28
Sichtweisen 18/2017 Sichtweisen Heft 18 | Mobilität, Sport und Behinderung Berichte, Meinungen, Informationen, Themen aus der Behindertenhilfe und Sozialpsychiatrie

Sicht weisen...Im Bereich der psychi-schen Erkrankungen ist es mir ein persönliches Anliegen, durch Aufklä-rungsarbeit der Stigmati-sierung und Ausgrenzung entgegenzuwirken. Seit

  • Upload
    others

  • View
    0

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Sicht weisen...Im Bereich der psychi-schen Erkrankungen ist es mir ein persönliches Anliegen, durch Aufklä-rungsarbeit der Stigmati-sierung und Ausgrenzung entgegenzuwirken. Seit

Sichtweisen 18/2017

SichtweisenHeft 18 | Mobilität, Sport und BehinderungBerichte, Meinungen, Informationen, Themenaus der Behindertenhilfe und Sozialpsychiatrie

Page 2: Sicht weisen...Im Bereich der psychi-schen Erkrankungen ist es mir ein persönliches Anliegen, durch Aufklä-rungsarbeit der Stigmati-sierung und Ausgrenzung entgegenzuwirken. Seit

Liebe Leserinnen und Leser,

mit der Nummer 18 erscheint unser neues Heftder Sichtweisen, das wir Ihnen als Redaktions-team gerne überreichen. Wir, das sind in ersterLinie ehrenamtlich Engagierte und Experten.

Die Koordination erfolgt durch mich, in meinerRolle als Sozialplaner für Behindertenhilfe-und Psychiatrie im Landkreis Esslingen.Wir hoffen, Sie als interessierte Leserschaftansprechen zu können. Gerne nehmen wirIhre Anregungen und Kritik entgegen. Vielleichthaben Sie beim Lesen Lust verspürt, einmalselbst etwas zu schreiben. Dazu laden wirSie herzlich ein. Setzen Sie sich einfachmit uns in Verbindung.

Die Redaktion hat sich entschieden, die ThemenMobilität und Sport für das vorliegende Heft inden Mittelpunkt zu stellen:

Mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechts-konvention durch den Bundestag und Bundesratim Jahr 2009 wurde ein Meilenstein gesetzt.In der Konvention finden wir erste Hinweise zuden von uns als Schwerpunkt gewählten Themen:Menschen mit Behinderung soll die persönlicheMobilität erleichtert werden (Artikel 20) und ihnensoll ermöglicht werden, an breitensportlichenAktivitäten umfassend teilzunehmen (Artikel 30).Dazu sind alle Ebenen gefragt.

Zu den Aufgabenfeldern des Landkreises gehörenunter anderem neben der Eingliederungshilfeauch der Öffentliche Personennahverkehr unddie Schülerbeförderung.

Die Verwaltung und der Kreistag befassensich kontinuierlich damit. eben der Mobilitätspielt auch der Sport eine wichtige Rolle. Erermöglicht Begegnung, trägt zur Gesundheitund zur Lebensqualität bei.

SichtweisenEditorial

2 Sichtweisen 18/2017

Mobilität, Sport und Behinderung

Page 3: Sicht weisen...Im Bereich der psychi-schen Erkrankungen ist es mir ein persönliches Anliegen, durch Aufklä-rungsarbeit der Stigmati-sierung und Ausgrenzung entgegenzuwirken. Seit

Sichtweisen 18/2017 3

Mit einem Bericht zum Fachtag Inklusion – Mobi-lität und Sport sowie einem Gespräch zweier Re-aktionsmitglieder mit Frau Dr. Leuze-Mohr gehenwir auf diese Themen ein.

Weitere Beiträge befassen sich mit sehr unter-schiedlichen Aspekten von Mobilität und Sport,auch der persönliche Erfahrungswert darf unse-res Erachtens nicht zu kurz kommen. Er trägt zurVielfalt und Unterschiedlichkeit bei.

Im Namen des Redaktionsteams danke ich allenMitwirkenden, insbesondere den Co-Autorinnenund –Autoren für die interessanten Beiträge unddas zur Verfügung gestellte Bildmaterial. Auf IhreReaktionen sind wir wie immer gespannt.

Liebe Leserinnen und Leser, Ihnen wünsche ichbeim Lesen Neugier und Interesse.

Ihr Michael Köber

Die Mitglieder der „Sichtweisen“ trafen sichüber viele Jahre im Johanniterstift in Plochingenzu Redaktionsbesprechungen. Unser Dank giltdem Heimleiter, Herrn Lechner und seinen Mit -arbeitern, für die Gastfreundschaft.

Mit dem Wegzug von Annerose Klingmann ausdem Stift im Sommer diesen Jahres und ihremdamit verbundenem Ausscheiden aus der Redak-tion Sichtweisen, haben wir unseren Treffpunktseitdem in das Landratsamt verlegt.

Annerose Klingmann war von Anfang an dabei,sie hat bei allen 18 Heften mitgearbeitet und beider Redaktionsarbeit trotz ihrer nachlassendenMöglichkeiten aufgrund ihrer Erkrankung bzw.Behinderung immer mitgewirkt. Liebe Annerose, wir wünschen dir in deinemneuen Lebensumfeld alles Gute, Gesundheit undWohlbefinden. Wir danken dir für deine jahre-lange ehrenamtliche Tätigkeit bei den Sichtwei-sen und dein Engagement für die Belange vonMenschen mit Handicap. Dein Redaktionsteam

Vorwort...........................................................2–3

Die Redaktion stellt sich vor ...................4–5

Mobilität, Sport und Behinderung.....................

Fachveranstaltung Inklusion,Mobilität und Sport.................................6–7

Interview Frau Dr. Leuze-Mohr...............8–9

Nürtingen barrierefrei..........................10–11

Gelebte Teilhabe im Sport ........................12

Sportliche Aktivität ...................................13

Im Zeichen der Inklusion ..........................13

Up in the Air .............................................14

Stiftung „Anerkennung und Hilfe“............15

Wie will ich wohnen ...........................15–16

Aktivieren und Mobilisieren ................18–19

Mobilität, Sport und Behinderung.....................

Theatergruppe ..........................................17

Gesichtsmaske.........................................19

Hohenheim ..............................................20

Jonas........................................................20

Rad- und Wandertouren ...........................21

Sport ........................................................21

Mobilität und Behinderung.................22–25

Barrierefreiheit .........................................26

Programm ................................................27

Infoteil ..................................................................

Impressum..........................................10–11

Inhalt

S

Page 4: Sicht weisen...Im Bereich der psychi-schen Erkrankungen ist es mir ein persönliches Anliegen, durch Aufklä-rungsarbeit der Stigmati-sierung und Ausgrenzung entgegenzuwirken. Seit

4 Sichtweisen 18/2017

SichtweisenDie Redaktion stellt sich vor

Michael Köber

Die „Sichtweisen“ sindein Forum für einen Ge-danken- und Erfahrungs-austausch zum Leben mitBehinde run gen, wesent-lich getragen von ehren-amtlich enga gierten Bür-gerinnen und Bürgernim Landkreis Esslingen.

Kreativität, Ideenvielfalt,persönliche Verbundenheitund Be geisterungzeichnen das kleineRe daktionsteam aus.Die gemeinsame Arbeit inder Redaktion bereitet mirFreude, sie stellt eine be-sondere Ebene in den Auf-gaben der Behinderten-hilfe- und Psychiatrie -planung dar. Die „Sicht-weisen“ regen fürVerän derungen an, siebilden Erfahrungen ausdem Alltag und derLebenswirklichkeit vonMenschen mit Behinde-rungen ab. Sie sind auchein Medium für einenfachlichen Austausch.Ich bin auf die nächstenAusgaben gespannt.

Annerose Klingmann

Über die Sichtweisen freu ichmich besonders, weil ich vonAnfang an dabei bin.

Ich bin selbst durch Behinde-rung betroffen und engagieremich bei den Sichtweisen, weilmir der Austausch mit anderenMenschen wichtig ist und ichetwas Positives für behinderteMenschen beitragen möchte.Ich war früher sehr aktiv beider „Amsel“ tätig, über dieich dann zu den Sichtweisengekommen bin. Die Arbeit beiden Sichtweisen ist mir sehrwichtig und ich wünsche mir,dass noch viele Ausgaben dazukommen, an denen ich mit -arbeiten kann.

Petra Besemer

Im Bereich der psychi-schen Erkrankungen ist es mir ein persönlichesAnliegen, durch Aufklä-rungsarbeit der Stigmati-sierung und Ausgrenzungentgegenzuwirken.

Seit 2008 existiert dieFreizeit- und Selbsthilfe-gruppe für psychischkranke Menschen.

Unsere Trialoge tragen zudieser Aufklärungsarbeiteinen Teil bei. Ich arbeitesehr gerne bei Sicht -weisen mit.

Page 5: Sicht weisen...Im Bereich der psychi-schen Erkrankungen ist es mir ein persönliches Anliegen, durch Aufklä-rungsarbeit der Stigmati-sierung und Ausgrenzung entgegenzuwirken. Seit

Sichtweisen 18/2017 5 S

Daniela Goth

Ich arbeite gerne in der Redak-tion mit und gehe seit 2004 ineine Werkstatt in Zell. Grund-sätzlich möchte ich auf die Le-benssituationen behinderterMenschen hinweisen. Es be-schäftigt mich beson ders, dassbehinderte Menschen so großeProbleme haben, Arbeit zu fin-den. Über Integration darf nichtnur gesprochen werden. Han-deln ist angesagt!

Manfred Tretter

Mit der Literatur bin ich in frem-den Ländern und anderen Zeitenschon ganz schön weit herumge-kommen. Von Jugend an beglei-ten mich Bücher. Im Beruf gabes viele Gelegenheiten für michzum fachbezogenen Schreiben.Jetzt entdecke ich die vielfältigenAnregungen aus dem Bereichdes kreativen Schreibens, um zureigenen litera rischen Produktionzu gelangen. Für die „Sichtwei-sen“ fühle ich mich doppelt vor -ge prägt: Ich bin blind und kannmich als behinderter Mensch äu-ßern und ich kann meine beruf-lichen Erfahrungen aus der Sozi-alarbeit damit verbinden.

Karsten Lindner

Ich heiße Karsten Lindner, bin1961 geboren. Meine Diagnoselautet: endogene Psychose.Endogen, weil meine Psychosevon innen heraus kommt, durchjahrzehntelange Verletzungenhabe ich einen Verfolgungswahnentwickelt. Ich weiß, dass ichgesund werden kann. Dazutreibe ich Sport, um mich abzu-reagieren, denn sonst be-komme ich die uralten Aggres-sionen nicht legal los. Über dasJoggen habe ich mir das Loslas-sen erarbeitet. Schreiben tueich auch gerne und um diesemHobby nachzugehen, bin ichMitglied bei der RedaktionSichtweisen. Ich schreibe aberauch Tagebücher und Gedichte,für meine Selbsthilfegruppemache ich Öffentlichkeitsarbeit.

