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14 GERIATRIE JOURNAL 5/00 S TANDPUNKT : V ERGÜTUNGSSYSTEME D er Gesetzgeber hat gemäß dem neuen § 17 b KHG im Rahmen des GKV-Gesund-heitsreformge- setzes 2000 die Einführung eines neuen Vergütungssystems beschlossen. Dieses wird im wesentlichen an den Prinzipien der amerikanischen Diagnosis Related Groups (DRG) orientiert sein. Dieses neue Entgeldsystem ist international be- reits seit Jahren in unterschiedlichen Va- rianten im praktischen Einsatz. Durch die Umstellung der Krankenhausfinan- zierung auf ein DRG-System wird es tief- greifende Veränderungen der Kranken- hauslandschaft geben. Was sind nun DRGs? Die „Philosophie“ der DRG beruht auf der prinzipiellen Zielsetzung, alle Kran- kenhausfälle statt nach einzelnen Lei- stungen oder Behandlungstagen nur noch nach der Diagnose zu vergüten. Damit steht nicht mehr die Frage „Wie wird be- handelt?“, sondern „Was wird behan- delt?“ im Vordergrund. Das DRG-Sy- stem ist ein Patientenklassifikations-Sy- stem zur Gruppierung von stationären Behandlungsfällen in Fallgruppen (Dia- gnosis Related Groups) mit vergleichba- rem Behandlungsaufwand. International gibt es eine Reihe von DRG-Systemen; wesentliche Unterschiede sind z.B. die Berücksichtigung von Fallschwere und Komorbidität, Kodierungsmöglichkeiten und Einbeziehung neuer Patientengrup- pen für die Berechnung. Völlig neu an diesem System ist die Tat- sache, dass es pro Fall nur eine DRG ge- ben wird. Diese eindeutige Fallzuord- nung impliziert z.B., dass Konservative Fälle anderen DRG zugeordnet werden als operative Fälle und dass die Zuord- nung primär nach der Hauptdiagnose und dann nach den Nebendiagnosen er- folgt. Die Berechnung pro Fall ergibt sich nach dem relativen Gewicht der DRG und dem mittleren Fallpreis (Basisrate). Für das einzelne Krankenhausbudget kommt der sog. „Case-Mix-Index (CMI)“ hinzu, der den mittleren Aufwand bzw. Schwe- regrad aller Behandlungsfälle berück- sichtigt. Mit der Entscheidung zur Einführung eines neuen Vergütungssystems auf der Ba- sis von DRGs wurde zeitgleich die Dia- gnoseverschlüsselung nach ICD 10-SGB V mit alphanumerischer Codierung ein- geführt. Schwerwiegende Tatsache hier- bei ist, dass diese Codierung nicht mehr einer medizinischen oder dem Behand- lungsablauf entsprechenden Logik, son- dern ganz klar einen leistungsabbilden- den Ansatz der Hauptdiagnose (!) verfolgt. Umfang und Qualität einer richtigen Lei- stungsdokumentation werden zur Grund- lage des wirtschaftlichen Erfolges oder Misserfolges einer Abteilung und eines Krankenhauses. Was bedeuten die DRG für die Geriatrie? Spätestens seit dem Bekanntwerden der Entscheidung, dass die Geriatrie nicht wie die Psychiatrie aus dem DRG-Sy- stem herausgenommen und eine Vergü- tung nach Pflegesätzen erhalten wird, ist höchste Wachsamkeit geboten. Denn in keiner DRG-Systematik ist die Geriatrie als Kategorie vertreten. Das bedeutet, dass sich die Geriatrie einem fall- und dia- gnosebezogenen Wettbewerb um den Pa- tienten wird stellen müssen. Die Problemlage hierzu ist eindeutig. Praktisch alle Geriatrien akquirieren ih- re Patienten nur in einem geringeren Pro- zentsatz (ca. 0-40 %) primär; das gilt ins- besondere auch für Geriatrien, die nach § 39 SGB V arbeiten. Alle weiteren Patienten werden in der Regel in die Ge- riatrie verlegt. Das Problem entsteht da- durch, dass es pro Fall nur eine DRG und damit vergütungsrelevante Ver- schlüsselung geben wird. Wenn es sonst keine leistungsbeschreibenden Merkma- le für einen geriatrisch zu behandelnden Patienten gibt und die zukünftigen DRG keine „Geriatrie-Komponente“ vorsehen, muss zwangsläufig ein regelrechter Wett- bewerb um das Behandlungsrecht eines geriatrischen Patienten entstehen. Alle medizinischen Disziplinen wer- den einen optimalen Case-Mix-Index er- zielen wollen. Dieses werden sie errei- chen, indem sie konsequent eine lei- stungsbezogene Hauptdiagnose und relevante Nebendiagnosen aufzeichnen. Derzeit ist nicht sicher ob und wie in die relative Gewichtung Komplikationen, Die Einführung von DRGs (Diagnosis Related Groups) in Deutschland ist beschlossene Sache. Gerade die Geriatrie wird sich konstruktiv mit die- sem Problem auseinandersetzen müssen, will sie nicht gegenüber ande- ren medizinischen Disziplinen den Kürzeren ziehen. Für den Niederge- lassenen bedeutet die Einführung von DRGs vor allem eine intensivere Nachbetreuung instabil entlassener Patienten. DRG und Geriatrie: Es brennt Norbert Wrobel, Bremen, Ludger Pientka und Christoph Friedrich Bochum DRGs, ein weiteres Instrument, um den Arzt zu gängeln.

