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A n der Schwelle zwischen kalter Novembernacht und der Welt von Red Bull steht eine Frau im schwarzen Hosenanzug. Mit der Gästelis- te in der Hand empfängt sie die Leute, die hineinmöchten in den Hangar-7, einen Kuppelbau aus Stahl und Glas, der grell von innen erleuchtet ist. Manche weist sie mit scharfer Geste zurück, anderen gibt sie Küsschen auf die Wangen, sie sagt: „Herzlich willkommen beim Fami- lientreffen!“ Nur ein enger Kreis darf heu- te am Salzburger Flughafen mitfeiern. Eng, das bedeutet: über tausend Leute. Tags zuvor hat Sebastian Vettel in Abu Dhabi die Weltmeisterschaft gewonnen, mit 23 Jahren, als jüngster Fahrer der For- mel-1-Geschichte. Nun ist er zurück. Aber zunächst nicht in Deutschland, nicht in seinem hessischen Heimatort Heppen- heim, sondern in Österreich, der Heimat von Red Bull. Die Getränkefirma hat Vet- tel zum Champion gemacht. Seit Vettel elf war, hat sie ihm die Karriere finanziert, jetzt baut sie seinen Siegerwagen, Typ Red Bull RB6. Darum hat Vettel seinen ersten Auftritt hier. Zwischen künstlichen Palmen, auf- polierten alten Kampfflugzeugen und Rennautos spielt eine Jazzband. Dann kommt der Weltmeister herein. Das Pu- blikum bildet eine Gasse, sie führt zu ein paar Ledersesseln, um die herum fünf Ka- meras postiert sind. Mit dem Siegerpokal im Arm schlendert Sebastian Vettel durch die Menge, die Leute johlen, Vettel grinst. Sein kariertes Hemd hängt aus der Jeans heraus. Er nimmt neben dem Moderator Platz, neben österreichischen Rennhelden wie Niki Lauda und Gerhard Berger. Eineinhalb Stunden plaudern sie mit- einander, live und exklusiv in „Sport und Talk“ auf Servus TV, dem Fernsehkanal von Red Bull. Das Publikum besteht aus Mitarbeitern des Konzerns und aus Ath- leten anderer Sportarten, in die Red Bull sein Geld investiert. Nach fast jedem Satz von Vettel klatschen sie, manchmal stemmt der Aufnahmeleiter einen der Zu- schauer aus dem Sitz, wenn er möchte, dass alle sich zum Applaus erheben. Vettel sagt zum Schluss: „Ich kann im- mer noch dazulernen, ich will mich jetzt nicht verlieren.“ Es ist unmöglich, ihn nicht zu mögen. Vettels Triumph ist der Triumph der Red-Bull-Methode. Totales Marketing. Es beschränkt sich nicht darauf, das Firmen- logo irgendwo dranzuheften. „Von jeher war es unsere Philosophie, nicht von au- ßen her mit einem Geldkoffer einen Kot- flügel zu kaufen und zu bekleben, son- dern im jeweiligen Sport integriert zu sein und auch die Verantwortung für Erfolg und Misserfolg zu tragen“, so nennt Fir- mengründer Dietrich Mateschitz das. Red Bull gibt eine halbe Milliarde Dol- lar pro Jahr für den Sport aus, großzügi- ger sind nur Nike, Adidas und Coca-Cola. Dafür möchte der Konzern nicht bloß et- was vom Ruhm abbekommen, den der Erfolg von Menschen und Mannschaften nach sich zieht. Red Bull will den Erfolg und die Aufmerksamkeit erschaffen. Kein anderer Sponsor hat sich in den vergangenen 20 Jahren im Weltsport so ausgebreitet. In über 100 Sportarten en- gagiert sich Red Bull, derzeit gehören 456 Athleten auf dem ganzen Globus zu den roten Bullen. Snowboarder, Motocross- fahrer, Beachvolleyballer, Drachenflieger oder Teams im Eishockey und Fußball. Red Bull hat Sportarten erfunden wie das Air Race, bei dem Kunstflieger durch einen Parcours rasen, außerdem Wett- bewerbe entworfen für Klippenspringer, Trickskifahrer und Seifenkistenpiloten. Alles muss Draufgängertum und Jugend- lichkeit ausstrahlen. Es geht darum, spek- takuläre Bilder zu erzeugen. Solange Red Bull keine Weltmarke war, reichte es aus, Nischen zu öffnen und zu besetzen. Inzwischen werden jährlich 4 Milliarden Getränkedosen verkauft und 3,3 Milliarden Euro umgesetzt, das Un- ternehmen leistet sich gleich zwei For- 47/2010 182 Firmengründer Mateschitz, Grand-Prix-Fahrer Vettel: Sport VERMARKTUNG Schöpfung aus der Dose Die Getränkemarke Red Bull hat sich ein eigenes Sportimperium aufgebaut. Der Konzern veranstaltet Kunstflug- Wettbewerbe, sponsert Snowboarder, lenkt ein Fußballteam in New York. Sein spektakulärster Coup aber ist der Gewinn der Formel-1-Weltmeisterschaft durch Sebastian Vettel.

