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Shannon Delany Die Nächte des Wolfs Zwischen Mond und Versprechen

Shannon Delany Die Nächte des Wolfs Zwischen Mond und ... · Im Hof war es merk wür dig still, als ... Dick und Doof an meiner Seite. ... Warum hatte man mich dann rufen las sen?

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Shannon Delany Die Nächte des Wolfs

Zwischen Mond und Versprechen

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Die Autorin

© N

ina

Gee Shan non Del any war schon

im mer fas zi niert von Ge schich te, My then, Le gen den und Par a­norma lem und schreibt schon seit ih rer Kind heit. Die ehe­ma li ge Leh re rin be treibt heu te, ne ben dem Schrei ben, eine Tier farm im länd li chen New York und liebt es, zu rei sen und mit Men schen über Gott und die Welt zu spre chen.

Wei te re lie fer ba re Ti tel bei cbt:Die näch te des Wolfs – Zwi schen Mond und Ver der ben (38030)

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Shannon Delany

Die Nächte des WolfsZwischen Mond und Versprechen

Aus dem Amerikanischen von Cornelia Stoll

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cbt ist der Jugendbuchverlag in der Verlagsgruppe Random House

Verlagsgruppe Random House fSC® N001967 Das für dieses Buch verwendete fSC®­zertifizierte Papier Holmen Book Cream liefert Holmen Paper, Hallstavik, Schweden.

1. Auf a geDeut sche Erst aus ga be Sep tem ber 2013Ge setzt nach den Re geln der Recht schreib re form© 2010 by Shan non Del anyDie ame ri ka ni sche Ori gi nal aus ga be er schienun ter dem Ti tel »13 to life« beiSt. Mar tin’s Press LLC, New York© 2013 cbt Ver lag, Mün chenin der Ver lags grup pe Ran dom House GmbHAlle deutsch spra chi gen Rech te vor be hal tenDie ses Werk wur de im Auf trag vonSt. Mar tin’s Press LLC durch die Li te ra ri sche Agen turTho mas Schlück GmbH, 30827 Garb sen, ver mit telt.Über set zung: Cor ne lia StollLek to rat: Iv ana Ma rin ovicUm schlag bil der: Al amy (I. Glory/Rf, Or gan ics image lib rary/Nic Mil ler);Getty i mages (Ar chi ve Pho tos/Den nis Halli nan); Istock pho to (Igor Djuro vic)Um schlag ge stal tung: init. Büro für Ge stal tung, Biel efeldkg · Her stel lung: kwSatz: Buch­Werk statt GmbH, Bad Aib lingDruck und Bin dung: GGP Me dia GmbH, Pöß neckISBN: 978­3­570­38029­1Prin ted in Germ any

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für mei ne Mut ter, Cec ile Plott Rein bold, und all die an de ren mu ti gen, ein fa chen frau en die ser Welt.

Der Krebs mag dein Le ben ge nom men ha ben, aber er konn te nie dei ne Le bens freu de dämp fen.

Dei ne Kraft, dein Hu mor, dein Glau be und dei ne Tap fer keit in Zei ten der höchs ten Not

ha ben mich ins pi riert.Da mals. Jetzt. Und im mer.

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Pro logRio er starr te un ter mei ner Be rüh rung und stampf te mit ih rem glän zen den Huf auf den Bo den.

»Was ist los, mei ne Schö ne?«, frag te ich, im mer noch mit den wir ren Sträh nen ih rer tief schwar zen Mäh ne kämp­fend. Sie schnaub te und ihre Nüs tern färb ten sich blut rot. Sie schüt tel te den Kopf, ihr lan ger Hals schlug ge gen die Bürs te, die mit ei nem dump fen Knall an die ge gen ü ber lie­gen de Wand prall te. »Rio!«

Ohne mei ne Hand von ih rem Hals zu neh men, ging ich um sie he rum und bück te mich, nach der Bürs te su­chend. Ei nen Au gen blick lang herrsch te eine un heim­li che Stil le – To ten stil le. Und dann schos sen mei ne bei­den Hun de, Mag gie und Hun ter, die eben noch mit ih ren Schnau zen auf ei nem fut ter sack ge döst hat ten, in die Höhe. Sie stürm ten zum Scheu nen tor und bra chen in ein Höl len ge bell aus.

Die an de ren Pfer de wie her ten, in ih ren Stim men schwan­gen furcht und zu gleich Miss mut. Hufe stampf ten auf dem Bo den, zer tra ten knis ternd das Stroh.

»Was zum …?« Mei ne fin ger stri chen über Rios sam ti ge Nase. »Sch. Es ist gut, mei ne Schö ne.« Ich schlüpf te aus ih rer Box. Die fei nen Här chen auf mei nen Ar men stell­ten sich auf, als wäre die Herbst luft von Blit zen auf ge la den.

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»Es ist gut«, wie der hol te ich und ging zu Mag gie und Hun­ter hi nü ber.

Doch die Hun de wa ren nicht die ser Mei nung. Ich dräng te mich zwi schen sie, fuhr mit den Hän den un ter ihre Hals­bän der und späh te durch den schma len Spalt zwi schen den rie si gen Scheu nen to ren. Im Hof war es merk wür dig still, als wür de al les gleich zei tig den Atem an hal ten, um ängst lich da rauf zu lau schen, was oder wer sich durch die Dun kel heit schlich. Die Hun de zerr ten schar rend und knur rend an ih­ren Bän dern.

Dort, wo die flut lich ter im Hof die flä che zwi schen der ers ten Scheu ne und dem Wohn haus er hell ten, dehn te sich eine un na tür lich wei ße flä che wie eine brei te Nar be vor mir aus. Noch nie war mir die ses Stück so kahl und häss­lich vor ge kom men – und auch nicht so weit. Ein küh le Bri se weh te ge dämpf te fern seh ge räu sche durch die Nacht. Dad sah sich die Wie der ho lun gen ei ner al ber nen TV­Show an. Ob er uns durch das ferns ehge plär re hin durch hö ren wür de, wenn wir Hil fe bräuch ten? Die Ant wort auf die se fra ge er­wisch te mich eis kalt, als Dads La chen die plötz li che Wind­stil le durch lö cher te und er den Ton auf dreh te.

Ich sah auf die Hun de. Mist. Ich war al lein und hat te nur Dick und Doof an mei ner Sei te.

Mein Blick schweif te von den hei me lig er leuch te ten fens tern un se res Hau ses über den Hof bis zu den rie si gen flut lich tern. Ich füs ter te den Hun den be ru hi gen de Wor te zu – ver sprach ih nen alle mög li chen Le cker bis sen. Nanu. Nor ma ler wei se schwirr ten gan ze Mot ten schwär me im glei­ßen den Schein wer fer licht und fle der mäu se schos sen auf der

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Jagd nach Abend es sen hin und her. Doch nicht an die sem Abend. Kein Wind hauch reg te sich, nur die Luft schien durch mei ne ei ge ne An span nung wie elekt risch auf ge la den.

Ich schluck te. Ein Schat ten husch te durch mein Sicht feld und ver deck te für ei nen Au gen blick das Licht. Ich stol per te nach hin ten. Mei ne Hän de rutsch ten aus den Hun de hals­bän dern. Das Bel len von Mag gie und Hun ter ver schmolz zu ei nem ein stim mi gen dün nen Wim mern. Ich pack te eine Mist ga bel, die ne ben mir an der Wand lehn te, und hielt sie schüt zend vor mich.

Et was rem pel te ge gen die Au ßen sei te der Scheu nen tür und ließ sie er be ben. Das We sen schnüf fel te wie ein Jagd­hund, der Wit te rung auf nimmt. Sei ne Schnau ze, die fast so breit wie mei ne Hand und so schwarz wie sein ei ge ner Schat ten war, dräng te sich in den Tür spalt, sei ne Nüs tern wei te ten sich, als woll ten sie un se ren Ge ruch ein sau gen. Ich er kann te nur ein Stück röt li ches fell. Die Hun de klemm­ten ihre Schwän ze ein und wi chen zu rück. Sie zit ter ten am gan zen Kör per. Ich griff die Mist ga bel fes ter, be reit, mich zu ver tei di gen.

Viel be ängs ti gen der je doch als die gro ße Schnau ze (die sich, wie ich fest stel len musst, ge nau auf der Höhe mei ner Brust be fand), wa ren die Zäh ne, die zwi schen den led ri gen, dun keln Lip pen he vor blitz ten. Sie wa ren lang und spitz und lie ßen kei nen Zwei fel da ran, wozu sie be stimmt wa ren.

Das Un tier schnaub te, und dann, so plötz lich wie es auf­ge taucht war, war es wie der ver schwun den. Ich schnapp te nach Luft, zit ter te wie mei ne Hun de, sah auf die Mist ga bel in mei ner Hand und muss te plötz lich la chen. Jetzt fehl te

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nur noch die fa ckel und ich hät te in Fran ken stein mit spie len kön nen. Was hat te ich mir nur ein ge bil det? Dass da drau ßen ein Mons ter auf mich lau er te?