ABSCHIEDAls wir uns beim Landratsamt trafen, war das ein „komisches Gefühl“. Du fehlst mir und denanderen bestimmt auch. Du warst von Anfang an bei den Sichtweisen dabei. Hast immer mitgemacht, kam immer etwas Neues von Dir. Du hast oft erzählt von der Organisation „Amsel“Du bist nämlich selber betroffen. Hast immense Probleme am Körper, Schlucken und am Atmenauch. Trotzdem warst Du immer dabei.Jetzt hat Dich Dein Sohn mitgenommen zu sich, um sich um Dich zu kümmern. Schön, ehrlich,aber mir fehlst Du. Vielleicht schreibst Du uns, wie es Dir momentan so geht. Würd' mich echtinteressieren.Also Du, bis hoffentlich bald,

Daniela

Page 6: Sicht weisen...Im Bereich der psychi-schen Erkrankungen ist es mir ein persönliches Anliegen, durch Aufklä-rungsarbeit der Stigmati-sierung und Ausgrenzung entgegenzuwirken. Seit

6 Sichtweisen 18/2017

Fachveranstaltung Inklusion:Mobilität und SportRund 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmertrafen sich am 12. Oktober 2017 im großenSitzungssaal des Landratsamtes Esslingen,um sich mit den Themen Mobilität undSport zu beschäftigen. Der Teilnehmerkreissetzte sich aus Menschen mit Behinderun-gen, Angehörigen, Vertretern aus Politik,Verwaltung, Verbänden, Vereinen und Ver-kehrsbetrieben zusammen. Der Fachtagfand im Rahmen der Inklusionskonferenz,organisiert durch Petra Mittmann, statt.

Der ZusammenhangDer Landkreis Esslingen ist aktiv auf demWeg, Inklusion voranzubringen. Als einervon vier Landkreisen in Baden-Württem-berg ist er Projektträger einer Inklusions-konferenz, die vom Ministerium für Sozia-les und Integration des Landes gefördertwird. Inklusionskonferenz ist ein etwassperriger Begriff. Anders ausgedrückt, liegtderen Bedeutung darin, dass sich Men-schen aus unterschiedlichen Zusammen-hängen treffen und mit „Inklusion“ ausein-andersetzen, im weiteren Sinne für alle Be-lange und im engeren Sinne für eine Ver-besserung der Teilhabe, dies gemeinsammit Menschen mit Handicap.

Die GrußworteMobilität nimmt in unserem Alltag eineSchlüsselrolle ein, und der Sport ist fürviele Menschen ein wichtiger Bestandteil inihrer Freizeit. Inklusion ist eine gesamtge-sellschaftliche Aufgabe, die kommunal um-zusetzen ist, war der Einladung von LandratHeinz Eininger zur Fachveranstaltung zuentnehmen. Die Begrüßung erfolgte durchdie Sozialdezernentin des Landkreises, Ka-tharina Kiewel, die für den Landrat kurzfris-tig einspringen musste. Dass Inklusion imAlltag gelebt wird, betonte auch PetraClauss vom Ministerium für Soziales undIntegration, die außerdem in ihrem Gruß-wort auf den Landesaktionsplan und seineMaßnahmen hinwies.

Die WissenschaftFür die wissenschaftliche Begleitung stellteFrau Professorin Annette Plankensteiner inihrem Beitrag einige Thesen zur Inklusionvor. So ist ein inklusives Gemeinwesen ge-prägt von einer gegenseitigen Übernahmevon Verantwortung, von inklusiven Gemein-destrukturen sowie Engagement undSelbstbestimmung. Eine unbedingte Teil-habe sei zu gewähren, demzufolge sindspezialisierte Angebote als nachrangig zubetrachten. Um dies zu erreichen, brauchtes vor allem ein politisches Mandat, Vorbil-der, Strukturen und Ressourcen. Inklusionist dabei nicht einmal einlösbar sondern ge-prägt durch ein sich stetig weiterentwi-ckelndes Gemeinwesen.

Die MobilitätNach einer Pause, in welcher der Film„Fußball ist mehr als ein 1:0“ des FC Ess-lingen, gezeigt wurde, setzte Klaus Necker-nuß als Verantwortlicher für den öffent-lichen Personennahverkehr im Landratsamtdie Impulsreferate fort. Die Barrierefreiheitmache zwischenzeitlich rund drei Viertelaller Fahrten (in der Regel durch Niederflur-busse) aus. Der Nahverkehrsplan des Land-kreises macht Vorgaben, wenn auch derLandkreis nicht für alle Verkehrsarten zu-

SichtweisenFachveranstaltung Inklusion: Mobilität und Sport

Dr. Martin Sowa spricht zum Inklusionssport

Page 7: Sicht weisen...Im Bereich der psychi-schen Erkrankungen ist es mir ein persönliches Anliegen, durch Aufklä-rungsarbeit der Stigmati-sierung und Ausgrenzung entgegenzuwirken. Seit

Sichtweisen 18/2017 7 S

ständig ist: Eine barrierefreie Haltestellepro Teilort, eine an Einrichtungen, die vonPersonen mit Mobilitätseinschränkungenoft genutzt werden und allgemein häufigfrequentierte Haltestellen sind dabei Orien-tierung.

Der SportFür eine gelungene Inklusion im Sportzeigte Dr. Martin Sowa verschiedene Bei-spiele auf. Aus seiner Sicht sind die enga-gierten Übungsleiterinnen und Übungslei-ter die eigentlichen Motoren der Inklusion.Der Inklusionssport braucht Partner, des-halb ist eine Zusammenarbeit zwischenden Verantwortlichen im Sport, den Schu-len und Trägern der Behindertenhilfe vonwesentlicher Bedeutung. Auch der langeAtem, also die Kontinuität, ist für den Refe-renten besonders wichtig, und man sollruhig auch einmal etwas ausprobieren, wasnicht unbedingt naheliegend ist, so seinAppell.

Das ExpertengesprächEin Expertengespräch moderiert durchDr. Sven Fries brachte schließlich den Teil-nehmerinnen und Teilnehmern der Veran-staltung verschiedene Alltagssituationenim Leben vom Menschen mit Handicapnahe. Imma Stozek, Mark Fischer, PaulNeu und Felix Schrader berichteten insehr anschaulicher Weise von persönlichenErfahrungen. Diese bezogen sich aufunterschiedliche Barrieren, noch unzu -reichende Bedingungen bei der Nutzung

des öffentlichen Personennahverkehrs,aber auch auf positive, unterstützendeBegegnungen beim Sport und in derMobilität.

Das ErgebnisKatharina Kiewel, Dezernentin für Sozialesim Landratsamt, fasste die Ergebnisse derVeranstaltung gut zusammen und gabeinen Ausblick. Sie betonte die regionaleBedeutung der Inklusion und den wichtigenAspekt der Beteiligung. Dabei wies sieauch auf die vielen Möglichkeiten in derZivilgesellschaft und einen erforderlichenHandlungsrahmen zur Umsetzung derUN-Behindertenrechtskonvention hin.Der Landkreis beabsichtige, den Inklusions-prozess durch Weiterführung der Inklu-sionskonferenz fortzusetzen. So soll derAufbau eines inklusiven Sportnetzwerkesdurch Unterstützung gezielter Projekte ein-geleitet, die Beteiligung von Experten aus-gebaut und Personalschulungen im Öffent-lichen Personennahverkehr durchgeführtwerden. Ihr Dank galt allen Mitwirkendenan der Fachveranstaltung, verbunden mitdem Anliegen, als Botschafterinnen undBotschafter für Inklusion im Landkreis zuwirken. Beitrag: Michael Köber

Katharina Kiewel, Dezernentin Soziales,

rechts Gebärdendolmetscherinnen

Page 8: Sicht weisen...Im Bereich der psychi-schen Erkrankungen ist es mir ein persönliches Anliegen, durch Aufklä-rungsarbeit der Stigmati-sierung und Ausgrenzung entgegenzuwirken. Seit

8 Sichtweisen 18/2017

Ein Gespräch mit Frau Dr. Marion Leuze-Mohrim Esslinger Landratsamt

Aus der „Sichtweisen“-Redaktion waren PetraBesemer und Manfred Tretter zum Gesprächster-min gekommen und berichten hier über einigeAspekte der Unterredung.

Redaktion: Fangen wir mit dem Persönlichen an.

Leuze-Mohr: Ich bin Juristin und seit Sommer2015 hier im Landratsamt Erste Landesbeam-tin. Geboren bin ich 1964 in Heidenheim unddort ganz in der Nähe, in Giengen an der Brenz,war ich im Kindergarten und meine Schulzeitstartete dort. Wir sind dann nach SchwäbischGmünd umgezogen, wo ich bis zum Abiturblieb. Weiter ging es nach Tübingen zum Jura -studium. In jungen Jahren war ich in der Kircheengagiert und während des Studiums habe ichin der Justizvollzugsanstalt Rottenburg ehren-amtlich in der Straffälligenhilfe mitgearbeitet.Später war ich ehrenamtlich in einem Frauen-haus aktiv. Mir war immer wichtig, in mensch -liche Verhältnisse Einblick zu bekommen, dievon juristischen Entscheidungen geprägt sind.Ursprünglich hatte ich vor, in diesem Bereich zuarbeiten. Mein Verwaltungspraktikum im Refe-rendariat war aber dann so spannend, dass ichmich dafür entschieden habe. Bei einem Ein-satz in der Aufbauhilfe in Dresden wurde mirklar, wie wichtig Verwaltungshandeln ist unddass man damit konkret etwas bewirken kann.Ab November 1992 war ich zunächst beim Ho-henlohekreis unter anderem mit Baurecht und

Umweltrecht befasst. Weiter ging mein Berufs-weg über das Regierungspräsidium und dasInnenministerium in Stuttgart, zum KreisSchwäbisch Hall und wieder zurück ans Regie-rungspräsidium. Bevor ich 2015 nach Esslingenkam, war ich Leiterin des Personalreferats imInnenministerium. Seit kurzem wohne ich inEsslingen.

Redaktion: Jetzt kommen wir zu ihren beruflichenAufgaben.

Leuze-Mohr: Ich leite das Dezernat 4 – Umweltund Technik – im Landratsamt, das 8 Ämterumfasst. Dazu gehört auch der öffentlichePersonennahverkehr (ÖPNV). Der Landkreis isthier Aufgabenträger für den Busverkehr undauch für die Stadtbahnen. Aufgabenträger fürdie S-Bahn ist die Region Stuttgart und für dieNahverkehrszüge das Land. Der Verkehrs- undTarifverbund Stuttgart (kurz VVS) koordiniertden ÖPNV im Ballungsraum Stuttgart. DerLandkreis Esslingen ist als Aufgabenträger amVVS beteiligt. Grundlage des Handelns imLandratsamt ist der Nahverkehrsplan in derFassung der 2. Fortschreibung vom Dezember2014. Darin ist die Barrierefreiheit aufgenom-men worden. Beim Busverkehr gibt es mitBlick auf die Barrierefreiheit vor allem zweiThemen: die Haltestellen und die Fahrzeuge.

Für den Umbau der Haltestellen sind dieKommunen zuständig. Hier ist es wichtig,an die Gemeinden zu appellieren, dass sie aktivwerden. Der Nahverkehrsplan des Landkreisesstellt dazu folgende Kriterien auf:

- Eine barrierefreie Haltestelle je Teilort; in derRegel wurde die Haltestelle mit dem höchstenFahrgastaufkommen ausgewählt.

- Barrierefreie Haltestellen an Einrichtungen,die von Personen mit eingeschränkter Mobilitätfrequentiert werden. Krankenhäusern, Senio-reneinrichtungen sowie Behindertenwerkstät-ten (oder ähnliche Einrichtungen) wurde jeweilseine Haltestelle zugeordnet, die barrierefreiausgebaut werden soll.

SichtweisenBlickpunkt Barrierefreiheit im Personennahverkehr

Page 9: Sicht weisen...Im Bereich der psychi-schen Erkrankungen ist es mir ein persönliches Anliegen, durch Aufklä-rungsarbeit der Stigmati-sierung und Ausgrenzung entgegenzuwirken. Seit

Sichtweisen 18/2017 9 S

- Gut frequentierte Haltestellen, alle Haltestellenmit 1.000 und mehr Ein- Aus und Umsteigerje Normalwerktag sollen barrierefrei ausgebautwerden.

