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Februar 2013 Deutschland EUR 4,50 / Österreich EUR 5,00 / Luxemburg EUR 5,20 / Schweiz sfr 7,90 02/2013 LIES DEN SPORT! DAS AKTUELLE SPORTSTUDIO GUTE ALTE ZEITEN Wintersport Loipen-Legenden Kombinierer Ronny Ackermann und sein Leben als Trainer • König des Biathlon: Ole Einar Bjørndalen Großer Praxistest Funktionsunterwäsche Kleine Klimaanlagen: Mit dieser Sportbekleidung kommen (nicht nur) Läufer gut durch den Winter Happy Birthday, Sportstudio: Ein illustrer Streifzug durch 50 Jahre Fernsehgeschichte mit Dieter Kürten, Bernd Heller und Michael Steinbrecher Fußball Eurofighter Reloaded Jan Schlaudraff und das Abenteuer Europa • Reiner Calmund: Darum ist der deutsche Fußball so gut Marathon 19 Seiten Tipps & Typen Laufpapst Herbert Steffny: „Keep it simple!“ • Termine: Die schönsten Strecken 2013 Die Kreml-Spiele Putin, Gazprom, Beckenbauer: Russlands sportlicher Weg zur Großmacht

SPORTSFREUND 2/2013 Leseprobe

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Leseprobe der Ausgabe 2/2013 des SPORTSFREUND Magazins. Themen dieser Ausgabe: Das aktuelle Sportstudio, Fußball, New York Cosmos, Champions League, Hannover 96, Reiner Calmund, Olympische Spiele 2014 in Sotschi, Marathon, Herbert Steffny, Funktionsunterwäsche-Praxistest, Triathlet Timo Bracht, Nordische Kombination, Ronny Ackermann, Einar Ole Björndalen u.v.m.

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Februar 2013 Deutschland EUR 4,50 / Österreich EUR 5,00 / Luxemburg EUR 5,20 / Schweiz sfr 7,90 02/2013LIES DEN SPORT!

DAS AKTUELLE SPORTSTUDIO

GUTE ALTE ZEITEN

WintersportLoipen-LegendenKombinierer Ronny Ackermann und sein Leben als Trainer • König des Biathlon: Ole Einar Bjørndalen

Großer PraxistestFunktionsunterwäsche Kleine Klimaanlagen: Mit dieser Sportbekleidung kommen (nicht nur) Läufer gut durch den Winter

Happy Birthday, Sportstudio: Ein illustrer Streifzug durch 50 Jahre Fernsehgeschichte mit Dieter Kürten, Bernd Heller und Michael Steinbrecher

FußballEurofighter ReloadedJan Schlaudraff und das Abenteuer Europa • Reiner Calmund: Darum ist der deutsche Fußball so gut

Marathon19 Seiten Tipps & TypenLaufpapst Herbert Steffny: „Keep it simple!“ • Termine: Die schönsten Strecken 2013

Die Kreml-SpielePutin, Gazprom, Beckenbauer:

Russlands sportlicher Weg zur Großmacht

FÜNF EURO INS PHRASENSCHWEIN. Nichts ist vorhersehbarer als die ersten Kommentare von Vereinsvertretern nach Spielauslosungen – wie jüngst für das Champions-League-Achtelfinale. Da wird gepflegt in 80 Phrasen um die Welt gereist. Die Substanz der Aussagen ist meist so gehaltvoll wie die Wettervorhersage für die kommenden drei Monate.

„Das Spiel wird kein Selbstläufer. Es ist wichtig, dass wir versuchen, in London ein gutes Ergebnis und ein Tor zu erzielen“, sagte etwa Bayerns Karl-Heinz Rummenigge zum Achtelfinal-Gegner Arsenal London. Eine Aussage, die auf so ziemlich jede Mannschaft im Lostopf hätte angewendet werden können. Man nehme eine Plattitüde und tausche nur den Namen aus. Passt jedesmal. Auch Benedikt Höwedes von Schalke 04 hat im Rhetorikseminar gut aufgepasst: „Das ist ein ordentliches Los, aber wir werden Galatasaray auf keinen Fall unterschätzen“, meinte der Innenverteidiger zum anstehenden Spiel in Istanbul. Gleiches gilt für den Kommentar von BVB-Chef Watzke zu Schachtar Donezk: „Das ist eine sehr schwere Aufgabe, aber wir haben in der Gruppenphase gezeigt, dass wir uns gegen starke Gegner durchsetzen können.“ Bloß nicht in die Rolle des Favoriten drängen lassen. Sportdirektor Michael Zorc jammerte gar: „Erst Bayern im Pokal, jetzt Donezk im Achtelfinale der Champions League.“ Doch schnell war sein Kampfgeist wieder erwacht: „Aber wir werden alles dafür tun, diese Herausforderung zu meistern.“ Flucht nach vorn in die Worthülse. Was soll er auch anderes sagen? „Die hauen wir weg!“ etwa?

Zum Glück ist da ein Jürgen Klopp, der zu Schachtar immerhin sagte: „Da dürfen sich die beiden größten Überraschungen dieser Champions-League-Saison gegenseitig rausschmeißen (…) Wir können die schlagen, keine Frage.“ Um dann doch hinzuzufügen: „Aber dafür muss eine ganz schöne Menge in unserem Spiel funktionieren.“ Logisch.

Viel Spaß beim Lesen wünscht

Christian BärmannChefredakteur SPORTSFREUND

Und welche Sportarten sind für Sie ein Mysterium? Auf der Facebook-Präsenz von SPORTSFREUND treffen sich täglich Leser und Autoren, um sich über aktuelle Geschehnisse und kuriose Geschichten aus der Sportwelt auszutauschen. Seien Sie dabei! www.facebook.com/SportsfreundMagazin