Sport Schöp VERfMA uRKTnUNGga s der Dose

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Page 1: Sport Schöp VERfMA uRKTnUNGga s der Dose

An der Schwelle zwischen kalterNovembernacht und der Welt vonRed Bull steht eine Frau im

schwarzen Hosenanzug. Mit der Gästelis-te in der Hand empfängt sie die Leute,die hineinmöchten in den Hangar-7, einenKuppelbau aus Stahl und Glas, der grellvon innen erleuchtet ist. Manche weistsie mit scharfer Geste zurück, anderengibt sie Küsschen auf die Wangen, siesagt: „Herzlich willkommen beim Fami-lientreffen!“ Nur ein enger Kreis darf heu-te am Salzburger Flughafen mitfeiern.Eng, das bedeutet: über tausend Leute.Tags zuvor hat Sebastian Vettel in Abu

Dhabi die Weltmeisterschaft gewonnen,mit 23 Jahren, als jüngster Fahrer der For-mel-1-Geschichte. Nun ist er zurück.Aber zunächst nicht in Deutschland, nichtin seinem hessischen Heimatort Heppen-heim, sondern in Österreich, der Heimatvon Red Bull. Die Getränkefirma hat Vet-tel zum Champion gemacht. Seit Vettelelf war, hat sie ihm die Karriere finanziert,jetzt baut sie seinen Siegerwagen, TypRed Bull RB6. Darum hat Vettel seinenersten Auftritt hier.Zwischen künstlichen Palmen, auf -

polierten alten Kampfflugzeugen undRennautos spielt eine Jazzband. Dannkommt der Weltmeister herein. Das Pu-blikum bildet eine Gasse, sie führt zu einpaar Ledersesseln, um die herum fünf Ka-meras postiert sind. Mit dem Siegerpokalim Arm schlendert Sebastian Vettel durchdie Menge, die Leute johlen, Vettel grinst.Sein kariertes Hemd hängt aus der Jeansheraus. Er nimmt neben dem ModeratorPlatz, neben österreichischen Rennheldenwie Niki Lauda und Gerhard Berger.Eineinhalb Stunden plaudern sie mit-

einander, live und exklusiv in „Sport undTalk“ auf Servus TV, dem Fernsehkanalvon Red Bull. Das Publikum besteht ausMitarbeitern des Konzerns und aus Ath-leten anderer Sportarten, in die Red Bullsein Geld investiert. Nach fast jedem Satz von Vettel klatschen sie, manchmal

stemmt der Aufnahmeleiter einen der Zu-schauer aus dem Sitz, wenn er möchte,dass alle sich zum Applaus erheben.Vettel sagt zum Schluss: „Ich kann im-

mer noch dazulernen, ich will mich jetztnicht verlieren.“ Es ist unmöglich, ihnnicht zu mögen.Vettels Triumph ist der Triumph der

Red-Bull-Methode. Totales Marketing. Esbeschränkt sich nicht darauf, das Firmen-logo irgendwo dranzuheften. „Von jeherwar es unsere Philosophie, nicht von au-ßen her mit einem Geldkoffer einen Kot-flügel zu kaufen und zu bekleben, son-dern im jeweiligen Sport integriert zu seinund auch die Verantwortung für Erfolgund Misserfolg zu tragen“, so nennt Fir-mengründer Dietrich Mateschitz das.Red Bull gibt eine halbe Milliarde Dol-

lar pro Jahr für den Sport aus, großzügi-ger sind nur Nike, Adidas und Coca-Cola.Dafür möchte der Konzern nicht bloß et-was vom Ruhm abbekommen, den derErfolg von Menschen und Mannschaftennach sich zieht. Red Bull will den Erfolgund die Aufmerksamkeit erschaffen.Kein anderer Sponsor hat sich in den

