum Erwerb besonderer theoretischerKenntnisse und praktischer Erfahrungen; BRAO § 43c;FAO § 7 (a.F.)

Der zum Erwerb einer Fachanwaltsbezeichnung erforderlicheNachweis besonderer theoretischer Kenntnisse und praktischerErfahrungen im Fachgebiet nach §§ 4 bis 6 FAO ist weitgehendformalisiert. Dem Fachausschuss, der die Entscheidung derRAK vorbereitet, steht nicht das Recht zu, die fachliche Quali-fikation eines Bewerbers, der die den Anforderungen nach §§ 4bis 6 FAO entsprechenden Unterlagen vorgelegt hat, anhandder bestandenen Lehrgangsklausuren und vorgelegten Arbeits-proben materiell zu überprüfen und dabei aufgetretene Zwei-fel an der fachlichen Qualifikation zum Anlass für ein Fachge-spräch (§ 7 FAO a.F.) zu nehmen.

BGH, Beschl. v. 23.9.2002 – AnwZ (B) 40/01

Aus den Gründen:

I. Die am 26.3.1993 zur Rechtsanwaltschaft zugelassene Astin.besuchte in den Jahren 1994 und 1995 bei der Deutschen An-waltsakademie (DAA) einen „Fachlehrgang Familienrecht“, indem sie drei Klausuren bestand. Am 4.9.1997 beantragtedie Astin. die Verleihung der Fachanwaltsbezeichnung für dasFamilienrecht. Der bei der Agin. gebildete Fachausschuss Fami-lienrecht verlangte Arbeitsproben, welche von der Astin. vorge-legt und vom Ausschuss geprüft wurden. Der Ausschuss teilteder Astin. mit Schreiben v. 8.3.1999 mit, dass er den Nachweisder besonderen theoretischen Kenntnisse in den Bereichen Ehe-gattenunterhalt, Zugewinnausgleich und Versorgungsausgleichnicht als geführt ansehe, und lud die Astin. zu einem Fachge-spräch. Dies lehnte die Astin. ab.

Auf Empfehlung des Ausschusses wies die Agin. den Antrag mitBescheid v. 27.4.2000 zurück. Zur Begründung führte die Agin.aus, aufgrund der – im Bescheid näher dargelegten – „Mangel-haftigkeit“ der von der Astin. im Rahmen des Fachanwaltslehr-gangs erstellten Klausuren und der von ihr vorgelegten Arbeits-proben könne der Nachweis der besonderen theoretischenKenntnisse und der besonderen praktischen Erfahrungen nichtals erbracht gelten. Da sich die Astin. geweigert habe, an demvom Ausschuss anberaumten Fachgespräch teilzunehmen,könne ihr die Fachanwaltsbezeichnung für das Familienrechtnicht verliehen werden.

Der AGH hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurück-gewiesen. Dagegen richtet sich die – zugelassene – sofortige Be-schwerde der Astin.

Das Rechtsmittel ist zulässig (§ 223 Abs. 3 Satz 1, Abs. 4, § 42Abs. 4 BRAO) und hat auch in der Sache Erfolg. Die Agin. hatder Astin. die Befugnis, die Fachanwaltsbezeichnung für Famili-enrecht zu führen, zu Unrecht versagt. Die Astin. hat nachge-wiesen, dass sie über die in § 43c Abs. 1 Satz 1 BRAO i.V.m.§§ 1, 2 Abs. 1 FAO geforderten besonderen theoretischen Kennt-nisse und praktischen Erfahrungen im Familienrecht verfügt,ohne dass es hierfür eines Fachgesprächs nach § 7 Abs. 1 FAObedurfte.

1. Zutreffend haben die Agin. und der AGH das Begehren derAstin. nach den Bestimmungen der FAO beurteilt, die die vonder BRAK eingerichtete Satzungsversammlung (§ 191a Abs. 1BRAO) aufgrund der ihr in § 59b Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 BRAO ver-

BRAK-Mitt. 1/2003 Berufsrechtliche Rechtsprechung 25

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechung

liehenen Satzungskompetenz beschlossen hat und die am11.3.1997 in Kraft getreten ist (Senatsbeschl. v. 21.6.1999 –Anwz (B) 85/98, NJW 1999, 2678 unter II 1 a). Denn die Astin.hat ihren Antrag nach dem In-Kraft-Treten der FAO gestellt. DieBestimmungen des Gesetzes über Fachanwaltsbezeichnungennach der Bundesrechtsanwaltsordnung (RAFachBezG) v.27.2.1992 (BGBl. I, 369), die bis zu einer Regelung durch diegenannte Berufssatzung weiterhin anzuwenden waren (Art. 21Abs. 11 des Gesetzes zur Neuordnung des Berufsrechts derRechtsanwälte und der Patentanwälte v. 2.9.1994, BGBl. I,2278), sind deshalb für den Antrag nicht mehr maßgebend.

2. § 1 FAO lässt – über die in § 43c Abs. 1 Satz 2 BRAO gesetz-lich zugelassenen Fachanwaltsbezeichnungen hinaus – die Ver-leihung der Fachanwaltsbezeichnung für das Familienrecht zu.Diese satzungsmäßige Erweiterung der Fachanwaltsbezeich-nungen ist aufgrund der gesetzlichen Ermächtigung in § 59bAbs. 2 Nr. 2a BRAO zulässig.

3. Die materiellen Voraussetzungen für die Verleihung einerFachanwaltsbezeichnung sind in §§ 2 bis 14 FAO im Rahmender auch insoweit verliehenen Satzungskompetenz (§ 59bAbs. 2 Nr. 2b BRAO) in Anlehnung an die aufgehobenen Be-stimmungen des RAFachBezG geregelt worden. §§ 4 bis 6 FAObestimmen im Einzelnen, auf welche Weise besondere theore-tische Kenntnisse und praktische Erfahrungen in einem Fachge-biet zu erwerben und nachzuweisen sind. Diese Voraussetzun-gen hat die Astin. erfüllt.

a) Die Astin. hat durch die von ihr vorgelegten Unterlagen denNachweis des Erwerbs besonderer theoretischer Kenntnisse imFamilienrecht erbracht. Sie hat durch die Zeugnisse der DAA v.4.4.1996 – das „Zertifikat Fachlehrgang Familienrecht“ und das„Klausurenzertifikat Fachlehrgang Familienrecht“ – i.V.m. derergänzenden Bescheinigung der DAA v. 13.9.2002 die erfolg-reiche Teilnahme an einem Lehrgang i.S.d. § 4 Abs. 1 FAO be-legt und die in § 6 Abs. 2 FAO (in der seit 1.9.1999 geändertenFassung dieser Vorschrift) dafür im Einzelnen umschriebenenAnforderungen an die vorzulegenden Nachweise erfüllt. Insbe-sondere hat die Astin. auch nachgewiesen, dass sie sich in demLehrgang mindestens drei schriftlichen Leistungskontrollen er-folgreich unterzogen hat (§ 6 Abs. 2c FAO). Drei Aufsichtsarbei-ten der Astin. wurden trotz vorhandener Mängel, auf die in denSchlussbeurteilungen zweier Klausuren hingewiesen wurde, alsbestanden bewertet. Dies wird von der Agin. nicht in Zweifel ge-zogen.

b) Ebenso hat die Astin. die zum Nachweis der besonderen prak-tischen Erfahrungen geforderten Falllisten mit den nach § 6Abs. 3 FAO erforderlichen Angaben vorgelegt, aus denen sichergibt, dass die Astin., wie es § 5 FAO verlangt, innerhalb derletzten drei Jahre vor der Antragstellung 120 Fälle im Familien-recht – davon die Hälfte gerichtliche Verfahren – als RAin selbst-ständig bearbeitet hat. Auch dies ist nicht mehr Gegenstand dergerichtlichen Auseinandersetzung.

4. Zu Unrecht hält die Agin. gleichwohl den Nachweis der be-sonderen theoretischen Kenntnisse und praktischen Erfahrungender Astin. im Familienrecht nicht für erbracht. Die Agin. stellt al-lerdings weder die fachliche Qualifikation des Lehrgangsveran-stalters und der Dozenten noch die inhaltliche Ausgestaltungdes Lehrgangs und der Klausuraufgaben in Frage und machtauch nicht geltend, dass die Klausurbewertungen unsachgemäßund nicht vertretbar seien. Im vorliegenden Fall ist deshalb nichtzu beurteilen, inwieweit die Agin. berechtigt wäre, vorgelegteNachweise unter diesen Gesichtspunkten in Zweifel zu ziehen.

Sie macht stattdessen geltend, eine dem Ausschuss obliegendefachliche Beurteilung sowohl der bestandenen Lehrgangsklau-suren als auch der von der Astin. vorgelegten Arbeitsprobenhabe Zweifel an einer besonderen Qualifikation der Astin. im

Familienrecht hervorgerufen und deshalb die Ladung zu einemFachgespräch (§ 7 Abs. 1 FAO) gerechtfertigt. Dem kann nichtgefolgt werden. Die Astin. hatte den Nachweis besonderer theo-retischer Kenntnisse und praktischer Erfahrungen im Familien-recht bereits durch die vorgelegten schriftlichen Unterlagen er-bracht.

Für die Anordnung eines Fachge-sprächs bestand deshalb keineVeranlassung (Senatsbeschl. v.19.6.2000 – AnwZ [B] 59/99,NJW 2000, 3648 unter II 2 d zu

§ 7 Abs. 1 FAO; vgl. auch BGHZ 142, 97, 99 zu § 10 RAFach-BezG).

a) Die nach § 43c Abs. 1 und 2 BRAO i.V.m. den Bestimmun-gen der FAO von der RAK zu treffende Beurteilung, ob die vomBewerber vorgelegten schriftlichen Unterlagen die gesetzlichgeforderten besonderen Kenntnisse und Erfahrungen in einemRechtsgebiet nachweisen, ist auch nach In-Kraft-Treten der FAOgrundsätzlich einer uneingeschränkten gerichtlichen Überprü-fung zugänglich (Senatsbeschl. v. 19.6.2000 – AnwZ [B] 59/99,NJW 2000, 3648 unter II 2 im Anschluss an die frühere Se-natsrspr. zum RAFachBezG: BGHZ 142, 97, 99; Beschl. v.18.11.1996 – AnwZ [B] 29/96, NJW 1997, 1307 unter II 3 b).Grenzen sind der richterlichen Nachprüfung allerdings insoweitgezogen, als es um prüfungsspezifische Wertungen geht (BGHZ142, 97, 99; Senatsbeschl. v. 26.1.1998 – AnwZ [B] 55/97;BRAK-Mitt. 1998, 153 unter II 5). Dazu gehört die Beurteilungdes in einem Inhaltsprotokoll niedergelegten Fachgesprächs (Se-natsbeschl. v. 26.1.1998, a.a.O.). Auch mag es gerechtfertigtsein, die Entscheidung über die Anordnung eines Fachgesprächsnur einer beschränkten gerichtlichen Kontrolle zu unterwerfen,sofern diese ausnahmsweise – etwa für die Beurteilung außer-halb eines Lehrgangs erworbener theoretischer Kenntnisse (§ 4Abs. 3 FAO; früher § 8 Abs. 3 RAFachBezG) – eine umfassendeBewertung und Gewichtung der vom Bewerber vorgelegtenNachweise erfordert (BGHZ 142, 97, 99).

Der RAK und dem ihre Entscheidung vorbereitenden Fachaus-schuss steht damit – auch nach Ablösung des Gesetzes überFachanwaltsbezeichnungen durch die FAO – in der Regel keinder richterlichen Nachprüfung entzogener, persönlicher Beur-teilungsspielraum für die Beantwortung der Frage zu, ob dievom Bewerber vorgelegten schriftlichen Unterlagen ausreichen,die Verleihung der Fachanwaltsbezeichnung zu befürworten,oder ob zuvor ein Fachgespräch anberaumt werden muss. § 43cBRAO enthält keine Ermächtigung zu einer nicht vollständigkontrollierbaren Abwägung (Senatsbeschl. v. 18.11.1996,a.a.O. unter II 3 b). Die Entscheidung über den Antrag auf Ertei-lung der Erlaubnis (§ 43c Abs. 2 BRAO) ist vielmehr in vollemUmfang rechtlich gebunden. Darin, dass die Kammer die Be-fugnis zur Führung einer Fachanwaltsbezeichnung verleihenkann (§ 43c Abs. 1 Satz 1 BRAO), liegt nur eine Aussage überdie ihr vom Gesetzgeber verliehene Rechtsmacht.

Einen eigenen Ermessens- oderBeurteilungsspielraum hat siedamit – von den o.g. Ausnah-men abgesehen – nicht erhalten(Senatsbeschl. v. 18.11.1996,a.a.O. unter II 3 b aa). Vielmehrhat jeder Anwalt, der – wie in § 43c BRAO gefordert – beson-dere Kenntnisse und Erfahrungen in einem Rechtsgebiet erwor-ben hat und dies in der dafür in §§ 4 bis 6 FAO vorgesehenenForm nachweist, einen Anspruch darauf, dass ihm die Erlaubniserteilt wird, die entsprechende Fachanwaltsbezeichnung zuführen (vgl. Senatsbeschl. v. 18.11.1996, a.a.O.).

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Ermächtigungs-grundlage in § 59b Abs. 2 Nr. 2b BRAO, auf der die FAO beruht.

26 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 1/2003

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechung

Keine Veranlassungfür Anordnung eines

Fachgesprächs

Kein eigenerErmessens- und

Beurteilungsspielraumfür RAK

§ 59b Abs. 2 Nr. 2 BRAO ermächtigt nur zur Konkretisierung derin § 43c BRAO umschriebenen Voraussetzungen für die Verlei-hung einer Fachanwaltsbezeichnung. Die FAO enthält als Sat-zung – ebenso wie das frühere Gesetz über Fachanwaltsbe-zeichnungen – nur Ausführungsbestimmungen zu § 43c BRAOund könnte dem Fachausschuss und der RAK deshalb keine wei-tergehenden Befugnisse verleihen, als ihnen nach § 43c BRAOzustehen.

b) Der Argumentation der Agin., der Ausschuss sei zur Sicherungeines qualifizierten beruflichen Standards für die Fachanwalt-schaft berechtigt und verpflichtet, die Rechtskenntnisse des Be-werbers anhand der vorgelegten Lehrgangsklausuren und Ar-beitsproben persönlich zu beurteilen und dabei erkannte Defi-zite zum Anlass für ein Fachgespräch zu nehmen, vermag derSenat nicht zu folgen. Ein so weitgehendes materielles Prü-fungsrecht hinsichtlich der fachlichen Qualität der vorgelegtenKlausuren und Arbeitsproben, wie es die Agin. für den Aus-schuss beansprucht, ist weder § 43c Abs. 2 BRAO noch den Be-stimmungen der FAO selbst zu entnehmen. Die dem Fachaus-schuss obliegende Prüfung der theoretischen Kenntnisse undpraktischen Erfahrungen anhand der vorzulegenden Nachweise(§ 43c Abs. 2 BRAO) ist vielmehr weitgehend formalisiert undlässt dem Fachausschuss keinen Raum für eine eigenständigeBeurteilung der fachlichen Qualifikation eines Bewerbers, derdie in §§ 4 bis 6 FAO geforderten Nachweise erbracht hat. Ins-besondere steht es dem Fachausschuss nicht zu, die durch eineerfolgreiche Lehrgangsteilnahme nachgewiesenen besonderentheoretischen Kenntnisse des Bewerbers anhand der bestande-nen Lehrgangsklausuren und der vorgelegten Arbeitsproben zuüberprüfen und in Zweifel zu ziehen.

aa) § 43c Abs. 2 BRAO spricht zwar davon, dass ein Ausschussder Kammer die von dem RA vorzulegenden Nachweise überden Erwerb der besonderen Kenntnisse und Erfahrungen „ge-prüft“ hat, lässt aber den konkreten Inhalt der vorzulegendenNachweise und damit auch den Gegenstand der Prüfung durchden Ausschuss offen.

bb) Nach §§ 4 bis 6 FAO kann der RA die gesetzlich geforder-ten besonderen Kenntnisse und Erfahrungen in einem Rechtsge-biet weiterhin in der Regel bereits durch Vorlage schriftlicherUnterlagen nachweisen, wie es § 43c Abs. 2 BRAO vorsieht.

