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Editorial 291 Journal compilation © Blackwell Verlag GmbH, Berlin • JDDG • 1610-0379/2009/0704 JDDG | 4 ˙ 2009 (Band 7) Stellungnahme der DDG und des BVDD zur EMEA-Empfehlung über das Ruhen der Zulassung für Raptiva® (Efalizumab) Thomas Luger, Michael Reusch, Kristian Reich, Matthias Augustin, Wolfram Sterry Die Dermatologinnen und Dermatologen in Deutschland wurden kürzlich darüber informiert, dass die EMEA (europäische Arzneimittelagentur) der Europäischen Kommission eine Empfehlung zur Aussetzung der Zulassung von Raptiva ® (Efalizu- mab) in der Psoriasistherapie gegeben hat. Anlass für diese Empfehlung war das Auf- treten von drei gesicherten Fällen einer progessiven multifokalen Leukenzephalopa- thie (PML) im zeitlichen Zusammenhang mit der Raptiva ® -Behandlung sowie Meldungen über weitere schwere unerwünschte Ereignisse. Auf die Möglichkeit des Auftretens einer PML unter Raptiva ® und die Notwendigkeit einer regelmäßigen Überwachung der Patienten bezüglich des Auftretens neurologischer Symptome wird in der gültigen Fachinformation hingewiesen. Die jetzige Empfehlung der EMEA gründet sich auf eine veränderte Bewertung des Nutzen-Risiko-Profils, wobei auch die begrenzte Wirksamkeit von Raptiva ® bei Psoriasis berücksichtigt wurde. Die Präsidien der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft (DDG) und des Be- rufsverbandes der Deutschen Dermatologen (BVDD) haben über diesen Vorgang beraten und nehmen dazu wie folgt Stellung: 1. Die PML ist eine seltene entzündliche Demyelinisierungskrankheit des zentralen Nervensystems, hervorgerufen durch eine Reaktivierung des zur Gattung der Po- lyomaviren gehörenden JC-Virus. Die Erst- oder Primärinfektion verläuft asym- ptomatisch. Die Durchseuchung beginnt bereits im Kindesalter und erreicht bei Erwachsenen eine Rate von über 80 % mit lebenslanger Persistenz. PML tritt fast ausschließlich bei abwehrgeschwächten Personen auf, die einen Defekt der T-Zel- limmunität aufweisen. Immunkompetente Personen oder Patienten mit einem Defekt des humoralen Abwehrsystems (Antikörper und Komplementsystem) er- kranken in der Regel nicht. PML wurde bei immunsupprimierten Patienten be- obachtet, z. B. nach Organ- oder Knochenmarktransplantation, bei chronisch entzündlichen und Autoimmunerkrankungen, Morbus Hodgkin oder nach Che- motherapie. Der überwiegende Teil der PML-Fälle trat bisher im Stadium C3 des erworbenen Immundefektsyndroms (AIDS) auf. Je nach Befallsmuster kommen bei PML verschiedene motorische und kognitive Störungen vor, darunter Aphasie, Gesichtsfeldausfälle, Gefühlsstörungen, fein- motorische Störungen und Lähmungen. Im Verlauf der Erkrankung kann es zu kognitiven Störungen bis hin zur Demenz kommen. Die Prognose ist ungünstig. Kann die Funktion des Immunsystems nicht verbes- sert werden, ist der Verlauf innerhalb von durchschnittlich 3–20 Monaten tödlich. 2. Die genannten unter Therapie mit Raptiva ® aufgetretenen schweren Nebenwirkun- gen sind angesichts eines Behandlungsaufkommens von bisher ca. 47.000 Patien- tenjahren (Herstellerangabe) seltene Ereignisse. Die Fälle mit PML traten bei Pati- enten auf, die über mehr als drei Jahre mit Raptiva ® behandelt worden waren. Die Kausalzusammenhänge und die Mechanismen des Auftretens sind noch unklar. 3. Gemäß der EMEA-Maßgabe empfehlen wir, keine Neueinstellungen mehr auf Raptiva ® vorzunehmen und die derzeit mit Raptiva ® behandelten Patienten ggf. auf eine andere Therapie umzustellen. Empfehlungen zur Behandlung nach Ab- setzen von Raptiva ® sind im Anhang aufgeführt. 4. Effektivität, Wirkmechanismus und Nebenwirkungsspektrum von Raptiva ® bei Psoriasis unterscheiden sich von anderen in Deutschland zur Psoriasis-Therapie zugelassenen Biologika. Es besteht nach den vorliegenden Daten kein Anlass, aufgrund der EMEA-Empfehlungen zu Raptiva ® die Indikationsstellungen und

