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18 Konstruktion S1-2017 Autor Florian Schindler Produktmarketing Heidenhain Kontakt: Dr. Johannes Heidenhain GmbH Dr.-Johannes-Heidenhain-Straße 5 83301 Traunreut www.heidenhain.de Sonnenbeobachtung mit bisher unerreichter Genauigkeit durch Längenmessgeräte „Wir wissen, dass etwas auf der Son- nenoberfläche vor sich geht. Aber wir können nicht sehen, warum!“ So be- schreibt Prof. Dr. Wolfgang Schmidt, Leiter Beobachtung im Bereich Experi- mentelle Sonnenphysik am Kiepen- heuer-Institut für Sonnenphysik in Freiburg, die aktuellen Möglichkeiten der Sonnenforschung. Den Blick auf das Warum soll ab 2019 das neue DKIST-Sonnenteleskop auf Hawaii er- möglichen. Mit 4 m Spiegeldurchmes- ser wird es das größte Sonnenteleskop weltweit sein und damit einen beson- ders detailreichen Blick auf die Son- nenoberfläche ermöglichen. Sie scheint zum Greifen nah und sorgt dafür, dass auf der Erde Leben wächst und gedeiht: die Sonne. Trotzdem wissen wir noch erstaunlich wenig über die Vorgänge in diesem Stern. Das wollen Sonnen- forscher mit dem neuen DKIST-Sonnenteleskop auf Hawaii ändern. Das Kiepenheuer-Institut für Son- nenphysik in Freiburg entwickelt dafür einen Visible Tunable Filter. Die Einstellung des Filters steuern Längenmessgeräte von Heidenhain mit einer Genauigkeit von unter einem Nanometer. Erstmals Blick auf die Details „Bisher sehen wir immer nur eine Summe von Veränderungen auf der Sonne (Bild 1). Mit dem neuen Tele- skop werden wir Strukturen ab 20 km Größe auf der Sonnenoberfläche und damit einzelne Änderungen erkennen können“, führt Prof. Dr. Wolfgang Schmidt weiter aus. Das klingt zu- nächst nicht besonders aufregend. Aber diese Auflösung reicht völlig aus, um einen Blick auf die Details der Vor- gänge zu werfen, die auf der Sonnen- oberfläche ablaufen. Unterhalb dieser Auflösung, davon gehen die Sonnen- forscher aus, passiert auf der Sonne, im Gegensatz zur Erde oder zu anderen Planeten mit kalter beziehungsweise fester Oberfläche, nicht viel. Denn die Gasstruktur der Sonne und die herr- schenden Temperaturen von über 6000 °C sorgen für zu viel Bewegung der Ato- me. Welche gewaltige optische Leistung für diesen Blick auf die Sonnenoberflä- che erforderlich ist, veranschaulicht Prof. Dr. Wolfgang Schmidt mit einem einfachen Beispiel: „Von der Erde aus mit einem Teleskop auf die Sonne zu blicken und dabei Strukturen ab 20 km Messen, Prüfen, Überwachen Bild 1 Aufnahme eines Flecks auf der Sonnenober- fläche mit aktueller Technologie: DKIST wird eine deutlich höhe- re Auflösung liefern und den Blick auf viel mehr Details freigeben. Bild 2 Testaufbau am KIS in Freiburg: ein Laser als Sonne (links im Bild), der Visible Tunable Filter (VTF) en miniature im Labor (rechts oben am Stativ).

Sonnenbeobachtung mit bisher unerreichter Genauigkeit ... · nige Pikometer genau auswählen zu können, müssen die beiden Platten ebenfalls nanometergenau und absolut parallel zueinander

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Page 1: Sonnenbeobachtung mit bisher unerreichter Genauigkeit ... · nige Pikometer genau auswählen zu können, müssen die beiden Platten ebenfalls nanometergenau und absolut parallel zueinander

18 Konstruktion S1-2017

Autor

Florian Schindler

Produktmarketing Heidenhain

Kontakt:

Dr. Johannes Heidenhain GmbH

Dr.-Johannes-Heidenhain-Straße 5

83301 Traunreut

www.heidenhain.de

Sonnenbeobachtung mit bisher unerreichter Genauigkeit durch Längenmessgeräte

„Wir wissen, dass etwas auf der Son-nenoberfläche vor sich geht. Aber wir können nicht sehen, warum!“ So be-schreibt Prof. Dr. Wolfgang Schmidt, Leiter Beobachtung im Bereich Experi-mentelle Sonnenphysik am Kiepen-heuer-Institut für Sonnenphysik in Freiburg, die aktuellen Möglichkeiten der Sonnenforschung. Den Blick auf das Warum soll ab 2019 das neue DKIST-Sonnenteleskop auf Hawaii er-möglichen. Mit 4 m Spiegeldurchmes-ser wird es das größte Sonnenteleskop weltweit sein und damit einen beson-ders detailreichen Blick auf die Son-nenoberfläche ermöglichen.