Die Voraussetzungen für den Erwerb der besonderen theoreti-schen Kenntnisse und praktischen Erfahrungen sind in §§ 4 und5 FAO in Anlehnung an die früheren Bestimmungen in §§ 8 und9 RAFachBezG geregelt und insoweit formalisiert, als für den Er-werb besonderer theoretischer Kenntnisse eine erfolgreicheLehrgangsteilnahme (§ 4 Abs. 1 FAO) und für den Erwerb be-sonderer praktischer Erfahrungen eine quantitativ bestimmteAnzahl selbständiger Fallbearbeitungen (§ 5 FAO) in der Regelerforderlich, aber auch ausreichend ist (Senatsbeschl. v.13.3.2000 – AnwZ [B] 25/99, NJW 2000, 1645 zu § 5 FAO). Indieser Formalisierung kommt – nicht anders als früher in denentsprechenden Bestimmungen des Gesetzes über Fachan-waltsbezeichnungen – zum Ausdruck, dass nicht eine individu-elle ausgerichtete, dem Ausschuss obliegende Ermittlung desWissens und der praktischen Fähigkeiten des einzelnen Bewer-bers im Vordergrund steht (vgl. Senatsbeschl. v. 18.11.1996,a.a.O. unter II 3 b aa zum RAFachBezG), sondern dass ein recht-lich durchsetzbarer Anspruch auf die Verleihung der Fachan-waltsbezeichnung – ohne vorheriges Fachgespräch – besteht,wenn die in §§ 4 und 5 FAO genannten Voraussetzungen durchschriftliche Unterlagen nachgewiesen sind (vgl. BGHZ 142, 97,102 zu §§ 8, 9 RAFachBezG m.N.; ebenso zu § 4 FAO: Senats-beschl. v. 19.6.2000, a.a.O. unter II 2 d).

Die FAO hat insoweit keine Rechtsänderung gegenüber den Vor-schriften des RAFachBezG gebracht. Eine ausdrückliche Be-

stimmung, dass die Agin. etwa auch dann, wenn die Vorausset-zungen nach § 4 Abs. 1 und § 5 FAO durch die in § 6 FAO ge-forderten Unterlagen nachgewiesen sind, noch berechtigt undverpflichtet wäre, die – als bestanden bewerteten – Klausurleis-tungen auf Mängel hin zu untersuchen und die in der erforder-lichen Anzahl nachgewiesenen Fallbearbeitungen anhand vonArbeitsproben auf ihre fachliche Qualität hin zu überprüfen,enthält die FAO nicht.

Ein dahin gehendes fachliches Prüfungsrecht der Agin. ist auchnicht mittelbar daraus abzuleiten, dass der Bewerber nunmehr– anders als nach §§ 8, 9 RAFachBezG – alle Aufsichtsarbeitenund ihre Bewertungen dem Antrag beizufügen (§ 6 Abs. 2cSatz 4 FAO) und auf Verlangen des Fachausschusses anonymi-sierte Arbeitsproben vorzulegen hat (§ 6 Abs. 3 Satz 2 FAO).Diese Bestimmungen dienen – wie die Vorschrift des § 6 FAOinsgesamt – nur dem Nachweis der in § 4 Abs. 1 und § 5 FAOfür den Erwerb besonderer Kenntnisse und Erfahrungen gere-gelten Voraussetzungen, ermächtigen den Ausschuss aber nichtdazu, den Erwerb besonderer theoretischer Kenntnisse undpraktischer Erfahrungen trotz des dafür erbrachten – formali-sierten – Nachweises materiell zu überprüfen und in Frage zustellen.

Der Sinn der Bestimmung des § 6 Abs. 2c Satz 4 FAO liegt darin,dass der Ausschuss hinsichtlich der Aufsichtsarbeiten nachprüft,ob die Angaben in dem Zeugnis des Lehrgangsveranstalters überdie Gegenstandsbereiche und Bewertungen der Klausuren zu-treffend sind und den Anforderungen des § 6 Abs. 2c Satz 1 FAOi.V.m. §§ 8 bis 14 FAO entsprechen. Anhand der nach § 6 Abs. 3Satz 2 FAO vorzulegenden Arbeitsproben kann etwaigen Zwei-feln an den in den Falllisten enthaltenen Angaben des Bewer-bers zu den einzelnen Fällen und deren selbständiger Bearbei-tung durch ihn nachgegangen werden. Nicht dagegen ist ausdiesen beiden Bestimmungen herzuleiten, dass dem Bewerberauch dann, wenn er die Voraussetzungen der §§ 4 bis 6 FAO er-füllt, abweichend von der früheren Rechtslage ein Rechtsan-spruch auf die Verleihung der Fachanwaltsbezeichnung nochnicht zusteht, sondern dies darüber hinaus davon abhängen soll,ob der Fachausschuss sich anhand der vorgelegten Nachweiseauch persönlich von einer besonderen fachlichen Qualifikationdes Bewerbers zu überzeugen vermochte.

Ein solches zusätzliches Erforder-nis für die Verleihung der Fach-anwaltsbezeichnung über dieVoraussetzungen nach §§ 4 bis 6FAO hinaus ergibt sich auch

nicht aus § 7 Abs. 1 FAO. Wenn dort davon die Rede ist, dassder Ausschuss zum Fachgespräch lädt, wenn er seine Stellung-nahme gegenüber dem Vorstand nach dem „Gesamteindruckder vorgelegten Zeugnisse und schriftlichen Unterlagen nichtabgeben“ kann, so hat dies nur Bedeutung für die Fälle, in de-nen die Voraussetzungen nach §§ 4 bis 6 FAO nicht bereitsdurch die schriftlichen Unterlagen nachgewiesen sind, derNachweis besonderer theoretischer Kenntnisse und praktischerErfahrungen im Rahmen eines Fachgesprächs aber noch aus-sichtsreich erscheint (vgl. Senatsbeschl. v. 18.11.1996, a.a.O.unter II 3 c a.E. zu § 10 RAFachBezG).

Sind die besonderen theoretischen Kenntnisse und praktischenErfahrungen im Fachgebiet dagegen nach Maßgabe der §§ 4bis 6 FAO – wie hier – bereits durch die schriftlichen Unter-lagen nachgewiesen, dann kann (und muss) der Ausschussseine (befürwortende) Stellungnahme zu dem Antrag gegen-über dem Vorstand der RAK auch nach der Regelung des § 7Abs. 1 FAO abgeben, ohne Veranlassung zu haben, ein Fach-gespräch anzuordnen (Senatsbeschl. v. 19.6.2000, a.a.O. unterII 2 d).

BRAK-Mitt. 1/2003 Berufsrechtliche Rechtsprechung 27

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechung

Keine Rechtsgrund-lage durch § 7 Abs. 1

FAO (a.F.)

Da es somit an einem rechtfertigenden Grund für die Ladung derAstin. zum Fachgespräch fehlte, hätte die Agin. der Astin. dieFachanwaltsbezeichnung für das Familienrecht schon aufgrundder von ihr vorgelegten, für den Nachweis besonderer Kennt-nisse und Erfahrungen nach §§ 4 bis 6 FAO ausreichendenschriftlichen Unterlagen verleihen müssen.

Die Agin. hat nichts vorgetragen, was aus einem anderen Grundeine weitere Sachaufklärung erforderlich machen könnte. Sol-che Umstände sind auch für den Senat nicht erkennbar. Daherist die Agin. zu verpflichten, dem Begehren der Astin. zu ent-sprechen.

Anmerkung

Der BGH hatte sich diesmal mit zwei Fragen zu befassen: Mitder – schon mehrfach verneinten – Frage, ob, wenn die for-malen Voraussetzungen der FAO erfüllt sind, gleichwohlaber Zweifel bleiben, noch ein Fachgespräch anberaumtwerden darf. Und mit der – in dieser Form neuen – vorgela-gerten Frage, ob Vorprüfungsausschuss und Kammervorstanddas Recht haben, die vom Ast. vorgelegten Unterlagen (alsoinsbesondere die Klausuren und Arbeitsproben) einer inhalt-lichen Qualitätskontrolle zu unterziehen.

Der Vorprüfungsausschuss (für Familienrecht) hatte die vonder Bfin. vorgelegten Klausuren (die mit „bestanden“, „nochbestanden“ und „mit äußersten Bedenken noch bestanden(–)“ bewertet worden waren) als mit erheblichen Fehlern be-haftet kritisiert. Auf weitere gravierende materiell-rechtlicheMängel stieß der Ausschuss bei Durchsicht der angeforder-ten Arbeitsproben. Insbesondere ein Merkblatt für schei-dungswillige Mandanten, das sich bei den Arbeitsprobenfand, enthielt falsche Rechtsausführungen. Der Ausschussnahm das zum Anlass, die Bfin. zum Fachgespräch zu laden,was diese jedoch ablehnte. Nach Anforderung weiterer Ar-beitsproben, die sich ebenfalls als kritikwürdig erwiesen,lehnte der Kammervorstand schließlich den Antrag auf Ver-leihung der Fachanwaltsbezeichnung Familienrecht ab.

Der nordrhein-westfälische AGH bestätigte die Entscheidungder Kammer und sprach Vorprüfungsausschuss und Kam-mervorstand auch ein inhaltliches Prüfungsrecht zu. Eskönne keine Rede davon sein, so der AGH, dass der Aus-schuss und letztlich die Anwaltskammer bei dem äußerenVorliegen der Voraussetzungen der §§ 4 bis 6 FAO auf eineformale Kontrolle beschränkt seien. Dies sei nicht der Fall,wie das Gebot, Arbeitsproben zu verlangen und zu überprü-fen, zeige. Bei Arbeitsproben mit erheblichen Fehlern – diessei der Sinn der Überprüfung – müsse auch die Zurückwei-sung des Antrags bei Verweigern des Fachgesprächs möglichsein.

Der gegenläufige Beschluss des BGH ist vor dem Hinter-grund früherer Entscheidungen (Beschl. v. 18.11.1996, NJW1997, 1307 ff. = BRAK-Mitt. 1997, 128 ff. = AnwBl. 1997,223 f.; Beschl. v. 21.6.1999, NJW 1999, 2677 f. = BRAK-Mitt. 1999, 271 f. = MDR 1999, 1227 ff.), in denen festge-stellt wurde, dass den RAKn bei der Entscheidung über Fach-anwaltsanträge kein eigener Ermessens- oder Beurteilungs-spielraum zustehe, das Verfahren zur Feststellung der vondem Bewerber nachzuweisenden Kenntnisse und Erfahrun-gen vielmehr in hohem Maße formalisiert sei, eigentlichkeine Überraschung. Dennoch hätte der vorliegende Fall An-lass zu differenzierterer Betrachtung geboten. Es ging hiernicht um einen Streit darüber, ob die rein formalen Anforde-rungen der Fachanwaltsordnung erfüllt seien, also z.B. diezum Nachweis der besonderen praktischen Erfahrungen er-

forderliche Fallzahl im Fachgebiet nachgewiesen wurde.Vielmehr ging es darum, dass (die Klausuren und insbeson-dere) die vorgelegten Arbeitsproben an so gravierenden, aufden ersten Blick erkennbaren qualitativen Mängeln litten,dass Ausschuss und Vorstand glaubten, es nicht verantwortenzu können, die beantragte Fachanwaltsbezeichnung zu ver-leihen, ohne zuvor wenigstens noch eine Überprüfung durchein Fachgespräch vorgenommen zu haben.

Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang aufdrängt, isteine für den Stellenwert der Fachanwaltschaften essenzielle:Darf bzw. muss der Kammervorstand sehenden Auges eineFachanwaltsbezeichnung verleihen, obwohl die von demBewerber vorgelegten Unterlagen erhebliche und auch ob-jektiv feststellbare Qualitätsmängel aufweisen? Um hier kei-nen falschen Eindruck entstehen zu lassen: Es soll keinerkleinlichen Krittelei und keinem spitzfedrigen Durchforstenvon Klausuren und Arbeitsproben auf eventuelle Mängel dasWort geredet werden. Wenn aber die Fachanwaltsbezeich-nungen als Qualitätsmerkmale mit hohem Werbewert Be-stand haben sollen, muss es möglich sein, in Extremfällen, indenen sich gravierende materiell-rechtliche Mängel den Prü-fungsgremien geradezu aufdrängen, auch negativ zu ent-scheiden. Andernfalls würde nicht nur das Institut der Fach-anwaltschaften ad absurdum geführt, sondern auch einer Ir-reführung des rechtsuchenden Publikums Vorschub geleistet.Pikanterweise formuliert der BGH, der Senat vermöge der Ar-gumentation der Kammer, wonach der Ausschuss zur Siche-rung eines qualifizierten beruflichen Standards für die Fach-anwaltschaft berechtigt und verpflichtet sei, die Rechts-kenntnisse des Bewerbers anhand der vorgelegtenLehrgangsklausuren und Arbeitsproben persönlich zu beur-teilen und dabei erkannte Defizite zum Anlass für ein Fach-gespräch zu nehmen, nicht zu folgen. Dabei mutet es selt-sam an, dass zwar die privatwirtschaftlichen Veranstalter vonFachanwalts-Lehrgängen, die ja Klausuren stellen und be-werten müssen, nicht aber die öffentlich-rechtlichen Körper-schaften, also die Anwaltskammern, die die Verleihung derFachanwaltsbezeichnungen vornehmen, ein materielles Prü-fungsrecht haben (sollen).

Anhaltspunkte dafür, dass auch die Vorprüfungsausschüsseund Kammervorstände zu inhaltlichen Qualitätskontrollenberechtigt sind, finden sich sowohl in der Bundesrechtsan-waltsordnung als auch in der Fachanwaltsordnung. So heißtes in § 43c Abs. 2 BRAO, dass über den Antrag des RA aufErteilung der Erlaubnis der Vorstand der RAK entscheidet,nachdem ein Ausschuss der Kammer die von dem RA vorzu-legenden Nachweise über den Erwerb der besonderenKenntnisse und Erfahrungen „geprüft“ hat. „Prüfen“ bedeutetnach allgemeinem Sprachverständnis mehr als Sichten undZählen. Nach § 6 Abs. 2 Ziff. c Satz 4 FAO sind (außer Zeug-nissen, Bescheinigungen oder anderen geeigneten Unterla-gen) auch alle Aufsichtsarbeiten und ihre Bewertungen demAntrag beizufügen. Und § 6 Abs. 3 Satz 2 FAO sieht die Vor-lage (anonymisierter) Arbeitsproben vor. Wenn die Aus-schüsse und Kammervorstände nicht die Möglichkeit haben,die Unterlagen auch einer inhaltlichen Kontrolle zu unter-ziehen, machen ihre Vorlage und die Pflicht zur Vorlage nurbegrenzten Sinn.

Der BGH aber billigt Ausschüssen und Vorständen das Rechtzu umfassender Bewertung und Gewichtung, also tatsächli-cher Prüfung, der vom Bewerber vorgelegten Nachweise nurausnahmsweise zu, wenn es z.B. um die Beurteilung vonaußerhalb eines Lehrgangs erworbenen theoretischen Kennt-nissen gehe. Die in § 6 Abs. 2 Ziff. c Satz 4 und Abs. 3 Satz2 FAO normierten Vorlagepflichten dienen nach seiner Auf-

28 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 1/2003

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechung

fassung nur der Überprüfung, ob die Angaben in dem Zeug-nis des Lehrgangsveranstalters über die Gegenstandsberei-che und Bewertungen der Klausuren zutreffend sind und in-haltlich den Anforderungen der §§ 8 bis 14 FAO entsprechen,bzw. der Beseitigung oder Bestätigung von Zweifeln an denin den Falllisten enthaltenen Angaben des Bewerbers zu deneinzelnen Fällen und ihrer selbstständigen Bearbeitungdurch ihn. Zu einem großen Teil geht es also um nicht vielmehr als den Ausschluss von Täuschungsversuchen.

Auch der Argumentation, dass § 7 Abs. 1 Satz 1 FAO a.F. (wo-nach der Ausschuss zu einem Fachgespräch einlädt, wenn erseine Stellungnahme gegenüber dem Kammervorstand hin-sichtlich der besonderen theoretischen Kenntnisse oder derbesonderen praktischen Erfahrungen nach dem „Gesamtein-druck“ der vorgelegten Zeugnisse und schriftlichen Unterla-gen nicht abgeben kann) nur Sinn macht, wenn der Aus-schuss auch berechtigten qualitativen Zweifeln nachgehendarf, folgt der BGH nicht. Die Regelung habe vielmehr Be-deutung ausschließlich für die Fälle, in denen die Vorausset-zungen nach den §§ 4 bis 6 FAO nicht bereits durch dieschriftlichen Unterlagen nachgewiesen seien, der Nachweisbesonderer theoretischer Kenntnisse und praktischer Erfah-rungen im Rahmen eines Fachgesprächs aber noch aus-sichtsreich erscheine. Die Frage, ob ein in hohem Maße ob-jektiv fehlerhaft bearbeitetes Mandat (wir sprechen hier, wiegesagt, von extremen und eindeutigen Fällen) überhauptnoch als „Fall“ i.S. von § 5 FAO gewertet werden und damitzum Nachweis der besonderen praktischen Erfahrungen die-nen kann, stellt der BGH nicht. So wie er § 7 Abs. 1 Satz 1FAO a.F. versteht, kommt ein Fachgespräch nicht dort in Be-tracht, wo aufgrund des „Gesamteindrucks“ noch Zweifel ander Qualifikation des Bewerbers bestehen, sondern – abge-sehen vielleicht von im Hinblick auf § 4 Abs. 3 FAO zwei-felhaften Fällen – nur dort, wo die Anforderungen der Fach-anwaltsordnung eigentlich gar nicht erfüllt sind, man demBewerber aufgrund des insgesamt positiven „Eindrucks“ aberdennoch eine Chance geben will.

