Sloterdijk_ich Bin Nicht Zornig_Cicero

  • Upload
    nighb

  • View
    213

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

  • 8/8/2019 Sloterdijk_ich Bin Nicht Zornig_Cicero

    1/5

    Berliner Republik

    Diesen Artikel finden

    Sie in der Ausgabe November 2006

    http://www.cicero.de/839.php?ausgabe=11/2006

    Ich bin nicht zornigvon Peter Sloterdijk

    Peter Sloterdijk ist neben Jrgen Habermas der bekannteste

    Gegenwartsphilosoph in Deutschland. Im Gesprch mit Cicero gibt er

    Auskunft ber seine Denkwelt, ber sich selber und seinen neuen

    Lieblingsbegriff: den Zorn

    Herr Sloterdijk, bevor wir zum Abstrakten kommen, mchte ich ganzkonkret beginnen, ich glaube an die tiefere Bedeutung von Namen. Wie istdas mit Ihrem. Warum heien sie Peter?Das drckt zunchst die Vollmacht des Namensgebers aus. Wie Sie bin ich fest von

    der Bedeutung von Namen berzeugt, weil Namen oft unbewusst einen

    programmatischen Vektor fr das Leben in sich tragen. Aber bei mir

    ...wollten die Eltern vielleicht, dass Sie einmal eine papsthnliche Gestaltfr die Philosophie werden. In Ihrem Peter steckt das Petrinische?Nein. Ich bin ganz skularisiert benannt, da ist nichts Papistisches im Spiel. Ganz

    im Gegenteil. Der Name Peter ist ja der Nachkriegsname Deutschlands schlechthin,

    Peter 1947 bedeutet nicht Peter der Groe, 1947 wollte man kleine Peters haben,der Name stellt sein eigenes Diminutiv dar, sozusagen den Kater an sich, etwas

    Kleines, Nettes, das man sich zulegt, wenn die heroische Mnnlichkeit Schiffbruch

    erlitten hat.

    Und Ihr Nachname?Er war mir lange rtselhaft. Eine interessante Situation, seinen eigenen Namen

    nicht zu verstehen, das bringt ein reizvolles Selbstverhltnis hervor, weil man

    dadurch sprt, mit einer Dunkelheit und Unauflslichkeit ausgestattet zu sein, und

    man also selbst etwas mit seinem Namen machen muss, sich einen Namen machen

    muss. Je unverstndlicher der Name, desto geringer die programmatische Mitgift.

    Programmatisch ist ein gutes Stichwort. Ihr neues Buch Zorn und Zeitwirkt wesentlich programmatischer und ernster als Ihre vorigen Werke

    Das stimmt. Es ist das erste Buch aus meiner Feder, bei dem ich selbst das Gefhlhabe, dass es dem Autor ber den Kopf wachsen knnte, weil der Gegenstand so

    ernst und so titanisch ist und weltgeschichtliche Perspektiven einschliet. Dieses

    Ernstfallgefhl ist singulr. Es ist ja eine Auseinandersetzung mit dem Erbe des 19.

    und 20. Jahrhunderts auf dem Gebiet der Zornverwaltung, der Stoff, aus dem die

    Katastrophen sind. Die Unheimlichkeit des Gegenstands hat mich in der Tat

    eingeholt.

    Nun sind Sie ein leidenschaftlicher Schpfer neuer Begriffe, und einerdieser Begriffe im neuen Buch ist die Zornbank. Haben Sie den Begriffbewusst der konomischen Welt entlehnt?Es geht im Hintergrund um eine allgemeine Theorie der Banken, oder besser,

    Kapitalsammelstellen, das Geld wird auf die Bank gebracht, dort wird es munter,

    reist um die Welt, als Kredit hin, als Profit zurck, das ist Globalisierung. Natrlichsind zur Zeit der ersten Globalisierungwelle, in der frhen Neuzeit, nicht nur die

  • 8/8/2019 Sloterdijk_ich Bin Nicht Zornig_Cicero

    2/5

  • 8/8/2019 Sloterdijk_ich Bin Nicht Zornig_Cicero

    3/5

    Ich sehe zwar den guten bsen Willen, die Dinge aufzulsen, aber die interne

    Kohrenz der Gesellschaft, die Leistungsfhigkeit der Institutionen, die sich in

    einem unvergleichlich anderen Aggregatzustand befindet als zu Zeiten der

    russischen Revolution, wir haben lernende Institutionen. Die Wissenschaften stehen

    wie eine Eins, weltweit, das wird jetzt nicht durch ein paar islamische Gelehrte

    gefhrdet, die sagen, da werde aber das Problem der Gotteserkenntnis nicht auf

    befriedigende Weise gelst.

