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Vorwort zur 2. Auflage Erfreulicherweise hat die erste Auflage des vor- liegenden Lehrbuchs innerhalb kurzer Zeit einen großen Leserkreis gefunden, so dass bereits nach zweieinhalb Jahren die Vorbereitung einer zwei- ten Auflage notwendig wurde. Auch in einem sich rapide entwickelnden Fach wie der Biologi- schen Psychologie werden in einem so kurzen Zeitraum nur vereinzelt solche Erkenntnisse ge- wonnen, die Eingang in ein Lehrbuch finden mɒssen. Daher war es nicht notwendig, substan- zielle inhaltliche ErgȨnzungen vorzunehmen. SelbstverstȨndlich wurden an verschiedenen Stel- len neue Befunde berɒcksichtigt. Auch wurden ei- nige Abbildungen neu gestaltet bzw. modifiziert, der Text wurde ɒberarbeitet und Druckfehler wurden ausgemerzt. Aber eine wichtige Neuerung ist die dem Buch beiliegende CD-ROM. Welchen Nutzen bietet sie Ihnen? Sie enthȨlt eine Reihe von MɆglichkeiten zum Re- kapitulieren, Lernen und Ƞberprɒfen des Wis- sens: P Prɒfungsfragen. Zu jedem Kapitel, nach Un- terkapiteln gegliedert, finden Sie zahlreiche Fragen (grɆßtenteils vom Multiple-Choice- Typ) und die richtigen Antworten dazu. P Zusammenfassungen. Kommen Sie nicht gleich auf die richtige Antwort, kɆnnen Sie sich die Kurzzusammenfassungen, wiederum kapi- telweise, dazu holen. Auch ist es mɆglich, das gesamte Kapitel anhand der Zusammenfassun- gen in komprimierter Form zu rekapitulieren. P Definitionen. Bleiben Sie bei einem Begriff hȨngen, kɆnnen Sie sich die Definitionen dazu holen. Sie kɆnnen aber auch ɒberprɒfen, ob Sie allein auf die richtige Beschreibung eines Begriffs kommen, da der Begriff zunȨchst sepa- rat wiedergegeben ist und erst auf einen wei- teren Klick hin die Definition erscheint. P Abbildungen. Kapitelweise sortiert, kɆnnen Sie sich alle Abbildungen des Buchs zusammen mit den jeweiligen Bildlegenden vergrɆßert ausdrucken, so dass Sie in den Ausdruck zeich- nen oder Ihre eigenen Anmerkungen hinzufɒ- gen kɆnnen. Rainer Schandry Mɒnchen, im Juni 2006 XIX Vorwort zur 2. Auflage

Vorwort zur 2. Auflage - Beltz Verlagsgruppe...scheint bei einer Stressreaktion der Aktivitt der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse ( HPA-Achse, s. Kap. 17.1.2) entgegenzuwirken

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Vorwort zur 2. Auflage

Erfreulicherweise hat die erste Auflage des vor-liegenden Lehrbuchs innerhalb kurzer Zeit einengroßen Leserkreis gefunden, so dass bereits nachzweieinhalb Jahren die Vorbereitung einer zwei-ten Auflage notwendig wurde. Auch in einemsich rapide entwickelnden Fach wie der Biologi-schen Psychologie werden in einem so kurzenZeitraum nur vereinzelt solche Erkenntnisse ge-wonnen, die Eingang in ein Lehrbuch findenm�ssen. Daher war es nicht notwendig, substan-zielle inhaltliche Erg�nzungen vorzunehmen.Selbstverst�ndlich wurden an verschiedenen Stel-len neue Befunde ber�cksichtigt. Auch wurden ei-nige Abbildungen neu gestaltet bzw. modifiziert,der Text wurde �berarbeitet und Druckfehlerwurden ausgemerzt.

Aber eine wichtige Neuerung ist die dem Buchbeiliegende CD-ROM. Welchen Nutzen bietet sieIhnen?Sie enth�lt eine Reihe von M�glichkeiten zum Re-kapitulieren, Lernen und �berpr�fen des Wis-sens:P Pr�fungsfragen. Zu jedem Kapitel, nach Un-

terkapiteln gegliedert, finden Sie zahlreicheFragen (gr�ßtenteils vom Multiple-Choice-Typ) und die richtigen Antworten dazu.

P Zusammenfassungen. Kommen Sie nichtgleich auf die richtige Antwort, k�nnen Sie sichdie Kurzzusammenfassungen, wiederum kapi-telweise, dazu holen. Auch ist es m�glich, dasgesamte Kapitel anhand der Zusammenfassun-gen in komprimierter Form zu rekapitulieren.

P Definitionen. Bleiben Sie bei einem Begriffh�ngen, k�nnen Sie sich die Definitionen dazuholen. Sie k�nnen aber auch �berpr�fen, obSie allein auf die richtige Beschreibung einesBegriffs kommen, da der Begriff zun�chst sepa-rat wiedergegeben ist und erst auf einen wei-teren Klick hin die Definition erscheint.

P Abbildungen. Kapitelweise sortiert, k�nnen Siesich alle Abbildungen des Buchs zusammenmit den jeweiligen Bildlegenden vergr�ßertausdrucken, so dass Sie in den Ausdruck zeich-nen oder Ihre eigenen Anmerkungen hinzuf�-gen k�nnen.

Rainer Schandry

M�nchen, im Juni 2006

XIXVorwort zur 2. Auflage

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Impulse immer wieder aufdr�ngen, von denen ersich nicht ablenken kann. Jeder Widerstand gegendie Zwangsgedanken oder -handlungen scheitert.Ein Missachten der inneren Befehle und Gedan-ken ruft Angst hervor. Diese Angst wird als starkeBelastung erlebt und verursacht einen hohen Lei-densdruck.

Zwangsst�rungen k�nnen in Beziehung zu denEssst�rungen gesetzt werden, die sich teilweisewie eine zwanghafte Besch�ftigung mit dem Essen�ußern (s.o.). Viele Essgest�rte leiden gleichzeitigunter Wasch-, Kontroll- und Ordnungszw�ngen.H�ufig kommt zu einer Zwangsst�rung sp�ter ei-ne Depression hinzu.Medikament�se Behandlung. Zwangserkrankun-gen scheinen in besonderem Maße mit dem sero-tonergen System verbunden zu sein. Dieser Zu-sammenhang l�sst sich daraus ableiten, dassPharmaka, die f�rdernd in die Funktion des sero-tonergen Systems eingreifen (z.B. selektive Sero-toninwiederaufnahmehemmer) als einzige Medi-kamentengruppe eine deutliche Wirksamkeit beider Behandlung von Zw�ngen aufweisen. Sie ent-falten ihre positive Wirkung auf die Symptomatikbei Zwangskranken, wie auch bei Depressiven,i.Allg. erst mit einer zeitlichen Verz�gerung voneinigen Wochen. Daf�r k�nnten Feedback-undUmbaumechanismen an der serotonergen Synap-se verantwortlich sein, die eine verz�gerte Wie-dereinstellung des normalen Serotoninrezeptor-gleichgewichts bedingen.

! Die Serotoninhypothese der Depression be-sagt, dass eine Minderfunktion bei der sero-

tonergen Signal�bertragung vorliegt. Auch beiPatienten mit Ess- und Zwangsst�rungen wirdvon Ver�nderungen in der Funktion des seroto-nergen Systems ausgegangen.