vergangenen 20 Jahren im Weltsport soausgebreitet. In über 100 Sportarten en-gagiert sich Red Bull, derzeit gehören 456Athleten auf dem ganzen Globus zu denroten Bullen. Snowboarder, Motocross-fahrer, Beachvolleyballer, Drachenfliegeroder Teams im Eishockey und Fußball.Red Bull hat Sportarten erfunden wie das Air Race, bei dem Kunstflieger durch einen Parcours rasen, außerdem Wett -bewerbe entworfen für Klippenspringer,Trickskifahrer und Seifenkistenpiloten.Alles muss Draufgängertum und Jugend-lichkeit ausstrahlen. Es geht darum, spek-takuläre Bilder zu erzeugen.Solange Red Bull keine Weltmarke war,

reichte es aus, Nischen zu öffnen und zubesetzen. Inzwischen werden jährlich 4Milliarden Getränkedosen verkauft und3,3 Milliarden Euro umgesetzt, das Un-ternehmen leistet sich gleich zwei For-

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Firmengründer Mateschitz, Grand-Prix-Fahrer Vettel:

Sport

V E R M A R K T U N G

Schöpfung aus der Dose

Die Getränkemarke Red Bull hat sich ein eigenes Sportimperium aufgebaut. Der Konzern veranstaltet Kunstflug-Wettbewerbe, sponsert Snowboarder, lenkt ein Fußballteam

in New York. Sein spektakulärster Coup aber ist der Gewinn derFormel-1-Weltmeisterschaft durch Sebastian Vettel.

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mel-1-Rennställe, dazu Fußballclubs inSalzburg, Leipzig, São Paulo und NewYork. Die Einsätze sind gestiegen, vomPrinzip wird nicht abgewichen: Alle Ver-eine wurden umbenannt oder neu gegrün-det, als Red Bull einstieg, und Führungs-kräfte ausgetauscht. Das Imperium willimmer die Kontrolle bekommen.Sein Hauptquartier liegt in Fuschl am

See, östlich von Salzburg. 1500 Menschenleben in dem Dorf. Es gibt eine Bank,eine Apotheke und eine Bäckerei. Zwei-mal am Tag bietet das Tourismusbüroeine romantische Kutschfahrt an, dazufreitags eine Likörverkostung im Kloster-hofladen. Einmal stündlich hält der Lini-enbus an der Haltestelle Brunnerwirt.Am Ortseingang liegt die Zentrale des

Red-Bull-Imperiums. Es sieht aus, als sei-en im österreichischen Hinterland einpaar Ufos gelandet. Um ein kleines wei-ßes Bürogebäude, ursprünglich dasStammhaus, haben sich über die Jahrerunde, eckige und bogenförmige Bau-kunstwerke aus Glas gereiht. 500 vonweltweit 6900 Mitarbeitern sind hier be-schäftigt. Aber nichts deutet darauf hin,dass hier Red Bull sitzt, kein Wegweiser,kein Schild, kein Logo. Nur durch ein Bü-rofenster lässt sich manchmal ein blau-roter Kühlschrank erkennen.An der Pforte sitzt eine Frau. Leider

sei niemand zu sprechen, sagt sie, das ma-che ausschließlich der Herr Mateschitz,und der sei nur zweimal im Monat hier.„Wir achten eben sehr genau darauf, wasnach draußen dringt.“Dietrich Mateschitz hatte das süße Ge-

tränk zu Beginn der Achtziger in Hong-kong entdeckt und sich entschlossen, da-mit die Welt zu erobern. Mateschitz, 66,groß, kräftig und gewinnend lächelnd,spricht nur mit den paar Journalisten, dieer gut kennt, die ihn „Didi“ nennen dür-fen und Österreicher sind wie er. Anderenbeantwortet er Fragen nur per E-Mail.Mateschitz meidet Aufsehen um seinePerson; erstens mag er es nicht, und zwei-tens, so heißt es offiziell, wolle er nichtablenken von der Marke, seiner Marke.Als er den Energydrink 1987 auf den

Markt brachte, gab es gar keinen Bedarfdafür, er musste erst geweckt werden. Ma-teschitz hatte, bevor er Red Bull gründete,bereits bei Blendax als Marketingmana-ger gearbeitet, er kannte sich aus. Klassi-sche Werbung für ein unklassisches Pro-dukt zu betreiben, das erschien ihm wi-dersinnig. Statt andere Kampagnen zukopieren, ging er raffinierter vor. Genauzu der Zeit, als in Österreich die erstenDosen ausgeliefert wurden, strahlte derORF ein Porträt des jungen Ferrari-Pilo-ten Gerhard Berger aus, eines Freundesvon Mateschitz. Berger joggte in Brasilienam Strand und trank Red Bull. Andern-tags zog der Verkauf massiv an.Mateschitz führt das Unternehmen bis

heute mit viel Bauchgefühl und Lust an

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„Österreich sagt, was passiert“