    Sie tun so, als stnden wir im Ideenwettbewerb, aber hier steht doch dieIdeenwelt gegen die Kategorie der Bombe.Der Konflikt ist absolut ernst, die Wissenswelt ist ja nur der Anfang der

    Betrachtung, denken Sie an das Gesundheitssystem, das Recht.

    Die berlegenheit des militrischen Systems beruhigt mich da weitausmehr.Das Wissen strmt natrlich auch ins Subsystem des Militrs hinein. Das Problem

    dieses Militrs ist es, keinen ebenbrtigen Gegner zu haben, die Terroristen sind zu

    unterlegen, um mit ihm kmpfen zu knnen, das wird in einer methodisch

    gefhrten optischen Tuschung als Bedrohung verarbeitet.

    Was wre denn Ihr Vorschlag?Denken Sie an Carl Schmitts berhmte Formulierung Souvern ist, wer ber den

    Ausnahmezustand entscheidet, ich transformiere ihn ein wenig, indem ich sage:

    Souvern ist, wer in der Lage ist, glaubhaft zu drohen, und zu drohen heit in der

    Sprache der Strategiewissenschaft, einen bewaffneten Ratschlag bermitteln. Das

    Interessante am Terrorismus ist, dass dort eine Reinform der Drohung entwickelt

    wurde, die drohen ihre Drohung an, es wird nichts vorgeschlagen, es wird eine

    reine Drohung in den Raum gesetzt, deren Bedeutsamkeit noch nicht zu fassen ist,

    deswegen neige ich dazu, das Ganze eher in Ausdrcken der Medienkunst zu

    interpretieren und nicht so sehr in Ausdrcken der Politologie.

    Um auf diesen Zorn zu antworten, brauchen wir wohl mehr als Vertrauenin die Moderne. Mssen wir zur eigenen Verteidigung selbst zornigerwerden?Nicht zornig, sondern stolz, wir mssen den ganzen Pol des Thymotischen erst

    wieder entdecken, auch in der Theorie mssen wir eine Psychologie entwickeln,nicht fr Patienten, sondern fr Kmpfer, oder anders und besser gesagt, fr Leute,

    die in Form sind. Der Patient ist der Mensch ohne Stolz, das ist das Ergebnis von

    hundert Jahren Therapiekultur, das konvergiert mit dem Homo consumens, den der

    Kapitalismus herstellt, alles luft auf diese Erotisierung hinaus, deswegen verstehen

    wir den Thymotiker auch nicht, und die Islamisten sind berwertige Thymotiker. Es

    wre eine falsche, von der Psychoanalyse nahegelegte Herablassung zu sagen, der

    Stolz meldet sich nur bei Menschen, die erotisch nicht zum Zuge kommen,

    sozusagen ein Ersatzprogramm des Eros fr die, die es ntig haben, der Stolz

    kommt allem Ntighaben zuvor, er ist die im Sein selbst gesetzte Tendenz, geltend

    zu machen, was man will und was man kann. Und wenn das zu sehr deformiert,

    entstehen ressentimenthafte Ausbildungen des Stolzes.

    Wie reagiert man denn adquat auf ressentimentgeladene junge Mnner?Wenn der Herausforderer im Modus des Ressentiments herausfordert, dann bleibt er

    wahrscheinlich unsichtbar, weil er nicht die Gangart des freien Stolzes whlen kann.

    Wir mssen daran arbeiten, diese schmutzige, kloakenhafte Qualitt des

    Terrorismus, diese Bomben-Argumentationen in echte Herausforderungen

    umzuwandeln.

    Und welche Herausforderungen htten Sie da im Sinn?Es spricht eigentlich alles fr das Sportliche, die Griechen hatten einen ffentlichen

    Ringplatz, die Palaistra, auf dem junge Mnner, die sich zeigen wollten,

    gegeneinander antreten konnten, darauf luft es letzten Endes hinaus, und das ist

    Kulturarbeit, das ist die Arbeit der Zivilisierung der Gefhle berhaupt, dass man

    diesen Gefhlen ein Parlament gibt, eine Arena, in der sie sich zeigen und klren

    knnen, der Westen hat Erfahrungen hiermit, denn politische Parteien sind nichts

    anderes gewesen, vor allem im linken Bereich, als Klrwerke fr dunkle Regungen.Man muss die Stolzkomponente im Terror versuchen, in Reindarstellung zu fassen,

  • 8/8/2019 Sloterdijk_ich Bin Nicht Zornig_Cicero

    4/5

    der Terror ist eine Verhaltensweise, der diese Reindarstellung nicht duldet, da ist

    schmutzige, im wahrsten Wortsinne niedertrchtige Energie drin, die sich selbst die

    Absolution erteilt und zwar unter unsportlichen, das heit religisen Verbrmungen,

    deswegen ist Religion so gefhrlich, vor allem monotheistische Religion, weil sie

    eine kriecherische Metaphysik untersttzt, die Religionen sind Gefe des

    metaphysischen Masochismus, das heit, man bekommt die Form vorgegeben, in

    der man sich unterwerfen darf.

