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Soziale Integration und Gewaltprävention
•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
Vortrag am 08.11.2010 in Bad Boll
Prof. Dr. Haci-Halil UslucanZentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung / Universität Duisburg-Essen
Soziale Integration und Gewaltprävention
Risiken und Ressourcen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund
Kontakt: [email protected]
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Programm
• Integration von Migranten• Entwicklungspsychologische Dimensionen von Gewalt• Ökologische und gesellschaftliche Risiken • Gewaltrisiken von Jugendlichen mit Migrationshintergrund• Ressourcenförderung bei Migranten
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Lebenswelten von Familien mit
Zuwanderungsgeschichte
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Kulturkonflikte
• Entgegengesetzte Einflüsse von Familie einerseits und Einflüsse des Aufnahmelandes
•Identitätsprobleme bei Jugendlichen•Psychosomatische Beschwerden bei Erwachsenen
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Lebenswelten von Familien mit
Zuwanderungsgeschichte
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Probleme des Kulturkonflikt-Ansatzes
• Ursachenzuschreibung einseitig auf den Kulturwechsel
• Kulturwechsel reduktionistisch als Entwicklungseinschränkung
• Fokussierung auf einseitige Bereicherung der Einheimischen bzw. einseitiger Verlust der Migranten
• Unterstellte Homogenität der Mehrheits- wie der Minderheitskultur
• Kultur als unausweichlich präskriptiv: Unterschlagung der Widerstands- und Eigenmächtigkeitspotenziale der Subjekte
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Lebenswelten von Familien mit
Zuwanderungsgeschichte
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•Berry, 1997
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Interaktives Akkulturationsmodell (IAM)Berry et.al (1987)
Akkulturationsorientierungen:
Aufnehmende Gesellschaft
Einwanderer
Integration Assimilation Separation Marginali-sierung
Integration Konsens problematisch Konflikt problematisch
Assimilation problematisch Konsens Konflikt problematisch
Segregation Konflikt Konflikt Konflikt Konflikt
Marginalisierung Konflikt Konflikt Konflikt Konflikt
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• Dimensionen des Integrationsprozesses (Heckmann, 2005)
• 1. Strukturelle Integration
• 2. Kulturelle Integration
• 3. Soziale Integration
• 4. Identifikative Integration
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Integration und Familie
Probleme:
• Kinder akkulturieren sich schneller, entfernen sich dadurch mehr von den Eltern;
• Parentifizierung;
• Repräsentation ohne Legitimation bei zugeheirateten Männern: in der Familienforschung riskanteste Paarkonstellation
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Integration und Familie
Akkulturation kann erleichtert werden durch:
• Tolerante/Anerkennende Einstellung der Mitglieder der Aufnahmekultur;
• Offenheit gegenüber Fremden;• Soziale Durchlässigkeit der Institutionen/Interkulturelle Öffnung der sozialen Dienste
• Statt distanzmaximierender Berichte: Betonung der großen Gemeinsamkeiten
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Kriterien gelungener Integration
Theoretisches Problem:
• Deutungshoheit des Gelingens von Integration: Mehrheit/Minderheit?
• Integration segmentär: Gelingende Integrationsprozesse in einem Bereich/scheiternde Integration in anderen Bereichen
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II. Entwicklungspsychologische Dimensionen:
Im Laufe der individuellen Entwicklung (Ontogenese) zunächst die „harten“ Formen der Aggression (physische Aggression) erworben,
dann erst „Softformen“ wie psychische und verbale Aggression
Verletzungen durch Schlagen zuzufügen ist eine relativ „primitive“ bzw. einfache Verhaltensweise.
Psychische Aggression setzt voraus, dass der Akteur die Perspektive des anderen einnehmen und die Wirkung auf den anderen antizipieren kann.
Diese Fähigkeiten werden erst in der späteren Kindheit erworben.
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Entwicklungspsychologische Dimensionen
• Aggressives Verhalten als eine der häufigsten antisozialen Verhaltensweisen; tritt bei ca. 6-7% aller Jugendlichen auf (Döpfner et al., 1998).
• Starke geschlechtsspezifische Asymmetrie in der Gewaltbelastung: Verhältnis von männlichen vs. weiblichen Jugendlichen: Gewaltbelastung von Mädchen: 2-3%; von Jungen: ca. 10%.
