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sexuelle Belästigung an Hochschulen Brosch re.qxp 07.01.2004 21:15 Seite 1

sexuelle Belästigung an Hochschulen · Das Recht eine sexuelle Belästigung als solche zu benennen liegt alleine bei dieser. Sexualisierte Gewalt ist immer ein einseitiges, ... wird

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sexuelle Belästigung

an Hochschulen

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Unser Dank für die Finanzierung gilt:

der Gleichstellungsbeauftragte der Universität Münster, namentlich Frau Dr. Marianne Ravensteindem AStA der Universität Münsterdem Lesbenreferat der Universität Münsterdem Frauenreferat der Universität Münsterund dem Frauenreferat der Fachhochschule Münster

Impressum

HerausgeberInnen:selbstorganisierter Arbeitskreis gegen sexuelle Belästigung undandere Formen sexualisierter Gewalt an der Uni und FH Münster

Kontakt: [email protected]

Druck: Medienkollektiv Münster, 2004 Titelbild: Henning Rosenbrock Layout: Thorsten Hüsing

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Einleitung zur Broschüre: 2"Alltägliche Grenzverletzungen" 3“Definition” 4Warum “sexualisierte Gewalt”? 5sexualisierte Gewalt als Demütigungs- und Kontrollform 6Mythen und Abwehrmechanismen 6Auswirkungen 10 Strategien und Handlungsmöglichkeiten 12Wenn mir von einem Übergriff erzählt wird 14Was könnt ihr tun 16Machtverhältnisse an der Uni 21Schlusswort 25Literatur 25Verzeichnis von AnsprechpartnerInnen 26

Inhalte

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Unser Arbeitskreis ist eine Initiative von größtenteils Studierenden, diesich aufgrund konkreter bekannt gewordener Fälle sexueller Übergriffezusammengefunden haben. Uns wurde schnell bewusst, dass sich unsereArbeit nicht auf Einzelfälle beschränken kann, da sexuelle Belästigungenzum universitären Alltag gehören. Unter anderem wollen wir mit dieserBroschüre diesem Zustand etwas entgegensetzen. Eines der größtenProbleme bei der Auseinandersetzung und dem Umgang mit dem Themaist dessen bestehende Tabuisierung. Wir wollen dieses Tabu durchbrechenund Informationen zugänglich machen.Besonders wichtig ist es uns, Betroffene zu ermutigen, eigene Handlungs-strategien zu entwickeln. Jedoch muss klar sein, dass es sich nicht alleinum ein Problem der Betroffenen handelt. Deswegen richtet sich dieseBroschüre auch an potentiell Belästigte, potentielle Belästiger, Täter, die-jenigen, die Belästigungssituationen als Außenstehende erleben, sowiealle, die sich an der Universität bewegen. Es muss darum gehen, einArbeits- und Studienklima zu schaffen, in dem jede und jeder für die eige-ne Person klar die Grenze zwischen spontanem freundschaftlichem undkollegialem Umgang und unerwünschtem Verhalten ziehen und auchäußern kann. Diese Grenze soll ohne Einschränkung respektiert werden.

Einleitung zur Broschüre

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selbstorganisierter Arbeitskreis gegen sexuelleBelästigung und andere Formen sexualisierter Gewalt an der Uni und FH Münster

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Die folgenden oder ähnlichen Situationen gehören zu einem ganz norma-len Unialltag und sind uns allen nicht fremd. Worte und Handlungen, diedie Grenzen einer Person überschreiten und Situationen, in denen sichjemand unwohl fühlt. Die folgenden Beispiele sollen versuchen die Leserfür grenzüberschreitende und herabwürdigende Situationen zu sensibili-sieren, deswegen sind bewusst keine "schwerwiegenderen" Fälle, wie einmassiveres Bedrängen bis hin zu Vergewaltigung genannt.

Eine Studentin arbeitet ein Referat aus und hält es in ihrem Seminar.Nachdem sie fertig ist, möchte sie sich wieder auf ihren Platz setzen. DerDozent: "Frau A bleiben sie doch noch ein bisschen da vorne stehen, dasist so ein schöner Anblick." Frau A wird nun anschließend von demgesamten Plenum gemustert. Jeder im Raum überlegt, ob er/sie sich demUrteil des Dozenten anschließen kann und ihre Arbeit rückt in denHintergrund. Sie fühlt sich zurückgesetzt und auf ihr Aussehen reduziert.

Zwei Erstsemesterinnen stehen in der Schlange zur Mensa. Sie wollen amAbend auf eine Party gehen, und hoffen da in der neuen Stadt ein paarneue Menschen kennen zu lernen. Vor ihnen unterhält sich eine Gruppeälterer Studenten. "Gehst Du heute Abend auch auf die Erstiparty?""Klar, da kommt dann auch endlich wieder Frischfleisch. Mal schauen, obda was Scharfes bei ist." Nach so einer Unterhaltung ist ihnen Die Lustauf diese Party vergangen.

Eine Sekretärin sitzt in ihrem Büro und ist froh mit der Arbeit fertig zusein. Sie zieht ihren Mantel an und möchte ihr Büro verlassen. In der Türsteht ihr Vorgesetzter. "Na, schon Feierabend? So wie sie aussehen, habensie ja heute noch einiges vor. Schön, dass sie nicht so zugeknöpft rumlau-fen, wie die meisten anderen hier. Sie wissen noch, was Männern gefällt."Die Sekretärin fühlt sich unwohl und versucht schnell das Gebäude zuverlassen. Als sie an ihrem Vorgesetzen vorbei möchte, rückt er kaum zurSeite und streift wie zufällig ihre Brust. Die Sekretärin ist froh, als sie end-lich draußen ist.

"Alltägliche Grenzverletzungen"

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Eine Studentin geht in die Sprechstunde ihres Professors, um ihre dem-nächst anstehende Prüfung durchzusprechen. Der Professor: "Na dannkommen sie mal herein. Haben sie schon lange warten müssen? Naja,aber jetzt bin ich ja voll und ganz für sie da." Beim Eintreten legt er denArm um ihre Schulter. Die Studentin wird unsicher. Bei der Besprechungihrer Prüfung läuft der Professor im Raum herum und beugt sich zwi-schendurch von hinten über sie. Bei der Verabschiedung sagt der Pro-fessor: "Wir beiden werden uns schon verstehen, nicht wahr? Sie wissenschon, was ich meine." Dabei zwinkert er ihr zu. Die Studentin ist ange-sichts dieser Situation völlig verunsichert und weiß nicht, ob sie so ihrePrüfung durchstehen kann.

Eine Doktorandin bekommt von ihrem Doktorvater das Angebot, mitihm auf einen Kongress zu fahren, bei dem sie wichtige Kontakte knüp-fen kann. Zunächst freut sie sich über dieses Angebot, doch als sie imHotel ankommen, merkt sie, dass ihr Doktorvater ein Doppelzimmergebucht hat. Als sie auf ein Einzelzimmer besteht, bucht er es zwarproblemlos um, aber sie ist von dieser Situation so verunsichert, dass siedie nächsten Tage neben sich steht. Zurück zu Hause merkt sie, dass derProfessor ihre Arbeit schlechter beurteilt. Sie steht vor der Überlegung,sich einen neuen Betreuer ihrer Arbeit zu suchen.

Eine objektive Definition sexualisierter Gewalt erscheint uns unmöglich,trotzdem werden wir im Folgenden versuchen darzustellen, was wir unterdem Begriff fassen.Grundlegend ist hierbei zunächst die individuelle Wahrnehmung, bzw. dasEmpfinden der betroffenen Person. Das Recht eine sexuelle Belästigungals solche zu benennen liegt alleine bei dieser. Sexualisierte Gewalt istimmer ein einseitiges, unerwünschtes und persönliche Grenzen über-schreitendes Verhalten. Sie kann sich in Worten, Handlungen, Gestenoder sonstigem sexuell konnotierten Verhalten ausdrücken.Sexualisierte Gewalt ist Bestandteil des gesellschaftlichen Alltags. Sie kannunabhängig vom Geschlecht vorkommen, wird aber in der Regel vonMännern an Frauen verübt. Die Täter sind ganz "normale" Männer ausallen Berufs- und Bevölkerungsgruppen, denen man "so etwas" nichtzutrauen würde: der nette Kollege, der hilfsbereite Nachbar, der aufmerk-same Bekannte oder der vertraute Lebenspartner. Gerade beiSexualdelikten kommen die Täter häufig aus dem sozialen Nahbereich derBetroffenen.Kein Verhalten, bzw. Auftreten der betroffenen Person rechtfertigt dieGrenzverletzung, verantwortlich ist alleine die belästigende Person. Vonder betroffenen Person kann weder verlangt werden, sich in der konkre-ten Situation zu wehren, noch das sie das Erfahrenen thematisieren kann.