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der Vision. Es reicht ihm nicht mehr, Ge-tränke unter die Leute zu bringen. DieRed Bull GmbH hat neben Servus TVnoch andere Medienprodukte hervorge-bracht, Printmagazine sind es vor allem,über Fußball, Motorsport, Klatsch undTratsch und Lifestyle. Sogar einen eige-nen Mobilfunkservice gibt es in Öster-reich, Ungarn und der Schweiz. Hat ereinmal an einer Idee Gefallen gefunden,gilt Mateschitz als beharrlich, fast stur.Als Sponsor hat er sich nie gesehen,

Sponsoren zahlen bloß, sie haben wenigzu entscheiden, und nach dem Einsatz istihr Geld futsch. Das Formel-1-Team warmarode, als er es vor sechs Jahren vonFord kaufte und umkrempelte, so ging erauch beim zweiten Team vor, das sicheinst Minardi nannte und nun Toro Rossoheißt, italienisch für Red Bull.Die Formel 1 erschließt sich gerade

neue Märkte, in Arabien und Fernost,Wachstumsmärkte sind das, auch für dasGetränk Red Bull. Einer der wichtigstenAbsatzmärkte für die Energiebrause al-lerdings bleiben die USA, wo die For -mel 1 stets fremdelte. Mateschitz setztdort auf Fußball. Fußball war in Amerikajahrzehntelang ein mühseliges Geschäft,und diejenigen, die sich in all der Zeitdaran versuchten, machten so ziemlichalles falsch. Sie ließen die Spiele in Foot-ball-Arenen austragen, auf Feldern mitvielen Zehn-Yards-Linien, und stauntendarüber, dass keine Stimmung aufkam,wenn 10000 Versprengte auf Tribünenfür 80000 hockten.Anfang 2006 kam Red Bull, übernahm

die MetroStars, diese Karikatur eines Fuß-ballclubs, ausgerechnet in New York, dieHeimat der Yankees (Baseball), Rangers(Eishockey), Giants und Jets (Football)und Knicks (Basketball). Niemand schien

hier den Fußball wirklich zu brauchen,er war überflüssig wie ein Energietrunk.Doch Red Bull ließ ein Konzept ent-

werfen, eine Idee von Tempofußball, diebleiben soll, auch wenn Trainer und Spie-ler weiterziehen. Nachwuchsspieler ka-men, es begann die ganz normale Auf-bauarbeit, die bis dahin niemand imGroßraum New York für notwendig er-achtet hatte. Es wird nicht mehr im GiantsStadium gespielt, sondern in der Red BullArena, drüben in New Jersey auf der an-deren Seite des Hudson. 200 MillionenDollar hat das Stadion gekostet, für Fuß-ball und 25000 Anhänger erschaffen. Siezahlen 25 Dollar im Schnitt, Fußball istbilliger als der restliche Profisport, dasStadion ist voll, Woche für Woche, unddie Zuschauer sehen Naturrasen, Straf-räume, Tore von Thierry Henry und kei-ne Zehn-Yards-Linien. Nicht alles hat Red Bull bewirkt, Fuß-

ball kommt immer besser an in den Ver-einigten Staaten: Migranten lieben dasSpiel, die WM in Südafrika war ein Fern-sehtriumph, die New Yorker Urban SoccerLeague ist liebstes Hobby Tausender Män-ner der Metropole. Gut möglich, dass RedBull den richtigen Zeitpunkt erwischt hat.Woanders verläuft der Weg in den Pro-

fifußball komplizierter, deutscher eben.Hierzulande musste Red Bull eine Regeleinhalten, laut der keine Firma im Vereins-namen auftauchen darf. Es fand sich einFünftligaverein aus Leipzigs Umgebung,der sich sein Spielrecht abkaufen ließ. DieLizenz ging an den neugegründeten ClubRasenballsport Leipzig, abgekürzt RB, undder macht sich mit viel Geld auf denMarsch in die Bundesliga, offenbar unauf-haltsam (SPIEGEL 42/2010).Die Verbände verlieren an Einfluss,