• Geschlechtsspezifische Unterschiede beginnen ab dem 4. und 5. Lebensjahr und vergrößern sich nach dem Schuleintritt
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Geschlechtsspezifische Ausprägungen:
• Aggressive Akte bei Jungen eher offen und direkt in Form von physischer Verletzung und Raufereien;
• Bei Mädchen dagegen eher indirekte aggressive Verhaltensweisen:– d.h. verbal oder „relational“– Relationale Aggression: Bemühen, die Beziehungen einer Person zu einer anderen zu
zerrütten oder Gerüchte über diese Person zu verbreiten und ihr so einen Schaden zuzufügen.
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• Ansteigen der Gewalt ab dem Alter von 13 J. ;
• Deutlicher Rückgang ab 20 Jahren (Rutter, 1995; Loeber& Farrington, 1998)
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• Jugend als ein Schwellenzustand und als eine gefährdete Phase: Zeit physischer und psychischer Umbrüche, aktiver Identitätssuche und -entwicklung
• „Maturity gap“ als eine wesentliche Motivation zu Gewalt und Delinquenz in der Jugendphase moderner Gesellschaften (Moffitt, 1993)
• „ Adolescence-limited“ und „life-course-persistent antisocial behavior“: zentrale Taxonomie im Hinblick auf Ätiologie, Verlauf, Prognose und Therapie von Gewaltbelastungen
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Typen des jugendlichen Gewaltverlaufs: Früh- und Spätstarter
„Life-course persistent“ vs. „adolescence-limited antisocial behaviour“
• Frühstarter: < 14 Jahre:
aggressives Verhalten während der Kindheit;
geringe elterliche Aufsicht in der häuslichen Umgebung;negative (körperlich-strafende) Erziehungspraktiken;Ablehnung durch Gleichaltrige.
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Typen des jugendlichen Gewaltverlaufs: Früh- und Spätstarter
„ Adolescence-limited antisocial behaviour
Spätstarter: >14 Jahre:• geringe aggressive Verhaltensweisen in der Kindheit;• Partnerschaftskonflikte der Eltern;• mäßige Aufsicht der Eltern;• Kontakt zu devianten Cliquen oder Gruppen: Bedürfnis nach Zuwendung und Anerkennung;
„Ausprobieren“ von sozialen Rollen.
Deshalb:
• „Age of onset of antisocial behavior“: starker Prädiktor für deviante Verhaltensweisen und spätere kriminelle Belastung (Farrington, Loeber & Elliott, 1990).
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III. Ökologische KontexteZivilisatorische Veränderung in modernen Gesellschaften:
• Verschiebung der Machtverhältnisse der Geschlechter zugunsten von Frauen
• und eine Verschiebung zwischen den Schichten zugunsten Höhergebildeter und Höherqualifizierter.
• Beide Entwicklungen zusammen: Dequalifizierung und Depotenzierung von Männern der Unterschicht + kulturelle Abwertung körperlich ausgelebter Männlichkeit.
• Kränkungspotenzial und Konfliktpotenzial in dieser Schicht; Anfälligkeit für rechtsradikale, chauvinistische und gewaltbilligende Strömungen
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Lebensweltliche Risiken im Aufwachsen
Finanzkapital (Daten des DJI-Kinderpanels, 2005):
•Ca. 54% der türkischen Familien ein Haushaltseinkommen, das zu den untersten 10% des Äquivalenzeinkommens aller Haushalte gehört;•
•Dagegen: 48% aller deutschen, aber nur 20% aller türkischen Familien ein mittleres Haushaltseinkommen.
•Arme Kinder aus Migrantenfamilien haben ein doppelt so großes Risiko, desintegriert bzw. gering integriert zu sein als ein Kind aus einer Durchschnittseinkommens-Familie (Beisenherz, 2006).
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Entwicklungspsychologische Risiken in Migrantenfamilien:
1. mehr als drei Geschwister (dadurch zu wenig Aufmerksamkeit und Zuwendung dem einzelnen Kind gegenüber); bei mehr als drei Geschwistern auch ein deutlich geringeres Netz an Peer-Kontakten.