Diese Auslegung hat zumindest die Satzungsversammlungnicht gewollt, was sie durch die Einführung des nunmehr ob-ligatorischen Fachgesprächs in der seit dem 1.1.2003 gelten-den neuen Fassung von § 7 Abs. 1 Satz 1 FAO jetzt sehr deut-lich zum Ausdruck gebracht hat.

Es muss aber auch bezweifelt werden, ob der Gesetzgeber,der das frühere Gesetz über Fachanwaltsbezeichnungen vom27.2.1992 (BGBl. 1992 I S. 369 ff.) geschaffen hat und aufden der BGH immer wieder rekurriert, tatsächlich eine gänz-lich restriktive Handhabung gewollt hat. In der amtlichen Be-gründung zu § 10 Abs. 1 RAFachBezG (BT-Drucks. 12/1710,S. 8) heißt es, durch die Möglichkeit, in Zweifelsfällen einFachgespräch mit dem Ast. zu führen, werde gewährleistet,dass der Ausschuss seine gegenüber dem Vorstand der RAKabzugebende Stellungnahme auch dann auf einer sicherenGrundlage abgeben könne, wenn die vorgelegten schriftli-chen Unterlagen – insbesondere zum Nachweis der beson-deren theoretischen Kenntnisse – hierfür nicht ausreichten.Dies liest sich nicht so, als habe der Gesetzgeber ein Fach-gespräch nur in den Fällen zulassen wollen, in denen die for-malen Voraussetzungen des RAFachBezG eigentlich garnicht erfüllt waren. Andernfalls wäre die Verwendung der Be-griffe „Zweifelsfälle“ und „sichere Grundlage“ verfehlt.

Bemerkenswert und bedenkenswert ist, dass der BGH for-muliert, die Agin. stelle weder die fachliche Qualifikationdes Lehrgangsveranstalters und der Dozenten noch die in-haltliche Ausgestaltung des Lehrgangs und der Klausuraufga-

ben infrage und mache auch nicht geltend, dass die Klausur-bewertungen unsachgemäß und nicht vertretbar seien. Zwarlässt er offen, ob die RAK tatsächlich berechtigt wäre, vorge-legte Nachweise z.B. unter Gesichtspunkten einer unange-messenen (etwa zu leichten) Aufgabenstellung in den Klau-suren oder einer unsachgemäßen Klausurbewertung inZweifel zu ziehen, doch scheint er dies zumindest für nichtausgeschlossen zu halten. Hier wird es in geeigneten Fällenan den Ausschüssen bzw. Vorständen liegen, entsprechendzu argumentieren und nachvollziehbar vorzutragen.

Die praktische Relevanz der vorliegenden Entscheidung istaufgrund der Einführung des obligatorischen Fachgesprächs(§ 7 FAO n.F.) eher gering. Zwar soll sich nach dem Willender Satzungsversammlung an dem Regel-Ausnahme-Verhält-nis von Verzicht auf ein Fachgespräch und Durchführungeines Fachgesprächs letztlich nichts ändern, doch gibt dasobligatorische Fachgespräch den Vorprüfungsausschüssen –vorbehaltlich der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeitvon § 7 FAO n.F. – die Möglichkeit, allen (berechtigten)Zweifeln an der Qualifikation eines Fachanwaltsbewerbersnachzugehen. Soweit es um prüfungsspezifische Wertungengehe – wozu die Beurteilung des in einem Inhaltsprotokollniedergelegten Fachgesprächs gehöre – seien, so stellt derBGH nochmals ausdrücklich klar, der richterlichen Nach-prüfung Grenzen gezogen.

Rechtsanwältin Dr. Susanne Offermann-Burckart, Köln

Zulassungswiderruf – zur Bestimmtheit einer Verfü-gung im Zusammenhang mit einem ärztlichen Gut-achten; BRAO § 8a, 14, 15

Die an einen RA gerichtete Verfügung, das Gutachten des Di-rektors einer Nervenklinik oder eines der dort tätigenFachärzte über den Gesundheitszustand des Anwalts vorzule-gen, genügt den Bestimmtheitsanforderungen des § 8a Abs. 1Satz 1 BRAO nicht. Eine solche Verfügung löst die Vermu-tungswirkung des § 15 Satz 2 BRAO nicht aus und bietet daherkeine Grundlage für den Widerruf der Zulassung nach § 14Abs. 2 Nr. 3 BRAO. Dies gilt auch dann, wenn diese Verfügungbestandskräftig geworden ist.

BGH, Beschl. v. 23.9.2002 – AnwZ (B) 56/01

Aus den Gründen:

I. Der Ast., der bereits von 1974 bis 1976 zur Rechtsanwaltschaftzugelassen war, wurde 1982 erneut zur Rechtsanwaltschaft zu-gelassen. Seit dieser Zeit ist er beim AG und LG ... und seit 1985auch beim OLG ... als RA zugelassen.

Der Ast. äußerte sich, vermehrt nach 1998, in einer Vielzahl vonSchriftsätzen, insbesondere gegenüber den verfahrensbeteilig-ten Richtern, in grob unsachlicher und beleidigender Weise. ImZuge der daraufhin gegen den Ast. eingeleiteten Strafverfahrenwurde das Gutachten eines Psychologen eingeholt, der zu demErgebnis kam, dass bei dem Ast. eine Neurose bzw. eine Per-sönlichkeitsstörung (Rorschach) vorliege. Nachdem die Agin.von diesem Gutachten erfahren hatte, gab sie dem Ast. mit Be-scheid v. 10.8.2000 auf, ein Gutachten des Direktors oder einesder Fachärzte des Bezirkskrankenhauses ... über seinen Ge-sundheitszustand vorzulegen. Gegen diesen Bescheid stellte derAst. Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Diesen Antrag nahmder Ast. zurück, nachdem die Agin. sich bereit erklärt hatte, dassdie Begutachtung entweder durch den Institutsleiter des Institutsfür Neurologie und Psychiatrie der ...-Universität ... oder durchden Leiter des entsprechenden Instituts der Technischen Uni-

BRAK-Mitt. 1/2003 Berufsrechtliche Rechtsprechung 29

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechung

versität ... erfolgen solle. Daraufhin änderte die Agin. mit Be-scheid v. 13.2.2001 den Bescheid v. 10.8.2000 dahin ab, dassbis spätestens 5.5.2001 ein umfassendes Gutachten durch denDirektor oder einen der Fachärzte der Nervenklinik der ...-Uni-versität ... vorzulegen sei. Dieser Aufforderung kam der Ast.nicht nach.

Mit Bescheid v. 17.5.2001 hat die Agin. die Zulassung des Ast.zur Rechtsanwaltschaft gem. § 14 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 15 Satz 2,§ 8a Abs. 1 BRAO und zugleich wegen Vermögensverfalls nach§ 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO widerrufen sowie die sofortige Vollzie-hung der Widerrufsverfügung angeordnet. Den Antrag auf ge-richtliche Entscheidung und den Antrag auf Wiederherstellungder aufschiebenden Wirkung hat der AGH mit Beschl. v.25.6.2001 zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die sofortigeBeschwerde des Ast., auf dessen Antrag der Senat mit Beschl. v.4.2.2002 die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwer-de wiederhergestellt hat.

II. Das Rechtsmittel ist zulässig (§ 42 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 BRAO)und hat auch in der Sache Erfolg.

1. Der AGH hat offen gelassen, ob sich der Ast. im Zeitpunkt desErlasses der Widerrufsverfügung und danach in Vermögensver-fall befunden hat. Der AGH hat seine Entscheidung allein aufden Widerrufsgrund des § 14 Abs. 2 Nr. 3 BRAO gestützt. Da-bei hat er von einer eigenen Würdigung der bereits vorliegen-den Gutachten abgesehen, sondern sich – ebenso wie bereitsdie Agin. in dem angefochtenen Bescheid – auf die gesetzlicheVermutung des § 15 i.V.m. § 8a BRAO berufen. Entgegen derAuffassung der Agin. und des AGH vermag jedoch der Umstand,dass der Ast. bis heute der Anordnung, ein Gutachten vorzule-gen, nicht nachgekommen ist, vorliegend die gesetzliche Ver-mutung der nicht nur vorübergehenden Berufsunfähigkeit nichtzu begründen.

2. Nach § 15 Satz 1 i.V.m. § 8a Abs. 1 BRAO kann in einem Wi-derrufsverfahren nach § 14 Abs. 2 Nr. 3 BRAO die Widerrufs-behörde dem RA aufgeben, innerhalb einer von ihr zu bestim-menden angemessenen Frist das Gutachten eines von ihr be-stimmten Arztes über seinen Gesundheitszustand vorzulegen.Wird das Gutachten ohne zureichenden Grund nicht innerhalbder von der Behörde gesetzten Frist vorgelegt, so wird nach § 15Satz 2 BRAO vermutet, dass der RA aus einem Grund des § 14Abs. 2 Nr. 3 BRAO, der durch das Gutachten geklärt werdensoll, nicht nur vorübergehend unfähig ist, seinen Beruf ord-nungsgemäß auszuüben.

Nach § 8a Abs. 1 Satz 1 BRAO ist es allein Sache der zuständi-gen Behörde, den die Untersuchung vornehmenden Sachver-ständigen eigenverantwortlich zu bestimmen. Nur eine diesenAnforderungen genügende Verfügung ist geeignet, die gesetz-liche Vermutung einer nicht nur vorübergehenden Berufsun-fähigkeit zu rechtfertigen (Senatsbeschl. v. 13.4.1992 – AnwZ[B] 8/92 – BRAK-Mitt. 1992, 217). Dies ist bezüglich der Verfü-gung v. 13.2.2001, auf die es bei der rechtlichen Beurteilung al-lein ankommt, nicht der Fall.

a) Nachdem der Ast. gegen den Erstbescheid der Agin. v.10.8.2000 (Erstellung eines Gutachtens durch den Direktor odereinen der Fachärzte des Bezirkskrankenhauses ...) Antrag auf ge-richtliche Entscheidung gestellt hatte, einigten sich die Verfah-rensbeteiligten in der mündlichen Verhandlung vor dem AGHdahin, dass eine Begutachtung durch einen der Leiter der ...Fachkliniken erfolgen sollte. Daraufhin nahm der Ast. seinenAntrag zurück.

Daraus will die Agin. herleiten, dass aufgrund dieser Verfah-rensweise der ursprüngliche Bescheid mit der in der Verhand-lung vor dem AGH einvernehmlich vorgenommenen Modifika-tion bestandskräftig geworden sei. Ob dem im Ausgangspunktgefolgt werden könnte, erscheint schon zweifelhaft. Jedenfalls

wurde durch den weiteren Bescheid v. 13.2.2001, der – wie dieAgin. selbst nicht verkennt – über die im Termin vor dem AGHgetroffenen Abreden hinausgehend auch alle in der Nervenkli-nik der ...-Universität beschäftigten Fachärzte einschließt, dasweitere Widerrufsverfahren auf eine neue Rechtsgrundlage ge-stellt. Dies hat der AGH und zunächst – bis zum Erlass des Se-natsbeschl. v. 4.2.2002 – auch die Agin. so gesehen und konnteauch aus der Sicht des Adressaten dieses Bescheids nicht andersgesehen werden. Für die Beantwortung der Frage, ob die Ver-mutungswirkung des § 15 Satz 2 BRAO greift, ist demzufolge al-lein auf den Zweitbescheid der Agin. v. 13.2.2001 abzuleiten.Darauf, ob, wie die Agin. nunmehr argumentiert, der Erlass die-ses Bescheides eigentlich gar nicht mehr notwendig gewesenwäre, damit das Widerrufsverfahren seinen Fortgang nehmenkonnte, kommt es nicht an.

In diesem Zusammenhang ist weiter unerheblich, dass der Ast.von der Möglichkeit, gegen den Zweitbescheid v. 13.2.2001,der – wie ausgeführt – das Ergebnis der im Termin vor dem AGHerzielten Übereinkunft nicht zutreffend wiedergibt, erneut An-trag auf gerichtliche Entscheidung zu stellen, nicht Gebrauchgemacht hat. Ein inhaltlicher Mangel des Bescheids, der darinliegt, dass die Bestimmung des Sachverständigen unterlassenoder nicht konkret genug vorgenommen wird, ist unabhängigdavon zu beachten, ob der Bescheid Bestandskraft erlangt hatoder nicht (vgl. den Senatsbeschl. v. 13.4.1992, a.a.O., demebenfalls eine unangefochten gebliebene „Gutachten“-Verfü-gung zugrunde lag).

b) Durch den Bescheid der Agin. v. 13.2.2001 wurde dem Ast.aufgegeben, bis zum 5.5.2001 ein umfassendes, durch „den Di-rektor oder einen der Fachärzte“ der Nervenklinik der ...-Uni-versität ... zu erstellendes Gutachten vorzulegen. Nach dem ein-deutigen Wortlaut dieser Verfügung richtet sich der Gutachten-auftrag an jeden der angesprochenen Ärzte gleichermaßen. Eineeinschränkende Auslegung dahin, dass mit der Erstattung desGutachtens allein der Direktor der Klinik beauftragt und es die-sem lediglich gestattet sein soll, andere dort tätige Fachärzte alsHilfskräfte bei der Erstellung des Gutachtens heranzuziehen(vgl. BVerwG, NJW 1984, 2645, 2646; BGH, Urt. v. 8.1.1985 –VI ZR 15/83 – NJW 1985, 1399, 1400), ist angesichts des inso-weit eindeutigen Wortlauts der Verfügung nicht möglich.

Eine derartige Verfahrensweise,bei der der Sachverständige nichtals Einzelperson, sondern alsMitglied einer, wenn auch abge-grenzten – alle in der Nervenkli-nik tätigen Fachärzte – Gruppe ausgewählt wird, genügt nachder Rechtsauffassung des Senats, entgegen einer von Stimmenin Literatur und Rspr. (BayEGH, BRAK-Mitt. 1992, 221; Feue-rich/Braun, BRAO, 5. Aufl., § 8a Rdnr. 2) vertretenen Meinung,den Bestimmtheitsanforderungen des § 8a Abs. 1 Satz 1 BRAOnicht mehr.

Angesichts der weitreichenden Folge, die eine nicht fristge-rechte Vorlage des Gutachtens für die berufliche Existenz des RAhaben kann, muss für diesen hinreichende Klarheit darüber be-stehen, mit welchen sachverständigen Personen er sich ggf. aus-einander zu setzen hat und ob für ihn Anlass besteht, die fach-liche Kompetenz und persönliche Unabhängigkeit dieser Personzu überprüfen.

c) Die angefochtene Verfügung und der Beschl. des AGH sinddaher aufzuheben.

Der AGH hat sich nur mit dem Vorliegen der Widerrufsvoraus-setzungen des § 14 Abs. 2 Nr. 3 BRAO befasst. Zur Frage desVermögensverfalls, auf den die Widerrufsverfügung der Agin. v.17.5.2001 ebenfalls gestützt war, hat sich der AGH nichtgeäußert. Der Senat hält es daher für angezeigt, die Sache zur

30 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 1/2003

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechung

Bescheid genügt nichtden Bestimmtheits-

anforderungen

weiteren Abklärung des Widerrufsgrundes des § 14 Abs. 2 Nr. 7BRAO an den AGH zurückzuverweisen (vgl. Senatsbeschlüssev. 20.1.1995 – AnwZ [B] 16/94 – BRAK-Mitt. 1995, 162, 163; v.29.11.1993 – AnwZ [B] 47/93 – BRAK-Mitt. 1994, 40, 41).