DAMALS IM FEBRUAR ...5. FEBRUAR 1966: Siggi Held weiht die Torwand des „Aktuellen Sportstudios“ ein. +++ 5. FEBRUAR 1978: Die deutsche Handballnationalmannschaft der Herren siegt im Finale der Weltmeisterschaft in Dänemark gegen die UdSSR mit 20:19 und erringt ihren zweiten WM-Titel nach 1938. +++ 18. FEBRUAR 1978: Gordon Haller gewinnt den ersten Ironman auf Hawaii. +++ 18. FEBRUAR 1984: Katarina Witt wird Eiskunstlauf-Olympiasiegerin in Sarajevo. +++ 15. FEBRUAR 1985: Nach 48 Partien und über 300 Spielstunden wird der Schach-WM-Kampf zwischen Anatoli Karpow und Garri Kasparow ergebnislos abgebrochen. +++ 9. FEBRUAR 1992: Earvin „Magic“ Johnson nimmt trotz seiner AIDS-Erkrankung am NBA-All-Star-Game teil. +++ 12. FEBRUAR 1994: Die Olympischen Winterspiele in Lillehammer sind die ersten Spiele außerhalb des „normalen“ Zyklus – ab sofort finden alle zwei Jahre abwechselnd Winter- und Sommerspiele statt. +++ 21. FEBRUAR 1995: Steve Fossett überquert binnen vier Tagen als erster Mensch den Pazifik in einem Ballon. +++ 23. FEBRUAR 1999: Martin Schmitt wird in Bischofshofen Skisprung-Weltmeister. +++ 3. FEBRUAR 2007: Magdalena Neuner wird mit nur 19 Jahren erstmals Biathlon-Weltmeisterin. +++ 4. FEBRUAR 2007: Die deutschen Handball-Herren gewinnen in Köln das Finale der WM gegen Polen. +++

EDITORIAL

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INHALTSVERZEICHNIS

SPORTSFREUND 2/2013

068020 Titelthema: Das Aktuelle Sportstudio50 Jahre Fernsehgeschichte auf 8 Seiten

Großer Praxistest:Funktionsunterwäsche

Titelthema50 Jahre „Das aktuelle Sportstudio“:

Drei unten, drei oben! .....................................................................................020

FußballWilli Lemke:

„Mit Sport kriegst du jeden Politiker“ ............................................................028

Champions League:

Ausblick: Zwei Knaller im Achtelfinale ...........................................................032

Reiner Calmund:

„Poldi wird kein Professor mehr“ ...................................................................034

New York Cosmos:

Hollywood war gestern ..................................................................................038

Jan Schlaudraff:

Hannover 96 und das Abenteuer Europa ......................................................044

LaufsportLaufen auf Sand und Eis:

Laufveranstaltungen der besonderen Art ......................................................050

Kalender: Die wichtigsten deutschen Marathons 2013................................054

Frankfurt Marathon: „Wir haben noch Luft nach oben“ ..............................055

Marathonläuferin Susanne Hahn:

Zurück ins Sportlerleben gelaufen ................................................................058

Der richtige Laufschuh: Eine große Herausforderung ................................062

Marathon-Experte Herbert Steffny:

Das Matterhorn des kleinen Mannes .............................................................064

KaufberatungDer große Praxistest:

Funktionsunterwäsche für Läufer ..................................................................068

004SPORTSFREUND

078 084Die Kreml-Spiele:Sotschi 2014 & Co.

Der König des Biathlon:Ole EInar Bjørndalen

WintersportOle Einar Bjørndalen:

Der König des Biathlon ..................................................................................084

Ronny Ackermann:

Ein fließender Übergang zum Traineramt ......................................................088

Silvano Beltrametti:

Never give up! ................................................................................................092

SportweltenTriathlet Timo Bracht:

In guten Momenten kann jeder gut sein ........................................................ 074

Die Kreml-Spiele:

Sotschi 2014 und Co. ..................................................................................... 078

Legendäre Arenen: Superdome in New Orleans..........................................096

Mixed ZoneProdukt des Monats: Wheelblades für Rollis ............................................... 012

Pausentee: Unverzichtbares Trivialwissen ................................................... 014

Termine: Sportveranstaltungen auf einen Blick............................................ 016

Fußball: BusinessCup 2013........................................................................... 016

Gewinnspiel: Brooks Pure Drift .................................................................... 016

StandardsEditorial: Fünf Euro ins Phrasenschwein ......................................................003

Augenblicke: Lionel Messi, Serena Williams, College Basketball ................ 006

Abonnement: SPORTSFREUND lesen und sparen ......................................099

Impressum ....................................................................................................098

Vorschau .......................................................................................................098

034 Fußball:Reiner Calmund im Interview

050 088Marathon:Die coolsten Laufstrecken der Welt

Nordische Kombination:Ronny Ackermann

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Minuten. Mehr Zeit benötigte Fußballer Michael Tönnies vom MSV Duisburg am 27. August 1991 im Spiel gegen den Karlsruher SC nicht, um dem damaligen Keeper Oliver Kahn den schnellsten Bundes liga-Hattrick aller Zeiten einzuschenken. In der 10., 11. und 15. Minute schlug der Stürmer zu – und legte beim 6:2-Sieg am Ende noch zwei weitere Tore nach.

Unverzichtbares Trivialwissen,um Halbzeit- oder Werbepausen aufzupeppen.

014 SPORTSFREUND

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PAUSENTEE800

17,47Sekunden machten aus dem Japaner Kenichi Ito den schnellsten Mann der Welt – auf allen Vieren. Ito strich damit seinen eigenen Rekord aus dem Guinness-Buch der Re-korde: 2008 hatte er für die 100-Meter-Distanz noch 18,58 Sekunden benötigt.

Mal lässt Tennisstar Roger Federer seine rund 60 Schläger pro Saison neu bespannen. Bei Grand-Slam-Turnieren nimmt der Schweizer in der Regel acht oder neun Rackets mit drei verschiedenen Bespan-nungshärten mit auf den Court – in Paris zum Bei-spiel zwei zu 22 kg, vier zu 22,5 kg und zwei zu 23 kg, wie sein Bespanner Nate Ferguson verriet.

153,76Meilen (umgerechnet 247,45 Kilometer) legte Christo-pher Bergland binnen 24 Stunden zu Fuß auf einem Laufband zurück. Damit hält der dreifache Gewinner des Triple Iron Man, des längs-ten Nonstop-Triathlons der Welt, den Weltrekord – im Langstrecken-Laufband-laufen. Über seine Lauf-erfahrung hat er ein Buch mit dem Titel „The Athlete's Way“geschrieben.

