Selbst Wenn Er Den Unfall Verschuldet Habe, Sei Seine Haftung -Bei Dieser Entscheidung Müssen Die Sozialversicherungsträger Die

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haftung der sv träger

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BUNDESVERFASSUNGSGERICHT- 1 BvL 25/96 -

In dem Verfahren
zur verfassungsrechtlichen Prfung,

ob 828 Abs. 2 BGB auch in denjenigen Fllen mit dem Grundgesetz vereinbar ist, in denen ein fahrlssiges Verhalten eines Kindes oder Jugendlichen, welches eine typische Jugendverfehlung darstellt, zu einer existenzvernichtenden Haftung fhren wrde und die Befriedigung des Opfers von dritter Seite gewhrleistet ist,

- Aussetzungs- und Vorlagebeschlu des Landgerichts Dessau vom 25. September 1996 - (6) 8 O 853/96 -

hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch denVizeprsidenten Papier
und die Richter Grimm,
Hmig

gem 81 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 ( BGBl I S. 1473) am 13. August 1998 einstimmig beschlossen:

Die Vorlage ist unzulssig.

Grnde:

I.1

Die Richtervorlage betrifft die Verfassungsmigkeit des 828 Abs. 2 BGB.2

1. Der Beklagte des Ausgangsverfahrens war im Alter von 16 Jahren an einem Verkehrsunfall beteiligt. Er fuhr ohne Fahrerlaubnis auf einem Moped und nahm seine 13jhrige Freundin auf dem Soziussitz mit. Eine Haftpflichtversicherung bestand nicht. Die Freundin trug keinen Sturzhelm. Der Beklagte bog an einer Kreuzung in die Vorfahrtsstrae ein und stie dabei mit einem vorfahrtsberechtigten Lastkraftwagen zusammen. Bei diesem Unfall wurde die Freundin des Beklagten schwer verletzt. Sie erlitt eine komplizierte Fraktur der Schdeldecke mit schweren Gehirnfunktionsstrungen. Das Mdchen war bis Ende 1995 ein Schwerpflegefall und bentigte umfangreiche Rehabilitationsmanahmen. Die Kosten des Unfalleinsatzes und der Behandlung wurden von der Krankenversicherung des Mdchens bernommen.3

2. Im Ausgangsverfahren nahm der Krankenversicherungstrger den Beklagten in Regre und trug vor, da ihm insgesamt Kosten in Hhe von rund 241.000 DM entstanden seien. Die Haftpflichtversicherung des Lastkraftwagenfahrers habe davon einen Kostenanteil von 30.000 DM bernommen, so da ein offener Betrag von 211.000 DM verbleibe. Das Mitverschulden des Mdchens bewerte er mit 30 Prozent. Demnach msse der Beklagte Schadensersatz in Hhe von rund 153.000 DM leisten. Ferner beantragte der Krankenversicherungstrger die Feststellung, da der Beklagte der Versicherung auch den weitergehenden materiellen Schaden im Rahmen der berleitungsfhigkeit nach 116 SGB X zu ersetzen habe. Dem Mdchen mten voraussichtlich auch knftig Schwerpflegegelder, Kosten fr Sprachtherapie und eventuell Rentenleistungen gezahlt werden.4

Der Beklagte verteidigte sich damit, da der Lkw-Fahrer den Unfall aufgrund erheblich berhhter Geschwindigkeit verursacht habe. Selbst wenn er den Unfall verschuldet habe, sei seine Haftung ausgeschlossen. Das Mdchen habe gewut, da er keinen Fhrerschein und keinen Versicherungsschutz gehabt habe; sie habe sich trotzdem ohne Sturzhelm in eine Situation drohender Eigengefhrdung begeben und damit stillschweigend in einen Haftungsausschlu eingewilligt. Jedenfalls sei die Geltendmachung des Regreanspruchs nach Treu und Glauben ausgeschlossen, da der Anspruch ihm auf Dauer jede Existenzgrundlage nehme und damit unverhltnismig in seine Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG eingreife. Insoweit habe die Vorschrift des 242 BGB ber ihren Wortlaut hinaus die Bedeutung, das Individuum gegen den Verlust des "unveruerlichen Menschenrechts auf Hoffnung und Streben nach Glck" zu schtzen. Ein Leben im "Schuldturm" von der Volljhrigkeit an, aufgrund einer als Minderjhriger begangenen fahrlssigen Handlung, sei damit unvereinbar.5

