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OGL ÖSTERREICH IN GESCHICHTE UND LITERATUR I MIT GEOGRAPHIE HERAUSGEBER: INSTITUT FÜR ÖsTERREICHKUNDE Bayerische Staatsbibliothek 21.02.2013 osterreich in Geschichte und Literatur ... Z 61.537 201 1, Register > Hbzs 300-632 < INHALT DES 55. JAHRGANGES 2011 Heft 1: Den Nil aufwärts Heft 2: Vielfalt der Disziplinen Heft 3: St. Pölten Geschichte und Gegenwart Heft 4: Freimaurer

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O G L ÖSTERREICH IN GESCHICHTE UND LITERATUR I MIT GEOGRAPHIE

H E R A U S G E B E R : I N S T I T U T F Ü R Ö s T E R R E I C H K U N D E

Bayerische Staatsbibliothek 21.02.2013 osterreich in Geschichte und Literatur ... Z 61.537 201 1, Register

> Hbzs 300-632 <

INHALT DES 55. JAHRGANGES 2011

Heft 1: Den Nil aufwärts Heft 2: Vielfalt der Disziplinen

Heft 3: St. Pölten Geschichte und Gegenwart Heft 4: Freimaurer

Johann Weißensteiner

Quirinus und Hippolytus Das Kloster Tegernsee und die Anfange von St. Pölten

In meiner im Jahr 1980 abgeschlossenen, von Heide Dienst angeregten und von Erich Zöllner betreuten Dissertation über die Ge~chichtsquellen des Klosters Tegernsee, beson- ders die jüngere Passio s. Quirini, habe ich mich erstmals - gleichsam gezwungenema- Ben -mit den Tegernseer Nachrichten über die Gründung des ersten Klosters in St. Pölten durch die Tegernseer Stifter befasst. Fast 30 Jahre späte< im Zusammenhang mit dem Jubi- läum „850 Jahre Stadt St. Pölten", wurde ich eingeladen, die Zusammenhänge zwischen Tegernsee und St. Pölten in Schrift (Artikel im Ausstellungsbuch „Sant Ypoelten -Stift und Stadt im Mittelalter") und Wort (Vortrag beim Symposium „St. Pölten im Mittelalrel: His- torische und archäologische Spurensuche " um 29. Oktober 2009) neuerlich darzulegen. Unter Einbeziehung der ,, Wiederentdechng " der Verbindungen des Stiftes St. Pölten mit dem Kloster Tegernsee durch Propst Christoph Müller von Prankenheim (1 688-1 71 5 Propst Von St. Pölten) in der Barockzeit sowie der lokalgeschichtlichen Studien, besonders von Friedrich Schragl, zu den Anfängen von St. Pölten, versuchte ich in meinem Katalogartikel und auch in meinem Symposiums-Vortrag, die Gründung einer Zelle bzw. eines Tochrer- klosters in St. Pölten direkt von Tegernsee aus im Umfeld der siegreichen Kämpfe gegen die Awaren plausibel zu machen, wobei das Hippolytpatrazinium bzw. die Übertragung der Reliquien dieses Heiligen im 8. Jahrhundert in das Frankenreich eine wesentliche Stütze der Argumentation bildeten.

Erst bei der Vorbereitung meines ~~m~os iumsvor t ra~es fur die ~rucklegung,Jurdie ich neuere Literatul; die erst nach dem Abschluss meiner Dissertation erschienen war; heran- zog, darunter vor allem auch die grundlegende Arbeit von Ludwig HolsfUrtner über die Gründungsüberlieferungen der bayerischen Klöster der~~ilolfingerzeit, wurde mir immer deutlichel; wie sehr die literarische Ausgestaltung der Tegernseer Frühgeschichte, zu @ auch die Gründung weiterer Klöster wie Ilmmünsters und eben auch St. Pöltens gehört, lm

12. Jahrhundert zwar aktuelle zeitpoljtische Absichten verrät, jedoch keinen eigenstedl- gen Wert für die Darstellung der Entwicklungen im 8. und 9. Jahrhundertaufweist. Dfeser Erkenntnis habe ich schon in der Druckfassung meines Vortrags Rechnung getragen# war auchfir den folgenden Artikel bestimmend.

Quirinus und Hippolytus - eine Einheit?