Ich zwin ker te Mag gie und Hun ter zu. »Wahr schein lich war das nur Har old, der Hund vom al ten Mon roe, der je den Zaun pfahl an pin keln muss«, be ru hig te ich sie. Sie we del ten mit ih ren Schwän zen, schie nen je doch zu klug, mei nen be­ru hi gen den Wor ten zu glau ben.

Ich stell te die Mist ga bel wie der in die Ecke und mach te mich ans Auf räu men der Scheu ne, da bei war ich mir voll be wusst, dass ich es nur hi naus zö gern woll te, das Licht aus­zu knip sen und die kah le wei ße flä che zwi schen der Scheu ne und dem Haus zu über que ren. Viel zu schnell war ich mit der Ar beit fer tig, es gab nichts mehr zu put zen. Und au ßer dem war mor gen ein Schul tag.

Ich wapp ne te mich in ner lich für den Weg zu rück zum Haus. »Komm, Hun ter. Bra ves Mäd chen, Mag gie.« Ich dach te schau dernd an die selt sa men Ge schich ten, die man sich im ver gan ge nen Jahr über far thing ton, eine Stadt in un se rer Nähe, er zählt hat te. flan kiert von mei nen bei den Hun den eil te ich schließ lich hi nü ber zum Haus.

Erst als die Tür hin ter mir ins Schloss fiel und ich den Rie gel vor ge scho ben hat te, fiel die Span nung von mir ab. Hun ter schau te er war tungs voll zu mir auf und setz te sich vor nehm auf die Hin ter bei ne, was sonst nicht sei ne Art war. Mit ei nem erns ten Blick aus sei nen schmach ten den gol de­nen Au gen mahn te er mich an die Le cke rei en, die ich ihm eben erst ver spro chen hat te.

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1Ich zog die Tür hin ter mir zu und schritt den Gang ent­lang, ge ra de wegs Rich tung Höl le. Der flur wur de von der Mor gen son ne in ein ge spens ti sches Licht ge taucht. Drau­ßen pfiff der Wind und schleu der te ein bun tes Blät ter ka lei­dos kop ge gen die gro ßen fens ter schei ben. Wer im mer mich aus dem Un ter richt hat te ru fen las sen, heg te be stimmt die bes ten Ab sich ten, doch das ver stärk te nur das faue Ge fühl in mei nem Ma gen. Es heißt nicht um sonst, dass der Weg zur Höl le mit gu ten Vor sät zen ge pfas tert ist!

Ich trot te te schwe ren Schrit tes den gan zen Weg bis zum Büro der Be ra tungs leh rer. Ich war mit ten aus Miss Ash tons Li te ra tur stun de ge ris sen wor den – na tür lich nicht aus der Sport stun de. Ty pisch, aus der Sport stun de wur de ich nie ge ru fen.

Die gan ze Sa che kam mir ir gend wie ver däch tig vor. Wa­rum woll ten die Be ra tungs leh rer aus ge rech net mit mir spre­chen? Hat ten sie viel leicht he raus ge fun den, wer den bit ter­bö sen Ar ti kel über die dop pel ten Mo ral maß stä be zwi schen Sport lern und Stre bern ge schrie ben hat te? So wie ich die Be ra tungs leh rer ein schätz te, konn te ich da von aus ge hen, dass sie nichts he raus ge fun den hat ten – zu min dest nicht ohne frem de Hil fe.

Als der Auf ruf durch die Ge gen sprech an la ge schnarr te,

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sah ich schnell zu So phia hi nü ber, die eben falls bei der Schul zei tung mit ar bei te te. Sie zuck te die Ach seln. Ich glaub te nicht, dass mich je mand ver pfif fen hat te.

Wa rum hat te man mich dann ru fen las sen? Ja schon, ich gab nie mei ne Bü cher recht zei tig zu rück, hat te mich min des­tens drei Mal bei der Schul kran ken schwes ter mel den müs­sen, weil ich zu spät ge kom men war und hat te da bei je des Mal ei nen Kuli mit ge hen las sen – aus Ver se hen na tür lich. Ganz ehr lich, wenn die Be ra tungs leh rer ei nen Prob lem fall such ten, hat ten sie die fal sche er wischt. fand ich je den falls.

Mei ne Snea kers schlapp ten über den hell brau nen flie­sen bo den. Ich seufz te. Lie ber Gott, be te te ich, hof fent lich ver­an stal ten sie nicht wie der so eine blö de Kri sen in ter ven ti on we gen Mom. Die ser Ge dan ke brach te mich ab rupt zum Ste hen. Ich sah auf den ab ge grif fe nen blau en Schü ler pass in mei­ner Hand. Und wenn ich ein fach Da tum und Un ter schrift fälsch te und zu rück ins Klas sen zim mer ging? Wür den sich die Be ra tungs leh rer da ran er in nern, dass sie mich ge ru fen hat ten? Es war mit ten im ers ten Schul jahrs quar tal, die Zwi­schen zeug nis se wa ren bald fäl lig. Be stimmt hat ten sie alle Hän de voll zu tun, noch schnell Nach hil fe kur se für Kin der zu or ga ni sie ren, die droh ten, durch die Ma schen des Lehr­plans zu rut schen (oder ab zu tau chen).

Ich blick te auf den flur vor mir, des sen Be ton wän de sich auf mich zu zu be we gen schie nen. Tief ein at men … Die Wän de wi chen zu rück. Nie mand da, der es mit krie gen wür de, wenn ich Mr Maloys Un ter schrift hin krit zel te. Er selbst mach te Wit ze, sei ne Un ter schrift sei die ei nes ge bo re­nen Arz tes. Soll te ich ein fach auf dem Ab satz kehrt ma chen

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und ins Klas sen zim mer zu rück keh ren? Ich kau te auf mei ner Un ter lip pe und über leg te, wie wahr schein lich es wäre, dass ich er wischt wur de. Hm.

Ich ging wei ter, öff ne te die Tür des Be ra tungs bü ros und ließ mei nen Blick durch das War te zim mer schwei fen. Ich hielt nach ei nem Man tel oder Hut Aus schau, der mei nem Dad ge hö ren könn te. Ich woll te näm lich lie ber gleich ver­schwin den, be vor so ein Klug schei ßer mit Dip lom wie der ein mal be fand, dass es das Bes te für mich sei, mit ihm über mei ne ge heims ten Ge füh le zu spre chen. Aber von Dad kei ne Spur.

An der Wand hing ein Pla kat, wahr schein lich aus ei ner Kunst­AG. Es hat te die hohe Selbst mord ra te von Ju gend­li chen auf der Ei sen bahn stre cke zwi schen far thing ton und Junc tion zum The ma. Könn te es mir je mals so schlecht ge­hen, dass ich mich frei wil lig vor ei nen he ran na hen den Zug stür zen wür de? Die Span nung fiel von mir ab. Nein. Selbst­mord ge fähr det war ich nicht. Ich hat te das Schlimms te durch ge macht, was man sich vor stel len kann, und war im­mer noch da. Ich at me te aus und merk te erst jetzt, dass ich die gan ze Zeit die Luft an ge hal ten hat te.

Die Sek re tä rin blät ter te in ei ner Il lust rier ten. Auf dem knall ro ten Ti tel blatt prang ten Über schrif ten wie »Wel cher Baum passt zu Ih rem Lover?« und »Wenn sei ne Ex Psy cho­ter ror macht«. Ich räus per te mich. Sie sah hoch und sag te: »Ah, Jes sica«, und zeig te mit ih rem sorg fäl tig ma ni kür ten Zei ge fin ger auf das Be spre chungs zim mer, »Mr Maloy er­wartet dich.«

»Su per.«

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Sie lä chel te mich mit gro ßen aus drucks lo sen Au gen an. Kein Hin weis. Wahr schein lich war sie die ide a le Be set zung für den Emp fang. Selbst wenn ihr Ku geln um die Oh ren fie­gen wür den, wäre sie die Ruhe selbst. Sie wür de sie wahr­schein lich nur dann re gist rie ren, wenn sie ihr die fri sur ver­sau ten.

Ich klopf te an die Tür des Be spre chungs zim mers. Ein Schau er lief mir über die Arme. Ich war schon ein mal hier ge we sen, hat te auf ei nem der vie len un be que men Plas tik­stüh le ge ses sen, die in ei nem en gen Kreis auf ge stellt wor den wa ren, und hat te mir von Be treu ern und Leh rern an hö ren müs sen, dass ich po si tiv in die Zu kunft bli cken soll te. Dass al les wie der gut wer den wür de, wenn ich mich erst wie­der ge fan gen hät te … Dass sie sich um mich küm mern und mich un ter stüt zen wür den … Es war to tal schreck lich ge­we sen. Es war mir al les so egal. Sie wur den da für be zahlt, sol che Sa chen zu sa gen. Wa ren wahr schein lich ver trag lich dazu ver pfich tet.