Anwaltliche Werbung – Briefbogengestaltung einerüberörtlichen Anwaltssozietät; BRAO § 43b; BORA§§ 8, 10

Werden in der Kopfleiste des Briefbogens einer Anwaltskanzleiblickfangmäßig die Namen der Sozietätsmitglieder zusammenmit den Berufsbezeichnungen Rechtsanwälte, Steuerberaterund Patentanwalt herausgestellt, so wird damit zum Ausdruckgebracht, dass es sich um eine Kanzlei handelt, in der zumin-dest ein Sozietätsmitglied über die Zusatzqualifikation Steuer-berater und Patentanwalt verfügt. Weisen demgegenüber nurKooperationspartner der Kanzlei eine derartige Qualifikationauf, so wird die Gefahr einer Irreführung der angesprochenenVerkehrskreise über die berufliche Qualifikation der Sozietäts-mitglieder nicht dadurch ausgeräumt, dass die Berufsbezeich-nungen Steuerberater und Patentanwalt am rechten Rand desBriefkopfes durch Namensnennung der Kooperationspartnerunter Hinzufügung ihrer beruflichen Stellung erläutert wer-den.

BGH, Beschl. v. 23.9.2002 – AnwZ (B) 67/01

Aus den Gründen:

I. Die Ast. sind Mitglieder der überörtlichen Anwaltssozietät I. H. N. Z. mit Kanzleien in Hamburg und Rostock. Die Kanzleider Ast. befindet sich in Hamburg. Die Sozietät arbeitet mit demStB B. (Kanzleisitz in Hamburg) und dem Patentanwalt J. (Kanz-leisitz in Parchim) zusammen. Auf diese Zusammenarbeit weistdie Anwaltskanzlei auf den von ihr verwendeten Briefbögen mitfolgendem Briefkopf hin:

I. · H. · N. · Z.RECHTSANWÄLTE STEUERBERATER* PATENTANWALT*

HAMBURG · ROSTOCK

Hamburg RostockB. H. U. I.O. N.M. Z.

G. I.straßeHamburg RostockTelefon TelefonTelefax Telefax

GerichtsfacheMail:

*in KooperationG. B. R. J.Steuerberater Patentanwalt

M.straße B.alleeHamburg ParchimTelefon TelefonTelefax Telefax

Die Agin. hat dem Ast. zu 2 mit Schreiben v. 13.1.2000 mitge-teilt, dass die Gestaltung des Sozietätsbriefbogens unzulässigsei, weil hierdurch der unzutreffende Eindruck erweckt werde,zu den Mitgliedern der Sozietät gehörten auch StB und ein Pa-tentanwalt. Die Agin. hat dem Ast. zu 2 bis zum 4.2.2000 Ge-

legenheit zur Stellungnahme gegeben mit der Maßgabe, dassdann, wenn der Ast. zu 2 binnen dieser Frist erkläre, eine „irre-führungsfreie“ Gestaltung des Briefkopfes zu wählen, von derEinleitung eines Aufsichtsverfahrens Abstand genommen werde.

Dagegen haben die Ast. Antrag auf gerichtliche Entscheidunggestellt. Der AGH hat den Antrag zurückgewiesen. Hiergegenrichtet sich die zugelassene sofortige Beschwerde des Ast. zu 2.

II. Die sofortige Beschwerde des Ast. zu 2 ist nach § 223 Abs. 3BRAO statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt worden.

Der Ast. war auch zur Einleitung des gerichtlichen Verfahrensbefugt. Das Schreiben der Agin. v. 13.1.2000 ging über einebloße Belehrung (vgl. § 73 Abs. 2 Nr. 1 BRAO) hinaus. Dem Ast.zu 2 wurde für den Fall, dass innerhalb der gesetzten Frist nichteine den Beanstandungen der Agin. Rechnung tragende Ände-rung des Briefkopfes zugesagt wird, die Einleitung eines Auf-sichtsverfahrens (Rügeverfahren, Einleitung eines anwaltsge-richtlichen Verfahrens) angekündigt. Damit handelt es sich beidem angefochtenen Schreiben der Agin. um eine hoheitlicheMaßnahme, die geeignet war, die Ast. in ihren Rechten einzu-schränken (vgl. Senatsbeschlüsse v. 18.11.1996 – AnwZ [B]20/96, NJW-RR 1997, 759 und v. 17.12.2001 – AnwZ [B] 12/01,NJW 2002, 608 sowie Feuerich/Braun, BRAO, 5. Aufl., § 73Rdnr. 19 ff.).

III. Die Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Die Agin. hatzu Recht den vom Ast. zu 2 und den übrigen Sozietätsmitglie-dern verwendeten Briefkopf beanstandet.

In der Kopfzeile des Briefbogens sind die Namen der RAe auf-geführt, die Mitglieder der überörtlichen Sozietät sind. Die inder darunterliegenden Zeile neben der Berufsbezeichnung„Rechtsanwälte“ in derselben Drucktype aufgeführten Berufs-angaben „Steuerberater“ und „Patentanwalt“ treffen für keinender in der Kopfzeile genannten Kanzleimitglieder zu. Die Agin.und ihr folgend der AGH halten die von den Ast. gewählte Aus-gestaltung des Briefkopfes deshalb für unzulässig, weil er beimrechtsuchenden Publikum zu Fehlschlüssen über die wahrenBerufe der Anwaltssozietät und zu der unzutreffenden Annahmeführen könne, mindestens ein StB und ein Patentanwalt seienMitglieder der Anwaltssozietät. Dieser Bewertung folgt der Se-nat.

1. Die Gestaltung und Verwendung des Briefkopfes oder -bo-gens einer Anwaltskanzlei stellt ein werbendes Verhalten dar,das darauf abzielt, den Verkehr für die Inanspruchnahme vonLeistungen dieser Kanzlei zu gewinnen (vgl. BGH, Urt. v.17.4.1997 – I ZR 219/94, NJW 1997, 3236, 3237; Senatsbeschl.v. 12.2.2001 – AnwZ [B] 11/00, NJW 2001, 1573, 1574; AGHNordrhein-Westfalen, BRAK-Mitt. 2001, 92 f.). Als solches ist esBestandteil der Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG).Das ist bei der Anwendung und Auslegung der die anwaltlichenWerbemaßnahmen einschränkenden Bestimmungen der§§ 43b, 59b Abs. 2 Nr. 3 BRAO i.V.m. §§ 8 ff. BORA mit derMaßgabe zu berücksichtigen, dass in jedem Einzelfall nicht dieGestaltung der Anwaltswerbung, sondern deren Einschränkungeiner besonderen Rechtfertigung bedarf (vgl. BGHZ 147, 71,74 f.; Senatsbeschl. v. 17.12.2001, a.a.O., 609). § 43b BRAO,wonach der RA über seine berufliche Tätigkeit in Form und In-halt sachlich zu unterrichten hat, steht aber einer irreführendenWerbung entgegen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 17.4.2000 – 1 BvR721/99, NJW 2000, 3195).

2. Eine Gesamtbetrachtung desvon der Agin. beanstandetenBriefbogens ergibt, dass eine Irre-führung des rechtsuchenden Pu-blikums in rechtlich relevanter

Weise zu befürchten ist (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 25.4.1996 – IZR 106/94, NJW 1996, 2308).

BRAK-Mitt. 1/2003 Berufsrechtliche Rechtsprechung 31

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechung

Irreführung desRechtsuchendenzu befürchten

a) In der Kopfleiste des Briefbogens, die quer über die gesamteSeite gezogen ist, werden die Namen der Kanzleimitglieder zu-sammen mit den Berufsbezeichnungen Rechtsanwälte, Steuer-berater und Patentanwalt blickfangmäßig herausgestellt. Da dieunter den Namen der Kanzleimitglieder befindlichen Berufsbe-zeichnungen diesen Personen zugeordnet werden, enthält dieKopfleiste, für sich genommen, die eindeutige Aussage, dass dieAnwaltskanzlei durch ihre Sozien neben anwaltlichen Leistun-gen auch solche Leistungen anbietet und erbringt, die zu demTätigkeitsbereich eines StB oder Patentanwalts gehören, undzwar an den Kanzleisitzen Hamburg oder Rostock.

Dies ist aber unrichtig, weil nur die in einem bloßen Kooperati-onsverhältnis mit der Kanzlei stehenden Personen mit Kanzlei-sitz in Hamburg und Parchim die in der Kopfleiste genanntenQualifikationen als StB und Patentanwalt aufweisen.

Arbeiten RAe mit Angehörigen anderer Berufe wie StB und Pa-tentanwälten in Form einer auf Dauer angelegten und durchtatsächliche Ausübung verfestigten Kooperation zusammen,sind sie zwar berechtigt, hierauf unter Angabe der jeweiligenBerufsbezeichnungen auf den Briefbögen aufmerksam zu ma-chen (§§ 10 Abs. 2, 8 Satz 1 BORA). Dies darf jedoch nicht inder Weise geschehen, dass den Mitgliedern der Kanzlei beson-dere Befähigungen zugewiesen werden, die nur die Kooperati-onspartner aufweisen.

b) Die Aussage, die in der Kopfleiste des Briefbogens enthaltenist, wird nicht in ausreichender Weise durch die weitere Gestal-tung des Bogens richtiggestellt. Zwar sind die unter den Namender Sozietätsmitglieder angegebenen BerufsbezeichnungenSteuerberater und Patentanwalt mit einem Stern versehen. Diesist als Hinweis darauf zu verstehen, dass auf dem Briefbogenselbst noch weitere Erläuterungen zu diesen Berufsangaben er-teilt werden. Geht ein aufmerksamer und über die verschiede-nen Formen der beruflichen Zusammenarbeit von RAen unter-einander oder mit Angehörigen anderer Berufe hinreichend in-formierter Leser diesem Hinweis nach, so wird er allerdingsdurch den fettgedruckten und unterstrichenen Hinweis „inKooperation“ davon in Kenntnis gesetzt, dass insoweit nur derStB B. mit dem Sitz in Hamburg und der Patentanwalt J. mit Sitzin Parchim die entsprechende Qualifikation besitzen. Diesreicht aber nicht aus. Hinter der blickfangmäßig herausgestell-ten, den gesamten Bogen quer einnehmenden Kopfleiste tretendie unter einem durchgehenden Querstrich auf der rechtenHälfte des Bogens wiedergegebenen, in kleiner Schrift gehalte-nen Informationen zurück.

Aufgrund dessen werden sichvielfach jedenfalls diejenigen po-tentiellen Mandanten der Kanz-lei, denen nicht an der Zusam-menarbeit mit einem bestimmtenSozietätsmitglied gelegen ist und denen daher gleichgültig ist,welches der aufgeführten Kanzleimitglieder über welche spezi-elle Zusatzqualifikation verfügt, mit den Angaben in der Kopf-leiste begnügen. Aber auch für die übrigen Rechtsuchenden istdie Gefahr einer Irreführung nicht ausgeräumt. Denn für dienicht juristisch vorgebildeten Verkehrskreise ist der Begriff desKooperationspartners in seiner inhaltlichen Bedeutung nichtderart ausgeprägt, dass ihnen aufgrund der gegebenen Erklärunghinreichend deutlich vor Augen steht, es mit einer Anwalts-kanzlei zu tun zu haben, bei der kein einziges Mitglied die be-sonders herausgestellte Zusatzqualifikation StB und Patentan-walt aufweist.

Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass es den Ast. ohne weite-res möglich und zumutbar ist, durch eine andere Gestaltung desBriefbogens herauszustellen, dass sie sich die besonderenKenntnisse und Fähigkeiten der Kooperationspartner zunutze

machen können; dies kann in einer Weise geschehen, die ihrewerblichen Interessen unbeeinträchtigt lässt. Die in der Bean-standung der Agin. liegende Einschränkung der Berufsaus-übungsfreiheit der Ast. ist daher geringfügig, dass insbesondereauch von einer Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzesnicht gesprochen werden kann.

IV. Der Senat konnte über die Beschwerde ohne mündliche Ver-handlung entscheiden, da die Beteiligten ausdrücklich auf sieverzichtet haben (§ 42 Abs. 6 Satz 1 i.V.m. § 40 Abs. 2 Satz 2BRAO).

Zur Aufrechnung eines Rechtsanwalts gegen den An-spruch des Auftraggebers auf Herausgabe eines einge-zogenen Geldbetrags; BGB §§ 667, 675; BORA § 4

* 1. Der einem RA erteilte Einziehungsauftrag begründet nichtohne weiteres ein der Aufrechnung entgegenstehendes Treu-handverhältnis.

* 2. Grundsätzlich ist ein RA daher nicht gehindert, sich durchAufrechnung mit Honoraransprüchen aus nicht zweckgebun-denen Fremdgeldern zu befriedigen. Dies gilt selbst dann,wenn die Honoraransprüche nicht den Auftrag betreffen, derzu dem Geldeingang geführt hat.

* 3. Unabhängig vom Vorliegen eines Treuhandverhältnisseskönnen Sinn und Zweck eines Auftrags dem Beauftragten je-doch nach dem Grundsatz von Treu und Glauben verbieten, ge-gen den Anspruch auf Herausgabe des Erlangten mit Gegen-forderungen aufzurechnen, die ihren Grund nicht in dem Auf-trag und den damit verbundenen Aufwendungen haben.Insofern ist zu ermitteln, ob der besondere Inhalt des zwischenden Parteien begründeten Schuldverhältnisses, die Natur derRechtsbeziehungen oder der Zweck der geschuldeten Leistungeine Erfüllung im Wege der Aufrechnung als mit Treu und Glau-ben unvereinbar erscheinen lassen.

BGH, Urt. v. 12.9.2002 – IX ZR 66/01

Volltext unter www.brak.de

Fachanwalt – zum Erwerb der besonderen praktischenErfahrungen; FAO § 5 c)

* 1. Einem Ast. fehlt nicht schon deshalb genügend praktischeErfahrung auf dem Gebiet des Arbeitsrechts, weil er lediglichdrei Fälle des kollektiven Arbeitsrechts nachweisen kann.

* 2. Im Lichte der Grundrechte ist bei der Bewertung der vondem Bewerber vorgelegten Nachweise für den Erwerb der be-sonderen praktischen Erfahrungen auf seinem Fachgebiet einum so großzügigerer Maßstab anzulegen, je schwieriger es ist,solche praktischen Erfahrungen zu sammeln.

Bayerischer AGH, Beschl. v. 20.11.2002 – BayAGH I 19/01

Aus den Gründen:

I. Mit Schreiben v. 24.3.2000 beantragte der Ast. bei der Agin.die Verleihung der Bezeichnung „Fachanwalt für Arbeitsrecht“.Unter anderem reichte er dazu eine Fallliste von 80 gericht-lichen und 56 außergerichtlichen Fällen ein, wovon er 5 Fälledem kollektiven Arbeitsrecht zuordnete.

Mit Schreiben v. 30.11.2000 des gemeinsamen Prüfungsaus-schusses der Agin. wurde dem Ast. mitgeteilt, dass seine Doku-mentation der praktischen Erfahrungen hinsichtlich der Streu-ung der bearbeiteten Gebiete i.S.d. § 10 Nr. 1 FAO sehr knappund hinsichtlich der für in § 10 Nr. 2 FAO aufgeführten Gebietedes kollektiven Arbeitsrechts ungenügend sei, weil mindestens5 Fälle kollektiven Arbeitsrechts mit direkter Anwendung nach-

32 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 1/2003

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechung

Mandanten begnügensich i.d.R. mit Anga-ben in der Kopfleiste

zuweisen seien. Der Ast. müsste entweder eine Nachdokumen-tation beibringen oder das Angebot der Führung eines Fachge-sprächs akzeptieren.

In einer Stellungnahme bat der Ast., seine Falldokumentation imHinblick auf seine Ausführungen nochmals zu überprüfen. Da-raufhin wurde er mit Schreiben v. 19.3.2001 zum Fachgesprächvorgeladen. Nach Durchführung des Fachgespräches leitete dergemeinsame Prüfungsausschuss mit Schreiben v. 6.4.2001 dieAntragsakte an den Vorstand der Agin. zurück mit dem Hinweis,dass das Fachgespräch mit dem Ergebnis geendet habe, dass diepraktischen Erfahrungen des Ast. weit unter dem Durchschnittdessen liegen, was im Erfahrungsbereich des Fachanwalts sonstbeobachtet werden konnte.

Mit Bescheid v. 9.5.2001 wies der Vorstand der Agin. den An-trag auf Erteilung der Erlaubnis zur Führung der Bezeichnung„Fachanwalt für Arbeitsrecht“ zurück mit der Begründung, dassder Ast. den Nachweis der geforderten Befassung mit kollekti-vem Arbeitsrecht nicht geführt habe, da insoweit lediglich 3Fälle anerkannt werden könnten. Außerdem habe das Fachge-spräch ergeben, dass die praktischen Erfahrungen des Ast. weitunter dem Durchschnitt liegen würden. Eine vom Ast. nachge-reichte Dokumentation v. 10.4.2001 könne nicht mehr berück-sichtigt werden.

