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Sicherheitskultur – Was bedeutet das und ist es messbar? Dr. Antje Hammer 4. GRAZER RISIKOTAG PatientInnensicherheit in der Praxis - 21.September 2016

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Sicherheitskultur – Was bedeutet das und ist es messbar? Dr. Antje Hammer 4. GRAZER RISIKOTAG PatientInnensicherheit in der Praxis - 21.September 2016

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Was bedeutet Sicherheitskultur?

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Historischer Überblick » Begriffsprägung: Mitte der 80er nach den Vorfällen in Tschernobyl von der

International Atomic Energy Agency (IAEA 1986)

» Erste Untersuchungen zur Sicherheitskultur in Organisationen im Bereich der Hoch-Risiko-Industrie (z.B. Nuklearindustrie, Raum- und Luftfahrt)

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Organisationskultur und Sicherheitskultur » Organisationskultur = relativ stabiles, multidimensionales, hypothetisches

Konstrukt » Basiert auf geteilten Werten und Normen in der Arbeitsumgebung

(Guldenmund 2000)

Sicherheitskultur = Teilaspekt der Organisationskultur, bezogen auf die

Sicherheit einer Organisation (Cooper 2000)

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Warum Sicherheitskultur messen?

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Forderung nach Sicherheitskultur im Gesundheitswesen „To ERR is Human“: Es sterben mehr Menschen durch Behandlungsfehler als

z.B. bei Verkehrsunfällen, durch Brustkrebs oder durch Aids

» Forderung des Institute of Medicine : „health care organizations must develop a culture of safety such that an

organization's care processes and workforce are focused on improving the reliability and safety of care for patients“

(Kohn 2000)

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Wie kann Sicherheitskultur gemessen werden?

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Instrumente zur Messung von Sicherheitskultur » Ende 1990er: Adaption von Instrumenten aus der Hoch-Risiko-Industrie

» Erfassung von Einstellungen und Wahrnehmungen der Organisationsmitglieder bezüglich der Sicherheitskultur

» Auf Grundlage von Befragungsdaten (Fernández-Muñiz et al. 2007, Gershon et al. 2004)

» Instrumente unterschieden sich erheblich

» in der Anzahl » dem Inhalt » sowie in der Bezeichnung der untersuchten Dimensionen

(Alhemood et al. 2004, Colla et al. 2005, Flin et al. 2006, Gershon et al. 2004, Singla et al. 2006, Wiegmann et al. 2002)

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Dimensionen der Sicherheitskultur Zur quantitativen Erfassung von Sicherheitskultur (Surrogate) (Hammer 2012)

9

Dimension • Allgemeine Risiko-/ Sicherheitswahrnehmung • Führung und Management • Supervisor Commitment • Verhalten und Einstellung der Angestellten • Offene Kommunikation • Teamwork • Fehlermeldung • Analyse unerwünschter Ereignisse • Rückmeldung an Mitarbeiter (Feedback) • Sanktionsfreier Umgang mit Fehler • Personalausstattung • Safety-System • Übergabe und Verlegung • Organisationales Lernen • Bildung- und Weiterbildungen, Informationsweitergabe

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Instrumente zur Messung von Sicherheitskultur (Hammer 2012) Studie Sorra &

Nieva (2004)

Singer et al.

(2003)

Sexton et al.

(2006)

Hofmann & Mark (2006)

Katz-Navon et al. (2005)

Zohar et al.

(2007)

Weingart et al.

(2004)

Vogus & Sutcliffe (2007)

Health-care Com-

mission (2004)

Name des Instrumentes HSOPS

PSCHO

SAQ

CSS

SOS

NHS-Staff

Allgemeine Risiko-/ Sicherheitswahrnehmung x x x x x

Führung und Management x x x x x x Supervisor Commitment x x x x Verhalten und Einstellungen der Angestellten x x x x x

Offene Kommunikation x x x x x x x Teamwork x x x x Fehlermeldung x x x x x x Analyse von unerwünschten Ereignissen x x x x x x

Rückmeldung an Mitarbeiter (Feedback) x x x

Sanktionsfreier Umgang mit Fehlern x x x x x

Personelle Ausstattung x x x Ressourcen/Ausstattung x x x x x x x x Übergabe und Verlegung x x x Organisationales Lernen x x x Bildung, Weiterbildung und Informationsweitergabe x x x x x x

Anzahl der Dimensionen 12 9 12 6 3 6 10 4 11 21.09.2016 4. GRAZER RISIKOTAG | Referentin Dr. Antje Hammer Seite 10

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Welche Instrumente stehen im deutschsprachigen Raum zur Verfügung?

(Manser et al. 2016)

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Psychometrisch evaluierte Sicherheitskulturinstrumente im deutschsprachigen Raum (Manser et al. 2016)

21.09.2016 4. GRAZER RISIKOTAG | Referentin Dr. Antje Hammer Seite 12

Name Studie Land Setting Patient Safety Climate Inventory (PaSKI) Pfeiffer & Manser (2010) SWI Krankenhaus

Hospital Survey on Patient Safety Culture for hospital management (HSOPS_M) Hammer et al. (2011) GER Krankenhaus

Safety attitudes questionnaire (SAQ-Swiss version) Zimmermann et al. (2013) SWI Krankenhaus

Safety climate Survey (SCS) Gehring et al. (2015) SWI Krankenhaus Safety Organizing Scale (SOS-Swiss-version) Ausserhofer et al. (2013) SWI Krankenhaus

Vienna Safety Culture Questionaire (WSF) Steyrer et al. (2011) AUS Krankenhaus

Nursing Home Survey on Patient Safety Culture (NHSPSC-CH) Zuniga et al. (2013) SWI Pflegeheim