Au ßer dem fand ich es schreck lich, wenn man mich zum Wei nen brach te. Ich wuss te, dass ich stark ge nug war, mit dem Ge sche he nen fer tig zu wer den. Ohne frem de Hil fe.

Als die Tür auf ging, er blick te ich eine Grup pe von Men­schen, die ich nicht zu ord nen konn te. Au ßer dem den Rek­tor un se rer Schu le und ei nen Po li zis ten. Ko misch, aber ich war trotz dem er leich tert. Zu min dest kei ne Kri sen in ter ven­ti on – die Leu te wa ren of fen sicht lich nicht we gen mir ge­kom men. Ich war nur ein Gast.

»Miss Gill man sen«, grüß te Mr Maloy und er hob sich von sei nem Platz am an de ren Ende des Tischs.

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Der Po li zist lehn te an der Wand und nipp te an ei nem Kaf fee be cher.

Die an de ren dreh ten sich zu mir um. Sie wa ren al le­samt groß und gut ge baut, hat ten hohe Wan gen kno chen und eine mar kan te Kinn par tie – auch das Mäd chen, das bei den drei Män nern stand. Sie hat ten dich tes schwar­zes Haar und fun keln de Au gen – und sie tru gen Na mens­schil der.

»Das sind die Rus ako vas«, er klär te Mr Maloy auf die Grup pe deu tend.

Aus den Au gen win keln be ob ach te te ich, wie der Cop sei nen Be cher ab setz te und eine Bro schü re von der fens­ter bank nahm. Viel leicht war es pu rer Zu fall, dass er da war. Ein fach ein mi se rab les Ti ming – wie nicht an ders zu er war­ten von un se rer High school.

Ich wand te mich wie der den Rus ako vas zu. Ich lä chel te auf mun ternd.

Kei ne Re ak ti on.Mr Maloy kam um den Tisch, schiel te ziem lich un ver hoh­

len auf die Na mens schil der und zeig te dann auf ei nen von ih nen. »Das ist Pe ter Ru sak ova. Er geht in die elf te Klas se. Ein Ju ni or, ge nau wie Sie.«

Ich be hielt mein Lä cheln wie eine Mas ke auf, in ner lich aber stöhn te ich. Da rum ging es also. »Hal lo, Pe ter.« Mei ne Stim me klang we nig be geis tert. Ich ge hör te nicht zu der Sor te Mäd chen, die ger ne die Be treu ung von Neu en über­nahm.

Mr Maloy schob sei ne Bril le hoch und warf mir ei nen war nen den Blick zu. »Das ist Pe ters Stun den plan. Zei gen

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Sie ihm die Schu le und sor gen Sie da für, dass er nicht zu spät kommt.«

Der Po li zist sah mich an und sag te dann be däch tig zu Pe­ter: »Hast du das ver stan den, Ru sak ova? Nicht zu spät kom­men.«

Sein Ton fall jag te mir ei nen Schau er über den Rü cken.Der Äl tes te der Grup pe setz te ein brei tes Lä cheln auf und

leg te sei nen Arm um Pe ters Schul ter. »Na tür lich wird er nicht zu spät kom men, Offi cer Kent«, ver si cher te er. »Pe­ter freut sich, dass er auf die Junc tion High ge hen kann.«

Pe ter mach te de fi ni tiv nicht den Ein druck.Offi cer Kent füg te noch hin zu: »Schul ver sa ger kön nen

wir hier nicht ge brau chen.«»Von we gen«, mur mel te der an de re Jun ge – der laut

Namens schild Ma xi mi li an hieß.Der äl tes te der drei Män ner gab ihm ei nen Klaps auf den

Hin ter kopf, an schei nend im Spaß, aber ich spür te, dass es eine Dro hung war.

Ich nahm den Stun den plan und ver glich ihn rasch mit mei nem ei ge nen. Ich sah den Po li zis ten, dann Pe ter und dann wie der den Stun den plan an. Dann hielt ich Mr Maloy den Schü ler pass hin. Wäh rend er un ter schrieb, blieb mein Blick wie der an Pe ter hän gen. Er schau te fins ter vor sich hin, ganz an ders als der Äl te re, der im mer noch ein brei tes Lä cheln zur Schau stell te.

Ich hät te Mr Maloys Un ter schrift doch fäl schen sol len.»Okay«, sag te ich mehr zu mir als zu mei nem stum men

Schütz ling. »Wir sind bei de in Ash tons Li te ra tur klas se. Dann ge hen wir gleich mal dort hin.«

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Pe ter nick te kurz, doch sei ne ver stei ner te Mie ne ver riet völ li ges Des in te res se.

Wir ver lie ßen das Büro. Mei ne Neu gier un ter drü ckend zeig te ich ihm un ter wegs die Orte, die für ihn als Schü ler der Junc tion High wich tig wa ren. Ich er klär te ihm al les Mög li­che, bis mei ne Arme er mü det und mein Mund ganz tro cken war. Er sag te die gan ze Zeit kein Wort. Re a gier te höchs tens ein mal mit ei nem Ni cken. Toi let ten, Bü che rei, Ca fe te ria, Kunst saal, Ki osk, Mu sik saal, Turn hal le, Sek re ta ri at, Kran­ken zim mer und … Nach sitz raum.

Ich sah ihn von der Sei te an und über leg te. So ein Typ konn te schnel ler als man dach te dort lan den. Er hat te die­sen ge wis sen Blick, der Är ger ver hieß. Und au ßer dem war er in Po li zei be glei tung ge kom men. Aber ge fähr lich war er wohl nicht … die Cops hät ten mir be stimmt kei nen ech­ten Kri mi nel len an ver traut, oder? Ich ging wei ter und re­de te und re de te, ver grö ßer te aber lang sam den Ab stand zwi­schen uns.

falls er es be merkt hat te, ließ er sich nichts an mer ken.Der Ge dan ke, er könn te ge fähr lich sein, mach te mich

ner vös. Und wenn ich ner vös wer de, fan ge ich an zu plap pern. Ich sah mir noch mal sei nen Stun den plan an. »Ach, du heißt gar nicht Pe ter«, be merk te ich und über­leg te, ob ich den Na men rich tig aus sprach. Huch. P­i­e­t­r. »Pi­eter …«

Er zuck te zu sam men.Ich ver such te es noch mal. »Äh, also Pieh­je­ter …«Er starr te mich an.»Pij­eter?«, pro bier te ich. Ich gab mir ernst haft Mühe.

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Das hat te Mr Maloy mal wie der fein hin ge kriegt. Ich setz te zu ei nem wei te ren Ver such an, aber er hob sei ne Hand und starr te mich an, als wäre er völ lig scho ckiert. Oder als hät te er Schmer zen. Ich merk te, wie mei ne Oh ren knall rot an­lie fen.

»Ich habe noch nie so vie le – kre a ti ve – Aus spra che va ri­an ten mei nes Na mens ge hört.« Er lä chel te, aber nur füch­tig. »Pi eter«, sag te er. »Es wird wie Pi eter aus ge spro chen. Nur die Schreib wei se ist et was an ders.« Er riss sich das falsch ge schrie be ne Na mens schild ab und zer knüll te es.

»Oh.« Wo mög lich war er doch nicht ge fähr lich … »Ko misch«, sag te ich plötz lich. »Es schreibt sich näm­lich ganz ähn lich wie mein Trost stein …« Ich kram te in mei ner Hosen ta sche und zog den gro ßen, fa chen Stein her vor. Gol de ne, sil ber ne und mil chig­wei ße Schlie­ren zo gen sich durch dunk les Blau. »Das ist ein Pi eter sit. P­I­E­T­E­R.« Ich hielt ihn auf mei ner fa chen Hand und glaub te, ein in te res sier tes fla ckern in sei nen Au gen zu se hen.

»Ein Trost stein?«»Das war eine Idee von mei nem Dad. Man nennt ihn

auch Sturm stein. An geb lich hilft er ei nem, mit gro ßen Ver­än de run gen im Le ben bes ser fer tig zu wer den. Ach, und mit der Gal len bla se, glau be ich. Oder der Milz.« Ich zuck te mit den Schul tern und steck te ihn wie der in mei ne Ta sche. Der Jun ge sah jetzt ein deu tig in te res siert aus. Viel leicht hat te er Prob le me mit der Milz?

