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G. H. Miiller, Statistische Untersuchungen yon Gesichtsasymmetrien 97 Aus der Kieferorthop~idischen Abteilung (Vorst. : Prof. Dr. G. H. M ii 11 e r) der Klinik und Poliklinik ftir Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten der Georg-August- Universit~it G(Sttingen (Direktor: Prof. Dr. Dr. Th. K i r s c h) Statistische Untersuchung yon Gesichtsasymmetrien bei Jugendlichen Von Gerhard H. Miiller, G~Jttingen Mit 3 Abbildungen Mit dieser Arbeit sollen Aufschliisse gewonnen werden iiber die Frage, ob -- und gegebenenfalIs welche -- Asymmetrien im fazialen Bereich nach einer be- stimmten Seite tendieren. Solche Tendenzen sind z. B. yon der links-rechts- Verteilung der Lippenspalten (Verh~iltni,s 3:1) bekannt. Da bei dieser Miflbil- dung auch ein erheblicher H~iufigkeitsunterschied zwischen den Geschlechtern besteht (ca. 2/~ der F~ille sind m~innlich), wurde unser Material zugleich darauf- hin ausgewertet. Zur VerfiJgung standen die Unterlagen von 50 m~innlichen und 50 weiblichen unselektierten kieferorthop~idischen Patienten zwischen sieben und fiinfzehn Jahren, mit jeweiligem Altersdurchschnitt bei neuneinhalb Jahren. Der t-Test ergab Identit~it beider Gruppen (Tab. I). Tab. I. Altersverteilung der untersuchten Personen n ~ 50 n = 50 n ~ 100 9,658 9,412 9,535 s~ 0,270 0,221 0,172 Signifikanz (t-Test) C~ : 9 1,0 = Mittelwert s~ = Standardabweichung des Mittelwertes

Statistische Untersuchung von Gesichtsasymmetrien bei Jugendlichen

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Page 1: Statistische Untersuchung von Gesichtsasymmetrien bei Jugendlichen

G. H. Miiller, Statistische Untersuchungen yon Gesichtsasymmetrien 97

Aus der Kieferorthop~idischen Abteilung (Vorst. : Prof. Dr. G. H. M ii 11 e r) der Klinik und Poliklinik ftir Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten der Georg-August-

Universit~it G(Sttingen (Direktor: Prof. Dr. Dr. Th. K i r s c h)

Statistische Untersuchung yon Gesichtsasymmetrien bei Jugendlichen

V o n Gerhard H. Miiller, G~Jttingen

Mit 3 Abbildungen

Mit dieser Arbe i t sollen Aufschli isse g e w o n n e n werden iiber die Frage, ob - - und gegebenenfalIs welche - - A s y m m e t r i e n im fazia len Bereich nach einer be- s t immten Seite tendieren. Solche T e n d e n z e n sind z. B. y o n der l inks-rechts- Ver te i lung der Lippenspa l ten (Verh~iltni,s 3:1) bekann t . D a bei dieser Miflbil- d u n g auch ein erheblicher H~iufigkeitsunterschied zwischen den Geschlechtern bes teht (ca. 2/~ der F~ille sind m~innlich), wurde unser Mater ia l zugleich da rauf - h in ausgewertet .

Zur Verf iJgung s tanden die Unte r l agen von 50 m~innlichen und 50 weiblichen unselekt ier ten kieferorthop~idischen Pa t ien ten zwischen s ieben und f i in fzehn Jahren, mit jeweil igem Altersdurchschni t t bei neune inha lb Jahren. Der t -Tes t ergab Identit~it beider G r u p p e n (Tab. I).

Tab. I. Altersverteilung der untersuchten Personen

n ~ 50 n = 50 n ~ 100 9,658 9,412 9,535

s~ 0,270 0,221 0,172

Signifikanz (t-Test) C~ : 9 1,0

= Mittelwert s~ = Standardabweichung des Mittelwertes

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98 F o r t s c h r i t t e d e r K i e f e r o r t h o p ~ i d i e 35 (1974) 97- -102

Die Messungen erfolgten an Fotostatprojektionen im Mal~stab 1:1, nach einem Verfahren, tiber das ich zusammen mit R. K o c h anl~if~lich der Jahres- tagung der Deutschen Gesellschaft f~ir Kieferorthop~idie 1972 in Erlangen be- richtet habe (im ,Polizeiadapter" belichteter Planfilm mit Aufnahmen von fron- tal und von beiden Seiten; individuelle Gr(51~enmarkierung).

