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ROBERT OGÖR Sinnkonstitution und Sinnverstehen. Zu Alfred Schütz’ phänomenologischer Grundlegung der verstehenden Handlungstheorie in "Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt" In seinem Programm einer philosophischen Begründung der Soziologie als Hand- lungstheorie knüpft Alfred Schütz bekanntlich an zwei große Theorieansätze an. Die philosophische Basis für diesen Versuch wird sowohl in methodischer als auch in bewußtseinstheoretischer Hinsicht entscheidend durch Husserls Phänomenologie ge- liefert, wobei Bergsons Bewußtseinslehre mit ilirer Konzeption der "reinen Dauer" ergänzend mit einspielt. Dagegen ist für den leitenden Schützschen Soziologiebegriff der Anschluß an Max Webers Konzeption der "verstehenden Soziologie"grundlegend. Das drückt sich zunächst aus in der von den beiden Theoretikern übereinstimmend vertretenen Grungauffassung, daß "alle Arten sozialer Beziehungen und Gebilde, alle Kulturobjektivationen und Regionen des objektiven Geistes auf das ursprünglichste Geschehenselement des sozialen Verhaltens Einzelner" zurückzuführen seien . Unter dieser Prämisse werden sowohl die Begrifflichkeit als auch das Erkenntnisziel und die Fragestellung der "verstehenden Soziologie" vom Schützschen Ansatz weitestgehend übernommen. Demzufolge ist für Schütz ebenso wie für Weber Soziologie "eine Wissenschaft, welche soziales Handeln deutend verstehen und dadurch ursächlich erklären will."2 Die Orientierung am Weberschen Konzept beschränkt sich bei Schütz jedoch keineswegs auf die metatheoretischen Ausgangsbestimmungen der Wissenschaft So- ziologie. Sie ist für das Programm und für die spezifisch eigene Leistung dieser Theorie auch im negativen Sinne maßgebend. Denn diese gewinnt ihre Fragestellungen und daraus resultierenden besonderen Erkenntnisziele direkt aus einer kritischen Reflexion auf die Voraussetzungen, Ergebnisse und Grenzen des Weberschen Ansatzes. Insbe- sondere in dem 1932 erstmals erschienenen Werk "Der Sinnhafte Aufbau der sozialen Welt" wird diese Rückbeziehung explizite als methodische Konzeption formuliert. "Der sinnhafte Aufbau" versteht sich ausdrücklich als eine logisch abgeschlossene Theorie sozialen Handelns, die von der Weberschen Grundkonzeption ausgehend die

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ROBERT OGÖR

Sinnkonstitution und Sinnverstehen.Zu Alfred Schütz’ phänomenologischer Grundlegung der verstehenden Handlungstheorie in "Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt"

In seinem Programm einer philosophischen Begründung der Soziologie als Hand­lungstheorie knüpft Alfred Schütz bekanntlich an zwei große Theorieansätze an. Die philosophische Basis für diesen Versuch wird sowohl in methodischer als auch in bewußtseinstheoretischer Hinsicht entscheidend durch Husserls Phänomenologie ge­liefert, wobei Bergsons Bewußtseinslehre mit ilirer Konzeption der "reinen Dauer" ergänzend mit einspielt. Dagegen ist für den leitenden Schützschen Soziologiebegriff der Anschluß an Max Webers Konzeption der "verstehenden Soziologie"grundlegend. Das drückt sich zunächst aus in der von den beiden Theoretikern übereinstimmend vertretenen Grungauffassung, daß "alle Arten sozialer Beziehungen und Gebilde, alle Kulturobjektivationen und Regionen des objektiven Geistes auf das ursprünglichste Geschehenselement des sozialen Verhaltens Einzelner" zurückzuführen seien . Unter dieser Prämisse werden sowohl die Begrifflichkeit als auch das Erkenntnisziel und die Fragestellung der "verstehenden Soziologie" vom Schützschen Ansatz weitestgehend übernommen. Demzufolge ist für Schütz ebenso wie für Weber Soziologie "eine Wissenschaft, welche soziales Handeln deutend verstehen und dadurch ursächlich erklären will."2

Die Orientierung am Weberschen Konzept beschränkt sich bei Schütz jedoch keineswegs auf die metatheoretischen Ausgangsbestimmungen der Wissenschaft So­ziologie. Sie ist für das Programm und für die spezifisch eigene Leistung dieser Theorie auch im negativen Sinne maßgebend. Denn diese gewinnt ihre Fragestellungen und daraus resultierenden besonderen Erkenntnisziele direkt aus einer kritischen Reflexion auf die Voraussetzungen, Ergebnisse und Grenzen des Weberschen Ansatzes. Insbe­sondere in dem 1932 erstmals erschienenen Werk "Der Sinnhafte Aufbau der sozialen Welt" wird diese Rückbeziehung explizite als methodische Konzeption formuliert.

"Der sinnhafte Aufbau" versteht sich ausdrücklich als eine logisch abgeschlossene Theorie sozialen Handelns, die von der Weberschen Grundkonzeption ausgehend die

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"verstehende Soziologie" auf eine adäquate philosophische Grundlage zu fundieren sucht. Die Notwendigkeit dieser Neugrundlegung ergibt sich nach Schütz aus der unzureichenden, ja im Grunde gänzlich fehlenden Fundierung von Webers handlungs­theoretischem Grundbegriff des Sinnes, infolge dessen das ganze Theoriegebäude als wissenschaftliche Erkenntnis- und Erklärungsstruktur eines für ihr eigenes Er­kenntnisziel notwendigen Fundaments entbehrt3.

Den systematischen Sinn und Stellenwert der Schützschen Kritik an Webers verstehender Soziologie herauszustellen, bildet methodisch den ersten Schritt des vorliegenden Aufsatzes. Als positives Resultat der genannten kritischen Auseinander­setzung werden nämlich von Schütz Unterscheidungen und Fragestellungen formu­liert, die einerseits die Defizite des Weberschen Ansatzes eindeutig aufweisen sollen, andererseits aber selbst die programmatischen Schwerpunkte der Schützschen Theorie bezeichnen. Damit geben sie einen internen Kriterienkatalog zur Beurteilung dieser Theorie an die Hand. Denn, erhebt sie den Anspruch, gegenüber Webers Ansatz ein höheres Stadium der soziologischen Theoriebildung darzustellen, so ist dieser An­spruch zunächst immanent d.h. darauf hin zu prüfen, inwiefern sie selbst die der Weberschen Handlungstheorie attestierten Schwächen zu vermeiden und die daraus folgenden Probleme zu lösen vermag. Die Beantwortung dieser Frage macht im wesentlichen die Aufgabe der folgenden Erörterungen aus.

Der Ausdruck "Schützsche Theorie" wird hier allerdings in einer eingeschränkten Bedeutung in Anspruch genommen. Er bezieht sich ausschließlich auf den Inhalt von "Der sinnhafter Aufbau der sozialen Welt", welcher auch den alleinigen Gegenstand der Betrachtung darstellt. Aufgrund der schon erwähnten methodischen wie themati­schen Konsistenz dieser Studie bietet ein so definierter Rahmen die Möglichkeit einer einheitlichen Analyse, ohne Entwicklungen und Modifikationen, denen Schütz’ phi­losophisch-soziologischer Gedanke später unterlag, eigens berücksichtigen zu müssen. Dies hat aber gleichzeitig zur Konseqenz, daß die auf diesem Wege gewon­nenen Ergebnisse genau für den definierten Bereich, d.i. Schütz’ im "Sinnhaften Aufbau" entwickelte Theorie Geltung beanspruchen können.

Eine weitere systematische Eingrenzung des Erkenntnisinteresses betrifft den "Sinnhaften Aufbau" selbst. Wie im einzelnen noch zu zeigen sein wird, besteht der zentrale Gesichtspunkt und das Ergebnis der Schützschen Kritik an Weber in der Erkenntnis, daß aufgrund bestimmter Grundlagendefizite seine verstehende Sozio­logie keine befriedigende Theorie des Fremdverstehens zur Verfügung stellt. Da diese aber nach Schütz’ Auffassung gerade ein unabdingbares Fundament jeder Wissen­schaft vom sozialen Handeln darstellt, wird der "Sinnhafte Aufbau" zum wesentlichen Teil als eine Theorie des Fremdverstehens entwickelt - darin liegt auch programma­tisch seine angesrebte Hauptleistung. Dieser theoretischen Perspektive folgend wird auch hier "Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt" ausschließlich unter dem Aspekt einer Theorie des Fremdverstehens analysiert, während die vomähmlich im "vierten Abschnitt" der Studie dargestellte Konzeption der Sinnstrukturen der Sozialwelt nur m Relation zu Problemen des Fremdverstehens von Interesse sein wird.

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I. Fundierungsbedürftigkeit des Weberschen Sinnbegriffs und Konstitutionsanalyse der sinnhaften Erlebnisse.

Wie bereits angedeutet, sieht Schütz die Grenzen von Webers theoretischer Lestung vordegründig in dem Sachverhalt, daß in seiner Theoriekonzeption der Begriff des Sinnes, als Grundbegriff der Theorie, keiner letztfundierenden Aufklärung unterzogen wird, sondern im Grunde fraglos in sener vagen, einem undeutlichen Alltagsvorverständnis entwachsenden Bedeutung eingeführt und verwendet wird. Indessen handelt es sich dabei nach Schütz um kein letztes unhintergebahres, keiner weiteren Differenzierung zugängliches Atom der Verhaltensrealität, was eine solche unkritische Ansetzung des Sinn-Begriffs einzig zu rechtfertigen vermöchte.