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14 GERIATRIE JOURNAL 5/00

S TA N D P U N K T: V E R G Ü T U N G S S Y S T E M E

Der Gesetzgeber hat gemäß demneuen § 17 b KHG im Rahmendes GKV-Gesund-heitsreformge-

setzes 2000 die Einführung eines neuenVergütungssystems beschlossen. Dieseswird im wesentlichen an den Prinzipiender amerikanischen Diagnosis RelatedGroups (DRG) orientiert sein. Diesesneue Entgeldsystem ist international be-reits seit Jahren in unterschiedlichen Va-rianten im praktischen Einsatz. Durchdie Umstellung der Krankenhausfinan-zierung auf ein DRG-System wird es tief-greifende Veränderungen der Kranken-hauslandschaft geben.

Was sind nun DRGs?

Die „Philosophie“ der DRG beruht aufder prinzipiellen Zielsetzung, alle Kran-kenhausfälle statt nach einzelnen Lei-stungen oder Behandlungstagen nur nochnach der Diagnose zu vergüten. Damitsteht nicht mehr die Frage „Wie wird be-handelt?“, sondern „Was wird behan-delt?“ im Vordergrund. Das DRG-Sy-stem ist ein Patientenklassifikations-Sy-stem zur Gruppierung von stationärenBehandlungsfällen in Fallgruppen (Dia-gnosis Related Groups) mit vergleichba-rem Behandlungsaufwand. Internationalgibt es eine Reihe von DRG-Systemen;wesentliche Unterschiede sind z.B. dieBerücksichtigung von Fallschwere undKomorbidität, Kodierungsmöglichkeitenund Einbeziehung neuer Patientengrup-pen für die Berechnung.

Völlig neu an diesem System ist die Tat-sache, dass es pro Fall nur eine DRG ge-ben wird. Diese eindeutige Fallzuord-nung impliziert z.B., dass KonservativeFälle anderen DRG zugeordnet werdenals operative Fälle und dass die Zuord-nung primär nach der Hauptdiagnoseund dann nach den Nebendiagnosen er-folgt. Die Berechnung pro Fall ergibt sichnach dem relativen Gewicht der DRG unddem mittleren Fallpreis (Basisrate). Fürdas einzelne Krankenhausbudget kommtder sog. „Case-Mix-Index (CMI)“ hinzu,der den mittleren Aufwand bzw. Schwe-regrad aller Behandlungsfälle berück-sichtigt.

Mit der Entscheidung zur Einführungeines neuen Vergütungssystems auf der Ba-

sis von DRGs wurde zeitgleich die Dia-gnoseverschlüsselung nach ICD 10-SGBV mit alphanumerischer Codierung ein-geführt. Schwerwiegende Tatsache hier-bei ist, dass diese Codierung nicht mehreiner medizinischen oder dem Behand-lungsablauf entsprechenden Logik, son-dern ganz klar einen leistungsabbilden-den Ansatz der Hauptdiagnose (!) verfolgt.Umfang und Qualität einer richtigen Lei-stungsdokumentation werden zur Grund-lage des wirtschaftlichen Erfolges oderMisserfolges einer Abteilung und einesKrankenhauses.