Frankfurt patient safety climate questionnaire for General Practice (FraSIK) Hoffmann et al. (2011) GER Ambulante

Praxen

Survey of Organizational Attributes for Primary Care (SOAPC) Ose et al. (2010) GER Hausarzt-Praxen

Survey of Organizational Attributes for Dental Care (SOADC) Goetz et al. (2015) GER Zahn-versor-gung

Pharmacy Safety Climate Questionnaire (PSCQ-4) Phipps et al. (2012) GER Pharmazie

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Die Auswahl des richtigen Instrumentes » Fokus auf Team- oder Abteilungsebene versus Fokus auf das Krankenhaus

als Ganzes (SAQ versus HSOPS) » Berücksichtigung der Zielpopulation (medizinisches versus administratives

Personal) » Umfang des Instrumentes » Auswahl von Skalen » Anpassung des Instrumentes an lokale Gegebenheiten » Vergleich mit anderen Einrichtungen/Ländern

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DO‘s and DONT‘s bei der Nutzung von SiKu-Instrumenten

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DO‘s DONT‘s • Verknüpfung von Sicherheitskultur-

Messung mit Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheitskultur.

• Interpretation von Ergebnisse niemals ohne Berücksichtigung von strukturbedingten Faktoren.

• Fokus auf einzelne, jedoch psychometrisch evaluierter Dimensionen von Instrumenten abhängig vom Ziel der Intervention (z.B.: Führung oder Teamarbeit).

• Keine Auswahl einzelner Items, sondern immer die ganze Dimension, um psychometrische Eigenschaften zu erhalten.

• Externe Unterstützung bei der Messung und Bewertung der Sicherheitskultur (Anonymität, Glaubwürdigkeit).

• Keine Änderung in Anzahl, Inhalt und Wortlaut validierter Items innerhalb einer Sicherheitskulturdimension.

• Nutzung von Mixed-Method Ansätzen zur Vertiefung des Verständnis von Sicherheitskultur.

• Interpretation von Ergebnissen nicht ohne Triangulation mit anderen Datenquellen.

(nach Manser et al. 2016)

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Sicherheitskultur messen und entwickeln

Ein Ausblick für Wissenschaft und Praxis

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Beispiel: Teamarbeit innerhalb der Abteilungen/Klinik

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Ärzte Klinik A Ärzte Klinik B

58,3%

7,7%

23,1%

33,3%

76,9%

53,8%

61,5%

8,3%

15,4%

23,1%

38,5%

0% 20% 40% 60% 80% 100%

problematisch neutral positiv

7,1%

7,1%

42,9%

28,6%

28,6%

50,0%

71,4%

64,3%

100,0%

0% 20% 40% 60% 80% 100%

Wenn ein Bereich in dieser Abteilung/Kliniküberlastet ist, helfen andere aus.

Die Mitarbeitenden in dieser Abteilung/Kliniknehmen Rücksicht aufeinander.

Wenn ein hohes Arbeitspensum erfüllt werdenmuss, arbeiten wir als Team zusammen, um

alles erledigen zu können.

Die Mitarbeitenden in dieser Abteilung/Klinikunterstützen einander.

problematisch neutral positiv

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Wo müssen wir hin? » Spagat zwischen Theorie und Praxis

» Gute theoretische Fundierung » Mixed-Methode-Ansätze » Langzeitstudien » Nachhaltigkeit

» Systemische Ansätze » Das große Ganze im Auge behalten

» Führung / Leadership » Entwicklung von Sicherheitskultur ist Führungsaufgabe » Erfordert das Commitment unterschiedlicher Führungsebenen

4. GRAZER RISIKOTAG | Referentin Dr. Antje Hammer Seite 17 21.09.2016

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Selbst ohne strategischen Ansatz zur Kulturentwicklung verändert Kultur sich kontinuierlich

– nur nicht unbedingt in die gewünschte Richtung …

Danke für Ihre Aufmerksamkeit

Fragen? Kontaktieren Sie mich! [email protected]

www.researchgate.net/profile/Antje_Hammer

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Stand der Forschung

» Fokus auf spezifische Outcomes (Wiedereinweisungsrate, Mortalität, Komplikationen, Medikationsfehler, Unerwünschte Ereignisse) (The Health Foundation 2011)

» Fokus auf spezifische Indikationen/Bereiche

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Sicherheitskultur Patienten-sicherheit

USA: 30 ICUs, 66.000 Patienten, 2.100 Mitarbeiter: 10% ↗SiKu 15%↘ Aufenthaltsdauer (Huang et al. 2010)

USA: 179 Krankenhäuser; Trend ↗SiKu ↘ unerwünschten Ereignissen; signifikante Zusammenhänge mit moderaten Effekten (Mardon et al. 2010)

NED: 37 Krankenhäuser/67 Pflegeheime, 1.300 Patienten 460 Mitarbeiter; KEINE Zusammenhänge zwischen Organisationskultur, Teamklima und dem Auftreten von Druckgeschwüren (Bosch et al. 2011)

21.09.2016

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Stand der Forschung

» Keine systematischen Zusammenhangsanalysen » Keine eindeutigen Ergebnisse » Aber: Keine statistischen Zusammenhängen ≠ keine realen

Zusammenhängen » Zugang zu Daten » Erhebungsmethoden » Publikationsbias » Fehlende wissenschaftliche Begleitung » Primarziel der Studien ist nicht die Zusammenhangsanalyse » Mangelnde theoretische Fundierung hinsichtlich der Messung von

Sicherheitskultur/-klima (Groves 2013, Hammer und Manser 2014, Morello et al. 2013)

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Sicherheitskultur Patienten-sicherheit