21.1.4 Noradrenalin und sein Bezugzur Depression

Der Transmitter Noradrenalin geh�rt gemeinsammit Adrenalin und Dopamin zur Gruppe der� Katecholamine (s. Kap. 5.2.2). Noradrenalin

spielt insbesondere innerhalb des peripheren ve-getativen Nervensystem eine wichtige Rolle, wo esneben Adrenalin der Transmitter der postganglio-n�ren sympathischen Neuronen ist. Im ZNS wirdNoradrenalin vor allem im � Locus coeruleus desTegmentums und einigen kleineren Kerngruppenin der Nachbarschaft gebildet. Von dort gelangt es�ber lange sowohl aufsteigende als auch abstei-gende Fasern zu den Synapsen in unterschiedli-chen Hirnarealen. So findet sich Noradrenalin im� Hypothalamus, � Thalamus, dem � limbi-schen System (v.a. dem � Hippocampus), im� Zerebellum und dem gesamten � Neokortex.Noradrenalinhypothese der Depression. Nichtnur die �hnlich weite Verbreitung weist auf Paral-lelen zum serotonergen System hin. Es scheintauch im noradrenergen System bei der Depressi-on Abweichungen vom Normalzustand zu geben.Bereits vor der Serotoninhypothese wurde dieNoradrenalinhypothese der Depression aufge-stellt, die eine reduzierte Aktivit�t des norad-renergen Systems als urs�chlich f�r die depressiveStimmung ansah. Es fehlen allerdings bisher ein-deutige Belege daf�r, dass bei depressiven Patien-ten durchg�ngig ein Noradrenalinmangel imGehirn herrscht. Jedoch konnte nachgewiesenwerden, dass der Erfolg von Antidepressiva ausder Klasse der Noradrenalinwiederaufnahmehem-mer bei jenen Patienten besonders groß war, beidenen die Noradrenalinmetaboliten im Gehirnzun�chst reduziert waren. Auch hat sich gezeigt,dass in der Folge einer antidepressiven Pharma-kotherapie mit unterschiedlichen Substanzen dieDichte von a2- und b1-adrenergen Rezeptorenabnimmt. Dies d�rfte eine Folge der jetzt erh�h-ten Verf�gbarkeit von Noradrenalin im synapti-schen Spalt sein. Interessanterweise zeigt dieHerunterregulation der Noradrenalinrezeptoreneinen �hnlichen Zeitverlauf – im Regelfall �berzwei bis drei Wochen – wie der klinisch-therapeu-tische Effekt der antidepressiven Therapie.

Ein gewisser Prozentsatz depressiver Patientenspricht auf selektiv wirkende Noradrenalinagonis-ten sehr gut an, auf Serotoninagonisten dagegenweniger gut. Dies weist darauf hin, dass die Ursa-che der Depression weniger in der Fehlfunktion ei-

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nes einzelnen Transmittersystems zu suchen ist,sondern eher eine Dysregulation im Zusammen-spiel mehrerer Transmittersubstanzen und Rezept-ortypen vorliegt. Auch ist daran zu denken, dass eshinsichtlich der neurochemischen Prozesse ver-schiedene Depressionstypen geben kann.

Zusammenfassung

Neben der reduzierten Aktivit�t im serotoner-gen System ist bei der Depression auch von ei-ner D�mpfung der noradrenergen neuronalen�bertragung auszugehen. Hierf�r spricht v.a.der Erfolg der Noradrenalinwiederaufnahme-hemmer bei der Depressionsbehandlung. Aller-dings ist die Ursache der Depression kaum inder Dysfunktion eines einzelnen Transmitter-systems zu suchen, sondern eher in einer Dys-regulation beim Zusammenspiel mehrererTransmittersubstanzen und Rezeptortypen.

21.1.5 GABA und sein Bezug zuAngstst�rungen

Angstst�rungen im �berblickMan kennt eine F�lle verschiedener Angstst�run-gen, die sich sowohl ph�nomenologisch hinsicht-lich ihrer Symptomatik als auch in Bezug auf diejeweils wirksamste Therapie unterscheiden. Dem-zufolge ist auch kein �bergreifender, generell g�l-tiger neurochemischer Wirkungsmechanismusf�r Angstkrankheiten anzunehmen.Panikst�rung. Bei einer Panikst�rung tretenpl�tzliche Attacken �berm�ßiger, unkontrollier-barer Angst auf, die von massiven k�rperlichenSymptomen wie Zittern, Schweißausbr�chen undHerzklopfen begleitet sind. Dieser Zustand istvergleichbar mit dem in einer extremen Stress-situation. Da Panikattacken die Patienten meistv�llig unvorbereitet ohne erkennbaren �ußerenAnlass �berfallen, f�hrt es bei vielen Patienten zuTodesangst und st�ndigen Bef�rchtungen im All-tag, dass eine solche Attacke erneut auftretenk�nnte.

Panikattacken k�nnen mit unterschiedlichen

Substanzen (wie Natriumlaktat, Kohlendioxid-inhalation, Serotoninagonisten, ~2-Adrenoan-tagonisten, Benzodiazepinantagonisten u.a.)k�nstlich ausgel�st werden. Die verschiedenenSubstanzen sind allerdings jeweils nur bei einerSubgruppe der Patienten wirksam. Es scheinender Panikausl�sung also unterschiedliche neuro-chemische Mechanismen zugrunde zu liegen.Neben dem GABAergen System d�rfte auch dasserotonerge System – z.B. im Sinne einer Hyper-sensitivit�t serotonerger Neuronen – involviertsein: Es haben sich neben Benzodiazepinen auchselektive Serotoninwiederaufnahmehemmer (z.B.Paroxetin) bei der Panikst�rung als wirksam er-wiesen. Die genauen neurochemischen Regulati-onsmechanismen sind jedoch noch unklar.Phobien. Die Phobien sind �ngste, die sich aufbestimmte Objekte oder Situationen beziehen.Das Erleben unkontrollierbarer, �berw�ltigenderAngst �hnelt der Panikattacke. Die Angst kann zuteilweise gravierenden Einschr�nkungen im All-tagsleben f�hren. So verlassen manche Agorapho-biker (s.u.) das Haus nicht mehr, und Patientenmit sozialer Phobie leben einsam und isoliert, dasie sich dem zwischenmenschlichen Kontakt nichtgewachsen f�hlen. Das Vermeidungsverhaltendieser Menschen kann bis zum Verlust des Ar-beitsplatzes, zu finanziellen Problemen und voll-kommener sozialer Isolation f�hren.Phobiearten. H�ufig sind Spinnen- oder Schlan-genphobien. Ebenfalls relativ verbreitet ist dieH�henangst und die sog. Klaustrophobie, also dieAngst vor engen, geschlossenen R�umen. Bei derAgoraphobie f�rchten sich die Patienten vor �f-fentlichen Pl�tzen mit vielen Menschen. Bei derSoziophobie erleben Betroffene die Kommunika-tion mit anderen Menschen als furchteinfl�ßendund ziehen sich aus dem zwischenmenschlichenKontakt zur�ck. Bei der Herzphobie haben diePatienten Angst, einen Herzanfall zu erleiden,und beobachten ihren K�rper �bergenau, um jakein Anzeichen daf�r zu �bersehen. Im Extrem-fall begeben sie sich nur noch an Orte, die in ge-ringer Entfernung zu einer Klinik oder einer Arzt-praxis liegen.

Durch das Vermeiden von phobischen Situa-

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tionen wird die Phobie stabilisiert. So erf�hrt einPr�fungs�ngstlicher, der zur gef�rchteten Pr�-fung nicht erscheint, zun�chst eine große Er-leichterung. Vor der n�chsten Pr�fung wird erjedoch vermutlich wieder Angst erleben undsich u.U. erneut durch Nichterscheinen zu ent-ziehen versuchen, um die Erleichterung wieder-zufinden, statt die angstbelastete Situation auf-zusuchen.Behandlung der Phobie. Verhaltenstherapeuti-sche Ans�tze basieren h�ufig darauf, den Patien-ten mit der angstbelasteten Situation zu konfron-tieren (auch in der Imagination), wobei aber dieEntwicklung der Angst verhindert wird (etwadurch muskul�re Entspannung). Der Erfolg einersolchen Therapie k�nnte mit der Etablierungneuer synaptischer Verbindungen zusammenh�n-gen. Die enge neuronale Kopplung zwischen derRepr�sentation des phobischen Reizes im Gehirnmit angstausl�senden Strukturen kann durch dasEntstehen anderer synaptischer Verbindungen re-lativiert werden. So kann nach Erleben des friedli-chen Kontaktes mit einer vorher gef�rchtetenKatze und dem systematischen Aufbau von ange-nehmen Erinnerungen – weiches Fell, anschmieg-sam, zutraulich, Wohlgef�hl etc. – die unwillk�r-liche Aktivierung der Angststrukturen (durchvermutlich neuronale Verschaltungen in der� Amygdala) verhindert werden.