Was bedeuten die DRG für die Geriatrie?

Spätestens seit dem Bekanntwerden derEntscheidung, dass die Geriatrie nichtwie die Psychiatrie aus dem DRG-Sy-stem herausgenommen und eine Vergü-tung nach Pflegesätzen erhalten wird, isthöchste Wachsamkeit geboten. Denn inkeiner DRG-Systematik ist die Geriatrieals Kategorie vertreten. Das bedeutet,dass sich die Geriatrie einem fall- und dia-gnosebezogenen Wettbewerb um den Pa-tienten wird stellen müssen.

Die Problemlage hierzu ist eindeutig.Praktisch alle Geriatrien akquirieren ih-re Patienten nur in einem geringeren Pro-zentsatz (ca. 0-40 %) primär; das gilt ins-besondere auch für Geriatrien, die nach§ 39 SGB V arbeiten. Alle weiterenPatienten werden in der Regel in die Ge-riatrie verlegt. Das Problem entsteht da-durch, dass es pro Fall nur eine DRGund damit vergütungsrelevante Ver-schlüsselung geben wird. Wenn es sonstkeine leistungsbeschreibenden Merkma-le für einen geriatrisch zu behandelndenPatienten gibt und die zukünftigen DRGkeine „Geriatrie-Komponente“ vorsehen,muss zwangsläufig ein regelrechter Wett-bewerb um das Behandlungsrecht einesgeriatrischen Patienten entstehen.

Alle medizinischen Disziplinen wer-den einen optimalen Case-Mix-Index er-zielen wollen. Dieses werden sie errei-chen, indem sie konsequent eine lei-stungsbezogene Hauptdiagnose undrelevante Nebendiagnosen aufzeichnen.Derzeit ist nicht sicher ob und wie in dierelative Gewichtung Komplikationen,

Die Einführung von DRGs (Diagnosis Related Groups) in Deutschland istbeschlossene Sache. Gerade die Geriatrie wird sich konstruktiv mit die-sem Problem auseinandersetzen müssen, will sie nicht gegenüber ande-ren medizinischen Disziplinen den Kürzeren ziehen. Für den Niederge-lassenen bedeutet die Einführung von DRGs vor allem eine intensivereNachbetreuung instabil entlassener Patienten.

DRG und Geriatrie: Es brenntNorbert Wrobel, Bremen, Ludger Pientka und Christoph Friedrich Bochum

DRGs, ein weiteres Instrument, um denArzt zu gängeln.

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S TA N D P U N K T: V E R G Ü T U N G S S Y S T E M E

Alter und Schweregrad des Falles berück-sichtigt werden. Untersuchungen in Bre-men haben gezeigt, dass die Altersstruk-tur der in die Geriatrie aufgenommenenPatienten zu etwa 75% mit der der in dieInneren Medizin aufgenommenen Pati-enten identisch ist. Diese Ausführungenmachen klar, dass es bezogen auf Haupt-diagnose, Komorbiditätund Alter bei geriatri-schen Patienten prak-tisch keine Unterschie-de zwischen den kon-servativen Fächern, z.B.der Inneren Medizin,und der Geriatrie geben wird. Dieser Um-stand lässt sich anhand eines der wich-tigsten Krankheitsbilder der Geriatrienäher illustrieren:

Der ischämische Apoplex würde in derICD-10-SGB V-Fassung mit I 63.9 ko-diert werden. Dazu ließe sich neben einermöglichen Krankheit des Nervensystems,z. B. G 81.1, eine Vielzahl von Sympto-men aus dem Kapitel VIII mit einer R-Codierung als Nebendiagnosen hinzu-fügen, die in der Logik sicherlich am be-sten die Folgen eines ischämischenApoplex beschreiben:• Spastische Hemiparese rechts (G 81.1)• Paretisches Gangbild (R 26.1)• Aphasie (R 47.0), Dysphagie (R 13)• Urin- (R 32), Stuhlinkontinenz (R 15)• weitere neun R-Diagnosen.Im Anschluss daran würden weitereNebendiagnosen folgen, wie sie typi-scherweise in der Geriatrie dokumentiertwerden. Die bedeutendste Problematikentsteht dadurch, dass bei der EDV-ge-stützten Bewertung der Haupt- und Ne-bendiagnosen bestenfalls etwa zehn Dia-gnosen einfließen können und die R-Diagnosen wahrscheinlich nicht diegleiche Gewichtung haben werden wieDiagnosen anderer Kapitel. Mit dem vor-gegebenen Beispiel würde der Maximal-umfang nennbarer Nebendiagnosen denvorgegebenen Umfang mit etwa zehnDiagnosen bei weitem übertreffen. Ent-scheidend ist aber, dass es über den ICD-10-SGB V eine leistungsbezogene Ab-bildung geben soll. Somit bekommt bei-spielsweise die Pneumonie infolge einerDysphagie einen sehr viel höheren Stel-lenwert, ebenso auch der Harnwegsin-

fekt, beispielsweise infolge einer Urinin-kontinenz. Gleiches gilt sinngemäß für diebei älteren Patienten vorzufindende ty-pische Komorbidität, wie arterielle Hy-pertonie, Diabetes mellitus, Prostatahy-perplasie, Arthrose usw.

Ein Blick in die aktuellen Haupt- undNebendiagnosenstatistik der konservati-

ven Fächer, insbesonde-re der Inneren Medizin,präsentiert bereits jetzteine Dokumentation inobiger Art und Reihen-folge. Da die Alters-struktur der Inneren

Medizin im großen Umfang der der Ge-riatrie entspricht, ist klar, dass der Case-Mix-Index der Inneren Medizin und derGeriatrie praktisch identisch sein wird.

Ein weiteres Beispiel mag die Proble-matik verdeutlichen: 85jähriger Patientmit einer dekompensierten Herzinsuffi-zienz und Ödemen. • Behandlung in einer internistischen

Abteilung: Diuretische Behandlungund DK-Versorgung mit Immobilisie-rung, Entlassung mit geringerer Mo-bilität und DK nach zehn Tagen.

• Behandlung in einer geriatrischen Ab-teilung: Diuretische Behandlung undDK-Versorgung mit Immobilisierung,Mobilisierung und Blasentraining nachzehn Tagen, parallel ADL-Training,und Entlassung nach 18 Tagen, stand-und gangsicher sowie selbsthilfefähig.

Eine optimale Kodierung vorausgesetzt,würden beide Fälle über dieselbe DRGabgerechnet. Dabei wird klar, dass einegeriatrische Behandlung für ein Kran-kenhaus aus betriebwirtschaftlicher Sichtproblematisch werden könnte. Da nichtzu erwarten ist, dass parallel zur Ein-führung der DRG ein Ergebnis-orien-tiertes Qualitätssicherungssystem einge-führt wird, sind zwangsläufig Verschie-bungen zwischen Abteilungen zuerwarten. Die möglichen Konsequenzenund die Auswirkungen unter den gege-benen, aktuellen Umständen sind ein-deutig werden durch die Erfahrungenaus den USA gestützt:• Schwere Fälle ins Krankenhaus, leich-

te ambulant• Abnahme der Fallzahl und der Kran-

kenhausbetten in großem Umfang

• Deutliche Zunahme der Entlassung in-stabiler Patienten und Zunahme derPflegeheimeinweisungen

• Ohne geriatrisch-orientierte Qualitäts-sichernde Maßnahmen Konkurrenznur über Diagnose und evtl. über Ko-morbidität und Krankheitsschwere.

Spätestens zum jetzigen Zeitpunkt rächtes sich, dass es der Geriatrie bislang nichtgelungen ist, sich im bestehenden medi-zinischen Versorgungssystem als medizi-nisch-fachlich anerkannte Disziplin „Ge-riatrie“ zu positionieren und sich mit ih-rer Behandlungsstrategie unterscheidbarzu machen. Zwar ist es mit der Ein-führung einer Definition der Geriatriesowie dem Weiterbildungskatalog Fa-kultative Weiterbildung Klinische Ge-riatrie gelungen, Wesen und inhaltlicheArbeit der Geriatrie darzustellen; völligunberücksichtigt blieb jedoch die Stellunggegenüber den anderen medizinischenDisziplinen sowie die eindeutige rechtli-che Verankerung im SGB V. So bestehtfaktisch eine heftige Konkurrenzsituati-on zu anderen konservativen Fächern,ohne dass es dafür eine fachliche undrechtliche Rückendeckung gegeben hät-te. Was unverändert offen bleibt, ist ei-ne von allen Geriatern anerkannte Ziel-richtung, nach der sich das Fach Geria-trie im bestehenden Versorgungssystemausrichtet.