    Ach, Herr Sloterdijk, mit billiger Religionskritik des 19. Jahrhundertskommen wir doch nicht weiter.Vielleicht doch, denn die Religion ist immer eine Verhandlung ber den Punkt, an

    dem der Mensch sich unterwirft, denn darum geht es, um die Anerkennung der

    Instanz, die das Recht hat, den Tod zu geben, und zwar den guten Tod zu geben,

    einen Tod, der keine Gemeinheit ist. Religion ist das Gef, in dem diese

    Transaktion bewltigt wird, und das ist eine ungeheure Zivilisationsleistung, denn

    ansonsten gehen die Menschen hin und sagen, jeder Tod sei ein Mord, das ist die

    Reaktion der archaischen Psyche.

    Immerhin erkennen Sie eine zivilisatorische Leistung der Religion an, aberknnte man es nicht auch genau umgekehrt interpretieren, die Religion alsBefreiung des Menschen aus der Absurditt seines Hingeworfenseins, einGef, das ihn erst autonom werden lsst?Da sitzt jetzt Herr Ratzinger mit uns am Tisch, denn genau dieses Thema hat er ja

    in seiner Regensburger Rede behandelt, er hat darin ja zugegeben, dass es in der

    Theologie ursprnglich um die Frage der Unterwerfung ging und es im Islam

    angeblich noch immer so sei, dass der Herr so hoch und dunkel und unerforschlich

    sei, dass er als Todgeber fungiert, so kann eine Haltung entstehen, wo sich der

    Glubige selbst zum Todesengel wandelt und glaubt, dafr die Beglaubigung des

    hchsten Todgebers zu besitzen, das sind die Kurzschlsse der gefhrlichen Art.

    Nun gibt es auch Habermas hat jngst darauf hingewiesen die totaleUnterwerfung vor der Vernunft, der Machbarkeit, dem Naturalismus. Wasrettet uns eigentlich beiderseitig in die Humanitt?Die Frauen. Sie sind der Schlssel zur Zivilisierung. Der Islam hat sich vom Anfang

    des 20. Jahrhunderts, wo er zu einer marginalen Glaubensgruppe zhlte, binnen

    eines Jahrhunderts verachtfacht, das heit, hier ist Kampffortpflanzung in der Luft,und damit auch eine Form von zweiter Proletarisierung. In dem Augenblick, wo das

    weibliche Dabeisein wir haben diese aufs Ganze wnschenswerte Entwicklung im

    Westen , wo der weibliche Stolz gestrkt wird, strzen auch die Geburtenraten auf

    vernnftige Werte herunter. Der Schlssel liegt in der Ermchtigung der Frau. Der

    Terrorist ist ja in der Regel der dritte, vierte oder fnfte, das heit, der berflssige

    Sohn und damit der zornige junge Mann. Der beunruhigendste Gedanke, der zurzeit

    in der Welt herumgeistert, Gunnar Heinsohn hat ihn ausgesprochen, ist der

    Gedanke, dass es in der arabischen Welt in den nchsten dreiig Jahren auch bei

    einem massiven Abnutzungskrieg noch mehr als genug Shne gbe, und wir haben

    gesehen, was an diesen Fronten mglich ist, im Krieg zwischen dem Iran und Irak,

    der weitgehend unbeobachtet von den europischen Medien einer der blutigsten

    Kriege des 20. Jahrhunderts war, mindestens eine Million Mnner wurden verheizt

    es war die pure Lebensverschwendung, von daher fhrt fr den Westen kein Weg

    daran vorbei, den Konflikt der Zivilisationen zu suchen.

    Sie sprechen von einem Clash im Sinne Samuel Huntingtons?Nein, das ist ein vllig falsches Konzept, ich spreche von einem zivilisierenden

    Konflikt, wir mssen die Idee eines Lebens aus dem Knnen in unterwerfungslustige

    Kulturen einfhren, damit sich auch die Religion wandelt, von einer Religion der

    Unterwerfung zu einer Religion des betreuten Knnens, also, europisch

    gesprochen, Protestantismus, der Glaube des von Gott getragenen Knnens.

    Ausdruck von http://www.cicero.de/97.php?ress_id= 4&item= 1420

    Cicero 2009

    Alle Rechte vorbehalten

    Vervielfltigung nur mit Genehmigung der Ringier Publishing GmbH

  • 8/8/2019 Sloterdijk_ich Bin Nicht Zornig_Cicero

    5/5

    Schreiben Sie uns Ihre Meinung zu diesem Artikel:

    http://www.cicero.de/leserbriefe/

    Bestellen Sie hier Ihr kostenloses Probeheft:

    http://www.cicero.de/abo