Die Fahrzeuge werden von den Omnibusunter-nehmen beschafft. Wünschenswert ist hiernatürlich immer, dass bei den Ausstattungskri-terien und Mindestanforderungen an die Fahr-zeuge die technischen Merkmale, die Fahr -gastinnenausstattung und –komfort, die Aus-stattungskriterien und Mindestanforderungenz.B. für Rollstuhlfahrer und Kinderwägen,die Fahrgastinformation, auch Beleuchtungund Linienbeschilderung auf den neuestenStand gebracht werden. Man nennt das beiden Anforderungskriterien die Kategorien Aund B.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang der § 8Abs. 3 Personenbeförderungsgesetz. Darin istdas Jahr 2022 als Frist genannt. Bis dahin solldas Ziel der vollständigen Barrierefreiheit er-reicht sein.

Unser Amt 46 hat erst in diesem Frühjahr fürden Kreistag eine Erhebung gemacht, wieweit Barrierefreiheit bereits besteht. Es exis-tieren im Landkreis insgesamt 781 Bushalte-stellen. Barrierefrei umgebaut sind inzwischen151 Haltestellen. Im April 2014 waren es erst52 Haltestellen, die von den Städten und Ge-meinden barrierefrei ausgebaut waren. Kreu-zungen, Einmündungen, Kurven und privateEin- und Ausfahrten machen den Aus-/Umbauoftmals zeitaufwändig und kostenintensiv undverlangen Einzelfalllösungen. Vergleicht manden Stand der baulichen Anpassung in denRegionen des Kreises, so fällt auf, dass dasFildergebiet am weitesten ist. Spezielle Haus-haltsmittel für Baumaßnahmen sind im Kreis-haushalt nicht vorgesehen. Die Kommunenkönnen jedoch aus dem Gemeindeverkehrs -finanzierungsgesetz des Landes Mittel bean-tragen. Für den Förderanteil des Landes gibtes eine Obergrenze von 50 %. Das umfasstganz unterschiedliche Maßnahmen, so auchWetterschutz und Möblierung.

Die technische Seite, also die Frage, wie dieAnforderungen an Haltestellen und Fahrzeugenaussehen sollen, wird von uns nicht bearbeitet.Die Standards gelten für die gesamte RegionStuttgart. Sie beruhen auf den gesetzlichenGrundlagen (Personenbeförderungsgesetz) undauf den geltenden DIN-Normen. Die einzelnenAnforderungen sind dort genau definiert undtragen dem Rechnung, dass es je nach der Be-hinderung unterschiedliche Bedürfnisse gibt.Beispiele sind kontrastreiche Farbgestaltung,Rufeinrichtungen, Türausleuchtung, Haltestel-lenansagen, akustische Ansagen und Signale.

Unsere Aufgabe im Landratsamt ist es, dierechtlichen Rahmenbedingungen zu schaffen,dass die Barrierefreiheit verwirklicht werdenkann. Uns im Landratsamt geht es darum,möglichst Abläufe zu optimieren. Immer wich-tig ist dabei, miteinander im Gespräch zu blei-ben. Lösungen sind nicht immer einfach zu fin-den, denn ändert man etwas an einer Stelle,dann ist oft gleich das ganze System des Bus-verkehrs betroffen. Wir wollen uns im Land-kreis für das Thema Barrierefreiheit engagierenund ich nehme wahr, dass das auch für unsereKommunen gilt.

Einiges ist schon geschafft. Nach meinemEindruck ist eine positive Entwicklung in Gang,die es Menschen mit Behinderung im Nahver-kehr leichter machen soll. Nicht zuletzt gehörtes ja irgendwie auch zu den Aufgaben der Ver-waltung, das gesellschaftliche Leben erträg-licher und einfacher zu machen. Mir ist immerganz wichtig, dass Menschen mit Behinde-rung sichtbar sind und natürlich auch alsVerkehrs teilnehmer in Erscheinung treten.Neben den baulichen und technischen Einrich-tungen brauchen wir ein Bewusstsein gegen-seitiger Hilfsbereitschaft, wo eine kleine spon-tane Handreichung über alltägliche Klippenhin weghilft.

Die Redaktion bedankt sichfür dieses Gespräch.

Petra Besemer und Manfred Tretter

Page 10: Sicht weisen...Im Bereich der psychi-schen Erkrankungen ist es mir ein persönliches Anliegen, durch Aufklä-rungsarbeit der Stigmati-sierung und Ausgrenzung entgegenzuwirken. Seit

10 Sichtweisen 18/2017

Eine Aktion für mehr Teilhabe allerin der Stadt Nürtingen

Mit dem Projekt NTbarrierefrei, das 2017 mit Mit-teln des Landesprogramms „Impulse Inklusion“unterstützt wird, möchte Nürtingen bessere gesell-schaftliche Teilhabemöglichkeiten für alle erreichen.Ansprechpartnerin ist Frau Heike Händel vom Amtfür Bildung, Soziales und Familie zusammen mitden beiden Projektkoordinatoren Silvana Dür-schmied und Yannick Paul Petzold. Mit einer Inter-netseite können sich Menschen mit einem Handi-cap in Zukunft auch online schnell informieren,welche öffentlichen Räume und Gebäude barriere-frei zugänglich sind. Parallel wird ein Stadtführerals Druckbroschüre entstehen. Der Stadtführersoll in übersichtlicher Form Hinweise verzeichnen,wo man in Nürtingen barrierefrei oder auch ein -geschränkt barrierefrei Essen gehen kann, Kaffeetrinken kann, einkaufen gehen kann und parkenkann. Auch welche Veranstaltungen oder Aus -

stellungen besucht werden können und welcheApotheke oder Bank gut erreicht werden kann,wird berücksichtigt.

Bereits vor einigen Jahren entstand ein Handicap-Stadtplan, der hier aktualisiert und erweitertwerden soll und künftig auch als Online-Versionzur Verfügung stehen wird. Die Online-Versionsoll folgende Informationen enthalten:• Nürtingen für Gäste• Einkaufen, Essen und Trinken• Bildung und Kultur• Freizeit und Sport• Kirchen• Parks und Grünanlagen• Parkmöglichkeiten• Gesundheit• Ämter und BehördenDiese Kategorien sollen erfasst sowie durch einenPflaster- und Ampelplan (Blindenampeln) ergänztwerden.Das Projektteam möchte nur gesicherteInformationen veröffentlichen. Hierfür ist es not-wendig, vor Ort durch Begehungen die Barriere-freiheit festzustellen.

Ziel ist es, bis zum Jahresende alle wichtigenDaten für die Internetseite und die Druckbro-schüre zusammenzustellen. Hierfür werdenHelfer/-innen benötigt, Menschen mit undohne Handicap, Junge und Ältere, die mithelfen.

Für diese Aktion, die zeitlich befristet ist, suchtdas Projektteam ehrenamtliche Helfer/-innen, diedurch eine Schulung vorbereitet werden und dann

SichtweisenNürtingen „barrierefrei“

Wir freuen uns auf Ihre Rückmeldungen zuden „Sichtweisen“ Nr.18. Leserbriefe mit IhrenMeinungen und Rückmeldungen, mit Lob undKritik sind uns immer willkommen.Wir freuen uns weiterhin über Beiträge „exter-ner“ Schreiberinnen und Schreiber, die auch indieser Ausgabe die „Sichtweisen“ mit interes-santen Artikeln bereichert haben. Und sollten Sie sich vorstellen können, regel-mäßig bei den „Sichtweisen“ mitzuwirken,möchten wir Sie gerne als neues Redaktions-mitglied begrüßen. Das Redaktionsteam

Wenn Sie uns schreiben wollen oder wennSie Fragen zu unserem Projekt haben,wenden Sie sich bitte an dieRedaktion »Sichtweisen«,

Michael Köberc/o Julika Stenger-WeldleLandratsamt Esslingen73726 Esslingen am Neckar

Telefon (0711) 3902-42634Sekretariat (0711) 3902-42907

E-Mail: [email protected]@LRA-ES.de

Page 11: Sicht weisen...Im Bereich der psychi-schen Erkrankungen ist es mir ein persönliches Anliegen, durch Aufklä-rungsarbeit der Stigmati-sierung und Ausgrenzung entgegenzuwirken. Seit

Sichtweisen 18/2017 11 S

selbständig, in der Regel zu zweit, anhand dervorbereiteten Checklisten die Begehungen der Ge-bäude durchführen können, selbstverständlich nachvorheriger Information an die Geschäftsinhaber.

Der Steuerungskreis, der aus Experten, Betroffe-nen und Angehörigen besteht, bringt Wissen undErfahrungen ein, legt fest, was erfasst werdensoll. Er legt auch Kategorien fest, setzt Prioritäten,bestimmt die Bewertungskriterien für das Ampel-system und unterstützt die Projektkoordinatoren.

Wir von der Redaktion Sichtweisen wünschen FrauHändel mit ihrem Team, dass die Bürger und Gästeder Stadt eine schnelle und einfache Orientie-rungshilfe zur Hand be-kommen, Rollstuhlfah-rer, Senioren und jungeFamilien einen gutenund schnellen Überblicküber die Barrierefreiheitund Zugänglichkeit vonGebäuden erhaltensowie Menschen miteiner Einschränkungdes Sehens oder Hörenshier für sie wichtigeInformationen be -kommen können.Die Teilhabe amgesellschaftlichenLeben kann damit füralle einfacher werden.Beitrag: Petra Besemer

Sichtweisen 18/2017 (November 2017)ein Projekt der Behindertenhilfe-und Psychiatrieplanungdes Landkreises Esslingen

Herausgeber:Landratsamt Esslingen

Redaktion:Gesamtverantwortlich: Michael Köber

MitarbeiterInnen:Petra Besemer, Daniela Goth,Annerose Klingmann,Karsten Lindner, Manfred Tretter

Satz und Gestaltung:www.logowerbung.de

© Landratsamt Esslingen:Nachdruck oder Vervielfältigung, auchauszugsweise, sind nicht gestattet.

Abbildungsnachweis:Landratsamt Esslingen (1, 6, 7, 8, 12,13, 15, 16); Stadt Nurtingen (10, 11);Flughafen Stuttgart GmbH (14);Werkstätten-Esslingen-Kirchheim (17);Annerose Klingmann (19);Eva-Maria Heck (20);

Page 12: Sicht weisen...Im Bereich der psychi-schen Erkrankungen ist es mir ein persönliches Anliegen, durch Aufklä-rungsarbeit der Stigmati-sierung und Ausgrenzung entgegenzuwirken. Seit

12 Sichtweisen 18/2017

SichtweisenGelebte Teilhabe im Sport

Ein Besuch im InterdisziplinärenTherapie-Zentrum

Das Wetter spielt uns in die Karten. Der Sommermacht eine Pause, bei 15 Grad und leichtemRegen ein idealer Tag um sich fit zu halten. Ichbesuche Manfred Tretter – Redaktionsmitgliedbei den Sichtweisen – bei seinem Training an denGeräten im Interdisziplinären Therapie-Zentrum(ITZ) in der Bahnhofstraße 18 in Esslingen. Als ichden Fitnessraum betrete, rudert Manfred bereitsfleißig. Es zeigt sich schnell, wie erfahren er in derEinstellung und Nutzung der Geräte ist. An denGeräten angebrachte Aufkleber dienen ihm dabeials Hilfsmittel. Ausgelegte Matten am Boden sindfür ihn außerdem Leitlinien, um sich von Gerät zuGerät bewegen zu können. Manfred tastet mitLeichtigkeit die Einstellung der Gewichte, indemer die Platten zählt und die Sitzeinstellung anhandvon Löchern anpasst. Schnell hat er die unter-schiedlichsten Geräte für seinen persönlichenBedarf eingerichtet.