Gegen diesen Bescheid wandte sich der Ast. mit seinem am5.6.2001 eingegangenen Antrag v. 1.6.2001 auf gerichtlicheEntscheidung. Er begründete seinen Antrag damit, dass er aus-reichend viele Fälle aus dem Bereich des kollektiven Arbeits-rechts nachgewiesen habe und im Übrigen Fälle aus dem Indi-vidualarbeitsrecht genügen würden, sofern das kollektive Ar-beitsrecht einen wesentlichen Anteil an der argumentativenAuseinandersetzung habe.

Im Termin v. 30.1.2002 beantragten beide Parteien das Ruhendes Verfahrens.

Die Agin. hat mit Urkunde v. 15.6.2002 dem Ast. die Erlaubniszur Führung der Berufsbezeichnung „Fachanwalt für Arbeits-recht“ unter Aufhebung des Bescheids v. 9.5.2001 erteilt.

Hierauf erklärte der Ast. das gegenständliche Verfahren für erle-digt und beantragt, der Agin. die Kosten des Verfahrens ein-schließlich der Kosten der anwaltlichen Vertretung des Ast. auf-zuerlegen.

Die Agin. stimmt der Erledigungserklärung des Ast. zu und be-antragt, die Kosten des Verfahrens dem Ast. aufzuerlegen.

II. In entsprechender Anwendung der §§ 91a ZPO, 13a FGG wa-ren der Agin. die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, weil derAst. mit seinem Antrag voraussichtlich Erfolg gehabt hätte.

Nach Aktenlage wäre die Agin. auch ohne Eintritt des erledigtenEreignisses verpflichtet gewesen, dem Ast. die Erlaubnis zumFühren der Bezeichnung „Fachanwalt für Arbeitsrecht“ zu ver-leihen.

Dabei ist von folgenden Erwägungen auszugehen:

1. Neben dem Vorliegen der formellen Voraussetzungen des § 3FAO hat die Agin. festgestellt, dass von den in § 5 Satz 1 c FAOgeforderten 50 gerichtsförmlichen Verfahren der Ast. mindestens72 nachgewiesen habe und außergerichtlich eine Dokumenta-tion über 56 Fälle vorliege. Die Erlaubnis der Führung der Fach-anwaltsbezeichnung ist dem Ast. lediglich deshalb nicht verlie-hen worden, weil er nach Auffassung der Agin. statt 5 lediglich3 Fälle der erforderlichen Befassung mit kollektivem Arbeits-recht nachgewiesen habe.

2. Der Ast. hat auf ein Schreiben des gemeinsamen Prüfungs-ausschusses v. 30.11.2000 mit Schreiben v. 15.12.2000 zwar

seine Bereitschaft erklärt, sich einem Fachgespräch zu unterzie-hen, vorab jedoch darum gebeten, seine Falldokumentation imHinblick auf die zusätzlichen Darlegungen zu überprüfen. Fürdie Agin. hätte Anlass bestanden, hierauf einzugehen. Hätte derPrüfungsausschuss bereits Ende 2000 eine dem Schreiben v.25.3.2002 vergleichbare Stellungnahme dem Ast. zukommenlassen, hätte der Ast. bereits früher die im Schreiben v. 3.4.2002erfolgten Ausführungen der Agin. mitteilen können. Die Stel-lungnahme des Ast. v. 3.4.2002 war offensichtlich mittragendfür die Entscheidung, ein positives Votum zu Gunsten des Ast.auszusprechen.

3. Die Agin. hat in dem inzwischen aufgehobenen Bescheid v.9.5.2001 nicht ausreichend berücksichtigt, dass dem Ast. nichtschon deshalb genügend praktische Erfahrung fehle, weil ledig-lich 3 von geforderten 5 Fällen des kollektiven Arbeitsrechtesnachgewiesen seien. Im Bereich des Nachweises praktischerTätigkeit auf dem Gebiet des kollektiven Arbeitsrechts hat derBGH nicht erst im Beschl. v. 6.11.2000 darauf hingewiesen,dass Fälle aus dem kollektiven Arbeitsrecht in der anwaltlichenPraxis nur verhältnismäßig selten vorkommen und im ÜbrigenFragen aus diesem Rechtsgebiet auch bei der Bearbeitung vonMandaten aus dem individuellen Arbeitsbereich eine wesentli-che Rolle spielen können (BGH, NJW 1997, 1307, 1309).

Im Lichte der Grundrechte ist beider Bewertung der von dem Be-werber vorgelegten Nachweisefür den Erwerb der besonderenpraktischen Erfahrungen auf sei-

nem Fachgebiet ein umso großzügigerer Maßstab anzulegen, jeschwieriger es ist, solche praktischen Erfahrungen zu sammeln.

Darüber hinaus hat der BGHseit langem betont, dass dieSchwelle für den Erwerb derFachanwaltsbezeichnung er-sichtlich nicht sehr hoch anzu-setzen ist. Er hat mehrmals entschieden, dass mangelnde Erfah-rungen in einem Teilbereich des Fachgebiets durch besondereErfahrungen in anderen Teilbereichen ausgeglichen werdenkönnen (vgl. BGH, MDR 1998, 866, 867).

III. Die Agin. beruft sich hinsichtlich der Weichenstellung zuGunsten des Ast. auf einen Beschl. des BGH v. 6.1.2000 (AnwZ(B) 75/99). Dieser Beschl. ist in den BRAK-Mitteilungen (Her-ausgeber: BRAK) 2/2001, erschienen am 15.4.2001, veröffent-licht. Damit war der Beschl. des BGH zwar noch nicht veröf-fentlicht, als der Prüfungsausschuss mit Schreiben v. 6.4.2001die Antragsakte an den Vorstand der Agin. zurücksandte. ZumZeitpunkt der Beratung der Angelegenheit durch den Vorstandder Agin. am 28.4.2000 und zum Zeitpunkt des Erlasses des Be-scheides v. 9.5.2001 war die Entscheidung jedoch bereits veröf-fentlicht und dem Vorstand der Agin. zugänglich. Zu diesemZeitpunkt wäre es veranlasst gewesen, die Voraussetzung für dieVerleihung der Befugnis zur Führung der Fachanwaltsbezeich-nung erneut überprüfen zu lassen.

Voraussichtlich wäre dann ebenfalls mit der Zweitüberprüfungein Fachprüfungsausschuss beauftragt worden. Es ist davon aus-zugehen, dass sich dieser Fachprüfungsausschuss ebenfallsdafür entschieden hätte, sich für die Verleihung der Befugnis zurFührung der Bezeichnung „Fachanwalt für Arbeitsrecht“ ohneFachgespräch zu Gunsten des Ast. auszusprechen. Der Vorstandder Agin. hätte dann voraussichtlich dem Ast. die Befugnis ver-liehen.

Es entspricht daher billigem Ermessen, der Agin. die Gerichts-kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Gründe, abweichend von§ 13a FGG die Erstattung außergerichtlicher Kosten anzuord-nen, sind nicht erkennbar.

BRAK-Mitt. 1/2003 Berufsrechtliche Rechtsprechung 33

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechung

Großzügiger Maßstabfür Fälle aus kollek-tivem Arbeitsrecht

Schwelle für Erwerbnicht sehr hoch

anzusetzen

Zulassungsversagung – zu den Voraussetzungen einerVersagung wegen geistiger Schwäche; BRAO § 7Nr. 7; GG Art. 12

* 1. Es ist die Pflicht eines RA, der an körperlichen und geisti-gen Mängeln leidet, sich selbst die nötige Beschränkung aufzu-erlegen. Nur dann, wenn der Bewerber dazu voraussichtlichnicht in der Lage ist, ist die Zulassung zu versagen.

* 2. § 7 Nr. 7 BRAO lässt – ebenso wie § 14 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3BRAO – den medizinischen Befund allein nicht ausreichen.

* 3. Als zum Teil massive Eingriffe in die durch Art. 12 GG ge-schützte Berufsfreiheit des Bewerbers stehen die Zulassungs-versagungsgründe des § 7 BRAO in einem verfassungsrechtli-chen Spannungsfeld, das eine restriktive Interpretation gebie-tet.

* 4. Selbst wenn ein RA unfähig ist, sich in eigenen Angelegen-heiten vernünftig und besonnen zu verhalten, bedeutet diesnicht ohne weiteres, dass er zu ordnungsgemäßer Erledigungfremder Angelegenheiten ebenfalls außerstande ist.

Niedersächsischer AGH, Beschl. v. 21.10.2002 – AGH 27/01

Aus den Gründen:

I. Der am 5.2.1945 geborene Ast. war nach dem Bestehen der2. juristischen Staatsprüfung ab 9.4.1974 bis 31.12.1998 alsRichter, zuletzt beim LG ..., tätig. Nachdem der Ast. ab10.7.1996 vorläufig vom Dienst suspendiert und wegen de-pressiver Neurose krankgeschrieben war, wurde er zum31.12.1998 auf eigenen Antrag in den Ruhestand versetzt. DemAntrag waren disziplinarrechtliche Verfahren gegen den Ast. we-gen Verletzung seiner Pflicht zur unverzögerten und vollständi-gen Dienstleistung vorausgegangen. Im Zuge dieser Diszipli-narverfahren waren diverse ärztliche Gutachten zur Frage derDienst- und Schuldfähigkeit des Ast. eingeholt worden, die beidem Ast. unter anderem eine kombinierte Persönlichkeits-störung sowie Alkoholmissbrauch diagnostiziert hatten. Der Ast.selbst hatte als Gründe für sein Verhalten schwere Belastungenim privaten Bereich wie das Scheitern der langjährigen Ehe, denBruch eines außerehelichen Verhältnisses, Schuldenlast desHausbaus, einen schweren Streit mit den Eltern und als Folgedieser Schwierigkeiten vermehrten Alkoholgenuss angegeben.

Unter dem 30.12.1999 hat der Ast. bei der Agin. die Zulassungzur Rechtsanwaltschaft bei dem AG und LG ... beantragt. DieAgin. zog die über den Ast. während seiner Richtertätigkeit ge-führten Personalakten einschließlich der Vorgänge der gegenihn geführten Verfahren bei. Nachdem die Agin. dem Ast. am24.5.2000 ihre Absicht mitgeteilt hatte, dass die Versagung derZulassung zur Rechtsanwaltschaft gem. § 7 Abs. 1 Nr. 7 BRAOzu prüfen sei, stellte der Ast. der Agin. am 19.6.2000 eine gut-achterliche Stellungnahme des Amtsarztes der Stadt ..., Herrn ...,v. 14.10.1998 sowie ein Attest des ihn über drei Jahre behan-delnden Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie sowie fürpsychotherapeutische Medizin, Herrn ..., v. 6.6.2000 zur Verfü-gung. Während das amtsärztliche Gutachten von Herrn ... ausdem Jahr 1998 zu dem Ergebnis gekommen war, dass aus be-amten- und dienstrechtlicher Sicht in absehbarer Zeit nicht miteiner Wiedererlangung der Dienstfähigkeit als Richter gerechnetwerden könne, attestierte Herr ... im Jahr 2000, dass aufgrundder zwischenzeitlich erzielten Therapieerfolge eine rechtsan-waltliche Tätigkeit in Teilzeittätigkeit bei eigener Arbeitsteilungmöglich sei.

Die Agin., die weiterhin Bedenken gegen die gesundheitlicheEignung des Ast. hatte, gab diesem daher mit Verfügung v.9.8.2000 auf, ein Gutachten des Gesundheitsamtes des Land-kreises ... vorzulegen. Dieses von Herrn ... vom ..., der zugleich

für den Dienstherrn des Ast. die Dienstfähigkeit beurteilensollte, für das Gesundheitsamt des Landkreises ... erstellte Gut-achten v. 4.1.2001 kam zu dem Ergebnis, dass seit dem Zeit-punkt der Zurruhesetzung keine Besserung in dem Maße einge-treten sei, die eine Wiederausübung des Richteramtes erlaubenwürde, und dass aus den gleichen Gründen auch nicht dienötige emotionale Belastbarkeit und Stabilität gegeben sei, umden Beruf eines RA verantwortlich ausüben zu können. Das Ge-sundheitsamt des Landkreises ... schloss sich in einer Stellung-nahme v. 22.1.2001 der Beurteilung der Dienstfähigkeit durch... an und verneinte die gesundheitliche Eignung des Ast. für denAnwaltsberuf. Mit Verfügung v. 12.7.2001, dem Ast. zugestelltam 13.7.2001, lehnte die Agin. den Antrag auf Zulassung zurRechtsanwaltschaft ab, weil der Zulassung § 7 Nr. 7 BRAO ent-gegenstehe. In der Begründung ihrer Ablehnung schildert dieAgin. Anlass und Verlauf der seinerzeit gegen den Ast. geführtendienstrechtlichen Disziplinarverfahren. Die Dienstunfähigkeitals Richter sei in der Regel gleichbedeutend mit der fehlendenEignung für den Anwaltsberuf. Nach den Feststellungen desSachverständigen ..., – andere Erkenntnisse lägen der Kammernicht vor – würde kein Zweifel daran bestehen, dass der Zulas-sungsantrag zurückgewiesen werden müsse.

Der Ast. ist der Auffassung, die Ablehnung seines Antrags auf Zu-lassung zur Rechtsanwaltschaft sei nicht gerechtfertigt. Er rügt,die Agin. habe sein dienstliches Fehlverhalten aus dem Jahre1985, 1987 und 1988 bis 1994 mit berücksichtigt, hierbei je-doch außer Acht gelassen, dass dieses Fehlverhalten schonlange zurückliege und es darüber hinaus nicht auszuschließensei, dass die dienstlichen Verfehlungen im Zustand einer krank-heitsbedingten Dienstunfähigkeit begangen worden seien. DerAst. weist darauf hin, dass er lediglich eine Teilzeittätigkeit aus-üben wolle in der Gestalt, dass er Termine in OWi- oder Straf-sachen in Untervollmacht für bekannte und befreundete RAevornehmen, dass er evtl. Urlaubsvertretungen wahrnehmenoder Rechtsberatung im Rahmen der PKH oder Pflichtverteidi-gertätigkeit leisten wolle. Es bestehe für ihn auch die wirtschaft-liche Notwendigkeit, als RA einen Verdienst neben seiner Rich-terpension – i.H.v. maximal ca. 460,00 Euro netto pro Monat –zu erzielen. Seine krebskranke Lebenspartnerin erhalte nur eineWitwen- und Erwerbsunfähigkeitsrente. Seine Lebenspartnerinund er seien auf einen Zuverdienst seinerseits dringend ange-wiesen. Der Ast. behauptet, die bei ... durchgeführte Langzeit-therapie habe Erfolg gehabt. Die familienrechtliche Auseinan-dersetzung mit seiner früheren Ehefrau habe Anfang des Jahres2002 zudem durch einen Vergleich ihren Abschluss gefunden.Der Ast. meint, er sei aufgrund seiner gestärkten Belastbarkeit zueiner Teilzeittätigkeit im Umfang von ca. 15 Std./Woche in derLage.

Der Ast. beantragt daher, den Ablehnungsbescheid der Agin. v.12.7.2001 aufzuheben und ihn zur Rechtsanwaltschaft zuzu-lassen.

Die Agin. beantragt, den Antrag zurückzuweisen.

Sie tritt der Behauptung des Ast. entgegen, sie habe von seinerDienstunfähigkeit als Richter ohne weitere Prüfung auf die Un-geeignetheit für die Ausübung des RA-Berufs geschlossen.Hierzu trägt sie vor, der Gutachter ... habe eine konkrete Prü-fung auch für die RA-Eignung vorgenommen. Auch ... bejahenur eine Eignung für eine Teilzeittätigkeit von ca. 15 Wochen-stunden. Auch bei einer solchen Teilzeittätigkeit bestehe die Ge-fahr, dass Rechtsuchende nicht sorgfältig und sachgemäß be-treut würden. Die von ... beschriebene Persönlichkeitsstrukturdes Ast. lasse zudem nicht erwarten, dass er selbst beurteilenkönne, wann er belastbar genug sei, um den RA-Beruf wahrzu-nehmen.