In Konsequenz bleiben auch die abgeleiteten Begriffe von Handeln und Verstehen wie auch die darauf aufbauenden Unterscheidungen und Schlußfolgerungen mit gra­vierenden Uneindeutigkeiten behaftet. Weber "fragt nicht nach der besonderen Kon­stitutionsweise des Sinnes für den Handelnden, nicht nach den Modifikationen, die dieser Sinn für den Partner in der Sozialwelt oder für den außenstehenden Beobachter erfährt, nicht nach dem eigenartigen Fundierungszusammenhang zwischen Eigenpsy­chischem und Fremdpsychischem, dessen Aufklärung für die präzise Erfassung des Phänomens "Fremdverstehen" unerläßlich ist."4 Von dem hier von Schütz artikulier­ten, durch den phänomenologischen Aufklärungsanspruch vertieften Wissenschafts­verständnis her werden aus der aufgedeckten Unterbestimmung der Sinn-Problematik auf der untersten Ebene der Theorie virulente Schwierigkeiten für deren ganzen Erklärungsstatus und Erkenntniswert diagnostiziert. Denn, will sie dem Anspruch der Wissenschaft als einer gültigen Erklärung und systematischer Aufklärung sozialen Handelns gerecht werden, so muß sich ihr das Phänomen des Fremdverstehens in mehrfacher Hinsicht als zentrales Problem stellen.

Gehen wir nun von Webers Definition des sozialen Handelns aus, der gemäß dieses sich wesentlich durch die "Orientierung" am sinnhaften Verhalten Anderer charakte­risiert, so wird offensichtlich, daß, wo immer vom sozialen Hadneln die Rede ist, notwendigerweise ein epistemischer Zugang zum fremden Sinn: Fremdverstehen mit vorausgesetzt ist. Die für eine Wissenschaft vom sozialen Handeln zentrale Frage lautet nun: Mitweicher Berechtigung kann dieses Verstehen Adäquanz beanspruchen? In der Realität der alltäglichen Lebenswelt wir d eine grundsätzliche resp. durchschnit­tliche - gelegentlichen Irrtum zulassende - Adäquanz des Fremdverstehens fraglos und "stillschweigend" einfach in Anspruch genommen, so daß die Frage nach dem prinzipiellen Begründungszusammenhang in aller Regel überhaupt nicht zum Vor­schein kommt. Für die Theorie dieser so süukturierten sozialen Handlungs wirklichkeit ist hingegen eben diese Frage von entscheidender Relevanz.

Der Hiatus zwischen Selbst- und Fremdverstehen, der in der alltäglichen Sozial­welt aufgrund der Fraglosigkeit der Kommunikationspraxis nicht einmal thematisch wird, muß in einer solchen Theorie gerade vor allem anderen in größt möglicher Schärfe expliziert und im nächsten Schritt im Rahmen eines Begründungsverfahrens überwunden oder aber, gelingt dies nicht, am Ende für unüberwindbar erklärt werden. Indessen begnüge sich Weber, so Schütz, damit, "die Welt überhaupt und somit auch

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die sinnhaften Phänomene der sozialen Welt naiv als intersubjektiv konform vor­auszusetzen, und zwar in eben der Weise, in welcher wir im täglichen Leben naiv mit der Vorgegebenheit einer homogenen und unserer Auffassung konformen Außenwelt rechnen." Somit führe sein Verstehensbegriff derart massive Voraussetzungen mit sich, daß der eigentliche problematische Kernpunkt der Handlungswirklichkeit, die Frage: Wie ist Fremdverstehen möglich?, nichtmehr angemessen angegangen werden kömie. Der eigentliche Erklärungsauftrag dieser Handlungstheorie kann in solchem Fall letztlich nicht eingelöst werden. Und weil, darüberhinaus, diese Theorie selbst als verstehende Soziologie methodisch und methodologisch auf Fremdverstehen ange­wiesen ist, bedeutet das zugleich, daß ihre eigenen Erkenntnismittel mit Index des Zweifels versehen bleiben.

Wichtiger als die Frage der kritischen Triftigkeit dieser Argumentation scheinen einmal mehr die ihr zugrundeliegenden Prämissen, welche die von Schütz im ' 'Sinnhaf­ten Aufbau" vertretene Theorieposition verdeutlichen, die als "egologisch" bezeichnet werden kann. Sie läßt sich charakterisieren durch die Grundauffassung, der zufolge Sinnphänomene Erlebnismodi seien und daher ihrem Wesen nach der Sphäre eines Ich-Bewußtseins angehörten. Insofern seien sie auch, und hier stimmen Schütz und Weber überein, primär innerhalb des je eigenen "Seelenlebens" zugänglich, ja überhaupt ursprünglich nur aus der je eigenen Erlebniswelt bekannt. Will man der Möglichkeit und den Wesenscharakteren des Fremdverstehens, der Erkenntnis frem­den Sinns systematisch nachgehen, so muß man also zuerst die Weisen und Gesetz­mäßigkeiten untersuchen, in welchen sich Sinn innerhalb des je eigenen Erlebnis­stroms konstituiert6. Damit wird man direkt in die Domäne der philosophischen Bewußtseinsanalyse verwiesen, die nach Schütz als einzige dazu befähigt ist, mittels einer Fundamentaltheorie der sinnhaften Erlebnisse der Wissenschaft vom sozialen Handeln die angestrebte letzte Fundierung zu geben. Wie schon angedeutet, stellen in Schütz’ Augen die Erkenntnisse aus Bergsons Philosophie der inneren Dauer (duree), vor allem aber die Phänomenologie Husserls auf diesem Gebiet die geeignetesten theoretischen Mittel zur Verfügung. Auf diese beiden Ansätze gründet sich auch Schütz’ Konstitutionsanalyse des sinnhaften Erlebnisses innerhalb des einsamen Ego, die als Lehre von der Selbstauslegung den ersten Teil seiner Theorie vom Sinnhaften Aufbau der sozialen Welt bildet.

Unter der Annahme der Husserlschen epoche, der phänomenologischen Reduktion, der zufolge jegliche den immanenten Gehalt der eigenen Bewußtseinserlebnisse üanszendierenden "Setzungen in ihrer Geltung "ausgeschaltet" werden7, gelangt Schütz zu folgender Auffassung der Sinngebingsprozesse:

Auf der Grundlage der reinen duree - in Husserls Terminologie annäherend dem inneren Zeitbewußtsein entsprechend - in welcher der Erlebnisstrom in unmittelbarer Ununterscheidbarkeit des "Dahinlebens", der "reinen Dauer" verläuft, werden aus dem Fluß dieses stets "werdenden", ineinander fließend übergehenden Erlebens mittels der Akte der Reflexion Erlebnisse als bereits abgelaufene, "entwordene" und wohlumgren­zte Einheiten herausgehoben. Eben diese aus dem Dahinleben des Bewußtseinsflusses zu einem identischen Etwas reflektiv gebildete Einheit stellt das ursprüngliche Phänomen des sinnhaften Erlebnisses dar, das Verhalten genannt wird8.

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Vom Verhalten, dem reflektiv - als Vergangenes - in dem Modus "spontaner Aktivität" erfaßten Erlebnis, ist zu unterscheiden die vermittels der Vorerinnerung entworfene, als zukünftig geworden antizipierte Aktivität. Für diese von dem auf Zukünftiges international gerichteten Entwurf bestimmte Erlebnisform reserviert Schütz den Begriff des Handelns. Ebenso wie beim Verhalten erhebt auch hier die Reflexion das präphänomenale Erleben zum "entwordenen", sinnhaften Erlebnis; in diesem Fall richtet sie sich jedoch auf ein Zukünftiges und Verleiht ihm den Status eines Sinnhaften, indem sie es als in der Zukunft abgeschlossen (modo futuri exacti) projiziert. Entworfen wird hier also - gemäß dem Prinzip der Abgeschlossenheit der Sinn träger - n icht' 'das sich schrittweise vollendende Handeln", sondern die vollendete Handlung. Zum Verhältnis von Verhalten, Handeln und Handlung kann man zu­sammenfassend sagen: "Was das Handeln vom Verhalten Unterscheidet, ist also das Entworfensein der Handlung, die durch das Handeln zur Selbstgegebenheit gelangen soll."9

Betrachtet man diesen Begriff des Sinnes, so fällt zunächst auf, daß es sich dabei um ein - im genuinen Sinne - elementares Bewußtseinsphänomen handelt. "Sinnhaft" besagt demnach also noch keine spezifische Qualität oder Form des Erlebten, bei der etwa die Frage: Welchen Sinn hat dieses Erlebte? sich plausibel stellen ließe. "Die Aussage: ’auf ein Erlebnis werde hingeblickt’ und die Aussage: ’ein Erlebnis sei sinnvoll’" sind nach diesem Begriff gleichbedeutend10.