2. zu geringer Altersabstand in der Geschwisterreihe (Gefahr der Übersozialisierung und Vernachlässigung typisch kindlicher Bedürfnisse)
3. Elternschaft deutlich früher; frühe Mutterschaft erhöht Gewaltrisiko
4. Unterschiedliche Wertigkeit von Sohn vs. Tochter
5. Höhere Kinderzahl; dadurch stärkere Überforderung der Mutter
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Risiken der Gewaltweitergabe
Ontogenetisch Mikrosyst. Exosystem Makrosystem
Gewalterfahrung Eheliche Unzufriedenheit
Arbeitslosig-keit;
Kulturelle Akzeptanz von Gewalt;
Geringes Selbstwertgefühl
Kinder mit Verhaltensprob-lemen;
Isolation; geringe soziale Unterstützung;
Kinder als Besitz;
Niedriger IQ gesundheitlich anfällige Kinder
negativ erlebte Eltern-Kind-Beziehung des Elternteils
Ökonomische Depression
Geringe interpersonale Fähigkeiten
Alleineltern-schaft und Armut
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Risikomildernde Faktoren der Gewaltweitergabe
Ontogenetisch Mikrosystem Exosystem Makrosystem
Positive Beziehung zu einer Bezugsperson
Gesunde Kinder Soziale Unterstützung
Respekt betonende Kultur
Hohe Intelligenz und Begabung
Unterstützender Ehepartner
Geringe Stresserfahrungen im Alltag;
Kulturelle Ächtung von Gewalt
Physische Attraktivität
Ökonomische Sicherheit
Frömmigkeit Ökonomischer Wohlstand
Gute interpersonale Fähigkeiten
Therapeutische Interventionen
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Öffentlicher Diskurs über Migration und Männlichkeit:
Assoziation mit Ehrenmorde, religiösem Fanatismus und Jugendgewalt;
Verfestigung dieser „besonderen Geschlechterbeziehungen“ in Migrantencommunities durch mediale „Alltagsbilder“ und „soapoperas“:
„Macho-Murat“ mit einer ungebändigten Sexualität, Frauenverachtung und Aggression
Andere Dimensionen der Geschlechtlichkeit bei Migranten kaum thematisiert.
Unsere Wahrnehmung des Fremden/der Fremden
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Kulturgeschichtliche Gewaltrisiken
• Hohe Toleranz für Gewalt;
• Wertschätzung von Dominanz und Maskulinität;
• Interpersonelle Austragung von Konflikten und keine Delegation an die Zentralmacht;
• Unausweichlichkeit von Gewalt bei Ehrverletzungen.
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Jugendgewalt im interethnischen KontextBefunde des KFN (2000)
� Migrantenjugendliche deutlich stärker gewaltbelastet als deutsche Jugendliche
� Migrantenjugendliche auch deutlich häufiger Opfer von elterlicher Gewalt
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Elterliche Gewalt in der Kindheit
7,1
12,6
18,821,1
24,8
16,7
22,9
18 16,1 16,5
0
5
10
15
20
25
30
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aus
GUS
Migra
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Ex-Ju
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Migra
nten
aus
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Tür
kei
Eing
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gerte
Tür
ken
Zahlen in %
schwereZüchtigung
Mißhandlung
Quelle: KFN Forschungsberichte Nr. 81 (2000)
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Eigene Befunde:
Jugendliche Gewaltbelastungen im interethnischen Vergleich
Häusliche Gewalterfahrungen und alltägliche Gewaltbelastungen von
Jugendlichen; (Mittelwerte, Standardabweichungen und Effektstärken)
Deutsche Türken
Gewaltdimension M SD M SD d p
Mütterliche
Gewalterfahrung
1.07 .24 1.09 .23 .08 .50
Väterliche
Gewalterfahrung
1.11 .29 1.10 .28 .03 .56
Beobachtete
Elterngewalt
1.18 .45 1.28 .58 .19 .03
Gewaltakzeptanz 1.83 .77 2.18 .86 .43 .00
Aktive Gewalttat 1.42 .44 1.48 .54 .12 .16
Viktimisierung im
Peer-Kontext
1.68 .64 1.48 .55 .33 .00
Uslucan, Fuhrer & Mayer (2005). Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund
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Jugendliche Gewaltbelastungen im ethnischen Vergleich(parallelisierter Vergleich: Schultyp Hauptschule; N = 52 (D) und N = 49 (T))
p<.1
n.s.
n.s.
2,17
1,55
1,83
2,46
1,651,56
1
1,4
1,8
2,2
2,6
3
Gew
altakz
eptanz
Gew
altta
t
Viktim
isieru
ng
Deutsche
Türkische
p<.05
p<.05
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Exemplarische Ressourcen von Familien mit Zuwanderungsgeschichte:
• gesundheitsfördernde kulturelle Muster der Lebensführung wie bspw. ein günstigeres Stillverhalten von Müttern;
• niedrigerer Tabak- und Alkoholkonsum von Jugendlichen mit Migrationshintergrund (Robert-Koch-Institut 2008).