34 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 1/2003

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechung

Nachdem der Ast. in der Sitzung des Senats am 25.2.2002 er-gänzend vorgetragen hat, dass er nicht in den Richterdienstzurückkehren, deshalb nicht für dienstfähig erklärt werdenwolle und daher das Explorationsgespräch mit dem Gutachter ...mit einer entsprechenden Zielrichtung betrieben habe, hat derSenat am 25.2.2002 beschlossen, dass zu der Frage, ob der Ast.infolge einer Schwäche seiner geistigen Kräfte nicht nur vo-rübergehend unfähig ist, den Beruf eines RA ordnungsgemäßauszuüben, durch Ergänzung des von ... unter dem 4.1.2001 er-stellten psychiatrischen Gutachtens durch ... Beweis erhobenwerden soll. Der Senat hat daher Herrn ... gebeten, ein Gutach-ten zu der Beweisfrage des Beschl. v. 25.2.2002 zu erstatten.Herr ... hat daraufhin auf der Grundlage einer Untersuchung v.23.5.2002 am 27.6.2002 ein psychiatrisches Gutachten überden Ast. erstellt. Der psychopathologische Befund des Gutach-tens lautet, dass der Ast. bewusstseinsklar und in allen Qualitä-ten sicher orientiert war und dass Störungen der Merkfähigkeit,der Konzentration, des Gedächtnisses sowie der Aufmerksam-keit nicht festzustellen waren. Der Ast. sei freundlich und aus-geglichen und auf einen guten Eindruck bedacht gewesen. Herr... führt in seinem Gutachten weiter aus, dass sich ein etwas ver-ändertes Bild gegenüber der Vorbegutachtung zeige, indem derAst. großen Wert auf professionelles Auftreten sowie auf die De-monstration seiner psychischen Stabilität gelegt habe. Währendder Exploration habe sich nicht die in dem Erstgutachten be-schriebene emotionale Labilität gezeigt und in Einzelbereichensei durchaus eine nachdenkliche bzw. selbstkritische Haltungvorhanden gewesen. In die gegenteilige Richtung wiesen je-doch die Äußerungen des Ast., wie die, dass er sich ohne wei-teres auch eine Vollzeittätigkeit zutraue, sogar prinzipiell wie-der als Richter arbeiten könne. ... kommt zu der Einschätzung,dass es im Rahmen von Belastungssituationen, die mit einemAngriff auf das Selbstwertgefühl des Ast. verbunden seien, zu er-heblichen Arbeitsstörungen kommen werde; er bleibt daher beiseiner Auffassung, dass die geschilderten psychischen Defizitebzw. die besondere Charakterstruktur des Ast. einer Ausübungdes RA-Berufs entgegenstünden. Auf der anderen Seite seiennatürlich Konstellationen denkbar, unter denen der Ast. durch-aus bestimmte Mandate korrekt wahrnehmen könne.

Die Agin. hat zu dem Gutachten von ... am 17.7.2002 Stellunggenommen. Sie hat im Wesentlichen darauf hingewiesen, dassinsbesondere die Selbsteinschätzung des Ast., dass er entgegender übereinstimmenden Beurteilung der Gutachter, eine An-waltstätigkeit allenfalls in sehr eingeschränktem Maß ausübenzu können, sich ohne weiteres auch eine Vollzeittätigkeit zu-traue, belege, dass er seine Leistungsfähigkeit nicht zuverlässigeinschätze. Die Agin. lehnt eine Zulassung des Ast. zur Rechts-anwaltschaft weiterhin ab.

Der Ast. hat in seiner Stellungnahme zu dem Ergänzungsgut-achten von Herrn ... v. 17.8.2002 darauf hingewiesen, dass demGutachten nicht ansatzweise zu entnehmen sei, dass und wiesich die Persönlichkeitsstörung auf die Wahrnehmung fremderrechtlicher Interessen auswirken solle. Ergänzend erklärt derAst., dass er wieder eine begleitende Psychotherapie bei einemTherapeuten in ... aufgenommen habe. Der Ast. hat ein weite-res fachärztliches Attest von Herrn ... v. 15.8.2002 vorgelegt, inder Herr ... dem Ast. eine deutlich gestärkte Persönlichkeit be-scheinigt. Die angestrebte Berufstätigkeit als RA könne für denAst. überdies positiv und motivierend wirken. Der wahrschein-liche Tod der Lebensgefährtin müsse nicht zu dem Zusammen-bruch des von Herrn ... als labil bezeichneten Gleichgewichtsdes Ast. führen, da aus der Beziehungsforschung wissenschaft-lich gesichert sei, dass die Reaktionen des Betroffenen beim Toddes Partners nicht vorhersehbar seien. Die Trennung von der Le-bensgefährtin könne auch mit einem weiteren Reifungs- undEntwicklungsschritt für den Ast. verbunden sein.

II. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig. Insbe-sondere genügt der Antrag auch den Erfordernissen des § 39Abs. 2 BRAO, obwohl er keinen konkret formulierten Antrag desInhalts, dass der Ablehnungsbescheid der Agin. v. 12.7.2001aufgehoben und die Agin. verpflichtet wird, den Ast. zur Rechts-anwaltschaft zuzulassen, enthält. Die Antragsschrift lässt erken-nen, dass die vorgenannte Aufhebung des Ablehnungsbeschei-des und Verpflichtung der Agin. das vom Ast. verfolgte Ziel ist.Auf S. 1 der Antragsschrift heißt es nämlich, dass der Antrag aufgerichtliche Entscheidung „gegen den Bescheid der RAK für denOLG-Bezirk ... v. 12.7.01“ gestellt wird, und auf S. 15, dass „dieablehnende Entscheidung der RAK ... zu revidieren und meinemAntrag auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft stattzugeben“ ist.Enthält die Antragsschrift keinen formulierten Antrag, lässt je-doch ihr Gesamtinhalt das Ziel des Ast. erkennen, ist dies aus-reichend (AGH Bremen, Beschl. v. 4.11.1995 – 2 EGH 1/94;AGH Dresden, Beschl. v. 9.11.1995 – AGH 13/95 (I) – und13.9.1995 – AGH 1/95 (I); EGH Celle, EGE VIII, 150, 151).

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist auch begründet.

Der Ast. wurde von der Agin. zu Unrecht aufgrund des § 7 Nr. 7BRAO nicht zur Rechtsanwaltschaft zugelassen, da der Ast. einegeistige Schwäche i.S.v. § 7 Nr. 7 BRAO nicht aufweist.

Gem. § 7 Nr. 7 BRAO ist die Zulassung zu versagen, wenn derBewerber infolge eines körperlichen Gebrechens, wegenSchwäche seiner geistigen Kräfte oder wegen einer Sucht nichtnur vorübergehend unfähig ist, den Beruf eines RA ordnungs-gemäß auszuüben. Entscheidend ist hierbei, ob die dauernde,d.h. nicht nur vorübergehende körperliche oder geistige Verfas-sung des Bewerbers die Gefahr begründet, Rechtsuchende wür-den bei anwaltlicher Beratung oder Vertretung nicht mit einersachgemäßen und sorgfältigen Wahrnehmung ihrer Interessenrechnen können.

Eine die Gefahr, dass Rechtsuchende nicht mit einer sach-gemäßen und sorgfältigen Wahrnehmung ihrer Interessen durchden Ast. rechnen können, begründende geistige Schwäche be-steht nach Auffassung des Senats bei dem Ast. nicht. Der psy-chopathologische Befund von Herrn ... in seinem Ergänzungs-gutachten (S. 13), das fachärztliche Attest von Herrn ... v.15.8.2002 und die Tatsache, dass die den Ast. belastende Situa-tion im Zusammenhang mit der familienrechtlichen Auseinan-dersetzung mit seiner früheren Ehefrau abgeschlossen ist, stehender Annahme einer solchen Gefahr entgegen. ... attestiert demAst. auf S. 13 seines Gutachtens Bewusstseinsklarheit, sichereOrientierung, störungsfreie Merkfähigkeit, Konzentration, Auf-merksamkeit und Gedächtnisleistung. Von affektiver Seite hersei Herr ... freundlich und ausgeglichen und sehr auf einenguten Eindruck bedacht gewesen. Antriebsstörungen hätten sichnicht gezeigt. Herr ... beschreibt den Ast. in seiner Stellung-nahme v.15.8.2002 als deutlich gereiften und in der Interaktionstabileren und einsichtigeren Mann. Er kommt zu dem Ergebnis,dass der Ast. aufgrund seiner erworbenen Fähigkeiten und derErfahrungen zu einem Gewinn für die örtliche RAK insbeson-dere in Scheidungs-, Unterhalts- und Familienfragen sein werde.

Zwar äußert ... in seinem Gutachten auch die Auffassung, dasderzeitige Gleichgewicht des Ast. sei labil und werde in Belas-tungssituationen, die mit einem Angriff auf das Selbstwertgefühldes Ast. verbunden sind, schnell zerbrechen (S. 19 des Gutach-tens v. 27.6.2002). Bei der Regulation seines Selbstwertgefühlssei der Ast. auf externe Faktoren (wie der Bestätigung, die derAst. durch die Fürsorge für seine kranke Lebensgefährtin erhalte)angewiesen. Bei Veränderungen bzw. Wegbrechen dieser exter-nen Stabilisatoren würde es zu einer massiven intrapsychischenKrise kommen. Dem steht jedoch die Aussage von Herrn ... ent-gegen, dass es aus der Beziehungsforschung wissenschaftlich

BRAK-Mitt. 1/2003 Berufsrechtliche Rechtsprechung 35

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechung

gesichert sei, dass bei Trennungen etwa durch Tod im Vorausnicht eindeutig Reaktionen vorhergesagt werden könnten. Viel-mehr sei auch möglich, dass der Tod der Lebensgefährtin desAst. für diesen ein weiterer Reifungs- und Entwicklungsschrittsein könne (S. 2 der Stellungnahme v. 15.8.2002). Aus Sicht desSenats kommt entscheidend hinzu, dass der Ast. seit dem22.8.2002 an seinem Wohnort eine begleitende Therapie ab-solviert, die insbesondere eine Hilfe bei der Belastungssituationmit der kranken Lebensgefährtin darstellen soll. Der Senat gehtdavon aus, dass der Ast., der sich in dem jetzigen Zustand eines– wie von ... attestiert – stabilen seelischen Gleichgewichts be-findet, eine dauerhafte therapeutische Begleitung sichert, sichdieser Hilfe bedienen kann und wird, wenn es zu dem Tod derLebensgefährtin und dem Wegbrechen der Stabilisierung durchdie Fürsorge des Ast. kommt.

Bei der Frage der Versagung der Zulassung zur Rechtsanwalt-schaft nach § 7 Nr. 7 BRAO ist auch zu berücksichtigen, ob derAst. voraussichtlich in der Lage sein wird, sich bei einer Tätig-keit als RA selbst in dem Maße zu beschränken, dass eine et-waige Schwäche seiner geistigen Kräfte nicht dazu führt, dass erdie Angelegenheiten seiner Mandanten nicht sorgfältig undsachgemäß bearbeiten kann. Die Pflicht eines RA, der an kör-perlichen und geistigen Mängeln leidet, ist es, sich selbst dienötige Beschränkung aufzuerlegen. Nur dann, wenn der Be-werber dazu voraussichtlich nicht in der Lage ist, ist die Zulas-sung zu versagen (EGH München, EGE IX 123, 125).

Der Senat ist auch aufgrund des persönlichen Eindrucks, der vondem Ast. im 2. Verhandlungstermin gewonnen wurde, der Auf-fassung, dass der Ast. dazu in der Lage sein wird, sich selbst beider Ausübung der anwaltlichen Tätigkeit Beschränkungen auf-zuerlegen. Zwar führt ...in seinem Gutachten v. 27.6.2002 aus,dass der Ast. sich in dem Explorationsgespräch eine Vollzeit-tätigkeit zugetraut habe, sogar prinzipiell als Richter. Die Agin.meint, dass aus dieser Selbsteinschätzung folgt, dass der Ast.seine Leistungsfähigkeit nicht zuverlässig einschätzt. Der Ast.hat jedoch mehrfach darauf hingewiesen, dass er nicht mehr als15 Std./Woche arbeiten wolle und angesichts der Situation mitseiner Lebensgefährtin auch nicht könne. Auch die Tatsache,dass der Ast. sich an seinem Wohnort erneut in eine Therapie be-geben hat, lässt darauf schließen, dass er der Einsicht in die psy-chisch belastende Lebenssituation und in die Notwendigkeiteiner therapeutischen Begleitung fähig ist.

Für eine mangelnde Fähigkeitder Selbstreflexion für den Fall ei-ner steigenden Belastung sowieeine mangelnde Fähigkeit, not-falls die Konsequenzen zu ergrei-

fen und den Umfang der beruflichen Tätigkeit zu minimieren,gibt es aus Sicht des Senats nicht genügend Anhaltspunkte. ImGegenteil: Würde der Senat nur das Bild berücksichtigen, dassich in den Verhandlungsterminen ergab, spräche nichts gegeneine Wiederbeschäftigung des Ast. als Richter.

§ 7 Nr. 7 BRAO lässt ebenso wie§ 14 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 BRAOden medizinischen Befund alleinnicht ausreichen (BGH, Beschl.v. 12.3.2001 – AnwZ [B] 21/00).

Über die Einschätzung des ..., der selbst auch einige für den Ast.sprechende Gesichtspunkte feststellt, hinausgehende Anhalts-punkte für eine geistige Schwäche seitens des Ast. liegen nichtvor. Die Verfehlungen des Ast. in den 80er und 90er Jahren imRichterdienst geschahen unter anderen „Vorzeichen“. Der Ast.hat mittlerweile belastende Situationen beendet und eine The-rapie absolviert. Die Verfehlungen des Ast. in den Jahren seiner

Richtertätigkeit können nicht dazu dienen, jetzt eine geistigeSchwäche und eine Gefahr für Rechtsuchende anzunehmen.Die bloße Tatsache, dass ein Bewerber in seiner Eigenschaft alsBeamter wegen dauernder Dienstunfähigkeit aus gesundheitli-chen Gründen vorzeitig in den Ruhestand versetzt worden ist,kann allein nicht die Feststellung tragen, dass der Bewerber inFolge eines körperlichen Gebrechens oder wegen Schwächeseiner geistigen Kräfte dauernd unfähig ist, den Beruf eines RAordnungsgemäß auszuüben (EGH Celle, EGE VIII, 83). Dies istjedenfalls dann nicht der Fall, wenn sich der Allgemeinzustanddes Bewerbers gebessert hat und der glaubhaft versichert, nur inTeilzeit tätig sein zu wollen (BGH, Beschl. v. 20.7.1997 – AnwZ[B] 14/87; EGE XIV, 66). Dies ist vorliegend der Fall.

Bei der Beurteilung der Voraussetzungen des § 7 Nr. 7 BRAOwar seitens des Senats auch Art. 12 GG zu beachten. § 7 BRAOgeht aus von dem bereits in §§ 4, 6 BRAO verankerten Recht aufZulassung.

Als zum Teil massive Eingriffe indie durch Art. 12 GG geschützteBerufsfreiheit des Bewerbers ste-hen die Zulassungsversagungs-gründe des § 7 BRAO in einem

verfassungsrechtlichen Spannungsfeld, das eine restriktive In-terpretation gebietet (Henssler/Prütting, Komm. zur BRAO, 4.Aufl. 1999, § 7 Rdnr. 1).

Nicht zuletzt das Verhalten des Ast. in der vorliegenden gericht-lichen Auseinandersetzung hat zu der Einschätzung des Senatsgeführt, dass die geistigen Mängel des Ast. vom Krankheitsbildgesehen kein solches Ausmaß haben, dass er zu einer ordnungs-und sachgemäßen Ausübung des Anwaltsberufs auf Daueraußerstande ist. Auch in dem vorliegenden zu beurteilenden –für den Ast. sicherlich belastenden – Verfahren hinsichtlich derZulassung zur Rechtsanwaltschaft hat sich der Ast. nicht queru-latorisch oder in sonstiger Weise unkontrolliert verhalten. Dieaus den Verfahrensakten der Agin. und den Akten für das an-waltsgerichtliche Verfahren ersichtlichen Schriftsätze des Ast.lassen nicht den Schluss zu, der Ast. sei zu sachgemäßem Vor-trag nicht in der Lage. Aber selbst wenn ein RA unfähig ist, sichin eigenen Angelegenheiten vernünftig und besonnen zu ver-halten, bedeutet dies nicht ohne weiteres, dass er zu ordnungs-gemäßer Erledigung fremder Angelegenheiten ebenfalls außer-stande ist (BGH, Senatsbeschl. v. 8.5.1978 – AnwZ [B] 3/78 undv. 25.4.1988 – AnwZ [B] 54/87). Die durchaus vernünftige Aus-einandersetzung des Ast. mit dem hier zu beurteilenden Verfah-ren über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft gibt keinen An-haltspunkt dafür, dass der Ast. nicht auch zu einer ordnungs-gemäßen Erledigung fremder Angelegenheiten im Stande wäre.