Kilometer legte der Franzose Robert Marchand 2012 binnen einer Stunde auf dem Rennrad zurück. Auch das ist Welt-rekord – in der Altersklasse „100 plus”, die extra aus Anlass des Rekordversuchs eingeführt wurde. Marchand wurde am 26. November 1911 geboren. Und da er gerade dabei war, schob er im vergangenen Jahr auch noch den Rekord über 100 Kilometer in seiner Altersklasse hinterher – die Distanz bewältigte er in 4 Stunden, 17 Minuten und 27 Sekunden mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 23 km/h.

24,251Meter raste der ehemalige Formel-1-Pilot David Coulthard , um mit seinem Mercedes-Benz SLS AMG Roadster einen Golfball einzuholen, der von Golfer Jake Shepherd mit 286 km/h abgeschlagen wurde. Coulthard erreichte dabei eine Spitzengeschwindigkeit von 193 km/h.

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MIXED ZONE

Herr Calmund, Sie haben sich einmal als „Mediensau“ bezeichnet. Wie wird man dazu? Ich habe eine typisch große kölsche Klappe. Mir fällt es manchmal schwer, diplomatisch zu sein. Ich bin zwar sehr harmoniebedürftig, aber ich bin auch einer, der die Streitkultur auslebt. An einem schönen Abend mit Freunden gehört es einfach dazu, über Politik, Fußball, Gott und die Welt zu streiten, aber danach ist es auch wieder gut.

Mit wem streiten Sie denn besonders gern? Ich war gerade in Thailand und habe meinem früheren Sportchef bei Bayer, Jürgen von Einem, vermisst. Im vorigen Jahr waren wir gemeinsam in Asien und haben fast bei jedem Spazier-gang über die Themen Wulff, Euro und Bundesliga kontrovers diskutiert. Ich fand die Streitgespräche sehr gut, obwohl ich meinen Ex-Chef sehr respektiere und fachlich unwahrscheinlich schätze. Trotz der kleinen Sticheleien haben wir uns im Urlaub prächtig erholt und viel Spaß gehabt. Ich bin nicht streitsüchtig, aber wenn alle zu einen Thema dasselbe sagen und es nur Schmusekurs gibt, dann wird es irgendwann langweilig. Wenn es damals in Leverkusen sportlich nicht lief, war ich der Verantwortliche, obwohl ich gar nicht mitgespielt hatte. Aber ich habe mich dem immer gestellt. Gerade nach Pleiten. Da kriegst du natürlich mehr ab. Aber mit dem Druck konnte ich immer gut leben.

Sie haben mit Leverkusen viele Erfolge gefeiert, aber auch viele Schläge einstecken müssen. Ja, aber wenn ich als Manager Bilanz ziehe, dann bin ich damit sehr, sehr, sehr zufrieden. Ich bin nach Leverkusen gegangen, als der Verein im Abstiegskampf steckte – in Richtung dritte Liga. Wir haben uns dann zu einer Bundesliga-Spitzenmannschaft entwickelt. Natürlich hat mir das weh getan, wenn es wieder mal nur Platz zwei war. Einmal die Schale in der Hand – das wäre die Krönung gewesen. Andererseits war ein zweiter Platz nach der Neuordnung des Fußballs durch die Champions League wirtschaftlich ähnlich viel wert. Deshalb habe ich 2002 auch gesagt, ich würde jeden zweiten Platz auf Jahre mit meinem eigenen Blut unterschreiben. Weil das richtig Image und Kohle bringt – mehr, als einmal Meister zu werden und dann in der Versenkung zu verschwinden. Wir standen mit Bayer im Champions-League-Finale. Das brachte uns einen enormen Imagegewinn, trotz der Niederlage gegen Real Madrid. Den UEFA-Cup

Reiner Calmund ist ein Urgestein der Fußball-Bundesliga und fast zehn Jahre nach seinem Ende als Manager von Bayer 04 Leverkusen in den Medien so präsent wie selten zuvor. SPORTSFREUND traf „Calli“ im Geißbockheim des 1. FC Köln zum Gespräch über Glück

und Pech im Sport, Michael Ballack und den deutschen Fußball im Jahr 2013.

Interview: Nico Barbat

„POLDI WIRD KEIN

PROFESSOR MEHR“

Fußball-Experte Reiner Calmund

haben wir 1988 gewonnen, den DFB-Pokal 1993 – es ist also nicht so, als hätten wir nichts geholt.

Gibt es trotzdem etwas, was Sie als Fußball-Manager aus dieser Zeit ver-missen? Es gibt sicher Momente, wo ich eine Siegerehrung sehe und dann an Unterhaching denken muss, wo die Schale blank gewienert und in der Sonne glitzernd schon für uns parat stand und der Ballack den Ball ins eigene Tor schoss (Leverkusen verlor am letzten Spieltag der Bundesliga-Saison 1999/2000 gegen den krassen Außenseiter Unterhaching und gab so noch die Meisterschaft aus der Hand, die Red.). Das war schon extrem ärgerlich, aber auch das ist eben Sport. Du musst natürlich auch objektiv sein und feststellen, dass wir auch schon Glück hatten. 1996, vor den vier Vizemeisterschaften bis 2002, waren wir ei-gentlich schon weg vom Fenster, bis Markus Münch in der 79. Minute noch ein Tor geschossen hat (Leverkusen holte am letzten Spieltag der Saison 1995/96 im Spiel gegen Kaiserslautern den entscheidenden Punkt für den Nichtabstieg, die Red.). Danach kam Christoph Daum, und wir wurden viermal Vize in sechs Jahren. Das kann man dann beklagen, aber man muss auch mal erkennen, dass wir 1996 Glück hatten. Aber ja, ein bisschen vermisse ich diese Schale schon.

