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Fachthemen DOI: 10.1002/stab.201310035 378 © Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · Stahlbau 82 (2013), Heft 5 DOI: 10.1002/stab.201310035 Simulation der Lebensdauer von Stahltragwerken unter Einbeziehung bruchmechanischer Konzepte Gerhard Lener Daniel Reiterer Die Beurteilung der Nutzungsdauer bestehender Stahltragwerke rückt durch die zunehmende Bedeutung der Bauwerkserhaltung und Bauwerksmodernisierung immer mehr in den Vordergrund. Die Hauptursache der Schäden an bestehenden Stahlkonstruk- tionen unter zyklischer Beanspruchung ist die Materialermüdung. Da Stahlkonstruktionen im Allgemeinen fehlertolerant sind, er- streckt sich deren mögliche Nutzungsdauer nicht nur auf die Lebensdauer bis zum technischen Anriss. Aus wirtschaftlichen Gründen kann auch die anschließende Rissfortschrittsphase ge- nutzt werden. In diesem Beitrag wird entwickelte Software zur Simulation der Rissfortschrittsphase und deren Anwendung an realen Bauteilen vorgestellt. Simulation of the service life of steel constructions including fracture-mechanics concepts. The assessment of the total ser- vice life cycle of steel constructions will become much more im- portant by the increasing meaning of building preservation and building modernization. The main cause for failure of existing structural steel constructions under cyclic loading is material fatigue. Most steel constructions are failure tolerant. This be- haviour can be considered for economic reasons by including the crack propagation phase into the assessment. This paper will present developed software tools and results of executed simula- tions of the crack propagation phase on real steel structures. 1 Einleitung In Zukunft wird die Bauwerkserhaltung und Bauwerksmo- dernisierung gegenüber Neubauten in den Vordergrund rücken. Damit verbunden ist die möglichst genaue Erfas- sung der Restlebensdauer bestehender Tragwerke. Unter Vernachlässigung der Korrosion ergibt sich die Gesamtle- bensdauer eines Tragwerkes als Summe der Lebensdauer bis zum technischen Anriss und der Restlebensdauer (Bild 1). Der erste Abschnitt wird rechnerisch durch die Konzepte der Betriebsfestigkeit abgedeckt. Für den anschließenden Zeitraum der Restlebensdauer gelten die Gesetzmäßigkei- ten des Makrorisswachstums, wofür bruchmechanische Konzepte eingesetzt werden. Bei Stahlkonstruktionen kommt der Ermittlung der Restlebensdauer Bedeutung zu, wenn betriebsbedingte Schäden in der Konstruktion eine Entscheidung über Sa- nierung, einen teilweisen oder gänzlichen Ersatz des betrof- fenen Bauwerkes erforderlich machen oder zur Beurteilung der Tragfähigkeit von Bauwerken, die bereits vor oder bei erster Inbetriebnahme Risse oder Fehlstellen aufweisen. In der Literatur sind zahlreiche Ansätze zu finden, die sich mit der Bewertung der Restlebensdauer beschäftigen. Dabei wird in der Regel von Detailbetrachtungen ausgegan- gen, d. h. kritische Bauteile werden isoliert betrachtet und mit einfachen bruchmechanischen Gesetzen und bruchme- chanischen Modellbildungen die Rissfortschrittsberechnung bis zum Grenzzustand durchgeführt. Die Übertragung der geometrischen Randbedingungen auf einfache geometrische Rissmodelle und die Abbildung der im Bauteil vorhande- nen Beanspruchung kann sich bei komplexen Bauwerken aber als sehr schwierig erweisen. Bei allgemeiner Bauteil- belastung tritt beim Rissfortschritt nicht nur eine Risslän- genänderung, sondern auch eine Rissrichtungsänderung auf, die einen Einfluss auf das Rissmodell und die Randbedin- gungen haben kann. Zudem können bei Systemen im Laufe des Rissfortschrittes Spannungsumlagerungen entstehen. Bei Vorhandensein mehrerer Risse sollte daher die Rissfort- schrittsberechnung unter Einbeziehung einer möglichen gegenseitigen Beeinflussung der einzelnen Risse durchge- führt werden. Für die Lösung dieser Aufgaben ist entsprechende Soft- ware erforderlich. In diesem Beitrag wird über den Stand der Entwicklung von Software zur Simulation des Rissfort- schrittes zyklisch beanspruchter Metallkonstruktionen an der Universität Innsbruck berichtet. Die entwickelte Soft- ware wurde im FE-Programm ANSYS [12] unter Verwen- dung der Skriptsprache APDL (Ansys Parametric Design Language) erstellt, die einen semiautomatischen Ablauf der Rissfortschrittssimulation erlaubt. Bild 1. Gesamtlebensdauer eines Tragwerkes [1] Fig. 1. Total service life time of a structure [1]

Simulation der Lebensdauer von Stahltragwerken unter Einbeziehung bruchmechanischer Konzepte

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Page 1: Simulation der Lebensdauer von Stahltragwerken unter Einbeziehung bruchmechanischer Konzepte

Fachthemen

DOI: 10.1002/stab.201310035

378 © Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · Stahlbau 82 (2013), Heft 5

DOI: 10.1002/stab.201310035

Simulation der Lebensdauer von Stahltragwerken unter Einbeziehung bruchmechanischer Konzepte

Gerhard LenerDaniel Reiterer

Die Beurteilung der Nutzungsdauer bestehender Stahltragwerke rückt durch die zunehmende Bedeutung der Bauwerkserhaltung und Bauwerksmodernisierung immer mehr in den Vordergrund. Die Hauptursache der Schäden an bestehenden Stahlkonstruk­tionen unter zyklischer Beanspruchung ist die Materialermüdung. Da Stahlkonstruktionen im Allgemeinen fehlertolerant sind, er­streckt sich deren mögliche Nutzungsdauer nicht nur auf die Lebensdauer bis zum technischen Anriss. Aus wirtschaftlichen Gründen kann auch die anschließende Rissfortschrittsphase ge­nutzt werden. In diesem Beitrag wird entwickelte Software zur Simulation der Rissfortschrittsphase und deren Anwendung an realen Bauteilen vorgestellt.