Ressourcen von Migranten
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• Muslimische Migrantenfamilien in ähnlichen widrigen Umständen wie Einheimische (Armut, Arbeitslosigkeit, Deprivation etc.):
– durch eine stärkere Kohäsion ihrer verwandtschaftlicher und familialer Netzwerke bessereVerarbeitung sozialer Benachteiligungen als Einheimische (Thiessen 2007).
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Ressourcen von Migranten:
• Armut und Suchtproblematik bei deutschen Familien deutlich dominanter;
• Muslimische Familien ermöglichen ihren Kindern bspw. trotz ärmlicher Verhältnisse eine weitestgehend gute Ernährung und Beaufsichtigung des Kindes. D.h. bei gleicher Soziallage ist das „Kümmern“ um die Kinder bei Migranten besser gegeben;
• es herrschen tragfähigere soziale Netzwerke vor.
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Resilienzförderung bei Migrantenkindern und -jugendlichen
1) • In den ersten beiden Lebensjahren etablierte sichere Mutter-Kind Bindung eine bedeutsame
Entwicklungsressource.
• Dieser Befund sollte in Erziehungs- und Familienberatungsstellen, Jugendämtern etc., insbesondere gegenüber Migrantenfamilien und –müttern stärker kommuniziert werden.
• Kaum Wissen um Entwicklungsgesetzlichkeiten, Entwicklungstempo und sensible Phasen in der Entwicklung des Kindes.
• Auswirkungen unsicherer Bindung bleiben nicht auf die Kindheit begrenzt, sondern sind auch in der Jugendphase wirksam. Unsicher gebundene Jugendliche zeigen weniger Ich-Flexibilität, negatives Selbstkonzept, stärkere Hilflosigkeit und Feindseligkeit (Seiffge-Krenke & Becker-Stoll, 2004).
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2)
• In Schulkontexten sollten (Migranten-)Jugendliche noch stärker verantwortungsvolle Positionen –ungeachtet möglicherweise ihrer geringeren sprachlichen Kompetenzen – erhalten.
Sie werden sich dann stärker mit der Aufgabe identifizieren, die inneren Bindungen zur Schule wachsen, und sie machen dadurch Erfahrungen der Nützlichkeit und der Selbstwirksamkeit.
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3)
• Schulprojekte wie „Großer Bruder“, „Große Schwester“, (Buddy-Projekte) bei denen kompetente ältere Jugendliche Risikokindern (Kindern aus chaotischen, ungeordneten Elternhäusern, Elternhäusern mit psychischer Erkrankung der Eltern etc.) zugeordnet werden und eine Teilverantwortungen für sie übernehmen, haben resilienzfördernde Wirkung, weil dadurch dieses ältere Kind – im Gegensatz zu den Eltern, die in diesen Konstellationen nicht als Vorbilder taugen - dann zu Rollenvorbildern werden können.
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4) • Eines der stabilsten Befunde in der Migrationsforschung ist das Phänomen, dass Migranteneltern in der
Regel hohe Bildungsaspirationen für ihre Kinder haben, die oft mit hohen, zum Teil unrealistischen, Erwartungen an die Kinder gekoppelt sind, wobei häufig aus dem Mangel an eigenen Kompetenzen zugleich die schulische Unterstützung des Kindes gering ist (Nauck & Diefenbach, 1997).
• Bei ausbleibendem oder geringem Erfolg der Kinder führt dieses Auseinander klaffen dann vielfach zu Enttäuschungen auf Seiten der Eltern und psychischen Belastungen bei Kindern.
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• Hohe Erwartungen dem Umstand geschuldet, dass sozialer Aufstieg und anerkannte Berufe für viele Migranteneltern nur mit akademischen Berufen wie Arzt und Anwalt verknüpft sind.
• Daher gilt es, in Kontexten der Schul- und Berufsberatung Migranteneltern zum einen auf die belastendeWirkung hoher Erwartungen bei fehlender Unterstützung hinzuweisen - die sich in aggressiven Akten nach außen oder in depressiven Verstimmungen nach innen entladen können -, und zum anderen ihnen in einer verständlichen Weise die Entwicklungs- und Aufstiegsmöglichkeiten auch durch handwerklich-technische Berufe zu kommunizieren.
