44
Soziale Integration und Gewaltprävention Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan Vortrag am 08.11.2010 in Bad Boll Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung / Universität Duisburg-Essen Soziale Integration und Gewaltprävention Risiken und Ressourcen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund Kontakt: [email protected]

Soziale Integration und Gewaltprävention Risikenund ... · • „Age of onsetof antisocialbehavior“: starker Prädiktor für deviante Verhaltensweisen und spätere kriminelle

  • Upload
    others

  • View
    1

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Soziale Integration und Gewaltprävention Risikenund ... · • „Age of onsetof antisocialbehavior“: starker Prädiktor für deviante Verhaltensweisen und spätere kriminelle

Seite 1

Soziale Integration und Gewaltprävention

•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

Vortrag am 08.11.2010 in Bad Boll

Prof. Dr. Haci-Halil UslucanZentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung / Universität Duisburg-Essen

Soziale Integration und Gewaltprävention

Risiken und Ressourcen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund

Kontakt: [email protected]

Page 2: Soziale Integration und Gewaltprävention Risikenund ... · • „Age of onsetof antisocialbehavior“: starker Prädiktor für deviante Verhaltensweisen und spätere kriminelle

Seite 2

Soziale Integration und Gewaltprävention

•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

2

Programm

• Integration von Migranten• Entwicklungspsychologische Dimensionen von Gewalt• Ökologische und gesellschaftliche Risiken • Gewaltrisiken von Jugendlichen mit Migrationshintergrund• Ressourcenförderung bei Migranten

Page 3: Soziale Integration und Gewaltprävention Risikenund ... · • „Age of onsetof antisocialbehavior“: starker Prädiktor für deviante Verhaltensweisen und spätere kriminelle

Seite 3

Lebenswelten von Familien mit

Zuwanderungsgeschichte

•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

Kulturkonflikte

• Entgegengesetzte Einflüsse von Familie einerseits und Einflüsse des Aufnahmelandes

•Identitätsprobleme bei Jugendlichen•Psychosomatische Beschwerden bei Erwachsenen

Page 4: Soziale Integration und Gewaltprävention Risikenund ... · • „Age of onsetof antisocialbehavior“: starker Prädiktor für deviante Verhaltensweisen und spätere kriminelle

Seite 4

Lebenswelten von Familien mit

Zuwanderungsgeschichte

•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

Probleme des Kulturkonflikt-Ansatzes

• Ursachenzuschreibung einseitig auf den Kulturwechsel

• Kulturwechsel reduktionistisch als Entwicklungseinschränkung

• Fokussierung auf einseitige Bereicherung der Einheimischen bzw. einseitiger Verlust der Migranten

• Unterstellte Homogenität der Mehrheits- wie der Minderheitskultur

• Kultur als unausweichlich präskriptiv: Unterschlagung der Widerstands- und Eigenmächtigkeitspotenziale der Subjekte

Page 5: Soziale Integration und Gewaltprävention Risikenund ... · • „Age of onsetof antisocialbehavior“: starker Prädiktor für deviante Verhaltensweisen und spätere kriminelle

Seite 5

Lebenswelten von Familien mit

Zuwanderungsgeschichte

•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

•Berry, 1997

Page 6: Soziale Integration und Gewaltprävention Risikenund ... · • „Age of onsetof antisocialbehavior“: starker Prädiktor für deviante Verhaltensweisen und spätere kriminelle

Seite 6

Soziale Integration und Gewaltprävention

•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

Interaktives Akkulturationsmodell (IAM)Berry et.al (1987)

Akkulturationsorientierungen:

Aufnehmende Gesellschaft

Einwanderer

Integration Assimilation Separation Marginali-sierung

Integration Konsens problematisch Konflikt problematisch

Assimilation problematisch Konsens Konflikt problematisch

Segregation Konflikt Konflikt Konflikt Konflikt

Marginalisierung Konflikt Konflikt Konflikt Konflikt

Page 7: Soziale Integration und Gewaltprävention Risikenund ... · • „Age of onsetof antisocialbehavior“: starker Prädiktor für deviante Verhaltensweisen und spätere kriminelle

Seite 7

Soziale Integration und Gewaltprävention

•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

• Dimensionen des Integrationsprozesses (Heckmann, 2005)