Simulation of the service life of steel constructions including fracture-mechanics concepts. The assessment of the total ser­vice life cycle of steel constructions will become much more im­portant by the increasing meaning of building preservation and building modernization. The main cause for failure of existing structural steel constructions under cyclic loading is material fatigue. Most steel constructions are failure tolerant. This be­haviour can be considered for economic reasons by including the crack propagation phase into the assessment. This paper will present developed software tools and results of executed simula­tions of the crack propagation phase on real steel structures.

1 Einleitung

In Zukunft wird die Bauwerkserhaltung und Bauwerksmo-dernisierung gegenüber Neubauten in den Vordergrund rücken. Damit verbunden ist die möglichst genaue Erfas-sung der Restlebensdauer bestehender Tragwerke. Unter Vernachlässigung der Korrosion ergibt sich die Gesamtle-bensdauer eines Tragwerkes als Summe der Lebensdauer bis zum technischen Anriss und der Restlebensdauer (Bild 1). Der erste Abschnitt wird rechnerisch durch die Konzepte der Betriebsfestigkeit abgedeckt. Für den anschließenden Zeitraum der Restlebensdauer gelten die Gesetzmäßigkei-ten des Makrorisswachstums, wofür bruchmechanische Konzepte eingesetzt werden.

Bei Stahlkonstruktionen kommt der Ermittlung der Restlebensdauer Bedeutung zu, wenn betriebsbedingte Schäden in der Konstruktion eine Entscheidung über Sa-nierung, einen teilweisen oder gänzlichen Ersatz des betrof-fenen Bauwerkes erforderlich machen oder zur Beurteilung der Tragfähigkeit von Bauwerken, die bereits vor oder bei erster Inbetriebnahme Risse oder Fehlstellen aufweisen.

In der Literatur sind zahlreiche Ansätze zu finden, die sich mit der Bewertung der Restlebensdauer beschäftigen. Dabei wird in der Regel von Detailbetrachtungen ausgegan-gen, d. h. kritische Bauteile werden isoliert betrachtet und mit einfachen bruchmechanischen Gesetzen und bruchme-chanischen Modellbildungen die Rissfortschrittsberechnung bis zum Grenzzustand durchgeführt. Die Übertragung der geometrischen Randbedingungen auf einfache geometrische Rissmodelle und die Abbildung der im Bauteil vorhande-nen Beanspruchung kann sich bei komplexen Bauwerken aber als sehr schwierig erweisen. Bei allgemeiner Bauteil-belastung tritt beim Rissfortschritt nicht nur eine Risslän-genänderung, sondern auch eine Rissrichtungsänderung auf, die einen Einfluss auf das Rissmodell und die Randbedin-gungen haben kann. Zudem können bei Systemen im Laufe des Rissfortschrittes Spannungsumlagerungen entstehen. Bei Vorhandensein mehrerer Risse sollte daher die Rissfort-schrittsberechnung unter Einbeziehung einer möglichen gegenseitigen Beeinflussung der einzelnen Risse durchge-führt werden.

Für die Lösung dieser Aufgaben ist entsprechende Soft-ware erforderlich. In diesem Beitrag wird über den Stand der Entwicklung von Software zur Simulation des Rissfort-schrittes zyklisch beanspruchter Metallkonstruktionen an der Universität Innsbruck berichtet. Die entwickelte Soft-ware wurde im FE-Programm ANSYS [12] unter Verwen-dung der Skriptsprache APDL (Ansys Parametric Design Language) erstellt, die einen semiautomatischen Ablauf der Rissfortschrittssimulation erlaubt.

Bild 1. Gesamtlebensdauer eines Tragwerkes [1]Fig. 1. Total service life time of a structure [1]

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G. Lener/D. Reiterer · Simulation der Lebensdauer von Stahltragwerken unter Einbeziehung bruchmechanischer Konzepte

379Stahlbau 82 (2013), Heft 5

gerichteter Belastung der Rissbänder. Modus III beschreibt eine Relativverschiebung in z-Richtung (tangential zur Riss-front) infolge nicht ebener Schubbeanspruchungen. Unter Voraussetzung durchgehender Risse in dünnwandigen Stahl-konstruktionen sind nur Modus I und Modus II relevant.

Nach Irwin [2] ist die Intensität der Singularität der Spannungen durch die Spannungsintensitätsfaktoren KI, KII und KIII bestimmt. Diese hängen von der Geometrie des Körpers, der Form des Risses und von der Belastung ab (Bild 3). Sofern die Verformungen oder Spannungen be-kannt sind, können die Spannungsintensitätsfaktoren be-rechnet werden.

K r und K rI r y II r xy= ⋅ ⋅ = = ⋅ ⋅ =→ →

lim ( ) lim ( )0 0

2 0 2 0π σ ϕ π τ ϕ

(1)

Die Spannungsintensität KI wird üblicherweise wie folgt dargestellt:

K Y aI = ⋅ ⋅σ π (2)

In Gl. (2) bedeuten s die aufgebrachte Spannung, a die Riss-länge und Y eine Funktion zur Erfassung der Risslänge und der Geometrie. Der Spannungsintensitätsfaktor (SIF) ist un-abhängig vom Werkstoff.