Da die verstehende Soziologie gerade nach dem spezifischen das zur Erklärung vorliegende Handeln jeweils materiell bestimmenden Sinn fragt, wäre ein derart allgemeiner dem jeweils konkreten "subjektiv gemeinten Sinn" gegenüber völlig indifferente Sinnbegriff für ihre Zwecke unbrauchbar. Diese allgemeinste Kategorie des sinnhaften Erlebnisses wird deswegen von Schütz nun weiter "qualitativ", und zwar auf die Frage hin determiniert, auf welchen Konstitutionswegen einem Erlebnis, z.B. einem Handeln, ein bestimmter Sinn verliehen wird. Und in der Tat, stellt Schütz weiter fest, wird ein Erleben zum sinnhaften Erlebnis nur und immer, indem es in dem reflektierenden Blick einen bestimmten Sinn erhält. Für diesen prozeß sind zwei Konstitutionsstrukturen wesentlich:

Die erste ist das Phänomen der attentionalen Modifikation, welcher alle Erlebnisse unterliegen, und die wiederum in ihrem sinnstiftenden Wie von der jeweiligen Position des Ich im Erlebnissetrom, seinen "Jetzt und So" abhängig ist. Es handelt sich dabei um den in dem Wesen der Intentionalität gründenden Sachverhalt, daß ein und derselbe intentionale Gegenstand - in unserem Fall: ein Erlebnis - in verschiedenartig modifi­zierten Weisen intendiert, bewußt werden kann. Zu den möglichen Modifikationen gehören hier unterschiedliche Grade der Aufmerksamkeit und all die je spezifischen Bestimmungsmomente, die im jeweiligen Jetzt und So "diese ganz bestimmte und einmalige attentionale Haltung des Ich gegenüber seinen Erlebnissen" ausmachen11. Sie haben daher in ausgezeichneter Weise einen subjektiven Charakter und — was viel wichtiger erscheint - sind Modifikationen eines als Identisches vorhandenen, also bereits konstituierten Sinn-Kerns, der den eigentlichen "Sinn" eines Erlebnisses dar­stellt.

Das Konstitutionsprinzip für diesen für die Wissenschaft von Handeln entschei­

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dend relevanten Sinngehalt des Erlebnisses beschreibt Schütz als Einordnung eines Erlebten in einen Sinn- resp. Erfahrungszusammenhang unter Verwendung von Deutungsschemata. Wird ein präphänomenal, in unmittelbarer Ununterscheidbarkeit Erlebtes durch den Akt der Reflexion zum wohlunterschiedenen und Sinnhaften erhoben, so erhält es erst senen Bestimmten Sinn, indem es in einen sich aus anderen, bereits erlebten Erlebnissen synthetisch aufbauenden Sinnzusammenhang ("Synthesis höherer Stufe") eingeordnet wird. Die materiale Basis dieser synthesierenden Leistun­gen ist das Gesamt aller die "Vergangenheit" des Bewußtseinsflusses bildenden Erlebnisse - dessen "gesamte Erfahrung", innerer und äußerer Art. Während die Synthesen im allgemeinen an verschiedenen "Stellen" ansetzen und verschiedene, auch aufeinander fundierte Sinnzusammenhänge erzeugen, macht also jener "in der Weise des passiven Habens" vorhandene Erfahrungsvorrat in jedem Jetzt und So den obe­rsten, totalen Sinnzusammenhang aus, den Gesamtzusammenhang meiner Erfahrung, der mit jedem neuen Erlebnis wächst12.

II. Die Vorgegebenheitdes alter ego in der "natürlichen Einstellung" und das Problem des Fremdverstehens.

Nachdem die Kontitution des Sinnes innerhalb des einsamen Ego untersucht worden ist, wendet sich Schütz im dritten Abschnitt den Gegebenheitsweisen von Du sowie der Sozialwelt überhaupt zu. Im Mittelpunkt des Interesses steht das Problem der auf Erlebnisse Anderer bezogenen Sinngebung: des Fremdverstehens.

Dabei kommt es zu einer Modifikation der methodologischen Voraussetzungen der Untersuchung, die für deren weiteren Verlauf wie auch für unsere Betrachtungen sich als besonders folgenträchtig erweisen wird. Diese - wendenartige - Modifikation besteht in der nun erfolgenden Aufgabe der phänomenologischen Reduktion, die in der vorausgegangenen Untersuchung der Sinnkonstitution innerhalb des einsamen Ich uneingeschränkte Geltung besaß und als unerläßliches methodologisches Fundament fungierte. Offenbar unter dem Eindruck der Schwierigkeiten, die in Husserls Philo­sophie seine konsequente Beibehaltung der epoche für eine befriedigende Konsti­tutionstheorie des alter ego samt der sozialen Außenwelt zur Folge hatte, verzichtet Schütz mit dem Verlassen des Bereichs der reinen Bewußtseinsimmanenz auf diese streng phänomenologische Betrachtungsweise zugunsten einer epistemischen Posi­tion, die er mit Husserl als "natürliche Einstellung" bezeichnet.

So einfach die Rücknahme der epoche formal sich darstellt, so grundlegend ist die methodische Bedeutung der damit vollzogenen Wende. All das, was als ursprüngliche unreflektierte (Voraus)Setzung der Existenz der Außenwelt unter dem Namen der "Generalthesis der natürlichen Einstellung" zusammengefaßt wurde und in immanen­ten Inhalten der reinen Erlebnisse, "ausgeklamert" war, soll nun in Schütz’ Konzeption bei der Untersuchung der Sozialwelt und der dort sich vollziehenden Sinngebungs­prozesse ihre naiv-natürliche Glaubensgeltung wiedererhalten. "Wir nehmen also zum Gegenstand der Analyse den Menschen in seiner naiv natürlichen Einstellung, welcher, in eine Sozialwelt hineingeboren, ebenso die Existenz von Nebenmenschen als fraglos

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gegeben vorfindet, wie die Existenz aller anderen Gegenstände der natürlichen Welt."13

Angesichts dieser neuen theoretischen Situation stellt sich aber aufs dringlichste die Frage: Wie verträgt sich die Inanspruchnahme der natürlichen Einstellung samt den naiven Setzungen bezüglich des alter ego und der ganzen Sozialwelt mit dem zentralen Argument der Schützschen Kritik an Weber, er habe so massive Prämissen aus ebenjener naiven, fraglosen Lebensweltperspektive in seine Theorie übernommen, daß er die Möglichkeit des Fremdverstehens nicht mehr zu erklären, sondern die in der natürlichen Lebenseinstellung waltende unkritisch-naive Unterstellung derselben im Grunde nur genauso unkritisch zu wiederholen vermöge? Denn es scheint zunächst der Verdacht naheliegend, Schütz tue nun gerade dasselbe, was er in diesem Punkt Weber vorwerfe, wodurch auch ihm der Weg zu einer Maßstäben zufolge, verspert bleibe.

Um dieses Problem angemessen zu erörtern, scheint es als erstes erforderlich, den genauen Sinn und Umfang der an dieser Stelle des "Sinnhaften Aufbaus" in Anspruch genommenen "natürlichen Einstellung" zu rekonstruieren. In bezug auf die hier diskutierte Fremdverstehenstheorie läßt sich nämlich jedenfalls theoretisch die Möglichkeit denken, daß ein Teilgebiet oder bestimmte oberste Strukturschichten der (sozialen) Außenwelt in ihrer naiv natürlichen Seinsgeltung eingeführt werden könnten, ohne daß damit das eigentliche Problem des Fremdverstehens bereits in der Prämissen vorentschieden wäre. Um dies zu überprüfen, genügt es, wenn man allein den Gehalt der Schützschen "Generalthesis des alter ego" analysiert, die hier aus­schlaggebend ist. Zu jener "Urüberzeugung" von der Existenz des alter ego, eines "ich-artigen" Du, gehört also nach Schütz zunächst "die Einsicht, daß auch das Du Bewußtsein überhaupt habe, daß es dauere, daß sein Erlebnisstrom die gleichen Urformen aufweise wie der meine."14 Bedenkt man nun genauer die besagten "Urfor­men", so stellt man fest, daß damit all die im vorausgegangenen Abschnitt dargelegten Konstitutionsstrukturen des Sinns im einsamen Subjekt gemeint sind. Auch im alter ego konstituieren sich mithin, als Reflexionsleistungen, aus dem Fluß der reinen Dauer wohlumgrenzte, sinnhafte Erlebnisse; sie erfahren einen bestimmten subjektiven Sinn, indem sie in Erfahrungszusammenhänge eingeordnet sowie den jeweiligen attentio- nalen Modifikationen unterzogen werden.

In der Tat ist also mit der so definierten Generalthesis lediglich die formale Konstitutionsstruktur der sinnhaften Erlebnisse vom ego auf das alter ego übertragen worden, olme daß damit Wissen um einen konkreten subjektiv gemeinten Sinn des Du präjudiziert wäre. Im Gegenteil, nochmalige Bestätigung findet in diesem Zusammen­hang die bereits im "immanentphänomenologischen" Teil gewonnene Erkenntnis, der nach Fremd verstehen begriffen als genuin adäquate Erfassung des fremden subjektiv gemeiten Sinns überhaupt nicht möglich ist, weil sowohl der Aufbau des jemeinigen Sinnzusammenhangs wie auch die Form einer jeden vom jeweiligen Jetzt und So bestimmten attentionalen Modifikation wesenmäßig durch strikte Singularität chara­kterisiert sind15.