Stellungnahme der DDG und des BVDD zur EMEA-Empfehlung über das Ruhen der Zulassung für Raptiva® (Efalizumab)

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Editorial 291

Journal compilation © Blackwell Verlag GmbH, Berlin • JDDG • 1610-0379/2009/0704 JDDG | 4˙2009 (Band 7)

Stellungnahme der DDG und desBVDD zur EMEA-Empfehlung überdas Ruhen der Zulassung fürRaptiva® (Efalizumab)Thomas Luger, Michael Reusch, Kristian Reich, Matthias Augustin,Wolfram Sterry

Die Dermatologinnen und Dermatologen in Deutschland wurden kürzlich darüberinformiert, dass die EMEA (europäische Arzneimittelagentur) der EuropäischenKommission eine Empfehlung zur Aussetzung der Zulassung von Raptiva® (Efalizu-mab) in der Psoriasistherapie gegeben hat. Anlass für diese Empfehlung war das Auf-treten von drei gesicherten Fällen einer progessiven multifokalen Leukenzephalopa-thie (PML) im zeitlichen Zusammenhang mit der Raptiva®-Behandlung sowieMeldungen über weitere schwere unerwünschte Ereignisse. Auf die Möglichkeit desAuftretens einer PML unter Raptiva® und die Notwendigkeit einer regelmäßigenÜberwachung der Patienten bezüglich des Auftretens neurologischer Symptome wirdin der gültigen Fachinformation hingewiesen. Die jetzige Empfehlung der EMEAgründet sich auf eine veränderte Bewertung des Nutzen-Risiko-Profils, wobei auchdie begrenzte Wirksamkeit von Raptiva® bei Psoriasis berücksichtigt wurde. Die Präsidien der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft (DDG) und des Be-rufsverbandes der Deutschen Dermatologen (BVDD) haben über diesen Vorgangberaten und nehmen dazu wie folgt Stellung:1. Die PML ist eine seltene entzündliche Demyelinisierungskrankheit des zentralen

Nervensystems, hervorgerufen durch eine Reaktivierung des zur Gattung der Po-lyomaviren gehörenden JC-Virus. Die Erst- oder Primärinfektion verläuft asym-ptomatisch. Die Durchseuchung beginnt bereits im Kindesalter und erreicht beiErwachsenen eine Rate von über 80 % mit lebenslanger Persistenz. PML tritt fastausschließlich bei abwehrgeschwächten Personen auf, die einen Defekt der T-Zel-limmunität aufweisen. Immunkompetente Personen oder Patienten mit einemDefekt des humoralen Abwehrsystems (Antikörper und Komplementsystem) er-kranken in der Regel nicht. PML wurde bei immunsupprimierten Patienten be-obachtet, z. B. nach Organ- oder Knochenmarktransplantation, bei chronischentzündlichen und Autoimmunerkrankungen, Morbus Hodgkin oder nach Che-motherapie. Der überwiegende Teil der PML-Fälle trat bisher im Stadium C3 deserworbenen Immundefektsyndroms (AIDS) auf.Je nach Befallsmuster kommen bei PML verschiedene motorische und kognitiveStörungen vor, darunter Aphasie, Gesichtsfeldausfälle, Gefühlsstörungen, fein-motorische Störungen und Lähmungen. Im Verlauf der Erkrankung kann es zukognitiven Störungen bis hin zur Demenz kommen.Die Prognose ist ungünstig. Kann die Funktion des Immunsystems nicht verbes-sert werden, ist der Verlauf innerhalb von durchschnittlich 3–20 Monaten tödlich.

2. Die genannten unter Therapie mit Raptiva® aufgetretenen schweren Nebenwirkun-gen sind angesichts eines Behandlungsaufkommens von bisher ca. 47.000 Patien-tenjahren (Herstellerangabe) seltene Ereignisse. Die Fälle mit PML traten bei Pati-enten auf, die über mehr als drei Jahre mit Raptiva® behandelt worden waren. DieKausalzusammenhänge und die Mechanismen des Auftretens sind noch unklar.

3. Gemäß der EMEA-Maßgabe empfehlen wir, keine Neueinstellungen mehr aufRaptiva® vorzunehmen und die derzeit mit Raptiva® behandelten Patienten ggf.auf eine andere Therapie umzustellen. Empfehlungen zur Behandlung nach Ab-setzen von Raptiva® sind im Anhang aufgeführt.