3. Das Landgericht Dessau fhrte eine mndliche Verhandlung ohne Beweisaufnahme durch, setzte anschlieend das Verfahren aus und legte die Frage der Verfassungsmigkeit des 828 Abs. 2 BGB zur verfassungsrechtlichen Prfung vor (Beschlu vom 25. September 1996, VersR 1997, S. 242ff.). Im vorliegenden Fall komme es auf die Gltigkeit von 828 Abs. 2 BGB an. Nach dieser Vorschrift mten Minderjhrige, die das siebte, aber nicht das 18. Lebensjahr vollendet htten, fr einen Schaden einstehen, wenn sie bei der Begehung der schdigenden Handlung die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht gehabt htten. Diese Voraussetzungen lgen beim Beklagten vor. Denn ein durchschnittlich entwickelter Jugendlicher im Alter von 16 Jahren wisse, da er ein Moped nicht ohne Versicherung und Fahrerlaubnis in Betrieb nehmen und eine Beifahrerin nicht ohne Sturzhelm mitnehmen drfe.6

Die durch 828 Abs. 2 BGB begrndete Haftung fhre im vorliegenden Fall dazu, da der Beklagte voraussichtlich lebenslang verschuldet sein werde. Der Beklagte habe zumindest fahrlssig gehandelt. Beim Einbiegen in die Kreuzung habe er offenbar die Geschwindigkeit des herannahenden Lastkraftwagens schuldhaft nicht richtig eingeschtzt. Dabei knne offenbleiben, ob der Unfall vorwiegend von dem Lastkraftwagenfahrer verschuldet worden sei. Denn 830 Abs. 1 Satz 2 BGB fhre dazu, da der Beklagte neben dem Lkw-Fahrer in vollem Umfang zur Haftung verpflichtet sei. Das Mitverschulden des Mdchens nach 254 BGB knne allenfalls dazu fhren, da sich die Haftungsquote um 30 Prozent reduziere. Ein konkludent geschlossener Haftungsausschlu sei nicht anzunehmen. Abgesehen davon, da es bereits an einer entsprechenden Erklrung des Mdchens fehle, knne nicht davon ausgegangen werden, da das 13jhrige Mdchen die Gefahr erkannt habe, in die es sich begab, als es auf dem Soziussitz des Beklagten Platz nahm.7

Schlielich komme auch eine Haftungsbegrenzung unter Heranziehung des 242 BGB nicht in Betracht. Allein in den Jahren 1974 bis 1994 seien ber 20 Entscheidungen in den wichtigsten Zeitschriften verffentlicht worden, in denen Kinder und Jugendliche zwischen sieben und 17 Jahren zur Zahlung von Schadensersatz von ber 40.000 DM verurteilt worden seien. Eine Rechtsfortbildung der Rechtsprechung in Richtung auf eine Haftungseinschrnkung habe nicht stattgefunden. Der Versuch des Landgerichts Bremen (NJW-RR 1991, S. 1432 ), der uneingeschrnkten Haftung mit Hilfe von 242 BGB entgegenzutreten, sei mit dem Willen des Gesetzgebers nicht vereinbar. Der Grundsatz der Totalreparation entspreche auch fr den Bereich der Deliktshaftung Minderjhriger dem erkennbaren Wortlaut und dem Willen des Gesetzgebers. Auch wenn 828 BGB vor dem Inkrafttreten des Grundgesetzes erlassen worden sei, liege ein nachkonstitutionelles Gesetz vor. Es bestehe kein Zweifel daran, da der Gesetzgeber diese Vorschrift nach Inkrafttreten des Grundgesetzes in seinen Willen aufgenommen habe. Zwar sei das Deliktsrecht seit 96 Jahren nahezu unverndert geblieben. Der nachkonstitutionelle Gesetzgeber habe aber das Brgerliche Gesetzbuch zahlreichen nderungen unterworfen und auch das Haftungsrecht auerhalb des Brgerlichen Gesetzbuchs weitgehend umgestaltet. Soweit er trotz mehrerer Reformvorschlge die deliktische Haftung und die Haftung der Minderjhrigen nicht gendert habe, zeige dies, da der Gesetzgeber diese Vorschriften in seinen Willen aufgenommen habe.8