Prinzipielle Möglichkeiten der Lei-stungsbeschreibung in der Geriatrie

Eine ausreichende Patientencharakteri-sierung kann mittels krankheitsbeschrei-bender Codierung, ob früher der ICD-9 oder jetzt der ICD-10-SGB V, niemalsgelingen. Als ein Notbehelf wurde in derGeriatrie schon immer die Komorbiditätdes Patienten herangezogen und doku-mentiert. Im SGB V-Sinn waren somitHauptdiagnose, Komorbidität sowie Pfle-gebedürftigkeit die einzige Legimitationfür die Behandlung eines geriatrischenPatienten im Krankenhaus, was aber fak-tisch keinen Unterschied zu den anderenDisziplinen bedeutete. Wenn sich dieLeistung der Geriatrie nicht durch denICD abbilden lässt, so bleibt nur dieMöglichkeit, diese zu operationalisieren.Der Zuständigkeitsbereich der Geriatrie

Der ICIDH wäre in idea-ler weise dafür geeignet,alle Ebenen der Krank-

heit zu kodieren.

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S TA N D P U N K T: V E R G Ü T U N G S S Y S T E M E

definiert sich neben Alter und Akut/Ko-morbidität vor allen Dingen über Krank-heitsfolgen sowie Auswirkungen im so-zialen Bereich.

Dahinter steht der Anspruch der Ge-riatrie, nicht nur im diagnostischen undmedizinisch-therapeutischen Bereich qua-lifizierter mit den Krankheiten ältererMenschen umzugehen, sondern Krank-heitsfolgen (Fähigkeitsstörungen) zu be-seitigen, zu lindern oder Ersatzstrategienfür funktionelle Defizite zu entwickeln. Ei-ne selbständige und selbstbestimmte Le-bensführung mit sozialer Reintegrationbildet den Endpunkt einer erfolgreichengeriatrischen Behandlung. Diese An-sprüche als Leistung der Geriatrie zu er-fassen, bildet einen Kernpunkt der Do-kumentation geriatrischer Intervention.Hierfür stünde mit der International Clas-sification of Impairments, Disabilities andHandicaps (ICIDH)eine Klassifikation zurVerfügung, mit derman Krankheiten/Schädigungen (Im-pairments), Krank-heitsfolgen (Fähig-keitsstörungen, Disabilities) sowie sozia-le Auswirkungen (Beeinträchtigungen,Handicaps) kodieren könnte. Die ICIDHist somit das operationalisierende Instru-ment zur Leistungsbeschreibung der Ge-riatrie.

Bisher war es nicht möglich, zu einerden gesetzlichen Grundlagen angepas-sten medizinischen Klassifikation (ICD)eine weitere biomedizinisch-psycho-so-ziale Klassifikation ohne größere, kon-sensuelle Umbrüche hinzuzufügen. Mög-lich jedoch war und ist es, über eine ge-riatrische Definition von Komorbiditätund Krankheitsschwere für eine lei-stungsentsprechende Gewichtung derwichtgen DRG zu kommen. Hierzu bie-tet sich eine Kodierung der Fähigkeits-störungen aus dem ICIDH an, weil sichdarüber die wesentliche Aufgabenstel-lung, aber vor allen Dingen eine klareBehandlungsstrategie und ein Behand-lungsziel ableiten lassen.

Mit der ICD-10-SGB V-Systematikließen sich Krankheitsfolgen am ehestenmit dem Kapitel XVIII, „Symptome undabnorme klinische und Laborbefunde,

die anderen Ortes nicht klassifizierbarsind“, abbilden. Diese R-Diagnosen wer-den aller Voraussicht nach bei der Er-mittlung des Case-Mix-Index nicht dieGewichtung erfahren, wie Diagnosen ausanderen Kapiteln. Wenn im Rahmen derICD-10-SGB V-Codierung für die Lei-stungsbeschreibung der Geriatrie keine Al-ternativen zugelassen werden, solltengrößte Anstrengungen unternommenwerden, der Gewichtung von R-Dia-gnosen eine angemessene Bedeutung zu-kommen zu lassen.