Sie scheint zum Greifen nah und sorgt dafür, dass auf der Erde Leben wächst und gedeiht: die Sonne.

Trotzdem wissen wir noch erstaunlich wenig über die Vorgänge in diesem Stern. Das wollen Sonnen-

forscher mit dem neuen DKIST-Sonnenteleskop auf Hawaii ändern. Das Kiepenheuer-Institut für Son-

nenphysik in Freiburg entwickelt dafür einen Visible Tunable Filter. Die Einstellung des Filters steuern

Längenmessgeräte von Heidenhain mit einer Genauigkeit von unter einem Nanometer.

Erstmals Blick auf die Details

„Bisher sehen wir immer nur eine Summe von Veränderungen auf der Sonne (Bild 1). Mit dem neuen Tele-

skop werden wir Strukturen ab 20 km Größe auf der Sonnenoberfläche und damit einzelne Änderungen erkennen können“, führt Prof. Dr. Wolfgang Schmidt weiter aus. Das klingt zu-nächst nicht besonders aufregend. Aber diese Auflösung reicht völlig aus, um einen Blick auf die Details der Vor-gänge zu werfen, die auf der Sonnen-oberfläche ablaufen. Unterhalb dieser Auflösung, davon gehen die Sonnen-forscher aus, passiert auf der Sonne, im Gegensatz zur Erde oder zu anderen Planeten mit kalter beziehungsweise fester Oberfläche, nicht viel. Denn die Gasstruktur der Sonne und die herr-schenden Temperaturen von über 6000 °C sorgen für zu viel Bewegung der Ato-me.

Welche gewaltige optische Leistung für diesen Blick auf die Sonnenoberflä-che erforderlich ist, veranschaulicht Prof. Dr. Wolfgang Schmidt mit einem einfachen Beispiel: „Von der Erde aus mit einem Teleskop auf die Sonne zu blicken und dabei Strukturen ab 20 km

Messen, Prüfen, Überwachen

Bild 1

Aufnahme eines Flecks

auf der Sonnenober-

fläche mit aktueller

Technologie: DKIST

wird eine deutlich höhe-

re Auflösung liefern und

den Blick auf viel mehr

Details freigeben.

Bild 2

Testaufbau am KIS in Freiburg: ein Laser als Sonne (links im Bild), der Visible Tunable Filter (VTF) en miniature

im Labor (rechts oben am Stativ).

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Größe zu erkennen ist dasselbe wie aus 40 km Entfernung Zeitung zu lesen. Und zwar den Text, nicht die Über-schriften.“ Man könnte mit dem DKIST-Teleskop also von Calais über den Ärmelkanal hinweg eine Zeitung am Hafenkiosk von Dover lesen.

Instrumente am Teleskop werten Sonnenbilder aus

Diese optische Leistungsfähigkeit des DKIST-Teleskops ist die Voraussetzung dafür, dass an das Teleskop angebaute Instrumente den Wissenschaftlern aus aller Welt neue Einblicke in die Vorgän-ge auf der Sonne eröffnen werden. Eines davon entwickelt das Kiepenheu-er-Institut für Sonnenphysik in Frei-burg: den Visible Tunable Filter, kurz VTF. Der VTF wird es ermöglichen, ge-nau definierte, sehr schmale Wellen-längenbänder des von der Sonnenober-fläche abgestrahlten Lichts zu untersu-chen. Daraus können die Sonnenfor-scher unter anderem Informationen über Plasmatemperatur, Druckverhält-nisse, Magnetfeldstärken und Plasma-

bewegungen auf der Sonnenoberfläche ablesen und Daten über die Verände-rungen im Magnetfeld der Sonne ge-winnen.

Der Aufbau des VTF-Filters ist prinzi-piell sehr einfach. Das Sonnenlicht wird durch einen Luftspalt zwischen zwei beschichteten, teildurchlässigen

Messen, Prüfen, Überwachen

Bild 3

Umlagerter Filter: Rund um die beiden Glasplatten sitzen die sechs Heidenhain-Längenmessgeräte.

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Glasplatten hindurch geführt. Hier-durch kommt es zur Interferenz des mehrfach im Luftspalt reflektieren Lichts. Das führt zu einer Filterung der Wellenlängen, der herausgefilterte Spektralbereich ergibt sich aus der Brei-te des Luftspalts und damit aus dem Abstand der Glasplatten zueinander. So einfach, so gut. Wären da nicht die Dimensionen der Glasplatten und die Anforderungen an die Präzision der Glasplatten und den Luftspalt. Das ganze VTF samt Trägerkonstruktion wird so, wie es 2019 auf Hawaii in Be-trieb genommen wird, zwei Stockwerke hoch und rund vier Tonnen schwer sein. Allein eine der beiden Glasplatten wiegt mehr als 20 kg.