Ermittelt wurden am Frontalbild drei laterale und drei vertikale Strecken, an den Seitbildern eine dorsoventrale Strecke; die Auswahl der Mel~objekte er- folgte nach dem Gesichtspunkt, mSglichst geringe Unsicherheitsfaktoren bei der Bestimmung der Bezugsgr6f~en in Kauf nehmen zu mtissen.

~ "l - ;--KS J_, ~ -kS.Y-;" \

,

A_ !

\ i f---- Z-d_..

J

/ /

~u

~- BM I

Abb. 1. Mel~schema mit Orientierungspunkten; ftir Frontalaufnahme rechtwinkliges Koordi- natensystem tiber der Bipupillarlinie mit Nullpunkt in deren Mitte

An der Frontalaufnahme (Abb. 1) diente als Mef~basis ein fiber die Bipupil- larlinie (Pupillenmitte rechts nach Pupillenmitte links, Pr--PI) errichtetes recht- winkliges Koordinatensystem mit seinem Nullpunkt in der Mitte dieser Strecke.

Folgende Bezugspunkte (jeweils rechts und linlqs) fanden Verwendung: Mr Ml = Mundwinketpunkte, BPr BP1 = obere Gesichtsbreitenpunkte in Pupillarh(She; Schnittpunkte der

verl~ingerten Bipupillarlinie mit dem Schl~ifenrand, BMr BMI = untere Gesichtsbreitenpunkte in Mundwinkelh6he; Schnitt-

punkte einer in mittlerer Mundwinkelh/She verlaufenden Hori- zontalen mit dem Wangenrand,

OOr oOl = obere Ohrpunkte; hSchste Punkte der Ohrmuschel, uO,. uO1 = untere Ohrpunkte; tiefste Punkte der Ohrmuschel, Tr T1 = Traguspunkte; am weitesten von den zugeordneten Pupillar-

punkten entfernte Punkte am Tragusrand (s. Abb. I links). Folgende Strecken wurden jeweils ftir die linke und die rechte Gesichtsh~ilfte

ermittelt: 1. in lateraler Richtung die Entfernungen vonder Medianen nach BP, BM

und M, 2. in vertikaler Richtung die Entfernungen von der Bipupillarebene nach

oO, uO und M, 3. in dorsoventraler Richtung die Entfernung zwischen P und T.

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G. H. Ms Statistis&e Untersud'~.ungen yon Gesidttsasymmetrien 99

Wie erwartet, wies eine unters&iedli& groge Zahl yon gillen in einzelnen Werten keine Seitendifferenzen auf andere zeigten ein Uberwiegen der rech- ten oder der iinken Gesi&fsh~lfte (Tab~ II).

Die Durchsicht der Urliste lie~ ei.nige Gesichter rnit alIgemein hochgradiger 9ymmetrie erkennen, d. h. mit nut unbedeutenden Abwei&ungen in wenigen Me~gdaten (z. B. FalI der Abb~ 2); einige andere Gesid~ker zeigten kornb~nierte Asymmetrien yon gr~s Ausrna~g (z, B. FaIt der Abb. 3).

Nach der groben Durchsi&t wurden die Befunde dann mittels eins&Iigiger mathematischer Verfahren auf unsere Fragesteltung hir~ [iberpr[ift, und i& m~S&te ni&t ver~;~a~men, Frau Dr. G a r b e yore Insti~nl fiir Pharmakologie und Toxikologie der Universit;{t G6tdngen fiir die dabei erwiesene Unter~ stiiI:zung herzli& zu danken.