Verhaltenstherapeutische Maßnahmen sind inder Behandlung von Phobien sehr erfolgreich. ImRegelfall sind sie der rein medikament�sen Be-handlung im Hinblick auf die langfristigen Er-folgsaussichten �berlegen. Benzodiazepine (s.Kap. 21.2.5) k�nnen zwar ebenfalls die angst-bedingte Anspannung kurzfristig reduzieren, sief�hren jedoch nicht selten zu Abh�ngigkeit: DerPatient lernt, das Abflauen der Angst mit der Ein-nahme des Medikaments zu assoziieren, wobei erohne die Medikamenteneinnahme unverminderteAngst versp�rt.

Der Transmitter GABA bei Angst und anderenSt�rungenGABA ist der wichtigste inhibitorische Transmit-ter im Gehirn. Es spielt sowohl bei der pr�synap-

tischen als auch bei der postsynaptischen Inhibiti-on zerebraler sowie spinaler Neuronen eineentscheidende Rolle. F�r GABA wurden bisherzwei Rezeptorsubtypen identifiziert, der GABAA-und der GABAB-Rezeptor.GABA als Angstl�ser. Im gesamten � limbischenSystem finden sich zahlreiche GABAerge Synap-sen. In der � Amygdala, dem f�r die Angstkon-ditionierung hauptverantwortlichen Hirnareal,sind diese besonders hoch konzentriert. Von da-her ist plausibel, dass GABA hier durch Hem-mung anderer – u.U. an der Angstentstehung be-teiligter – Neuronen angstl�send wirken kann.F�r den Fall, dass eine Angstst�rung von derAmygdala ausgeht, ist deren Ursache vermutlichnicht eine Unterfunktion des GABAergen Sys-tems, sondern es liegt eher eine �berfunktion ei-nes aktivierenden Systems (z.B. des serotonergenoder noradrenergen) vor. Diese kann dann durchdie Aktivit�t des GABAergen Systems nicht inausreichendem Maße kompensiert werden. DieBehandlung durch Substanzen, die wie die Ben-zodiazepine f�rdernd auf das GABAerge Systemwirken, mildert zwar im kurzfristigen Zeitbereichden Angstzustand, kann jedoch i.Allg. die Angst-st�rung nicht langfristig beseitigen.GABA zur Beruhigung. Das GABAerge Systemscheint bei einer Stressreaktion der Aktivit�t derHypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse(� HPA-Achse, s. Kap. 17.1.2) entgegenzuwirken.Die Konzentration des Kortikotropin-releasing-Hormons (CRH) kann in einigen Hirnarealendurch Benzodiazepine gesenkt werden. Die Re-duktion des CRH, das selbst Unruhe und Erre-gung hervorrufen kann, wirkt demzufolge be-ruhigend und angstl�send. Es kann davonausgegangen werden, dass durch eine solcheHemmung auch die Interaktion der Stressachsemit anderen aktivierenden Transmittersystemen,v.a. dem noradrenergen System, geschw�chtwird.GABA zur Muskelrelaxation. Neben der beruhi-genden Wirkung durch Hemmung h�herer Hirn-regionen spielt GABA auch bei der nozizeptivenReizleitung eine Rolle. Außerdem hat es einenmuskelrelaxierenden Effekt. Benzodiazepine k�n-

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nen daher außer als Psychopharmaka auch alsMuskelrelaxanzien eingesetzt werden.GABA und Alkohol. Im Zusammenhang mit demAlkoholismus (s. Kap. 22.3) spielt GABA einewichtige Rolle. Alkohol stimuliert den GABAA-Rezeptor. Bei Alkoholismus hat sich das GABAer-ge System der st�ndigen Stimulation angepasst,indem die GABAA-Rezeptorendichte herunter-reguliert wurden. Bei Alkoholentzug entsteht we-gen der jetzt reduzierten Hemmung eine Hyper-aktivit�t einiger Gehirnsysteme. Dadurch kommtdie typische Unruhe, Angst und Nervosit�t bishin zum Alkoholdelir zustande.GABA und Ged�chtnis. Neben der � Amygdalafinden sich auch im � Hippocampus zahlreicheGABAerge Synapsen. Es ist demnach nicht ver-wunderlich, dass GABA eine Rolle in der Regula-tion sowohl des expliziten (Hippocampus) alsauch impliziten (Amygdala) Ged�chtnisses (s.Kap. 24.6) spielt. Die Verst�rkung der hemmen-den GABA-Funktion kann somit Ged�chtnispro-zesse st�ren, wie dies im Zusammenhang mitBenzodiazepinen beobachtet wurde.

Zusammenfassung

GABA ist der wichtigste inhibitorische Trans-mitter im Gehirn. Es d�rfte v.a. im limbischenSystem angstl�send wirken. Substanzen, dief�rdernd auf das GABAerge System wirken,wie die Benzodiazepine, k�nnen im kurzfristi-gen Zeitbereich einen Angstzustand mildernoder beseitigen.Außerdem wirkt GABA d�mpfend auf dieAktivit�t der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse ein. So kann die Konzen-tration des Kortikotropin-releasing-Hormons(CRH) durch Benzodiazepine gesenkt werden.Zus�tzlich spielt GABA auch bei der nozizepti-ven Reizleitung eine Rolle. Da auch im Hippo-campus zahlreiche GABAerge Synapsen ange-siedelt sind, kann es durch pharmakologischesEingreifen in die GABA-Wirkung zu St�run-gen von Lern- und Ged�chtnisprozessen kom-men.

21.1.6 Dopamin und sein Zusammenhangmit schizophrenen Psychosen

Der wichtigste Ansatz zur Erkl�rung der Schizo-phrenie auf der Basis neurochemischer Prozesseist die sog. Dopaminhypothese. F�r diese Hypo-these sprechen zwei wichtige Befunde: (1) Die zurBehandlung der Schizophrenie eingesetzten �

Neuroleptika sind großenteils Dopaminantago-nisten (s. Kap. 21.2.4). (2) Durch Dopaminago-nisten k�nnen schizophrenie�hnliche Symptomehervorgerufen werden.

Damit liegt die Vermutung nahe, dass bei derSchizophrenie eine �berfunktion im dopaminer-gen System bzw. einem Subsystem vorliegt (Dopa-minhypothese der Schizophrenie). Aufgrund derTatsache, dass die antipsychotische Wirkung derNeuroleptika durch den Angriff dieser Substanzenam D2-Rezeptor vermittelt wird, konzentrierteman sich in der Forschung haupts�chlich auf dieProzesse an diesem Dopaminrezeptorsubtyp.

Das Krankheitsbild der SchizophrenieDie Schizophrenie ist die am h�ufigsten vorkom-mende wahnhafte St�rung. Ihre Punktpr�valenzliegt bei 0,5–1 % in der erwachsenen Bev�lke-rung. In besonders schwerer und auffallenderForm weichen hier Denken, Wahrnehmen undF�hlen vom normalen Erleben ab. ZahlreicheSymptome, die auf Ver�nderungen in diesen Be-reichen hinweisen, kommen in unterschiedlicherKombination vor: So k�nnen die Patienten z.B.ihre Gedanken als fremd oder eingegeben empfin-den. H�ufig glauben sie, dass ihre Handlungenund die anderer Menschen durch fremde M�chtebeeinflusst w�rden. Um solche Ideen herumspannen sie dann nicht selten große Wahnsyste-me, die auf phantastische Art die Wahninhalte er-kl�ren sollen.Halluzinationen. H�ufig kommen bei der Schizo-phrenie – �berwiegend akustische – � Halluzina-tionen vor. Prinzipiell k�nnen Halluzinationen injeder Sinnesmodalit�t auftreten. Die h�chstenStufen des Wahrnehmungsapparates im Gehirnerhalten hier Informationen, die offenbar nichtvon denen aus den Sinneskan�len unterscheidbarsind, so dass der Betroffene kaum M�glichkeiten

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zur Differenzierung zwischen wirklich und un-wirklich hat. Die Halluzinationen sind meist indas Wahnsystem des Patienten eingebunden.

Beim Gespr�ch mit einem schizophrenen Pa-tienten f�llt i.Allg. eine Zerfahrenheit im Redenund Denken auf. Die Patienten springen von ei-nem Thema zum anderen. H�ufig schaffen sieauch neue Worte (� Neologismen), um ihre skur-rilen Ideen zu beschreiben. Es k�nnen motorischeBesonderheiten auftreten, die sich im Extremfallin v�lliger Bewegungslosigkeit (� Stupor) aus-dr�cken. Der Affekt ist h�ufig verflacht oder derSituation unangemessen. Auch fallen Einschr�n-kungen der kognitiven Leistungsf�higkeit auf.