Drei mögliche Szenarien

Die Geriatrie wird sich konstruktiv mitdem Problem der DRGs auseinanderset-zen müssen. Die kommende Neustruk-turierung des Vergütungssystems vonKrankenhäusern läßt zum gegenwärti-

gen Stand der Diskussionfolgende Szenarien mög-lich erscheinen:• Keine (ökonomische)

Berücksichtigung derCharakteristika geriatri-scher Patienten, d.h. di-

rekte Konkurrenz mit anderen Fach-disziplinen über den Preis

• Ausreichende (ökonomische) Berück-sichtigung der Charakteristika geria-trischer Patienten, d.h. Konkurrenz mitanderen Fachdisziplinen über Qualität

• Nicht ausreichende (ökonomische)Berücksichtgung der Charakteristikageriatrischer Patienten, d.h. Patienten-selektion über den Preis und „Ver-schiebung“ der schlechten Risiken in an-dere oder keine Versorgungsalternativen

Diese Szenarien gelten für Geriatrien nach§ 39. Zwar werden derzeit keine offiziel-len Diskussionen über die Einführungvon DRGs im Reha-Bereich (Geriatriennach § 40) geführt. Es dürfte allerdingsnur eine Frage der Zeit sein, bis auch die-ser Bereich in ein dann einheitliches Ver-gütungssystem überführt wird. Aktuellbedeutsam ist vor allem die Frage, wie dieBehandlung von Patienten, die währendder Grenzverweildauer in eine Reha-Ein-richtung überwiesen werden, vergütetwird. Je nach Ausformulierung der Kri-terien könnte es für viele Krankenhäuserbetriebswirtschaftlich sinnvoll sein, statt

einer Verlegung eine Frührehabilitation inden freiwerdenden Betten selbst durch-zuführen. Ob dann nur die schlechtenRisiken in freistehende Reha-Klinikenverlegt werden oder welche Vergütungenfür diesen Versorgungsbereich zu errei-chen sind, hängt von der konkreten Aus-formulierung des DRG-Systems ab, sodass über die konkreten Folgen derzeitnur spekuliert werden kann.

Zum jetzigen Zeitpunkt heißt dies fürdie Geriatrie zu versuchen, inhaltlich Ein-fluss zu nehmen auf die konkrete Ausge-staltung der DRG und die funktionellePerspektive entweder als zusätzlichen Ge-wichtungsfaktor oder in die Definition derKomorbidität und Krankheitsschwereeinzubringen. Als Sofortmaßnahmen sindzu diskutieren:• Sofortige Verständigung über eine ein-

heitliche ICD-10-SGB-V-Codierungfür die Therapie geriatrischer Patienten

• Information der Vertragspartner – ins-besondere der DKG – über die spezi-elle Problematik der Geriatrie undHilfe bei der Entwicklung und Ausge-staltung von DRGs durch fachkom-petente Geriater

• Diskussion über die Abgrenzung derGeriatrie zu anderen Fachdiziplinen(Struktur- und Prozessqualität) undeindeutigere Stellungnahme zum The-ma Rehabiltation. Hierfür wäre eineOrientierung an der ICIDH hilfreich

Darüber hinaus muss im Sinne eines Qua-litätsmanagements eine Diskussion dar-über entfacht werden, was gute Geriatrieausmacht und wie sie sich inhaltlich undstrukturell von anderen Fächern unter-scheidt. Es steht zu befürchten, dass es kei-nen Geriatrie-Bonus geben wird. Darumgilt es, für eine qualitativ hochwertige me-dizinische Versorgung der älteren Patien-ten zu kämpfen und in einen sachlichen,aber konsequenten, an Fakten orientier-ten Dialog einzutreten. Packen wir es an!

Literatur beim Verfasser

Dr. med. Norbert Wrobel, Klinik fürMedizinische Geriatrie und Rehabili-tation mit Tagesklinik, Zentralkran-kenhaus Bremen-Nord, Hammers-becker Str. 228, 28755 Bremen

Es steht zu befürchten,dass es keinen

Geriatrie-Bonus geben wird.