• 1. Strukturelle Integration

• 2. Kulturelle Integration

• 3. Soziale Integration

• 4. Identifikative Integration

Page 8: Soziale Integration und Gewaltprävention Risikenund ... · • „Age of onsetof antisocialbehavior“: starker Prädiktor für deviante Verhaltensweisen und spätere kriminelle

Seite 8

Soziale Integration und Gewaltprävention

•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

Integration und Familie

Probleme:

• Kinder akkulturieren sich schneller, entfernen sich dadurch mehr von den Eltern;

• Parentifizierung;

• Repräsentation ohne Legitimation bei zugeheirateten Männern: in der Familienforschung riskanteste Paarkonstellation

Page 9: Soziale Integration und Gewaltprävention Risikenund ... · • „Age of onsetof antisocialbehavior“: starker Prädiktor für deviante Verhaltensweisen und spätere kriminelle

Seite 9

Soziale Integration und Gewaltprävention

•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

Integration und Familie

Akkulturation kann erleichtert werden durch:

• Tolerante/Anerkennende Einstellung der Mitglieder der Aufnahmekultur;

• Offenheit gegenüber Fremden;• Soziale Durchlässigkeit der Institutionen/Interkulturelle Öffnung der sozialen Dienste

• Statt distanzmaximierender Berichte: Betonung der großen Gemeinsamkeiten

Page 10: Soziale Integration und Gewaltprävention Risikenund ... · • „Age of onsetof antisocialbehavior“: starker Prädiktor für deviante Verhaltensweisen und spätere kriminelle

Seite 10

Soziale Integration und Gewaltprävention

•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

Kriterien gelungener Integration

Theoretisches Problem:

• Deutungshoheit des Gelingens von Integration: Mehrheit/Minderheit?

• Integration segmentär: Gelingende Integrationsprozesse in einem Bereich/scheiternde Integration in anderen Bereichen

Page 11: Soziale Integration und Gewaltprävention Risikenund ... · • „Age of onsetof antisocialbehavior“: starker Prädiktor für deviante Verhaltensweisen und spätere kriminelle

Seite 11

Soziale Integration und Gewaltprävention

•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

11

II. Entwicklungspsychologische Dimensionen:

Im Laufe der individuellen Entwicklung (Ontogenese) zunächst die „harten“ Formen der Aggression (physische Aggression) erworben,

dann erst „Softformen“ wie psychische und verbale Aggression

Verletzungen durch Schlagen zuzufügen ist eine relativ „primitive“ bzw. einfache Verhaltensweise.

Psychische Aggression setzt voraus, dass der Akteur die Perspektive des anderen einnehmen und die Wirkung auf den anderen antizipieren kann.

Diese Fähigkeiten werden erst in der späteren Kindheit erworben.

Page 12: Soziale Integration und Gewaltprävention Risikenund ... · • „Age of onsetof antisocialbehavior“: starker Prädiktor für deviante Verhaltensweisen und spätere kriminelle

Seite 12

Soziale Integration und Gewaltprävention

•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

12

Entwicklungspsychologische Dimensionen

• Aggressives Verhalten als eine der häufigsten antisozialen Verhaltensweisen; tritt bei ca. 6-7% aller Jugendlichen auf (Döpfner et al., 1998).

• Starke geschlechtsspezifische Asymmetrie in der Gewaltbelastung: Verhältnis von männlichen vs. weiblichen Jugendlichen: Gewaltbelastung von Mädchen: 2-3%; von Jungen: ca. 10%.

• Geschlechtsspezifische Unterschiede beginnen ab dem 4. und 5. Lebensjahr und vergrößern sich nach dem Schuleintritt

Page 13: Soziale Integration und Gewaltprävention Risikenund ... · • „Age of onsetof antisocialbehavior“: starker Prädiktor für deviante Verhaltensweisen und spätere kriminelle

Seite 13

Soziale Integration und Gewaltprävention

•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

13

Geschlechtsspezifische Ausprägungen:

• Aggressive Akte bei Jungen eher offen und direkt in Form von physischer Verletzung und Raufereien;

• Bei Mädchen dagegen eher indirekte aggressive Verhaltensweisen:– d.h. verbal oder „relational“– Relationale Aggression: Bemühen, die Beziehungen einer Person zu einer anderen zu

zerrütten oder Gerüchte über diese Person zu verbreiten und ihr so einen Schaden zuzufügen.