Tab. II. Ver{eihmg der Asymmetrien und maximale Differenzwer~e zwischen re&ts und links

S S .s i

%

i :�9 i e o

04

Zahl der F~ille mit gr~i~?eren Werten 39 49 73 43 Z4 39 57 red~ts

maximale Abwei- 9 9 10 6 4 4 9 chunger~ (in ram)

Zahl der F~ille mit grS~eren Werten 52 39 26 37 52 18 23 links

maximale Abweb &ungen (in ram) 9 8 3 7 6 3 7

Zahl der FiIle o}:me A b w e i c h u n g 9 12 11 Z0 Z4 43 20

Gesamtzahl der F~tle t00 lOO loo I oo LOO loo ioo

Abb, 2. BeispiM f{ir ein symmetrisd~.es GeM&e; .red~{s/~,er normales trod links/links~ Bild (S&nitt in der Bip~pHhr-Senkre&ten)

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100 Fortschritte der Kieferorthop~idie 35 (1974) 97--102

Die Untersuchung auf Seitenla.stigkeit (gr6t~ere durchschnittliche Met~werte in einer bestimrnten Gesichtsh~ilfte) erbrachte weder fiir die Gesichtsbreite in HiShe P noch fiir jene in HiShe M einen signifikanten Befund (Tab. II!). Dagegen wies der Mundwinkel-Breitenabstand beim Gesamtmaterial wie auch bei jedem Geschlecht getrennt eine hochsignifikante Betonung der rechten Seite auf (p ~0,001). Die beiden Ohrmuschelwerte verhielten sich unterschiedlich: W~ih- rend die obere Ohrh6he keine Seitenbetonung erkennen liet~, war der Abstand zwischen Pupillarlinie und unterem Ohrmuschelpunkt bei der weiblichen (mit p <0,01) wie bei der m~innlichen Gruppe (mit p <0,02) links signifikant griSt~er als rechts, und die Gesamtgruppe wies sogar h o h e Signifikanz in dieser Rich-

Abb. 3. Beispiel fiir ein asymmetr i sches Gesicht; rechts/rechts-, normales und l inks/ l inks- Bild (Schnitt in der Bipupil lar-Senkrechten)

Tab. III. Uberpr i i fung der am Fotostatbi ld im Ma~s tab 1:1 ermit te l ten Mel~daten auf Asym- metr ien mit Schwerpunkt nach einer bes t immten Seite

,.~ ,z

o ~-=-~ ~ ~ ~ ~-~ ~ = ~ - ~

-- 0,120 0,460 s.q 0,489 0,449 p <0,9 <0,4

.q 0,480 0,760 sx 0,476 0,510 p <0,4 <o,2

t -Test 9: c~ =1,0 =1 ,0

-- 0,300 0,610 ~ + C~ sx 0,340 0,339

p <0 ,4 <0 ,1

1,840 0,240 -- 0,760 -- 0,040 1,120 0,386 0,284 0,284 0,141 0,430

<0,001"* <0,5 <0,01" <0,8 <0,02*

2,500 0,600 -- 0,720 0,560 1,240 0,360 0,400 0,294 0,141 0,346

<0,001"* < 0 , 2 <0,02* <0,001"* <0,001"*

=I,0 <0,5 =I,0 <0,01" =I,0

2,170 0,420 -- 0,710 0,260 1,180 0,264 0,244 0,200 0,104 0,273

<0,001"* <0,1 <0,001"* <0,02** <0,001"*

n ~ 50

n = 5 0

n = 100

,~ = Mit te lwert s~ = S tandardabweichung des Mit te lwertes p = Signifikanz gegen Null * = signif ikant

** = hoch signifikant

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G. H. M/.iller, Statistische Untersuchungen von Gesichtsasymmetrien 101

tung auf. Bei der Mundwinkelh(She fanden wir fiir das weibliche Geschlecht keine nachweisbare Seitenbetonung, fiir das minnliche dagegen eine solche hoher Signifikanz, mit gr6t~eren Werten (d. h. tieferer Lage des Mundwinkels) rechts. Die fiir das Gesamtmaterial errechnete Signifikanz yon p ~ 0 , 0 2 ist so- mit lediglich der minnlichen Komponente zuzu.schreiben. (Der t-Test ergab fiir das Verh~iltnis zwischen minnlichen und weiblichen Probanden einen signifi- kanten Unterschied auf dem 0,01-Niveau.) Schliel~lich wies der Pupillen-Tra.- gus-Abstand in der Norma lateralis rechts h/Shere Werte auf als links, und zwar bei den weiblichen Probanden signifikant (p ~ 0 , 0 2 ) , bei den m~innlichen hoch signifikant (p ~0 ,001) , und gleichfalls hoch signifikant beim Gesamtmaterial.

