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Stadt- und wohnpolitische Widerstandsbewegungen
Nicole Büchel, Philipp Eigenmann, Sunjoy Mathieu
15.12.2008
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Ablauf
• Alternative Wohnvorstellungen• Hausbesetzungen• Filme egocity• Sinngehalte einer Hausbesetzung• Diskussion
Wo-Wo-Wonige !Stadt- und wohnpolitische Bewegungen
in Zürich nach 1968von Thomas Stahel, 2006
Alternative Wohnvorstellungen
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Alternative Wohnvorstellungen
• Anliegen der stadt- und wohnpolitischen Bewegung: Theorie und Praxis
• Kollektiver Wohnraum / Wohngemein-schaften
• Gemischte Wohnformen• Gleichstellung der Geschlechter
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Anliegen der Bewegung• Verwirklichung neuer Formen des
Zusammenlebens• Autonomie: Selbstversorgung und
Selbstverwaltung • Bsp.: Stadtutopie bolo‘bolo, Karthago am
Stauffacher, • Anarchistische Lebensführung: genug Zeit
neben „Lohnarbeit“ zur intensiven Pflege des Wohnraums und Entwicklung eines eigenen Lebensstils
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Anliegen der Bewegung
• Aufhebung funktionaler Trennung: Verbindung von Wohnen, Arbeit und Kultur an einem Ort
• Autonome / selbstverwaltete Quartierstrukturen• Praktische Umsetzung: Erkämpfung von
Freiraum • Theorien oft schwer zu verwirklichen, vieles
blieb auf utopischer Ebene
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Kollektiver Wohnraum: Historische Entwicklung
• 1960er Jahre: erste Kommunen (WG), Idee der „Selbstentfaltung im Kollektiv“
• Erste deutsche Kommunen 1966/67• Kampf gegen Kapitalismus, entfremdete
Produktionsverhältnisse, autoritäre Beziehungsstrukturen -> „Revolutionierung des bürgerlichen Individuums“
• 1970er: weniger Assoziation zu gesellschaftspolitischer Bewegung => Zersplitterung
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Kollektiver Wohnraum: Historische Entwicklung in der Schweiz
• Zwei Studien 1969 und 1972• Ergebnisse: unterschiedliche Motivationen
und regionale Unterschiede• WG ursprünglich zweckgebunden,
Politisierung erfolgte später• Bewohner: (intellektuell geprägte) Jugend
der Nachkriegsgeneration, Kritik an Wohlstands- und Sicherheitsbedürfnissen
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Kollektiver Wohnraum: Motivation
• Kritik an Anonymität der Städte (Isolation, Entfremdung)
• Abnahme der Lebensqualität• „Mängel des (…) konventionellen
Individualismus“ (Stahel 2004: 97)• Probleme: Erhöhte Konfliktanfälligkeit
durch intensives Zusammenleben und bedrohliche Wohnsituation
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Gemischte Wohnformen: Durchmischung
• Durchmischung von Bewohnerinnen und Wohnformen, Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft, Schicht und Generation
• Auch heute aktuell, aber aus rein ökonomischen Beweggründen, z. B. Puls 5 in Zürich West
• Aufhebung funktionaler Trennung bleibt auf theoretischer Ebene
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Gemischte Wohnformen: Flexible Wohnräume
• Veränderung der Ansprüche an die Wohnung im Laufe der Familien-entwicklung
• Zumietbare oder abtrennbare Wohnungs-teile, Flexibilität der Wohnung für die Zukunft
• Lösungsvorschläge: Zusammenführung nebeneinander liegender Wohnungen
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Gleichstellung der Geschlechter
• Gegen traditioneller Rollenverteilung => Aufteilung Kinderbetreuung, Kinderbetreuungsdienst
• Überwindung traditioneller Rollenverteilung?• Frauenräume: Mangel im öffentlichen Raum
(eingeschränkte Mobilität etc.), Raumaufteilung im Kleinfamilien-Haushalt (Frauenarbeit wird unsichtbar gemacht)
• Forderung: mehr Räume ohne Überlegenheit eines Geschlechts
Wo-Wo-Wonige !Stadt- und wohnpolitische Bewegungen
in Zürich nach 1968von Thomas Stahel, 2006
Hausbesetzungen
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Motivation• Wunsch nach Wohnraum
• Gegen Zerstörung von billigem Wohnraum