Nach allem war die angefochtene Verfügung der Agin. aufzuhe-ben und diese zu verpflichten, den Ast. zur Rechtsanwaltschaftzuzulassen.

Berufspflichtverletzung – zur Aufgabe des Grundsat-zes der Einheitlichkeit der Pflichtverletzung; BRAO§§ 113, 114

* 1. Eine zwingende gesetzliche Vorschrift, die die Annahmedes Grundsatzes der Einheitlichkeit der Pflichtverletzung ver-langt, gibt es nicht. Insbesondere lässt sich dieser Grundsatznicht aus § 113 Abs. 1 BRAO herleiten.

* 2. Berücksichtigt werden muss, dass es nunmehr keine allge-meine Berufspflicht mehr gibt, sondern einzelne – gesetzlichdefinierte konkrete Pflichten – existieren, die, soweit sie außer-halb von BRAO und BORA geregelt sind, über § 43 BRAO indas anwaltliche Berufsrecht übertragen werden.

36 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 1/2003

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechung

Keine mangelndeFähigkeit der

Selbstreflexion

MedizinischerBefund allein

reicht nicht aus

Restriktive Interpreta-tion der Versagungs-

gründe

* 3. Für eine Aufgabe der bisherigen Rspr. sprechen auch pro-zessökonomische Gesichtspunkte. So müssen bei Anwendungder neuen Rspr. bei einer Anfechtung des Urt. durch den Be-troffenen nicht auch die Vorwürfe mit untersucht werden, indenen die erste Instanz eine Pflichtwidrigkeit nicht erkannt hatoder die der betroffene RA nicht angreifen will.

Niedersächsischer AGH, Urt. v. 14.10.2002 – AGH 35/01Volltext unter www.brak.de

Zur Ermächtigungsgrundlage für eine Untersagungs-verfügung/Zur Angabe eines wissenschaftlichen Mit-arbeiters; BRAO §§ 59a, 73; BORA § 8; VwVfG § 45

* 1. Die Ermächtigungsgrundlage für eine Untersagungsverfü-gung einer RAK ergibt sich aus § 73 Abs. 2 Nr. 1 und 4 BRAO.

* 2. Es ist nicht zwingend erforderlich, dass eine RAK dieRechtsgrundlage für ihr Vorgehen ausdrücklich benennt.

* 3. Die Angabe eines wissenschaftlichen Mitarbeiters aufeinem Kanzleibriefbogen verstößt gegen § 8 BORA, wenn essich bei diesem nicht um einen zugelassenen RA handelt under auch den übrigen in § 59a BRAO aufgeführten Berufsgrup-pen nicht angehört.

Niedersächsischer AGH, Beschl. v. 17.9.2002 – AGH 8/2002

Aus den Gründen:

I. Der Kanzleibriefbogen des als RA in ... tätigen Ast. enthält imBriefkopf neben dem Namen des Ast. den Zusatz „Dr. jur. ... –Wissenschaftlicher Mitarbeiter“. Mit einem solchen Kanz-leibriefbogen wandte sich der Ast. am 26.4.2001 an die Agin.und bat darum, Herrn ... für die Dauer seines Urlaubs als amt-lichen Vertreter zu bestellen. Die Agin. wies den Ast. am28.5.2001 darauf hin, dass sie die Verwendung des Briefkopfeswegen der Angabe des wissenschaftlichen Mitarbeiters für un-zulässig halte. Der Ast. antwortete der Agin. mit Schreiben v.11.6.2001 und teilte mit, dass er die Angabe für zulässig halte,weil es sich bei Herrn ... um eine sozietätsfähige Person i.S.v.§ 59a BRAO handele. In der mündlichen Verhandlung hat derAst. seinen Vortrag dahin korrigiert, dass er kein Arbeitgeber imarbeitsrechtlichen Sinne sei. Herr ... bekäme Einzelaufträge zurErstellung von Gutachten bzw. Schriftsätzen. Er rechne seineTätigkeit stundenweise ab. Mit Schreiben v. 10.10.2001 be-nachrichtigte die Agin. den Ast. darüber, dass nach ihrer Rechts-auffassung sozietätsfähige Personen nur zugelassene bzw. be-stellte Angehörige ganz bestimmter Berufe seien (§ 8 BORAi.V.m. § 59a BRAO). Die Angabe eines wissenschaftlichen Mit-arbeiters, der nicht RA sei, sei auf dem Briefbogen eines Anwaltshingegen unzulässig. Da der Ast. dieser Rechtsauffassung mitSchreiben v. 23.10.2001 erneut entgegentrat, untersagte dieAgin. dem Ast. am 26.11.2001 schriftlich, Herrn ... als wissen-schaftlichen Mitarbeiter im Briefkopf aufzuführen. Darüber hin-aus bat die Agin. den Ast., unverzüglich zu erklären, dass dieserHinweis künftig entfalle und einen geänderten Briefkopf vorzu-legen.

Der Ast. ist der Auffassung, die Untersagung der Agin. sei bereitsin formeller Hinsicht rechtswidrig, da es sich nicht um eineförmliche Entscheidung handele. Es fehle die Angabe der ge-setzlichen Bestimmungen, aus denen sich die Befugnis der RAKergäbe, die Untersagung auszusprechen. Darüber hinaus rügtder Ast., die Agin. habe nicht die Befugnis, die Verwendung desBriefkopfs zu untersagen. Sie habe es ferner an der gebotenenEinzelfallprüfung fehlen lassen. Des Weiteren ist der Ast. derAuffassung, dass die Angabe von Herrn ... als wissenschaftlicherMitarbeiter auf seinem Kanzleibriefbogen mit § 8 BORA i.V.m.

§ 59a BRAO vereinbar und daher zulässig sei. Da Herr ... je-derzeit als RA zugelassen werden könne, sei er auch sozietäts-fähig. Schließlich verweist der Ast. auf die Form der Koopera-tion, die auch mit Angehörigen nichtsozietätsfähiger Berufezulässig sei und auf die gem. § 8 Satz 1 Variante 3 BORA hin-gewiesen werden dürfe.

Er beantragt daher, den Bescheid der Agin. v. 26.11.2001 auf-zuheben.

Die Agin. beantragt, den Antrag abzuweisen.

Sie meint, ihre Untersagungsverfügung entspreche den formel-len Anforderungen. Ermächtigungsgrundlage für die Untersa-gung sei § 73 Abs. 2 Nr. 1, 4 BRAO i.V.m. § 223 BRAO. DieAgin. ist darüber hinaus der Auffassung, dass Sozietätsfähigkeitnur bei einem zugelassenen RA vorliege. Dementsprechenddürfe nur ein solcher auf einem Kanzleibriefbogen angegebenwerden.

Der Ast. hat zunächst mit Schriftsatz v. 22.2.2002 auf münd-liche Verhandlung verzichtet, diesen Verzicht jedoch mit Schrift-satz v. 22.2.2002 im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutungin der Sache widerrufen.

II. Wegen des Widerrufs des Verzichts auf mündliche Verhand-lung war gem. § 40 Abs. 2 BRAO auf Grund mündlicher Ver-handlung zu entscheiden.

1. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig und ins-besondere statthaft. Das vom Ast. angegriffene Schreiben derAgin. v. 26.11.2001 stellt eine Belehrung, verbunden mit einerAufforderung, den beanstandeten Zustand zu unterlassen, dar.Ein solches Schreiben unterliegt grundsätzlich der gerichtlichenÜberprüfung (vgl. BGH, NJW 1994, 1042, m.w.N.). Es handeltsich nicht um eine Unterlassungsverfügung i.S.d. Zivilrechts, dader Agin. keine Möglichkeit zur Seite steht, ihre Aufforderung zueinem künftigen Unterlassen wie ein gerichtliches Verbot zuvollstrecken (vgl. BGH, Urt. v. 25.10.2001, NJW 2002, 2039,2040).

2. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist jedoch unbe-gründet, da die Untersagung der Agin. v. 26.11.2001 recht-mäßig ist und den Ast. nicht in seinen Rechten beeinträchtigt.

a) Die Ermächtigungsgrundlagefür die Untersagungsverfügungder Agin. v. 26.11.2001 ergibtsich aus § 73 Abs. 2 Nr. 1 und 4BRAO. Hiernach obliegt es demKammervorstand, die Mitglieder der Kammer in Fragen der Be-rufspflichten zu beraten und zu belehren sowie die Erfüllung derden Mitgliedern der RAK obliegenden Pflichten zu überwachen.Diese Überwachungspflicht des Vorstandes erstreckt sich aufden gesamten Pflichtenkreis des RA (Feuerich/Braun, Kommen-tar zur BRAO, 5. Aufl., 2000, § 73 Rdnr. 32). Auf Grund diesesAufsichtsrechts steht dem Vorstand der Kammer auch die Be-fugnis zu, Mitglieder über die ihnen obliegenden Pflichten zubelehren und die Belehrung mit der Aufforderung zu einem ent-sprechenden künftigen Tun oder Unterlassen zu verbinden(Feuerich/Braun, a.a.O., § 73 Rdnr. 21, 33; BGH, NJW 1994,1042 (1044)).

Dass die Agin. die Rechtsgrund-lage für ihr Vorgehen in ihremSchreiben v. 26.11.2001 nichtausdrücklich genannt hat, ist un-

schädlich, da die Angabe der Rechtsgrundlage selbst unter derGeltung des VwVfG nicht zwingend erforderlich ist, erst rechtnicht in dem Bereich der Tätigkeit einer Körperschaft des öf-fentlichen Rechts, die diesen Vorschriften nicht unterliegt. Be-reits Verwaltungsakte solcher Behörden und Körperschaften des

BRAK-Mitt. 1/2003 Berufsrechtliche Rechtsprechung 37

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechung

Ermächtigungsgrund-lage für Untersagungs-

verfügungen

Angabe der Rechts-grundlage entbehrlich

öffentlichen Rechts, auf die die Vorschriften des VwVfG Anwen-dung finden, sind nämlich nicht allein deshalb formell rechts-widrig, weil sie die Ermächtigungsgrundlage nicht ausdrücklichangeben (BVerwG, NVwZ 1985, 905 (906)). Im Übrigen könnteeine mangels Angabe der Rechtsgrundlage fehlerhafte Begrün-dung gem. § 45 Abs. 1. Nr. 2, Abs. 2 VwVfG nachgeholt werdenbis zum Abschluss eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens,wodurch der Fehler geheilt würde.

Auf die Belehrung der Agin. v. 26.11.2001 findet das VwVfGhingegen keine Anwendung, da diese, wie dargelegt, der an-waltsgerichtlichen Überprüfung unterliegt. § 2 Abs. 3 Ziff. 1VwVfG nimmt nämlich Tätigkeiten der Behörden der Justizver-waltung – und um eine solche handelt es sich bei einer RAK undihrem Vorstand (Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 4. Aufl., 1993,§ 1 Rdnr. 130, § 2 Rdnr. 87, 88) –, die nicht der Nachprüfungdurch die Verwaltungsgerichtsbarkeit unterliegen, vom Anwen-dungsbereich des VwVfG aus.

Die Agin. hat es auch nicht versäumt, eine Einzelfallprüfung vor-zunehmen. Die Agin. hat ein ihr vorliegendes Schreiben des Ast.geprüft und ihn anschließend auf die Unzulässigkeit der Angabedes Herrn ... hingewiesen. Am 26.4.2001 hatte der Ast. die Agin.schriftlich gebeten, Herrn ... als seinen Vertreter amtlich zu be-stellen. Dieses Schreiben des Ast. wurde ausweislich eines Ver-merks in den Akten der Agin. geprüft und zum Anlass genom-men, den Ast. am 28.5.2001 auf die Unzulässigkeit hinzuwei-sen.

b) Die Aufforderung, gem. der Belehrung v. 26.11.2001 zu han-deln, ist auch in materieller Hinsicht rechtmäßig, da die Beleh-rung, dass der Ast. Herrn ... nicht als wissenschaftlichen Mitar-beiter auf seinem Kanzleibriefbogen aufführen dürfe, zutreffendist.

Die Nennung von Herrn ... aufdem Kanzleibriefbogen des Ast.widerspricht § 8 BORA, weil essich bei diesem nicht um einen

zugelassenen RA handelt und er auch den übrigen, in § 59aBRAO aufgeführten Berufsgruppen nicht angehört, er mithinnicht sozietätsfähig i.S.v. § 59a BRAO ist. Gem. § 8 Satz 1 Vari-ante 1, 2 BORA darf nämlich auf eine gemeinschaftliche Be-rufsausübung nur hingewiesen werden, wenn sie in einer So-zietät oder in sonstiger Weise (Anstellungsverhältnis, freie Mit-arbeit) mit sozietätsfähigen Personen i.S. d. § 59a BRAO erfolgt.Hinsichtlich der Angestellten und freien Mitarbeiter ist dieKundgabe unzulässig, wenn es sich bei diesen nicht um nach§ 59a BRAO sozietätsfähige Personen handelt (Hartung/Holl,Kommentar zur Anwaltlichen Berufsordnung, 2. Aufl., 2001, § 8BO Rdnr. 21; Feuerich/Braun, a.a.O., § 8 BORA Rdnr. 1, 2). So-zietätsfähig sind die in § 59a Abs. 1 und 3 BRAO genannten Per-sonen. Dies sind unter anderem Mitglieder einer RAK, also RAe(Feuerich/Braun, a.a.O., § 59a BRAO Rdnr. 17).

Auf S. 2 seines Schreibens v. 11.6.2001 (Bl. 12 d.A.) bezeichnetder Ast. Herrn ... als freien Mitarbeiter. Auf Antrag v. 26.4.2001hin wurde ... als Vertreter des Ast. bestellt. Dies deutet daraufhin, dass es sich um eine Zusammenarbeit i.S.d. 2. Alternativedes § 8 Satz 1 BORA auf der Basis eines arbeitsrechtlichen oderähnlichen Vertrages und nicht um eine allgemeinvertraglicheZusammenarbeit i.S.d. 3. Alternative handelt. In diesem Fall isteine Benennung von ... im Briefkopf – wie dargelegt – unzuläs-sig.

Die Angabe von Herrn ... auf dem Kanzleibriefbogen des Ast. istauch nicht von § 8 Satz 1 Variante 3 BORA gedeckt, weil der Ast.Herrn ... gerade nicht als Kooperationspartner benennt.

Ein Kooperationspartner muss jedoch als solcher ausgewiesenwerden, damit die Kundgabe einer Kooperation i.S.v. § 8 Satz 1

Variante 3 überhaupt gegebenist. Da dies vorliegend schonnicht der Fall ist, kommt es aufdie Frage, ob eine Kooperationmit nichtsozietätsfähigen Beru-fen zulässig ist, nicht mehr an. Da die Belehrung mithin zutref-fend ist, ist auch die mit ihr verbundene Aufforderung, gem. die-ser Belehrung zu handeln, d.h. die Nennung des wissenschaft-lichen Mitarbeiters auf dem Briefbogen in Zukunft zuunterlassen, rechtmäßig, da sie nur eine unselbstständige Folge-rung aus der erteilten Belehrung darstellt (vgl. hierzu Feue-rich/Braun, a.a.O., § 73 Rdnr. 21 m.w.N).

Die sofortige Beschwerde wird nicht zugelassen, da die zu ent-scheidende Rechtsfrage keine grundsätzliche Bedeutung besitzt(§ 223 Abs. 3 BRAO).

Anwaltliche Werbung – Formulierungen in einerKanzleibroschüre; BRAO § 43b

* 1. Formulierungen, wie „Oftmals gleicht ein Gespräch zwi-schen Anwalt und Mandant ja eher einer babylonischen Un-terhaltung“ und „Sie sind hier nicht nur eine Akte – denn Siewerden persönlich beraten“, sind zulässige Werbeaussageni.S.d. § 43b BRAO. Die verwendeten Begriffe („Babylon“,„Akte“) dienen im Umkehrsinn als eine Umschreibung für eineverständliche und persönliche Rechtsberatung, die von Art. 12GG gedeckt ist. Die Formulierung von der „babylonischen Un-terhaltung“ ist eine bildhafte Kritik an der allgemeinen juristi-schen Fachsprache, nicht an den Anwaltskollegen.

* 2. Entsprechendes gilt für die Formulierung „Frauen mit um-fassendem Wissen“. Nach Auffassung des BVerfG versteht sicheine umfassende Rechtsberatung nicht für jede Anwaltskanzleivon selbst. Dementsprechend ist „umfassendes Wissen“ keineSelbstverständlichkeit.

Bayerischer AGH, Urt. v. 2.7.2002 – BayAGH II 3/02

Aus den Gründen:

I. Das AnwG für den Bezirk der RAK München hat gegen diebeiden Betroffenen mit Urt. v. 20.11.2001 wegen schuldhafterVerletzung ihrer anwaltlichen Pflichten jeweils die anwaltsge-richtliche Maßnahme einer Warnung verhängt.