Für einfache Rissprobleme existieren Handrechenfor-meln zur Berechnung der SIF. Für allgemeine Fälle lassen sich die SIF durch FE-Berechnungen aus den Knotenver-schiebungen im Bereich der Rissspitze nach Gln. (3) und (4) ermitteln. Das Programm ANSYS stellt dazu spezielle sin-guläre Viertelpunktelemente zur Vernetzung der Rissspitze und eigene Befehle zur Ermittlung der SIF zur Verfügung (s. Bild 4).

K GL

v v v vIQ

B D C E=+

⋅ ⋅ −( ) − −( )⎡⎣

⎤⎦κ

π1

2 4 ' ' ' '

(3)

K GL

u u u uIIQ

B D C E=+

⋅ ⋅ −( ) − −( )⎡⎣

⎤⎦κ

π1

2 4 ' ' ' '

(4)

mit LQ Länge des Viertelpunktelementes entlang der Riss-

front u´, v´ Verschiebungen der Knoten

Da Stahltragwerke meist aus dünnwandigen Blech-konstruktionen bestehen, lassen sich diese mittels der Finite-Elemente-Methode (FEM) sehr gut über räumliche Schalen-modelle abbilden. Die vorgestellten Verfahren beschränken sich auf räumliche Schalenmodelle und isotropen Werkstoff. Bei der Rissform werden keine linsenförmigen Oberflächen-risse sondern ausschließlich durchgehende Risse betrachtet.

Auf dem Niveau der Ermüdungslasten von hochzy-klisch beanspruchten Bauteilen wird im Regelfall die Streck-grenze nicht überschritten. Die bruchmechanische Beurtei-lung kann daher unter der Voraussetzung, dass die Größen der plastischen Zonen an den Rissspitzen gegenüber den Bauteilabmessungen klein sind, nach den Regeln der linear elastischen Bruchmechanik (LEBM) erfolgen.

2 Rissfortschrittssimulation – Restlebensdauer2.1 Konzept der Rissfortschrittssimulation

Zur Ermittlung der Restlebensdauer bedarf es einer Simula-tion des Rissfortschrittes unter Berücksichtigung der auf das Bauteil einwirkenden Belastungen. Dazu müssen die Riss-fortschrittsrate und die Rissrichtung ermittelt werden. Zu-dem muss die Rissverlängerung mit dem entsprechenden Rissablenkungswinkel in die bestehende Struktur bzw. in das bestehende FE-Modell integriert werden. Grundlage für die bruchmechanische Rissfortschrittsrechnung bilden dabei die Spannungsintensitätsfaktoren K an der Rissspitze bzw. deren Schwingbreiten DK. In Abhängigkeit von den vorhandenen Materialparametern können verschiedene Rissfortschrittsge-setze gewählt werden. Mit den entwickelten Routinen lassen sich Effekte wie Rissschließen oder die Mittelspannungsab-hängigkeit bei der Rissfortschrittsberechnung berücksichti-gen. Im Folgenden werden Zusammenhänge aus der Bruch-mechanik nur in der Tiefe beschrieben, wie dies für mit der Bruchmechanik weniger vertraute Leser erforderlich scheint.

2.2 Linear elastische Bruchmechanik (LEBM)

Der Vorgang des Risswachstums ist durch die Relativbewe-gung der beiden Rissufer zueinander bestimmbar und es lässt sich jede beliebige räumliche Verschiebung aus drei Grundfällen zusammensetzen. Diese drei Rissöffnungsmo-delle werden als Modus I, Modus II und Modus III bezeich-net (Bild 2).

Modus I beschreibt eine zur x-z-Ebene symmetrische Rissöffnung und ist charakteristisch für das Verhalten von Rissen unter ein- bzw. zweiachsigen Zugbeanspruchungen. Bei Modus II tritt eine antisymmetrische Separation der Riss ufer durch Relativverschiebungen in x-Richtung auf, her-vorgerufen durch ebene Schubspannungen oder entgegen

Bild 2. Basis Riss öffnungsarten Fig. 2. Basic fracture modes

Bild 3. Spannungskomponenten an der RissspitzeFig. 3. Stress components at crack tip

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G. Lener/D. Reiterer · Simulation der Lebensdauer von Stahltragwerken unter Einbeziehung bruchmechanischer Konzepte

380 Stahlbau 82 (2013), Heft 5

2.3.1 Kriterium der maximalen Umfangsspannung

Nach [4] gilt für den Rissablenkungswinkel

(7)ϕ01

2

2 14

14

8= −⎛

⎝⎜⎞

⎠⎟+

⎢⎢⎢

⎥⎥⎥

−tanKK

KK

für KI

II

I

IIIII

I

II

I

II

tanKK

KK

>

= +⎛

⎝⎜⎞

⎠⎟+

⎢⎢⎢

⎥⎥

0

2 14

14

801

2

ϕ⎥⎥

<

= =

für K

K

II

II

0

00ϕ

2.3.2 Bruchkriterium nach Richard

Beim Bruchkriterium nach Richard [5] handelt es sich um ein empirisches Konzept. Ausgehend von dem allgemeinen Ansatz für den Mixed-Mode-Zustand gilt

KK

KK

I

Ic

u

II

IIc

v⎛

⎝⎜⎞

⎠⎟+

⎝⎜⎞

⎠⎟= 1

(8)

mit den Exponenten u = 1 und v = 2. Der Rissablenkungs-winkel beträgt

(9)ϕ0

2

= ±+

++

⎝⎜⎜

⎠⎟⎟

⎢⎢⎢

⎥⎥⎥

AK

K KB

K

K KII

I II

II

I II

wobei sich mit A = 140° und B = –70° ausreichend genaue Lösungen ergeben [7]. Für KII <  0 ergibt sich j0 > 0° und j0 < 0° für KII >  0.