• Gegen Ausdehnung der City
• Provozieren um Öffentlichkeit auf Missstände im Wohnungsmarkt aufmerksam zu machen
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Forderungen• Schutz von günstigem Wohnraum
• Kollektive Wohn- und Freiräume
• Mieterschutz verstärken
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Entwicklung des Häuserkampfes
• 1968: Beginn der Hausbesetzungen• Wellenartig in drei Phasen:
– 80er „Bewegig“– „Netz“-Zeit– Zeit nach der Wohnungsnotbewegung
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Hausbesetzungen um 1970
• 1968: Lone Stars (Vorgänger der Hells Angels) bewohnten leer stehende Häuser/ Abbruchhäuser
• Politisches Engagement der “Lone Stars” und “Hells Angels” gering
• 1971: erste politisch motivierte Hausbesetzung am Tessinerplatz
• Verschiede Organisationen gegründet. • 1974: Bewohnerverband „Züri8“: dauerhafteste
Besetzung beim Hegibachplatz während 70er Jahren
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Hausbesetzungen während den 80er Jahren
• 1. Welle: 80er „Bewegig“• Bewegungen verzeichneten wieder stärkeren Zulauf,
extremeres politisches Engagement • 1981: innerhalb zwei Monaten: zwölf
Hausbesetzungen• Zweifel und Streitereien
→ 1. Welle beendet
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Netz-Zeit• 1986: Beginn der zweiten Besetzungswelle• „Netz“= Dachverband, setzte sich für kollektiven
Wohnraum ein, planten Veranstaltungen. →Forderung: Revision des Bodenrechts, Recht auf Wohnen, Unterbindung obdachlos gewordener BesetzerInnen
• Besetzung der Annaburg im Oktober 1987→nach acht Tagen geräumt→Netz wurde aufgelöst
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Wohnungsnotbewegung• Dritte und stärkste Welle (späte 80er und frühe 90er
Jahre)• Grund: Wohnungsnot und keine günstigen
Wohnungen vorhanden→ grosser Anklang in Bevölkerung, Verständnis wuchs
• Aktionswochen wurden organisiert• Geplante Auszugsboykotte und Enteignung der
Köchlistrasse 22 → Besetzungen nahmen stark zu• Limmatstrasse 217: kleiner „Erfolg“
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Wohnungsnotbewegung• April 1990: Wahlsieg der rot-grünen → besseres
Klima zwischen Regierung und Aktivisten • Höhepunkt im Mai 1992: 16 besetzte Häuser• Freude über linken Wahlsieg schnell getrübt,
Vertrauen in Regierung schwand aufgrund Räumung des Wohlgrothgebäudes
• Ab 1992: weniger Besetzungen auch aufgrund der etwas besseren Wohnsituation
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Wohlgroth• Im Mai 1991 ehemaliges Wohlgroth-Fabrikareal
besetzt→Ziel: Widerstand gegen Veränderungen im Kreis 5 und Forderung eines generellen Baustopps
• Besetzung dauerte zweieinhalb Jahre • Wohnräume gebaut, kulturelles Programm
(Konzerte, Ausstellungen, Punk-und Hardcoremusik, Technoraves) →“Kulturbrot“
• Wichtigster Treffpunkt der ausserparlamentarischen Linken
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Wohlgroth• Konflikte durch Drogenszene in Nachbarschaft,
Alkoholexzesse…• Oerlikon-Bührle bot Ersatzgebäude in Oerlikon an• Wurde von Besetzern abgelehnt • Nach Räumung im November 1993, grosse
Krawalle und Sachschäden in der Stadt• Blütezeit des Häuserkampfes in Zürich ging zu
Ende, gab nur noch einzelne Besetzungen
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Nach der dritten Welle• Nach 1995: Vermehrt Hausbesetzungen in
Aussenquartieren• Ab 1996: Sauvagen (Party feiern) und Squats
(Häuser zur kulturellen Nutzung) • Durch verschiedene Projekte→ neue
unkommerzielle Räume erschaffen • Berühmtestes Kultursquat: Egocity
„… Ohne die aus der 80er Bewegung entstandene Hausbesetzerszene kein so weltoffenes, vielfältiges
Kulturangebot, mit welchem die Stadtoberen heute für den Standort Zürich werben.“
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Egocity 2001
• http://de.youtube.com/watch?v=HU0q8iBNvkM• http://de.youtube.com/watch?v=pUYBxOcAmUQ
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Einbruch, Aufbruch - wohin?