»Und was denkst du, wo für er gut ist?«»Wenn ich ge stresst bin, rei be ich da ran.« Ich zuck te wie­

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der mit den Schul tern. »Und nun ja, wie schon Shakes peare sag te: ›Was ist ein Name?‹«

Er sah an mir vor bei. »Romeo und Ju lia. Ich has se die­ses Stück.«

»Na ja.« Wie konn te je mand, der auch nur ein biss chen Ge schmack be saß, die sen Klas si ker has sen? »Ich fin de, ein gu ter Dich ter soll te die Ge füh le des Le sers an spre chen kön­nen.« Ich ging wei ter und hoff te, dass er mir zu hör te. Selbst wenn er mich di rekt an sprach, wirk te er dis tan ziert. Un er­reich bar. Als ob ihn das al les nichts an ging.

Was war mit ihm los? Woll te er nichts mit mir zu tun ha ben?

»Also, äh. Was soll te der Cop da?« Wahr schein lich war ich zu weit ge gan gen, aus ge rech net das hei kels te The ma an zu spre chen.

Pietr ging ein fach wei ter. »Wir sind letz tes Jahr nach Eu­ro pa ge reist, ohne der Schu le Be scheid zu ge ben.«

»Ach so.« Mir wur de ir gend wie schwumm rig bei der Vor­stel lung, ein fach so nach Eu ro pa zu rei sen. »Dann hast du so zu sa gen die Schu le ge schwänzt – ziem lich lang so gar.«

»Ein paar Mo na te.«»Oh.«Wir gin gen eine Wei le schwei gend ne ben ei nan der durch

den lan gen Kor ri dor mit den gro ßen fens tern, der zu den Un ter richts räu men der Eng lisch ab tei lung führ te. Man hör te nur das Quiet schen mei ner Soh len auf den flie sen. Sei ne Schu he ga ben kei nen Ton von sich, so dass ich mehr mals zur Sei te schiel te, um mich zu ver ge wis sern, dass er noch ne ben mir ging.

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Ich hoff te, dass ich nicht plötz lich ei nen Psycho schub er­lit ten und mir das Tref fen in Maloys Büro nur ein ge bil det hat te. Ob wohl, wa rum soll te ich mir in ei nem Psycho schub aus ge rech net je man den wie Pietr he rauf be schwö ren? Viel­leicht war das der sprin gen de Punkt. Wo her soll man wis­sen, wie es ist, wenn man durch dreht? Oder wann ge nau so et was pas siert? Alle er war te ten, dass es pas sie ren wür de, und ir gend wann tat es das eben. We nigs tens bei je man dem wie mir.

Um das Schwei gen zu bre chen, frag te ich: »Wo her kommst du?« Wenn er von sich aus nichts sa gen woll te, hät te ich viel leicht lie ber den Mund hal ten sol len. Aber ich woll te ihm eine Chan ce ge ben. Neu an ei ner Schu le zu sein, war zwangs läu fig schwie rig. Mit ei nem Po li zis ten im Schlepp tau … und dann auch noch ohne freun de – nicht ein mal Be kann te –, mach te es nicht ge ra de leich ter.

Er sah mich von der Sei te an. »far thing ton.« Es klang, als wür de ihn selbst die ses eine Wort Über win dung kos ten.

Ich blieb mit ten auf dem flur ste hen. »Wow. Da wäre ich ga ran tiert auch weg ge gan gen. Ihr hat tet doch die se ver rück­ten Wolfs ü ber fäl le.«

Er nick te.»Be vor ich in den Nach rich ten da von hör te, hat te ich

kei ne Ah nung, dass es bei uns noch Wöl fe gibt. Also, manch mal hört man von toll wü ti gen Wasch bä ren, die sich auf eine Ve ran da ver ir ren und Leu te bei ßen, aber Wöl fe?«

Er schwieg.»Ist der Wolf ei gent lich er wischt wor den?«

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»Sie glau ben schon.«Aus far thing ton und in Be glei tung ei nes Cops? Wer weiß,

was da hin ter steck te? »Ich mach bei der Schul zei tung mit – ich wür de dich gern in ter vie wen.«

»Nein, dan ke«, er wi der te er sehr be stimmt.Mein Ins tinkt war ge weckt. Selbst die Re por te rin ei ner

klei nen Schü ler zei tung muss ak tiv wer den, wenn ein Mit­schü ler vom Schau platz des blu tigs ten, grau sigs ten, ge heim­nis volls ten und selt sams ten Wolfs ü ber falls des Jahr hun­derts kommt und nicht da rü ber re den will. Es war eine ab­so lu te Sen sa ti ons sto ry. Und Pietr ver mas sel te mir ein fach die Chan ce, den Ar ti kel zu schrei ben – so ein Ar ti kel wäre wahr haf tig auf re gen der als »Der Kampf der Schü ler mit dem neu en Ka ta log sys tem«.

Okay. Er hat te mei ne An fra ge über den Geis ter wolf von far thing ton ab ge lehnt. Aber ich wür de es auf ei nen zwei ten Ver such an kom men las sen.

Ir gend et was an ihm mach te mich krib be lig, nicht nur, weil er aus ei ner Ge gend kam, wo wirk lich noch et was pas­sier te. Wenn man in Junc tion leb te, konn te man den Ein­druck be kom men, dass über all sonst die Post ab ging. Ich woll te auch an ei nem auf re gen den Ort le ben – na ja, nicht un be dingt in far thing ton, denn al lei ne die Vor stel lung von ei nem toll wü ti gen Un ge heu er an ge fal len zu wer den, trieb mir den Angst schweiß auf die Stirn. Mich schau der te, als ich an den selt sa men Vor fall bei den Stäl len in der ver gan­ge nen Nacht dach te.

Ich kon zent rier te mich wie der auf das ak tu el le Pro­blem. Pietr. Es war nicht so, dass er schüch tern ge we sen

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wäre – ich war frü her mal schüch tern ge we sen und kann te die ses Ge fühl ge nau. Schüch tern traf auf sei ne Hal tung nicht zu.

Ich schiel te zu ihm hi nü ber und ver such te he raus zu fin­den, was sein Pro blem sein könn te. Er schau te sonst wo hin, nur nicht zu mir. Er sah ziem lich gut aus mit sei nem schwar zen, wi der spens ti gen Haar, ein paar Sträh nen hin­gen über sei ne dunk len, fast nacht blau en Au gen. Im Ver­gleich zu Derek (des sen Steck brief ich aus wen dig kann te), schätz te ich ihn auf un ge fähr eins ach tund sieb zig oder so. Wahr schein lich wür de er noch ein gu tes Stück wach sen, wenn ich an die an de ren fa mi li en mit glie der dach te, die ich eben ge se hen hat te.

Er sah nicht aus, als hät te er ei nen Grund, et was zu ver­heim li chen. Er sah so gar aus, als wür de er sich für et was Bes se res hal ten. Wo mög lich wie der so ein neu zu ge zo ge ner Schnö sel, der sich für ein Nest wie Junc tion zu fein war. Viel leicht hat te ihn far thing ton mit sei nen ab son der li chen Ge scheh nis sen ge gen den All tag ei ner al ten Ei sen bahn stadt wie Junc tion ab ge stumpft. Viel leicht über stieg es auch sei ne fä hig keit, sich auf et was ein zu las sen.

Aber das konn te es nicht sein. Wenn so gar ich mich auf et was ein las sen konn te – muss ten an de re es auch kön nen.

Er stand ein fach da, völ lig stumm und un be tei ligt.»Dich in te res siert das al les gar nicht, oder?«, sag te ich mit

ei ner Ges te, die die gan ze Schu le ein schloss.Er sah ganz kurz auf mich he rab. Un se re Bli cke be geg ne­

ten sich und ich hielt den Atem an. Sei ne Au gen wa ren tat­säch lich nacht blau. Sie er in ner ten mich an die farb schat­

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tie run gen in mei nem Pi eter sit stein. Er wen de te gleich gül tig sei nen Blick von mir ab. »Nicht be son ders.«

Er zuck te die Ach seln und hielt es nicht für nö tig, mich noch mal an zu se hen.

Hat te er mich eben ab ser viert? Kam er sich wirk lich wie je mand Bes se res vor? Mein te er am Ende mich und gar nicht die Schu le oder mei ne Stadt? Er woll te tat säch lich nichts mit mir zu tun ha ben.

Ich ging wü tend wei ter und ver grö ßer te mei ne Schrit te, um die Ent fer nung zwi schen uns und dem Klas sen zim mer zu ver kür zen. Er hielt mü he los mit mir Schritt. »Wenn du hier ir gend wann wie der raus kom men willst, soll te dir die Schu le aber nicht egal sein«, sag te ich tro cken und drück te die Klin ke he run ter. »Will kom men zur Li te ra tur stun de.«

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2Ich stol zier te ins Klas sen zim mer. Mei ne Mit schü ler war fen mir neu gie ri ge Bli cke zu. Ich ließ die Klin ke los und hoff te, die Tür wür de Pietr voll auf die Nase knal len.