Bei vielen Patienten treten schizophrene Episo-den, d.h. zeitliche Perioden besonderer Auspr�-gung der schizophrenen Symptomatik, wiederholtim Laufe des Lebens auf. Sie werden von symp-tomfreien Phasen unterbrochen. Es kann auch nureinmalig im Leben eine Episode mit schizophre-nem oder wahnhaftem Charakter auftreten.

Angeh�rige und Freunde der Patienten stehenoft fassungslos vor dieser Pers�nlichkeits- undWesensver�nderung, die sie machtlos mit ansehenm�ssen. Vor der Entdeckung der antipsychotischwirkenden Medikamente griffen Psychiater in ih-rer Hilflosigkeit h�ufig zu Maßnahmen, die ausheutiger Sicht sehr fragw�rdig sind. VorrangigesZiel war dabei, die oft agitierten Patienten ruhig-zustellen. Dazu wurden sie in Zwangsjackengesteckt, mit Wechselb�dern behandelt oder psy-chochirurgischen Eingriffen unterzogen.

Seit Entdeckung der sog. Neuroleptika konntendie Leiden vieler Patienten und ihrer Angeh�rigengemindert werden. Um das Wiederkehren schizo-phrener Episoden bei chronisch kranken Patien-ten zu verhindern, m�ssen diese Medikamentejedoch h�ufig jahrelang und regelm�ßig ein-genommen werden, was i.Allg. nicht ohne Neben-wirkungen bleibt. Um die Bereitschaft zur me-dikament�sen Therapie nach Anweisung desPsychiaters zu erh�hen, werden heute Patientenund ihre Angeh�rigen �ber die biochemischenGrundlagen dieser Krankheit und die Medika-mentenwirkung genau aufgekl�rt. Psychotherapiekann wichtige unterst�tzende Arbeit leisten. Als

alleinige Therapie ist sie bei Schizophrenie aller-dings kaum wirksam.

Zur Bedeutung dopaminerger BahnenIm Gehirn existieren drei wichtige dopaminergeBahnen, die jeweils bestimmte Aufgaben erf�llen.Dies sind

P die mesolimbisch-mesokortikalen Bahnen,P die nigrostriatale Bahn undP das tuberoinfundibul�re System.

Die mesolimbisch-mesokortikalen Bahnen ziehenvon der Area tegmentalis ventralis, d.i. eine Struk-tur des Mesenzephalons, zu limbischen und korti-kalen Gebieten (s. Abb. 21.4). Diese Bahnen neh-men ihren Ursprung von Kernen der Gruppen A8

und A9 (Substantia nigra). Sie sind u.a. von Be-deutung f�r die Wirkung von Drogen, f�r die af-fektive Steuerung, und sie spielen beim Lernenund Ged�chtnis eine Rolle. Bei der Schizophrenieberuhen Wahn und Halluzinationen wahrschein-lich auf einer Dysfunktion dieser Bahnen.Mesolimbisch-mesokortikales Ungleichgewicht.Neuere �berlegungen gehen dahin, dass bei derSchizophrenie ein mesolimbisch-mesokortikales

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A12

A10

A8

A9

(Substantia nigra)

N. raphedorsalis

Locuscoeruleus

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A + A14 15

Limbisches System

Abbildung 21.4 Dopaminbahnen. Man unterschiedet imHirnstamm und Zwischenhirn aufgrund ihrer mikrosko-pischen Struktur die dopaminergen Zellgruppen A8 bisA15. Diese bilden die Ausgangsbereiche f�r verschiedenedopaminerge Bahnsysteme zu anderen Gehirnarealen

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Ungleichgewicht vorliegt. Danach kommt es inder mesokortikalen Bahn, die haupts�chlich zufrontalen Kortexarealen zieht, zu einer Unterakti-vit�t, in der mesolimbischen Bahn zu einer �ber-aktivit�t. Die Unteraktivit�t in der mesokortika-len Bahn k�nnte die Negativsymptome derSchizophrenie wie Denkst�rungen und Verfla-chung der Affekte verst�ndlich machen. Die�beraktivit�t in der mesolimbischen Bahn l�sstsich den Positivsymptomen wie Halluzinationenund Wahnvorstellungen zuordnen.

Die nigrostriatale Bahn von der Substantia ni-gra zum Striatum spielt eine wesentliche Rolle beider Steuerung der Willk�rmotorik. Bei der Par-kinson-Erkrankung (s. Kap. 6.4.9) f�hrt ein Neu-ronenuntergang in der Substantia nigra zu dencharakteristischen motorischen Symptomen. Eine�hnliche Hypoaktivit�t der nigrostriatalen Bahnscheint auch bei der Blockade dopaminerger Re-zeptoren im Rahmen einer Neuroleptikatherapie(s.u.) stattzufinden, die sich in den charakteristi-schen motorischen Nebenwirkungen zeigt. Durchgezieltere Beeinflussung der eher im mesolim-bisch-mesokortikalen Bereich auftretenden Re-zeptorsubtypen versucht man (s.u.) diesen uner-w�nschten Begleiterscheinungen mit atypischenNeuroleptika vorzubeugen.

Eine dritte wichtige dopaminerge Bahn l�uftvom Infundibulum (Kerngebiet A12, s. Abb. 21.4)zum Tuberculum olfactorium, einer Struktur desRiechhirns. Als Infundibulum bezeichnet manden trichterf�rmigen Bereich des Hypophysen-stiels, der noch zum Hypothalamus gerechnetwird. Das tuberoinfundibul�re System beeinflusstdie Hormonaussch�ttung des Hypothalamus undwirkt damit auf grundlegende vegetative Funktio-nen ein. Diese neuroendokrine Funktion spieltbei vegetativen St�rungen im Zusammenhangmit der Parkinson-Erkrankung – so z.B. beim ty-pischen »Salbengesicht« der Parkinson-Patienten

– und bei Neuroleptikanebenwirkungen eine Rol-le.Entgleisung im komplexen Wechselspiel. Durchempirische Untersuchungen an schizophrenenMenschen konnte die Dopaminhypothese derSchizophrenie bisher nicht zweifelsfrei belegt wer-den. Bei strenger G�ltigkeit w�re etwa zu erwar-ten gewesen, dass sich bei den Patienten konsis-tent Ver�nderungen in der Konzentration vonAbbauprodukten des Dopamins im Liquor zeigenoder dass sich eine generell erh�hte Dichte vonDopamin-D2-Rezeptoren nachweisen l�sst. Dahier die Befundlage nicht eindeutig ist sowie Er-gebnisse vorliegen, die weitere Neurotransmitterins Spiel bringen (GABA, Serotonin), geht manheute von einer Entgleisung im komplexen Wech-selspiel verschiedener Neurotransmitter aus.Beteiligung von Serotonin und GABA. Der ersteHinweis auf eine Beteiligung des Serotonins beider Schizophrenie kam von Beobachtungen zurWirkung des LSD. Dieses ist ein Agonist des Sero-toninrezeptors 5-HT2A. Unter LSD zeigen sich ei-nige Effekte (v.a. Halluzinationen), die an eineschizophrene Psychose erinnern. Im Einklang da-mit steht, dass verschiedentlich bei Schizophre-nen eine reduzierte Dichte von 5-HT2A-Rezep-toren in mehreren Kortexregionen (pr�frontal,temporal) registriert wurde. Dies k�nnte durchHerunterregulation der Rezeptordichte infolgechronisch erh�hter Aktivit�t zustande kommen.

F�r eine Beteiligung des NeurotransmittersGABA bei der Schizophrenie spricht, dass in eini-gen Post-mortem-Untersuchungen der Gehirneschizophrener Patienten eine reduzierte ZahlGABAerger Neuronen in bestimmten Gehirn-regionen vorlag. Außerdem ist das GABAerge Sys-tem sehr eng mit den dopaminergen Bahnen ver-koppelt, so dass hier Dysfunktionen in einem derbeiden Systeme sich zwingend auch im anderenSystem bemerkbar machen.