Nach der berzeugung der Kammer sei 828 Abs. 2 BGB in den Fllen mit Art. 1, 2 und 6 Abs. 2 Satz 2 GG unvereinbar, in denen Minderjhrige im Alter zwischen sieben und 17 Jahren in langfristiger und unertrglich belastender Weise auf Schadensersatz in Anspruch genommen wrden, obwohl ihr fahrlssiges Verhalten eine typische Jugendverfehlung darstelle und obwohl die finanzielle Entschdigung des Opfers von dritter Seite (z.B. durch eine Versicherung) gewhrleistet sei. Die unbegrenzte Haftung von Minderjhrigen bei Groschden fhre dazu, da sie hufig zu lebenslangen Zahlungen mit einer Pfndung jeden Einkommens verpflichtet seien, das ber der Pfndungsgrenze liege. Eine normale Lebensfhrung mit Berufsausbildung, Heirat und Familienplanung bleibe ihnen versagt. Die dadurch hervorgerufene Perspektivlosigkeit knne zur Zerstrung oder erheblichen Beeintrchtigung der Persnlichkeit und kriminellen Fehlentwicklungen fhren. Durch eine solche schrankenlose Haftung werde der Minderjhrige bloes Mittel zum Zweck eines berzogenen Restitutionsgedankens.9

Eine Haftung Minderjhriger sei nur dann mit der Menschenwrdegarantie und dem allgemeinen Persnlichkeitsrecht vereinbar, wenn der Minderjhrige nicht mit unbersehbaren Schulden in die Volljhrigkeit entlassen werde. Ebenso wie im Fall der Kinderhaftung fr Gesellschaftsschulden ( BVerfGE 72, 155 ) sei der Gesetzgeber in Wahrnehmung seines Wchteramtes aus Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG aufgerufen, Regelungen zu treffen, die verhindern, da der volljhrig Gewordene nicht mehr als nur eine scheinbare Freiheit erreiche.

II.10

Die Richtervorlage ist unzulssig.11

1. Der Zulssigkeit der Vorlage steht entgegen, da es sich bei 828 Abs. 2 BGB um vorkonstitutionelles Recht handelt. Der Normenkontrolle des Bundesverfassungsgerichts im Verfahren des Art. 100 Abs. 1 GG unterliegen Gesetze dann nicht, wenn sie vor dem Inkrafttreten des Grundgesetzes, als "vorkonstitutionelles" Recht, verkndet worden sind.12

a) Eine Ausnahme gilt fr diejenigen vorkonstitutionellen Gesetze, die der Gesetzgeber nach Inkrafttreten des Grundgesetzes "in seinen Willen aufgenommen" hat. Dies ist der Fall, wenn er seinen konkreten Besttigungswillen im Gesetz selbst zu erkennen gibt oder wenn sich ein solcher Wille aus dem engen sachlichen Zusammenhang zwischen unvernderten und genderten Normen objektiv erschlieen lt, insbesondere wenn eine alte Norm als Gesetz neu verkndet wird, wenn eine neue (nachkonstitutionelle) Norm auf die alte Norm verweist oder wenn ein begrenztes und berschaubares Rechtsgebiet durchgreifend gendert wird und vernderte und unvernderte Normen eng miteinander zusammenhngen. Hingegen ist von einem Willen zur Besttigung eines vorkonstitutionellen Gesetzes nicht auszugehen bei nderung nur einzelner Vorschriften dieses Gesetzes, denen ein solcher Zusammenhang fehlt. Das gleiche gilt, wenn der Gesetzgeber eine vorkonstitutionelle Norm nur als solche hinnimmt und von ihrer Aufhebung oder sachlichen nderung vorerst absieht, ohne sie in ihrer Geltung besttigen zu wollen ( BVerfGE 70, 126 ).13