Michael Ballack war ja einer der tragenden Spieler in dieser Zeit. Sein Aus bei der Nationalmannschaft und bei Bayer Leverkusen nach der vergangenen Saison war ein heißes Thema in den Medien. Ihre Meinung? Das hätte man sicherlich besser machen können, aber von allen Seiten. Ich bin ja ein beken-nender Ballack-Fan, und seine erste Verpflichtung 1998 war ein Glücksgriff für mich und Bayer 04. Wenn ich sehe, wie der Ballack bei Chelsea als Leverkusener Spieler verabschiedet wurde, dann hat mich das für ihn sehr gefreut (Chelsea verabschiedete Michael Ballack nachträglich im September 2011 bei einem Champions-League-Spiel gegen Leverkusen, die Red.). Die ganzen Zeremonien bei Champions-League-Spielen sind gar nicht so einfach. Da wird dir auf die Sekunde genau vorgeschrieben, wie der Zeitablauf auszusehen hat, wer was anhat und welche Werbung zugelassen ist. Chelsea hat sich sehr bemüht, diese Ausnahmeregelung von der UEFA zu bekommen, um in einem Gruppenspiel der Champions League ein solches Szenario für Ballack zu platzieren. Und wenn

FUSSBALL > REINER CALMUND

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man dann erlebt hat, wie die Spieler, der Trainer, die Vereinsführung, die Fans ihn gefeiert haben, dann hat mich das gefreut – und gleichzeitig enttäuscht, dass wir das in Deutschland nicht auf die Beine gestellt kriegen. Aber wir wollen keine alten Kamellen aufwärmen.

Hätte aber auch Ballack etwas tun können, um die angespannte Situation zu verbessern? Manchmal ist es besser, nichts zu sagen. Es heißt nicht umsonst „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“, an diese Regel hat sich Ballack eigentlich sehr lange gehalten. Vielleicht wäre es trotzdem klug gewesen, seine Sicht zu einem Comeback in der Nationalmannschaft klarzustellen. Michael hätte locker sagen können: „Ich bin im Moment verletzt ,die Mannschaft spielt erstklassig ohne mich, deshalb brauchen wir über meine Rückkehr momentan nicht zu diskutieren.“ Wenn er dann noch hinzugefügt hätte: „Wenn Jogi Löw zur WM personelle Prob-leme hat und ich wieder fit bin, dann spiele ich sehr gerne wieder im DFB-Team.“ Die Aussage hätte ihm in ganz Fußball-Deutschland viel Beifall gebracht. Natürlich hätte er dabei auch ein bisschen über seinen eigenen Schatten springen müssen. Aber wie gesagt, nicht nur Michael, auch der DFB hätte dieses Problem besser lösen müssen. Ballack war der Spieler, der die wichtigen Tore gemacht hat, der sich nicht versteckt hat, der dirigiert, gesteuert, angewiesen hat, aber auch als Kapitän immer gerannt ist wie eine Maschine und mannschaftsdienlich war. Man muss da nur mal an das WM-Halbfinalspiel 2002 denken, als er den Siegtreffer schoss und ein Gegentor auf Kosten einer zweiten Gelben Karte vereitelt hat, die ihn die Teilnahme am Endspiel kostete. Das war für mich schon Teamgeist pur. Und es gab noch einen entscheidenden Moment: 2002, kurz vor der WM, hatten wir mit Bayer Leverkusen das Champions-League-Halbfinale gegen Manchester United, in dem Jens Nowotny mit Kreuzbandriss ausfiel und die Jungs richtig unter Druck standen. Da stand Ballack, selbst verletzt und ange-schlagen, hinten drin wie ein Kapitän, hat die Bälle alle rausgehechtet und das entscheidende Unentschieden über die Zeit gerettet. Nach dem Spiel lag er wie eine Kaulquappe in der Kabine. Trotz Verletzungsproblemen hatte er bis zur letzten Sekunde gefightet, obwohl er wusste, dass er nach München wechseln wird. Das hat mir sehr imponiert, sowas vergisst man nicht. Und deshalb sage ich: Der Abschied von Ballack ist in Deutschland komplett blöd gelaufen, und das bedauere ich sehr.

Fehlen der Nationalmannschaft heute solche Typen wie Michael Ballack? Ich glaube, dass wir fußballerisch die beste Nationalmannschaft der letzten Jahre haben. Das Team ist offensiv doppelt mit internationaler Spitzenklasse besetzt. Ganz vorn Klose, auch wenn er älter wird, und Gómez, rechts Müller und Reus, zentral Özil und Kroos, links Schürrle und Podolski, als Allrounder Götze. Wir brauchen keinen Vergleich zu scheuen, auch nicht im defensiven Mittelfeld mit Schweinsteiger und Khedira. Auf sechs bis sieben Positionen einschließlich Torwart Neuer haben wir absolutes Weltklasseformat. Auf der anderen Seite fehlt die Balance, wir haben zwar Abwehrspieler von internationalem Format, denen aber die Kontinuität fehlt. Wenn man Lahm ausklammert, fängt das bei Boateng an und geht weiter mit den Innenverteidigern, Mertesacker, Hummels, Badstuber und Höwedes. Man sollte meinen, dass das kleine Einmaleins des Fußballs erlernbar ist. Mit dem Schwung, den die Offensive betreibt, hält die Defensive nicht mit. Natürlich müssen die Offensiven auch aushelfen und Drecksarbeit nach hinten verrichten, aber hinten machen wir zu viele simple Fehler.

Welche Fehler meinen Sie konkret? Hinten stimmt die Ordnung nicht, die Zuord-nung zum Gegner, die taktische Disziplin, die Zweikampfstärke, die Härte, der letzte Biss, die volle Konzentration. Aber das sind Dinge, die nicht unbedingt etwas mit Talent zu tun haben. Die kann man alle erlernen. Ich bin auch zuversichtlich, dass

das möglich ist, weil die Jungs ja alle mit ihren Klubs und der Nationalmannschaft international Erfahrung sammeln. Die haben die Chance, sich weiterzuentwickeln und cleverer zu werden, aber die Zweikampfstärke und Zuordnung müssen schnell besser werden, sonst erleben wir wieder ein Debakel wie gegen Italien und Schwe-den. Die Jungs haben das Rüstzeug und die Qualität für ganz oben, aber wir müssen auch die dicke Trommel auspacken und nicht nur auf der Violine spielen wollen.

Welchen Anteil hat denn der Kopf dabei, dieses Rüstzeug zu verfeinern? Ich nenne da gern stellvertretend Mats Hummels, den für mich besten Bundesliga-

spieler des letzten Jahres. Der Junge ist intelligent, er kann das Spiel analysieren, und er kann sich gut selbst einschätzen. Er wird auch wissen, wo der Hammer hängt und wie man das Spiel auch kurzfristig verbessern kann. Denn da sind keine besonderen Ballfertigkeiten gefragt, sondern konsequenteres Abwehrspiel, konsequentere

Zuordnung und etwas mehr Konzentration und Robustheit. Es dürfte eigentlich kein Problem sein, das ist kurzfristig zu verbessern.