• Lizentiatsarbeit Sozialpädagogik 2007• SIDI-Areal in Winterthur
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SIDI: Fragestellung
• Welchen manifesten und latenten Sinn haben Hausbesetzungen für jugendliche HausbesetzerInnen?– Lassen sich zwischen den Sinngehalten, den
verschiedene Jugendliche mit Hausbe-setzungen verbinden, Gemeinsamkeiten feststellen?
– Inwiefern ist dieser Sinn verbunden mit (bewusster oder unbewusster) Kritik an der dominanten Kultur?
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SIDI: Methodisches Vorgehen
• Beobachtungen der Lebenspraxis• Interviews mit 4 BesetzerInnen• Auswertungsverfahren:
– Tiefenhermeneutik– Szenisches Verstehen
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SIDI: Leben und Politik
• Konglomerat und Medienmitteilungen• Organisation des Zusammenlebens• Aktionsformen• Verhältnis zur Bevölkerung
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SIDI: Sinngehalte von Hausbesetzungen (I)
• Lina: Suche nach sozialem Rückhalt• Alex: Suche nach einem Leben ohne
äussere Zwänge• Magdalena: Die Sidi als neuer
Lebensmittelpunkt• Sandro: Protest gegen bürgerliche
Normierungen
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SIDI: Sinngehalte von Hausbesetzungen (II)
• Politisches Selbstverständnis• Selbstreflexion• Zwischen Rebellion und
Reproduktion• Zwischen Kollektivität und
Individualismus
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SIDI: Vergleich
• Gegenstand des Kampfes: Suche nach Wohnort und dessen Verteidigung
• Perspektiven auf gesellschaftliche Veränderungen fehlen
• Kulturräume (Kultursquats) statt Wohnen im Mittelpunkt
• Gesellschaftskonforme Mittel
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Diskussion• Inwiefern ist die Idee der Selbstversorgung
realisierbar? Oder ist eine Abkopplung vom Wirtschaftssystem gar utopisch?
• Unter welchen Bedingungen erscheint der Häuserkampf als legitimes Mittel, ausser-parlamentarisch auf wohnpolitische Anliegen aufmerksam zu machen?
• Inwiefern tragen die kulturellen Angebote der Hausbesetzerszene (bsp. in Kultursquats) zum Gentrifikationsprozess bei?
• Worauf kann der beobachtete Motivwechsel von Hausbesetzungen zurückgeführt werden?
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Literatur• Brauchli, Simone (2007): Einbruch, Aufbruch - wohin?
Eine Studie über Sinngehalte einer Hausbesetzung. Unveröffentlichte Lizentiatsarbeit am Pädagogischen Institut der Universität Zürich.
• Mayer, Margrit (2008): Städtische soziale Bewegungen. In: Roth, Roman und Rucht, Dieter (Hrsg.): Die sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945. Ein Handbuch. Frankfurt/Main: Campus. S. 293-318.
• Stahel, Thomas (2006): Wo-Wo-Wonige! Stadt- und wohnpolitische Bewegungen in Zürich nach 1968. Zürich: Paranoia-City.