Die "Hinnahme" einer vorkonstitutionellen Norm durch den Gesetzgeber beschreibt hiernach einen vorlufigen Zustand, so da fr die Entscheidung der Frage, ob eine Regelung vor- oder nachkonstitutionelles Recht ist, auch das Zeitmoment von Bedeutung ist. Je lnger der Gesetzgeber vor Inkrafttreten des Grundgesetzes erlassene Regelungen in Geltung lt, desto geringer werden die Voraussetzungen fr die Annahme, er habe sie in seinen Willen aufgenommen (vgl. BVerfGE 63, 181 ; 66, 248 ). Objektiv erkennbare Anhaltspunkte, aus denen auf einen Besttigungswillen des Gesetzgebers geschlossen werden kann, werden dadurch aber nicht entbehrlich. Die gesetzgebenden Organe mssen, sofern von einem Besttigungswillen ausgegangen werden soll, zumindest in irgendeiner Weise mit der zur Prfung gestellten Norm und ihrem Regelungsgehalt befat gewesen sein ( BVerfGE 70, 126 ).14

b) Gemessen an diesen Mastben hat der Bundesgesetzgeber 828 Abs. 2 BGB nicht in seinen Willen aufgenommen. Die Vorschrift ist durch keinen Gesetzgebungsakt erkennbar besttigt worden. Fr die Annahme eines Besttigungswillens ist es nicht ausreichend, da das Brgerliche Gesetzbuch in den letzten Jahrzehnten wiederholt Gegenstand gesetzlicher nderungen gewesen ist. Denn bei umfangreichen vorkonstitutionellen Gesetzen kann nicht davon ausgegangen werden, da der Gesetzgeber aus Anla einzelner nderungen jeweils die Verfassungsmigkeit des gesamten Gesetzes geprft und bejaht hat ( BVerfGE 11, 126 ). Auch die mehrfache nderung einzelner Abschnitte und Titel lt nicht den Schlu zu, da die inhaltlich nicht betroffenen Abschnitte und Titel in irgendeiner Weise mitgeprft und besttigt worden sind.15

Das vorlegende Gericht hat selbst ausgefhrt, da der Titel ber unerlaubte Handlungen im Brgerlichen Gesetzbuch seit 96 Jahren nahezu unverndert geblieben ist. Der nachkonstitutionelle Gesetzgeber hat sich nur ganz allgemein mit einigen Folgefragen der deliktischen Haftung beschftigt (Verjhrung: 852 Abs. 2 BGB; Vollstreckung: 850f. Abs. 2 ZPO, 302 Nr. 1 InsO; Aufrechnung: 84 Abs. 2 BBG; Zeitpunkt des Inkrafttretens in den neuen Bundeslndern: Art. 232 10 EGBGB). Darin kann allenfalls eine Besttigung des allgemeinen Prinzips der verschuldensabhngigen Deliktshaftung, nicht aber eine spezielle Befassung mit der Minderjhrigenhaftung gesehen werden.16

Mit dem Problem der deliktischen Minderjhrigenhaftung und der dafr mageblichen Vorschrift des 828 BGB hat sich der Gesetzgeber seit Inkrafttreten des Grundgesetzes inhaltlich nicht befat. Der Deutsche Bundestag hat weder nderungen am Text der Vorschrift vorgenommen noch Gesetzesinitiativen zur nderung der Norm abgelehnt. Eine inhaltliche Befassung mit der Minderjhrigenhaftung kam auch nicht zustande, als die zum Bereich der Kindeshaftung gehrende Billigkeitsklausel des 829 BGB im Zuge des Familienrechtsnderungsgesetzes vom 11. August 1961 ( BGBl I S. 1221 ) neu gefat wurde. Durch diese Novelle wurde lediglich die unzeitgeme Formulierung "standesgem" durch den moderneren Ausdruck "angemessen" ersetzt. Mit dieser rein sprachlichen nderung war keine inhaltliche Entscheidung bezweckt (BTDrucks III/530 S. 25). Tauscht der Gesetzgeber lediglich ein veraltetes durch ein neues Wort aus, liegt darin grundstzlich keine Aufnahme der vorkonstitutionellen Regelung in den Willen des Gesetzgebers ( BVerfGE 25, 25 ).17