Wie werden Ihrer Meinung nach die Nationalmannschaft und die Bundesliga von dem Engagement von Startrainer „Pep“ Guardiola bei Bayern München profitieren? Für mich ist diese Verpflichtung ein mehrfacher Sieg. Zuerst für Bay-ern München, auch wenn sie Guardiola natürlich nicht mit Hosenknöpfen bezahlen werden. Aber wenn man im Wettbewerb mit Milan, Chelsea und Manchester City steht, dann wird klar, dass er sich nicht für das Geld entschieden hat, sondern höchstwahrscheinlich für die seriöseren, klareren Strukturen, die bei den Bayern vorherrschen, sodass er sich dort am besten verwirklichen kann. Es ist auch ein Sieg für die Bundesliga, die davon bei der weltweiten Vermarktung profitieren wird, denn Guardiola ist ein weiterer Magnet für die TV-Übertragung in 200 Länder. Die ganze Bundesliga wird dadurch gewinnen, davon bin ich überzeugt.

Welcher Trainer hat Sie denn bei den deutschen Klubs zuletzt am meisten überzeugt? Jürgen Klopp, der mittlerweile wirklich Weltklasseformat hat. Aber wir haben auch viele gute junge Trainer wie Thomas Tuchel aus Mainz. In Freiburg trainiert gerade Christian Streich, der Nachwuchsstar, auch wenn er schon etwas älter ist. Vor der letzten Rückrunde war Freiburg abgeschlagen Tabellenletzter, hat den besten Torschützen verkauft und ist trotzdem souverän drin geblieben und in dieser Saison sehr weit oben. Da muss man sich schon tief verbeugen.

Freiburg ist für seine hervorragende Jugendarbeit bekannt. Wie entscheidend ist es, dass die Klubs bei der Nachwuchsförderung in die Pflicht genommen werden? Die Jugend- und Leistungszentren sind extrem wichtig für die Bundesliga

„WIR MÜSSEN AUCH DIE DICKE TROMMEL AUSPACKEN UND NICHT NUR AUF DER VIOLINE

SPIELEN WOLLEN.“

Die vielleicht bitterste Niederlage in Reiner Calmunds Managerkarriere: Im Champions-League-

Finale 2002 verliert Bayer 04 Leverkusen knapp mit 1:2 gegen Real Madrid.

FUSSBALL > REINER CALMUND

036 SPORTSFREUND

nicht gern gehört wird, ist, dass beispielsweise das staatliche Oddset (eine Sport-wette von Lotto, die Red.) im Vergleich zu den privaten Anbietern vom Umsatz her nicht ansatzweise konkurrenzfähig ist und damit bei der Eindämmung der Suchtgefahr keine große Rolle spielt Das Ziel muss daher eine Liberalisierung des Wettmarktes sein, mit staatlich kontrollierter Marktöffnung, mit einheitlichen Spielregeln und mit vernünftigen Wettbedingungen für alle.

Nochmal zurück zum Fußball: Leverkusen und Mönchengladbach spielen noch in der Europa League, während der Konkurrent aus Köln in der zwei-ten Liga dümpelt. Sie waren beim rheinischen Duell lange Zeit einer der Hauptdarsteller. Wie steht es Ihrer Meinung nach um den FC, in dessen Vereinsheim wir gerade sitzen? Ich habe den Kölnern immer den Klassenerhalt gegönnt und gehofft, dass sie in der Bundesliga spielen. In Köln wurde mir das immer ein bisschen als Populismus ausgelegt, umgekehrt musste ich mir dafür bei den Leverkusener Fans immer kritische Töne anhören. Man kann bei den Bayer Fans eigentlich nichts Schlimmeres sagen, als dass man den Kölnern den Klassenerhalt gönnt (lacht). Die Rivalität zwischen Köln und Leverkusen, genauso wie zwischen Schalke und Dortmund, ist gut für den Fußball, das schärft die Sinne aller Beteiligten. Derbys sind immer etwas Besonderes. Sie bringen zwar auch nur drei Punkte, aber wenn du verlierst, tut es besonders weh, und wenn du gewinnst, tut es besonders gut. Bei aller sportlichen Rivalität kam ich mit den handelnden Personen beim FC menschlich immer ganz gut zurande. Und wo Unkraut wächst, da wächst auch wieder Neues. Ich bin sicher, dass die Kölner trotz all der bestehenden Probleme, die der Klub gerade bewältigen muss, auch wieder erstklassig spielen werden. Die Stadt, die Menschen, das Stadion – da gehört der FC einfach dazu.

und die Nationalmannschaft. Im Jahr 2000, als der deutsche Fußball nach der verkorksten EM am Boden lag, haben wir bei der DFL (Deutsche Fußball Liga, die Red.) beschlossen, nicht mehr zu quatschen, sondern zu machen. Heute muss jeder Erst- und Zweitligist ein Jugendleistungszentrum nachweisen, sonst wird ihm die Lizenz verwehrt, egal ob er Meister war oder wie groß die Fanlandschaft ist. Für die erste und zweite Liga gibt es klare Kriterien – die bauliche Infrastruktur, die personelle Besetzung, also Trainer, Mediziner und vor allem Pädagogen. So soll sichergestellt werden, dass die Spieler, die in der Jugend durch das Raster fallen, eine berufliche, schulische oder studentische Alternative erhalten. Aber auch Spieler, die eine Profikarriere schaffen, profitieren neben dem Fußball von der gezielten Fortbildung in den Zentren. Ein Schulabschluss, Fremdsprachen, IT-Kenntnisse sorgen nämlich auch für eine Persönlichkeits-Entwicklung.

Welche Fortschritte sind seitdem zu erkennen? Nur ein Beispiel: Bei der letzten WM konnten alle deutschen Spieler unfallfrei vor den Fernsehkameras Rede und Antwort stehen. Es ist klar, dass durch solche gezielten Förderungen zum Beispiel ein Poldi kein Professor mehr werden kann, aber der Junge hat über 100 Länder-spiele und ist jetzt bei Arsenal London. Und wie er da auftritt, das finde ich echt gut. Er hat sich sportlich und sprachlich sehr schnell integriert, und all das, was man ihm nicht zugetraut hat, hat er gemeistert. Er hat alle Kritiker widerlegt. Ich glaube, dass die Jugendzentren schon einen Anteil an dieser Entwicklung haben.