Genauigkeit in den Dimensionen eines Atoms

Im Gegensatz zu diesen Abmessun-gen stehen die Anforderungen bei der Positionierung der Platten. Um eine Wellenlänge des Sonnenlichts auf we-nige Pikometer genau auswählen zu können, müssen die beiden Platten ebenfalls nanometergenau und absolut parallel zueinander positioniert wer-den. Dabei soll aber nicht nur konstant eine Wellenlänge untersucht werden. Interessant sind vielmehr die Verände-rungen zwischen verschiedenen Wel-lenlängen. Entsprechend werden die Platten permanent in Nanometer-schritten aufeinander zu beziehungs-

weise voneinander weg bewegt, im Laufe einer zweistündigen Messung sicherlich viele hundert Male.

Für das Messsystem heißt das hoch -genaue Schwerstarbeit. Denn um die geforderte Positioniergenauigkeit bei jedem Schritt immer und immer wie-der zu erreichen, muss das Messsystem Messschritte von 20 pm haben. Außer-dem dürfen die Messabweichungen über den Zeitraum einer Stunde insge-samt 100 pm nicht überschreiten. Das sind Dimensionen, die den Durchmes-sern von Atomen entsprechen.

Testaufbau im klimatisierten Reinraum

Damit das VTF tatsächlich so funktio-niert, wie seine Entwickler sich das aus-gedacht haben, testet Dipl. Ing. (FH) Clemens Halbgewachs vom Kiepen-heuer-Institut für Sonnenphysik den Aufbau mit seinem Team in einer ver-kleinerten Variante (Bild 2). Dabei fun-giert ein Laser als Sonne. Sein Strahl wird über Prismen, Spiegel und Linsen durch die Glasplatten und wieder zu-rück zu einer Highspeedkamera geführt, die 40.000 Bilder pro Sekunde aufzeichnet. Diese Kamerabilder wer-den ausgewertet und erlauben Rück-schlüsse auf die inzwischen erreichte Genauigkeit bei der Positionierung der Platten zueinander.

„Knackpunkt beim ganzen Aufbau ist die Abstandsmessung“, bestätigt Cle-

mens Halbgewachs die bisherigen Er-fahrungen. Sechs Heidenhain-Längen-messgeräte vom Typ LIP 382 mit Stan-dardabtastkopf und kundenspezifi-schem Maßstab sitzen rund um die bei-den Glasplatten (Bild 3). Jeweils drei ermitteln die Position der oberen und der unteren Platte. Die ermittelten Po-sitionswerte gehen an eine Steuerungs-elektronik, die die Position der oberen Platte über Piezos verstellen kann (Bild 4).

Schritt für Schritt zum Ziel

Warum aber wird auch die Position der unteren Platte gemessen, wenn nur die obere Platte verstellt wird? Clemens Halbgewachs lächelt: „Zu-erst haben wir tatsächlich mit nur drei Längenmessgeräten die Position der oberen Platte ermittelt. Leider waren wir mit der Genauigkeit über-haupt nicht zufrieden. Also haben wir uns auf die Suche nach den Ursa-chen gemacht und sind auch fündig geworden. Das Gesamtsystem rea-giert auf kleinste Veränderungen. Eine Temperaturabweichung um ein hundertstel Grad hat schon Auswir-kungen auf die Position der unteren Platte.“ Um solche Schwankungen zu erfassen, kamen also drei weitere Längenmessgeräte für die eigentlich festverbaute untere Platte zum Ein-satz.

In den aktuellen Testreihen liegt die zu-verlässig und dauerhaft erreichbare Ge-nauigkeit des Aufbaus inzwischen bei 0,17 nm pro Stunde. Ziel sind 0,1 nm pro Stunde. Auf dem Weg dorthin gehen das KIS und Heidenhain Hand in Hand. „Die Unterstützung, die uns Heidenhain zukommen lässt, ist wirklich außerge-wöhnlich. Da wird aus einem einfachen Abstimmungstermin im Handumdre-hen eine Schulung zum richtigen Auf-kleben der Maßstäbe“, loben Prof. Dr. Wolfgang Schmidt und Clemens Halb-gewachs. „Die Zusammenarbeit ist sehr produktiv. Wir finden bei Heidenhain Ansprechpartner mit großem Verständ-nis für unsere spezifischen Probleme und einem hervorragenden Know-how.“ So nähern sich die Sonnenfor-scher ihrem Ziel Schritt für Schritt an und sind zuversichtlich, ab dem Jahr 2019 eine völlig neue, hochgenaue Sicht auf die Vorgänge auf der Sonnenoberflä-che zu bekommen.

Messen, Prüfen, Überwachen

Bild 4

Sechs Messgeräte, sechs Interface-Elektroniken: Die Daten der Längenmessgeräte werden über die rein serielle

EnDat 2.2-Schnittstelle an die Steuerung übermittelt. (Alle Bilder © Heidenhain)