Was die allgemeine Annahme der "Generalthesis vom alter ego" bei Schütz betrifft, so scheint sie also noch keine materiellen Prämissen - in der Form von unausge-

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wiesenen "Projektionen" vom Ich auf das Du - mit sich zu führen, die in der Frage des Fremdverstehens die Gefahr von jener Art, Weber vorgeworfener, petitio prinzipi als unausweichliche Implikation erscheinen ließe. Um den logisch und methodologisch entscheidenden Sachverhalt noch einmal, und zwar in der phänomenologischen Per­spektive zu verdeutlichen: Nehmen wir die Existenz von alter ego, oder mehreren davon, einmal an, so können wir beim Du alle aber auch nur diejenigen Eigenschaften, Erlebnis- und Bewußtseinsformen voraussetzen, die in der immanenten, rein ichbe­zogenen Bewußtseinsanalyse mit der Allgemeinheit und Notwendigkeit der eideti- schen Erkenntnis d.h. als für jedes Ich geltende Wesenstrukturen ausgewiesen worden sind16. Man begeht wohl keinen Irrtum, wenn man dieses Prinzip der phänomenologischen Methode, die im Sinnhaften Aufbau" ausdrücklich als fundie­rend in Anspruch genommen wird, weiterhin als Kriterium dafür verwendet, inwiefern der Schützschen Theorie des Fremdverstehens ein adäquat begründeter "Übergang zum Du" und der damit intendierte Zugang zum fremden Sinn gelingt.

Indessen findet man sich zunächst mal vor eine Situation gestellt, die eher paradox anmutet. Einerseits ergibt das Wissen um die Sinnkonstitutionsstrukturen des alter ego, das wir im Rahmen der Generalthesis aus der immanent "reduzierten" Bewußtseinsanalyse vom Ich besitzen, keinerlei Aufschluß über den konkreten jeweils gemeinten fremden Sinn, geschweige eine Methode, die materielles Fremdverstehen ermöglichen würde. Wie zu sehen war, bestehteben darin die logische Korrektheit und Zulässigkeit der Inanspruchnahme dieser Generalthesis. Andererseits wird man gerade dadurch mit der grundsätzlichen Unzugänglichkeit des fremden subjektiv gemeinten Sinns konfrontiert.

In Schütz’ Augen impliziert diese Situation jedoch keineswegs eine absolute Unmöglichkeit jeglicher Erkenntnis vom Fremdseelischen. Daß der subjektiv geme­hlte Sinn, so wie er sich aus und in meinem eigenen Erlebnisstrom konstituiert, von keinem anderen Ich in dieser Weise erfaßt, nacherlebt werden kann, besagt Schütz zufolge noch nicht, daß fremdes sinnhaftes Erlebnis in keiner Weise zugänglich sei. Mit Hilfe der Husserlschen Unterscheidung von den "immanent und transzendent gerichteten Akten" entwickelt der Autor des "Sinnhaften Aufbaus" eine Konzeption des Fremdverstehens, in der der Begriff der "signitiven W ahmehmung" entscheidende Rolle spielt. Die Erkenntnis fremder Erlebnisse vollzieht sich demnach in transzendent gerichteten Akten der Wahrnehmung, die allerdings im Unterschied z.B. zu der Wahrnehmung eines physischen Dinges keine unmittelbare, "originäre Selbstgegeben­heit' ' des intendierten Gegenstandes beinhalten. Es handelt sich dabei um ein vermittels eines gegenständlichen Mediums sich realisierendes Wahrnehmen als signitives Ver­meinen von etwas. Eben auf diese Weise werden uns, so Schütz, über das Medium des Leibes des Du, seiner Verhaltensabläufe und seiner Erzeugnisse (Artefakte) fremde Erlebnisse präsent. Und da dieser intentionale Akt nicht den vermittelnden Leib oder Verhaltensablauf zum thematischen Gegenstand hat, sondern sich über dieses Medium hindurch direkt auffassend auf das dazugehörige Erlebnis richtet, hat man es dabei nicht mit Schließen und Urteilen, sondern eben mit Wahmehmen, wenn auch ohne den genuinen Seibstgegebenheitsstatus, zu tun. Und zwar sollen dem Beobachter auf diese Weise die Erlebnisse des alter ego sogar in ihrem ursprünglichen präphänomenalen

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Erleben, dem Fluß der reinen Dauer gegeben sein, unabhängig davon, ob sie vom Du ex post als entworden reflektiert und so zu wohl unterschiedenen sinnhaften Erlebnis­sen erhoben werden.

Abgesehen von den, im weiteren noch zu nennenden, schwerwiegenden Bedenken, denen diese Konzeption der signitiven Wahrnehmung von Erlebnissen des alter ego an sich unterliegt, ist an dieser Stelle noch sehr unklar, welche Relevanz die in solchen Akten gewonnene Erkenntnis für das Fremdverstehen besäße. Denn, gesetzt den Fall, die hier supponierte Einsicht in den unmittelbaren Fluß des "präsinnhaften" Erlebens des alter ego wäre möglich, so könnte sie doch noch kein Wissen um seine tatsächlich vollzogene Sinngebung liefern, da diese sich per definitionem erst in der rück­blickenden Reflexion auf den verflossenen Erlebnisstrom realisiert. In dem präreflektiven Erlebnisfluß ist "Sinn" - der Schützschen Konstitutionsanalyse zufolge - noch überhaupt nicht vorhanden. Könnte diese Konzeption der signitiven Wahr- nehmumg fremder Erlebnisse der noch zu formulierenden Kritik standhalten, so wäre es damit jedoch wenigstens insofern ein erstes Fundament des Fremdverstehens gegeben, als dem Ego der Zugang zu demselben Erlebnismaterial eröffnet würde, auf welches sich die eigene Sinngebung (Selbstauslegung) des alter ego selbst bezieht.

Läßt sich aber dieses Theorem der signitiven Wahrnehmung in dem Zusammen­hang des Fremdpsychischen überhaupt für haltbar befinden? Was wird in den fragli­chen Akten faktisch wahrgenommen? Zweifel Schemen angebracht bereits im Hinblick auf den von Schütz proponierten Wahrnehmungscharakter der fraglichen signitiven Auffassungen fremder Erlebnisse. Er selbst weicht im weiteren Fortgang der Darle­gungen von der Version des direkten "Hinschauens auf fremde Erlebnisse" immer mehr ab zugunsten der erkenntnistheoretisch viel "schwächeren" Auffassung der zur Deutung gegebenen "Signa für" die zugrundeliegenden Erlebnisse. Es ist auch der Sache nach sehr problematisch, einen intentionalen Akt in die Klasse: "Wahrnehmung von etwas" einzustufen, allein weil er sich seiner Intention nach auf dieses etwas selbst richtet17.

III. M ateriales Frem dversteheu zwischen Anschauung und In terpretation .

Erwies sich die Auffassung des Fremdverstehens unter dem strengen phänomenologischen, an der "Selbstgegebenheit" orientierten Wahrnehmungsbegriff als unhaltbar, so wird für die nun im weiteren Sinne begriffenen Wahrnehmung des Fremdseelischen als prinzipielles Charakteristikum festgehalten, daß sie notwendiger­weise auf die Vermittlung der äußeren Leibes- und Verhaltensphänomene von alter ego als "Anzeichen" für dessen Erlebnisse angewiesen ist18. Damit ist auch der methodische Angelpunkt der Schützschen Handlungstheorie als Fremdverstehen­stheorie bezeichnet. Mit Schütz gesprochen kommt es hier nämlich vorrangig darauf an, den Übergang von der Selbstauslegung meiner Erlebnisse vom Du zur Auslegung des Simis der Erlebnisse des Du zu begründen. Es wird sich zeigen, daß gerade an diesem Punkt die Grenzen und Defizite des Schützschen Ansatzes sich besonders scharf heraussteilen. Bereits in den vorangegangenen Erörterungen haben sich dabei

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zwei unterschiedliche Ebenen der nun in engerer Perspektive in Angriff genommenen Fremdverstehensproblematik abgezeichnet. Auf der einen, logisch und epistemolo- gisch vorgeordneten Ebene geht es um die Frage: Was wird faktisch erfaßt und erkannt bei der Beobachtung jener "äußeren Abläufe" eines fremden Leibes, die zunächst als nichts mehr denn als äußere "Bewegungen" eines Du angesehen werden müssen? Welche Form, vor allem aber welche Gültigkeit hat die epistemische Verbindung, die hier zwischen jenen in der äußeren sinnlichen W ahrnehmung erfahrbaren Bewegungen und einem eventuell ihnen zugrundeliegenden sinnhaften Erlebniszusammenhang hergestellt wird?