“Definition”

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Zu den verbalen Grenzverletzungen gehören unter anderem:" Anzügliches Reden über körperliche Merkmale, Aussehen,

Kleidung" Abfällige Bemerkungen mit sexuellem Inhalt" Diskriminierende Witze" Indiskretes "Ausfragen" über die Lebensführung

Zu den nonverbalen Grenzverletzungen gehören unter anderem:" Verteilen, Aufhängen und Zeigen von Darstellungen sexisti-

schen oder pornographischen Inhalts" Provozierendes und ungebührliches Verhalten, sexuell herab

würdigende Gesten" Wiederholtes und anhaltendes Anstarren" Unerwünschte Geschenke

Zu körperlichen Grenzverletzungen gehören unter anderem:" Erzwingen sexueller Handlungen, sexuelle Nötigung,

Vergewaltigung" Aufforderung zu sexuellen Handlungen" Unerwünschte Berührungen und Übergriffe" Nicht erwünschte körperliche Nähe

Wir haben uns dazu entschlossen, im Folgenden den Begriff sexualisier-te Gewalt zu verwenden. Wir halten das von uns so bezeichnete Verhaltenfür gewalttätig, da seine Auswirkungen und Funktionen meist mit physi-scher Gewalt vergleichbar sind: In beiden Fällen wird durch dieHandlungen Macht ausgeübt. Bei physischer Gewalt wird in der Regelnicht der körperliche Schmerz zum hauptsächlich belastenden Erlebnissondern das Gefühl von Ohnmacht und Unterlegenheit.. Auch bei denvon uns beschriebenen Situationen, die keine physischen Übergriffe bein-halten, fühlen die Betroffenen Unwohlsein (Angst, Panik) bis hin zu kör-perlichen Schmerzen (Magenschmerzen, Atemnot). Hier wird deutlich,dass physische und psychische Angriffe ähnliche Auswirkungen habenkönnen. Zum Wohlbefinden jeder Person gehört sowohl die psychischeals auch die physische Unversehrtheit, die durch den gewalttätigenEingriff verletzt werden kann. Des Weiteren sprechen wir nicht von sexu-eller sondern von sexualisierter Gewalt, weil das damit bezeichneteVerhalten nicht durch sexuelle Bedürfnisse oder sexuelle Lust motiviertist. Sexualität wird lediglich zur Ausdrucksform und zum Ventil vonMacht und Überlegenheit funktionalisiert.

Warum “sexualisierte Gewalt”?

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Sexualisierte Gewalt (also sowohl Vergewaltigung, als auch sexuelleBelästigung) ist Ausdruck von Machtausübung, Kontrolle undDemütigung. Besonders deutlich wird dies an der Vergewaltigungssitu-ation in Gefängnissen:Vergewaltigungen waren und sind in einigen Gefängnissen an derTagesordnung. Diese Vergewaltigungen spielen sich nicht in einer Mann-Frau-Konstellation ab, sondern werden von Männern an Männern durch-geführt. Bei den Vergewaltigern handelt es sich zu meist um heterosexu-elle Männer.Diese Vergewaltigungen haben ebenso wenig mit Homosexualität zu tun,wie andere Vergewaltigungen etwas mit Sexualität gemein haben. InGefängnissen werden die neuen Häftlinge von den "Alteingesessenen"vergewaltigt, um zu demonstrieren, wer in der Gruppe der Anführer mitdem größten Machtpotential ist. Vergewaltigte Männer sind nichtBetroffene von Vergewaltigungen, weil sie auf ihre Vergewaltiger beson-ders attraktiv gewirkt hätten und jene ihre sexuellen Lüste einemDampfkessel gleich entladen mußten, sondern weil der Vergewaltiger sieklein halten und kontrollieren sowie demütigen wollte.

Sexualisierte Gewalt als Demütigungs-und Kontrollform

Mythen und Abwehrmechanismen

Es existieren in Bezug auf sexualisierte Gewalt, Sexualität und dasVerhältnis zwischen den Geschlechtern verschiedene Mythen. ImFolgenden wollen wir diese aufzeigen.Die Mythen und Abwehrmechanismen sind dabei kursiv gekennzeichnet.

"Männer sind halt triebgesteuert. Sie verlieren immer mal wieder die Kontrolle undkönnen ihre Finger nicht bei sich behalten." "Das kann doch jedem mal passieren"

Hier werden zwei Vorannahmen getroffen:Erstens wird Sexualität als etwas Naturgegebenes beschrieben, als einTrieb, der ausbricht, wenn er nicht kontrolliert wird. Allerdings wirdSexualität, wie sie erlebt und ausgelebt wird, im Sozialisationsprozesserlernt. Gesellschaftliche Vorstellungen vom Sexualverhalten und demGeschlechterverhältnis werden übernommen. Sexualität ist somit nichtFolge einer unveränderbaren und unkontrollierbaren Natur.6

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Die zweite entscheidende Vorannahme ist, dass sexualisierte Gewaltdurch Sexualität motiviert sei. Sexualisierte Gewalt ist hingegen einAusdruck von Macht und Kontrolle.

"Frauen unterdrücken ihre Sexualität und brauchen deshalb männliche Eroberung"

In diesem Mythos wird, wie oben beschrieben, eine natürliche Sexualitätangenommen, die tief in jedem Menschen steckt. Frauen wird so dasRecht abgesprochen, ihre eigenen Bedürfnisse zu kennen und artikulierenzu können.

"Vergewaltiger sind pathologische Einzeltäter."

Bei Vergewaltigern wird häufig als erstes an einen pathologischen Tätergedacht, der in einem dunklen Park Frauen auflauert. Sexualisierte Gewaltwird jedoch zumeist durch Personen im sozialen Nahbereich und an ver-trauten Orten der Betroffenen ausgeübt.Die Täter sind oft "ganz normale" Männer, denen solches Verhalten nichtzugetraut wird. Vergewaltigungen sind Ausdruck eines hierarchischenGeschlechterverhältnisses. Die Häufigkeit sexualisierter Übergriffe wirdhäufig unterschätzt. Es handelt sich eben nicht um seltene Einzelfälle.

"Reden über sexualisierte Gewalt bringt die Taten erst hervor."

In dieser Argumentation zeigt sich der Unwille, sich mit eigenen herabset-zenden Vorstellungen und Verhaltensweisen auseinanderzusetzen. Sokönnen bei einer Reflexion der ungleichen gesellschaftlichenMachtverhältnisse zwischen Männern und Frauen persönliche Denk- undHandlungsstrukturen nicht außen vor bleiben. In dieser Argumentationwird versucht, die Menschen, die über sexualisierte Gewalt aufklären wol-len, für die Existenz von Diskriminierung verantwortlich zu machen.

"Frauen profitieren doch auch von dem Geschlechterverhältnis"

Sicherlich wird es Frauen geben, die ihre Attraktivität als Kapital einset-zen. Und dieses Vorgehen wird in der Regel auch erfolgreich sein, weil esMänner geben wird, die auf diese Strategie anspringen. DieseArgumentation ignoriert aber die bestehende gesellschaftlicheUngleichheit, in der Frauen auf ihre Attraktivität reduziert werden.

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"Es handelt sich bei sexualisierter Gewalt hauptsächlich umKommunikationsprobleme. Männer und Frauen denken anders. Es wurde nur nichtgenug miteinander geredet."

Die Behauptung, Männer und Frauen hätten "einfach nur" unterschiedli-che Denkweisen und Umgangsformen, ignoriert reale Machtunterschie-de und ein Herrschaftsverhältnis, das Männer - egal ob bewusst oder un-bewusst - zu ihrem Vorteil ausnutzen und z.B. durch sexualisierteGewaltstabilisieren. Es kann bei verbalen Grenzverletzungen von Kommunika-tionsproblemen geredet werden, solange klar ist, dass es Macht und Ge-walt in der Kommunikation gibt, diese in dem Sinne also verletzend seinkann.

"Das verletzende Verhalten ist doch gar nicht ernst oder böse gemeint"

Bei einer Grenzverletzung ist das subjektive Empfinden der Betroffenenentscheidend und nicht die Intention desjenigen, der die Grenzen über-schreitet. Nicht jedes Verletzen von Grenzen geschieht in der Absichtzu demütigen, aber auch ein unbedachtes oder ignorantes Verhalten odereine witzig gemeinte Bemerkung kann verletzen. Selbst eine ironischeAnspielung oder ein parodierendes Verhalten können Unwohlsein her-vorrufen.Eine solche Argumentation wird aber auch von Tätern verwendet, umihr Verhalten im Nachhinein als Missverständnis umzudeuten und so zulegitimieren. Darauf zu verweisen, dass "das es ja nicht ernst gemeintwar", verlagert die Verantwortung für den Umgang mit verletzendemVerhalten in die Betroffenen, von denen gefordert wird "nicht so überzu reagieren". Es liegt dagegen bei jedem Einzelnen im eigenenVerhal-ten darauf zu achten, niemandem zu Nahe zu treten oder zu verletzen.