Manfred Tretter trainiert mit wenigen Unterbre-chungen seit ungefähr fünf Jahren im ITZ, ein- biszweimal in der Woche. Der Kontakt wurde ihmdamals über seine Hausärztin vermittelt.

Daniel Konstantinidis, Physiotherapeut, Heilprak -tiker und Inhaber des Therapie-Zentrums, hat fürManfred ein individuelles Programm zusammenge-stellt. Das Laufband ist sein Lieblingsgerät, verrätManfred mir. Es gibt ihm Sicherheit, die er alsMensch mit einer Sehbehinderung beim Joggenim Freien nicht vorfindet. Sein Trainer bestätigtdies, das Laufen mache den Kopf frei. Geradeblinde Menschen sind im Alltag stark gefordert,

sich zu konzentrieren und sind vielen Barrieren inder Fortbewegung ausgesetzt. Er habe großenRespekt, wie Manfred Tretter das Leben meistere.

Im Trainingszentrum hat gerade der Therapiebe-reich einen hohen Stellenwert. Für Rollstuhlfahrer,für an Multiple Sklerose erkrankte Patienten oderPersonen nach Schlaganfall werden spezielle Ein-zelangebote gemacht. Krankengymnastik, ma-nuelle Therapie und Ergotherapie gehören zu denLeistungsangeboten im Therapie-Zentrum. Indivi-duell zugeschnittene Trainingsprogramme sind fürdas Erreichen der gesundheitlichen Ziele eine so-lide Basis.

Auf meine Frage, wie denn andere Nutzer reagie-ren, wenn Manfred Tretter als blinder Mensch hiertrainiert, erklärt Daniel Konstantinidis, dass diesim ersten Moment eigentlich gar nicht auffalle.Erst wenn er die Geräte wechsle, werde die Seh-behinderung deutlich und manche Nutzer hebendann erstaunt den Kopf.

Manfred schätzt die Betreuung im Therapie-Zen-trum und etwas verschmitzt spricht er aufbauendeEnergiedrinks an. Diese gehören nicht zum Pro-gramm und müssen selbst mitgebracht werden,schränkt sein Trainer ein.

Meine letzte Frage lautet: Wie kann es gelingen,mehr Menschen mit Behinderungen für eine Mit-gliedschaft in Trainingszentren zu gewinnen? Man-fred Tretter nennt die Gesundheitskurse der Kran-kenkassen und finanzielle Anreize als Einstiegs-möglichkeiten. Aus meiner Sicht ist er selbst eingutes Beispiel für eine mit Behinderung gelebteTeilhabe im Sport. Beitrag: Michael Köber

Page 13: Sicht weisen...Im Bereich der psychi-schen Erkrankungen ist es mir ein persönliches Anliegen, durch Aufklä-rungsarbeit der Stigmati-sierung und Ausgrenzung entgegenzuwirken. Seit

Sichtweisen 18/2017 13 S

SichtweisenSportliche Aktivität

Zunächst: Sport tut gut.

Wir bewegen uns alle zu wenig. Wir müssen ei-gentlich alle täglich 30 km laufen, um nach Nah-rung zu suchen. So sind unsere Gene veranlagt,daran hat sich seit 30.000 Jahren nichts geändert.Das ist wissenschaftlich erwiesen. Wenn man sichzu wenig bewegt oder überhaupt nicht bewegt,schaltet der Körper ab und man bekommt Schmer-zen. Bewegungsmangel ist eine Todesursache,noch eher als das Rauchen.

Ich hatte in meiner WG einen Mitpatienten, dernie Sport trieb und der wurde nur 58 Jahre alt. DerKörper will einfach benutzt werden, sonst wirddas Herz schwach und die Gelenke schmierensich nicht ausreichend. Dann bekommt man Pro-bleme. Für seine Fitness muss man was tun, werSport treibt, ist psychisch stabiler als jemand, derkeinen Sport treibt.

Überwindet euch und tut was für eure Gesund-heit! Sport treiben kostet nicht viel Geld. Ich weiß,der innere Schweinehund ist stark. Aber bewegteuch, ihr werdet was davon haben! Wir psychischKranken haben oft uralte verkrustete Aggressio-nen in uns. Die kann man abjoggen, sonst richtensie sich innerlich gegen uns. Geht aus euch her-aus, veräußert diese Aggressionen, die lösen sichin Luft auf! Ihr braucht keine Angst zu haben, ihr

trefft damit niemanden. Wenn ihr eure Aggressionabgelaufen habt („in Wut laufen“), dann sind dieweg und belasten euch nicht mehr. Das ist besser,als aggressiv auf die Leute loszugehen. So würdetihr euch Feinde machen.

Sport treiben macht Spaß, man fühlt sich danachund dadurch befreit.

Ich habe eine Freundin, die hat mit 50 Jahren Le-bensalter Bluthochdruck, Übergewicht, Gelenk-schmerzen und Wasser in den Beinen. Die hatwohl nie ihr Herz trainiert. Ich rede „wie ein Buch“mit ihr, damit sie sich mehr körperlich betätigt. Ichhabe Angst, dass sie zu früh stirbt. Ich habeAngst, selbst zu früh zu sterben, deshalb bewegeich mich. Beitrag: Karsten Lindner

Im Zeichen der Inklusion

Ich sage: Danke

Es zeigt sich, dass der Gesetzgeber aus Menschen besteht,die nicht nur eine Haltung haben, sondern auch Gefühle.

Es zeigt sich auch, dass es unter diesen Menschen auch Leute gibt,die sagen, wie schön das Leben sein kann.

Ich sage nochmals: Danke

Für all das, was wir bekommen haben,für all das, was Du und Ich bekommen habe.

Denn wir sind eins: eine Gesellschaft, eine Gemeinschaftund: Wir gehören zusammen.

Beitrag: Karsten Lindner

Page 14: Sicht weisen...Im Bereich der psychi-schen Erkrankungen ist es mir ein persönliches Anliegen, durch Aufklä-rungsarbeit der Stigmati-sierung und Ausgrenzung entgegenzuwirken. Seit

14 Sichtweisen 18/2017

Mobilität ist ein hohes Gut. Der Artikel 20 der UN-Behindertenrechtskonvention betont die persönli-che Mobilität, die es gilt, mit größtmöglicher Un-abhängigkeit sicherzustellen. Diesen Auftraghaben alle Verkehrssysteme zu berücksichtigen,also auch die Luftfahrt. Bevor man allerdings abhe-ben kann, sind durchaus einige Barrieren zu über-winden. Und es ist auch keine neue Erkenntnis:Was für den einen eine Barriere darstellt, ist fürden anderen ein Hilfsmittel, also braucht es pas-sende bzw. unterschiedliche Lösungen am Flugha-fen Stuttgart.

Für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen giltes, auf dem Weg ins Flugzeug einige Höhenunter-schiede zu überwinden. Am Stuttgarter Airport istdie Fortbewegung aber auch für diese Passagieregut möglich: Die Parkplätze für Menschen mit Be-hinderungen befinden sich jeweils im Erdge-schoss. Außerdem gibt es in den Terminals undden Parkhäusern insgesamt 57 Fahrstühle. BeimEin- und Aussteigen auf dem Vorfeld helfen außer-dem die Mitarbeiter der Flughafen-Tochter Stutt-gart Airport Ground Handling (SAG). Am bestenkönnen die Kollegen des Boarding-Support-Teamsunterstützen, wenn sie wissen, in welchem Um-fang Hilfe benötigt wird. Deshalb ist es wichtig,dass die Airline so früh wie möglich – im Idealfallschon bei der Buchung – über die Bedarfe infor-miert ist. Denn sie sorgt dafür, dass die nötigenHilfsdienste rechtzeitig zur Verfügung stehen

Vor Ort wenden sich die Passagiere direkt an denCheck-in-Schalter ihrer Fluggesellschaft. Jede indi-viduelle Betreuung bis zum Abheben wird vondort organisiert. Das geschulte Personal unter-stützt auch dabei, wenn der eigene Rollstuhlgegen einen des Flughafens ausgetauscht werdenmuss. Der persönliche Rollstuhl kann am Sperrge-päckschalter in Terminal 3 abgegeben werden.Er fliegt dann im Frachtraum der Maschine mit.Abholer von beeinträchtigten Fluggästen habendie Möglichkeit, bis zum Gepäckband zu gehenund ihre Gäste dort in Empfang zu nehmen.

Behindertengerechte Toiletten und öffentlicheTelefone sind in den Terminals vorhanden,Blinden- und Begleithunde erlaubt. Ob die Hundemitfliegen können, regelt die Airline. Ein Gepäck-service kann gezielt gebucht werden.

Während Menschen mit Gehbehinderungenoder Rollstuhlfahrer Barrieren überwinden müs-sen, brauchen Menschen mit SehbehinderungenLeitsysteme, um sich im Flughafen zu Rechtzu finden, für Menschen mit Hörbehinderungensind optische Signale und Hinweistafeln vonBedeutung und Menschen mit kognitiven Ein-schränkungen benötigen Hinweise in einfacherSprache. Um der Unterschiedlichkeit gerecht zuwerden, sind passende Maßnahmen erforderlich.Im Mittelpunkt steht die individuelle Unterstüt-zung. Dennoch bleibt das Anliegen von Menschenmit Behinderungen ein Ziel, sich möglichst unab-hängig fortbewegen zu können.

Beitrag: Michael Köber

SichtweisenUp in the Air für Passagiere mit Handicap

Page 15: Sicht weisen...Im Bereich der psychi-schen Erkrankungen ist es mir ein persönliches Anliegen, durch Aufklä-rungsarbeit der Stigmati-sierung und Ausgrenzung entgegenzuwirken. Seit

Sichtweisen 18/2017 15 S

Die Stiftung, die seit dem 1. Januar 2017 am Startist, wendet sich an Menschen, die als Kinder undJugendliche in der Zeit von 1949 bis 1975 in derBunderepublik Deutschland bzw. von 1949 bis1990 in der DDR in stationären Einrichtungen derBehindertenhilfe bzw. Psychiatrie gelebt und diedort Leid und Unrecht erfahren haben. Viele dieserMenschen leiden noch heute an den Folgen un -gerechtfertigter Zwangsmaßnahmen, Strafen,Demütigungen oder unter finanziellen Einbußen,weil sie in den Einrichtungen gearbeitet haben,ohne dass dafür in die Rentenkasse eingezahltwurde. Um diese Menschen zu unterstützen,riefen der Bund, die Länder und die Kirchen dieStiftung Anerkennung und Hilfe ins Leben, dieam 31. Dezember 2021 ausläuft. Sind die Voraus-setzungen erfüllt, erhalten die Betroffenen eineGeldpauschale. Diese soll die Folgewirkungendes Erlebten abmildern und damit einen Beitragzur Verbesserung der Lebenssituation leisten.Die Stiftung spricht von einer Unterstützung, nichtvon einer Entschädigung. Der Geldbetrag von derStiftung darf nicht zum Einkommen, Barbetrag

oder zum Vermögen dazugerechnet werden.