wenn Konzerne wie Red Bull nicht mehr

Sponsoren bleiben wollen, sondern Ath-leten, Teams oder Clubs vereinnahmen,Präsidenten und Trainer stellen, Arenenbauen, ganze Ligen oder Wettkämpfe er-finden. Unternehmen wie Red Bull ver-ändern den Sport, sie machen ihn jüngerund moderner, aber machen sie ihn auchbesser? Sie folgen dem Interesse ihrerMarken, und für sie haben Ideale nurdann einen Wert, wenn sie Image fördern.Das größte Problem des Profisports ist

das Doping, Red Bull ist bislang nicht imKampf dagegen aufgefallen. Warumauch? Das eigene Produkt steht zwar aufkeiner Verbotsliste, aber Flügel soll esverleihen, aufputschen, darum geht es ja.Eine neue Sorte von Athleten entsteht,

die Generation Red Bull. Im besten Fallbringt sie jemanden wie Sebastian Vettelhervor, die freundliche Version dieserGattung leidenschaftlicher, gnadenloser,durchaus narzisstischer Sportler. Der Red-Bull-Sportler ist ein Egoist, und er istdreist, meist sieht er gut aus, und er hältsich kaum an Regeln, abgesehen von deneigenen, die flexibel sind. Shaun White,der kalifornische Snowboarder, ist so ei-ner dieser neuen Athleten.Gut war White bereits, ehe Red Bull

daherkam. Aber seitdem haben sich zu-erst Shaun White und dann die Szene derSnowboarder gewandelt.Vorher teilten Snowboarder die Half-

pipes, diese Eisröhren, in denen sie trai-nierten, sie sahen einander beim Übenzu, feuerten sich an, feierten nachts, esging immer weiter, gemeinsam. DieserWettstreit unter Freunden war das Wesendes Snowboardens, so erzählen es dieSnowboarder, nur der Beste von ihnenerzählt es nicht mehr.Shaun White, 24 und sommersprossig,

verdient durch Werbung im Jahr zehn

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Air Race in Rio de Janeiro: Alles muss Draufgängertum und Jugendlichkeit ausstrahlen

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Millionen Dollar plus Preisgelder. Whitewill die Röhren nicht länger teilen, er willnicht, dass die anderen sehen, woran erübt, und es gibt einige Leute in der Snow-board-Welt, die sagen, Red Bull habe ihmdas eingeredet. Dass er nun glaube, etwasBesseres zu sein, „The Red-White Bull“,rothaariger, blasser Superstar.Red Bull hat White für eine halbe Mil-

lion Dollar eine Halfpipe in die RockyMountains gebaut, er fliegt seinen Bergmit dem Hubschrauber an. Project Xheißt seine Kampagne, Shaun White isstund reist nicht mehr mit den einstigenFreunden, er bezahlt Leibwächter, Mana-ger und Koch.Whites Welt ist eine coole Welt. Ein-

mal, bei einem Interview kurz vor denWinterspielen von Vancouver, hockteWhite auf einer Couch in einem Block-haus in Aspen in Colorado. Es gab keineFunktionäre dort und auch sonst keineMenschen über 35. Dafür Hunderte Red-Bull-Dosen und laute Musik, Sonnenbril-

len vom Co-Sponsor Oakley und vieleMädchen in kurzen Röcken. In Haiti wa-ren gerade mehr als 200000 Menschenbei einem Erdbeben gestorben, „oh yeah,ich habe gehört, dass irgendwas in Haitipassiert ist“, sagte White.Ist es ungerecht, ihm etwas vorzuwer-

fen? Oder einem Konzern wie Red Bull,dass er die Sorte Sportler produziert, dieer braucht: Sieger?Bei fast jedem Formel-1-Rennen wird

im Fahrerlager die Energy Station aufge-baut. Sie schimmert metallisch und istmit einer Glasfront versehen, mit ihrerBreite und den drei Stockwerken über-ragt sie alle Zentralen der anderen Teams.Jeder darf hier rein, drinnen gibt es Fin-gerfood, frisch zubereitet, dazu endlosMusik, und auf den vielen Fernsehschir-men laufen Videoclips von Motorradakro-baten und Hochhausspringern. Die Stim-mung ist wie immer heiter.Helmut Marko, 67, ist promovierter Ju-