"Sie hat ja nichts gesagt und sich nicht gewehrt, also war das keine sexualisierteGewalt"

Es wird hierbei ignoriert, dass es Situationen gibt und sie systematischhergestellt werden, in denen es eben nicht zu einer Artikulation der eige-nen Bedürfnisse kommen kann. Machtunterschiede lassen einigen Men-schen keinen Raum "Nein" zu sagen oder dieses "Nein" wird überhört.Überforderung und Unsicherheit bis zu lähmender Angst können es derBetroffenen unmöglich machen, ihren Gefühlen entsprechend zu reagie-ren. Diese Angst kann dadurch hervorgerufen werden, dass z.B. einguter Bekannter die eigenen Grenzen verletzt. Das vertraute Bild voneinem Menschen wird plötzlich zerstört. Es ist selten möglich, mit denwidersprüchlichen Empfindungen ("ich vertraue der Person docheigentlich" gegen "er verletzt gerade meine Grenzen") umzugehen.

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Der gesellschaftliche Druck "sich doch nicht so anzustellen" und Angstvor den Reaktionen des Gegenübers, erschweren die Artikulation nochmal. Meist wird darüber hinaus ein reales Machtgefälle zwischen Täterund Betroffener übersehen oder ignoriert. Ein vermeintlich freundschaft-licher und gleichberechtigt scheinender Umgang bewirkt nicht, dass dabeiHierarchien z.B. zwischen Dozent und Studentin aufgehoben werden.Der Dozent/ Professor ist und bleibt derjenige, der beurteilt, Noten gibtund Karrierewege eröffnet oder verbaut und zudem gesellschaftlichesAnsehen genießt. Alleine diese Situationen können eine Betroffene dazuveranlassen, sich entgegen ihres eigenen Empfindens nicht zur Wehr zusetzen.Wenn ein Professor z.B. in einer großen Vorlesung eine sexistischeBemerkung macht, ist es unmöglich eine gleichberechtigte Diskussion zuführen und das nicht nur weil er meist als Autoritätsperson anerkanntwird. Der Professor ist z.B. durch ein Mikro und meist geschultereRhetorik in der besseren Redeposition. Es ist so äußerst schwer dieAufmerksamkeit der anderen StudentInnen auf ein unpassendesVerhalten des Professors zu lenken. Diesen und ähnliche Mechanismenfinden sich ebenso in direktem zwischenmenschlichem Umgang undbewirken, dass Grenzverletzungen viel seltener artikuliert werden können,als sie von den Betroffenen wahrgenommen werden.

In den dargestellten Abwehrmechanismen zeigt sich ein einheitlichesMuster mit dem die Verantwortung von den Tätern genommen wird. IhrVerhalten wird auf verschiedenste Arten entschuldigt. Sätze wie "Es warnicht so gemeint", "... keine böse Absicht", "...ein Versehen, bzw. unkontrollierterAusbruch" verharmlosen die Tat und entschuldigen die Täter. Stattdessenwird Frauen immer wieder vorgehalten, "sich nicht so anzustellen..." "doch mallockerer zu sein". Die (implizite) Aufforderung erlebte Grenzverletzungenzu ignorieren, entspricht hierbei einer täterorientierten Argumentation. Eswird versucht bestehende Ungleichheit und Privilegien zu erhalten und zulegitimieren.Diese und weitere diskriminierende Vorstellungen werden häufig alsSelbstverständlichkeiten von Männern und Frauen hingenommen. Dennnur weil Frauen in unserer Gesellschaft geringerwertige Positionen zuge-wiesen bekommen und einnehmen, bedeutet das nicht, das sie Mythenund Naturalisierungen der bestehenden Verhältnisse umfassend reflek-tiert hätten. Ebenso ist es unsinnig, nur weil Frauen Opfer von Angriffenwerden, daraus zu folgern, dass diese die wirkenden Mechanismen durch-schauen und sie erklären können. Trotzdem wird häufig gefordert, dasverletzende Verhalten des Täters genau verstehen, beschreiben und dar-stellen zu können. Die Frage, warum gerade Person X sexualisierteGewalt ausgeübt hat, ist aber etwas, was sich vor allem X und sein Umfeldstellen sollten. Die Betroffene ist dabei in keinerlei Begründungs- oderRechtfertigungszwang.

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Eine sexistische, männlich dominierte Atmosphäre, in der taxierendeBlicke, lautstarke Bewertungen des Körpers von Frauen, Verteilung sexi-stischen Materials in Seminaren, anzügliche Witze und Prahlereien mitsexuellen Abenteuern zur belastenden Alltäglichkeit und erschreckenderUni-Normalität werden, wendet sich sogleich gegen Frauen, die sich aktivgegen diesen "Normalzustand" und/oder konkrete Fälle von sexuellerBelästigung zur Wehr setzen wollen.

Die belästigten Frauen dürften nicht so "zimperlich" oder "zickig" sein; essei doch nur ein "Kavaliersdelikt", über das sie sich da aufregen. DieseInterpretation ist täter- und männerorientiert, da sie dieVerharmlosungsbemühungen und Denkmuster des Täters anerkennt. DieWahrnehmung der Betroffenen wird ebenso ausgeblendet wie die psychi-schen Auswirkungen, mit denen sie aufgrund von sexualisierter Gewalthäufig zu kämpfen hat.Solche Belastungen sind von Person zu Person unterschiedlich. Es mußkeine Strichliste abgehakt werden, nach der Betroffene ihre Situation als"schwerwiegende Folgen" sexualisierter Gewalt bewerten "dürfen". Essollen die Dimensionen, die psychische Folgen sexualisierter Gewaltannehmen können, umrissen werden:

Die Arbeitssituation, in der sexualisierte Gewalt erfahren wurde, kann ausAngst gemieden werden und die Arbeitsmotivation kann sinken. DieBetroffene geht eventuell nicht mehr (gerne) in die entsprechendenSeminare oder gibt ihr Studium gänzlich auf, weil sie sich nicht alsWissenschaftlerin anerkannt und bestätigt fühlt, oder weil sie die sich wie-derholenden Begegnungen mit dem Belästiger nicht mehr ertragen kann.

Die Gefühle, die aufgrund einer Grenzverletzung auftreten, können sehrunterschiedlich sein und sich im zeitlichen Verlauf verändern. Schwierigmag es unter Umständen sein, die empfundenen Gefühle der erlebtenSituation zuzuordnen und sie (vor sich selbst) nicht als unpassend herun-terzuspielen. Denn auch Betroffene neigen dazu, ihre Erfahrungen nachden gesellschaftlich verbreiteten Mythen zu interpretieren. Beispielsweise können Gefühle des Ekels und Unwohlseins nach einem unerwünschtenkörperlichen Annäherungsversuch entstehen, die (anfangs) sogar von denBetroffenen als solche nicht benannt werden können, weil sie nicht dengesellschaftlichen Erwartungen entsprechen.

Auswirkungen

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So ist es zu jedem Zeitpunkt wichtig, darauf zu achten, wie man sich inder jeweiligen Situation fühlt und diese wahrgenommenen Gefühle ernstzu nehmen.Verwirrung, Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit, Wut undDepressionen können nach einer Grenzverletzung auftreten. Zweifel ansich selbst, der eigenen Wahrnehmung und dem eigenen Wert sind keineSeltenheit. Scham und Hass werden zumeist gegen sich selbst gewendetund können sich in selbstdestruktivem Verhalten entladen.Selbstmordgedanken und -versuche haben bei Frauen ihre häufigsteUrsache in erlebter sexualisierter Gewalt. Der Konsum von Drogen kannals eine Möglichkeit der Betäubung erlebt werden. Sich immer wiederho-lende Erinnerungsblitze und Alpträume von der Tat ermöglichen keindauerhaftes Verdrängen des Erlebten. Der Bezug zum eigenen Körperund zur eigenen Sexualität verändert sich meist grundlegend. SexualisierteGewalt wird häufig über den Körper von Betroffenen ausgeübt, was zueinem problematischen Körpergefühl führen kann. Sexualität kannschwerlich als unbeschwerter, herrschaftsfreier Raum erlebt werden. DieGestaltung von intimen Beziehungen kann Betroffenen schwer fallen.Nach dem Erleben von Machtausübung und massiver Demütigung inForm von sexualisierter Gewalt können Betroffene mit dem Gefühl vonOhnmacht, Entwürdigung und Ausgeliefertsein zurückbleiben und kön-nen in ihrem Vertrauen an "das Gute im Menschen" massiv erschüttertwerden.