2.3.3 Kinkenmodell

Beim Kinkenmodell wird davon ausgegangen, dass die Riss spitze unter einer Mode I-Mode II-Belastung abknickt (Bild 6).

Gemäß Hussain, Pu und Underwood bildet sich der Kinken unter demjenigen Winkel aus, für den die Energie-freisetzungsrate G = (k2

I + k2II)/E′ maximal ist. Wenn diese

Energiefreisetzungsrate einen kritischen Wert Gc = K2Ic/E′

erreicht, setzt das Risswachstum ein. Somit lautet das Rich-tungs- und Versagenskriterium

dGdϕ

ϕ= →0 0 (10)

Zusätzlich gilt für den ebenen Verzerrungszustand (EVZ) k = 3 – 4 m und für den ebenen Spannungszustand (ESZ) k = (3 – m)/(1 +  m), wobei µ die Querdehnzahl bedeutet.

Im entwickelten Programm wurde nicht auf die vor-handenen Befehle in ANSYS zurückgegriffen, da diese die SIF ohne Vorzeichen ausgeben, sondern eigene Routinen programmiert, welche KI und KII mit jeweiligen Vorzeichen liefern. Größe und Vorzeichen von KII liefert die notwendi-gen Informationen zur Ermittlung der Rissfortschrittsrich-tung. Negative KI bedeuten eine Überlappung, was physika-lisch nicht möglich ist und daher die Information über ein Rissschließen darstellt.

Mit dem SIF steht eine Größe zur Verfügung, die zur Formulierung eines Bruchkriteriums herangezogen wer-den kann. Wird ein kritischer werkstoffabhängiger Wert KIc, auch Bruchzähigkeit genannt, überschritten, so liegt in der Prozesszone ein kritischer Zustand vor, welcher zum Bruch führt. Für Modus I-Zustand gilt folgendes Bruchkri-terium

K KI Ic= (5)

Bei einer gemischten Beanspruchung (Mixed-Mode) wird der Bruch durch den Einfluss aller Modi bestimmt. Hierzu existieren diverse Bruchkriterien wie z. B. das Kriterium nach Richard [5].

2.3 Rissfortschrittsrichtung bei Mixed-Mode-Beanspruchung

Bei Mixed-Mode-Beanspruchung stellt sich die Rissfort-schrittsrichtung unter einem bestimmten Winkel j0 zur Tangente an der Rissspitze ein (Bild 5).

In der Fachliteratur existieren diverse Angaben zur Be-stimmung des Rissablenkungswinkels j0, welche aus den Mixed-Mode-Bruchkriterien abgeleitet wurden [3].

f K KI II( , ) = 0

(6)

An dieser Stelle werden einige Formulierungen angeführt, welche in der entwickelten Software inkludiert wurden.

Bild 4. Viertelpunktelemente mit den Knoten entlang der RissfrontFig. 4. Singular elements with nodes at quarter points along crack front

Bild 5. Rissausbreitung bei gemischter Beanspruchung [3]Fig. 5. Crack propaganda for mixed-mode loadings [3]

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G. Lener/D. Reiterer · Simulation der Lebensdauer von Stahltragwerken unter Einbeziehung bruchmechanischer Konzepte

381Stahlbau 82 (2013), Heft 5

spannungsintensitätsfaktor Kv,max bzw. KI,max bei Modus I-Zustand die Risszähigkeit KIc überschreitet. In der nach- folgenden Abbildung ist der Verlauf der Rissfortschrittsge-schwindigkeit in Abhängigkeit der Schwingbreite des Spannungsintensitätsfaktors doppeltlogarithmisch für eine Modus-I-Belastung aufgetragen (Bild 7).

Für den Zusammenhang von Rissfortschritt pro Last-wechsel und Schwingbreite der Spannungsintensität existie-ren in der Literatur mehrere Ansätze [7]. Das Paris-Gesetz ist eines der ersten Ausbreitungsgesetze und beschreibt den Bereich 2 gemäß Bild 7.

(15)

dadN

C K für K K

dadN

für K K

mth

th

= ⋅ >

= ≤

Δ Δ Δ

Δ Δ0

In Gl. (15) sind C und m sowie der Schwellenwert DKth werkstoffabhängige Kenngrößen. Das folgende, von Forman, Newman und de Koning entwickelte und von Forman und Mettu veröffentlichte Rissfortschrittsgesetz wird auch als NASGRO-Gleichung bezeichnet [9]

(16)da

dNC f

RK

KK

K

mth

p

= ⋅ −−

⎛⎝⎜

⎞⎠⎟

⋅⎡

⎣⎢

⎦⎥

−⎛

⎝⎜⎞

⎠⎟

11

1

1

Δ

ΔΔ

mmax

Kc

q⎛

⎝⎜⎞

⎠⎟

mitp, q Anpassungsparameter (Materialkennwerte)f Rissöffnungsfunktion nach Newman [10]R Verhältnis Kmin/Kmax

Die Bestimmung von kI(j) und kII(j) erfolgt numerisch, indem der Kinken gedreht wird und für jede Winkelstellung die entsprechenden Spannungsintensitätsfaktoren berechnet werden.