Um die Mitte des 12. Jahrhunderts im Tiroler Inntal ein Bauer. wie Mo11us "On

Tegernsee in seinen Quinnalienl bnv. MKnch Heinrich v o n ~ e g e m s e e ~ ~ der Passlo Sm~ti Quinni2 berichten, dem hl. Quifinus, dem Patron des KlOstersTegemsee. eine damit der Heilige seine übrige Herde beschütze. Als es nun danirn ging. das Ge'übde zu

L

lohann weißenSteiner, ~ ~ h ~ ~ ~ t ~ - und Doktoratsstudiulll ~eschichte und der u'?ersit!t

M?g..phd. 1979, Dr. ~ h i l . 1980. 1978-1980 ~ ~ ~ b i I d ~ n g s k u f i und seither Mitglied am fur Oster-

R1chlsche Ges~~~ch~sforschung. seit 1981 Assistent Dii.j~esrnarchiv Wien. Umfanpche Und Vortragstätigkeiten. -

I Peter Christian jacobSen: ~i~ Quidnalien des ~ ~ t e i i u s von Tegernsee- Untersuchungen zur Dicht- kunst und kritische Textausgabe. Leiden 1965 hie Ecloge B~~~~ 5. und Österreich. Studien zu Tegernsee! ' Edition: Johann Wegensteiner: Tegernsee, G~schichtsquellen und der bayedschen S m e s s a g e . Mit einer ~ 1 1 ~ o n d e ~

securda S' Qum'

Wien 1983, S. 264 f. (miraculum 23).

210 Johann Wegensteiner

erfüllen, war dem Bauern der Weg nach Tegernsee zu weit; so wollte er in Abänderung seines Gelübdes die Kalbin statt nach Tegernsee zum Kloster des heiligen Georg auf dem näher gelegenen Georgenberg treiben. „Was macht es schon für einen Unterschied, die Kalbin dem hl. Quirinus gelobt zu haben, sie aber dem hl. Georg zu geben? Gemeinsam sind sie im Himmel beisammen, alles haben sie gemeinsam, sie sind nicht neidig aufeinan- der!" So band er der Kalbin einen Strick um die Hörner und führte sie auf den Berg, auf dem das Kloster Georgenberg liegt. Als er zu einer Brücke kam, blieb die Kalbin plötzlich stehen und ging keinen Schritt weiter. Leute liefen zusammen, mit Peitschenhieben und Schlägen versuchte man, das störrische Tier weiter zu treiben, jedoch vergeblich. So rief man den Abt herbei, doch auch er konnte nichts ausrichten. Er besprengte die Kalbin mit Weihwasser - auch das nützte nichts. Da erzählte der Bauer von seinem Gelübde und wie er dieses hatte ändern wollen. Daraufhin ließ der Abt die Kalbin losbinden. Schnurstracks sprang diese davon und lief ohne jeden Treiber bis zum Kloster Tegernsee. Erst hier holte sie der Bauer wieder ein, erzählte allen von diesem wundersamen Vorfall und erfüllte sein Gelübde.

Hätte sich der Vorfall im 9. Jahrhundert abgespielt und hätte etwa ein Bauer an der Traisen dem hl. Quirinus ein StückVieh gelobt, dieses dann aber dem hl. Hippolytus, dem Patron des Klosters „St. Pölten" gebracht, dann hätte sich wohl kein ähnliches Schauspiel ereignet: Zu diesem Zeitpunkt bildeten die Heiligen Quirinus. und Hippolytus tatsächlich eine Einheit, oder mit anderen Worten, die erste klösterliche Niederlassung im heutigen St. Pölten verdankte entweder ihren Ursprung dem Kloster Tegernsee oder stand wenigs- tens eine Zeit lang in dessen Abhängigkeit.

Die Stifter des Klosters Tegernsee als Gründer von vier weiteren Klöstern Obwohl die Gründung des Klosters Tegernsee bis in jüngste Zeit besonders intensiv unter- sucht wurde? ist dabei die Frage nach den Zusammenhängen mit dem Kloster st. Polten nur vereinzelt beachtet ~orden.~Grund dafür ist wohl auch die Tatsache, dass die ältere Passio Quirini5 aus dem Ende des 9. Jahrhunderts ihre Darstellung allein auf Tegernsee, seine Gründer und seinen Hausheiligen Quirinus beschränkte und nichts von weiteren Klostergründungen der Tegernseer Stifter beri~htete.~ Erst gut 250 Jahre (bzw. nicht weni- ger als 400 Jahre nach der Gründung des Klosters Tegernsee) später, um 1160, wissen Metellus von Tegernsee in seinen Quirinalien7, der poetischen Darstellung des Lebens und der Passio des heiligen Quirinus und der Übertragung seines Leibes in das von Adalb&* und Otakar gegründete Kloster Tegernsee, und die von ihm abhängige jüngere Passio @inni des Mönches Heinrich8 davon zu berichten, dass die Brüder Adalbert und Otakar neben Tegernsee noch weitere Klöster gegründet haben.