Er wür dig te mich nicht ein mal ei nes Bli ckes. Ich mach te aus mei ner Ent täu schung kein Hehl und ver dreh te die Au­gen, als ich Miss Ash ton den Pass reich te. Aber sie ließ ihn acht los zu Bo den fal len, wäh rend sie zur Tür ging, um sich bei Pietr für mein Ver hal ten zu ent schul di gen!

»Es tut mir leid, dass Jes sie die Tür zu fal len las sen hat – al­les in Ord nung?« Sie sah ihn prü fend an, ihre Au gen glänz­ten ei gen ar tig er war tungs voll. Ich setz te mich an mei nen Platz und be ob ach te te, wie die an de ren in der Klas se auf un­se ren ar ro gan ten neu en Klas sen ka me ra den re a gier ten. Die Mäd chen sa ßen – im wahr sten Sinn des Wor tes – auf der Stuhl kan te, hat ten die fin ger um die Tisch kan te ge krallt und mach ten ihm schö ne Au gen.

Ich konn te es kaum fas sen, dass alle so plötz lich und un­ver hoh len auf Pietr ab fuh ren. Okay – ich ta xier te ihn ohne eine Spur von Be fan gen heit. Ja. Er sah nicht schlecht aus, Typ Ka ta log mo del, für eine Zeit schrift okay, aber für den Lauf steg reich te es nicht.

Ihm war es ein fach egal. Ich hät te schrei en kön nen, aber dann sag te ich mir: Die meis ten Mäd chen stan den auf

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Ty pen mit so ei nem ar ro gan ten Touch – die Dis tanz ver­lieh ih nen die un wi der steh li che Aura des Un er reich ba ren. Ich seufz te.

Miss Ash ton re de te die gan ze Zeit vom Ein fuss der Li­te ra tur auf die Ge sell schaft und, na tür lich, auf die Klas se. Pietr ant wor te te manch mal mit sei ner ru hi gen, über trie ben coo len Stim me und schon ki cher ten sämt li che Mäd chen. So gar Miss Ash ton. Sie hat te Pietr an die Hand ge nom­men und ihn an sei nen Platz ge führt. Ich wun der te mich über die sen gro ben Ver stoß ge gen den Leh rer­Schü ler­Ver­hal tens ko dex.

Ich blät ter te in mei nem Li te ra tur buch, als ich im Rü cken eine zu neh men de Hit ze wahr nahm. Ich dreh te mich um und mir blieb vor Über ra schung fast die Spu cke weg. Derek be­ob ach te te mich. Er zwin ker te mir zu und mach te mit dem Kopf eine Ges te in Rich tung Pietr. Ich ver dreh te die Au gen und schmolz in ner lich da hin über die sen kur zen Aus tausch mit mei nem al ten Schwarm.

Derek lach te stumm und be deu te te mir, mich wie der um­zu dre hen.

»Also, Jes sie«, wand te Miss Ash ton sich an mich, »wie hast du es ge schafft, da mit be traut zu wer den, dich um Pietr zu küm mern?«

Sämt li che Mäd chen dreh ten sich zu mir um und glotz ten mich an, als könn ten sie so er fah ren, wie sie sich den nächs­ten Neu zu gang an geln konn ten.

»Ein fach nur Glück«, mur mel te ich. Oder rich tig übel Pech.Ich spür te wie der Der eks Au gen auf mir. Pietr ach te te

nicht da rauf, was ich sag te.

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Miss Ash ton be en de te die Stun de mit ei ner saf ti gen Haus auf ga be, was ein all ge mei nes Stöh nen aus lös te. Je mand sag te: »Aber bald ist doch das Home com ing­Spiel!«

Miss Ash ton ließ sich nicht er wei chen.Ich stöhn te nicht. Home com ing war nicht mein Ding.

Ich in te res sier te mich ei gent lich auch nicht für die Aben­teu er un se res foot ball teams (nur Derek sah ich beim Spie­len zu und lausch te ver zückt, wenn an de re sei ne Er fol ge auf dem Spiel feld dis ku tier ten). Die Pa ra de, das freu den feu er und der Ball – mir war egal, ob ich da bei war oder nicht. Wen in te res sier te das schon? Au ßer dem gab es zu Hau se im mer et was zu tun. Auf ei nem Pfer de hof gab es im mer ge­nug zu tun.

Es läu te te. Die Schul klin gel hör te sich noch schril ler und un schö ner an als sonst. Das lag be stimmt an mei nem Spe zi­al auf trag. Ei nem be son ders un an ge neh men Auf trag.

Ich stand auf und pack te mei ne Sa chen zu sam men. Und är ger te mich, dass sich um Piet rs Tisch schon eine Trau be von Mäd chen ge bil det hat te. Sie be ach te ten mich nicht. Bei na he so, wie Pietr mich nicht be ach te te. Ich räus per te mich.

Kei ne Re ak ti on.Ich schubs te Izzy zur Sei te und dräng te mich in den ga­

ckern den Hau fen. »Komm schon, Pietr. Wir müs sen in Mathe.«

Er stand auf und klemm te sich das neu er wor be ne Li te ra­tur buch un ter den Arm.

»Mathe?«, stöhn te Izzy. »Wen hat er denn da, Jes sie? Mr Bel den?« Da bei wür dig te sie mich – sei ne füh re rin und In­

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ha be rin sei nes an schei nend gött li chen Stun den plans – kei­nes Blicks.

»Ge nau«, er wi der te ich knapp, »Mis ter Boh ne.« Jetzt war ich am Stöh nen. Mei ne neue Auf ga be ver darb mir to tal die Lau ne. »Also, Pietr.«

»Ich kann dich be glei ten«, bot Izzy an.»Cool.« Ich steu er te die Tür an. »Ich gehe schon mal

vor.«Ich gab mir alle Mühe, ei nen er träg li chen Ab stand zu

den bei den zu ge win nen, trotz dem hör te ich Izzy manch mal völ lig schwach sin ni ge Sprü che von sich ge ben, so laut, dass es über den gan zen flur schall te. Sie war wirk lich leicht zu be ein dru cken. Ihr hells ter Mo ment in die ser sehr ein­seitigen Kon ver sa ti on war, als sie sag te: »Du riechst so gar gut!«

Ich muss te stän dig mei ne Au gen ver dre hen, wes halb ich bei na he ge gen eine Wand lief. Okay, der Neue war süß. Und er roch gut. Na wenn schon. Also – im Ernst. Mir war klar, dass neue Sa chen im mer be son ders at trak tiv er schei nen. Neue Spiel sa chen sind am schöns ten. Neue Au tos rie chen am bes ten. Aber ein neu er Jun ge? Ganz gro ßes Kino.

End lich er wi der te Pietr ei nes ih rer Komp li men te. »Du riechst … köst lich.«

Ko misch. Ich schnüf fel te. Also, Izzy ten dier te tat säch lich dazu, sich reich lich zu par fü mie ren. Ich glau be, je der in ih rer Nähe muss te frü her oder spä ter ih ren Duft be mer ken und auch das Bren nen sei ner Na sen här chen, die der Ge ruchs be­läs ti gung stand hal ten muss ten. Aber es brach te nichts, denn kein Par füm in der Welt war so stark, dass es die selt sa men

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Ge rü che in Bel dens Klas sen zim mer über de cken konn te. Bel den hat te den Spitz na men »Mis ter Boh ne« nicht be­kom men, weil er rank und schlank wie eine Boh nen stan ge war. We nigs tens wür de Pietr jetzt noch zu ei nem an de ren Duft sei nen Kom men tar ab ge ben kön nen. Viel leicht wäre das der Be ginn ei ner in te res san ten Kon ver sa ti on.

Vor Bel dens Tür blieb ich ste hen und sag te mir, dass Iz zys ab ar ti ge Schwär me rei nicht von Dau er sein konn te. Je des Ding ver liert ir gend wann sei nen Glanz.

Ich dreh te mich zu den bei den um. Und sah vier wei te re Mäd chen, die zu uns he rü ber glotz ten und um Piet rs Auf­merk sam keit buhl ten.

Ich ka pier te das nicht. Was hat te er, das die an de ren so fas zi nier te? Wa rum sah ich das nicht?

Als Derek hin ter mir auf tauch te, zuck te ich rich tig zu sam­men. »Was ha ben die denn mit dem Typ?«, frag te er und sah mir fest in die Au gen. Ich kon zent rier te mich auf mei ne At­mung. Ein at men – aus at men – ein – aus – ein …

»Ich weiß auch nicht«, ge stand ich ver le gen. Gut. We­nigs tens ein zu sam men hän gen der Satz. Ich ver such te ein char­man tes Lä cheln, merk te aber, dass mein Mund sich zu ei­nem däm li chen Grin sen ver zerr te. Oh gott ohg ot toh gott …. Ich zwang mei ne Lip pen in eine we ni ger de bi le Po si ti on und be te te, dass Derek mein all zu gei fern des Lä cheln nicht be­merkt hat te.