Auch das Schweigen des Gesetzgebers zur bisherigen Rechtsprechung der Zivilgerichte kann nicht als ausreichender objektiver Anhaltspunkt fr einen Besttigungswillen angesehen werden ( BVerfGE 78, 20 ). Ebensowenig kann sein Schweigen zu privaten oder ministeriellen Reformberlegungen in eine Besttigung der bisherigen Gesetzeslage umgedeutet werden. Die strenge Haftung nach 828 Abs. 2 BGB ist zwar auerhalb des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens immer wieder kritisiert worden. Es mangelt auch nicht an Reformvorschlgen, die von einer nderung der Altersgrenzen und einer strkeren Haftung der Erziehungsberechtigten ber eine Reduktion der Kindeshaftung nach Billigkeitsgesichtspunkten bis hin zur Einfhrung einer Pflichtversicherung fr Kinder reichen (vgl. Scheffen, Der Kinderunfall - Eine Herausforderung fr Gesetzgebung und Rechtsprechung, DAR 1991, S. 121ff.; Goecke, Die unbegrenzte Haftung Minderjhriger im Deliktsrecht, Berlin 1997, S. 194-259). Diese berlegungen sind aber bislang nicht in den parlamentarischen Proze vorgedrungen. Der parlamentarische Gesetzgeber war - soweit ersichtlich - seit Inkrafttreten des Grundgesetzes mit der Frage der Minderjhrigenhaftung nicht befat, so da 828 BGB als vorkonstitutionelles Recht anzusehen ist (vgl. Canaris, Die Verfassungswidrigkeit von 828 Abs. 2 BGB als Ausschnitt aus einem greren Problemfeld, JZ 1990, S. 679 ).18

2. Die Richtervorlage erfllt im brigen nicht die Begrndungsanforderungen des 80 Abs. 2 BVerfGG.19

a) Nach dieser Vorschrift mu die Begrndung angeben, inwiefern von der Gltigkeit der Rechtsvorschrift die Entscheidung des vorlegenden Gerichts abhngt und mit welchen bergeordneten Rechtsvorschriften sie unvereinbar ist. Dem gengt eine Richtervorlage nur, wenn das Gericht die fr seine Entscheidung magebenden Erwgungen nachvollziehbar darlegt und sich dabei mit smtlichen naheliegenden Gesichtspunkten auseinandersetzt ( BVerfGE 86, 52 ; stRspr). In diesem Zusammenhang kann es erforderlich sein, vor der Anrufung des Bundesverfassungsgerichts zu prfen, ob ein verfassungswidriges Ergebnis auf andere Weise - etwa durch Heranziehung anderer Vorschriften - vermieden werden kann ( BVerfGE 88, 187 ).20

b) Im vorliegenden Fall hat das Landgericht zwar die Entscheidungserheblichkeit des 828 Abs. 2 Satz 1 BGB hinreichend begrndet und auch plausibel ausgefhrt, da die unbegrenzte Haftung Minderjhriger im Hinblick auf Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet. Es hat sich aber nicht ausreichend mit der Frage beschftigt, welche einfachrechtlichen Mglichkeiten zur Korrektur der Minderjhrigenhaftung zur Verfgung stehen.21

Dabei fllt es nicht entscheidend ins Gewicht, da das Landgericht die Mitschuld des Lkw-Fahrers und damit mgliche Erstattungsansprche des Minderjhrigen gegenber dem Lkw-Fahrer nach den 840, 426 BGB nicht im erforderlichen Mae untersucht hat. Zwar mten auch diese Ansprche bei der Frage der existenzvernichtenden Wirkung der Minderjhrigenhaftung nher geprft werden. Es spricht aber im vorliegenden Fall vieles dafr, da dadurch keine durchgreifende Entlastung des Minderjhrigen eingetreten wre.22