' Vg!. Ludwig Holzfurtner: Gründung und Gnindung~überli~femng. Quellenkritische Studien zur bmndungsgeschichte der Bayenschen Klöster der Agilolfingerzeit und ihrer hochmittelalterllchen Uberliefemng. Kallmünz 1984, S. 11. - An neueren Detailuntersuchungen zu den Anfängen bes Klosters Tegernsee sind zu nennen: Gertrud Diepolder: Bemerkungen zur ~rühgeschichte der Klos- ter Tegernsee und Ilmmünster. In: Herrschaft, Kirche, Kultur: Beiträge zur Geschichte des Mittela1- ters. Festschrift für Fnedrich Prinz. Stuttgart 1993, S. 141-164; Gottfried Mayr: Bemerkungen zur fThe? Geschichte.des Klosters Tegernsee. In: Oberbayensches Archiv 123 (19991, S. 7-38.

einen ersten Uberblick über den Stand der Forschung bis Ca. 1995 vgl. Jochen Glesler: Der Osy~enraum vom 8. bis 11. Jahrhundert, Bd. 2: Historische Interpretation. Rahden 1997, S. 267 f' Pass10 Qumm Tegernseensis, hg. von Bruno Kmsch. In: MGH SS rer. Mer. 3. München 1896, 8-2?' Man darf daher die äitere Passio nicht für unzuverlässig halten, wie dies Romuald ~auerrecß: D'e St!fter von!mmünster. In: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des ~enedik t inerorde~~ und seiner Zweige 60 (19461, S. 32-37, hier S. 33, getan hat. ' Jacobsen: Quirinalien (wie Anm. 1). We@ns%inec Tegernsee (wie Anm. 2), S. 247-287. Im Wesentlichen stellt die jüngere Passio secunda s. Quinni eine Umsetzung der literarisch sehr anspmchsvollen Quinnalien in einfache Prosa dar'

Quirinus und Hippolytus

Die entsprechenden Stellen lauten:

„Parent primates dictis consulta probantes Accelerant reditum. Munere sanctarum felices diviciarum, Pro quibus exierant. Nam margaritas deportavere petitas Egregias precio. His loca fundorum post institutere suorurn In sacra iura Dei. Norica fert horurn provintia terna locorurn, Que prius ediderant Nomine primorum procerurn sub apstolicorum Laude, Quirine, tua. Arsacium cleri turmis statuere foveri Pervigili studio, Yppolitumque choris illustravere canoris, Quos modo clerus agit, Non ita fundatos, sed in hoc quondam renovatos, Ut veteres memorant. Nussia virginee rne fugerat aula choree Rhenicolis propiol; Qua bibitur ciiho vivis signis anaglifo, Unde medela patet Rebus ibi noto pro plumigenis data voto Sospes ut abstineat In laudem Domini surgens virtute Quirini, Cuius erat patera Argento commissa, Pdes ut fert ibi prisca Indigineque loci. Verum nobiliore nitens Burgundia flore Eximiisque iocis Acprius hos experta duces fert carmina certa Principibus propriis, Qui semet feliciter et sua cuncta potenter Adtribuere Deo. Dumque parant sanctis habitacula terrea gratis Prebitione pia, Sede poli gaudere Per hos ipsi meruere Lumine perpetuo. "9

Jüngere Passio Quirini, cap. 7:lO

obeditum es<: redeunt Buvvariamprincipe~ referente~ patmnorßpopao P P quibus suismxfidis mOnasteria statuunt. Norica provincia tria fert horurn, 9ue P

rius in honore trium a ~ o s t o l o ~ ~ . . bnda~e~an t . E quibus duo canonicorum cenobia duobus sanctis~rsaci~ etYpolit0 tonfesfon et?*ln renovant sicut hodieque aliud in Frisingensi barmchia, aliud, id estsanCtl Ypolltl ln"'all

B a u ~ a ~ que ,-ipense vocatur. rn inum monasterium ~ussiadicituri?~~ Rhenum ublqphw saNti Quirini apere anaglifo ex qua potantes infimi, ri v ~ ~ e r i n t a b ~ ~ ~ , ~ ~ ~ ~ . ~ camlbUS aylUm

Sani sint, sanitatem ope martiris statim recipi~nt. Super her in Burgudla aobumnaStenum' "lium Patronum au2ustius statuentes late seminaverunt, la t i~s mefunt."