Wenn wir noch einen Blick auf die bevorstehende Champions League werfen – wie stehen die Chancen der deutschen Klubs? Die Engländer werden in der Winterpause neidisch zu uns rübergeschaut haben, weil alle sieben deutschen Klubs noch dabei sind. Jetzt in den K.-o.-Runden braucht man das Quäntchen Glück. Da ist man schnell raus, aber man ist auch schnell weiter. Ich halte Dort-mund für einen Geheimfavoriten. Die starke Vorgruppe hat dem BVB gut getan, die haben sie hervorragend überstanden, und deshalb werden sie mit viel Selbst-vertrauen in die nächste Runde gehen. Bayern München ist einer der drei, vier großen Favoriten auf den Titel. Wie gesagt, man braucht auch etwas Glück, aber da sollten am Ende alle Deutschen mal den Vereinspatriotismus ausschalten und die Daumen drücken. Wenn im April der Frühling richtig rauskommt und es Flutlichtspiele gibt, wäre es schön, wenn in beiden Wettbewerben zumindest noch zwei deutsche Klubs dabei wären.

Sie sprachen eben über Glück und Pech im Sport. Das trifft auch auf Sport-wetten zu, oder? Ja. Glück ist natürlich bei jeder Sportart dabei, egal wie profes-sionell das Können der Spieler ist oder die Vorhersagen von Experten sind. Das macht aber natürlich auch den ganzen Spaß an der Sache aus. Denn nur so sind letztlich tragische Niederlagen wie die der Bayern im letzten Champions-League-Finale oder grandiose Siege zu erklären. So gesehen spielt Glück natürlich auch beim Wetten eine Rolle, auch wenn jeder Sportwettenfreund natürlich versucht, den Anteil daran möglichst zu minimieren. Das macht doch die ganze Kunst beim Wetten aus – die richtige Mischung aus Wissen, Bewerten und Glück. Es ist daher schade, wenn das Wort „Glücksspiel“ oft despektierlich gebraucht wird, da es nun mal in der Natur des Sports und auch des Sportfans liegt, mitzufiebern und auch auf das nötige Quäntchen Glück zu hoffen.

Warum tut sich die Politik in Deutschland dann so schwer mit der Änderung der Rechtslage im Sportwettensystem? Die deutsche Regierung begründet ihr Festhalten am staatlichem Wettmonopol hauptsächlich damit, nur so die mit dem Spielen verbundene Suchtgefahr eindämmen zu können. Dies ist insofern scheinheilig, als dass der Staat mit seinen Lottogesellschaften der einzelnen Länder kräftig mitverdient, auch wenn ein Teil der Einnahmen aus Lotterien an soziale, kulturelle und sportliche Projekte fließt. Ein weiterer Punkt, der natürlich

Zur Person

Reiner Calmund wurde am 23. November 1948 in Brühl bei Köln geboren. Der Kauf-

mann und Betriebswirt war nach einer schweren Verletzung schon mit 26 Jahren

Co-Trainer beim Verbandsligisten SC Brühl, wechselte 1976 zu Bayer 04 Leverkusen

und durchlief mehrere Posten. Zunächst war er Jugendleiter und Stadionsprecher,

bis 1988 Vorstandsmitglied, zwischen 1988 und 1999 Manager der Profiabteilung

sowie zwischen 1999 und 2004 Geschäftsführer. Zu seinen größten Erfolgen zählen

der Gewinn des UEFA-Cups 1988 und des DFB-Pokals 1993 sowie der zweite Platz

in der Champions League 2002. Nach seiner Tätigkeit bei Bayer 04 Leverkusen war

Calmund unter anderem in verschiedenen TV-Formaten präsent und als Buchautor

tätig. Seit 2011 ist Reiner Calmund Testimonial beim internationalen Sportwetten-

anbieter Victor Chandler/Betvictor.

www.reinercalmund.de

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Herr Bracht, auf Ihrer Homepage kündi-gen Sie 2013 als ein Jahr der Verände-rungen an – wie werden diese aussehen? Vor allem im Trainingsbereich wird sich bei mir einiges ändern. Das mag seltsam klin-gen, weil ich fünf Jahre lang in Folge bei der Ironman-WM auf Hawaii unter den Top 8 war, seit 2009 Europameister bin und zig Ironman-Titel gewonnen habe – und es somit eigentlich keinen Grund für Än-derungen gibt. Aber es ist gerade der Reiz des Triathlonsports, sich immer wieder neu herauszufordern. Ich habe große Lust darauf, auch im Training neue Wege zu gehen. Gemeinsam mit meinem Coach Ralf Ebli, der auch Nationaltrainer für 2013 ist, habe ich ein

neues Trainingskonzept entwickelt, das ver-stärkt auf die Kraftausdauer abzielt und neue Reize setzt. Außerdem bin ich gerade dabei ein neues Profi-Triathlon-Team aufzubauen.

Was sind das für neue Reize? Es sind manchmal die klassischen Dinge. Eines meiner Credos lautet, auch die einfachen Dinge richtig zu machen. Das kann schon bedeuten, dass ich künftig morgens eine Stunde früher aufstehe, um diese Stunde schon zum Lauftraining zu nutzen und dafür dann mittags eine Stunde mehr Zeit zur Regeneration zu haben. Oft sind es nur Kleinigkeiten, man muss gar nicht so kom-pliziert denken, weil man sich dann den Weg

Seit zehn Jahren zählt Timo Bracht bereits zur absoluten Triathlon-Weltspitze. Im SPORTSFREUND-Interview berich - tet der 37-Jährige, warum er von seiner Mutter nicht zum Fuß ball gebracht werden wollte, was ihn mit Jürgen Klinsmann ver bindet und wie Kompressionskleidung die Leistung erhöht.

Triathlet Timo Bracht

IN GUTEN MOMENTENKANN JEDER GUT SEIN

Interview: Christian Bärmann

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TRIATHLON > TIMO BRACHT

074 SPORTSFREUND

verbauen kann. Jürgen Klinsmann hat in sei-ner Zeit bei Bayern München den Satz „Jeden Tag ein bisschen besser werden“ geprägt. Dafür wurde er zwar belächelt, aber ich bin ein Fan dieses Satzes, weil ich mich selbst darin wiedererkenne.