Schütz ’ Antwort auf diese Fragen weist freilich schon in ihren Prämissen erhebliche Unklarheiten auf. Dies beginnt mit der erwähnten Konzeption der Zeichen- resp. Ausdrucksfunktion des Körpers, der nach eine "äußere Bewegung" des alter ego Zeichen für ein Erlebnis "in ihm" sei. Auf diese Weise werden bestimmte K örper-und Gesichtskonfigurationen z.B. als Zomausbruch, genauer: Zornausdruck gedeutet. In diesem Sinne nähert sich die Schützsche Problematik der Ausdrucksfunktion unübersehbar dem Weberschen Begriff des "aktuellen Sinnverstehens" an, sofernes nämlich hier bei der Ausdruckszurechnung auf die Frage ankommt: Was tu t- im Sinne: was erleb t- der Beobachtete? im Unterschied zu dem nächsten Schritt des Verstehens, in dem erst nach dem "Worum-willen" dieses sinnhaft-aktuell qualifizierten Tuns gefragt wird (bei Weber: "erklärendes Verstehen des gemeinten Sinn- als Motivzu­sammenhangs"). Wie immer man das Verhältnis zwischen den beiden Verstehens­typen zu denken hat, einmal mehr liegen die Schwierigkeiten in der Geltungsfrage hinsichtlich der jeweiligen Ausdruckszurechnung. Schütz selbst läßt keine Zweifel darüber, daß der Zurechnung einer Gesichts- und Körperbewegung etwa einem Erlebnis des Typus "Zorn" ausschließlich meine - des ego - eigene sich auf der Basis des eigenen Erfahrungsvorrats realisierende Selbstauslegung zugrunde liegt. Eigent­lich müßte es also heißen, diese Gesten, die ich an diesem alter ego wahmehme, würden bei mir Ausdruck des Zorns sein. Erweitern wir die Analysen auf die Verstehensphänomene in "kommunikativen" Kontexten, die sich Schütz zufolge von jenen ohne kommunikativen Kontext geltungsstrukturell nicht wesentlich unterschei­den19, so kann die Problemlage mit des Autors eigenen Worten folgendermaßen verdeutlicht werden: "Der Sinndeutende sagt sich: ’Wenn der Sinnsetzende mit seinen Worten eben jenen Sinn verbindet, welchen ich mit ihnen zu verbinden pflege, dann muß er, da er diese Worte gebraucht hat, dies und jenes haben sagen wollen.’"20 Übertragen auf die nicht kommunikativen Kontexte ließe sich entsprechend formulie­ren: Wenn die Repräsentationsbeziehungen zwischen ausdrückenden Gesten (den äußeren Aktivitätserscheinungen) des Beobachteten und seinen ausgedrückten Erleb­nissen denselben Formen und Gesetzmäßigkeiten unterliegen wie die meinigen, dann müssen diesen seinen äußeren Bewegungen und Gesten Erlebnisse dieses und jenes Typus z.B. Zorn zugrunde gelegen haben. Mit welcher Berechtigung kann ich aber gerade eine solche "Repräsentations- Übereinstimmung" annehmen? Die Grenzen des wissenslogischen Letztaufklärungsanspruchs der Schützschen Theorie zeigen sich darin deutlich, daß auch sie vor dieser Frage in den Zwang gerät, sie durch Annahme von einer Art in der interpersonalen Wirklichkeit herrschender Sinnkonformität zu

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entschärfen. Genauer gesagt: sie muß bei der Inanspruchnahme der äußeren Erscheinungsrealität des alter ego als Ausdrucksfeld eines "Innenlebens" bestimmte intersubjektiv geltende Ausdrucksstrukturen voraussetzen, um eine Zurechnung von "Leibesbewegung" und zugrundeliegendem Erlebnis und so überhaupt den Zugang zum fremden Erlebnis epistemologisch als möglich zu erklären.

Die Problematik der vermittelten Zugänglichkeit fremder Erlebnisse erweist sich für die hier diskutierte Theorie als besonders schwerwiegend. Solange sie nämlich im theoretischen Rahmen des sogenannten "egologischen" Ansatzes bleibt, stellt für sie das Ich und seine Welt als ihm erscheinende Gegenständlichkeiten, sei es phänomenologisch-transzendental "reduziert", sei es in der "natürlichen Einstellung" mit der Geltung des Realen versehen, die einzig zugelassene Erkenntnisquelle dar. Diese Leitprämisse hat auch zur logischen Konsequenz, daß jegliche Intersubjektivität und Objektivität z.B. Fremdverstehen aus der Subjektivität "abgeleitet" werden muß. Keine "objektiven" Beschreibungs- und Erklärungsebenen, wie etwa Ordnungs-, Norm - oder Sprachsysteme können hierbei in Anspruch genommen werden, sofern sie nicht in ihrer - einzig relevanten - Subjektivitätsgeltung ausgewiesen sind. So stellt sich auch Schütz das Problem des Fremdverstehens typischerweise als die Frage nach dem "Zugang", weil in dieser theoretischen Grundperspektive immer nur in der Richtung vom Ich zum Du gedacht werden kann. Und weil dieser Zugang zum Du, will man sich vor unkritischer Verwendung von Intuitionsbegriffen wie "Einfühlung" etc. hüten, unumgänglich über die sinnliche Wahrnehmung der äußeren Du-Erschei- nung führt, muß es für eine im oben beschriebenen Sinne egologisch fundierte Handlungstheorie von absolut entscheidender Bedeutung sein, über die in der Selb- stgegebenheit originär wahrnehmbare "Außenschicht" des alter ego zu seinem "In­neren", dem sinnhaften Erlebnis vorzudringen, und zwar in einer Weise, in welcher der Evidenzcharakter der Gegebenheit dieses Erlebnisses garantiert bleibt.

Vor diesem Hintergrund sowie von der ganzen Anlage des phänomenologischen Ansatzes her wird nun auch verständlich, daß Schütz trotz zunehmender Schwierig­keiten an dem Wahrnehmungscharakter des Fremdverstehens, an der Möglichkeit des "Hinschauens" auf fremde Erlebnisse festhält, um der Erkenntnis des fremden Sinns eine Evidenzgrundlage zu sichern. Allerdings muß er in Hinsicht auf den Evidenzgrad dieses über den Leib und äußere "Erzeugnisse" des alter ego vermittelten "Hinschau­ens" auf seine Erlebnisse im Laufe der Untersuchungen immer weiter gehende "Abschwächungen" in Kauf nehmen, so daß das Wahrnehmen fremder Erlebnisse am Ende nur mehr überhaupt intentionale Bezugnahme, die Blickrichtung auf diese Erlebnisse bedeutet, ohne daß dabei klar wäre, was darin auch wirklich (adäquat) erkannt werden kann21. In diesem Ergebnis besteht wohl das erst Fiasko der Schützschen Theorie des Fremdverstehens. Es gelingt ihr nicht, die prinzipiell über die ganze Untersuchung hinweg supponierte Möglichkeit der Wahrnehmung fremder Erlebnisse im Rahmen einer epistemologisch akzeptablen Erklärung zu begründen.

IV. Verstehensprozesse und soziales Handeln.

Die bisherigen Erörterungen haben die Problematik des Fremdverstehens auf der

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elementaren Ebene des "Zugangs" zum fremden Erlebnis und dessen Sinn diskutiert, während der für die Handlungstheorie zentrale Aspekt: das Verstehen fremden Han­delns und dessen funktionales Verhältnis zur Konstitution sozialen Handelns und der Sozialitätsphäre noch nicht einmal thematisch wurde. Gerade aber im Blick auf diesen Aspektkönnte die Adäquanz jener analytischen Prämissen angezweifelt werden, unter denen die bisherigen Betrachtungen zur Schützschen Verstehenstheorie durchgeführt wurden. Diese zwei Hauptprämissen lauten: Das Problem des Fremdverstehens wird im "Sinnhaften Aufbau" als ein Erkenntnisproblem behandelt. Der methodische und erkenntnistheoretische Rahmen, in welchem sich die Schützsche Lösung dieses Pro­blems entfaltet, bleibt der bewußtseinsphilosophische, "egologische" Ansatz.

So vertritt etwa I. Subar in seiner Schütz-Studie die Auffassung, die im "vierten Abschnitt" entwickelten pragmatischen und "dynamischen" Momente des Handelns seien schon im "Sinnhaften Aufbau" "von vornherein dazu bestimmt..., den Rahmen der ’monadischen’ Sinnkonstruktion zu sprengen, in den man oft den Schützschen Ansatz einzuschließen sucht."22 Da hiermit logischerweise sowohl Sinnsetzung wie auch Sinndeutung angesprochen sind gilt es nun zu überprüfen, inwiefern die Sozialitäts- und Wirkungsdimension des Handelns dort wirklich geeignet sind, eine solche Wende in den Grundbestimmungen und -prämissen der Fremdverstehen­sproblematik herbeizuführen.