Der gesellschaftliche Kontext, in dem der Täter zum Opfer weiblicherReize stilisiert wird oder in dem die psychischen Belastungen derBetroffenen heruntergespielt werden, ist ein denkbar schlechterNährboden für einen erfolgreichen Heilungsweg der Betroffenen. ImGegenteil: Häufig durchleben Betroffene zehrende Schuld- undSchamgefühle, da sie es doch nicht geschafft haben - wie ihnen von ihrerUmwelt vorgehalten wird - den "Dampfkessel Mann" zu kontrollierenund zu bremsen oder sich gegen ihn nicht energisch genug zur Wehr zusetzen. Als Betroffene kann es in der Gewaltsituation zu lähmender Angstoder einer unkontrollierbaren Dissoziation kommen, d.h. dass der Bezugzur eigenen Gefühlswelt kurzzeitig unterbrochen wird, weil sie zu bela-stend ist. In einem solchen psychischen Zustand ist es ausgesprochenschwierig, sich zu wehren.

Ein sexualisierter Übergriff vermindert Lebensfreude und Lebensqualitätund zeichnet seine Spuren nicht selten noch jahrzehntelang in das Lebenund die Persönlichkeit der Betroffenen. Wie sensibel bzw. unsensibel dieUmwelt auf diese neue Situation, in die die Betroffene katapultiert wurde,umgeht, ist von enormer Wichtigkeit für ihren Heilungsweg. Alle Gefühleder Betroffenen müssen als Realität anerkannt und ernst genommen wer-den.

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Eine erste Schwierigkeit besteht häufig im Erkennen, dass es sich bei demErlebten um eine sexuelle Belästigung handelt. Wenn eine Situation alsunangenehm oder sogar bedrohlich empfunden wird, ist dies nicht über-trieben und hat meistens eine Berechtigung. Zunächst ist es deshalbwichtig, die eigenen Gefühle und Empfindungen ernst zu nehmen!Das bedeutet auch, zu lernen, die eigenen Grenzen wahrzunehmen undgegenüber anderen klar abstecken zu können. Dies fällt gerade Frauenaufgrund ihrer weiblichen Sozialisation häufiger schwer, da sie dasGefühl bekommen, "zu empfindlich" oder "zu abweisend/unfreundlich"zu sein. Es kann auch erstmal schwierig sein, die "Peinlichkeit", die beieiner sexuellen Belästigung häufig empfunden wird, zu überwinden undzu handeln. Auch vermeintlich harmlose Übergriffe, wie sexistischeBemerkungen oder "blöde" Anmachen sollten dabei ernst genommenwerden, da auch hier die Grenzen überschritten werden. Es ist nicht"lächerlich" oder "peinlich" diese zurückzuweisen. Die Intensität derÜbergriffe kann sich im laufe der Zeit auch steigern.

Oft ist es hilfreich, sich mit anderen Frauen auszutauschen. Dabei kommthäufig heraus, dass diese bereits ähnliche Erfahrungen oderBeobachtungen gemacht haben, gerade was bestimmte Situationen (zumBeispiel bei bestimmten Dozenten) an der Universität betrifft. So kannman dann gemeinsam Strategien entwickeln, und man fühlt sich sichererim Umgang mit der Situation.

Bei der Gegenwehr gibt es keine Pauschallösung oder Ratschläge, wiesich eine Frau verhalten sollte. Und es muss betont werden, dass eineFrau, die sich - aus was für Gründen auch immer - nicht gegen eine sexu-elle Belästigung gewehrt hat/nicht wehren konnte, keine Mitschuld trägt!Die Verantwortung trägt immer die belästigende Person! Im Folgendensollen verschieden Möglichkeiten der Gegenwehr vorgestellt werden

Oft ist es schon wirkungsvoll, "überraschend" und eben nicht "typischweiblich” zu reagieren. Dabei kann alleine schon die eigeneKörperhaltung eine Rolle spielen. Wenn sich eine Frau aufrecht undselbstbewusst bewegt, gewinnt sie meist schon an Sicherheit. Natürlich istes aber nicht jeder Frau ein selbstbewusstes und starkes Auftreten mög-lich, zumal dies auch stimmungsabhängig ist und oft in der weiblichenSozialisation nicht gelernt wurde. Aber auch diese Verhaltensweisen kön-nen geübt werden. .12

Strategien und Handlungsmöglichkeiten

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Es gibt verschiedene Formen der Gegenwehr. Frauen neigen häufig zueiner defensiven Form, indem die Belästigung ignoriert wird, oder derKontakt zu dem Belästiger gemieden wird. Diese Art der Gegenwehr istallerdings selten erfolgreich und kann erhebliche Einschränkungen für dieFrau bedeuten, wenn sie zum Beispiel dadurch mit einer längerenStudiendauer rechnen muss, die eventuell sogar einen Studiengang- oderOrtswechsel einschließt. Dies soll keine Abwertung der individuellenStrategie der Gegenwehr bedeuten. Es kann sinnvoll sein bestimmte Si-tuationen zu meiden, gerade wenn sich alternative Möglichkeiten bieten,da auch der ständige Umgang mit der belastenden Situation eine massiveEinschränkung bedeutet.Trotzdem sind offensive Formen der Gegenwehr, in denen dieBelästigung direkt zurückgewiesen wird, von Vorteil, da sie eine höhereAussicht auf "Erfolg" haben und der Belästiger mit seinem Verhaltenkonfrontiert wird. Dies kann zum Beispiel durch eine laute Entgegnungauf die Belästigungssituation geschehen, um dem Vorfall die Heimlichkeitzu nehmen. Eine weitere Möglichkeit ist es, den Belästiger zur Rede zustellen, und die eigenen Grenzen deutlich zu artikulieren. Ein solchesGespräch sollte nicht zu zweit geführt werden. Es ist ratsam eine Person,der man vertraut, miteinzubeziehen. Auch schriftliche Reaktionen sindmöglich, vor allem wenn die verbale Zurückweisung schwer fällt. Dabeiist es wichtig, einen solchen Brief sachlich und detailliert zu verfassen, dasheißt mit Angaben von Ort, Datum, Tathergang, usw.. Die Belästigungsollte benannt, dann kritisiert und zurückgewiesen werden. Es ist ratsam,eine Kopie des Briefes zu erstellten und den Brief im Beisein einer drit-ten Person zu übergeben, oder als Einschreiben zu verschicken. Im Falleeines möglichen rechtlichen Vorgehens gegen die Belästigung kann dieswichtig werden.

Traut man sich ein persönliches Vorgehen gegen die Belästigung nicht zu,stehen professionelle Ansprechpartnerinnen sowohl in der Universität(Frauenbeauftragte), als auch außerhalb der Universität (Notrufe) zurVerfügung, die einen beraten und unterstützen können.Die institutionelle Anlaufstelle für Studentinnen, die von sexuellerBelästigung in den Räumen der Universität und/oder von sexuellerBelästigung durch Uni-Angestellte betroffen sind, bietet dieGleichstellungsbeauftragte der Uni. In einem persönlichen, auf Wunschanonymen Gespräch bietet sie Beratung und Unterstützung. Den berich-teten Vorfall kann sie anonym zu ihren Akten nehmen oder einDisziplinarverfahren gegen den Täter beim Landesministerium beantra-gen, in dem die Betroffene dann aber nicht mehr anonym bleibt. Ein sol-ches Disziplinarverfahren kann für den Täter den Entzug der Prüfungs-und Scheinausgabeberechtigung, Abzüge der Pension (sowie den Verlustseines guten Rufes?) zur Folge haben.

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Falls nötig berät die Gleichstellungsbeauftragte über Maßnahmen einerstraf- und zivilrechtlichen Verfolgung und verweist an therapeutischeEinrichtungen, um den Umgang mit dem belastenden Erlebnis zu mei-stern.Ein Gespräch mit der Frauenbeauftragten ist auch deshalb sinnvoll, weilsich dabei häufig herausstellt, dass ein Belästiger bereits mehrere Frauenbedrängt hat. So hat eine eventuelle institutionelle Gegenwehr eine größe-re Aussicht auf Erfolg

Die zweite Möglichkeit, öffentlich gegen den Täter vorzugehen, stellt dieStrafanzeige dar. Diese kann ein wichtiger Schritt sein, sich aktiv zurWehr zu setzen, ist aber mit Schwierigkeiten und Belastungen verbunden.Deshalb ist es dringend zu empfehlen, vor einem solchen Schritt eineBeratungsstelle (Notruf) aufzusuchen, um sich über Möglichkeiten,Aussichten und Schwierigkeiten zu informieren und gemeinsam zu schau-en, welche Belastungen auf einen zukommen und wie damit umgegangenwerden kann.

Was kann ich tun, wenn mir eine Betroffene von ihren Erfahrungen mitsexualisierter Gewalt berichtet?

Es ist fast ausgeschlossen, dass es in Ihrem Bekanntenkreis keine Be-trof-fene von sexualisierter Gewalt gibt. Fast jede Frau kennt sexualisierteSituationen, in denen sie sich bedrängt oder unwohl fühlt. Sehr häufigwird darüber wegen des starken gesellschaftlichen Tabus aber nicht ge-sprochen. Der Umgang mit dem Thema fällt so vielen Betroffenenschwer.