Page 14: Soziale Integration und Gewaltprävention Risikenund ... · • „Age of onsetof antisocialbehavior“: starker Prädiktor für deviante Verhaltensweisen und spätere kriminelle

Seite 14

Soziale Integration und Gewaltprävention

•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

14

• Ansteigen der Gewalt ab dem Alter von 13 J. ;

• Deutlicher Rückgang ab 20 Jahren (Rutter, 1995; Loeber& Farrington, 1998)

Page 15: Soziale Integration und Gewaltprävention Risikenund ... · • „Age of onsetof antisocialbehavior“: starker Prädiktor für deviante Verhaltensweisen und spätere kriminelle

Seite 15

Soziale Integration und Gewaltprävention

•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

15

• Jugend als ein Schwellenzustand und als eine gefährdete Phase: Zeit physischer und psychischer Umbrüche, aktiver Identitätssuche und -entwicklung

• „Maturity gap“ als eine wesentliche Motivation zu Gewalt und Delinquenz in der Jugendphase moderner Gesellschaften (Moffitt, 1993)

• „ Adolescence-limited“ und „life-course-persistent antisocial behavior“: zentrale Taxonomie im Hinblick auf Ätiologie, Verlauf, Prognose und Therapie von Gewaltbelastungen

Page 16: Soziale Integration und Gewaltprävention Risikenund ... · • „Age of onsetof antisocialbehavior“: starker Prädiktor für deviante Verhaltensweisen und spätere kriminelle

Seite 16

Soziale Integration und Gewaltprävention

•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

16

Typen des jugendlichen Gewaltverlaufs: Früh- und Spätstarter

„Life-course persistent“ vs. „adolescence-limited antisocial behaviour“

• Frühstarter: < 14 Jahre:

aggressives Verhalten während der Kindheit;

geringe elterliche Aufsicht in der häuslichen Umgebung;negative (körperlich-strafende) Erziehungspraktiken;Ablehnung durch Gleichaltrige.

Page 17: Soziale Integration und Gewaltprävention Risikenund ... · • „Age of onsetof antisocialbehavior“: starker Prädiktor für deviante Verhaltensweisen und spätere kriminelle

Seite 17

Soziale Integration und Gewaltprävention

•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

17

Typen des jugendlichen Gewaltverlaufs: Früh- und Spätstarter

„ Adolescence-limited antisocial behaviour

Spätstarter: >14 Jahre:• geringe aggressive Verhaltensweisen in der Kindheit;• Partnerschaftskonflikte der Eltern;• mäßige Aufsicht der Eltern;• Kontakt zu devianten Cliquen oder Gruppen: Bedürfnis nach Zuwendung und Anerkennung;

„Ausprobieren“ von sozialen Rollen.

Deshalb:

• „Age of onset of antisocial behavior“: starker Prädiktor für deviante Verhaltensweisen und spätere kriminelle Belastung (Farrington, Loeber & Elliott, 1990).

Page 18: Soziale Integration und Gewaltprävention Risikenund ... · • „Age of onsetof antisocialbehavior“: starker Prädiktor für deviante Verhaltensweisen und spätere kriminelle

Seite 18

Soziale Integration und Gewaltprävention

•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

18

III. Ökologische KontexteZivilisatorische Veränderung in modernen Gesellschaften:

• Verschiebung der Machtverhältnisse der Geschlechter zugunsten von Frauen

• und eine Verschiebung zwischen den Schichten zugunsten Höhergebildeter und Höherqualifizierter.

• Beide Entwicklungen zusammen: Dequalifizierung und Depotenzierung von Männern der Unterschicht + kulturelle Abwertung körperlich ausgelebter Männlichkeit.

• Kränkungspotenzial und Konfliktpotenzial in dieser Schicht; Anfälligkeit für rechtsradikale, chauvinistische und gewaltbilligende Strömungen

Page 19: Soziale Integration und Gewaltprävention Risikenund ... · • „Age of onsetof antisocialbehavior“: starker Prädiktor für deviante Verhaltensweisen und spätere kriminelle

Seite 19

Soziale Integration und Gewaltprävention

•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

Lebensweltliche Risiken im Aufwachsen

Finanzkapital (Daten des DJI-Kinderpanels, 2005):

•Ca. 54% der türkischen Familien ein Haushaltseinkommen, das zu den untersten 10% des Äquivalenzeinkommens aller Haushalte gehört;•

•Dagegen: 48% aller deutschen, aber nur 20% aller türkischen Familien ein mittleres Haushaltseinkommen.