Grundlegende Informationen über die Rahmen -bedingungen und Antragsvoraussetzungen stehenauf der Webseite www.stiftung-anerkennung-hilfe.de bereit oder können über das Infotelefonder Stiftung mit der Rufnummer 0800/2212218abgefragt werden. In Baden-Württemberg istfür die Beratung und die Antragstellung derSozial verband VdK zuständig (Sozialverband VdKBaden-Württemberg e. V., Stiftung „Anerkennungund Hilfe“. Johannesstr. 22, 70176 Stuttgart,0711/61956-0). Die Beratung erfolgt durchFrau Wehl: 0711/61956-61 [email protected] oder Herrn Hapatzky:0711/ 61956-60 [email protected]

Beitrag: Gerhard Pfeiffer Angehörigenbeirat in der Diakonie Stetten e.V. und Mitglieddes Angehörigen- und Betreuerbeirats fürMenschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung im Landkreis Esslingen

SichtweisenStiftung „Anerkennung und Hilfe“

SichtweisenBefragung: Wie will ich wohnen?

Im Landkreis Esslingen gibt es seit 2014 einenBeirat für Menschen mit Behinderungen. DerTeilhabe-Beirat ist ein gewähltes Gremium undbesteht aus 8 Expertinnen bzw. Experten, diesich dreimal im Jahr im Landratsamt treffen. DerBeirat unterstützt die Verwaltung und die Fach-gremien bei sozialpolitischen Themen und Frage-stellungen der Behindertenhilfe.

Im Rahmen des seit Herbst 2015 durchgeführtenProjektes der Inklusionskonferenz hat sich derTeilhabe-Beirat unter Beteiligung von Petra Mitt-mann und Svenja Joos (Praktikantin in der Sozial-planung) entschieden, eine Befragung zum Woh-nen durchzuführen. Dazu wurde ein Fragebogenin einfacher Sprache und mit Bildern zum Thema„Wie will ich wohnen?“ entwickelt. Es standenFragen zur Wohnsituation, zur Zufriedenheit und

zu Wünschen im Vordergrund. Ein wissenschaft-licher Anspruch bei der Erhebung war nicht derMaßstab. Der Zugang zu den Befragten erfolgteüber die Leistungserbringer, die Werkstätten,Wohnangebote und die Heim- und Werkstatträte.

131 Bögen konnten ausgewertet werden:Teilgenommen haben 69 Frauen und 62 Männer.Drei Viertel haben die Bögen mit Unterstützung

Page 16: Sicht weisen...Im Bereich der psychi-schen Erkrankungen ist es mir ein persönliches Anliegen, durch Aufklä-rungsarbeit der Stigmati-sierung und Ausgrenzung entgegenzuwirken. Seit

SichtweisenBefragung: Wie will ich wohnen?

ausgefüllt, ein Viertel alleine. Die Altersverteilungergab, dass 27% unter 30 Jahre alt, je 21% unter40 bzw. 50 Jahre, 20% unter 60 Jahre und 60Jahre und älter 11% der Befragten sind. Damitwaren alle Altersgruppen in der Befragung vertre-ten. 49 Personen wohnten privat in der Familie,37 in Wohnheimen, 20 in eigenem Wohnraum, 18in ambulant betreuten Wohnformen, der Rest insonstigen Wohnkonstellationen. Über die Hälfteder Teilnehmer wohnt seit über 10 Jahren in dergegenwärtigen Wohnform. Damit besteht ein lan-ger Erfahrungswert. Auffallend aber auch nach-vollziehbar war, dass nur 6 Personen nicht überein eigenes Zimmer verfügen. Während Fern -seher und Telefon überwiegend zur Verfügungstehen, haben weniger als ein Drittel der Befrag-ten einen Internetzugang. Fast alle können überihre Freizeit selbst bestimmen. Nicht (alleine) ent-scheiden können rund ein Viertel der Befragtendas Kommen und Gehen und die Besuche.

Insgesamt zeigte sich ein hohes Maß an Zufrie-denheit mit den Wohnformen. Rund drei Viertelder Befragten zeigten sich sehr zufrieden, einViertel immerhin zufrieden. Ausdrücklich nicht zu-frieden waren lediglich 2 Personen. Unterschiedli-che Antworten gab es bei der Frage nach der ge-wünschten Wohnform. Mit Familie, Partner, in ei-genen Wohnung oder inklusiv (Menschen mit undohne Behinderung gemeinsam) waren die häufig-

sten Antworten. Das Wohnheim wird dabei erstan fünfter Stelle genannt. Etwa zwei Drittel derTeilnehmer möchte lieber in der Stadt, ein Drittelauf dem Land wohnen. Bei der Infrastruktur istdie Nähe zum Arzt, zum Supermarkt, zum Ar-beitsplatz und zum öffentlichen Personennahver-kehr besonders wichtig. Weniger wichtig wurdenSportangebote, Schwimmbad, Kino und Theaterbewertet, vielleicht weil diese im Alltag wenigergenutzt oder gezielt aufgesucht werden.

Bezüglich der eigenen Entscheidung ist das„wann man zu Bett geht“, „was man essen will“und „was man mit seinem Geld kauft“ besonderswichtig. Die Wäschepflege und die Geldverwal-tung werden am häufigsten bei der Frage nachder erforderlichen Unterstützung genannt, gefolgtvon Essenszubereitung und Putzen, also stehendie Alltagsverrichtungen im Vordergrund.

Ergebnis:Die an der Befragung teilnehmenden Personenwaren mit ihrer Wohnsituation mehr als zufrieden.Dennoch sind Ideen über mögliche Änderungender Wohnform zu erkennen, die sich an einer Viel-falt und Unterschiedlichkeit von Wohnmöglichkei-ten orientieren. Für die überwiegende Mehrzahlder Befragten sind eine gute Versorgungsstrukturund das Bewältigen von alltäglichen Aufgaben vonzentraler Bedeutung. Beitrag: Michael Köber

16 Sichtweisen 18/2017

Page 17: Sicht weisen...Im Bereich der psychi-schen Erkrankungen ist es mir ein persönliches Anliegen, durch Aufklä-rungsarbeit der Stigmati-sierung und Ausgrenzung entgegenzuwirken. Seit

Sichtweisen 18/2017 17 S

SichtweisenUnsere Theatergruppe

Beim Herbstfest am 30.09. haben wir unser„Inklusio“ im kleinen Rahmen aufgeführt.

Wir wurden von allen Zuschauern gelobt.„Gut war's“, „genial“ und „weiter so“.

Am 03.10.2017 hab's ich doch gewagt. Ich fuhrmit nach Freudenstadt. Ich war aufgeregtwegen des Reisebusses, ob ich rein kommeund wer mir dabei hilft.

Mir wurde geholfen und wie … perfekt.

Sogar zu zweit hat man mich begleitet,nach oben und nach unten.

Die „Juhe“ in Freudenstadt war nicht barriere-frei, aber mit beidseitigen Handläufen. Unddraußen halfen mir meine Betreuerinnen.

Jetzt hat man uns eingeteilt nach Zimmern.Dorothea war mit mir im Zimmer. Das Klo aufunserem Stock war zwar ein „Männerklo“aber egal. Ich benutzte es immer.

Das Essen ... mmm, Bewertung … 3 Punkte.

Das Kurhaus, wo wir auftraten, haben wir

am Dienstag nochmal angeschaut und woman stehen bzw. sitzen muss.

Mittwoch um 20:00 Uhr Aufführung! Zweihun-dert Zuschauer waren da. Wir gaben alles. Unddas Publikum hat uns mit Klatschen belohnt.

1 1/2 Stunden hat unsere Aufführung gedauert.Und danach wurden wir vom Assistenten vomOberbürgermeister auch gelobt: „Wir haben unsselber übertroffen“ O... na dann!

Danach haben wir noch Geburtstag gefeiert undum 22:15 Uhr fuhren wir wieder zur „Juhe“.

Am Donnerstag war schon wieder Heimreise.So schnell! Und wieder waren meine Betreue-rinnen da und haben mir super geholfen.

Mann, war das Super, ehrlich!

Danke schön für die Begleitung.

Mit der tollen Betreuung kann ich nach Berlinmitgehen. Ich freu' mich drauf.

Bilder gibt's später bestimmt.Beitrag: Daniela Goth

Page 18: Sicht weisen...Im Bereich der psychi-schen Erkrankungen ist es mir ein persönliches Anliegen, durch Aufklä-rungsarbeit der Stigmati-sierung und Ausgrenzung entgegenzuwirken. Seit

18 Sichtweisen 18/2017

Wie kann man psychisch Kranke aktivieren unddafür mobilisieren, am gesellschaftlichenLeben teilzuhaben?

Ich, Karsten Lindner, habe meiner BetreuerinJulia Hientz dazu ein paar Fragen gestellt.

Die erste Frage hieß:„Wie kann man Menschen mit psychischenHandicaps ‚Lust auf Leben‘ machen?“

Antwort:Durch Kontakte und Beziehungsaufbau mitder Pflege, in denen das Interesse amMenschen bekundet wird, durch Wohlwollen.Meiner Betreuerin war die „innere Beteili-gung“ wichtig. Genauso wichtig sind ihr einerespektvolle Haltung und die Wertschätzungam Betroffenen.

Die zweite Frage lautete:„Was tun Sie, um Ihre Patienten zu mobilisie-ren, was ist hilfreich, was ist schädlich?“

Sie sagte dazu:Die Wahrnehmung der Individualität istwichtig, man soll keine Ziele aufzwingen.Sie akzeptiert, dass Angebote abgelehntwerden. Sie arbeitet ohne Zwang.

Zur dritten Frage:„Was verstehen Sie unter psychischerMobilisierung?“

Antwort:Ich würde dieses Wort nicht verwenden, son-dern: Aktivierung, Motivierung. Sie sieht esauch als ihre Aufgabe, die Menschen mit ihrereigenen Lebendigkeit in Kontakt zu bringen.

Die vierte und letzte Frage,die ich stellte, lautete:„Ist Therapie ein Mittel, um jemandemin Bewegung zu versetzen? Wenn ja, wie?“

Darauf gab sie mir eine kurze Antwort:Es kann gelingen, wenn es die Menschenwollen.

Mein Selbsterfahrungsbericht

Ich bin jetzt – 2017 – knapp 56 Jahre alt. In denJahren 1985 – 1992 war ich in Dauertherapie beimReha-Verein Denkendorf im Landkreis Esslingen.

In meiner ersten psychotischen Phase wusste ichnicht, wie mir geschieht. Ich war dann erstmal ein¾ Jahr in einer psychiatrischen Klinik in Nürtingen.Danach wollte ich was ändern. Ich wusste zwarnicht was, ich wusste nur, dass in meinem Lebenetwas nicht stimmte. Ich wollte „was machen“.Am 2. Oktober 1985 zog ich dann beim Reha-Verein Denkendorf ein. Ich wusste nicht, wasauf mich zukommt. Mit der Zeit lernte ich zu„konfrontieren“ und ich selbst wurde auf meineTherapieziele hin auch „konfrontiert“. Es wareine harte Zeit. Ich lernte Jaqui Lee Schiff kennen,eine amerikanische Therapeutin. Sie liebte. Undsie ging mit mir sehr hart um. Aber ich wollte jawas verändern. Ich veränderte mich auch.

Zwar langsam, aber stetig. Diese Zeit ging fürmich am 20.7.1992 zu Ende. Sie war hart. Aber soeinträglich, dass ich noch heute – 2017, mit 56 Jah-ren – davon profitiere. Und ich bin dankbar dafür,dass Jaqui und das Team des Reha-Vereins Den-kendorf mir einen neuen, gangbaren Weg aufge-zeigt haben. Beitrag: Karsten Lindner

SichtweisenAktivieren und Mobilisieren psychisch Kranker

Wie kann man einen psychisch Krankenmobilisieren, am gesellschaftlichen Lebenteilzuhaben?