43721.1 Transmitterprozesse und psychische Erkrankungen

Zusammenfassung

F�r die sog. Dopaminhypothese der Schizophre-nie spricht einmal, dass zur Behandlung derSchizophrenie Dopaminantagonisten mit gro-

ßem Erfolg eingesetzt werden und zum anderen,dass durch Dopaminagonisten schizophrenie-�hnliche Symptome ausgel�st werden k�nnen.

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21.1.7 Acetylcholin und sein Zusammen-hang mit Demenz

Im Gehirn des Menschen, insbesondere im Neo-kortex geh�rt das Acetylcholin zu den h�ufigstenNeurotransmittern. Außerdem ist es �bertr�ger-stoff im vegetativen Nervensystem und an dermotorischen Endplatte. Im Gehirn sind dreiwichtige cholinerge Bahnsysteme identifiziertworden:

(1) Verbindungen innerhalb des � Striatums.Diese werden normalerweise durch die nigro-striatalen dopaminergen Neuronen gehemmt.Bei deren Degeneration (Parkinson-Erkran-kung) kommt es zu einer Enthemmung.

(2) Bahnen von Kerngebieten des � Tegmentumszu Neuronen des � extrapyramidalen moto-rischen Systems, dem � Hypothalamus, dem� Thalamus und dem � Neokortex.

(3) Verbindungen, ausgehend vom Nucleus basa-lis Meynert (= Substantia innominata), pro-jizieren zum Bulbus olfactorius, zur � Amyg-dala, zum � Hippocampus und in verschie-dene Kortexareale.

Im Zusammenhang mit der Demenz vom Alzhei-mer-Typ (s.u.) ist bekannt, dass im Zuge der Er-krankung bevorzugt Neuronen im Frontalhirnuntergehen, die Zielgebiete cholinerger Fasernvom Nucleus basalis Meynert sind. Acetylcholinscheint also eine wichtige Bedeutung f�r kognitiveFunktionen zu haben, die dann bei der Demenznachlassen bzw. ausfallen. Die spezifische Rolleder cholinergen Neuronen im Frontalhirn, diesemh�chsten koordinierenden Areal, das z.B. f�r An-trieb, Handlungsplanung oder Arbeitsged�chtnissteht, ist noch nicht befriedigend gekl�rt.

DemenzVon einer Demenz spricht man, wenn der Verlustintellektueller F�higkeiten und das objektiv nach-

weisbare Nachlassen des Ged�chtnisses schon seitmindestens 6 Monaten deutlich vorhanden sindund dies zu Beeintr�chtigungen im Alltag f�hrt(nach ICD-10). Die Patienten werden zunehmendvergesslich und k�nnen neue Informationen nurnoch schlecht aufnehmen und behalten. Sie wer-den unsicher bei Handlungsabl�ufen, die sie vor-her problemlos ausgef�hrt haben. So verlaufen siesich z.B. immer h�ufiger – auch in der N�he ihrerWohnung.

Im fortgeschrittenen Stadium sind die Patien-ten orientierungslos und unselbst�ndig. Sie er-kennen selbst die n�chsten Angeh�rigen nichtmehr; sie wissen nicht mehr, wie alt sie sind undwelchen Beruf sie erlernt haben. Dar�ber hinauszeigt sich h�ufig eine emotionale Verflachungoder eine fehlende emotionale Kontrolle sowie ei-ne zunehmende Antriebsschw�che.

�bersicht

Die Hauptmerkmale der Demenz

P Verlust intellektueller F�higkeiten in einemAusmaß, dass die sozialen und beruflichenLeistungen kaum mehr bew�ltigt werdenk�nnen

P Objektiv nachweisbares Nachlassen des Ge-d�chtnisses (z.B. durch Hirnleistungstests),das zunehmend die Bew�ltigung von All-tagsaktivit�ten beeintr�chtigt

P St�rungen in mindestens einem der folgen-den Bereiche: abstraktes Denken, Urteilsver-m�gen, andere h�here kortikale Funktionen(z.B. Aphasie, Apraxie, Agnosie), Pers�nlich-keit

P Fehlen einer Bewusstseinstr�bungP Kein Hinweis auf eine andere, der Demenz

zugrunde liegende Grunderkrankung ur-s�chlichen organischen Faktors.

Bei der Schizophrenie d�rfte eine �berfunktionim dopaminergen System, prim�r vermittelt�ber den D2-Rezeptor, vorliegen. Weitere Neu-rotransmittersysteme, die bei der Schizophrenie

m�glicherweise dysfunktional arbeiten, sind dasserotonerge und das GABAerge System. Beidesind �ber zahlreiche Interaktionen an das dopa-minerge System gekoppelt.

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43921.1 Transmitterprozesse und psychische Erkrankungen

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Es handelt sich um eine chronische St�rung mitfortschreitend sich verschlechterndem Verlauf,die h�ufig im h�heren Lebensalter eintritt. DiePr�valenz eines manifesten Demenzsyndroms inder Bev�lkerung ist naturgem�ß deutlich alters-abh�ngig. In der Altersgruppe der 40- bis 64-J�h-rigen sind Demenzen noch sehr selten (Pr�valenzca. 0,1 bis 0,2 %). In der Altersspanne von 60 bis90 Jahren muss man von einer Verdoppelung derPr�valenz nach jeweils f�nf Altersjahren aus-gehen.Vaskul�re Demenz. Neben der Alzheimer-Er-krankung (s.u.) existiert eine weitere wichtigeForm der Demenz, die sog. vaskul�re Demenz.Deren Ursache ist eine Minderung der Blutver-sorgung im Gehirn, z.B. infolge von arteriosklero-tischen Gef�ßver�nderungen oder zahlreichenMikroinfarkten, die zu einem Untergang vonNervengewebe im Gehirn f�hrt. Diese ist aller-dings deutlich seltener als die Alzheimer-Demenz.Sie unterscheidet sich von dieser u.a. durch dieklinischen Merkmale und den Verlauf. �fter be-stehen in der Vorgeschichte transitorisch Attackenmangelnder Blutversorgung des Gehirns mit kur-zen Bewusstseinsst�rungen, fl�chtigen L�hmun-gen oder Einschr�nkungen der Sehsch�rfe.

Demenz vom Alzheimer-TypIn den westlichen L�ndern ist die � Alzheimer-Krankheit (Morbus Alzheimer; Demenz vom Alz-heimer Typ, DAT) die weitaus h�ufigste Demenz-form in der Altersgruppe der �ber 60-J�hrigen.Die Alzheimer-Krankheit ist also eine organischeSt�rung. In der Altersgruppe der 60- bis 69-J�h-rigen betr�gt die Pr�valenz 0,4 %, bei den 70- bis79-J�hrigen steigt sie auf ca. 3 %, um schließlichbei den 80- bis 98-J�hrigen einen Wert von10–11 % zu erreichen. Seit l�ngerem ist bekannt,dass hier ein ausgepr�gtes Defizit an Acetylcholinim Bereich des Kortex vorliegt (s.u.).

Die Diagnose der Alzheimer-Krankheit kannmit einiger Sicherheit vom niedergelassenen Arztgestellt werden. Typisch sind die Merkmale, wiesie in Tabelle 21.2 zur Stadieneinteilung der Alz-heimer-Erkrankung dargestellt sind. Die Diagno-se sollte stets durch standardisierte Testverfahren

zur Pr�fung der kognitiven Leistungsf�higkeituntermauert werden.