2.4 Ermüdungsrisswachstum bei zyklischer Beanspruchung

Der Rissfortschritt pro Lastwechsel wird durch die Rissge-schwindigkeit da/dN, auch Rissfortschrittsrate genannt, de-finiert. Im Allgemeinen wird die Rissfortschrittsrate mit dem zyklischen Spannungsintensitätsfaktor in Verbindung ge-bracht. Bei einer zeitlich veränderlichen Belastung entsteht in der Rissspitzenumgebung ein variables Spannungsfeld, welches in einer Schwingbreite des Spannungsintensitäts-faktors nach Gl. (11) resultiert.

ΔK K K Y aI I I I= − = − ⋅ ⋅,max ,min max min( )σ σ π (11)

Für reine Modus I-Beanspruchung erhält man

Δ ΔK Y aI I= ⋅ ⋅σ π (12)

und bei zeitlich veränderlicher Modus II-Beanspruchung analog zur Modus I-Beanspruchung:

Δ ΔK Y aII II= ⋅ ⋅τ π (13)

Bei einer ebenen Mixed-Mode-Beanspruchung wird das zy-klische Spannungsintensitätsfeld durch die Faktoren KI(t) und KII(t) charakterisiert. Bei phasengleicher Modus I- und Modus II-Beanspruchung kann ein zyklischer Vergleichs-spannungsintensitätsfaktor z. B. nach [8] berechnet werden

ΔΔ

Δ ΔKK

K KvI

I II= + ⋅ + ⋅2

12

5 3362 2, (14)

Unter schwingender Beanspruchung breitet sich der Riss im allgemeinen kontinuierlich aus, wobei in der Regel die Riss-fortschrittsrate mit zunehmender Risslänge anwächst. Nach der klassischen Bruchmechanik ist ein Ermüdungsriss je-doch nicht ausbreitungsfähig, wenn sich der zyklische Span-nungsintensitätsfaktor DKI für reinen Modus I-Zustand unterhalb eines Schwellenwertes DKI,th (Thresholdwert) befindet. Mit zunehmendem Rissfortschritt unter gleich-bleibender Belastung wird der Modus I-Anteil in der Regel dominieren und DKv sich DKI annähern. Erreicht die Riss-länge eine kritische Größe, so wird das Risswachstum insta-bil. Ein instabiler Rissfortschritt tritt auf, wenn der Vergleichs-

Bild 6. Kinkenmodell [3]Fig. 6. Hooked model [3]

Bild 7. Rissgeschwindigkeit da/dN vs. zyklischer Spannungs-intensitätsfaktor DKI [8]Fig. 7. Crack propaganda da/dN vs. cyclic stress intensity factor DKI [8]

Page 5: Simulation der Lebensdauer von Stahltragwerken unter Einbeziehung bruchmechanischer Konzepte

G. Lener/D. Reiterer · Simulation der Lebensdauer von Stahltragwerken unter Einbeziehung bruchmechanischer Konzepte

382 Stahlbau 82 (2013), Heft 5

ΔK R Nmmth = − > −190 144 62 3 2/ (19)

angenommen werden.

2.5 Bestimmung der Lastwechselzahl

Für die Bestimmung der Restlebensdauer ist die Berech-nung der notwendigen Lastwechselzahl, ausgehend von einer Anfangsrisslänge bis zu einer definierten vergrößer-ten Risslänge, notwendig. Durch die Integration der Riss-fortschrittskurve erhält man die entsprechende Lastwech-selzahl mit

NdadN

Kdai

a

a

i

i

=( )

⋅+

∫ 11

Δ

(20)

Bei Verwendung der Paris-Gleichung als Rissfortschrittsge-setz und bei Vorhandensein einer analytischen Lösung für den entsprechenden Spannungsintensitätsfaktor kann mit Hilfe einer numerischen Integration näherungsweise die Lastwechselzahl bis zum Erreichen einer definierten Riss-länge berechnet werden:

dadN

C K C Y amm

= ⋅ = ⋅ ⋅ ⋅( )Δ Δσ π

(21)

(22)N a

C Y amit a

a a

k

mi

n

ki i=

⋅ ⋅ ⋅( )=

+

=

+∑ Δ

Δσ π1

1

2

Da analytische Lösungen meist nur für Sonderfälle existie-ren, werden bei der Simulation des Rissfortschrittes mit Hilfe der FE-Methode die SIF numerisch bestimmt. Wird bei der Simulation ein bestimmtes Rissinkrement Da vorgege-ben, so muss für diese Rissverlängerung das Lastwechselin-krement berechnet werden. In der Regel vergrößert sich mit zunehmender Risslänge die Rissfortschrittsrate, d. h. sie ist im vorgegebenen Rissinkrement nicht konstant. Im ent-wickelten Programmpaket wird die Integration der Rissfort-schrittsfunktion mit Hilfe der Trapezregel durchgeführt (Bild 9).

Die Lastwechselzahl für das entsprechende Rissinkre-ment beträgt

(23)LWa

dadN

dadN

ii

i i=

⋅ +⎛⎝⎜

⎞⎠⎟

Δ12

1

Die gesamte Lastwechselzahl ergibt sich aus der Summe der einzelnen Lastwechselinkremente.