Wir haben dann die Met~daten noch auf gegenseitige Abhingigke i t iiber- pr/ift; die Korrelationsanaly.se erbrachte jedoch keine iJberzeugenden Befunde.

Z u s a rn m e n f a s s e n d lit~t sich sagen, dat~ die Asyrnmetrie eines Teiles der yon uns ermittelten Gesichtsabmessungen keine nachweisbare Tendenz nach einer bestimmten Seite zeigt. Das gilt fiir die Gesamtbreiten in H~She P und in H6he M sowie ftir die obere Ohrmuschelh6he. Bei einem anderen Teil finden sich solche Tendenzen in unterschiedlicher St~irke. Das gilt fiir die untere Ohrrnuschelh6he und den Pupil len-Tragus-Abstand mit hoher Signifikanz fiir das Gesarntrnaterial, ferner fiir den Mundwinkel-Brei tenabstand und die Mundwinkelh/She. Die letzten beiden Werte erscheinen besonders interessant; denn die Rechtslastigkeit des Mundwinke|-BreitenaSstandes zeigt nicht nur in der Gesamtgruppe, sondern auch bei jedern einzelnen Geschlecht hohe Signifi- kanz, wihrend dies bei der Mundwinkelh6he nur ftir das m~innliche Geschlecht zutrifft und das weibliche keine derartige Seitenbetonung erkennen l~il~t.

Vielleicht stehen die gefundene durchschnittliche Neigung der Mundspah- breite zu Asymmetr ien mit Betonung einer best immten Seite und der auf das rn~innliche Geschlecht beschrinkte Mundwinkelh6hen-Befund in Zusammen- hang mit gleichlaufenden Tendenzen bei Lippenspalten.

Summary

The asymmetry of one part of the face measurements ascertained by us does not indicate any provable tendency to one special side (total breadth, superior height of concha). Such tendencies are met in a different intensity with another part (inferior height of concha and distance between tragus and pupils with great significance for the total material, morever wide distance of the corner of the mouth and its height). The right emphasis of the wide distance of the corner of the mouth cannot only be proved for the total group, but even with great significance for each sex separately; as concerns the height of the corner of the mouth, however, this can only be found with the male sex. It might be possible that the results have reference to parallel tendencies of cleft lips.

R6sum6

L'asym6trie d'une part des mesurages faciaux enqu~t6s par nous n'indique pas aucune tendance A un c6t6 sp6cial (l'6tendue totale, hauteur sup6rieure de la conque de l'oreille). En ce qui concerne une autre part, de pareilles tendances se trouvent l'intensit6 diff6- rente; hauteur inf6rieure de la conque de l'oreille et tragus distance interpupillaire avec grande signification pour la mati6re totale, en outre la distance en largeur du coin de la bouche et l'hauteur du coin de la bouche peut ~tre prouv6e non seulement pour le groupe

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1 0 2 Fortschr i t te tier Kieferor thop~idie 35 (1974) 97--102

total , m a i s au s s i avec g r a n d e s ign i f ica t ion pou r chaque sexe ~ pa r t ; par cont re fi l '~gard de l ' h a u t e u r du coin de la bouche cela ne s ' app l i que q u ' a u sexe m~le. II est poss ib le qu ' i l y a u n e re la t ion en t r e les r6su l t a t s et les t e n d a n c e s paral l~les des becs-de- l i~vre .

Sch r i f t t um

M ti i 1 e r , G . H . , R. K o c h : D a s G 6 t t i n g e r F o t o s t a t v e r f a h r e n . Fortschr. Kiefe ror thop . 34 (1973), 401.

Anschr . d. Verf . : Prof. Dr. G e r h a r d H. M ~i 11 e r , 3400 G6t t ingen , Geists t ral~e 11