4. Effektivität, Wirkmechanismus und Nebenwirkungsspektrum von Raptiva® beiPsoriasis unterscheiden sich von anderen in Deutschland zur Psoriasis-Therapiezugelassenen Biologika. Es besteht nach den vorliegenden Daten kein Anlass,aufgrund der EMEA-Empfehlungen zu Raptiva® die Indikationsstellungen und

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Behandlungskonzepte für die anderen Biologika und Systemtherapeutika derPsoriasis zu ändern. Nach wie vor gilt die S3-Leitlinienempfehlung, dass Patien-ten mit mittelschwerer bis schwerer Psoriasis in der Regel auf Systemtherapeutikaund ggf. „second line“ auf Biologika eingestellt werden sollten, sofern dies kli-nisch vertretbar ist.

5. Die mittelschwere bis schwere Psorasis geht mit einem erheblichen Leidensdruckund ausgeprägten Verlusten an Lebensqualität sowie mit Ko-Morbiditäten ein-her, die auch zu einer erhöhten Mortalität schwer betroffener Patienten führen.Dies sollte bei der Nutzen-Risiko-Abwägung der Systemtherapie einschließlichder Biologika im Interesse unserer Patienten bedacht werden.

6. Die Ereignisse um Raptiva® unterstreichen die Wichtigkeit der systematischen Er-fassung von Daten zu Wirkungen und Nebenwirkungen der systemischen Antip-soriatika. Entsprechende Daten können nur in Form von Patientenregistern ge-wonnen werden, wie sie inzwischen in 11 EU-Staaten durchgeführt oder geplantwerden. Diese Registerdaten werden auf europäischer Ebene zusammengeführt.Das Deutsche Psoriasis-Register PsoBest wurde von der DDG und dem BVDDinitiiert, um verlässliche Aussagen über die Langzeitverläufe der Patienten unterBehandlung mit konventionellen Systemtherapeutika und Biologika zu erlangen.Mit den Daten aus PsoBest werden zudem wichtige Auflagen zur „Pharmakovi-gilanz“ der EMEA erfüllt.

Bitte melden Sie Ihre Patienten, die auf ein Systemtherapeutikum oder Biologikumeingestellt werden, zur Dokumentation im PsoBest an.Erst-Anmeldung zum Register PsoBest: [email protected] oder Tel.: 040-7410-55428 oder Fax: 040-7410-55348; Internet: www.psobest.de

Prof. Dr. T. Luger Dr. M. ReuschPräsident der DDG Präsident des BVDD

Prof. Dr. K. Reich Prof. Dr. M. Augustin Prof. Dr. W. SterryLeiter des Wiss. Beirates PsoBest Leiter des PsoBest Schriftleiter JDDG

Hinweise zur Umstellung der systemischen Psoriasistherapie von Raptiva®

1. Die Umstellung bzw. Beendigung der Therapie mit Raptiva® sollte nur durch einenin der Systemtherapie der Psoriasis erfahrenen Facharzt für Dermatologie erfolgen.

2. Für die Umstellung liegen keine Daten zu festen Behandlungsalgorithmen aus kli-nischen Studien vor. Alle Maßnahmen sind somit der individuellen Situation desPatienten anzupassen.

3. Nach Absetzen von Raptiva® sind folgende Situationen zu unterscheiden:a. Keine Verschlechterung der Psoriasis

➢ weiteren Verlauf abwarten; bis zum Auftreten einer Befundverschlechte-rung kann ggf. ohne systemische Therapie behandelt werden

b. Langsam fortschreitende Verschlechterung➢ Therapie gemäß S3-Leitlinie, d.h. i.d.R. Umstellung auf ein anderes der

zugelassenen Systemtherapeutika bzw. Biologika wie auch Phototherapiec. Rasche oder starke Verschlechterung oder Rebound

➢ Der sofortige Einsatz eines rasch wirksamen Präparates ist zu empfehlen;Studiendaten zur Behandlung eines Rebounds liegen nur für Ciclosporin(3–5 mg/kg KG) und für Infliximab vor;

Siehe auch: Menter et al., Transitioning patients from efalizumab to alter-native psoriasis therapies: findings from an open-label, multicenter, PhaseIIIb study. Int J Dermatol. 2007, 46:637–48.

4. Mit Raptiva® behandelte Patienten sind gemäß der gültigen Fachinformation aufdas Auftreten neurologischer Symptome hin zu überwachen. Bei entsprechendemVerdacht ist eine gezielte neurologische Abklärung zu empfehlen.