Die Gehirne verstorbener Alzheimer-Patientenzeigen eine generelle � Atrophie. Außerdem fin-den sich die sog. »amyloiden Plaques« (»Amy-loidfilamente«), das sind Verklumpungen von be-stimmten Proteinen. Diese zeigen sich zun�chstnur im Bereich des Riechhirns und im � Hippo-

Forscherpers�nlichkeit

Alois Alzheimer wurde am 14. Juni 1864 gebo-ren. Nach dem Studium der Medizin in Berlin,T�bingen und W�rzburg erstellte er 1887 seineDissertation »�ber die Ohrschmalzdr�sen«und wurde im Dezember 1888 Assistenzarzt ander »St�dtischen Heilanstalt f�r Irre und Epi-leptische« in Frankfurt am Main, sp�ter II. Arzt(Oberarzt). Der Ursprung der Bezeichnung»Morbus Alzheimer« geht auf den Fall einer51-j�hrigen Patientin zur�ck (»Frau AugusteD.«), die im November 1901 in der FrankfurterKlinik mit den Zeichen einer Demenz auf-genommen wurde. 1906 berichtete Alois Alz-heimer auf der »37. Tagung S�dwestdeutscherIrren�rzte« in T�bingen �ber diese Patientin.Sein Vortrag hatte den Titel »�ber eine eigen-artige Erkrankung der Hirnrinde«. Sp�ter wur-de die pr�senile Demenz auf Vorschlag vonEmil Kraepelin als »Morbus Alzheimer«bezeichnet. 1903 verließ Alois AlzheimerFrankfurt und siedelte �ber Heidelberg nachM�nchen um, um an der »K�niglichen Psy-chiatrischen Klinik« (Direktor: Emil Kraepe-lin) seine wissenschaftliche und �rztlicheT�tigkeit fortzusetzen. Unter seiner Leitungwurde das Labor an der M�nchner Klinikzu einem Zentrum histopathologischer For-schung. 1912 wurde Alois Alzheimer Direktorder Psychiatrischen- und Nervenklinik derSchlesischen Friedrich-Wilhelm-Universit�t inBreslau.Er starb am 19. Dezember 1915 in Breslau undfand seine letzte Ruhest�tte auf dem Haupt-friedhof in Frankfurt am Main.

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campus. Schließlich breiten sie sich allm�hlich�ber den gesamten Kortex aus. Dabei sind der� Temporallappen und der � Parietallappen be-sonders betroffen. Parallel zur Ablagerung derPlaques findet ein Untergang acetylcholinpro-duzierender Neuronen vor allem im Nucleus ba-

salis Meynert statt. Die genaue Ursache dieserVer�nderung der Hirnsubstanz ist noch unklar. Esk�nnte sich um eine multifaktorielle Genese, be-stehend aus einer Sch�digung durch Sauerstoff-radikale, einer Entz�ndungsreaktion mit Stimu-lierung von Mikrogliazellen sowie einen Mangel

Tabelle 21.2 Stadien der Alzheimer-Krankheit

Stadium ISelbst�ndige Lebensf�h-rung weitgehend erhalten

Stadium IISelbst�ndige Lebens-f�hrung eingeschr�nkt

Stadium IIISelbst�ndige Lebens-f�hrung aufgehoben

Zeitraum nach Auftretender Erkrankung

0 bis ca. 7 Jahre ca. 7 bis ca. 12 Jahre nach ca. 12 Jahren

Symptombereiche

Lernen und Ged�chtnis Speicherung und Abrufneuer Informationen er-schwert, jedoch auch Abrufvon alten Erinnerungen be-troffen

Hochgradige Vergesslich-keit, Erinnerung an eigeneBiographie verblasst

Alle h�heren psychischenFunktionen erl�schen all-m�hlich, die sprachlichen�ußerungen reduzierensich auf wenige W�rter.� Echolalie und � Logo-klonie treten auf. F�r nicht-verbale Kommunikationbleiben die Patienten emp-f�nglich

Denkverm�gen Bew�ltigung komplexerAufgaben nicht mehr m�g-lich, Arbeitsleistung nimmtab

Logisches Schließen, Erken-nen von Zusammenh�ngenund Planen erheblich ein-geschr�nkt

Sprache Wortfindung und Benen-nen erschwert, unpr�ziseAusdrucksweise, verringer-ter Mitteilungsgehalt

Paraphasien, � Persevera-tionen, floskelhafte Spra-che, reduzierter Informati-onsgehalt, F�higkeit desLesens und Schreibens gehtverloren

ZerebraleSehst�rungen

Erkennen von Gegenst�n-den erschwert

Vertraute Gesichter werdennicht mehr erkannt, � Ba-lint-Syndrom

R�umlicheLeistungen

Einsch�tzung r�umlicherVerh�ltnisse und Nach-zeichnen von geometri-schen Figuren erschwert

St�rungen der r�umlichenOrientierung, optische� Apraxie, St�rung visuellgeleiteter Handlungen

Praxie Ideomotorische Apraxie Ideatorische Apraxie

NichtkognitiveSymptome

Aspontaneit�t, Unsicher-heit, depressive Verstim-mungen, Stimmungslabili-t�t

Angstzust�nde, Wahnph�-nomene, illusion�re Ver-kennungen, � Capgras-Syndrom, ziellose Unruheoder Inaktivit�t, Tag-Nacht-Umkehr

Zeichen der Enthemmung,Unruhe, Teilnahmslosig-keit, Nesteln

NeurologischeSymptome

Keine Harninkontinenz Parkinson-�hnliche Moto-rik, Harn- und Stuhlinkon-tinenz, Schluckst�rungen,Krampfanf�lle

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44121.2 Psychopharmakotherapie

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am Nervenwachstumsfaktor (nerve growth factor,NGF) handeln. Ein genetischer Faktor d�rfte mithoher Wahrscheinlichkeit eine Rolle bei der Bil-dung der amyloiden Plaques spielen. Mehrerever�nderte Gene bei Erkrankten und deren Ange-h�rigen werden zur Zeit erforscht.

Die Behandlung der Alzheimer-DemenzEine Therapie der Alzheimer-Demez kann nurdas Fortschreiten der Krankheit verlangsamen, ei-ne Heilung ist derzeit nicht m�glich.

Hemmstoffe der Acetylcholinesterase, d.h.Wirkstoffe, die den Abbau von Acetylcholin ver-hindern und so zu einem vermehrten Angebotf�hren, zeigen Erfolge bei der Behandlung desMorbus Alzheimer. Sie k�nnen das Voranschrei-ten der Krankheit verz�gern. Jedoch spricht nurein Teil der Patienten auf diese Behandlung an.Der Nutzen einer cholinerg wirkenden medika-ment�sen Therapie f�r andere dementielle Er-krankungen ist noch nicht ausreichend nach-gewiesen.

Eine weitere Klasse von Medikamenten gegendie Alzheimer-Demenz bilden NMDA-Rezeptor-antagonisten (zum NMDA-Rezeptor s. Kap.24.4.1). Eine Substanz aus dieser Klasse (Meman-tine) ist seit 2002 im Handel. Es konnte in kli-nischen Studien gezeigt werden, dass sich da-durch kognitive Leistungen verbessern lassen,Alltagskompetenzen l�nger erhalten bleiben undsich Pflegezeiten reduzieren lassen.

Zusammenfassung

Im Neokortex ist das Acetylcholin einer der amweitesten verbreiteten Neurotransmitter. Defi-zite im cholinergen System spielen neben derParkinson-Erkrankung v.a. eine Rolle bei derAlzheimer-Demenz. In den Gehirnen verstor-bener Alzheimer-Patienten zeigt sich ein Un-tergang acetylcholinproduzierender Neuronenvor allem im Nucleus basalis Meynert. Hemm-stoffe der Acetylcholinesterase k�nnen denFortschritt der typischen Krankheitssymptomeverlangsamen.

21.2 Psychopharmakotherapie

21.2.1 Historie und Grundprinzipien derPsychopharmakotherapie

Die Psychiatrie hat sich seit der Verf�gbarkeitspezifischer psychopharmakologischer Therapie-verfahren enorm ver�ndert. Noch vor 70 Jahrenwurden psychisch Kranke �blicherweise in »Irren-anstalten« verwahrt. Die damalige Psychiatrie wardurch weitgehende Ratlosigkeit gepr�gt. Nichtselten wurden Therapieversuche mit Methodenunternommen, die f�r die Patienten durchaus ris-kant waren, die zu bleibenden Sch�digungen odergar zu Todesf�llen f�hren konnten.Psychotrope Substanzen und Psychopharmaka.Chemische Stoffe, die das Erleben und Verhaltenbeeinflussen k�nnen, nennt man psychoaktiveoder � psychotrope Substanzen. Dazu geh�renalle Drogen und Rauschmittel sowie z.B.Schmerzmittel und Narkotika. Auch Substanzen,deren Wirkung prim�r in der Peripherie liegt, dieaber auch zentralnerv�se Begleitprozesse aufwei-sen, sind i.Allg. psychoaktive Stoffe.