Mit Hilfe von Gl. (16) werden nicht nur alle Bereiche der Rissfortschrittskurve beschrieben, es kann zudem das R-Ver-hältnis und Rissschließen mit der Rissöffnungsfunktion f be-rücksichtigt werden. Auch Eigenspannungen werden durch Gl. (16) abgedeckt, da diese eine Verschiebung beim R-Ver-hältnis bewirken. Die empirische Rissöffnungsfunktion nach Newman wird durch

fR A A R A R A R R

A A R RA

=+ ⋅ + ⋅ + ⋅ ≥

+ ⋅ − ≤ <+

max( ; )0 1 22

33

0 1

0

02 0

22 21A R < −

(17)

mit

(18)AF

020 825 0 34 0 05

2= − +( ) ⎛

⎝⎜⎞

⎠⎟⎡

⎣⎢⎢

⎦⎥, , , cos maxα α π σ

σ ⎥⎥

= −( )= − − −

= +

1

1

2 0 1 3

3 0

0 415 0 071

1

2

α

ασσ

A

A A A A

A A

F

, , max

AA1 1−

beschrieben. Das Verhältnis smax/sF beschreibt die plasti-sche Querschnittsausnutzung. Die rechnerische Fließspan-nung sF wird zur Berücksichtigung des Verfestigungsberei-ches mit sF = (fy + fu)/2 angenommen. Näherungsweise gilt für den Bereich der LEBM smax/sF ≤ 0,3. In Bild 8 ist die Rissöffnungsfunktion f für den für Baustähle typischen a-Wert von 2,5 in Abhängigkeit vom R-Verhältnis darge-stellt.

In die entwickelte Software wurden noch weitere Riss-fortschrittsgesetze implementiert, welche durch den Benut-zer gewählt werden können. Die wesentlichen Parameter für den berechneten Rissfortschritt stellen jedoch die Werkstoff-kennwerte C und m dar.

Der Schwellenwert der Ermüdungsrissausbreitung DKth variiert in Abhängigkeit vom R-Verhältnis, wobei in der Li-teratur verschiedene experimentell abgeleitete Formeln zur Berechnung von DKth zu finden sind, z. B. kann nach dem IIW Dokument XIII-1539-96 [11] für Stähle

Bild 8. Rissöffnungsfunktion nach [10]Fig. 8. Crack-opening function according [10]

Bild 9. Rissspitze mit RissausbreitungsinkrementFig. 9. Crack tip with crack growth increment

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G. Lener/D. Reiterer · Simulation der Lebensdauer von Stahltragwerken unter Einbeziehung bruchmechanischer Konzepte

383Stahlbau 82 (2013), Heft 5

dargestellt und besteht aus einer Übergangsfläche und einem inneren Flächenbereich mit eingebautem Riss. Die Über-gangsfläche erlaubt einen Übergang zwischen feiner Ele-mentteilung im inneren Flächenbereich und der in der Re-gel gröberen Vernetzung im globalen FE-Model. Die stän-dige Neuvernetzung im Zuge der Rissfortschrittsberechnung erfolgt nur im Einheits-Rissmodell, während die restliche globale Struktur und das restliche FE-Netz unverändert bleiben. In Bild 11 ist exemplarisch die Vernetzung des inne-ren Bereiches um die Rissspitze dargestellt.

3 Beispiel Seilbahnscheibe3.1 Modellierung und Belastungsannahmen

Für eine geschädigte Seilbahnscheibe, die bis vor wenigen Jahren in Betrieb war, wurde untersucht, wie schnell und in welche Richtung Risse fortschreiten würden [6]. Es han-delt sich um eine Umkehrscheibe, d. h. es wirkt kein Dreh-moment. Der charakteristische Seilzug beträgt 2 × 530 kN, Werkstoff S235. Zusätzlich wurde die Sensitivität der Re-chenmethode in Bezug auf die vorausgesetzten bruchme-chanischen Werkstoffkennwerte und Rissfortschrittsge-setze untersucht.

3.2 Bruchmechanische Materialkennwerte

Da zum Zeitpunkt der Rissfortschrittsberechnung keine bruchmechanischen Materialkennwerte vorlagen, erfolgte die numerische Simulation des Rissfortschrittes unter Ver-wendung von Materialkennwerten aus der Literatur. Im Zuge der Sensitivitätsuntersuchung wurden die bruchmecha-nischen Materialkennwerte laut Tabelle 1 variiert. Um auch den Einfluss der Rissfortschrittsgesetze zu erfassen, erfolgte die Simulation mit dem Rissfortschrittsgesetz nach Gl. (15) und der NASGRO-Formel Gl. (16) (Tabelle 1 s. S. 384).

Im Fall (d) wurden zusätzlich folgende Materialparame-ter verwendet:p = 0,5; q = 0,5; a = 2,0; Cth = 0; smax/sF = 0,3

Die Annahme von Schwellenwerten DKth konnte auf Grund der vorausgesetzten Anfangsrisslängen entfallen, bzw. wurde im Fall (d) durch die Verwendung der NASGRO-Formel in Abhängigkeit der R-Verhältnisse ermittelt [9].

3.3 Rissfortschrittsberechung

An der Seilscheibe wurde im Speichensteg am Endpunkt der zusätzlich eingeschweißten Steife ein Riss festgestellt. Auch die nach dem Strukturspannungskonzept durchgeführte Be-triebsfestigkeitsberechnung zeigte diese Stelle als kritischen Bereich für den Ausgang von Rissen und ergab eine ertrag-bare Lastwechselzahl bis zum Anriss von ca. 5 ∙ 106 Span-nungsspielen. Dies entspricht einer Betriebsdauer von ca. 2,5 Jahren. Zu Beginn der Rissfortschrittssimulation wurde am äußeren Verbindungspunkt zwischen Steife und Spei-chensteg ein Anriss von jeweils 10 mm eingefügt. Bild 12 zeigt das globale FE-Modell der Umlenkscheibe und den Rissflächenbereich.