Ich spür te ei nen Blick in mei nem Rü cken und dreh te mich kurz um … Pietr, der im mer noch von mei nen Mit­schü le rin nen be la gert wur de, starr te in un se re Rich tung. Nein. Nicht in un se re Rich tung – in Der eks Rich tung. Ko­

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misch. Und es war nicht der Blick, den ein Typ ei nem Ri­va len zu wirft (nicht, dass ich das schon mal er lebt hät te, aber ich habe schon x­mal da rü ber ge le sen). Nein, der Blick sag te eher: Ich has se die sen Typ und wer de ihn im mer has sen. Als wür de Pietr Derek be reits ken nen.

Derek be kam da von nichts mit. »Ich wet te, sämt li che Mäd chen hof fen, dass er sie zum Home com ing­Ball auf­fordert.«

Ich zuck te die Ach seln. »Er ist auch nur ein Typ«, ent­geg ne te ich, viel leicht ein biss chen zu laut. »Aber er hat an­schei nend schon jede Men ge fans auf ge tan.«

»Dich nicht?«»Was?«, frag te ich und wur de rot.»Dich hat er an schei nend nicht so be ein druckt.«»Na ja.« Ich lös te mei nen Blick von Der eks Ge sicht und

sah skep tisch zu Pietr hi nü ber. Un se re Bli cke be geg ne ten sich und ich mein te, ei nen war nen den Aus druck in sei nen Au gen zu er ken nen. »Nö.« Ich zuck te wie der die Ach seln. »Ich ka pier das ein fach nicht.«

»Dann wirst du also nicht mit ihm zum Ball ge hen?«»Na tür lich nicht.«»Gehst du mit je mand an de rem?«Ich blin zel te.»Gehst du mit je mand an de rem?«, wie der hol te Derek.»N…nein.«»In Ord nung, Kin der, Pau se vor bei. Wir müs sen stu die­

ren, nicht pous sie ren!« Bel den trieb uns mit Hil fe sei nes lan gen Li ne als ins Klas sen zim mer und be en de te so mei ne Un ter hal tung mit Derek.

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Noch nie war mir Mathe so zu wi der ge we sen wie an die­sem Tag. Derek nahm sei nen Platz hin ten im Klas sen zim­mer ein. Ich setz te mich auf mei nen Platz vor ne. Pietr saß zwi schen uns.

Was hat te Derek drau ßen im flur an deu ten wol len? Jungs wie Derek ver schwen den ihre Zeit nicht mit Mäd­chen wie mir.

In die ser Mathe stun de er gab aber auch nichts ei nen Sinn.Als der Un ter richt vor bei war, schwirr te mir der Kopf vor

lau ter fra gen, von de nen kei ne was mit ma the ma ti schen Glei chun gen zu tun hat te. Ich pack te mei ne Sa chen zu­sam men und re gist rier te aus den Au gen win keln, dass Derek noch nicht drau ßen war. Ich sor tier te mei ne Stif te or dent­lich in die Ruck sack fä cher. Ich schäm te mich ein biss chen über mei nen of fen sicht li chen und wahr schein lich jäm mer­lich wir ken den Ver such, Zeit zu schin den.

Ich blick te auf, da je mand ne ben mei nem Tisch ste hen blieb, und ver zog ent täuscht den Mund, als ich Pietr be­merk te. Ein schließ lich sei nes Hüh ner hau fens.

Derek ging um die Grup pe he rum und warf mir ei nen Blick zu, den ich nicht deu ten konn te. Dann ver ließ er das Klas sen zim mer. Ver ließ mich.

Ich fauch te Pietr bei na he an, als ich auf stand. Sei ne Au­gen ver eng ten sich zu Schlit zen, was ih ren ei gen ar ti gen, exo ti schen Aus druck noch ver stärk te, und ei nen Mo ment lang be trach te te er mich ab wä gend. Mir war bis her nicht auf ge fal len, dass sei ne schwar zen Pu pil len von ei nem fei­nen gol de nen Ring um ran det wa ren – der sie deut lich von dem dunk len Blau ab grenz te. Sei ne Au gen glüh ten bei­

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na he, was ih nen ei nen be un ru hi gen den und wil den Aus­druck ver lieh.

Die Här chen auf mei nen Ar men sträub ten sich, aber ich woll te kei nes falls ein len ken. »Also. Los«, zisch te ich und dräng te mich durch den Mäd chen schwarm, den er un er­klär li cher wei se um sich ver sam melt hat te. Zwei von ih nen be ka men mei ne Ell bo gen zu spü ren. Und das mit vol ler Ab­sicht.

Aber sie be merk ten es nicht ein mal und re a gier ten erst, als Pietr mir hi naus auf den flur folg te.

»Wo hin ge hen wir?«, frag te er.Was? Fing er etwa an, sich für sei ne neue Schu le zu in te res­

sie ren? Ich sah ihn an. »Mit tag es sen«, er wi der te ich knapp.»Oh, Pietr, das ist fan tas tisch«, rief Izzy aus, of fen bar die

selbst er nann te An füh re rin sei ner Her de. »Wir ha ben gleich­zei tig Mit tags pau se – wir kön nen ne ben ei nan der sit zen!«

Mich hät te nicht ge wun dert, wenn sie noch ein »Wi­hiiee«, aus ge sto ßen hät te, die sen Ton, den hys te ri sche Mäd­chen von sich ge ben, wenn sie ei nen an ge sag ten Pop star zu Ge sicht krie gen. Aber zum Glück grins te sie nur wie eine Irre.

Pietr be trach te te sie mit ei nem Blick, den man viel leicht von ei nem al ters schwa chen Sit com­Papa er war ten wür de. Dann hef te te er sei ne au ßer ge wöhn li chen Au gen auf mich. »Und wo sitzt du?«

»Bei mei nen freun din nen.« Ich hät te nie ge dacht, dass die ser Satz noch mehr Prob le me her vor ru fen wür de, aber an schei nend be saß ich zu min dest in die ser Hin sicht eine an zie hen de Per sön lich keit.

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»Her vor ra gend«, mein te er lei se, »ich wür de sie gern ken­nen ler nen.«

»Nor ma ler wei se ist un ser Tisch voll be setzt«, ent geg ne te ich. Das stimm te auch. Meis tens hat te ich selbst Prob le me, ei nen frei en Platz zu fin den, wenn ich spät dran war.

Er lä chel te und ich spür te die ver nich ten den Bli cke der Mäd chen auf mir. »Und fin dest du, das war heu te ein nor­ma ler Tag für dich?«

»Nein.« Ich knautsch te sei nen Stun den plan zwi schen mei nen Hän den. Auch wenn ich sei ne Art nicht lei den konn te, muss te ich zu ge ben, dass er et was – Un de fi nier ba­res – an sich hat te.

Ich er hasch te ei nen Blick von Derek, der mit sei nen foot­ball­Kum pels vor bei schlen der te. Er warf mir ei nen Blick zu, bei dem mein Herz fast ste hen blieb. Aber ich wuss te im mer noch nicht, was er zu be deu ten hat te. Viel leicht war das der sprin gen de Punkt, wenn man ei nen Schwarm hat te: Man ver stand ihn nicht.

Pietr schnapp te sich den Stun den plan aus mei ner Hand. Sei ne fin ger streif ten da bei mei ne und ris sen mich aus mei­nen Über le gun gen. Dort, wo er mich be rührt hat te, krib­bel te mei ne Hand ge nau so wie an je nem ver reg ne ten früh­lings tag, als ich mich end lich ge traut hat te, Monr oes E lekt­ro zaun an zu fas sen. Ich hät te nie ge dacht, dass die Be rüh rung ei nes an de ren Men schen, die Ner ven un ter mei ner Haut zum Schwir ren und Tan zen brin gen könn te. Es war, als hät te ich die ver gan ge nen Mo na te in ei nem Dorn rös chen schlaf ver bracht und wür de nun, plötz lich, auf wa chen.

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3Wir ha ben nur drei ßig Mi nu ten Zeit«, mein te er, wäh­rend ich das Krib beln aus mei ner Hand weg mas sier te. Er sah auf die Uhr und reich te mir den Stun den plan zu rück. »Neun und zwan zig Mi nu ten. Viel leicht fin det sich an dei­nem nor ma ler wei se voll be setz ten Tisch heu te eine Lü cke.«

Ich ver zog den Mund bei die ser Vor stel lung und führ te Pietr und sei ne Meu te zu der wu se li gen Mas se aus Teen­ager kör pern, auch War te schlan ge für die Es sens aus ga be ge­nannt.