Psychopharmaka sind psychoaktive Substan-zen, die psychische Prozesse in der Weise modifi-zieren, dass ihr Einsatz beim psychisch Krankenzu einer Normalisierung der psychopathologi-schen Symptome f�hren kann.

Die Dauer von der Substanzzufuhr bis zumEintreten der ersten nachweisbaren psychischenVer�nderungen kann von wenigen Minuten – z.B.bei einigen Sedativa – bis hin zu Wochen oderMonaten – z.B. bei vielen Antidepressiva – rei-chen. Auch der Zeitraum und die St�rke derWirkung eines Medikaments sowie ggf. das Nach-lassen der Effekte kann sich zwischen den Sub-stanzen und auch zwischen den Patienten be-tr�chtlich unterscheiden.

Die Psychopharmakotherapie auf wissen-schaftlicher Basis ist vergleichsweise jung. Sie isterst in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts ent-standen und hat seitdem rasante Fortschritte ge-macht. Viele Psychopharmaka wurden durch Zu-fall entdeckt, indem z.B. nach Anwendung einesMedikaments f�r eine andere Indikationsstellungunerwartete Effekte auf das psychische Befinden

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zu beobachten waren. Die rasche Weiterentwick-lung der Grundlagenkenntnisse auf dem Gebietder Neurochemie f�hrte dazu, dass sich das Wis-sen �ber die Wirkungsweise der einzelnen Sub-stanzen st�ndig erweiterte und dass man sehr ge-zielt neue Psychopharmaka entwickeln konnte.Dies hat vor allem dazu gef�hrt, dass sich die Ne-benwirkungen der �lteren Psychopharmaka deut-lich reduzieren ließen.�ber Pr�fverfahren zur Zulassung als Arznei-mittel. Auch Psychopharmaka durchlaufen, wiejedes andere neue Medikament, vor ihrer Zulas-sung aufw�ndige und mehrstufige Pr�fphasen,die vom Tierversuch bis hin zur klinischen Er-probung und zur Anwendungsbeobachtung imPraxisalltag reichen. Hier gilt es prim�r, dieWirksamkeit und die Sicherheit einer Substanzzu belegen. Da bei Psychopharmaka der Plaze-boeffekt besonders ausgepr�gt ist, muss durchDoppelblindstudien – weder der Arzt noch derPatient weiß, ob ein Plazebo oder eine Wirksub-stanz verabreicht wird – ein Unterschied zwi-schen einem tats�chlichen Medikamenteneffektund dem Plazeboeffekt nachgewiesen werden. Je-

des neue Medikament wird nur f�r solche Indi-kationen zugelassen, f�r die seine Wirksamkeitauch belegt ist. H�ufig wird f�r eine bestimmtepsychische St�rung auch ein kontrollierter Ver-gleich zwischen der neuen Substanz und bereitsetablierten Psychopharmaka und/oder bestimm-ten psychotherapeutischen Verfahren vorgenom-men.Zielgerichteter Einsatz. Im Praxisalltag erfordertder Einsatz und die Dosierung der verschiedenenPr�parate großes medizinisches und pharmakolo-gisches Wissen. Meist muss die Dosierung sehrindividuell auf den einzelnen Patienten abge-stimmt werden k�nnen. Nur dann gelingt es, einebefriedigende Wirkung bei Minimierung von Ne-benwirkungen zu erzielen. Psychopharmaka k�n-nen die Wirksamkeit psychotherapeutischer Ver-fahren u.U. erh�hen. H�ufig werden beideMethoden auch kombiniert.

Fast alle Psychopharmaka wirken im Bereichder neuronalen Synapse. Hier k�nnen sie einer-seits die Erregungs�bertragung von einem Neu-ron zum anderen beeinflussen, andererseits auchbestimmte neurochemische Prozesse in der sub-

Exkurs

Historische TherapiemethodenEinige Beispiele f�r fr�here »Therapie«-Formensollen die Hilflosigkeit der damaligen Psychiatrieund eine teilweise frappierende Sorglosigkeit ge-gen�ber potentiell sch�dlichen Begleiteffektenverdeutlichen.Insulinkoma-, Schlaf-, Liquorentzugs-therapie und Lobotomie. Bei der Insulinkoma-therapie wurden die Patienten durch hohe Insu-lindosen in ein Koma versetzt. Dieses diente ei-nerseits der Ruhigstellung, andererseits erhoffteman sich davon eine positive Langzeitwirkung.Die schwere Unterzuckerung des Blutes hattenicht selten bleibende Sch�digungen des Ge-hirns zur Folge. Ebenfalls zur Induzierung einerBewusstlosigkeit diente die sog. Schlaftherapie.Die Patienten wurden hierzu f�r f�nf bis zehnTage in eine tiefe Dauernarkose versetzt. Bei bei-

den Verfahren lag die Sterblichkeitsrate bei ca.10 %. �hnlich riskant und in ihrer Wirkung un-vorhersehbar waren Verfahren wie die Liquo-rentzugstherapie und die Lobotomie. Bei der Li-quorentzugstherapie wurde Gehirnfl�ssigkeitentnommen und das frei werdende Volumenmit Luft aufgef�llt. Die Lobotomie ist ein psy-chochirurgisches Verfahren, bei dem Nervenfa-sern im Frontalhirnbereich durchtrennt werden.Lobotomien wurden in der Zeit zwischen 1945und 1955 in großer Zahl v.a. in den USA durch-gef�hrt. Auch hier war das Therapieziel nur sel-ten erreichbar. H�ufig kam es zu schweren Kom-plikationen bis hin zu Todesf�llen. Oft warenauch schwerste psychische Ver�nderungen beiden Patienten die Folge.

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44321.2 Psychopharmakotherapie

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synaptischen Zelle anstoßen. Beispiele f�r ver-schiedene Wirkorte im Zusammenhang mit un-terschiedlichen synaptischen Elementen sind inAbbildung 21.5 dargestellt.

Besonders h�ufig finden sich folgende Mecha-nismen:

(1) Das Pharmakon dockt, �hnlich dem hier na-t�rlich vorkommenden Transmitter, an Re-zeptoren der postsynaptischen Seite an. Hiergibt es zwei m�gliche Effekte:(a) Es kann eine agonistische, der Originalsub-

stanz �hnliche Wirkung ausgel�st werden.

(b) Der Rezeptor wird lediglich besetzt, wo-mit er f�r den eigentlichen Transmitterals Andockstelle nicht mehr zur Ver-f�gung steht. In diesem Fall wirkt dasPharmakon antagonistisch, d.h. dem Ori-ginaltransmitter entgegengesetzt.

(2) Infolge der Medikamenteneinwirkung ver-weilt die Transmittersubstanz l�nger im sy-naptischen Spalt und kann damit auch l�ngerihre Wirkung an den Rezeptoren der Post-synapse aus�ben. Dies kann durch Hemmungder Wiederaufnahme in die pr�synaptischeEndigung geschehen.

Exkurs

Eine Studie zum Einsatz von Psychotherapie bzw. Pharmakotherapie bei Depression(�bersetzung des Abstracts aus New England Journal of Medicine, 2000, 342, 1462–1470)

Hintergrund. Patienten mit chronischen Ver-laufsformen der major depression sind schwierigzu behandeln und die relative Wirksamkeit vonMedikamenten und Psychotherapie ist unsicher.Methode. Es wurden 681 Erwachsene mit chro-nischer, nichtpsychotischer schwerer Depressionin drei Gruppen eingeteilt. Sie nahmen entwederzw�lf Wochen lang in ambulanter BehandlungNefazodon ein (maximale Dosis 600 mg proTag) oder wurden mit einer standardisiertenForm kognitiver Verhaltenstherapie behandelt(16 bis 20 Sitzungen) oder sie erhielten beides.Zu Beginn hatten alle Patienten in der HamiltonRating Scale for Depression Werte von mindes-tens 20, was eine klinisch signifikante Depressi-on bedeutet. Remission (= Abklingen derKrankheit) wurde als ein Wert von 8 oder da-runter in der 10. und 12. Woche definiert. F�rPatienten, bei denen keine Remission eintrat,wurde eine Reduktion des Werts um mindestens50 % und ein Wert von 15 oder darunter als einzufriedenstellendes Ansprechen auf die Therapiefestgelegt. Der Test wurde von Personen durch-gef�hrt, die nicht wussten, welcher Therapie-form die Patienten sich unterzogen.Ergebnisse. Von den 681 Patienten besuchten