Sie sprachen schon die eindrucksvolle Liste Ihrer Erfolge an. Wie motivieren Sie sich jedes Jahr aufs Neue? Indem ich jedes Jahr nach der zwei- bis dreiwöchigen Weih-nachtspause, wenn ich komplett im Eimer bin, im Januar fast wieder bei null anfange, um die körperliche Fitness und diese gefühlte Unbesiegbarkeit erneut herzustellen. Es ist dieses Gefühl, so gut zu werden, dass ich

Der Ironman auf Hawaii mag mittlerweile seine zweite

Heimat sein. Doch für aktuelle Foto aufnahmen posierte

Weltklasse-Triathlet Timo Bracht auf Lanzarote.

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beim härtesten Rennen der Welt stundenlang in Führung liegen, an meine Grenze gehen und Dinge machen kann, die ich vorher nicht für möglich gehalten hatte. Genau diese He-rausforderung motiviert mich.

Viele Spitzensportler wünschen sich, auf dem Höhepunkt ihrer Karriere abzutre-ten. Denken Sie mit Ihren 37 Jahren auch schon mal über einen solchen Abgang nach? Ach, durch den Wahn in Deutschland, dass Sportler immer jünger werden müssen, wird auch oft früh über das Karriereende philosophiert. Dabei ist der Triathlonsport das genaue Gegenbeispiel. Es gibt neben Schach, Golf und Dressurreiten wohl keine Sportart, in der man auch in einem höheren Alter noch so erfolgreich sein kann wie im Triathlon. Deswegen stellt sich die Frage für mich nicht, ob ich auf meinem Höhe-punkt oder knapp danach aufhören will. Solange ich Topleistungen bringen kann und gesund bin, möchte ich diesen Sport machen. Klar, gerade das Trainieren ist oft eine Qual, aber die schönen Momente über-wiegen. Erst wenn dieses Verhältnis umkippt, werde ich anfangen, über das Karriereende nachzudenken.

In einem Interview werden Sie wie folgt zitiert: „Dieses Leiden und die Qualen auf Hawaii machen Triathleten nur, um durchzukommen und es hinter sich zu bringen. Für den Moment danach. Nie-mand würde freiwillig auch nur eine Mi-nute länger laufen.“ Aber warum machen Sie das alles trotzdem? Gute Frage. Wenn ich behaupten würde, dass es mir Spaß macht, ich mich dabei gut fühle und es das schönste Gefühl der Welt sei, einen Ironman

zu laufen, dann wäre das nicht glaubwürdig. Man muss doch nur in die Gesichter der Tri-athleten blicken und sich die Distanzen an-schauen – 3,8 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Radfahren, 42 Kilometer Laufen –, dann sieht man, dass das sicher kein spa-ßiger Wettkampf ist. Es hat vor allem etwas damit zu tun, sich zu überwinden und an die eigenen Grenzen zu gehen – dann kommt man automatisch in Bereiche, die einem schwerfallen. Und Kampf hat eben oft auch etwas mit Quälen zu tun. Aber als Sportler bin ich weit vom Masochismus entfernt und, ganz ehrlich, beim Zahnarzt bin ich der erste, der um eine Spritze bittet (lacht).

Wann wussten Sie denn, dass Triathlon genau Ihr Ding ist? Vom Triathlon habe ich erst mit 17, 18 Jahren erfahren. Aber ich wollte schon als Kind aus dem klassischen System ausbrechen und immer etwas weitergehen. Ich bin in einem 400-Einwohner-Dorf aufge-wachsen, und unser Fußballplatz war etwa zwei Kilometer entfernt davon. Um dorthin zu kommen, musste man ein Tal herunter- und auf der anderen Seite wieder hochfahren. Die meisten meiner Mitspieler sind von ihren Eltern natürlich mit dem Auto zum Platz ge-bracht worden, ich bin aber mit dem Rad hin-gefahren. Im E-Jugend-Alter bin ich den Weg auch schon mal gelaufen, um mich warm zu machen. Für mich war das schon damals eine Herausforderung, die mir auch Spaß ge-macht hat. Ich wollte nicht von meiner Mutter abgeholt werden, sondern bin lieber mit dem Rucksack auf dem Rücken nach Hause ge-laufen. Das hat wohl in mir dringesteckt, und es hat ja auch viel mit Abenteuer zu tun – ich bin also in gewisser Weise als Sportler auch ein Abenteurer.

Die Qualen des Wettbewerbs lassen sich aus Ihrer Sicht nur durch Selbsttäuschung des Körpers ertragen – lässt das Ihr Kör-per denn immer zu? Das habe ich natürlich überspitzt gesagt. Ich bin jetzt seit zehn Jah-ren in der absoluten Weltspitze, und wenn ich meinen Körper zu oft täuschen würde, würde das nicht funktionieren. In bestimm-ten Phasen täusche ich mich selbst, indem ich mir Versprechungen mache, die ich dann später wieder breche. Auf Hawaii beispiels-weise ist der Marathon sehr hügelig, sodass man nach 30 Kilometern eigentlich schon komplett im Eimer ist – aber entscheidend ist es ja, in einem hohen Tempo durchzu-kommen. Dann sage ich mir oft: „Okay, nur noch bis zur nächsten Kuppe, die du da vorn siehst. Danach kannst du dich von mir aus hinlegen.“ Und an der nächsten Kuppe sage ich mit dann: „Ätsch, es geht doch bis zur nächsten Kuppe weiter.“

Und das funktioniert tatsächlich? Ja, denn indem ich mir selbst Hoffnung mache, versu-che ich, mich durch kleine Täuschungsmanö-ver über schlechte Phasen hinwegzuretten. Hoffnung ist daher wohl das bessere Wort als Täuschung. Solange man hofft, dass man etwas schaffen kann, kann man auch vieles erleiden. Ich bin jemand, der selten von An-fang an in Führung liegt, sondern ein Rennen oft erst spät umdreht. Ich habe in meiner Karriere auch noch nie einen Triathlon auf-gegeben. Viele Menschen sehen darin auch einen Vergleich zu ihrem Alltag und ihrem Beruf, wo es eben auch oft darum geht, in schlechten Momenten gut zu sein. Dann trennt sich die Spreu vom Weizen. In guten Momenten kann schließlich jeder gut sein.