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5)
• Eine Reihe von Studien zeigt, dass ein positives Schulklima eine fördernde und schützende Wirkung hat; vor allem eine gute Beziehung zum Lehrer, den die Schüler als an ihnen interessiert und sie herausfordernd wahrnehmen.
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• An diesen Befund anknüpfend, lässt sich folgern, dass eine Verbesserung des Schulklimas und mehr persönliches Engagement der Lehrkräfte mit Migrantenkindern resilienzfördernd sind.
• Vor allem kann ein Schulklima, das die kulturelle Vielfalt ihrer Schüler als Reichtum und nicht als Hemmnis betrachtet, einen Beitrag zur Resilienz leisten, weil dadurch dem Einzelnen das Gefühl von Wichtigkeit, Bedeutung und Anerkennung gegeben wird (Speck-Hamdan, 1999).
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6)
• Des Weiteren zeigen Migrantenjugendliche (nicht nur diese, sondern auch deutsche), die mit Gewaltbelastungen auffallen, in der Regel gleichzeitig auch schlechte Schulleistungen.
• Hier ist es pädagogisch ratsam, ihre Leistungen nicht nur an einer sozialen Bezugsnorm – meistens die gleichaltrige deutsche Altersgruppe in der Klasse – zu messen. Denn dann spüren sie, dass sie trotz Anstrengungen vielfach nicht die erforderlichen Leistungen bringen und sind geneigt, zu resignieren. Förderlicher ist es dagegen, die individuellen Entwicklungsschritte und Verbesserungen zu berücksichtigen und diese dann zu würdigen.
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7)
• So können bspw. positive Erfahrungen mit Tutorensystemen in der Lehr-Lern-Forschung modifiziert auch bei Migrantenkindern eingesetzt werden:
Ihnen sollten vermehrt in der Kita bzw. Schule die Aufgabe gegeben werden, unabhängig von ihrer Leistung anderen Kindern etwas beizubringen. Davon profitieren Lehrende in der Regel viel stärker als Lernende, weil das Wissen anders organisiert und eigens neu aufbereitet werden muss und somit eine größere Verarbeitungstiefe erreicht wird. So werden Leistungsverbesserungen auch bei leistungsschwächeren Schülern erreicht.
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8)• Neben Thematisierung von Gewalt und Gewaltfolgen im Unterricht auch stärker handlungsorientierte
Formen des Unterrichts (und nicht nur Frontalunterricht) praktizieren, die Jugendliche stärker einbeziehen, ihnen dadurch Partizipation ermöglichen und in Folge dessen sie weniger mit Ohnmachtserfahrungen in der Schule konfrontieren (gewaltpräventive Wirkung; Gollon, 2003).
• Diesen Zusammenhang gilt es von frühester Schulzeit insbesondere für Jugendliche mit Migrationshintergrund zu nutzen, damit sie in der Schule nicht nur Versagenserfahrungen, sondern auch eigene Stärken zur Geltung kommen lassen können.
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9)
• Ferner kann sich, was ausländische Kinder betrifft, das symbolische Kapital, das sie mit ihrer Mehrsprachigkeit haben, (vorausgesetzt, sie sprechen beide Sprachen relativ gut) als ein wichtiger Schutzfaktor dienen.
• Deshalb wären auch hier Förderaspekte anzusetzen, weil Mehrsprachigkeit indirekt Ressourcen erweitert und Kinder und Jugendliche weniger vulnerabel macht.
• Forderungen, mehr oder ausschließlich Deutsch zu sprechen, „verschenken“ dieses Kapital.
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10) Und nicht zuletzt: Gerade wenn Migranten und Jugendliche mit Migrationshintergrund unter einer höheren Anzahl bzw. an intensiveren Risiken leiden, wie offensichtlich es in vielen Studien klar wird (Collatz, 1998, Uslucan, 2000; Uslucan, 2005a, b), dann müsste auch eine ganz „normale“, unauffällige Lebensführung von ihnen zunächst erstaunlich und erklärungsbedürftig sein.
Deshalb: nicht nur stets die außergewöhnlichen positiven Fälle loben, sondern auch die Anstrengungen „zur Normalität“ bei den „Unauffälligen“ besonders zu honorieren und anerkennen.
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Vielen Dank für Ihre Geduld und Aufmerksamkeit !