rist mit unbewegtem Gesichtsausdruck,

der Grazer fuhr in den Siebzigern selbsteinige Grand Prix, doch bei einem durch-schlug ein aufgewirbeltes Steinchen dasHelmvisier und verletzte ein Auge soschwer, dass er aufhören musste. Heutearbeitet Marko als einer der drei Direk-toren von Red Bull Racing, er ist der Ver-bindungsmann zur Konzernzentrale. DasTeam sitzt mit 550 Mitarbeitern in Eng-land, aber es ist nur ein Dienstleister imRed-Bull-Reich. „Österreich sagt, was pas-siert“, so drückt es Marko aus.Er kümmert sich auch darum, auf wel-

che Nachwuchsfahrer Red Bull setzt. Erkann Karrieren anbahnen, aber er kannsie auch beenden, indem er Talente ausdem Förderpool streicht. Kürzlich traf eseinen jungen Neuseeländer, der zu sensi-bel war, um sich auf der Piste durchzu-setzen. „Man muss gewaltig aussieben“,sagt Marko. „Ein Rennfahrer muss einebrutale Härte haben. Schnell sind sie alle,aber mit dem Druck umgehen zu können,das macht den Unterschied aus.“

Ein Talent bekommt von Red Bull dieEinsatzkosten für den Rennwagen be-zahlt, im firmeneigenen Leistungszen-trum stehen Trainingsapparate, Ärzteund Physiotherapeuten bereit, um die Fit-ness zu überwachen und zu trainieren, esgibt Berater für Ernährung und Mentales.Die jungen Fahrer sollen lernen, an sichzu arbeiten, sich zu perfektionieren. Abersie werden auch zur Eigeninitiative ge-drängt. Geld für die Reisen und zum Le-ben bekommen sie nicht, dafür müssensie schon selbst sorgen.Für Red Bull geht es darum, den nächs-

ten Vettel zu finden, wer weiß denn, wielange der noch für den Konzern und des-sen Team fährt, in ein oder zwei Jahrenläuft sein Vertrag aus. Die Leistungsfähig-keit des Imperiums zeigt sich auch darin,immer neue Champions zu erschaffen, dieim Sinne von Red Bull funktionieren.Nach seinem Aufenthalt in Salzburg

und einem kurzen Abstecher zum Team-sitz in England flog Sebastian Vettel wie-

der zurück nach Abu Dhabi, zu Reifen-tests – es muss immer weitergehen. 11000 Flugkilometer liegen jetzt hinter

ihm, es ist Donnerstag, seit vier Tagenerst ist er Weltmeister und seitdem un-terwegs.In der Abu-Dhabi-Mall gibt es noch ei-

nen Sponsorentermin. Den beiden Wach-leuten am Eingang ist schnell noch einFoto des Champions zugesteckt worden,damit sie wissen, wen sie hereinlassensollen. Sonst würden sie den Jungennicht erkennen, der jetzt vom Fahrstuhlkommt, blass, unrasiert, stumm und mitstets leicht geöffnetem Mund, als wolleer fragen, wo hier der Ausgang sei.Die Mall hat gerade erst geöffnet, es

ist leer und riecht nach Putzmittel. Voreinem Laden stehen Fotografen, PR-Leu-te und ein hubraumsüchtiger Zahnarztmit Ferrari-Kappe und -Shirt. Es soll einegeschlossene Veranstaltung sein, nur fürdie Presse und 16 Gewinner eines Rate-spiels. Mit denen spielt Vettel eine Runde

Tischfußball, lässt sich fotografieren undwirkt ansonsten, als brauchte er eine Li-terflasche Energietrunk, um auch nur dieAugen aufhalten zu können.Vettel hat jetzt ein Mikrofon in den

Händen und redet von „very proud“ und„very tired“. Die Saison sei sehr lang undermüdend gewesen, die letzten Tage „sovery busy“ und er wolle jetzt nur nochschlafen. Es klingt nicht nach Autorenn-sport. Es klingt nach autogenem Training.Er ist durch einen Parcours gejagt wor-

den, ohne Stopps, im ständigen Getöseder Gratulationen und immergleichenFragen und immer am Limit. Er will nurnoch nach Hause. „Zeit genießen“, sagter. „Mit Freunden und der Familie. OhneAutos und Rennen.“ Und ohne Sponso-ren, die ihm diese Tage vorschreiben, sowie sie ihm den Overall vollgeschriebenhaben, fast lückenlos.

KLAUS BRINKBÄUMER, LUKAS EBERLE, DETLEF HACKE, ALEXANDER SMOLTZCYK,

ALFRED WEINZIERL

Sport

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Red-Bull-Veranstaltung X-Fighters, Snowboard-Star White: Eine neue Gattung leidenschaftlicher, gnadenloser, narzisstischer Sportler