Der Mensch ist von Grund auf ein Gruppen-,also ein Gesellschaftswesen. Wir haben alleein Grundbedürfnis dabei sein zu wollen. Des-halb gibt es Gemeinden und Vereine, wo Men-schen ihre Interessen vertreten und gemein-schaftlich Leben gestalten.

Andere Menschen – psychisch Kranke – baueninnerlich Mauern auf, um sich vor einer hartenRealität aus der Gesellschaft heraus zu schüt-zen. Diese Menschen sollten achtsam und für-sorglich aus der Isolation herausgeführt wer-

Page 19: Sicht weisen...Im Bereich der psychi-schen Erkrankungen ist es mir ein persönliches Anliegen, durch Aufklä-rungsarbeit der Stigmati-sierung und Ausgrenzung entgegenzuwirken. Seit

Sichtweisen 18/2017 19 S

Sichtweisen„Schönheitsstunde im Johanniterstift Plochingen“

Gestern fand im Rahmen der Ergotherapiebehand-lung eine „Schönheitsstunde“ statt. Unsere Ergo-therapeutin, Frau Iris Stelzenmüller (Praxis Ham-mer), hatte die Idee dazu, wir drei Patientinnenwaren die Nutznießer. Am Dienstag, den09.05.2017, haben wir uns in einem Bewohnerzim-mer getroffen. Wir, das sind Frau Annerose Kling-mann, Frau Birgid Blacha sowie Frau AngelikaSchaller, die an diesem Tag im Bett lag.

Frau Stelzenmüller hat uns drei eine Quark-Honig-Maske aufgetragen, die Frau Blachazuvor an gerührt hat – vorher wurde noch einHaar- und Kleidungsschutz aufgelegt. Nun hat jede

von uns eine „weiße Maske“ aufs Gesicht auf ge -pinselt bekommen, die nach ca. ½ Stunde wiederabgewaschen wurde. Danach war die Haut weichund glatt und wir um 5 Jahre jünger!? Anschlie-ßend wurde die Haut noch mit einer guten Ge-sichtscreme gepflegt, auch eine Lippenpflegekam noch dazu.

Wir drei haben die Gesichtspflege von Iris sehrgenossen und hoffen auf eine baldige Wieder -holung! Die gemeinsame Therapiestunde hatuns allen viel Freude bereitet, vielen Dank dafür!

Beitrag: Annerose Klingmann

den. Manchmal ist es vielleicht hilfreich, solcheMenschen anzusprechen, um anzuregen undeinzuladen, am Leben – z.B. in einem Wander-verein – teilzuhaben. Da braucht es wahrschein-lich einfühlsame Worte, wenn man auf solcheMenschen zugeht. Es dauert dann vielleichtJahre, bis sich solch ein Mensch öffnet und dieAnregung zur Teilhabe zulässt.

Es gibt Menschen, die Angst vor dem Erst -kontakt haben und davor, abgelehnt zu werden.Und es gibt Menschen, die sich selbst als zuklein oder unwert fühlen, um teilhaben zu dür-fen. Bei beiden Menschengruppen ist es wich-tig, dass der Erstkontakt von außen kommt.Es ist wichtig, diese Menschen anzusprechen.

Damit man sich doch interessant fühlen kann.Manch einer hat zu wenig Antrieb. Dann gibt esMenschen, die ein negatives Selbstbild entwi-ckelt haben und sich selbst immer wieder be-weisen müssen, dass sie „ein schlechterMensch“ sind. Manche Menschen wollen keineTeilhabe, weil sie über die Gesellschaft schlechtdenken. Es kann sein, dass sie vor der Gesell-schaft Angst haben.

Es gibt ein Eigen- und ein Fremdstigma. DasEigenstigma hat man wohl von der Gesellschafterlernt. Dagegen kann man sich aber wehren,wenn man sich sein Stigma bewusst machtund dann bewusst trotzdem auf die Gesellschaftzugeht. Beitrag: Karsten Lindner

Page 20: Sicht weisen...Im Bereich der psychi-schen Erkrankungen ist es mir ein persönliches Anliegen, durch Aufklä-rungsarbeit der Stigmati-sierung und Ausgrenzung entgegenzuwirken. Seit

20 Sichtweisen 18/2017

Ich war am 27.09.2017 in Hohenheim.

Um 09:00 Uhr wurde ich abgeholt. Frau Pagel-Steidel hat mich gleich begrüßt. Mara Sanderwar da und Frau Hofmann. Um 10:00 Uhr ging'slos mit verschiedenen Formen von „Freizeiten“.Bis 12:15 Uhr hat alles über dieses gehandelt.

Danach gab's Mittagessen.

Um 14:15 Uhr war ich dran! Ich stellte dort unsereZeitung vor. Ich las mein Interview vor, zumThema Sport. Als ich fertig war, gab's noch einigeFragen, die ich beantwortet habe.

Danach kam meine Nebensitzerin dran. Bis 16:00Uhr haben wir uns präsentiert.

Dann die Verabschiedung von Fr. Pagel-Steidel.Um 16:30 Uhr wurde ich wieder vom KBV abge-holt. Ich war zufrieden, dass alles glatt ging.

Beitrag: Daniela Goth

SichtweisenHohenheim

Jonas – Beitrag von Daniela Goth

Am 09.04.2017Befragung über die ‚Mobilität‘ von Jonas,haben wir uns unterhalten.

Früh um 6 Uhr ist es soweit ‚aufzustehen‘,aber mit dem Rollstuhl? Ist DAS nicht möglich!Ohne Betreuer/in läuft da nix!

Während der Arbeit muss er täglich einmalans ‚Stehbrett‘ (Freistehbarren) gebrachtwerden, damit er ‚Mobil‘ ist.

Aber auch da gibt’s immense Probleme:Jonas erzählte mir eine Begebenheit:nämlich der Toilettengang.

Ohne Gruppen leiter/in oder FSJ-ler/ingeht’s gar nicht und wenn ‚man‘ ewigwarten muss, bis der Toilettengangendlich von ‚statten‘ kommt…

Schlimm. Echt schlimm!Ist ‚man‘ wirklich dann ‚Mobil‘?

Page 21: Sicht weisen...Im Bereich der psychi-schen Erkrankungen ist es mir ein persönliches Anliegen, durch Aufklä-rungsarbeit der Stigmati-sierung und Ausgrenzung entgegenzuwirken. Seit

Sichtweisen 18/2017 21 S

SichtweisenDer Wert meiner Rad- und Wandertouren

Die Natur ist riesig, herrlich und schön. Die Welttut gut. Die Natur ist eine unbegreiflich riesigeGröße, denn sie reicht über unsere Erde hinausins Universum. Und wer weiß, ob das Universumein Ende hat? Und was ist dahinter? Gibt es ein„Dahinter“? Wir wissen es nicht.

Jedenfalls bewege ich mich gerne in der Natur, sohabe ich eine dreitägige Wanderung auf demMühlenweg durch den Schwäbischen Wald ge-macht. Der Wald an sich hat etwas ganz Besonde-res zu bieten, den für uns Menschen lebenswich-tigen Sauerstoff in Gottes freier Natur und gleich-zeitig ein Dach, unter dem man Schutz findenkann. Im Wald kann man in sich gehen, ich findeRuhe von menschlicher Geschäftigkeit, wenn ichalleine bin.

Im Wald versteckt leben viele Tiere, die scheuvor dem Menschen sind. Wenn man aber Ruhegibt – in einem Versteck vielleicht oder auf einemHochstand – kann man sie manchmal antreffen.Der Luchs wird zurzeit in deutschen Wäldernwieder angesiedelt. Andere Wildkatzen findenin Deutschland auch wieder eine Heimat.

Die Natur wurde oft schon vom Menschen ver-letzt. Aber es gibt in unserer Zeit viele – auchvom Menschen gemachte – Projekte zur Einset-zung der Natur in ihr Gleichgewicht. Denn derMensch hat begriffen, dass er ohne die Naturnicht leben kann.

Wie ich schon sage: „Die Welt tut gut.“ So baueich als Kranker Vertrauen auf und übertrage diesenGedanken auf die Menschheit.

So tun die meisten Menschen dann gut. Und ichtue gut, dann funktioniert viel, außer mit den Men-schen, die zerstörerisch wirken.

Beim Sport in der Natur komme ich mit mir selbstbesser klar, weil ich meine inneren Grenzen aus-probiert habe und bis dahin allen inneren Unrataufgearbeitet habe. Ich fühle mich innerlich wohl.Von meiner Erkrankung her bringe ich große Äng-ste ein, diese werden – hauptsächlich auch durchmein Joggen – immer kleiner. Man darf eben dasGegenteil haben, nämlich Vertrauen in die Weltund Menschheit.

Wandern im Verein: Man ist Mitmensch,einer von vielen.

Man bekommt nicht aufgezählt, wieviel man gilt.Man ist Mitmensch auf gleicher Augenhöhe.Man teilt ein Hobby mit vielen, man hat Spaßan der Natur und am Laufen in der Natur. Mankann auch in der Gemeinschaft seinen Sinn fürdie Natur und für den Wanderfreund schärfen.Geselligkeit ist schön und Austausch über dieNatur sinnvoll. Man kann teilen: Das, was Duerlebst, erlebe ich auch.

Beitrag: Karsten Lindner

Sport – Beitrag von Daniela Goth

Meine KG (Krankengymnastin) und ich habenjede Woche 1 Std. Zeit zu üben, und zwar:

2 Etagen Treppen laufen nach untenund nach oben, 10 Minuten Motomed(Heimtrainer) betätigen,verschiedene Höhen desAufstehens und Hinsetzens üben,das Tetraband für meinen behinderten Arm,Gleichgewichtsübungenund als letztes der Igelball.

Und im Ergo (Ergotherapie) 10 Minuten Delfien(leichte Bewegung an meiner rechten Schulter,

Übungen meiner Hand (aufmachen),richtig legen und meine Finger einzelnganz langsam aktivieren.

Für die WG: jeden Tag „Brücke machen,“mit dem Heimtrainer, das Drehen der Beine.

Page 22: Sicht weisen...Im Bereich der psychi-schen Erkrankungen ist es mir ein persönliches Anliegen, durch Aufklä-rungsarbeit der Stigmati-sierung und Ausgrenzung entgegenzuwirken. Seit

22 Sichtweisen 18/2017

SichtweisenMobil am Wohnort

Menschen mit Behinderungen wollen ihr Lebenam Wohnort oder unterwegs selbstbestimmt undgleichberechtigt nach ihren individuellen Interes-sen und Fähigkeiten gestalten. Kurz: Sie wollengenau so leben wie nichtbehinderte Menschenauch. Aber erst eine weitestgehend barrierefreigestaltete Umwelt ermöglicht es ihnen, die Dingedes täglichen Lebens, wie Einkäufe und Besor-gungen, ohne fremde Hilfe erledigen zu können.

In vielen Städten und Gemeinden sind in den letz-ten Jahren Anstrengungen unternommen worden,die Infrastruktur zu modernisieren und dabei öf-fentliche Gebäude, Straßen, Wege und Plätze bar-rierefrei zu gestalten. Auch die Angebote an bar-rierefreien Nahverkehrsverbindungen, Sonderfahr-diensten, Parkerleichterungen und Behinderten-parkplätze konnten vielerorts ausgebaut undverbessert werden.

Immer mehr Städte bekennen sich zur 1995 ver-abschiedeten Erklärung von Barcelona über dieSelbstverpflichtung zur Gestaltung der „Barriere-freien Stadt“. Die im Jahr 1995 in Barcelona verab-schiedete Deklaration des Europarates beschreibtdas Leitbild für die barrierefreie Stadt und soll dieBemühungen der Städte und Gemeinden unter-stützen, Barrieren im öffentlichen Bereich weiterabzubauen.