Zur Simulation des Rissfortschrittes wird eine Umdre-hung bestehend aus den 16 Lastfällen als Blocklast ange-nommen. Für jeden einzelnen Lastfall werden die entspre-chenden SIF und der Rissablenkungswinkel bestimmt. Im

(24)LW LWii

n

==∑

1

Parameterstudien [6] haben gezeigt, dass zur Bestimmung der Lastwechselzahl mit einem Rissinkrement von Da = 1,0 mm und Verwendung der Trapezregel für Bauteile mit den im Stahlbau üblichen Abmessungen ausreichend genaue Er-gebnisse erzielt werden.

2.6 Numerische Simulation des Ermüdungsrisswachstums

Bei der numerischen Simulation des Rissfortschrittes mit Hilfe der Finiten-Elemente-Methode wird ein Bauteil kom-plett vernetzt. Zur Abbildung der Risse besteht die Möglich-keit, die beiden Rissufer mit getrennten Knoten zu versehen. Wird ein diskreter Riss in ein FE-Modell eingebaut, so ändert sich bei jedem Rissinkrement die Geometrie und es bedarf einer Anpassung des Netzes an die aktuelle Risskonfigura-tion. Im Bereich des Risses wird das bestehende Netz ge-löscht, die Geometrie verändert und eine Neuvernetzung durchgeführt. Damit im Zuge der Rissfortschrittssimulation keine komplette Neuvernetzung der gesamten Struktur bei jedem Rissinkrement erforderlich ist, wurde ein Einheits-Rissmodell entwickelt, welches beliebig oft in das FE-Modell eingebaut werden kann. Das Einheitsmodell ist in Bild 10

Bild 10. Globales Schalenmodell mit eingebautem Riss-flächenbereichFig. 10. Global shell model including crack surface

Bild 11. Vernetzung der RissspitzeFig. 11. Meshing of crack tip

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Spannungsintensitätsfaktors beträgt für den längsten Riss (Fall c) Kmax = 145 Nmm-3/2 und liegt somit deutlich unter der Bruchzähigkeit KIc des Werkstoffes. Die Spannung in der Umgebung des Risses überschreitet mit Ausnahme des Bereiches unmittelbar an der Rissspitze an keiner Stelle den zulässigen Wert. In Bild 15 sind die Vergleichsspannungen für den Lastfall mit den maximalen Zugkräften in der Spei-che dargestellt. Die Verformungen der Struktur sind mit und ohne Anriss annähernd gleich.

3.4 Ergebnisse der Sensitivitätsuntersuchung

Das Ergebnis der durchgeführten Rissfortschrittsberech-nungen ist in Tabelle 2 zusammengefasst und zeigt den maß-gebenden Einfluss der gewählten Materialparameter. Im An-

Bild 13 ist der Verlauf der SIF KI und KII für jeden Lastfall am Ausgangszustand dargestellt.

Die SIF KII sind für die meisten Lastfälle ungleich Null, d. h. der Riss möchte seine Richtung entsprechend dem KI/KII-Verhältnis ändern. Aufgrund des nicht proportiona-len Verlaufes der beiden SIF ergeben sich für die einzelnen Lastfälle unterschiedliche Rissablenkungswinkel. Im nach-folgenden Diagramm (Bild 14) sind die Ablenkungswinkel der beiden Risse für die ersten 30 Risslängeninkremente dar-gestellt. Ungefähr ab dem siebten Berechnungsinkrement wachsen beide Risse annähernd senkrecht zur maximalen Hauptspannungsrichtung, d. h. reine Mode I-Belastung.

Die Simulation wurde bis zum Erreichen der fiktiv an-genommenen Betriebsdauer von 25 Jahren (ca. 50 ∙ 106 Spannungsspiele) durchgeführt. Der maximale Wert des

Tabelle 1. Rissfortschrittsgesetz und bruchmechanische Kennwerte Table 1. Crack growth law and fracture mechanics data

Fall Rissfortschrittsgesetz C in Nmm–3/2 m [–] Quelle

(a) Paris 3,0 ∙ 10–13 3,0 IIW Dokument [11]

(b) Paris 5,2 ∙ 10–13 3,0 BS 7910 [13]

(c) Paris 1,8 ∙ 10–12 2,77 Lormes [14]

(d) NASGRO 6,05 ∙ 10–13 3,0 NASA [9]

Bild 12. FE-Netz der globalen Struktur und Flächenbereich mit Anriss [6]Fig. 12. FE-Mesh of global structure and surface region with cracks [6]

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ware lässt sich die anschließende Rissfortschrittsphase si-mulieren und damit die theoretische Gesamtlebensdauer ermitteln.

Die Effizienz der entwickelten Software basiert auf der Verwendung gekapselter Einheits-Rissmodelle, welche beliebig oft in FE-Modelle eingebaut werden können, wo-bei die Knotenkoordinaten im Bereich der Rissumgebung die Schnittstellen dieser Einheits-Rissmodelle zum Gesamt-modell bilden. Daher lässt sich mit der entwickelten Soft-ware eine nachträgliche Rissfortschrittsberechnung sehr einfach unter Nutzung bestehender rissefreier Schalenmo-delle aufsetzen.

Bei der Berechnung der Restlebensdauer haben die stochastisch verteilten Eingabegrößen (z. B. Werkstoff-kennwerte) und Vereinfachungen in der Modellbildung gro-ßen Einfluss auf die Simulationsergebnisse. Es ist daher ge-

schluss wurde die Simulation bis zu einer Rissverlängerung von ca. 60 mm für den unteren Riss fortgesetzt (s. Bild 16).