Für Personen, die von einer Betroffenen ins Vertrauen gezogen werden,entsteht eine schwierige Situation. So kann es sein, dass selbst Ähnlicheserlebt wurde oder dass es bei weiterer Reflektion unausweichlich wird,eigene Privilegien oder Gewaltpotentiale zu hinterfragen. Das entgegen-gebrachte Vertrauen und die daraus resultierende Verantwortung erzeu-gen unter Umständen starke Unsicherheit und Angst. Es ist hilfreich, dieeigene Ratlosigkeit, die die gewünschte Unterstützung der Betroffenenerschwert, zu artikulieren. Fragen Sie die Betroffene offen, was ihr gut tunkönnte und was Sie sich von Ihnen wünscht oder was sie auf gar keinenFall will. Wichtig ist, dass auch Sie Ihre Grenzen abstecken und artikulie-ren, wie weit Sie bereit sind, Unterstützung zu leisten.

Wenn mir von einem Übergriff erzählt wird

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Um mit Unsicherheiten und Ängsten beim Umgang mit Betroffenen bes-ser umzugehen und sich selbst emotionale Unterstüztung zu sichern, kön-nen Sie sich als Bezugsperson auch an den Notruf in Münster oder ande-re Beratungsstellen (Addressen siehe Anhang) wenden.Es ist wichtig, dieeigenen Affekte und Impulse hinter die Wünsche der Betroff-enen zustellen. So groß ihre Wut und Ohnmacht auch sein mag, steht sie nicht imVordergrund. Auf keinen Fall dürfen irgendwelche Schritte ohneAbsprache oder gar gegen den Willen der Betroffenen unternommenwerden. Dies würde eine erneute Grenzverletzung der Betroffenen dar-stellen und des Subjektstatus beraubt weiter in die Passivität drängen.Unbedingt muß vermieden werden, ihr den eigenen Willen aufzuzwingen.Formulierungen wie "Du mußt aber.. " oder "Warum machst Du nichtendlich..?!" haben hier keinen Platz. Eigene Initiativen der Betroff-enenmüssen respektiert werden und der Weg zu einer selbstbestimmtenGegenwehr freigehalten werden. Die Fragen "Was brauchst Du?" "Waswillst Du?" sollten im Mittelpunkt stehen.Besonders gilt es, die Wünsche der Betroffenen im Hinblick auf eineStrafanzeige einzuhalten. Ist eine Anzeige bei der Polizei eingegangen, istsie nicht mehr zurückzuziehen; die Betroffene ist dann zu belastendenZeugenverhören gezwungen.

Der Kontakt und der Dialog mit Vertrauenspersonen ist für eineVerarbeitung der belastenden Erfahrung von Bedeutung. Erzählt Ihneneine Betroffene ihre Geschichte, behalten Sie im Bewußtsein, dass es sichum einen großen und sehr mutigen Schritt handelt. Es ist von größterBedeutung zuzuhören; das Erzählte ernst nehmen, ohne Vorwürfe zumachen, ohnedie Erfahrung zu relativieren oder anzuzweifeln!

Es besteht kein Grund, die Glaubwürdigkeit einer Betroffenen anzuzwei-feln, wenn diese nur unvollkommene Erinnerungen an eine Tat hat oderwidersprüchliche Aussagen macht. Nach einem sehr belastendemErlebnis können Erinnerungslücken eine wichtige Schutzfunktion derPsyche erfüllen.

Die Vorstellung, die Sie davon haben, wie sich eine Betroffene kurz nachder Tat verhält, trifft in den seltensten Fällen zu, ebenso wenig wieTäterklischees greifen. Wenn die Betroffene gefasst wirkt oder nochKontakt zum Täter pflegt, hat das keinen Einfluß auf ihreGlaubwürdigkeit, sondern stellt eine Strategie dar, mit dem Erlebtenumzugehen. Ob diese Strategie gut für das Wohlbefinden der Betroffenenist, kann sie mit Ihrer Unterstützung überlegen.

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Zügeln Sie Ihre eventuelle Neugier und drängen Sie nicht auf Aussagender Betroffenen. Sie kann so unter Rechtfertigungs- oderErklärungszwang gesetzt werden und allzu detailliert vom Tathergangerzählen, was retraumatisierend sein kann. Versuchen Sie, den Eindruckeines Verhörs zu vermeiden, um nicht ihre Glaubwürdigkeit in Frage zustellen. Fragen wie "Warum hast du nicht..?" sollten nicht fallen.Versuchen Sie, ihr das Gefühl zu vermitteln, dass all ihre Reaktionen(Wut, Trauer, Verzweiflung) in Ordnung sind und sie sich nicht dafür zuschämen braucht. Wenn sie z.B. weint kann es sinnvoll sein, sie nicht dazuaufzufordern, sich zu beruhigen. So sehr das Erzählen der eigenenGeschichte ein unglaublich wichtiger Schritt sein kann, ist damit dasProblem für die Betroffenen bei Weitem nicht aus der Welt geschaffen.Das Artikulieren des Erlebten kann eine Erleichterung darstellen, kannaber andererseits bei der Betroffenen ein erneutes emotionales Erlebender Tat bewirken und sie aus der Bahn werfen.

Versuchen Sie, mit dem Vertrauen, das Ihnen entgegengebracht wurde,einen verantwortungsbewußten Umgang zu finden. Unterstützen Sie dieBetroffene zusamen mit professionellen Einrichtungen verständnisvollauf ihrem individuellen Heilungsweg.

Was könnt ihr tun? Wie geht es nun weiter?

Sexualisierte Gewalt ist kein Thema, das aus seinen gesellschaftlichenRahmenbedingungen gehoben werden kann. Diesen Rahmen bilden u.a.ein nicht gleichberechtigtes Geschlechterverhältnis und dieNaturaliserung von Geschlechterdifferenzen und die Normierung vonSexualität. Sich aus diesem Rahmen herausnehmen kann man nicht,dajeder von ihm geprägt wurde. Um also sexualisierter Gewalt denNährboden zu rauben, muß man die Mechanisem dahinter verstehen, denRahmen analysieren und auch das eigene Verhalten reflektieren.

Sexualisierte Gewalt erkennen:

Schwierig mag es anfangs sein, ein Vorgehen, eine Bemerkung oder einenBlick, den man bezogen auf eine (andere) Frau beobachtet, als möglicheGrenzverletzung zu begreifen.

Was könnt ihr tun

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Es ist nicht hilfreich, von sich auf die andere Person zu schließen, und mitdem Gedanken, dass einen selbst dies nicht verletzt oder beschämt hätte,die Situation als harmlos abzutun.In sexistischer Umgebung (deutlich an z.B. durchgehender Abwertungfachlicher Kompetenzen und Sexualisierung von Frauen) reagierenMänner im Durchschnitt anders als Frauen auf z.B. eine Bemerkung überihr Äußeres. Ein Mann mag dies eher als Kompliment werten, währendeine Frau eher das Gefühl haben könnte, erneut auf ihren Körper redu-ziert und sexualisiert worden zu sein. Weiterhin gibt es auch unter FrauenUnterschiede in der Wahrnehmung. So könnte sich eine Frau auf ebenjene Bemerkung hin geschmeichelt fühlen, während die andere dies alsHerabsetzung versteht.Gerade die Bewegung in einem solchen Graubereich, der vom außenste-henden Beobachter nicht eindeutig als Grenzverletzung erkannt wird,kann für die betroffene Frau sehr belastend sein, weil ihre Gefühle derHerabsetzung und der Grenzüberschreiung von Außenstehenden seltenwahr- und ernstgenommen werden.Jenseits dieses Graubereiches kommt es auch zu körperlichenZudringlichkeiten und Übergriffen. Diese passieren zumeist unter vierAugen, damit eine Beobachtung durch Dritte möglichst ausgeschlossenwird.

Beobachtungen sexualisierter Gewalt und sexistischen Verhaltens:

Man sollte im Alltag aufmerksam gegenüber seinen Mitmenschen unddem Verhalten anderer sein.

Auch wenn grenzverletzendes Verhalten häufig in einem geschlossenenRaum unter vier Augen passiert, kann man manchmal als dritte, außenste-hende Person, die den Vorfall nicht direkt beobachtet hat, durchaus dieFolgen im Verhalten der Betroffenen sehen:Verhält sich eine Frau besonders ausweichend in Anwesenheit einerbestimmten Person? Bleibt sie bestimmten Orten, wo sie diese Persontreffen könnte, fern? Verliert sie plötzlich die Motivation an derArbeit/dem Studium (sexuelle Belästigung wird häufig als Grund füreinen Studiumsabbruch genannt)? Vorsichtiges Nachfragen ist hier wün-schenswerter als bloßes Darüber-Hinwegsehen.