•Arme Kinder aus Migrantenfamilien haben ein doppelt so großes Risiko, desintegriert bzw. gering integriert zu sein als ein Kind aus einer Durchschnittseinkommens-Familie (Beisenherz, 2006).

Page 20: Soziale Integration und Gewaltprävention Risikenund ... · • „Age of onsetof antisocialbehavior“: starker Prädiktor für deviante Verhaltensweisen und spätere kriminelle

Seite 20

Soziale Integration und Gewaltprävention

•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

Entwicklungspsychologische Risiken in Migrantenfamilien:

1. mehr als drei Geschwister (dadurch zu wenig Aufmerksamkeit und Zuwendung dem einzelnen Kind gegenüber); bei mehr als drei Geschwistern auch ein deutlich geringeres Netz an Peer-Kontakten.

2. zu geringer Altersabstand in der Geschwisterreihe (Gefahr der Übersozialisierung und Vernachlässigung typisch kindlicher Bedürfnisse)

3. Elternschaft deutlich früher; frühe Mutterschaft erhöht Gewaltrisiko

4. Unterschiedliche Wertigkeit von Sohn vs. Tochter

5. Höhere Kinderzahl; dadurch stärkere Überforderung der Mutter

Page 21: Soziale Integration und Gewaltprävention Risikenund ... · • „Age of onsetof antisocialbehavior“: starker Prädiktor für deviante Verhaltensweisen und spätere kriminelle

Seite 21

Soziale Integration und Gewaltprävention

•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

21

Risiken der Gewaltweitergabe

Ontogenetisch Mikrosyst. Exosystem Makrosystem

Gewalterfahrung Eheliche Unzufriedenheit

Arbeitslosig-keit;

Kulturelle Akzeptanz von Gewalt;

Geringes Selbstwertgefühl

Kinder mit Verhaltensprob-lemen;

Isolation; geringe soziale Unterstützung;

Kinder als Besitz;

Niedriger IQ gesundheitlich anfällige Kinder

negativ erlebte Eltern-Kind-Beziehung des Elternteils

Ökonomische Depression

Geringe interpersonale Fähigkeiten

Alleineltern-schaft und Armut

Page 22: Soziale Integration und Gewaltprävention Risikenund ... · • „Age of onsetof antisocialbehavior“: starker Prädiktor für deviante Verhaltensweisen und spätere kriminelle

Seite 22

Soziale Integration und Gewaltprävention

•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

22

Risikomildernde Faktoren der Gewaltweitergabe

Ontogenetisch Mikrosystem Exosystem Makrosystem

Positive Beziehung zu einer Bezugsperson

Gesunde Kinder Soziale Unterstützung

Respekt betonende Kultur

Hohe Intelligenz und Begabung

Unterstützender Ehepartner

Geringe Stresserfahrungen im Alltag;

Kulturelle Ächtung von Gewalt

Physische Attraktivität

Ökonomische Sicherheit

Frömmigkeit Ökonomischer Wohlstand

Gute interpersonale Fähigkeiten

Therapeutische Interventionen

Page 23: Soziale Integration und Gewaltprävention Risikenund ... · • „Age of onsetof antisocialbehavior“: starker Prädiktor für deviante Verhaltensweisen und spätere kriminelle

Seite 23

Soziale Integration und Gewaltprävention

•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

23

Öffentlicher Diskurs über Migration und Männlichkeit:

Assoziation mit Ehrenmorde, religiösem Fanatismus und Jugendgewalt;

Verfestigung dieser „besonderen Geschlechterbeziehungen“ in Migrantencommunities durch mediale „Alltagsbilder“ und „soapoperas“:

„Macho-Murat“ mit einer ungebändigten Sexualität, Frauenverachtung und Aggression

Andere Dimensionen der Geschlechtlichkeit bei Migranten kaum thematisiert.