Mit Hilfe der NASGRO-Rissfortschrittsformel Gl. (16) ist es möglich, die R-Abhängigkeit und Rissschließen in die Ermittlung einzubeziehen. Im untersuchten Fall liegen die Schwingbreiten der Spannungsintensität nahe dem Thres-holdswert DKth. Der Bereich I der Rissfortschrittskurve kann mit Hilfe der NASGRO-Formel besser abgebildet werden. Generell haben die stochastisch verteilten Eingabegrößen (Belastungsgrößen, Werkstoffkennwerte) und Vereinfachun-gen in der Modellbildung großen Einfluss auf die Ergebnisse der Risswachstumssimulation.

4 Zusammenfassung

Materialermüdung stellt die Hauptursache für Schäden an Stahlkonstruktionen unter zyklischer Beanspruchung dar. Dennoch ist mit dem ersten Auftreten von Anrissen die mögliche Einsatzdauer von Stahlkonstruktionen in der Re-gel noch lange nicht erschöpft. Mit der vorgestellten Soft-

Bild 13. Spannungsintensitätsfaktoren KI und KII für den Anfangsriss und eine UmdrehungFig. 13. Stress intensity factors KI and KII for the initial crack and one rotation

Bild 14. Rissablenkungswinkel j0 vs. Risslängen inkrementFig. 14. Crack deflection angle j0 vs. crack length increment

Bild 15. Von Mises-Spannung in der Rissumgebung in der Speiche [6]Fig. 15. V. Mises stresses near crack tip at spoke [6]

Bild 16. Risswachstum für den unteren Riss [6]Fig. 16. Crack growth at the lower crack [6]

Tabelle 2. Gesamtrisslängen nach 25 Betriebsjahren – (Ausgangsrisslängen 10 mm)Table 2. Total crack length after 25 operating years – (initial crack length 10 mm)

RissfortschrittsgesetzMaterialkennwerte

Fall (a)Paris / [11]

Fall (b)Paris / [13]

Fall (c)Paris / [14]

Fall (d)NASGRO / [9]

unterer Riss in mm 10 + 21 = 31 10 + 47 = 57 10 + 59 = 69 10 + 8 = 18

oberer Riss in mm 10 + 16 = 26 10 + 35 = 45 10 + 43 = 53 10 + 6,3 = 16,3

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[9] NASA: Fatigue Crack Growth Computer Program “Nasgro”-Reference Manual. 2002.

[10] Newman, J. C.: A crack-opening stress equation for fatigue growth. Int. Journal of Fracture, 24 (1984), pp. 131–135.

[11] Hobbacher, A.: Empfehlungen zur Schwingfestigkeit ge-schweißter Verbindungen und Bauteile. IIW-Dokument XIII-1539-96, Düsseldorf,1997.

[12] ANSYS Inc. Release 13.0, 2012.[13] BS 7910/1999: Guide on the Methods of Assessing the Ac-

ceptability of Flaws in Metallic Structures. London: British Standard Institution 1999.

[14] Lormes, H.: Dauerschwingfestigkeit und Rissfortschrittsver-halten von brenngeschnittenen Proben aus St 52-3 mit und ohne Nachbehandlung. Schweißen und Schneiden 40 (1988), Heft 8.

Autoren dieses Beitrages:Univ.­Prof. Dipl.­Ing. Dr. Gerhard Lener, [email protected],Universität Innsbruck, Institut für Konstruktion und Materialwissenschaften,Arbeitsbereich für Stahlbau und Mischbautechnologie, Technikerstraße 13, A­6020 Innsbruck

Dipl.­Ing. Dr. Daniel Reiterer, [email protected],TIS – Techno Innovation South Tyrol KAG, Siemensstraße 19, I­39100 Bozen

plant, die entwickelten Simulationsmethoden unter Einsatz probabilistischer Verfahren, Sensitivitätsanalysen und Ab-gleich mit experimentellen Versuchen in ihrer Genauigkeit zu erhöhen.

Literatur

[1] Sander, M.: Sicherheit und Betriebsfestigkeit von Maschinen und Anlagen – Konzepte und Methoden zur Lebensdauervor-hersage. Berlin: Springer Verlag 2008.

[2] Irwin, G. R.: Analysis of stresses and strains near the end of a crack traversing a plate. Journal of applied mechanics 24 (1957), pp. 361–364.

[3] Gross, D., Seelig, T.: Bruchmechanik: Mit einer Einführung in die Mikromechanik. Berlin: Springer Verlag 2011.

[4] Alegre, J. M., Cuesta, I. I.: Some aspects about the crack growth FEM simulation under mixed-mode loading. Interna-tional Journal of Fatigue 32 (2010), pp. 1090–1095.

[5] Richard, H. A.: Bruchvorgänge bei Mixed-Mode-Beanspru-chung von Rissen. VDI Bericht Nr. 480, 1983.

[6] Reiterer, D.: Ein Beitrag zur praxisgerechten numerischen Simulation der Restlebensdauer von Seilbahnkomponenten mit Hilfe bruchmechanischer Konzepte. Dissertation am Ar-beitsbereich für Stahlbau und Mischbautechnologie, Institut für Konstruktion und Materialwissenschaften, Universität Innsbruck 2012.

[7] FKM-Richtlinie: Bruchmechanischer Festigkeitsnachweis für Maschinenbauteile, VDMA Verlag GmbH, 2009.

[8] Richard, H., Sander, M.: Ermüdungsrisse: Erkennen, sicher beurteilen, vermeiden. Wiesbaden: Vieweg+Teubner Verlag 2009.