In An be tracht ih rer Län ge, be weg te sich die War te­schlan ge ei ni ger ma ßen füs sig vo ran. Es ge lang mir, mich von Pietr ab zu sei len, in dem ich mich hin ter ein paar sei­ner Ver eh re rin nen ver zog. Wäh rend ich an stand, mach te ich mir über Derek Ge dan ken – die sel ben Ge dan ken, die ich mir in den ver gan ge nen zwei Jah ren fast jede Mi nu te ge macht hat te.

Ich war schon in der neun ten und in der zehn ten Klas se von Derek be ses sen ge we sen, aber er hat te mich nicht ein­mal wahr ge nom men. Ich über leg te, was sich ge än dert ha ben könn te, und sah auf mei ne Hän de hi nab, wo bei mein Blick auch mei ne Brüs te streif te. Ja, die hat ten sich ziem lich ver­än dert, stell te ich fest und wur de knall rot. In der zehn ten Klas se war ich noch fach wie ein Brett ge we sen, doch in den

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Som mer fe ri en knosp ten, nein, plopp ten sie förm lich raus. Ich zog mei nen Schmei chel stein aus der Ta sche und rieb ihn.

Lag es also da ran? Wa ren nur mei ne, äh, Wachs tums­schü be der Grund für Der eks Auf merk sam keit? Ich schob die sen Ge dan ken schnell bei sei te. Be stimmt gab es noch an de res an mir, das ihm auf ge fal len war.

Mit Jen ny, die ser Pri ma don na, hat te er Schluss ge macht … Je der wuss te, dass sie nur aus Blon die rung, Make­up und ein paar or dent li chen Push­ups be stand. Viel leicht hat te Derek ge merkt, dass er mehr woll te – je man den mit Grips. Aber in mei nem Kopf füs ter te ir gend wo eine Stim me: Ist es wich tig, wa rum er sich für dich in te res siert? Sei froh, dass er sich über­haupt in te res siert!

Mein Tab lett schep per te laut, als es an die Ab sper rung stieß, hin ter der die damp fen den Trö ge stan den, die das ent­hiel ten, was in der Junc tion High als Es sen durch geht. Ein Ge misch aus Ge rü chen wa berte vor mei ner Nase – Mak ka­ro ni und Piz za, Hack steak und Hack bra ten, fleisch pas te te, zer koch te Erb sen und gum mi ar ti ge Möh ren … eine Übel­keit er re gen de Mi schung aus min der wer ti ger Nah rung. Ich nahm mir ei nen frag wür dig aus se hen den Sa lat tel ler und ei­nen Jo ghurt, blieb kurz ste hen, um das Da tum zu prü fen – der Ver fall stand kurz be vor, aber we nigs tens blieb uns, dem Jo ghurt und mir, noch der heu ti ge Tag.

Ich schob mein Tab lett zum Ende des Tre sens, wo Mad ge hin ter der Kas se saß. Ihr Haar netz war straff über ihre knall­ro ten Haa re ge zo gen und press te ihre fei schi gen Oh ren an den Kopf, was ihr das Aus se hen ei nes Schin kens ver lieh. Sie wog den In halt mei nes Tel lers und ver kün de te den Preis.

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»Kommst du heu te auch ins Tier heim?«, frag te ich beim Zah len.

»Na klar, mein Ne ben job. Ich bring ei nen neu en klei nen Hel fer mit.« Sie grins te.

»Cool«, er wi der te ich. Ei nen Au gen blick spä ter hat te ich die Spei se sau na hin ter mir ge las sen und eil te zu mei nem Tisch, um mit mei nen freun din nen die Sa che mit Derek zu be spre chen. Pietr hat te ich schon ganz ver ges sen.

Un ge dul dig setz te ich mein Tab lett ab und quetsch te mich zwi schen Amy und Sa rah auf die Bank. Sa rah ließ ihr Buch sin ken, eine Aus ga be von Ver stand und Ge fühl von Jane Au sten. Sie lä chel te mich auf mun ternd an.

Ich sto cher te mit dem Löf fel in mei nem Jo ghurt he rum und er läu ter te den an de ren mein Di lem ma. »Ich ka pie re das ein fach nicht. Derek hat heu te ernst haft mit mir ge spro­chen.« Ich spieß te mit der Ga bel eine Gur ken schei be auf und über leg te, wer von uns die Äl te re war.

»Und wei ter?«, frag te Amy neu gie rig und kräu sel te ge­wich tig die Au gen brau en. Mir schräg ge gen über saß So phia und tupf te sich den Mund mit ei ner Ser vi et te ab – ihre Art uns mit zu tei len, dass sie an dem Ge spräch nicht teil neh­men woll te. Sie war ein mal mit Derek aus ge gan gen und das hat te ihr ge reicht. Sie hat te auch nie da rü ber spre chen wol len. Nie.

An dem ein zig lee ren Platz un se res Ti sches wur de klir rend ein Tab lett ab ge setzt – di rekt mir ge gen über. »Was ka pierst du nicht?«, frag te eine Jungs stim me bei läu fig.

Ich sah auf und stöhn te.Pietr hat te mich ge fun den.

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Er setz te sich läs sig hin, ohne die fins te ren Bli cke sei ner Ver fol ge rin nen zu be ach ten, die sich ge zwun ge ner ma ßen ei­nen an de ren Platz su chen muss ten.

Ich ver such te, ihn zu ig no rie ren, aber So phia sah von ihm zu mir und wie der zu ihm. »So phia«, ich zeig te auf sie – »Pietr«, ich zeig te auf ihn. »Sa rah. Pietr«, deu te te ich mit den fin gern in ih rer bei der Rich tung.

Amy war te te gar nicht erst, bis sie vor ge stellt wur de. »Und ich bin Amy«, sag te sie. »Du heißt Pietr?«

Er lä chel te. Sa rah und So phia sa hen mich an und ki cher­ten los. Das nen ne ich Freun din nen!

Pietr spieß te ein Stück chen des un heim li chen Hack bra­tens mit der Ga bel auf und schob es in den Mund. Er kau te, als sei Es sen für ihn kein Ge nuss, son dern eine Pficht­übung. Nun, mit ei nem Blick auf mei ne labb ri gen Sa lat­blät ter konn te ich das nach voll zie hen. »Also, was ka pierst du nicht?«, frag te er wie der.

Ich ver wei ger te die Ant wort und gab vor, in ten siv mit der Su che nach ei nem knusp ri gen Crou ton be schäf tigt zu sein. Heu te war wirk lich nicht mein Tag.

»Da gibt es nichts zu ka pie ren«, fuhr Pietr fort. »Er ist nicht dein Ka li ber.« Das sag te er mit ei ner Selbst ver ständ­lich keit, als gäbe es nichts dran zu rüt teln.

Wahr schein lich wur den mei ne Au gen tel ler groß an ge­sichts die ser Be lei di gung. Amy fass te mich am Hand ge lenk. Mei ne fin ger hat ten sich um die Ga bel ge krallt, die ich in mei nen neu es ten Erz feind ram men woll te. »Wie bit te?«, frag te ich und sah ihn feind se lig an.

Er hat te nicht auf ge hört zu es sen, war mit dem Hack bra­

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ten so gut wie fer tig und be reit, sich über sei ne bei den Hack­steaks her zu ma chen. Er sah ei nen Mo ment an mei nem Kopf vor bei. »Jess.« Er fi xier te sei ne glü hen den Au gen auf mich. »Du bist eher nach denk lich. Wahr schein lich be kommst du gute No ten, bist wo mög lich im De bat tier club und bei der Schul zei tung, aber be stimmt nicht der Typ, auf den Ker le wie er ab fah ren. Er ist ein Voll trot tel.« Er kau te und schluck te hi nun ter. Dann sah er wie der an mir vor bei. »Ein äu ßerst be lieb ter Voll trot tel, so weit ich be ur tei len kann. Und ohne Hin ter ge dan ken ver ab re det sich so ei ner nicht mit ei nem Mäd chen wie dir.« Sei ne Au gen glit zer ten he raus for dernd. »Was glaubst du wohl, was so ein Typ von dir will?«

Mei ne Hand mit der Ga bel zit ter te. Amys fin ger knö­chel wa ren weiß vor An stren gung, wäh rend sie sich um mei ne Hand klam mer te, um mich zu rück zu hal ten. Es war das Längs te, was Pietr bis her zu mir ge sagt hat te und je des sei ner Wor te schmerz te wie ein Mes ser stich.

Weil er näm lich recht hat te. Derek woll te ein deu tig et­was von mir.

Pietr hat te sei ne Hack steaks schon halb auf ge ges sen, als ich schließ lich her vor press te: »Was geht das dich über haupt an?« Amy ließ mich los und tät schel te mei ne Hand. Sa rah ließ mei ne Ga bel nicht aus den Au gen, für den fall, dass es doch noch zum blu ti gen Ek lat käme. Sie fipp te in letz­ter Zeit ziem lich schnell aus, auch wenn sie nicht ge nau wuss te, wa rum.