Zunächst betrachten wir jedoch das Modell, welches für das Verstehen vom fremden Handeln ohne kommunikativen Kontext im dritten, dem Fremdverstehen eigens gewidmeten Abschnitt entwickelt wird. Das Thema wird exemplarisch erörtert am Weberschen Beispiel des "Holzfällens", einer Aktivitätserscheinung eines Neben­menschen, die sich uns ursprünglich lediglich als bestimmte "Leibesbewegungen" eines Visavis präsentiert. Daß es sich dabei um einen Nebenmenschen d.h. ein erlebnis- und sinnfähiges Du handelt, kann legitimerweise kraft der Generalthesis der natürlichen Einstellung und einschlägiger Wahrnehmung von "ihm" angenommen werden, ebenso wie die Auslegung seiner Bewegungen als Holzfällen aufgrund meiner eigenen Erfahrung von Welt überhaupt. Als völlig unbegründet hingegen muß man wohl die dritte Voraussetzung beurteilen, die Schütz in diesem Zusammenhang zum "Vorwissen" des Beobachters rechnet. Dem Beobachter soll schon aufgrund dieser Wahrnehmung bekannt sein, daß dieses Holzfällen Handeln und zwar so und so bestimmtes Handeln sei. Und weil in dieser Theorie Handeln sich jeweils durch den "Entw urf1 (projizierende Selbstauslegung "modo futuri exacti": siehe oben) und dessen "Spannweite" bestimmt, bedeutet diese Aussage, daß dem Beobachter der fremde Entwurf, das tragende subjektive Konstitutionselement des Handelns als wesentlich projizierender Sinngebung und Sinndeutung, bereits vor dem eigentlichen Fremdverstehen wie auch vor dem eigenen Selbstverstehen des Beobachteten vorge­geben sein müßte. Diese Interpretation bestätigt auch Schütz gleich im vollen Umfang, indem er das Verstehen fremden Handelns charakterisiert: "Wir entwerfen also das fremde Handlungsziel als Ziel unseres eigenen Handelns und phantasieren nun den Hergang unseres an diesem Entwurf orientierten Handelns". Und weiter: "Wir neh­men also gewissermaßen eine Personenvertauschung vor, indem wir uns an Stelle des Handelnden setzen und nunmehr unsere Bewußtseinserlebnisse bei einem dem beo­

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bachteten gleichartigen Handeln mit den fremden Bewußtseinseriebissen identifizie­ren."23 Das fremde Handlungsziel, das ja den Ausführungen zur Sinnkonstitution zufolge in Gestalt des Entwurfs das Kernstück der subjektiven Sinnsetzung und Selbstauslegung des alter ego darstellt, soll also vom Beobachter vorausgesetzt und seinem Fremdverstehen zugrundegelegt werden dürfen. Sollen all diese Annahmen, wie Schütz behauptet, direkt aus der Generalthesis vom Du ihre Berechtigung als Vorgegebenes schöpfen24, so wäre allein die Tatsache, daß der Beobachtete ein Mensch ist, schon ausreichend, um das jeweilige Ziel und also den Sinnkem seines äußeren "Verhaltens" zu kennen. Dies widerspricht nicht nur den elementaren Wis­senserfahrungen, die den Weberschen Grundsatz tagtäglich bestätigen, daß zwei in ihrer äußeren Form gleichen Verhaltensabläufen unterschiedliche Motive, mit Schütz "Um-zu-M otive", zugrunde liegen können. Vor allem würde damit das Programm des Schützschen Ansatzes selbst als einer Theorie des Fremdverstehens, die die Defizite der Weberschen Handlungstheorie überwindet, indem sie das Verstehen fremden Handelns in dessen Möglichkeit und Geltungsanspruch erklärt, gescheitert sein. Denn, was sollte überhaupt noch verstanden resp. durch diese Theorie erklärt werden, wenn der eigentliche Sinn, der Entwurf der Handlung schon aufgrund der Generalthesis der natürlichen Einstellung durch sie für erschlossen erklärt wird?

So gelangt Schütz in der Tat am Ende seiner Ausführung zu einem in diesem Zusammenhang äußerst prekären Ergebnis: "Alles aber, was wir von dem Sinn eines fremden Handelns ohne Kundgabefunktion auszusagen vermögen, ist bereits in der Generalthesis vom Du beschlossen."25 Wie sich herausstellt, beinhaltet bei Schütz dieses "alles" so viel, daß der Sinn und die Funktion der Generalthesis der natürlichen Einstellung in gravierender Weise verkannt wird. Denn, so berechtigt und wichtig die Generalthesis für die Zugänglichmachung bestimmter fundamentaler Realitäts­schichten z.B . der sozialen Außenwelt ist, so unzuläßich und ihrem Wesen nach völlig verfehlt ist es, sie über ihren immanent ausgewiesenen Geltungsbereich hinaus gleich­sam als pauschale Rechtfertigung "freier" Übertragung eigener Erlebnisse und deren Sinndeutung auf das alter ego zu handhaben.

Den im ersten Teil des "Sinnhaften Aufbaus" unternommenen Versuch, das Fremd­verstehen in reiner Beobachtungsperspektive d.i. ohne kommunikativen und pragma­tischen Kontext zu erklären, muß man somit in zweierlei Hinsicht als gescheitert bewerten. Erstens ist es Schütz nicht gelungen einen originären, hinreichende Gege­benheitsevidenz garantierenden Zugang zu fremden Erlebnissen zu begründen. Zwei­tens komite er das Verstehen fremden Handelns in seinem Geltungsanspruch nur fundieren, indem er das gerade primär zu Verstehende - das Ziel als sinngebenden Entwurf - als bekannt voraussetzte. Zugleich führt sein Verständnis des epistemo- logischen Gehalts der angenommenen Generalthesis vom Du zu derart problemati­schen Konsequenzen, daß der Weber gegenüber erhobene Einwand der naiven Anna­hme der "Sinnkonformität der Sozialwelt" und der daraus resultierenden Unmöglichkeit, das Fremdverstehen zu erklären, mit wohl noch größerem Gewicht auf seinen eigenen Ansatz zurückfällt.

Wenden wir uns nun den Betrachtungen des vierten Abschnitts zu, in welchen die Kommunikations- und Wirkungsaspekte des Handelns aufgegriffen werden, so fällt

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als erstes auf, daß sich die Analysen in diesem Teli nicht mehr explizite auf das Problem des Fremdverstehens konzentrieren, sondern vielmehr die verschiedenen Sozialitäts­strukturen zum Hauptthema machen. Bei genauerem Hinsehen erweist sich jedoch Fremdverstehen auch in diesem Bereich als die konstitutive Kategorie, in Rekurs auf welche die Differenzierungen von Umwelt, Mitwelt, Vorwelt etc. durchgeführt wer­den. Ergeben sich nun daraus wirklich neue Gesichtspunkte und Erkenntnisse, die für die in Rede stehende Theorie des Fremdverstehens von einem Wendecharakter sein bzw. sie in einem ganz neuem Lichte erscheinen lassen könnten?

Von den zwei Schlüsselbegriffen, die in diesem Stadium der Theorie eingeführt werden, dem der "Fremdeinstellung'' und dem der "Fremdwirkung", interessiert vor­nehmlich der letztere, weil damit erst die neue Komponente des Handelns und der darauf bezogenen Sinndeutung ins Spiel kommt, während die "Fremdeinstellung" lediglich eine weitere, allgemeinste Bezeichnung für den grundlegenden Bewußt­seinsmodus der auf den "Dauerablauf' des alter ego gerichteten Intentionalität dar­stellt26. Dem zufolge setzt jedes Fremdwirken notwendigerweise Fremdeinstellung voraus, aber erstder Begriff des Fremdwirkens, oder "sozialen Wirkens", bildet genuin die intentionale Struktur des sozialen Handelns ab. Das Fremdwirken charakterisiert sich nämlich dadurch, daß hierbei die Herbeiführung bestimmter Erlebnisse beim alter ego Bestandteil des Um-zu-M otivs des Handlungsentwurf ist27. Da es sich bei diesen Erlebnissen des alter ego sowohl um äußeres Tun als auch um auf meine Erlebnisse bezogene Verstehensakte handeln kann, sind Kundgabeakte ebenfalls soziales Wirken, und zwar ein solches, das sich im Entwurf unter der Antizipation der Kundnahme (Fremdeinstellung) seitens des Adressaten vollzieht. Auf diese Weise wird Kommu­nikation als eine Form des Fremdwirkens determiniert. Welche Konsequenzen haben diese Feststellungen für die Problematik des Fremdverstehens?

Auf der Ebene des sich in der naiv-natürlichen Unreflektiertheit des "Miteinander­alterns" realisierenden Alltagslebens hat die Einbeziehung der Wirkungsdimension des Handelns nach Schütz’ Auffassung tatsächlich wichtige neue Bestimmungs­momente der dort stattfindenden Fremdverstehensprozesse zur Folge. Sachlich zu­treffend ist vor allem die Feststellung, daß der im Begriff des Fremdwirkens implizierte Erfolgsaspekt für den Grad der subjektiven Deutungsevidenz bezüglich der Erlebnisse des jeweiligen Handlungsparüiers von großer Relevanz sei. Denn, ist meinem Handeln etwa ein bestimmtes äußeres Verhalten seitens des Anderen gefolgt, welches der im Entwurf als Ziel der Handlung intendierten "Wirkung" entspricht, so erhöht sich jedenfalls die sog. subjektive Wahrscheinlichkeit dafür, daß er den Sinn meines Handelns, den Inhalt des Entwurfs adäquat erfaßt, v e r s t a n d e n hat. Damit gewinne ich zwar nicht die subjektive Erhöhung, des Evidenzgrades meines eigenen Fremdver­stehens, sondern zunächst nur des Verstandenwordenseins. Es genügt aber, eine etwas kompliziertere, insbesondre auf wechselseitiges Fremdwirken beruhende Handlungs­situation ins Auge zu fassen, um zu erkennen, daß auf diese Weise eine vielschichtige Struktur von wechselgekoppelten "Bestätigungen" der Verstehensadäquanz, nichtnur der des Verstanden Werdens, in Gang kommen kann. Auf den Begriff gebracht wird von Schütz diese den empirischen Normalfall bildende komplexere Handlungsstruktur

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unter dem Typus der "umweltlichen sozialen Beziehung", die sich auf der Basis der gemeinsamen Umwelt als "Wirbeziehung" der natürlichen Lebenswelt realisiert28.