Auf die von beiden Betroffenen eingelegte Berufung war dasUrt. aufzuheben, die Betroffenen waren freizusprechen.

II. Den Betroffenen lag zur Last, unsachliche und damit un-zulässige Werbung durch die Verteilung einer Kanzleibroschüreim März 1999 betrieben zu haben, die u.a. folgende Formulie-rungen zum Inhalt hatte:

„Sieben gute Gründen für die Kanzlei ... & ...

...

§ 2Sie werden immer klar verständlich über alles informiert

§ 3Sie sind hier nicht nur eine Akte – denn Sie werden persönlichberaten

§ ...“

„Auf jeden Fall eine klare Antwort.

Gute Rechts-Beratung heißt ja in erster Linie: Verstehen. Gerade,wenn es um Ihr Recht geht ...

Oftmals gleicht ein Gespräch zwischen Anwalt und Mandant jaeher einer babylonischen Unterhaltung. Anwälte haben nunmal ihre eigene Ausdrucksweise.

...

38 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 1/2003

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechung

Verstoß gegen§ 8 BORA

Kooperationspartnermüssen als solche

ausgewiesen werden

Hier treffen Sie zwei engagierte nette Menschen. Frauen mit um-fassendem Wissen und mehrjähriger Erfahrung aus der Welt desRechts. ... ... und ... sprechen garantiert Ihre Sprache. ...

RAin ... kümmert sich sowohl um Ihre Interessen am Arbeits-platz als auch um Ihre sozialen Belange bei Verlust desselben....“

III. Das AnwG erachtete die Formulierung, dass ein Gesprächzwischen Anwalt und Mandant oftmals ja eher einer babyloni-schen Unterhaltung gleiche, die Betroffenen sich als Frauen mitumfassendem Wissen darstellen, die garantiert die Sprache derMandantschaft sprechen, sowie die Erklärung, dass die Man-danten der Betroffenen nicht nur Akten wären, sondern persön-lich beraten würden, als unzulässige Werbeaussagen, die ledig-lich eine überhöhte Selbsteinschätzung der eigenen Person ent-halten.

Die Formulierung „RAin ... kümmert sich ...“ wurde als Verstoßgegen § 7 Abs. 1 Satz 3 BORA angesehen, da damit kein Tätig-keitsschwerpunkt beschrieben werde.

IV. Die Betroffenen waren aus rechtlichen Gründen freizuspre-chen.

1. RAen ist die Werbung für ihre berufliche Tätigkeit im Grund-satz nicht verboten, sondern erlaubt. Die Werbefreiheit ist alsTeil der Berufsausübungsfreiheit durch Art. 12 Abs. 1 GG ge-währleistet. Zur Freiheit der Berufsausübung gehört nicht nurdie berufliche Praxis selbst, sondern auch jede Tätigkeit, die mitder Berufsausübung zusammenhängt und dieser dient. Sie um-fasst daher auch die Außendarstellung von selbständigen Berufs-tätigen einschließlich der Werbung für die Inanspruchnahme ih-rer Dienste. Dementsprechend bedarf nicht die Gestattung derAnwaltswerbung der Rechtfertigung, sondern deren Einschrän-kung (BGH, Urt. v. 1.3.2001, NJW 2001, 2087 – Anwaltswer-bung II).

Die Bestimmung des § 43b BRAO, die dem RA Werbung er-laubt, soweit sie über die berufliche Tätigkeit in Form und Inhaltsachlich unterrichtet und nicht auf die Erteilung eines Auftragsim Einzelfall gerichtet ist, sowie die Vorschrift des § 6 BORA,wonach der RA über seine Dienstleistung und seine Person in-formieren darf, soweit die Angaben sachlich unterrichten undberufsbezogen sind, eröffnen mithin nicht etwa eine ansonstennicht bestehende Werbemöglichkeit, sondern konkretisieren le-diglich die verfassungsrechtlich garantierte Werbefreiheit.

Unübersehbar ist, dass sich die Auffassung über eine zulässigeWerbung durch die Gesetzeslage (Einfügung des § 43b in dieBRAO durch die Berufsrechtsnovelle von 1994 und die ergän-zende Regelung in § 6 ff. der am 1.7.1997 in Kraft getretenenBORA) sowie die Rspr. i.S. einer großzügigen Beurteilung fort-entwickelt hat (BVerfG, NJW 2000, 1635).

Dem Anwalt ist demzufolge Werbung erlaubt, die dem Interessedes Adressatenkreises gerecht wird, eine sachlich angemesseneInformation zu finden, die formal und inhaltlich angemessen ge-staltet ist und keinen Irrtum erregt. Anders formuliert, darf Wer-bung nicht unsachlich, nicht irreführend und marktschreierischsein und keine Selbstanpreisung enthalten (BVerfG, BRAK-Mitt.2001, 295; BGH, BRAK-Mitt. 2001, 229).

2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze enthält die verfah-rensgegenständliche Kanzleibroschüre der Betroffenen keineunerlaubte Werbung.

2.1. Die angegriffene Entscheidung qualifiziert die Formulie-rungen „oftmals gleicht ein Gespräch zwischen Anwalt undMandant ja eher einer babylonischen Unterhaltung“ und „Siesind hier nicht nur eine Akte – denn Sie werden persönlich be-raten“ als gegen § 43b BRAO verstoßende unzulässige Wer-

bung, weil sie sich nicht auf sachliche Angaben beschränke,sondern Selbsteinschätzungen enthalte und i.S. einer inhalts-leeren Reklameformel bloße Selbstverständlichkeiten wieder-gebe. Dem rechtsuchenden Publikum werde suggeriert, bei Be-rufskollegen erfolge keine verständliche („Babylon“) und keinepersönliche Beratung („Akte“). Damit würden beim Adressatenfalsche Erwartungen i.S. einer Irreführung erweckt.

Diese (u.a. in Anlehnung an OLG Köln, NJW 1999, 63, 64 vor-genommene) Argumentation entspricht nicht mehr der aktuel-len Anschauung von der Bedeutung der Berufsfreiheit (vgl.BVerfG, BRAK-Mitt. 2001, 295; BVerfG, NJW 2000, 1635).

Das BVerfG hat in den genanntenEntscheidungen ausgeführt, eine„umfassende Rechtsberatung“verstehe sich nicht für jede An-waltskanzlei von selbst. Auch die

Formulierung „Ihre Rechtsfragen sind unsere Aufgabe“ erweckekeinen irreführenden Eindruck.

Dementsprechend erweisen sich die von den Betroffenen ver-wendeten Begriffe („Babylon“, „Akte“) im Umkehrsinn als eineUmschreibung für eine verständliche und persönliche Rechts-beratung, die bei der vorzunehmenden grundrechtsfreundli-chen Interpretation des Wortsinns von Art. 12 GG gedeckt ist.

Die Formulierung von der „baby-lonischen Unterhaltung“ ist einebildhafte plastische Kritik an derjuristischen Fachsprache, nicht an den Anwaltskollegen. Dieserschließt sich auch aus dem nachfolgenden Satz: „Anwälte ha-ben nun mal ihre eigene Ausdrucksweise“.

Mit der Aussage „nicht nur eine Akte“ soll versucht werden, dieSchranken zwischen RA und Rechtsuchenden abzubauen undLetzteren die Scheu vor einer Kontaktaufnahme zu nehmen.

Da nicht festgestellt ist, dass die Betroffenen ihren selbst gesetz-ten Zielen, nämlich verständliche und persönliche Rechtsbera-tung, nicht genügt haben, kann nicht von einer irreführendenWerbung ausgegangen werden.

2.2. Entsprechendes gilt für die Formulierung „Frauen mit um-fassendem Wissen“.

Nach Auffassung des BVerfG versteht sich eine umfassendeRechtsberatung nicht für jede Anwaltskanzlei von selbst. Eskann deshalb mit dieser Formulierung zulässigerweise gewor-ben werden.

Dementsprechend ist „umfassendes Wissen“ keine Selbstver-ständlichkeit; eine entsprechende Werbung muss also erlaubtsein. Dass diese Behauptung bei den Betroffenen unzutreffendist, wurde nicht festgestellt. Es kann nicht davon ausgegangenwerden, dass sich die Betroffenen „angesichts der wenigen Be-rufsjahre noch kein umfassendes Wissen angeeignet haben kön-nen“ (s. S. 6 der Gründe des angefochtenen Urt.).

3. Einen Verstoß gegen besondere Berufspflichten, weil entge-gen § 7 Abs. 1 Satz 3 BORA in der Kanzleibroschüre verschie-dene Dienstleistungsangebote nicht als Interessen- und Tätig-keitsschwerpunkte bezeichnet werden, sondern formuliert ist:„RAin ... kümmert sich ...“, erachtet der Senat nicht für gegeben.

Nach § 6 Satz 2 BORA dürfen in Kanzleibroschüren weitere alsdie nach § 7 BORA erlaubten Hinweise gegeben werden. Dasbezieht sich nicht nur auf die zahlenmäßige Beschränkung auffünf Interessen- bzw. drei Tätigkeitsschwerpunkte in § 7 Abs. 1Satz 2 BORA. Es bestehen insgesamt weitergehende Freiheitenbei der Beschreibung der Qualifikation bzw. Tätigkeit (vgl. Har-tung/Holl, Anwaltliche Berufsordnung, 2. Aufl., 2001, § 6 BORARdnr. 130 ff.).

BRAK-Mitt. 1/2003 Berufsrechtliche Rechtsprechung 39

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechung

Umfassende Rechts-beratung ist nichtselbstverständlich

Keine Kritik an denAnwaltskollegen

Wenn sogar die Selbsteinstufung als „Experte” als zulässig er-achtet wird, weil dadurch beim Publikum nicht der Eindruck ob-jektiver Qualifizierung erweckt werde, die den Werbenden vonanderen Berufskollegen abhebe (OLG Stuttgart, BRAK-Mitt.1996, 215, 217), muss erst recht die Formulierung erlaubt sein(RAin ... kümmert sich um ...).

4. Es ist nicht ersichtlich, dass sonstige Formulierungen in der in-kriminierten Kanzleibroschüre unzulässige Werbung beinhal-ten.

V. Auf die Berufung der Betroffenen war daher das Urt. desAnwG aufzuheben, die Betroffenen waren freizusprechen.

Die Voraussetzungen für die Zulassung des Rechtsmittels derRevision gem. § 145 Abs. 2 BRAO liegen nicht vor, weil dieRechtsfragen oder Fragen der anwaltlichen Berufspflichten, überdie zu entscheiden war, nicht von grundsätzlicher Bedeutungsind. Die vorliegende Entscheidung betrifft ausschließlich diesingulären Formulierungen in der Kanzleibroschüre der Betrof-fenen.

40 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 1/2003

Weitere berufsrechtliche Rechtsprechung

Weitere berufsrechtliche RechtsprechungOrientierungssätze/*Leitsätze der Redaktion

Anwaltliche Werbung – Weiterführung des Namenseines ehemaligen Partners nach Beendigung einerSozietät; BGB § 12

* 1. Ein RA kann sich nach Beendigung einer Sozietät nach § 12BGB dagegen verwahren, dass sein Name werbend für dieKanzlei seines ehemaligen Partners eingesetzt wird.

* 2. Dies gilt auch dann, wenn der RA eine Abänderung der Do-main ausdrücklich nicht verlangt hat. Hieraus kann noch nichtdarauf geschlossen werden, dass er mit der werbenden Ver-wendung seines Namens für die Kanzlei seines ehemaligenPartners einverstanden gewesen ist.

* 3. Eine Frist bezüglich der Änderung der ehemals für beidePartner benutzten Domain muss einem ehemaligen Partnergrundsätzlich nicht gewährt werden.

Hanseatisches OLG, Beschl. v. 12.9.2002 – 5 W 63/02

Aus den Gründen:

Die nach §§ 91a Abs. 2, 567 ZPO statthafte Beschwerde des Ast.ist zulässig, § 569 ZPO, und hat in der Sache Erfolg.

Es entspricht billigem Ermessen, den Ag. mit den entstandenenKosten zu belasten, da die einstweilige Verfügung nach Sach-und Rechtslage zu bestätigen gewesen wäre, wenn nicht durchden Abschluss des Vergleichs Erledigung der Hauptsache einge-treten wäre.

Streitgegenstand des Verfügungsantrags ist allein die Frage, obder Ag. berechtigt ist, unter der Domain www.m...-p....de wer-bend auf die neue Sozietät in Firma „M. Rechtsanwälte“ hinzu-weisen.

Dies ist nicht der Fall. Der Ast.kann sich nach Beendigung derSozietät mit dem Ag. aus § 12BGB dagegen verwahren, dasssein Name werbend für die

Kanzlei seines ehemaligen Partners eingesetzt wird. Eine Ge-stattung des Namensgebrauchs ist schlüssig noch nicht einmalvorgetragen und auch nicht glaubhaft gemacht. Die beiden ei-desstattlichen Versicherungen der Herren RAe ... und ... (Anla-gen Ag. 4 und Ag. 5) geben eine Gestattung der Namensbenut-zung ebenso wenig her, wie die eidesstattliche Versicherung desAg. selbst (Anlage Ag. 12). Die Versicherungen belegen nur, dassder Ast. darum gebeten hat, die Website zu ändern, verhaltensich aber ansonsten nicht dazu, dass er dem Ag. ausdrücklicherlaubt haben soll, seinen – des Ast. – Namen werbend für diemit einem anderen Partner unter anderem Namen fortgeführte

Sozietät des Ag. zu benutzen. Dies gilt selbst dann, wenn derAst. ausdrücklich eine Abänderung der Domain nicht verlangthaben sollte, denn daraus kann noch nicht darauf geschlossenwerden, dass er etwa mit der werbenden Verwendung seinesNamens für die Kanzlei seines ehemaligen Partners einverstan-den gewesen sein soll.

Ein die Wiederholungsgefahr begründender Verletzungsfall liegtin der Darstellung der Sozietät des Ag. unter der Domainwww.m...-p... .de gem. Anlage Ast. 4. Diesen Internet-Auftritthatte der Ast. mit der Abmahnung beanstandet und die durchden Verletzungsfall gesetzte Wiederholungsgefahr hätte nurdurch Abgabe einer strafbewehrten Verpflichtungserklärung be-seitigt werden können. Das Namensrecht des Ast. wird schließ-lich auch durch den unter der streitigen Domain gegebenenHinweis auf das Ausscheiden des Ast. aus der Sozietät mit demAg. verletzt (Anlage Ast. 9). Wenn denn schon unter der ehemalsfür beide Partner benutzten Domain, die aus den bürgerlichenNamen beider Partner gebildet ist, auf das Ausscheiden einesPartners hingewiesen werden soll, kann dies nur einvernehm-lich und die Interessen beider gleichermaßen berücksichtigendgeschehen, wie es die Parteien in dem schließlich abgeschlos-senen Vergleich vereinbart haben. Dies gilt jedenfalls, wenn essich – wie hier – um eine lediglich zweigliedrige Sozietät han-delt.

Eine Umstellungsfrist wäre demAg. bezüglich der Domain nichtzu gewähren gewesen. Er hätteden Namen seines ehemaligenPartners ohne dessen ausdrückli-

che Gestattung keinesfalls für eigene Werbungsmaßnahmenausnützen dürfen. Selbst wenn ihm aber eine Umstellungsfristzuzubilligen gewesen wäre, hätte dies nicht zu einer Kostenbe-teiligung des Ast. führen dürfen. Denn die Gewährung einerUmstellungsfrist ist eine Rechtswohltat, die die Durchsetzungeines berechtigten Anspruchs nur zeitweise zu hemmen ver-mag, die aber nicht auch noch zusätzlich mit einer günstigenKostenquote als Draufgabe gleichsam vergoldet wird.

Letztendlich: Dringlichkeit nach § 25 UWG war gegeben. Diesgilt selbst dann, wenn der Ast. bereits unmittelbar nach seinemAusscheiden am 15.4.2002 von der werbenden Verwendungder Domain für die neue Sozietät des Ag. Kenntnis erlangt ha-ben sollte, denn der Verfügungsantrag ist bereits am 25.5.2002bei Gericht eingegangen. Der damit verstrichene Zeitraum vonallenfalls fünf Wochen ist nach der Rspr. der Wettbewerbsge-richte in Hamburg keinesfalls schon als dringlichkeitsschädlichzu bewerten.

Beseitigungs- undUnterlassungsanspruch

nach § 12 BGB

Gewährung einerUmstellungsfristnicht notwendig