Sicher mobilUm die sichere Mobilität von Menschen, die aufeinen Rollstuhl angewiesen sind zu fördern, habendie Berufsgenossenschaft (BG) für Gesundheits-dienst und Wohlfahrtspflege (www.bgw-online.de)und der Deutsche Rollstuhl-Sportverband(www.rollstuhlsport.de) unter der Schirmherr-schaft des Bundesministeriums für Arbeit und So-ziales die bundesweite Präventionskampagne „si-cher mobil“ ins Leben gerufen.

In der Kampagne geht es um so unterschiedlicheBereiche der Mobilität, wie die sichere Beförde-rung von Rollstuhlnutzern mit dem Kraftknoten,die Hilfsmittelversorgung und -anpassung, ge-sundheitsbewusstes Helfen und Assistieren undMobilitätstraining. „Sicher mobil“ richtet sich anMitarbeiter und Beschäftigte von Einrichtungen

der Behindertenhilfe, an Menschen, die beruflichoder in der Freizeit mit Rollstuhlnutzern zusam-men arbeiten. Die ein- oder zweitägigen Seminaresind für die Einrichtungen kostenlos und finden inden Einrichtungen vor Ort statt.

Kunst und KulturMenschen mit Behinderung sollen genauso wienichtbehinderte Menschen ihre Freizeit vielfältigund abwechslungsreich gestalten können. Dazugehört auch die weitestgehend barrierefreie Teil-habe an kulturellen Veranstaltungen.

Zu einem selbstbestimmten Leben gehören Er-leichterungen bei der Kommunikation oder dieHilfe beim Besuch von Theatern, Kinos oder Gast-stätten. Menschen mit Behinderung können z.B.über die Leistung des Persönlichen Budgets Hilfenzum Besuch von Kulturveranstaltungen beanspru-chen. Hier ist vieles denkbar – von der Begleitper-son fürs Theater, Kino, den Museums- oder Kon-zertbesuch bis hin zum wöchentlichen Fahrdienstzum Chorabend. Sollte die Behinderung eine Teil-habe am gemeinschaftlichen Leben nicht oder nurunzureichend zulassen, erhält man bei Bedarf Hil-fen, wie beispielsweise Fahrdienste oder familien-entlastende Dienste, die eine Beteiligung am Zeit-geschehen oder an kulturellen Ereignissen ermög-lichen.

Zudem bieten Kunst- und Kulturprogramme dieMöglichkeit, Menschen mit Behinderung in dieGesellschaft zu integrieren und ihre Stärken zufördern. Menschen mit Handicap sind selbst aktivan Kunst und Kultur beteiligt. Insbesondere imBereich der Malerei gibt es zahlreiche Künstlerin-nen und Künstler, die aber oft vor dem Problemstehen, einem breiten kunstinteressierten Publi-kum ihre Kunst näher zu bringen. Die Internet-Galerie für Insider Art „Kunst kennt keine Behin-derung“ bietet für zeitgenössische, bildendeKunst von Künstlerinnen und Künstlern mit Behin-derungen und Handicaps in Deutschland einePlattform. Sie differenziert erstmals nicht nach Artder Beeinträchtigung und ermöglicht den Künstle-rinnen und Künstlern, sich kostenlos in einem at-traktiven und professionellen Rahmen einer brei-ten, interessierten Öffentlichkeit zu präsentieren.

Page 23: Sicht weisen...Im Bereich der psychi-schen Erkrankungen ist es mir ein persönliches Anliegen, durch Aufklä-rungsarbeit der Stigmati-sierung und Ausgrenzung entgegenzuwirken. Seit

Sichtweisen 18/2017 23 S

Die Erlöse aus den Verkäufen fließen zu 100 Pro-zent den Künstlern zu. Weitere Informationen fin-den Sie auf der Internetseite der Online-Galeriefür Insider Art.

In der Rubrik „Kino und Theater“ finden Sie eineAuswahl an Informationen über Theatergruppenmit Künstlerinnen und Künstlern mit und ohne Be-hinderung, die gemeinsam vor der Kamera bzw.auf der Bühne stehen.

Auf folgenden Internetseiten, u.a. auf dem Web-portal „Menschen mit Behinderung und derenUmfeld“, gibt es weitere Anregungen und Adres-sen zur Freizeitgestaltung rund ums Thema Kultu-rangebote.

HilfsmittelEine den individuellen Beeinträchtigungen aberauch Fähigkeiten angepasste Hilfsmittelversor-gung ist die Grundvoraussetzung für Menschenmit Behinderung, um in der Freizeit Eigeninitiative,Selbstbestimmung und damit (mehr) Lebensqua-lität zu erlangen.

Der angestrebten möglichst weitgehenden indivi-duellen Selbständigkeit und Unabhängigkeit dientdie Versorgung mit Hilfsmitteln und technischenHilfen. Dies sind insbesondere Kommunikations-und Mobilitätshilfen für hör-, seh- und sprachbe-hinderte Menschen, aber auch Gebrauchsgegen-stände des täglichen Lebens.

Die gleiche Abweichung vom alterstypischen Zu-stand und die gleiche Funktionsbeeinträchtigungkönnen zu sehr unterschiedlichen Teilhabebeein-trächtigungen führen. So behindert der Verlust deslinken Mittelfingers einen Verwaltungsbeamtenbei seiner Berufsausübung kaum, einen Geigerdagegen sehr. Auch schwere Schädigungen undEinschränkungen wirken sich meist nicht auf alleLebensbereiche gleichermaßen aus. Ein Menschmit gesundheitlichen Schädigungen ist nur in be-stimmten Funktionen beeinträchtigt und damit nurin Bezug auf bestimmte Tätigkeiten und Teilhabe-bereiche „behindert“, während seine Leistungs-und Teilhabefähigkeit in anderen Lebensbereichenunvermindert oder sogar sehr hoch sein kann.

Es gibt aber auch Menschen mit Behinderungen,die in fast allen Lebensbereichen auf Hilfsmittelangewiesen sind, um ihren Alltag möglichst ei-genständig und selbstbestimmt bewältigen zukönnen. Menschen mit einer Sehbehinderungbeispielsweise sind auf eine Sehhilfe (Brille oderLupenbrille) angewiesen und Menschen mit einerGehbehinderung auf eine Gehhilfe (z. B. Hand-stock oder Rollator) oder einen Rollstuhl (z. B.Schiebe- oder Elektrorollstuhl). Ergänzend oderersetzend zur Lautsprache für Menschen miteiner schweren Sprachbehinderung oder fürMenschen ohne Lautsprache sind elektronischeHilfsmittel, wie Talker (elektronische Sprachaus-gabegeräte) oder nichtelektronische Hilfsmittel(Kommunikationstafeln), zur Verfügung zu stellen.Unterstützte Kommunikation (UK) ist die deut-sche Bezeichnung für das international etablierteFachgebiet AAC, Augmentative and AlternativeCommunication (ergänzende und ersetzendeKommunikation), das die Verbesserung derkommunikativen Fähigkeiten von Menschenmit schwer verständlicher bzw. fehlender Laut-sprache zum Ziel hat. Die Gesellschaft für Unter-stützte Kommunikation setzt sich für diesenPersonenkreis ein und hat auf ihrer Internetseiteumfangreiche Informationen zur Thematik zu-sammengestellt: Listen über Beratungsstellenfür Unterstützte Kommunikation nach Bundes -ländern, Anbieter elektronischer Kommunika-tionshilfen sowie Therapeutinnen und Therapeu-ten (z. B. Sprachtherapeutinnen und Sprachthera-peuten; s. Heilbehandlung), die mit der unter-stützt kommunizierenden Person ein individuellauf sie abgestimmtes Kommunikationssystemerarbeiten. Die Versorgung mit einer Kommuni -kationshilfe alleine reicht nämlich nicht aus.Ein auf den Mensch mit Sprachbehinderungindividuell abgestimmtes Kommunikationssys-tem stellt den wesentlichen Schwerpunkt dertherapeutischen Arbeit dar. Im Sinne der Re -sourcenorientierung wird neben den individuellenkognitiven auch an die motorischen Vorausset-zungen und Kompetenzen angeknüpft. Es istimmer auf die individuellen Fähigkeiten zuachten, denn der Hilfebedarf von Menschenmit Behinderung kann selbst bei gleicher Be -hinderung sehr verschieden sein.

Page 24: Sicht weisen...Im Bereich der psychi-schen Erkrankungen ist es mir ein persönliches Anliegen, durch Aufklä-rungsarbeit der Stigmati-sierung und Ausgrenzung entgegenzuwirken. Seit

24 Sichtweisen 18/2017

Im öffentlichen Nah- und Fernverkehr gilt die all-gemeine Beförderungspflicht der Verkehrsunter-nehmer. Sie erstreckt sich auf das Reisegepäck,zu dem Rollstühle und andere Hilfsmittel zählen.

Barrierefreies Reisen Urlaub und Reisen sind wichtige Faktoren für dieTeilhabe behinderter Menschen am gesellschaft-lichen Leben. Dabei sind nicht nur Fragen der In-formationsbeschaffung, Anreise und Unterbrin-gung von Bedeutung, sondern auch die Möglich-keit, Freizeitangebote vor Ort wahrnehmen undden Alltag am Urlaubsort gestalten zu können.

• Selbstbestimmtes Reisen • Ratgeber, Hotelführer und weitere Hinweise• Finanzielle Förderungen

Selbstbestimmtes ReisenBarrierefreiheit sollte zu einem Markenzeichendes Tourismus in Deutschland werden. DamitMenschen mit Behinderungen Freizeit-, Urlaubs-und Reiseangebote optimal nutzen können,muss die Servicekette der unterschiedlichenAnbieter aufeinander abgestimmt sein. Zielmuss es sein, ein möglichst selbständigesReisen für alle Menschen zu ermöglichen.Eine Weiterentwicklung ist deshalb nicht nurbei der Infrastruktur von Verkehrsträgern undim Gastgewerbe erforderlich, sondern auch beider Vernetzung und Vermarktung bestehenderAngebote, der Qualifizierung von Unternehmensowie von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.Barrierefreie Angebote sollten sich außerdemnicht nur auf Menschen im Rollstuhl konzen -trieren, sondern auch auf die Bedürfnisse vonsehbehinderten, blinden, hör- und sprachbe -hinderten sowie die Belange geistig undseelisch behinderter Menschen berücksichtigen.

Viele Dienstleistungsanbieter der Reise-und Tourismusbranche haben den Handlungs -bedarf bereits erkannt. In den vergangenenJahren konnten bereits beachtliche Fortschrittebei den Angeboten für barrierefreie Reisenund Urlaube verzeichnet werden. Auch dieZugänglichkeit von Freizeit- und Kulturein -richtungen ist deutlich verbessert worden.

Ratgeber, Hotelführer und weitere HinweiseDer seit mehreren Jahren erscheinende Reiserat-geber Handicap Reisen Deutschland beinhaltetmehr als 1.000 geprüfte Beherbergungsbetriebein ganz Deutschland, die überwiegend rollstuhlge-recht sind.

Beim Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinder-ter e.V. kann das aktuelle Reiseprogramm fürMenschen mit und ohne Behinderung bestelltoder heruntergeladen werden. Eine weitere ak-tuelle Broschüre zu Ferienstätten, Ferieneinrich-tungen und Hotels ist beim Bundesverband fürkörper- und mehrfachbehinderte Menschen e.V.erhältlich.