Wie zeigen sich die „ganz dunklen Renn-momente“, von denen Sie mal gesprochen haben? Vor allem mental. In den dunklen Momenten verliert man aus Erschöpfung die Kontrolle über sich selbst, wenn man merkt, dass das Ganze aus den Fugen gerät. Wenn der Akku leer ist und man noch viel vor sich hat, dann drückt innerlich eine Art Lawine auf das Selbstvertrauen. Das ist das Schlimmste, was im Triathlon passieren kann – wenn man hoffnungslos ist und kein Vertrauen in die eigene Leistung hat.

Beim Triathlon sind Sie auf sich allein ge-stellt und haben den Erfolg selbst in der Hand. Macht diese Selbstverantwortung

Zur Person

Timo Bracht wurde am 22. Juli 1975 im unterfränkischen Waldbrunn

geboren. Er studierte Sportwissenschaft und Pädagogik, ist seit 1993

aktiver Triathlet und kam seitdem unter anderem fünfmal unter die Top

8 beim Ironman auf Hawaii. Zu seinen größten Erfolgen zählen der erste

Platz beim Ironman France 2003, die Ironman-EM-Titel 2007 und 2009

in Frankfurt sowie der fünfte Rang beim Ironman Hawaii 2011. Neben den

vielen großen Erfolgen verschweigt Bracht aber auch sein peinlichstes

Wettkampferlebnis nicht: Weil er beim Powerman Holland seine Sattel-

stütze samt Sattel daheim vergessen hatte, musste er in einem Radladen

vor Ort einen „Holland-Sattel“ kaufen – auf dem er dann immerhin die

drittschnellste Radzeit fuhr. Er lebt mit seiner Frau Bettina und zwei

Kindern in Eberbach in Baden-Württemberg.

www.timo-bracht.de

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TRIATHLON > TIMO BRACHT

auch den Reiz aus? Absolut. Und da schlägt sich wieder der Bogen zu meinen Kindheits-erlebnissen. Ich bin auch die zehn Kilometer allein mit dem Rad oft zur Schule gefahren, obwohl ich den Bus hätte nehmen können. Aber auf diese Weise war ich selbst dafür verantwortlich, nach Hause zu kommen und dieses „Abenteuer“ durchzustehen. Der Reiz ist es, beim Triathlon für den Erfolg – und den Misserfolg – eigenverantwortlich zu sein. Deswegen erfreut sich die Sportart auch eines so großen Zulaufs, weil immer weniger Menschen beruflich eigenverantwortlich sind und viel mehr in Teams gedacht wird. Beim Triathlon ist man sein eigener Chef, es gibt keine Auswechselspieler und man bekommt keine Tipps. Man muss das Abenteuer selbst bestreiten.

Stimmt es wirklich, dass Sie Ihre Socken mal im nassen Zustand gewogen haben, um zu sehen, welche die leichtesten sind? Ja, das stimmt. Als 2007 die Kompressions-strümpfe aufkamen, gingen diese bis zum Knie – das sah ungewöhnlich aus, aber in denen wurde ich zum ersten Mal Europa-meister. Ich habe mich aber gefragt, ob diese langen Socken nicht zu schwer werden, wenn sie im Wettkampf nass werden. Also habe ich sie nass auf der Küchenwaage gewogen und

festgestellt, dass sie gar nicht so viel schwe-rer waren. Diese Geschichte habe ich damals der „F.A.Z“ erzählt, und sie ist eingeschlagen wie eine Bombe. Ich bin daraufhin sogar ins Morgenmagazin der ARD eingeladen worden und war „Der Mann, der seine Socken wiegt“. Danach hatte ich den Ruf als jemand weg, der auf Details achtet und wirklich ganz genau hinguckt. Und der Australier rennt ganz ohne Strümpfe (lacht) …

Diese Strümpfe helfen also wirklich – oder ist das vor allem Kopfsache? Nein, Kompressionsstrümpfe helfen tatsächlich. Das muss man nur mal selbst testen: Zie-hen Sie links eine kurze Socke und rechts einen Kompressionstrumpf an, und gehen Sie dann laufen. Sie werden merken, dass der Unterschied spürbar ist, die Strümpfe entlasten deutlich.

Wenn man sich Ihre Trainings- und Wett-kampfkleidung anschaut, ist diese von „normaler“ Sportkleidung so weit ent-fernt wie ich vom Ironman auf Hawaii. Eine Wissenschaft für sich? Auf jeden Fall. Aber der Triathlonsport war schon immer ein Ent-wicklungs-Pool. Fahrradfahren in Badehosen, Kompressionsstrümpfe und -kleidung, leichte Laufschuhe und Sonnenbrillen – viele Dinge

sind beim und für den Triathlon entwickelt worden, weil der Triathlet an sich ein Verrück-ter ist und gern viel ausprobiert. Deswegen ist der Sport beispielsweise auch für die Entwickler von X-Bionic eine tolle Spielwiese, sozusagen die Formel 1 des Ausdauersports – zumal ich die perfekte Testperson bin, weil ich ständig weltweit in verschiedenen Klimaten unterwegs bin. Dabei merke ich, dass es tat-sächlich Kleidung gibt, die mich unterstützt.

In welcher Form? Das Entscheidende ist für mich die Thermoregulation, damit der Körper nicht überhitzt. Wenn die Körpertemperatur zu hoch ist, verbraucht der Körper durch das Kühlen zu viel Energie. Deswegen sieht man beim Ironman viele Läufer, die ihr Trikot vorn geöffnet haben, damit Luft zur Kühlung an ihren Körper kommt. Der große Unterschied bei meiner Kleidung ist es, dass durch die partielle Kompression und das Material der Schweiß auf der Haut verdunstet. Früher hieß es immer, dass der Schweiß von der Haut entfernt werden müsse. Aber dann kühlt sich die Haut nicht ab – die Blutgefäße unter der Haut werden nicht gekühlt und der Körper überhitzt. Durch die perfekte Passform sitzt meine Kleidung überdies wie eine zweite Haut, sodass ich ganz mich auf meinen Sport konzentrieren kann.

Brachts Arbeitspensum

beim Triathlon: 3,8 Kilo-

meter Schwimmen, 180

Kilometer Radfahren und

42 Kilometer Laufen.

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