Allerdings täuschte man sich, würde man glauben, die Schwierigkeiten und Defi­zite der Schützschen Fremdverstehenstheorie, wie sie oben konstatiert wurden, seien durch die Einbeziehung der wechselseitigen Wirkungsverflechtungen des sozialen Handelns einfach überwunden oder als "Zwischenergebnisse" einer fortschreitenden Aufklärung in ihrem Stellenwert relativiert worden. Vielmehr muß man feststellen, daß diese im egologisch-erkenntnistheoretischen Rahmen entwickelte Zugangsprob­lematik auch für das sich in der Sozialitätswirklichkeit vollziehenden Fremdvertehen ihre eigenständige primäre Relevanz behält, indem sie sozusagen als vorausgesetzte Tiefenschicht fungiert. So setzt meine - eines Ich - Interpretation z.B. einer bestim­mten verbalen oder gestikalen Äußerung des alter ego als "Antwort auf meine Frage", allgemein formuliert: einer Wirkung meines Handelns - worauf sich meine Überzeugung des Verstandenwordenseins gründet - immer schon voraus, daß ich den subjektiven Erlebnis- und Sinnzusammenhang dieser Äußerung "an sich" zu erfassen vermag, was erst ihre Einordnung in einen intersubjektiven Handlungs- und Wirkung­szusammenhang in diesem Falle als "Antwort" auf eine vorausgegangene Frage ermöglicht. "Es ist also die vollzogene Gegenüberstellung Frage und Antwort nur eine Abbreviatur für eine hochkomplexe Aufschichtung und Verschachtelung komplizier­ter Sinndeutungs- und Sinnsetzungsprozesse, welche wir an einfacheren Beispielen bereits genauer analysiert haben."“ Deswegen verliert die Geltungsfrage bezüglich dieser grundlegenden Sinndeutungs- und Sinnsetzungsprozesse, die im vorausgehen­den "egologischen Teil" (Abschnitte II und III) als das Problem des Fremdverstehens entwickelt wird, durch den W irkens- und Kommunikationsaspekt des sozialen Han­delns nichts von ihrer ursprünglichen Dringlichkeit, genausowenig wie die dabei auftauchenden Probleme und die festgestellten Unzulänglichkeiten der einschlägigen Lösungsversuche dadurch entschärft werden.

Die Bedeutung und Konsequenzen der letzten Feststellung werden besonders deutlich, wenn man nun mit Schütz den Übergang mitvollzieht vom Fremdverstehen im sozialen Alltagsleben zum Fremdverstehen als Erkenntnisinstrument der Sozial­wissenschaft. Damit kommt die das für sein Begründungsprogramm entscheidende Perspektive der Fremdverstehensproblematik: Fremd verstehen als Methode der Wissenschaft vom sozialen Handeln erst zentral ins Spiel. Während die innerhalb der sozialen Lebenswelt typischen Formen von Wirkensbeziehungen die Evidenzstei­gerung der Fremdauslegung - nach Schütz fas t bis an die Gewißheitsgrenze - erl auben, indem sie vermöge komplexer kommunikativ unterstützter Entwurf-Handlung-Er- folg-Strukturen den Interaktionspartnem eine Art pragmatisch-kommunikatives Verifikationsverfahren zur Verfügung stellen, kann die Wissenschaft, jedenfalls in dem klassischen hier von Schütz vorausgesetzten Begriff, von diesem "Instrument" keinen Gebrauch machen. Sie ist ganz essentiell auf die Beobachtungsperspektive angewiesen; sie kann - als Wissenschaft - nicht in eine wechselseitige Wirkensbezie­hung zu ihrem Gegenstand treten und die Adäquanz ihrer Sinnzurechnungen durch praktisches Erfolgshandeln zu verifizieren. Die "Wirbeziehung" ist für sie im Sinne der Erkenntnis- und Diskussionsgemeinschaft wesentlich - freilich in einem ganz

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anderen epistemischen Bezugsmodus. Sie beruht auf dem mehreren Subjekten ge­meinsamen Gegenstand der Forschung und meint den auf diesen, als auf ein "Drittes" bezogene Verständigungsprozess. Sie steht aber zunächst in keiner Wirbeziehung zu ihrem Gegenstand. Er bleibt für die Sozialwissenschaft, solange sie sich der "Objektivität" in irgendeiner Weise verpflichtet, grundsätzlich Beobachtungsobjekt und kein Interaktionspartner30. Für die Methode der verstehenden Soziologie sind mithin die Modifikationen, denen die Erfassung des fremden subjektiven Sinns in den beschriebenen pragmatischen Sozialitätskontexten unterliegt, nicht von Relevanz. Für sie gelten also allein die Ergebnisse der egologischen Theorie des Fremdverstehens, die den Hauptteil des "Sinnhaften Aufbaus" bildet, und in welcher die Erlebnisse des Beobachteten nur über seine äußere Leibeserscheinung und die vermittels dieser gesetzten "Zeugnisse" zugänglich sind. Da diese Theorie, wie zu sehen war, in ihrem Versuch, den direkten evidenzgebenden Zugang zum fremden sinnhaften Erlebnis aus der Position des beobachtenden Ego zu fundieren und also den Hiatus zwischen Selbstverstehen und Fremdverstehen zu schließen, gescheitert ist, kann in diesem Ansatz auch der verstehenden Soziologie keine evidente Erkenntnisquelle gegeben werden. Sucht sie aber auch wirklich nach einer solchen, was ihr Schütz aus der phänomenologischen Perspektive unterstellt? Mit Blick auf ihr leitendes nomolo- gisches Erkenntnisinteresse wird man dies eher bezweifeln. Die nach allgemeinen Aussagen strebende Sozialwissenschaft scheint - in Schützschen Begriffen ausgedrückt - nicht einmal die "umweltliche" Erfahrung von Du zu ihrem primären Gegenstandsgebiet. Sie bezieht sich in aller Regel auf die Region der "Mitwelt" oder "Vorwelt", was die ständige Verwendung von typisierenden Konstruktionen an Stelle konkreter Gegebenheit notwendig, aber wohl auch ausreichend macht. Dies wird auch von Schütz schließlich explizit eingestanden. Mit der für die Sozialwissenschaft als charakteristisch formulierten Perspektive der "mitweltlichen Beobachtung" gelangt Schütz zu einer methodologischen Position, die in ihren Grundbestimmungen der Weberschen Konzeption der verstehenden Soziologie sehr nahe kommt und sich genauso wie jene mit ideal typischen Konstrukten und Chancen-Hypothesen begnügen muß31.

V. Zusam m enfassung.

Der einleitend definierten Fragestellung dieser Arbeit zufolge, war für die obigen Erörterungen das Interesse leitend, die Schützsche Theorie des sinnhaften Aufbaus der sozialen Welt daraufhin zu betrachten, inwiefern sie ihrem eigenen Anspruch gerecht wird, gegenüber dem Weberschen Ansatz eine besser fundierte und dessen Defizite überwindende "verstehende Soziologie" zu konstituieren. Ihr Konzept dieser Neu­grundlegung bestand darin, an Hand einer Aufklärung der Konstitution des Sinnes und sinnhaften Erlebnisses innerhalb des Ich-Bewußtseins eine philosophisch begründete Theorie des Fremdverstehens zu geben, die das Fremdverstehen, die Erkenntnis fremden subjektiven Sinns zu e r k l ä r e n vermöchte, und nicht, so Schütz Vorwurf gegen Weber, den Alltagsglauben an dessen Gültigkeit zwar methodisch-explikato-

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risch verfeinern, im Kemdilemma des "Hiatus" aber faktisch nur unkritisch über­nehmen könnte.

Abgesehen davon, ob die Kritik an Webers Ansatz tatsächlich zutreffend sei, wurde durch solch eine klar definierte Programmatik die Möglichkeit eröffnet, die im "Sinn­haften Aufbau" entwickelte Fremdverstehenstheorie einer immanenten d.i. an den in dieser Kritik und Programmatik selbst festgelegten Kriterien orientierten Analyse zu unterziehen. Sie führte zu vorwiegend negativen Ergebnissen:

Die philosophische Fundierung des Sinnbegriffs, die unter Annahme der phänomenologischen Reduktion in der Form einer Konstitutionstheorie der sinnhaften Erlebnisse durchgeführt worden ist, hatte neben ihrer unstrittig positiven Leistung zur Konsequenz, daß das Problem des Fremdverstehens im "Sinnhaften Aufbau" wesent­lich von der bewußtseinsphilosophischen Grundperspektive aus thematisiert wird. Auch die im "dritten Abschnitt" vollzogene Aufgabe der epoche bringt in dieser Hinsicht, wie zu sehen war, keine entscheidende Korrektur. Gerade aber in den Voraussetzungen dieser egologischen Ausgangsposition liegen wohl die Gründe dafür, daß die diskutierte Theorie ihr primäres Ziel, den Geltungsanspruch des Fremdverste- hens zu begründen, nicht realisieren kann. Unter diesen Prämissen nämlich wird das Hiatus-Problem von Selbst-und Fremdverstehen in einer so radikalen Weise definiert, daß es wahrscheinlich überhaupt nicht möglich ist, diesen begründeterweise je wieder zu schließen.