Zur Information und Orientierung dient auch derin Buchhandlungen erhältliche Deutsche Hotel -führer, in dem barrierefreie Angebote nach fest -gelegten Kategorien nachgeschlagen werden können. Der Deutsche Hotel- und Gaststätten -verband (DEHOGA) und die Behindertenverbändehaben bereits 2005 eine Zielvereinbarung überdie Hotelklassifizierung abschlossen. DEHOGAund Verbände arbeiten nun an der Weiterentwick-lung dieses Instruments. Dabei soll unter ande-rem eine bundesweit einheitliche Kennzeichnungvon barrierefreien Hotels und Restaurants erreichtwerden, um die Flut von unterschiedlichen Pikto-grammen der Länder und Regionen einzudäm-men. Auf der Internetseite des Deutschen Hotel-und Gaststättenverbandes stehen zum DownloadChecklisten bereit, mit deren Hilfe die Einhaltungder Standards im eigenen Betrieb überprüft wer-den können.

Eine zentrale Anlaufstelle für die Belange desbarrierefreien Tourismus für Alle in Deutschlandist die Nationale Koordinationsstelle Tourismusfür Alle e.V. (NatKo). Die NatKo steht Reiseveran-staltern, Verkehrsunternehmen, Tourismusregio-nen, Hoteliers und weiteren Anbietern im BereichTourismus als Ansprechpartner zur Verfügung, umsie bei der Gestaltung barrierefreier Angebote zuunterstützen. Sie wird vom Bundesministeriumfür Gesundheit gefördert und ist ein Zusammen-schluss von Verbänden auf Bundesebene, die sichmit dem Thema Tourismus beschäftigen.

SichtweisenMobil am Wohnort

Page 25: Sicht weisen...Im Bereich der psychi-schen Erkrankungen ist es mir ein persönliches Anliegen, durch Aufklä-rungsarbeit der Stigmati-sierung und Ausgrenzung entgegenzuwirken. Seit

Sichtweisen 18/2017 25 S

Die Schlichtungsstelle für den Öffentlichen Perso-nenverkehr vermittelt zwischen Reisenden undVerkehrsunternehmen, wenn es Probleme im Zu-sammenhang mit einer Fernverkehrsreise gibt.

Finanzielle FörderungenZur gezielten Unterrichtung behinderter Menschenund ihrer Angehörigen über Freizeit- und Urlaubs-möglichkeiten werden öffentliche Mittel einge-setzt. Bau und Einrichtung von gemeinnützigenFamilienferienstätten werden mit Bundes- undLandesmitteln gefördert. Aus dem Programm„Investitionskredit Kommunen – flexibel“ der KfW Kommunalbank können Städte und Gemein-den zur Stadt- und Dorfentwicklung, einschließlichdes Tourismus, zinsgünstige Investitionskreditenutzen. 50 Prozent des Kreditbedarfs könnenüber die KfW finanziert werden, der verbleibendeKreditbedarf wird über andere Banken finanziert.

Der weit gespannte Leistungsrahmen der Einglie-derungshilfe für behinderte Menschen ermöglichtes unter Umständen, im Einzelfall die mit Freizeit-aktivitäten und Urlaub verbundenen behinderungs-spezifischen Kosten zu übernehmen.

SportFür Menschen mit Behinderungen gibt es einvielfältiges und flächendeckendes Sportangebot.Sie finden hier Informationen über Leistungs-,Freizeit-, Breiten- und Rehabilitationssportange-bote für Menschen mit Behinderungen oder chro-nischen Erkrankungen sowie Kontaktadressenund Informationen über barrierefreie Sportstätten.

• Allgemeines • Deutscher Behindertensportverband

AllgemeinesSport ist für die meisten Menschen von großerBedeutung und die eigene sportliche Aktivitätnimmt einen wichtigen Teil des Lebens ein.Durch Sport können persönliche Grenzen über-wunden, das Selbstvertrauen gestärkt sowiedie gesamte persönliche Entwicklung gefördertwerden. Für Menschen mit Behinderung istSport sowohl entscheidend für die Präventionund Rehabilitation als auch für die Teilhabe am

Leben in der Gesellschaft. Bereits Kinder undJugendliche mit und ohne Behinderung solltenlernen, dass einerseits Sport gesund ist und ge-sundheitsbewusstes Verhalten hilft, Krankheitenvorzubeugen und dass andererseits Team- undMannschaftssport die sozialen Kontakte fördert.

Im Sport ist Vieles möglich, auch für Menschenmit Handicap: Von Spitzensportlern und Sport -lerinnen, die im Leistungssport beachtenswerteErfolge z. B. bei den Paralympics, bei Welt- Europa- oder bei Deutschen- und Regional -meisterschaften erzielen bis hin zu Freizeit -sportlerinnen und Sportlern, die z. B. beigroßen Laufveranstaltungen wie City-Marathonsan den Start gehen und in persönlicher Best -leistung den Wettkampf beenden.

In den letzten Jahren haben sich die Sportarteninnerhalb des deutschen Behindertensportsrasant entwickelt. Der Deutsche Rollstuhl Sport-verband e.V. organisiert und bietet z. B. 26 Roll-stuhlsportarten an. Daneben gibt es Sportarten,deren Regelwerk so ausgelegt ist, dass dasHandicap für blinde oder gehörlose Menschenberücksichtigt wird, etwa beim Blindenfußball.Menschen mit einer geistigen Behinderungkönnen in verschiedenen Alters- und Leistungs-klassen Sport treiben. Die Special Olympics fürMenschen mit geistiger Behinderung sind hierdas herausragende Ereignis. Die Teilnehmerin-nen und Teilnehmer kommen bei den sportlichenWettkämpfen nicht nur mit ihren Mitstreiternaus anderen Ländern zusammen. Sie haben sodarüber hinaus oftmals die einzige Möglichkeitin andere Länder zu reisen und in Kontakt mitanderen Kulturen zu kommen.

Quelle:

Das Webportal für Menschenmit Behinderungen, ihre Angehörigen,Verwaltungen und Unternehmen

Beitrag: Petra Besemer

Page 26: Sicht weisen...Im Bereich der psychi-schen Erkrankungen ist es mir ein persönliches Anliegen, durch Aufklä-rungsarbeit der Stigmati-sierung und Ausgrenzung entgegenzuwirken. Seit

26 Sichtweisen 18/2017

Wie viele Menschen mit Behinderung habeneigentlich Smartphones? Wie viel Zeit verbringensie im Internet? Wir haben mal einige span-nende Zahlen und Fakten zusammengefasst.

Zahlen und Fakten rund um digitale Mobilitätund Barrierefreiheit …

Fast jeder siebte Menschhat eine Behinderung

Rund eine Milliarde Menschen haben eine Formvon Behinderung, rund 110 Millionen Menschenhaben große Schwierigkeiten bei der Nutzung vonTechnologien. Die zugängliche Gestaltung vonSmartphones kann ihre Lebensqualität oft we-sentlich verbessern und Zugänge und Mitgestal-tung in wichtigen Lebensbereichen unterstützen.

Quelle: guardian.co.uk

Menschen mit Behinderungüberdurchschnittlich stark im Web aktiv

Nach einer Online-Umfrage der Aktion Menschunter mehr als 600 Menschen mit Behinderungist diese Gruppe von Menschen mit Behinderungüberdurchschnittlich stark im Web aktiv. Dem-nach sind Menschen ohne Behinderung an etwa5,1 Tagen pro Woche im Internet, bei Menschenmit einer Behinderung sind es rund 6,5 Tagepro Woche.

Quelle: einfach-fuer-alle.de/studie

2013 erstmals mehr Smartphonesals Handys verkauft

Nach den Marktforschern des IDC (InternationalData Corporation) wurden im ersten Quartal2013 weltweit erstmals mehr Smartphonesals einfache Handys verkauft. Insgesamt konn-ten in den ersten drei Monaten 2013 über 216Millionen Smartphones abgesetzt werden.Dies entspricht im Segment der Mobiltelefoneeinem Marktanteil von 51,6 Prozent.

Quelle: zdnet.de

Mobile Internet-Nutzung wächst rasant

Der mobile Zugriff auf das Internet nimmt stetigzu. Im Dezember 2012 haben 16 Millionen Deut-sche mit ihren Smartphones auf soziale Netz-werke zugegriffen, so das Ergebnis einer Studiedes Marktforschungsunternehmens ComScore.

Quelle: smo14.de

Jeder zweite Mensch mit einer Behinderunghat ein Smartphone

Zumindest in Kanada. Das Wireless RERC (Reha-bilitation Engineering Research Center) hat 452Menschen mit Behinderung nach ihrer Nutzungmobiler Endgeräte befragt. 92 Prozent besaßenzumindest ein mobiles Endgerät. 53 Prozenthaben ein Smartphone, 25 Prozent benutzeneinen Tablet-Computer. Das überraschendeErgebnis ist, dass nur 45 Prozent der kanadi-schen Durchschnittsbevölkerung ein Smart phonebesitzen, Menschen mit Behinderung also eherein Smartphone nutzen als Menschen ohne Behinderung.

Quelle: zomigi.com

Zwei Drittel der EU-Bürger würden mehrfür barrierefreie Produkte bezahlen.

Eine Umfrage der Europäischen Union zeigte,dass 66 Prozent der EU-Bürger bereit wären,mehr Geld für barrierefreie Produkte zu be -zahlen. Für sie steht dabei die Inklusionvon Menschen mit Behinderung und älterenMenschen in die Gesellschaft im Vordergrund.

Quelle: blog-aktion-mensch.de

Beitrag: Petra Besemer

SichtweisenZahlen und Fakten rund um digitale Mobilität und Barrierefreiheit

Page 27: Sicht weisen...Im Bereich der psychi-schen Erkrankungen ist es mir ein persönliches Anliegen, durch Aufklä-rungsarbeit der Stigmati-sierung und Ausgrenzung entgegenzuwirken. Seit

Sichtweisen 18/2017 27 S

Freizeitgruppe / SelbsthilfegruppeTRIALOG-Veranstaltungen 2018

Man kann sein Lebennicht verlängern,

noch verbreitern –nur vertiefen

Eine Gesellschafterkennt man daran,

wie sie mit ihren Schwächsten umgeht.

Freizeitgruppe / Selbsthilfegruppefür psychisch kranke Menschen

und deren Ange hörige

Wir laden alle Interessierten und Betroffenen ein,jeden Donnerstag von 19 – 21 Uhr

imMehrgenerationenhaus Linde,

Zentrum für Begegnung, Jugend & Kultur,Alleenstr. 90, Kirchheim unter Teck

teilzunehmen.Sammlung Prinzhorn

TRIALOG-Veranstaltungen 2018

Mittwoch, 07. Februar 2018Angst-Störungen

Mittwoch, 09. Mai 2018Vorstellung des Lehrgangs zur EX-IN Genesungsbegleitung, EX-IN Stuttgart

Mittwoch, 11. Juli 2018Ess-Störungen

Mittwoch, 10. Oktober 2018Der Arbeitskreis Leben Nürtingen – Kirchheim unter Teckstellt sich vor mit dem Schulprojekt „verrückt, na und “ ?

Beginn jeder Veranstaltung jeweils um 19:00 Uhrim Mehrgenerationenhaus LINDE in Kirchheim unter Teck

Ansprech- und KontaktpersonenVolker Zeibig und Petra [email protected]

Page 28: Sicht weisen...Im Bereich der psychi-schen Erkrankungen ist es mir ein persönliches Anliegen, durch Aufklä-rungsarbeit der Stigmati-sierung und Ausgrenzung entgegenzuwirken. Seit

SichtweisenMichael KöberLandratsamt Esslingen73726 Esslingen am NeckarTelefon (0711) 3902-42634E-Mail: [email protected] G

esta

ltung

und

Rea

lisat

ion:

ww

w.lo

gow

erbu

ng.d

e