662 mindestens eine Behandlungssitzung undgingen in die Datenanalyse ein. Die Ansprechrateinsgesamt – also Remission und zufriedenstellen-des Ansprechen – betrug sowohl in der Nefazo-don-Gruppe sowie der Psychotherapie-Gruppe48 %, verglichen mit 73 % in der Gruppe mit derkombinierten Therapie (p<0.001 f�r beide Ver-gleiche). Unter den 519 Personen, welche die Stu-die beendeten, betrugen die Ansprechraten 55 %in der Nefadozon-Gruppe und 52 % in der Psy-chotherapie-Gruppe, verglichen mit 85 % in derGruppe mit der kombinierten Therapie (p<0.001f�r beide Vergleiche). Die Abbruchraten in dendrei Gruppen waren �hnlich. Beschwerden inder Nefadozon-Gruppe deckten sich mit denbekannten Nebenwirkungen des Medikaments(z.B. Kopfschmerz, Schl�frigkeit, trockenerMund, �belkeit und Schwindelgef�hl).Folgerungen. Obwohl ungef�hr die H�lfte derPatienten mit chronischen Formen der majordepression auf eine kurzzeitige Behandlung mitentweder Nefazodon oder einer kognitiven Ver-haltenstherapie anspricht, ist die Kombinationbeider Verfahren signifikant effektiver als eineBehandlungsform allein.

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444 21 Psychische St�rungen – Transmitterprozesse und Psychopharmakotherapie

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(3) Eine andere M�glichkeit, mehr Transmitterverf�gbar zu machen, besteht in der Hem-mung des Abbaus der Transmittersubstanz.Dies geschieht z.B. dann, wenn das Pharma-kon ein abbauendes Enzym blockiert und da-mit dessen Funktion ausschaltet.

(4) Es kann die Empfindlichkeit der postsynapti-schen Rezeptoren ver�ndert werden. So kannein Medikament an einem spezifischen Re-zeptor an der Postsynapse andocken, wo-durch Mechanismen innerhalb des Zielneu-rons ausgel�st werden, die sekund�r dieRezeptoren f�r die eigentliche Transmitter-substanz empf�nglicher machen.

(5) Die Substanz wirkt auf Autorezeptoren an derpr�synaptischen Endigung. Werden diese z.B.

blockiert, so fehlt die R�ckmeldung �ber dieKonzentration des Neurotransmitter in derUmgebung und es findet eine vermehrte Aus-sch�ttung statt.

(6) Durch die medikament�se Beeinflussung vonSecond-messenger-Systemen kann die Wir-kung der Transmittersubstanz bei Bindung anihren Rezeptor ver�ndert werden.

Zusammenfassung

Seit etwa 50 Jahren kennt man die Behand-lung psychischer Krankheiten mit Pharmaka.Davor gab es keine zuverl�ssige Therapie beischweren psychischen St�rungen. Psychophar-maka entfalten ihre Wirkung auf der Ebene

E

Second messenger

Die Substanz dockt an denRezeptoren an und aktiviertdiesen agonistisch

Die Substanz wirkt auf Auto-rezeptoren an der präsynap-tischen Endigung

Der Rezeptor wird besetztund ist für den Transmitterblockiert (Antagonismus)

Die Empfindlichkeit der Rezep-toren kann verändert werden

Der Abbau des Transmitterswird gehemmt, er verweiltlänger im Spalt

Ein Second-messenger-System wirdbeeinflusst, die Wirkung der Transmitter-substanz bei Bindung an ihren Rezeptorwird verändert

Durch Hemmung der Wieder-aufnahme verweilt der Trans-mitter länger im synaptischenSpalt

Abbildung 21.5 Beispiele f�r synaptische Wirkortevon Psychopharmaka

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44521.2 Psychopharmakotherapie

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der Neurotransmission. Sie k�nnen z.B. dieMenge eines im synaptischen Spalt verf�gbarenNeurotransmitters steigern oder reduzieren, anpostsynaptischen oder pr�synaptischen Rezep-toren andocken, hier agonistisch oder antago-nistisch wirken oder in der subsynaptischenZelle sekund�re Transmitterwirkungen verst�r-ken oder d�mpfen.

21.2.2 AntidepressivaUnter Antidepressiva oder � Thymoleptika ver-steht man Wirkstoffe, die in der Lage sind, Symp-tome der Depression zu bessern. Ihr Wirkungs-profil ist durchaus unterschiedlich. Zwar sind alledepressionsl�send und stimmungsaufhellend, je-doch nehmen sie auf den Achsen »aktivierend –d�mpfend«, »antriebssteigernd – antriebshem-mend« und »angststeigernd – angstd�mpfend«unterschiedliche Positionen ein.

�bersicht

AntidepressivaklassenZu den Antidepressiva geh�ren verschiedeneKlassen von Medikamenten. Diese lassen sicheinteilen in:

P Trizyklische Antidepressiva (TZA)P Monoaminoxidasehemmer (MAO-Hem-

mer)P Selektive Serotonin-reuptake-Inhibitoren

(SSRI)P Selektive Noradrenalin-reuptake-Inhibitoren

(SNRI)P Noradrenalin-plus-Serotonin-selektive-

reuptake-Inhibitoren (NaSSRI)Hypericin(Johanniskraut)

P Tryptophan.

Welches Medikament bei welchem Patienten ein-zusetzen ist, richtet sich einerseits nach dem kli-nischen Bild, d.h. der individuellen Symptomatikdes Patienten, andererseits nach der Vertr�glich-keit bei dieser Person. So kann ein Medikament

f�r einen bestimmten Patienten aufgrund der bio-chemischen Beschaffenheit seines Organismusschlecht vertr�glich sein, w�hrend bei einem an-deren Patienten dasselbe Mittel seine volle Wir-kung bei sehr guter Vertr�glichkeit entfaltet. ImHinblick auf Vertr�glichkeit und Wirksamkeitspielen bei Psychopharmaka in besonderem Maßedie Einstellungen des Patienten zur Krankheitund zum Pr�parat eine wichtige Rolle. Dies kanndurchaus substantielle Effekte nach sich ziehen(vgl. Plazeboeffekt), die auch therapeutisch rele-vant sein k�nnen.

Trizyklische AntidepressivaDie am weitesten verbreitete Klasse von Antide-pressiva sind die trizyklischen Antidepressiva(TZA) oder Trizyklika. Den Namen haben sie auf-grund ihrer biochemischen Gestalt (s. Abb. 21.6)aus drei Kohlenstoffringen. Das �lteste bekannteAntidepressivum ist das 1957 durch den Schwei-zer Psychiater Roland Kuhn entdeckte Imipramin(Tofranil�). Es wird auch heute noch verschrie-ben.Wirkmechanismus. Die Trizyklika wirken hem-mend sowohl auf die Wiederaufnahme vonNoradrenalin als auch von Serotonin in die pr�-synaptische Endigung. Außerdem k�nnen Tri-zyklika adrenerge Rezeptoren, muskarinische Ace-tylcholinrezeptoren sowie Histaminrezeptorenblockieren. In geringerem Maße scheinen einigeTrizyklika auch das dopaminerge System zu be-einflussen. Obwohl ihre Wirkung an der Synapsesehr schnell einsetzt, tritt ihre stimmungsaufhel-lende Wirkung meist erst nach Tagen oder Wo-chen ein. Bei gesunden Menschen heben sie inte-ressanterweise die Stimmung nicht an.Beachtung von Wirkungsunterschieden. Dieeinzelnen trizyklischen Antidepressiva beeinflus-sen die beteiligten Transmittersysteme – das sero-tonerge, adrenerge, cholinerge und dopaminerge– unterschiedlich stark. Vermutlich kann hierausihre unterschiedliche klinische Wirkung abgeleitetwerden. So f�rdern einige Trizyklika wie z.B. De-sipramin (Pertofran�) eher den Antrieb und diePsychomotorik, w�hrend Amitriptylin (Saroten�)vor allem einen anxiolytischen (angstl�senden)