So phia saug te an ih rem Trink halm und hör te in te res­siert zu.

»Wahr schein lich nichts«, ge stand er mit vol lem Mund,

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»ich dach te nur, dass die Mei nung ei nes Man nes …« Er sah wie der über mich hin weg.

»Was? Denkst du, wir schnal len sol che Sa chen nicht sel­ber?« Ich beug te mich über den Tisch, um klar zu stel len, dass ich sei nen Be lei di gun gen die Stirn bie ten wür de.

Er beug te sich eben falls über den Tisch, fast be rühr ten sich un se re Na sen spit zen. Ein selt sa mer, min zi ger Kie fern­duft krib bel te in mei ner Nase. Er roch wie die win ter li chen Wäl der des Nor dens. Kühl, klar und ge heim nis voll.

Er hör te auf zu kau en und sah mir in die Au gen, die ge­fähr lich glit zer ten. Er schluck te. »Viel leicht soll test du die Be weg grün de der Leu te ein biss chen ge nau er be trach ten.« Sein Blick streif te wie der über mich hin weg.

Ich dreh te mich um, um zu se hen, was sei ne Auf merk sam­keit von un se rer knall har ten Un ter hal tung ab lenk te. War es je mand be stimm tes? Nein. Er guc kte im mer nach oben. Zur Uhr? Ach. Er hat te wohl Angst, dass er hier sei ne Zeit ver geu de te. Ich sah ihn wie der an. »Und was sind dei ne Be­weg grün de, Pietr? Du kennst mich nicht ein mal!«

Er wich mit ei ner ge schmei di gen Be we gung zu rück. »Das stimmt.« Er lä chel te, zwi schen sei nen Lip pen zeig ten sich auf fal lend schö ne Zäh ne. »Ich küm me re mich ger ne um Leu te, die sich um mich küm mern. Es muss wohl so et was wie ein ver häng nis vol ler Zug in mei ner fa mi lie sein.« Sein Blick wur de von Er in ne run gen um wölkt. Dann blin zel te er und sah mich wie der an. »Du bist heu te mei ne füh re rin, oder?«

»Viel leicht soll te dich je mand an de res in der Schu le he­rum füh ren. Hier sind Dut zen de von Mäd chen, die den Job lie bend ger ne ma chen wür den.« Ich ließ mei ne Ga bel klir­

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rend auf das Tab lett fal len und kram te in mei ner Ta sche. Ich zog sei nen Stun den plan her vor und knall te ihn vor ihn hin. »Gib ein fach ei ner von de nen den Stun den plan, okay?«

»Nein.« Er schob den Zet tel zu rück, ohne ei nen Blick da rauf zu wer fen. »Du bist mit die ser Auf ga be be traut wor den …«

»Eher be straft, wür de ich sa gen«, mur mel te ich.»Egal.« Er schob den letz ten Bis sen auf sei ne Ga bel und

kau te nach denk lich. »Ich bin dein Pro blem.«»Voll tref fer.« Ich stand auf, um mein Tab lett zu rück zu­

brin gen.Pietr folg te mir wie ein Schat ten. Ich kipp te das Tab lett

laut stark in den Müll, um zu de mons t rie ren, wie ver är gert ich war. Dann zog ich es wie der raus und knall te es auf ei­nen Sta pel mit schmut zi gen Tab letts.

Pietr folg te mir auf den fuß, ohne auch nur mit der Wim­per zu zu cken.

»Was?«, frag te ich und blieb vor un se rem Tisch ste hen. »Hast du Angst, dass ich dich ir gend wo ste hen las se?« Ich nahm mei nen Ruck sack. Ein Stift fiel he raus und schlit ter te über den Tisch.

»Nein, hab ich nicht.« Er beug te sich vor, um den Stift auf zu he ben. Da bei streif te er mich. Ich er schau er te, als wäre ein Blitz durch mei nen Kör per ge fah ren.

Er rich te te sich auf und reich te mir den Stift. Ich hät te schwö ren kön nen, dass er da bei an mei nen Haa ren schnup­per te. To tal un an ge bracht. »Ich wür de dich trotz dem fin den.«

»Und wie stellst du dir das vor? Ich ken ne die Schu le viel bes ser als du.«

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Er sah un um wun den auf mei ne Haa re, bis ich an fing, da­ran he rum zu zup fen. »Ich wür de dich fin den.« Sei ne Selbst­si cher heit mach te mich nur noch wü ten der.

»Schön«, fuhr ich ihn an, schnapp te mir den Stift und schau te zur Uhr an der Wand. »Wol len wir doch mal se hen. Die nächs te Stun de bin ich in der sel ben Klas se wie du.« Ich fal te te den Stun den plan zu sam men und steck te ihn in mei ne Ta sche. »Wir se hen uns dort.«

Er sah mich aus halb zu sam men ge knif fe nen Au gen an, aber be vor er et was er wi dern konn te, ging die Schul glo cke los und vier hun dert Schü ler spran gen von den he rum ste­hen den Ti schen auf und streb ten auf die drei Aus gän ge zu. Ich ließ mich von der Men ge mit rei ßen, rann te in ge bück­ter Hal tung durch die flu re und has te te, im mer zwei Stu fen auf ein mal neh mend, ins nächs te Stock werk.

Auf hal ber Trep pe blieb ich ste hen, si cher, ihn ab ge hängt zu ha ben. Aber plötz lich stand er am fuß der Trep pe. Ich wich vom Ge län der zu rück und sah nach un ten. Es war ko­misch, ihn zu be ob ach ten. Er wieg te sei nen Kopf von ei ner Sei te zur an de ren, als woll te er eine un sicht ba re fähr te auf­neh men.

Ich dach te da ran, wie er an mei nen Haa ren ge schnup­pert hat te. Ich roch füch tig da ran. Hm. Su per­An ti stress­Minz­Sham poo. Ja. Auch wenn es mir kei nen See len frie­den ver schaff te. Viel leicht soll te ich auch noch die Spü­lung pro bie ren.

Pietr ging die Trep pe hi nauf und ich warf mich in die bro­deln de Men ge und lief vor dem Ty pen da von, den ich hät te he rum füh ren sol len.

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4Ich has te te ins Klas sen zim mer und kam schlit ternd an mei­nem Platz zum Ste hen. Mr Miles sah mich neu gie rig an. Ich lach te in mich hi nein. Ich hat te lan ge, ver schlun ge ne Wege ein ge schla gen, bis ich in das rich ti ge Geschichts klas sen zim­mer ge kom men war. Ich hol te mei nen Spi ral block he raus und kram te nach ei nem Blei stift. Ich hat te die Stif te nach der Mathe stun de doch auf ge räumt? Ja, und beim Mit tag­es sen ei nen fal len las sen. Ich nahm mir vor, das nächs te Mal den Reiß ver schluss der Ta sche rich tig zu zu zie hen. Na ja, je den falls war ich er folg reich ge we sen! Das wür de Pietr eine Leh re sein, wenn er im Schul ge bäu de um her irr te. Jetzt brauch te ich nur noch den Blei stift …

Die an de ren nah men ihre Plät ze ein. Ich hör te die Stüh le äch zen und knar ren, ob wohl ich mei nen Kopf fast in mei ner Ta sche ver senkt hat te.

Je mand klopf te auf mei nen Tisch.»Was ist?«, frag te ich, ohne auf zu se hen. Je mand setz te sich

ne ben mich. Ich rich te te mich auf und sah Pietr ne ben mir, der mir ei nen Blei stift reich te.

Wü tend fuhr ich mit der Hand ein letz tes Mal in die Ta­sche und – aha! Da war der Stift. Ich hielt ihn tri um phie­rend hoch.

Mr Miles sprach mit don nern der Stim me: »Wer die ses

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UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Shannon Delany

Die Nächte des Wolfs - Zwischen Mond undVersprechenBand 1

DEUTSCHE ERSTAUSGABE

Taschenbuch, Broschur, 400 Seiten, 12,5 x 18,3 cmISBN: 978-3-570-38029-1

cbt

Erscheinungstermin: August 2013

Nur der Mond kennt das Geheimnis ihrer Liebe! Seltsame Dinge geschehen in Junction, seit der Neue an Jess' Schule ist. Pietr istunwiderstehlich, nur Jess scheint immun gegen seine magische Anziehungskraft. Ohne sichihrer wahren Gefühle im Klaren zu sein, versucht sie wegen eines Versprechens, das sieihrer sterbenden Mutter gegeben hat, seine Liebe auf ihre beste Freundin Sarah zu lenken.Vergebens … Denn zwischen Jess und Pietr besteht eine schicksalhafte Verbindung. Doch wasverbirgt er vor ihr? Jess geht einen gefährlichen Handel ein, um dahinterzukommen …