Eine gewisse Modifikation der genannten egologischen Perspektive zeichnet sich im "vierten Abschnitt." ab, wo im Zusammenhang des sozialen Handelns die Bedeutung der pragmatischen und kommunikativen Dimension des Fremdbezugs für das Fremdverstehen berücksichtigt wird. Gewiß kann man diesbezüglich, insbesonde­re vor dem Hintergrund der weiteren Entwicklung des Schützschen Denkens, von Impulsen in Richtung auf eine pragmatistische Handlungs- und Verstehenstheorie sprechen. Da dieser Teil jedoch logisch an das ihm vorausgehende Modell anschließt und nicht etwa den systematischen Stellenwert einer Neuorientierung, geschweige einer expliziten "Korrektur" besitzt, können seine Resultate das Fiasko der Schützschen Fremdverstehenstheorie nicht relativieren. Dies zeigt sich besonders deutlich bei den Kosequenzen, die sich im "Sinnhaften Aufbau" aus der Theorie des Fremdverstehens für die Bestimmung des Erkenntnis ins trumentariums der verstehen­den Soziologie ergeben. Deren Erkenninisquellen befinden sich gänzlich innerhalb des reinen Beobachtungsrahmens, so daß ihr die im sozialen Alltag vorhandene Möglichkeit der "praktischen" Evidenzsteigerung der Fremdauslegung durch Wir­kens- und Kommunikationsbeziehungen nicht zugänglich ist. Alle oben aufgezeigten Dilemmata der radikal bewußtseinphilosophisch angelegten Theorie des Fremdver­stehens übertragen sich daher direkt auf die Methodologie der verstehenden Sozial­wissenschaft. Konfrontiert man das Programm mit den effektiven Resultaten, so kommt man zu der Beurteilung, der Schützschen "Neugrundlegung" der verstehenden Soziologie gelingt es nicht in methodologisch wesentlichen Punkten über das Weber- sche Grundmodell hinauszukommen. Man kann sagen, selbst im Fundierungs­gedanken erwies sich Max Webers Option als theoretisch aussichts- und auch wir­

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kungsreicher, indem er statt erkenntnistheoretischer Begründung die Wissenschaft selbst im praktischen Handlungsboden, in der sozialen "Wertbeziehung" gründen ließ.

ANM ERKUNGEN

1. Schütz Alfred, Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt. Eine Einleitung in die verstehende Soziologie., 2.Auflage, Frankfurt am Main, Suhrkamp verl., 1981, S.13, /Der Sinnhafte Aufbau.../

2. Weber Max, Soziologische Grundbegriffe, in: Gesammelte Aufsätze zur Wis­senschaftslehre, 4., erneutdurchges. Aufl., hrsg. von J.Winckelmann, Tübingen 1973, S.542,/GAW.../

3. Diesen Sachverhalt meint auch A.v.Baeyers Rede von "materialer Ontologie" als Freilegung von Wesensstruktur einer fundamentalen Region der Lebenswirklich­keit. Siehe die Einleitung zu: Schütz A., Gesammelte Aufsätze, Bd.3, den Haag 1971, S .13 ff. Dazu vgl. auch in: Twenhöfel,R., Handeln, Verhalten und Verstehen. Eine Kritik der verstehenden Soziologie Max Webers und Alfred Schütz’, (Monographien zur philosophischen Forschung, Bd.227), Königstein/Ts. 1985, S.95

4. Der sinnhafte Aufbau, S. 155. Ebda S. 166. Vgl. ebda S.51-537. Siehe ebda Anm. zu § 6 des Ersten Anschnitts S.55-56. Zur genauen Be­

stimmung der Funktion und des Geltungsumfangs der phänomenologischen Reduktion sei hier auf Husserls einschlägige Ausführungen verwiesen: Husserl, E., Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie, 4.Aufl., Tübingen 1980 S.48-57

8. Im Unterschied zu Weber, der den Begriff des Verhaltens definitorisch außerhalb des Bereichs des Sinnhaften lokalisiert, bestimmt Schütz also das Verhalten als die erste grundlegendste Sinnstufe. Gleichwohl muß man dabei folgende, für Schütz ’ Theorie charakteristische Differenzierung im Auge behalten: Im primären und bisher allein ausgeführten Sinne heißt Verhalten eben das als wohlunterschieden herausgehobene, sinnhafte Erlebnis. Auf der anderen Seite läßt sich aber nach Schütz auch in bezug auf den betreffenden Ablauf vom Sich-Verhalten, nun im sekundären präphänomenalen Sinne, sprechen. Im weiteren wird "Verhalten" stets in dem ersten, in diesem Kontext originären Begriff verwendet. Hierzu vgl. Der sinnhafte Auf­bau. S .l 1-7 4

9. Ebda S.7910. Ebda S.9411. Ebda S.97-98. Zu der hier als Theoriehintergrund einspielenden Husserlschen

Unterscheidung von "Materie und Qualität des Aktes" vgl. in: Husserl,E., Logische Untersuchungen, 6.Aufl., Tübingen 1980, Bd. II/l, S.411ff. Zur Funktion der Auf­merksamkeit: ebda S.405ff sowie: Ideen, S .189-193

12. Vgl.: Der sinnhafte Aufbau S .100-10413. Der sinnhafte AufbauS. 138

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14. EbdaS.13815. Ebda S. 140, vgl. auch S.96-104u. 139-14016. Zum Sinn der Allgemeinheit der Wesenserkenntnis in der Phänomenologie vgl.

insbes. in: Ideen I, S.8-1517. In diesem Kontext ist ein Rekkurs auf Husserls einschlägige Erörterungen z.B.

in Logischen Untersuchungen erforderlich. Der dort dargelegten Intentionalitäts- struktur der Erkenntnis gemäß besteht die originäre Funktion der Wahrnehmung in der Erfüllung von "Bedeutungsintentionen" ("Bedeutungserfüllung"). Das signitive Meinen von etwas, was bei Schütz offenbar dem vermittelten Gerichtetsein auf das Erlebnis entspricht, macht.gerade die Bedeutungsintention aus und wird streng ge­schieden von der Wahrnehmung, in welcher sich die Intention dieses Vermeinens durch "Deckung" erfüllt. In bezug auf diese "vermeidenden" aber nicht in Selbstge­gebenheit präsentierenden signitiven Intentionen von Wahrnehmung "im weiteren Sinne" zu sprechen, bedeutet jedenfalls radikale Nichtbeachtung der sonst stets als Hintergrund geanspruchten Husserlschen Wahrnehmungstheorie mit all dessen syste­matischen Konsequenzen.

18. In Anlehnung an die Ergebnisse des 22. Paragraphes wird der Ausdruck "Fremdverstehen" im weiteren ausschließlich in seiner "eigentlichen" dortfestgelegten Bedeutung verwendet. Demnach heißt "fremdverstehen" einzig und allein "erfassen des Sinns fremder Erlebnisse". Vgl. Der sinnhafte Aufbau, S. 152-157

19. Vgl. ebda S.157 u. Par.23:: S.162-16520. EbdaS.17921. So heißt es einmal: "Die Erzeugnisse sind uns Anzeichen für die sie bezeugten

besonderen Erlebnisse eines Du." (S. 187) Zwischen dem Erzeugnis und dem gegebe­nenfalls zugrundeliegendem Erlebnis besteht also der von Husserl übernommenen Bestimmung gemäß ein u n e i n s i c h t i g e r Verweisungszusammenhang (S.165-166). Zugleich aber, um dem "programmatischen" Selbstgegebenheitsstatus gerecht zu werden, wird behauptet: "Diese Erlebnisse stehen für das Bewußtsein des Erzeugenden in einem Sinnzusammenhang. Das wissen wir kraft einer besonderen Evidenz und wir können auf den Konstitutionsvorgang im fremden Bewußtsein durch echtes Fremdverstehen hinsehen."(S.187)

22. Srubar, Ilia, Kosmion. Die Genese der pragmatischen Lebenswelttheorie von Alfred Schütz und ihr anthropologischer Hintergrund. Frankfurt am Main 1988, S. 116

24. Vgl. ebda S. 159-16025. Ebda S. 16026. "Wir wollen diese Attitüde des Ich zum fremden Dauerablauf Fremdeinstellung

nennen. Die Fremdeinstellung ist nur in der gesellschaftlichen Sphäre vollziehbar, weil sie auf der Setzung nicht nur des transzendentalen, sondern auch des mundanen alter ego fundiert ist. Sie ist aber nur auf der Daseinsetzung, nicht auf der Soseinsetzung fundiert." Der sinnhafte Aufbau S.207

27. Die zweite Hauptkomponente des Weberschen Begriffs des sozialen Handelns, die Bestimmung desselben durch vorangegangenes Verhalten Anderer, wird unter den begrifflichen Prämissen des Sinnhaften Aufbaus zu Recht nicht als selbstständige Sinndeterminante des Handelns betrachtet. Denn, als Weil-Motiv wird sie

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wesensmäßig erst ex post zum sinnhaften Motiv, geht daher nicht in den Entwurf ein. Wo dies geschieht, kommt nicht eine faktisch erfolgte, sondern nur eine antizipierte Bestimmung des eigenen Handelns durch das dem Entwurf gemäß herbeizuführende fremde Verhalten in Betracht.

28.EbdaS.23729. Ebda S.22630. Vgl. ebda S.240-24531. Zu den Problemen und Einschränkungen des Aussagebereichs, die Schütz in

Folge der notwendigen Verwendung von Ideal typen für die Soziologie entstehen sieht, ebda S.260-290