Jedenfalls htte das Landgericht nher prfen mssen, ob der Beklagte nach Abschlu des zivilgerichtlichen Verfahrens von dem Trger der Krankenversicherung einen Forderungserla erreichen kann. Auf Antrag hat ein Sozialversicherungstrger nach 76 Abs. 2 Nr. 3 SGB IV zu prfen, ob er eine Forderung zur Vermeidung unbilliger Hrten erlassen kann. Diese Vorschrift gilt auch fr nach 116 SGB X bergeleitete Schadensersatzansprche (Heinrichs, in: Palandt, BGB, 57. Aufl. 1998, vor 249 Rn. 158). Sie gibt dem Betroffenen einen ffentlichrechtlichen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung ber den Forderungserla, was grundstzlich von den Sozialgerichten berprft wird ( BSG, VersR 1990, S. 175f.; BGHZ 88, 296ff.). Bei dieser Entscheidung mssen die Sozialversicherungstrger die Grundrechte des Betroffenen bercksichtigen. Daher htte es einer eingehenden Errterung der Frage bedurft, ob der Grundrechtsschutz des Beklagten nicht in dem sozialgerichtlichen Folgeverfahren ausreichend gewahrt werden kann (vgl. Ahrens, Existenzvernichtung Jugendlicher durch Deliktshaftung? VersR 1997, S. 1064). Dabei wre auch zu fragen, ob sich dieses Verfahren wegen des Amtsermittlungsprinzips und der vorangegangenen Klrung der Haftungsfrage nicht besser fr eine Billigkeitsentscheidung eignet als ein zivilprozessualer Haftungsstreit. Ebenso htte das Landgericht sich argumentativ mit der Frage beschftigen mssen, inwieweit durch den Erla der neuen Insolvenzordnung die Gefahr der lebenslangen berschuldung ausgeschaltet oder eingeschrnkt worden ist (vgl. Mertens, in: Mnchener Kommentar zum BGB, Band 5, 3. Aufl. 1997, 828 Rn. 14; kritisch: Goecke, Die unbegrenzte Haftung Minderjhriger im Deliktsrecht, Berlin 1997, S. 69-74).23

Schlielich lassen die vom Landgericht gegen die Anwendbarkeit des 242 BGB vorgetragenen Argumente eine hinreichende Auseinandersetzung mit der einschlgigen verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung vermissen. Das Bundesverfassungsgericht hat gerade im Hinblick auf die deliktischen Haftungsbestimmungen des Brgerlichen Gesetzbuches ausgefhrt, da die Auslegung einer Gesetzesnorm nicht immer auf die Dauer bei dem ihr zu ihrer Entstehungszeit beigelegten Sinn stehenbleiben kann ( BVerfGE 34, 269 ). Angesichts des beschleunigten Wandels der gesellschaftlichen Verhltnisse und der begrenzten Reaktionsmglichkeiten des Gesetzgebers sowie der offenen Formulierung zahlreicher Normen gehrt die Anpassung des geltenden Rechts an vernderte Verhltnisse im Gegenteil zu den Aufgaben der Dritten Gewalt. Das gilt insbesondere bei zunehmendem zeitlichen Abstand zwischen Gesetzeserla und richterlicher Einzelfallentscheidung ( BVerfGE 96, 375 ). Demnach stehen aus verfassungsrechtlicher Sicht weder der Wille des vorkonstitutionellen Gesetzgebers noch der Wortlaut des 828 Abs. 2 BGB einer Einschrnkung der Minderjhrigenhaftung aus Billigkeitsgrnden zwingend entgegen. Ob eine solche Einschrnkung nach 242 BGB im konkreten Fall geboten ist, haben die fr den Zivilrechtsstreit zustndigen Gerichte zu entscheiden.