Unsere Wahrnehmung des Fremden/der Fremden

Page 24: Soziale Integration und Gewaltprävention Risikenund ... · • „Age of onsetof antisocialbehavior“: starker Prädiktor für deviante Verhaltensweisen und spätere kriminelle

Seite 24

Soziale Integration und Gewaltprävention

•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

24

Kulturgeschichtliche Gewaltrisiken

• Hohe Toleranz für Gewalt;

• Wertschätzung von Dominanz und Maskulinität;

• Interpersonelle Austragung von Konflikten und keine Delegation an die Zentralmacht;

• Unausweichlichkeit von Gewalt bei Ehrverletzungen.

Page 25: Soziale Integration und Gewaltprävention Risikenund ... · • „Age of onsetof antisocialbehavior“: starker Prädiktor für deviante Verhaltensweisen und spätere kriminelle

Seite 25

Soziale Integration und Gewaltprävention

•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

25

Jugendgewalt im interethnischen KontextBefunde des KFN (2000)

� Migrantenjugendliche deutlich stärker gewaltbelastet als deutsche Jugendliche

� Migrantenjugendliche auch deutlich häufiger Opfer von elterlicher Gewalt

Page 26: Soziale Integration und Gewaltprävention Risikenund ... · • „Age of onsetof antisocialbehavior“: starker Prädiktor für deviante Verhaltensweisen und spätere kriminelle

Seite 26

Soziale Integration und Gewaltprävention

•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

26

Elterliche Gewalt in der Kindheit

7,1

12,6

18,821,1

24,8

16,7

22,9

18 16,1 16,5

0

5

10

15

20

25

30

Deu

tsch

eAu

ssiedler

aus

GUS

Migra

nten

aus

Ex-Ju

gosl.

Migra

nten

aus

der

Tür

kei

Eing

ebür

gerte

Tür

ken

Zahlen in %

schwereZüchtigung

Mißhandlung

Quelle: KFN Forschungsberichte Nr. 81 (2000)

Page 27: Soziale Integration und Gewaltprävention Risikenund ... · • „Age of onsetof antisocialbehavior“: starker Prädiktor für deviante Verhaltensweisen und spätere kriminelle

Seite 27

Soziale Integration und Gewaltprävention

•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

27

Eigene Befunde:

Jugendliche Gewaltbelastungen im interethnischen Vergleich

Häusliche Gewalterfahrungen und alltägliche Gewaltbelastungen von

Jugendlichen; (Mittelwerte, Standardabweichungen und Effektstärken)

Deutsche Türken

Gewaltdimension M SD M SD d p

Mütterliche

Gewalterfahrung

1.07 .24 1.09 .23 .08 .50

Väterliche

Gewalterfahrung

1.11 .29 1.10 .28 .03 .56

Beobachtete

Elterngewalt

1.18 .45 1.28 .58 .19 .03

Gewaltakzeptanz 1.83 .77 2.18 .86 .43 .00

Aktive Gewalttat 1.42 .44 1.48 .54 .12 .16

Viktimisierung im

Peer-Kontext

1.68 .64 1.48 .55 .33 .00

Uslucan, Fuhrer & Mayer (2005). Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund

Page 28: Soziale Integration und Gewaltprävention Risikenund ... · • „Age of onsetof antisocialbehavior“: starker Prädiktor für deviante Verhaltensweisen und spätere kriminelle

Seite 28

Soziale Integration und Gewaltprävention

•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

28

Jugendliche Gewaltbelastungen im ethnischen Vergleich(parallelisierter Vergleich: Schultyp Hauptschule; N = 52 (D) und N = 49 (T))

p<.1

n.s.

n.s.

2,17

1,55

1,83

2,46

1,651,56

1

1,4

1,8

2,2

2,6

3

Gew

altakz

eptanz

Gew

altta

t

Viktim

isieru

ng

Deutsche

Türkische

p<.05

p<.05

Page 29: Soziale Integration und Gewaltprävention Risikenund ... · • „Age of onsetof antisocialbehavior“: starker Prädiktor für deviante Verhaltensweisen und spätere kriminelle

Seite 29

Soziale Integration und Gewaltprävention

•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

Exemplarische Ressourcen von Familien mit Zuwanderungsgeschichte:

• gesundheitsfördernde kulturelle Muster der Lebensführung wie bspw. ein günstigeres Stillverhalten von Müttern;

• niedrigerer Tabak- und Alkoholkonsum von Jugendlichen mit Migrationshintergrund (Robert-Koch-Institut 2008).