Beobachtet man eine Interaktion, die sexualisiert wurde, und zusätzlichvon Seiten der Frau ausweichend oder beschämt oder wütend beantwor-tet wird, kann man die betroffene Frau möglichst sensibel unter vierAugen nach ihrer Einschätzung der Situation fragen und ihr (falls nötig)Unterstützung anbieten. 17

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Die Gefühle ernst zu nehmen und nicht zu relativieren, steht dabei anvorderster Stelle. Erfahrene und geteilte Solidarität in einer Situation, inder zuvor die Integrität der eigenen Person verletzt wurde, ist sehr wich-tig.Wird eine Situation beobachtet, die sexistisch ist, ohne auf einzelnePersonen bezogen zu sein, kann Kritik geäußert werden, auch wenn odergerade weil sie von einigen Seiten als Überempfindlichkeit oder Hysterieabgetan wird. Der reibungslose Ablauf des Seminars kann in einem sol-chen Moment nicht über die Diskussion diskriminierender Äußerungenstehen. Bemerkungen z.B. über den "Hausfrauen-Status" vonStudentinnen können als diskriminierend benannt und der Bezug zumgesamtgesellschaftlichen Sexismus erklärt werden.

Eigenes Verhalten hinterfragen:

Tiefsitzende Denkstrukturen werden im Verhalten widergespiegelt. Dabeigeben gerade "Selbstverständlichkeiten" im Handeln und DenkenHinweise auf das dahinter liegende Denkgerüst.Um weitestgehend selbstbestimmt handeln zu können, müssen diese"Selbstverständlichkeiten", die von der Umwelt übernommen und niezuvor bewußt hinterfragt wurden, reflektiert werden.

Was uns für unser und das Verhalten anderer als selbstverständlich - alsoquasi natürlich - gilt, wird häufig geschlechtsdifferent definiert, d.h. dassMänner sich "natürlicherweise" anders verhalten als Frauen. Bezogen aufSexualität ist diese Naturalisierung besonders stark. So wird sexuelleOffensivität bei Männern als natürlich angenommen und wird im gleichenZuge gesellschaftlich akzeptiert. Zugespitzt formuliert: "Männer wollenimmer. Frauen zieren sich." Der Frau, die ihre Sexualität bewusst, selbst-bestimmt und aktiv ausleben will, und dem Mann, der eben nicht auf Sexaus ist, wird wenig Raum gegeben, ihr Verhalten ihrenWünschen entspre-chend zu gestalten. Die Bezeichnungen der "Schwuchtel", der"Schlampe" oder der "Dorfmatratze" sind unter diesem Licht zu beleu-chten.Solche Zuweisungen von Empfindungen und Verhalten, diese konstruier-ten Geschlechterrollen gilt es zu durchbrechen, um sich selbst und ande-ren mehr Freiheit in der Auswahl der Verhaltensweisen und Lebens-wegeeinzuräumen.

Wir werden im Folgenden zwischen Männern und Frauen unterscheiden,da aufgrund von geschlechtsspezifischer Sozialisation häufig Unter-schie-de im Denken und Verhalten bestehen. Diese Unterschiede sind nichtvom biologischen Geschlecht determiniert.18

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Männer:

Beginne ich Annäherungsversuch ohne Anhaltspunkte für eine mir entge-gengebrachte Sympathie? Reagiere ich auf Abweisungen verständnisvollund respektiere ich die Entscheidung meines Gegegenübers, oder bin ichverletzt und wütend? Gebe ich mir Mühe, Abweisungen als solche zuerkennen und zu respektieren?Stelle ich Körperkontakt nur dann her, wenn ich mir relativ sicher bin,dass es als angenehm empfunden wird? Berühre ich manchmal Frauen,ohne mir Gedanken zu machen, welche Körperstelle meine Hand streiftund wie sie dies empfinden könnten? Respektiere ich Entscheidung gegeneinen persönlichen Kontakt vollkommen? Bin ich tatsächlich der Über-zeugung, dass es nicht die Aufgabe einer Frau sei, mir meine (sexuellen)Wünsche zu erfüllen? Wo und wann nehme ich Frauen als sexualisierteObjekte wahr? An welchen Stellen zeige ich dies durch mein Verhalten?Könnten sich Frauen in meiner Umgebung dadurch herabgesetzt undbelästigt fühlen? Benutze ich meine Privilegien als Mann in irgendeinerForm? Traue ich mich, meine Gefühle (in der Öffentlichkeit) zu zeigen?Gestehe ich mir selbst ein, durch ein Verhalten verletzt worden zu sein?Schäme ich mich, wenn ich Gefühle und Vorlieben habe, die meine"Männlichkeit" schmälern, weil sie als "weibisch" bewertet werden könn-ten?

Frauen:

Trotz des Hinweises, dass grenzverletzendes Verhalten häufig vonMännern ausgeübt wird, sollten selbstverständlich auch Frauen daraufAcht geben, keine persönlichen Grenzen zu verletzen.Nehme ich mich selbst stark durch die mir zugestandene Anerkennungvon Männern wahr? Bezieht sich diese Anerkennung besonders auf meinÄußeres oder tatsächlich auf mich als Person? Inwiefern ist es einKompliment aufgrund eines hübscheren Äußeren wahrgenommen zuwerden? Inwiefern nicht? Trauen mir andere intellektuelle Fähigkeiten zu?Traue ich sie mir selbst zu? Warum (nicht)? Gestehe ich anderen Frauenwissenschaftliche Kompetenzen zu? Wann und wo nehme ich andereMenschen als sexualisierte Objekte wahr? Gebe ich mir Mühe, (sexuelle)Abweisungen als solche zu erkennen und zu respektieren? Nehme ichandere Frauen ernst, wenn sie mir von Belästigungssituationen berichten?Traue ich mich, ungewollte Berührungen als solche zu bennen und zurückzu weisen? Lasse ich sexualisierte Situationen über mich ergehen, ohnemich dabei wohl zu fühlen? Habe ich Angst, zu sagen, wenn ich etwasnicht wünsche und es mir unangenehm ist? 19

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Fragen an Lehrende:

Der besondere Status von Lehrenden im oberen Bereich der hierarchi-schen Pyramide innerhalb der Universität weist ihnen Macht zu. Darüber,dass sie weitestgehend unkontrolliert Scheine ausstellen, Prüfungenbewerten und Lehrinhalte festlegen können, haben sie die Macht über denVerlauf eines Studiums und so auch häufig der Zukunft einesStudierenden zu entscheiden. Diese Macht kann auf verschiedenenWegen bewußt und unbewußt eingesetzt werden:

Gebe ich mir Mühe, persönliche Grenzen als solche zu erkennen und zurespektieren? Bin ich kritikfähig? Nehme ich Kritik, die vonStudierenden/wissenschaftlichen Mitarbeitern an mich herangetragenwird, ernst? Welche Handlungsmöglichkeiten lasse ich Studierendengegen ein Vorgehen meinerseits, das sie als unangebracht oder gar unge-recht empfinden, zu demonstrieren? Welche Möglichkeiten stehen ihnenin einem solchen Fall faktisch zur Verfügung? WelcheHandlungsmöglichkeiten stehen einer Studentin offen, die sich von mir(sexuell) bedrängt fühlt? Wie trage ich meinen höhreren Status und meinePrivilegien durch mein Verhalten nach außen?

Eine gemeinsame Reflexion des eigenen Verhaltens unter Lehrenden imSinne eines Austausches von Erfahrungen und Rückmeldungen Anderer(Supervision) könnte sich hier als sinnvoll erweisen. An welchen Stellen(unbewußt) das Machtgefälle eingesetzt wird, um Privilegien zu stabilisie-ren und eigene Bedürfnisse durchzusetzen, könnte so aufgedeckt werden.

Ziel sollte es sein, sein Verhalten darauf hin zu überprüfen, obMöglichkeiten gegeben, ausgenutzt und eingefordert werden, persönlicheGrenzen zu erkennen und nach außen hin abzustecken. Weiterhin sollteAufmerksamkeit gegenüber den Grenzen anderer geübt werden. Dies hatweniger mit "übertriebener Rücksichtnahme" auf die Gefühle anderersondern mehr mit einem respektvollen Umgang mit seinen Mitmenschenzu tun.

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Geschlechtsspezifische Machtverhältnisse an der Universität SexualisierteGewalt ist auch an den Universitäten kein isoliertes Phänomen vonEinzeltätern. Sie ist vielmehr eingebettet in die universitären Macht-,Autoritäts- und Abhängigkeitsverhältnisse. Um sexualisierte Gewalt zuverhindern, ist es notwendig, ohne Voreingenommenheiten und Ängsteüber diese Zusammenhänge aufzuklären und für sie zu sensibilisieren.Nur so kann ein Klima wechselseitiger Achtung entstehen, in dem diepersönliche Würde von Lernenden wie Lehrenden gewahrt wird.Sexualisierte Übergriffe und Diskriminierungen finden nicht allein, aberam häufigsten von männlichen Lehrenden gegenüber weiblichenStudierenden statt. Diese Formen sexualisierter Gewalt sind eingebettet indie geschlechtsspezifischen Machtverhältnisse an der Universität. Nebenden "handgreiflichen" Formen sexualisierter Gewalt exisiert ein "alltägli-cher Sexismus" und neben dem offensichtlichen Mißbrauch derMachtstellung von Hochschullehrern existieren vielfältige Formen derVerschränkung von "legitimer Macht" (z.B. der Bewertung vonStudienleistung) und ihrem illegitimen "sexualisierten Gebrauch".Institutionell abgestützt und getragen werden diese offenen und verdeck-ten Formen sexualisierter Gewalt und Diskriminierung durch diegeschlechtsspezifisch ungleiche Verteilung von Machtpositionen an derUni. Die zahlenmäßige Überlegenheit von Männern in Machtpositionenund die offensichtlichen wie die subtileren Formen der sexualisiertenGewalt und Diskriminierung stabilisieren und reproduzieren sich dabeiwechselseitig.