Ressourcen von Migranten

Page 30: Soziale Integration und Gewaltprävention Risikenund ... · • „Age of onsetof antisocialbehavior“: starker Prädiktor für deviante Verhaltensweisen und spätere kriminelle

Seite 30

Soziale Integration und Gewaltprävention

•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

• Muslimische Migrantenfamilien in ähnlichen widrigen Umständen wie Einheimische (Armut, Arbeitslosigkeit, Deprivation etc.):

– durch eine stärkere Kohäsion ihrer verwandtschaftlicher und familialer Netzwerke bessereVerarbeitung sozialer Benachteiligungen als Einheimische (Thiessen 2007).

Page 31: Soziale Integration und Gewaltprävention Risikenund ... · • „Age of onsetof antisocialbehavior“: starker Prädiktor für deviante Verhaltensweisen und spätere kriminelle

Seite 31

Soziale Integration und Gewaltprävention

•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

Ressourcen von Migranten:

• Armut und Suchtproblematik bei deutschen Familien deutlich dominanter;

• Muslimische Familien ermöglichen ihren Kindern bspw. trotz ärmlicher Verhältnisse eine weitestgehend gute Ernährung und Beaufsichtigung des Kindes. D.h. bei gleicher Soziallage ist das „Kümmern“ um die Kinder bei Migranten besser gegeben;

• es herrschen tragfähigere soziale Netzwerke vor.

Page 32: Soziale Integration und Gewaltprävention Risikenund ... · • „Age of onsetof antisocialbehavior“: starker Prädiktor für deviante Verhaltensweisen und spätere kriminelle

Seite 32

Soziale Integration und Gewaltprävention

•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

32

Resilienzförderung bei Migrantenkindern und -jugendlichen

1) • In den ersten beiden Lebensjahren etablierte sichere Mutter-Kind Bindung eine bedeutsame

Entwicklungsressource.

• Dieser Befund sollte in Erziehungs- und Familienberatungsstellen, Jugendämtern etc., insbesondere gegenüber Migrantenfamilien und –müttern stärker kommuniziert werden.

• Kaum Wissen um Entwicklungsgesetzlichkeiten, Entwicklungstempo und sensible Phasen in der Entwicklung des Kindes.

• Auswirkungen unsicherer Bindung bleiben nicht auf die Kindheit begrenzt, sondern sind auch in der Jugendphase wirksam. Unsicher gebundene Jugendliche zeigen weniger Ich-Flexibilität, negatives Selbstkonzept, stärkere Hilflosigkeit und Feindseligkeit (Seiffge-Krenke & Becker-Stoll, 2004).

Page 33: Soziale Integration und Gewaltprävention Risikenund ... · • „Age of onsetof antisocialbehavior“: starker Prädiktor für deviante Verhaltensweisen und spätere kriminelle

Seite 33

Soziale Integration und Gewaltprävention

•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

33

2)

• In Schulkontexten sollten (Migranten-)Jugendliche noch stärker verantwortungsvolle Positionen –ungeachtet möglicherweise ihrer geringeren sprachlichen Kompetenzen – erhalten.

Sie werden sich dann stärker mit der Aufgabe identifizieren, die inneren Bindungen zur Schule wachsen, und sie machen dadurch Erfahrungen der Nützlichkeit und der Selbstwirksamkeit.

Page 34: Soziale Integration und Gewaltprävention Risikenund ... · • „Age of onsetof antisocialbehavior“: starker Prädiktor für deviante Verhaltensweisen und spätere kriminelle

Seite 34

Soziale Integration und Gewaltprävention

•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

34

3)

• Schulprojekte wie „Großer Bruder“, „Große Schwester“, (Buddy-Projekte) bei denen kompetente ältere Jugendliche Risikokindern (Kindern aus chaotischen, ungeordneten Elternhäusern, Elternhäusern mit psychischer Erkrankung der Eltern etc.) zugeordnet werden und eine Teilverantwortungen für sie übernehmen, haben resilienzfördernde Wirkung, weil dadurch dieses ältere Kind – im Gegensatz zu den Eltern, die in diesen Konstellationen nicht als Vorbilder taugen - dann zu Rollenvorbildern werden können.