Dominanz von Männern in Machtpositionen

Während der Anteil der Frauen an allen Studierenden bereits gleichaufmit dem der Männer liegt, besteht nach wie vor ein extremes Gefälle zwi-schen den Geschlechtern, je weiter man in der akademischen Hierarchienach oben steigt. Nur jede dritte Dissertation und jede fünfte Habilitationwird von einer Frau geschrieben. Schließlich ist nur eine von zehnProfessuren von einer Frau besetzt. Gerade in der Hierachiespitze kon-zentriert sich die Macht in männlichen Händen. Zudem besteht eineAbdrängung von Frauen in die weniger prestigereichen Studiengänge. Einhoher Frauenanteil und geringes Prestige bedingen sich wechselseitigDierein zahlenmäßige Dominanz von Männern gerade in den "entscheiden-den" Positionen führt dazu, dass Frauen es vielfach schwieriger an derUniversität haben. Bekanntlich spielen Kontakte und Netzwerke zu ande-ren Studierenden und ForscherInnen sowie die Förderung durchProfessorInnen eine ausschlaggebende Rolle für erfolgreicheUniversitätslaufbahnen.

Machtverhältnisse an der Uni

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Für Studentinnen und angehende Wissenschaftlerinnen bedeutet dies oft,sich in Abhängigkeit von älteren männlichen Professoren begeben zumüssen. Zum anderen müssen sie sich in Kolloquien, Forschungsteamsund Kollegien behaupten, die ihrerseits überwiegend männlich sind. Sostehen Frauen sehr häufig eng kooperierenden und vernetztenMännergruppen gegenüber. Diese Konstellation ist ein starkerNährboden für Formen sexistischer Diskriminierung. Gleichzeitig führtder übermäßige Männeranteil unter den HochschullehrerInnen zu einergeringen Beachtung geschlechtsspezifischer Fragen und Problemen in derHochschulpolitik, den jeweiligen Institutsangelegenheiten und der Lehre.

Der alltägliche Sexismus an der UniversitätUnter dem Begriff des "alltäglichen Sexismus" können alle Praktikenzusammengefasst werden, durch die Frauen das Gefühl vermittelt wird,für die wissenschaftliche Arbeit in "Männerdomänen" nicht qualifiziertund nicht talentiert genug zu sein. Frauen werden, wie auch Studiengezeigt haben, in Diskussionen häufig übergangen, ihre Wortbeiträgenicht ernst genommen oder sogar Männern zugeschrieben. DieseAbwertung der fachlichen Kompetenzen und Ambitionen von Frauenverläuft über geschlechtsspezifische Rollenzuschreibungen und häufigüber die "Sexualisierung" von Frauen, d.h. über ihre Herabsetzung zuSexualobjekten. Studentinnen wird sowohl von Dozenten als auch vonKommilitonen unterstellt, nicht aus wirklich wissenschaftlichem Interessedem Studium nachzugehen, sondern später ohnehin mal zu heiraten undMutter zu werden oder sich schlicht auf "Männerfang" zu befinden.Wenn es einer Studentin trotzdem gelingt, sich durch engagierte Arbeitenhervorzuheben, wird der Vorwurf gerne umgekehrt und sie gilt entwederals "unweiblich" und "unattraktiv" oder ihr Erfolg wird ihren "weiblichenReizen" zugeschrieben, mit denen sie den Professor betört habe..Vermutlich kommt wohl keine Frau in ihrem Studium um Andeutungenund Anspielen dieser Art herum. Sie muß immer wieder die Erfahrungmachen, auf ihren "Sexus" hin begutachtet und reduziert zu werden undwird kaum Chancen haben, sich gegen diese "Sexualisierungen" ein füralle mal zu erwehren.Solche Schikanen und sexuellen Belästigungen lassen sich auch alsVersuch von Männern interpretieren, ihre Vormachtstellung in derWissenschaft zu verteidigen. Sie dienen dazu, Frauen zu verunsichern undihr Selbstbewußtsein zu schwächen.

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Gleichzeitig verarbeiten Männer auf diese Weise auch ihreVerunsicherungen durch die als bedrohliche "Konkurrenz" wahrgenom-men Zugewinne von Frauen bei der Bildungsbeteiligung. Das drückt sichin den beliebten Thesen der systematischen Benachteiligung vonMännern durch die Ansätze der Gleichstellungspolitik aus, die angesichtsder empirischen Fakten freilich völlig abstrus wirken müssen.

Graubereiche und GrenzverletzungenDer weite Bereich alltäglicher sexualisierter Diskriminierungen zeichnetsich gerade dadurch aus, dass die Legitimität oder Illegitimität der jeweili-gen Handlungen umstritten und durchaus streitbar ist. Wann z.B. einKompliment zur Aufdringlichkeit wird, wann Blicke taxierend wirkenoder wann ein Betreuungsverhältnis "missbräuchliche" Formen annimmt,kann nicht allgemein und objektiv entschieden werden.Gerade weil es sich hier um einen "Graubereich" und um sehr individuel-le Grenzziehungen handelt, ist die Thematisierung dieser Fragen und dieSensibilisierung für die überpersönlichen Herrschaftsmechanismen wich-tig. So zeigen Untersuchungen, dass sich die Wahrnehmungsmuster vonFrauen und Männern systematisch unterscheiden. Insbesondere"unscheinbare"Handlungen, die von Frauen als sexuelle Zudringlichkeitenwahrgenommen werden, werden von Männern häufig überhaupt nicht alssolche bewertet. Darin mag sich zum einen männliche Unkenntnis undNaivität ausdrücken. Zum anderen verweist es auf strukturelleHerrschaftsmechanismen. Indem Männer es als Selbstverständlichkeitund normalen Umgang ansehen, Frauen auch an der Universität immerwieder durch kleine verbale Andeutungen oder Handlungen zu "sexuali-sieren", werten sie damit auch ihre fachliche Autorität und Kompetenzsystematisch ab und drängen sie in eine abhängige und untergeordneteRolle. Es zeigt sich, dass insbesondere Formen der "Verniedlichung" vonFrauen häufig als sexualisierende Akte wahrgenommen werden, währendMänner dies im Zweifelsfall bloß "süß" finden.Natürlich lassen sich weder Männer noch Frauen über einen Kamm sche-ren.Dass es ein strukturelles geschlechtsspezifisches Herrschaftsverhältnisgibt, läßt keineswegs jeden Mann zum Täter und jede Frau einfach zumOpfer werden. Frauen wie Männer haben jeweils vielfältigeMöglichkeiten, sich zu diesem Herrschaftsverhältnis zu verhalten. Männerführen dabei gern zu ihrer Verteidigung an, dass auch Frauen sich diesemHerrschaftsverhältnis nicht nur unterwerfen können, sondern es aktiv zunutzen wissen. Frauen können die ihnen zugeschriebene sexuelleAttraktivität ihrerseits als "Kapital" einsetzen. Dieses Kalkül wird in derRegel aufgehen, weil es immer Männer gibt, die auf diese Strategienanspringen. 23

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Der entscheidende Beitrag, den der alltägliche Sexismus zur Reproduktionmännlicher Herrschaft leistet, besteht in der Normalisierung vonGrenzverletzungen. Das Hinweggehen über die Grenzen anderer wird sozur Normalität. Gerade der "harmlose" alltägliche Sexismus, der sichbewußt im Graubereich von Flirt und Kompliment bewegt, ist ein Spielmit Grenzen, das darin besteht, diese Grenzen zwar nur ein kleines Stückweit und augenzwinkernd, aber eben doch zu überschreiten. Auf dieseWeise versuchen Männer, ihre Definitionen der Grenzen zwischen"harmlosem" Sexismus und den verwerflichen und illegitimen Formensexualisierter Gewalt durchzusetzen.

Gegenmaßnahmen: Sensibilisierung und GleichberechtigungDer Thematisierung sexualisierter Gewalt an der Universität wird oft einfeindseliger Charakter unterstellt, da sie lediglich die pauschaleAnschuldigung der Männer und ihre Verunsicherung zum Zweck habe.Tatsächlich geht es bei der Sensibilisierung für das Thema nicht darum,einen Katalog des Erlaubten und Verbotenen zu erstellen und durchzu-setzen. Es geht vielmehr um die Anerkennung des Rechtes einer jedenPerson, ihre Grenzen gegen sexualisierende und intimitätsverletzendeÄußerungen und Handlungen selbst bestimmen zu können.Wenn das Problem der immer wieder auftretenden Fälle sexualisierterGewalt an der Uni ernst genommen werden soll, so müssen auch diegeschlechtsspezifischen Machtverhältnisse thematisiert und verändertwerden, in die diese scheinbaren "Einzelfälle" eingebettet sind. Macht istaber geschlechtsspezifisch ungleich verteilt. Das gilt sowohl in Bezug aufdie Besetzung von Professuren, als auch in Bezug auf die "symbolische"Macht zu definieren, was als sexistische Handlung gilt oder nicht. Zu for-dern ist daher die konsequente geschlechtsspezifische Gleichverteilungder Macht im Sinne einer Geschlechter-Demokratie an den Hochschulen,die parallel zu gesamtgesellschaftlichen Veränderungen verlaufen muß.Erst unter diesen Bedingungen kann ein wirksamer Schutz gegen sexuali-sierte Gewalt erwartet werden.

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SchlusswortWir hoffen, dass es uns mit dieser Broschüre nicht "nur" gelingen wird,das Thema der sexualisierten Gewalt auch im universitären Alltag sichtba-rer zu machen, sondern auch da aufzuklären, wo Unwissenheit großenSchaden und Schmerz anrichtet. Theoretisches Wissen kann jedochweder politische Praxis noch die parteiliche Unterstützung von Betroff-enen ersetzen. Um von einem nennenswerten Beitrag sprechen zu kön-nen, muss sich die Realität des Geschlechterverhältnisses und der sexuali-sierten Gewalt verschieben. Dazu müsste ein jeder einen Beitrag leisten.Eine wesentliche Rolle spielen hierbei die Menschen, die von sexualisier-ter Gewalt betroffen waren oder sind. Diesen Menschen wollen wir Mutmachen, die Steine, die ihnen in den Weg gelegt wurden, mitUnterstützung von professioneller und privater Seite beiseite zu räumenund ihre unterschiedlichen Probleme selbstbestimmt zu bewältigen.Denn eine Heilung ist möglich. Wir wollen dazu auffordern, nicht denGlauben an die eigenen Kompetenzen, die intellektuellen Fähigkeiten unddas Selbstwertgefühl zu verlieren, sondern sich die Wege zu erkämpfen,die ihnen erstrebenswert erscheinen - nicht nur im Studium sondern aufdem gesamten Lebensweg. Wir wünschen dabei von ganzem Herzen dasBeste und viel Erfolg.

LiteraturBass Ellen , Davis, Lora, Ayche, Karin (2001) : Trotz allem. Orlanda, BerlinButollo,W., Hagl, M., Krüsmann, M.(1999): Kreativität und Destruktion posttraumati-scher Bewältigung: Forschungsergebnisse und Thesen zum Leben nach dem Trauma.Pfeiffer bei Klett-cotta, StuttgartBußmann, Hadumod / Lange, Katrin (Hrsg.) (1996): Peinlich berührt. SexuelleBelästigung von Frauen an Hochschulen. MünchenDupuis, Monique, Emmenegger, Barbara & Gisler, Priska. (2000):"Anmachen -Platzanweisen. Soziologische Untersuchung zu sexueller Belästigung an Universitätenund Musikhochschulen." Paul Haupt Verlag, Bern, Stuttgart Wien.Gerstendörfer, Monika u.a. (1994): Sine laude! Sexismus an der Hochschule. MetzingenHaines, Staci (2001): Ausatmen., Orlanda Frauenverlag, BerlinJanshen, Doris. (1991):"Sexuelle Gewalt. Die allgegenwärtigeMenschenrechtsverletzung", Frankfurt am Main.z.B. Rosemarie Steinhage: Niemand macht sich die Mühe zu fragen

Ulrich Albrecht: Männerversuch gegen MännergewaltMöller, Simon. (1999):"Sexual Corretness. Die Modernisierung antifeministischerDebatten in den Medien". Leske + Budrich, Opladen.Reddemann, Luise(2001): Imagination als heilsame Kraft. Pfeiffer bei Klett-cotta,Stuttgart

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Mo - Fr 10 - 12 UhrMo 18 - 20 UhrDo 16 - 18 Uhr

Tel. 3 44 43e-mail [email protected] www.muenster.org/notruf

Zielgruppe:Frauen und Mädchen, die sexualisierte Gewalt erfahren oder erfahren mussten,sowie deren Bezugspersonen

Angebote:Telefonische (anonyme) Beratung,Beratung über das Internet ( per e-mail),persönliche Beratungsgespräche nach Vereinbarung,

Selbsthilfegruppen, Unterstützung und Begleitungbei Anzeigen und im Strafverfahren

Notruf für vergewaltigte und sexuell belästigteFrauen und Mädchen e. V.

Bahnhofstraße 648143 Münster

Mo, Do, Fr 10 - 12 UhrDi 16 - 18 Uhr

Tel. 4 14 05 55e-mail [email protected] www.muenster.org/zart-bitter

Zielgruppe:Jugendliche ab 14 Jahren und Erwachsene, die sexuellmissbraucht werden oder als Kind missbraucht wurden;Angehörige und Bezugspersonen von Betroffenen

Angebote:Beratung und Therapie, angeleitete Selbsthilfegruppen,Unterstützung und Begleitung bei Anzeigen und imStrafverfahren, Präventionsangebote für Jugendliche

und MitarbeiterInnen in Jugendeinrichtungen

Zartbitter Münster e. V.Beratungsstelle gegen sexuelle Gewalt

Hansaring 32 b48155 Münster

Mo 15 - 17 UhrDi, Mi 10 - 12 UhrDo 16 - 18 Uhr

Tel.: 6 76 66

Zielgruppe:Frauen und Mädchen in akuten Krisensituationen oder mit bestimmten Problemen (z.B.: Ängste,Selbstzweifel, Depressionen, psychischeund physische Misshandlung,

sexueller Missbrauch, Vergewaltigung,Ess-Störungen, Ehe- und Partnerschaftsprobleme,multiple Persönlichkeitsstörung)

Angebote:Information und Beratung, Krisenintervention,Einzeltherapie, allgemeine Gruppentherapie und spezielle

Gruppentherapie für Frauen und Mädchen mit Ess-Störungen.

Beratungsstelle Frauen helfen Frauen e. V.

Neubrückenstraße 7348143 Münster

Mo 9 - 11 UhrDi 11 - 13 UhrMi 15 - 17 UhrDo 17 - 19 Uhr

Tel.: 5 86 26e - mail: [email protected]

Zielgruppe:Frauen in akuten Krisen; Frauen mit bestimmtenProblemstellungen (Ängste, Partnerschaftskonflikte,Trennungsprobleme, sexueller Missbrauch,Depressionen, psychosomatische Beschwerden)

Angebote:Orientierungs- und Krisengespräche, Beratung, Einzel-und Gruppentherapie, Selbsterfahrungsgruppen

Beratung und Therapie für Frauen e. V.

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c / o Schwarze WitweAchtermannstraße 10 - 1248143 Münster

Mo 10:30 - 12:30 UhrDo 16 - 18 Uhr

Tel.: 51 90 66e - mail: [email protected]

Angebote:Selbstverteidigung/Selbstbehauptung, Kampfsportund Sport für Frauen und Mädchen,Pädagoginnenfortbildung zur Selbstbehauptung,Vermittlung von Übungsleiterinnen zurSelbstverteidigung/Selbstbehauptung (auch fürgehandikapte Frauen/Mädchen)

Frauen- und Mädchen-Selbstverteidigung und Sport e. V.

Universitäre Anlaufstellen

Georgskommende 26D48143 Münster

Mo - Fr 8:30 - 11:00 UhrBeratungsgespräche nach Vereinbarung

Tel.: 8 32 97 01 e-Mail: [email protected]

Gleichstellungsbeauftragte der Universität Münster

Schlossplatz 148149 Münster

Tel.: 8 32 15 33 e-mail: [email protected]

Frauenreferat der Universität Münster

Raum 3.8

Hüfferstrasse 2748149 Münster

Mo - Fr 08:00 - 12:00 UhrZentralverwaltung - Raum 3.8Telefon: 8 36 49 58

eMail: [email protected]ür eine Terminabsprache, die auch in Steinfurt statt-finden kann, wenden Sie sich bitte an die obigeAdresse.

Gleichstellungsbeauftragte derFachhochschule Münster

AStA der Fachhochschule Münsterz. Hd. Frauenreferat

Köntgenstraße48149 Münster

Tel.: 8 36 49 91e-mail: [email protected]

Frauenreferat derFachhochschule Münster

Lesbenreferat der Universität Münster

Raum 108 im AStA-Häuschen

Tel.: 83 222 83e-mail: [email protected]

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