Page 35: Soziale Integration und Gewaltprävention Risikenund ... · • „Age of onsetof antisocialbehavior“: starker Prädiktor für deviante Verhaltensweisen und spätere kriminelle

Seite 35

Soziale Integration und Gewaltprävention

•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

35

4) • Eines der stabilsten Befunde in der Migrationsforschung ist das Phänomen, dass Migranteneltern in der

Regel hohe Bildungsaspirationen für ihre Kinder haben, die oft mit hohen, zum Teil unrealistischen, Erwartungen an die Kinder gekoppelt sind, wobei häufig aus dem Mangel an eigenen Kompetenzen zugleich die schulische Unterstützung des Kindes gering ist (Nauck & Diefenbach, 1997).

• Bei ausbleibendem oder geringem Erfolg der Kinder führt dieses Auseinander klaffen dann vielfach zu Enttäuschungen auf Seiten der Eltern und psychischen Belastungen bei Kindern.

Page 36: Soziale Integration und Gewaltprävention Risikenund ... · • „Age of onsetof antisocialbehavior“: starker Prädiktor für deviante Verhaltensweisen und spätere kriminelle

Seite 36

Soziale Integration und Gewaltprävention

•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

36

• Hohe Erwartungen dem Umstand geschuldet, dass sozialer Aufstieg und anerkannte Berufe für viele Migranteneltern nur mit akademischen Berufen wie Arzt und Anwalt verknüpft sind.

• Daher gilt es, in Kontexten der Schul- und Berufsberatung Migranteneltern zum einen auf die belastendeWirkung hoher Erwartungen bei fehlender Unterstützung hinzuweisen - die sich in aggressiven Akten nach außen oder in depressiven Verstimmungen nach innen entladen können -, und zum anderen ihnen in einer verständlichen Weise die Entwicklungs- und Aufstiegsmöglichkeiten auch durch handwerklich-technische Berufe zu kommunizieren.

Page 37: Soziale Integration und Gewaltprävention Risikenund ... · • „Age of onsetof antisocialbehavior“: starker Prädiktor für deviante Verhaltensweisen und spätere kriminelle

Seite 37

Soziale Integration und Gewaltprävention

•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

37

5)

• Eine Reihe von Studien zeigt, dass ein positives Schulklima eine fördernde und schützende Wirkung hat; vor allem eine gute Beziehung zum Lehrer, den die Schüler als an ihnen interessiert und sie herausfordernd wahrnehmen.

Page 38: Soziale Integration und Gewaltprävention Risikenund ... · • „Age of onsetof antisocialbehavior“: starker Prädiktor für deviante Verhaltensweisen und spätere kriminelle

Seite 38

Soziale Integration und Gewaltprävention

•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

38

• An diesen Befund anknüpfend, lässt sich folgern, dass eine Verbesserung des Schulklimas und mehr persönliches Engagement der Lehrkräfte mit Migrantenkindern resilienzfördernd sind.

• Vor allem kann ein Schulklima, das die kulturelle Vielfalt ihrer Schüler als Reichtum und nicht als Hemmnis betrachtet, einen Beitrag zur Resilienz leisten, weil dadurch dem Einzelnen das Gefühl von Wichtigkeit, Bedeutung und Anerkennung gegeben wird (Speck-Hamdan, 1999).

Page 39: Soziale Integration und Gewaltprävention Risikenund ... · • „Age of onsetof antisocialbehavior“: starker Prädiktor für deviante Verhaltensweisen und spätere kriminelle

Seite 39

Soziale Integration und Gewaltprävention

•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

39

6)

• Des Weiteren zeigen Migrantenjugendliche (nicht nur diese, sondern auch deutsche), die mit Gewaltbelastungen auffallen, in der Regel gleichzeitig auch schlechte Schulleistungen.

• Hier ist es pädagogisch ratsam, ihre Leistungen nicht nur an einer sozialen Bezugsnorm – meistens die gleichaltrige deutsche Altersgruppe in der Klasse – zu messen. Denn dann spüren sie, dass sie trotz Anstrengungen vielfach nicht die erforderlichen Leistungen bringen und sind geneigt, zu resignieren. Förderlicher ist es dagegen, die individuellen Entwicklungsschritte und Verbesserungen zu berücksichtigen und diese dann zu würdigen.

Page 40: Soziale Integration und Gewaltprävention Risikenund ... · • „Age of onsetof antisocialbehavior“: starker Prädiktor für deviante Verhaltensweisen und spätere kriminelle

Seite 40

Soziale Integration und Gewaltprävention

•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

40

7)

• So können bspw. positive Erfahrungen mit Tutorensystemen in der Lehr-Lern-Forschung modifiziert auch bei Migrantenkindern eingesetzt werden:

Ihnen sollten vermehrt in der Kita bzw. Schule die Aufgabe gegeben werden, unabhängig von ihrer Leistung anderen Kindern etwas beizubringen. Davon profitieren Lehrende in der Regel viel stärker als Lernende, weil das Wissen anders organisiert und eigens neu aufbereitet werden muss und somit eine größere Verarbeitungstiefe erreicht wird. So werden Leistungsverbesserungen auch bei leistungsschwächeren Schülern erreicht.

Page 41: Soziale Integration und Gewaltprävention Risikenund ... · • „Age of onsetof antisocialbehavior“: starker Prädiktor für deviante Verhaltensweisen und spätere kriminelle

Seite 41

Soziale Integration und Gewaltprävention

•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

41

8)• Neben Thematisierung von Gewalt und Gewaltfolgen im Unterricht auch stärker handlungsorientierte

Formen des Unterrichts (und nicht nur Frontalunterricht) praktizieren, die Jugendliche stärker einbeziehen, ihnen dadurch Partizipation ermöglichen und in Folge dessen sie weniger mit Ohnmachtserfahrungen in der Schule konfrontieren (gewaltpräventive Wirkung; Gollon, 2003).

• Diesen Zusammenhang gilt es von frühester Schulzeit insbesondere für Jugendliche mit Migrationshintergrund zu nutzen, damit sie in der Schule nicht nur Versagenserfahrungen, sondern auch eigene Stärken zur Geltung kommen lassen können.

Page 42: Soziale Integration und Gewaltprävention Risikenund ... · • „Age of onsetof antisocialbehavior“: starker Prädiktor für deviante Verhaltensweisen und spätere kriminelle

Seite 42

Soziale Integration und Gewaltprävention

•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

42

9)

• Ferner kann sich, was ausländische Kinder betrifft, das symbolische Kapital, das sie mit ihrer Mehrsprachigkeit haben, (vorausgesetzt, sie sprechen beide Sprachen relativ gut) als ein wichtiger Schutzfaktor dienen.

• Deshalb wären auch hier Förderaspekte anzusetzen, weil Mehrsprachigkeit indirekt Ressourcen erweitert und Kinder und Jugendliche weniger vulnerabel macht.

• Forderungen, mehr oder ausschließlich Deutsch zu sprechen, „verschenken“ dieses Kapital.

Page 43: Soziale Integration und Gewaltprävention Risikenund ... · • „Age of onsetof antisocialbehavior“: starker Prädiktor für deviante Verhaltensweisen und spätere kriminelle

Seite 43

Soziale Integration und Gewaltprävention

•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

43

10) Und nicht zuletzt: Gerade wenn Migranten und Jugendliche mit Migrationshintergrund unter einer höheren Anzahl bzw. an intensiveren Risiken leiden, wie offensichtlich es in vielen Studien klar wird (Collatz, 1998, Uslucan, 2000; Uslucan, 2005a, b), dann müsste auch eine ganz „normale“, unauffällige Lebensführung von ihnen zunächst erstaunlich und erklärungsbedürftig sein.

Deshalb: nicht nur stets die außergewöhnlichen positiven Fälle loben, sondern auch die Anstrengungen „zur Normalität“ bei den „Unauffälligen“ besonders zu honorieren und anerkennen.

Page 44: Soziale Integration und Gewaltprävention Risikenund ... · • „Age of onsetof antisocialbehavior“: starker Prädiktor für deviante Verhaltensweisen und spätere kriminelle

Seite 44

Soziale Integration und Gewaltprävention

•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

44

Vielen Dank für Ihre Geduld und Aufmerksamkeit !