Metellus und ~ ~ i n n ~ h behaupten also, die Klöster des hl. Arsatius (IlmÜnster) in d?

Diözese Freising und des hl. ~ i ~ ~ ~ l ~ t ~ ~ in St. Pölten. das Nonnenkloster am Rhein Und dein nicht näher genanntes ~ l ~ ~ t ~ ~ in ~ ~ ~ ~ ~ n d gingen auf die Tegernseer

Stifter \

:o Meollu~: Quirinalien, Ode 1 5 ~ ; Jacobsen: ~"ina l ien (wie I), S. 219 f.

Welßensteiner: Tegernsee (wie Anm. 2), S. 253.

212 Johann Weißensteiner

Diese Behauptung kann zumindest für das Nonnenkloster Neuß nicht stimmen." Die Abtei wurde im 9. Jahrhundert gegründet und erhielt erst im 11. Jahrhundert Quirinus- reliquien, und zwar direkt aus Rom. Außerdem war hier nicht der unter Kaiser Claudius Gothicus gemarterte Quirinus Patron, sondern der heilige Tribun dieses Namens, der schon unter Kaiser Hadrian das Martyrium erlitten hatte. Die Namensgleichheit der Klosterpatrone wurde also von den Tegernseern in ihrem Bestreben, alle Quirinuskultstätten von sich ab- zuleiten, geschickt ausgenützt. Dementsprechend dürfte es sich auch bei dem nicht näher genannten Kloster in Burgund ebenfalls um ein Quirinuskloster handeln. Dafür kamen am ehesten St. Quirinus in den Vogesen, eine Propstei der Abtei Maursmünster (Marmoutier), für die zu 1120 Quirinusreliquien bezeugt sind, bzw. die Abtei St. Faron in Meaux in Fra- ge.IZ Liegt St. Faron auch nicht direkt in Burgund, so sprechen doch manche Gründe für diese Identifizierung: Metellus behauptet, die beiden Stifter seien bereits vor der Grün- dung dieses Klosters in Burgund gewesen. Er beruft sich dabei auf carrnina certa;13 damit könnte die Chevalerie Ogier gemeint sein. Metellus hat diese auch verwertet, als er berich- tete, der Sohn Otakars sei am Königshof beim Schachspiel erschlagen worden. Nun dürfte im Ogier le Danois der Dichtung jener fränkische dux Autchar weiterleben, den schon Metellus mit dem gleichnamigen Stifter von Tegernsee identifizierte, der aber sein Leben im Kloster St. Faron beschlossen zu haben scheint. Überdies dürfte St. Faron seit der Zeit Pippins oder Karls des Großen auch Quirinusreliquien besessen haben. So haben also auch in diesem Fall Metellus und Heinrich nur aus der Namensgleichheit der Stifter und der Reliquien auf eine Gründung des genannten Klosters von Tegernsee her geschlossen, sonst entbehrt dieser Bericht jeder historischen Grundlage. Gilt dies auch für die Zuschreibung der Gründung der Klöster Ilmmünster und, was in diesem Zusammenhang nun besonders interessiert, St. Pölten an die Tegernseer Stifter?

Ilniniiinster - pertirrens ad Tegarinseo

Beide Klöster bestanden im 12. Jahrhundert, zur Zeit der Abfassung der Quirinalien und der jüngeren Passio Quirini, als Kanonikerstifte; Metellus weiß aber, dass sie ursprünglich nicht als solche gegründet worden waren: ,&on ita fundafos, sed in hoc quondam renova- tos.""Für Ilmmünster, das arn Anfang des 10. Jahrhunderts ausdrücklich als ,,monasterium Ilrriiria pertirieris a d Tegarinse~"'~bezeichnet wird, wurde bis in jüngste Zeit tatsächlich angenommen, das Kloster sei noch im 8. Jahrhundert von den Tegernseer Gründern selbst oder deren Sippe gegründet worden und bis zu seinem Eingehen als Benediktinerkloster am Anfang des 10. Jahrhunderts als Eigenklosterl6in enger Abhängigkeit zu Tegernsee gestanden.I7 Zudem beanspruchte das Kloster Tegernsee noch im 11. Jahrhundert in seinen Entfremdungslisten das Kloster Ilmmünster - vergeblich - für sich.

Vgl. etwa Hein: iübc9c: Die Karolingische Reichsgründung und der Südosten. Studien zum Werden des Deutschtums und sein? Auseinandersetzung mit Rom. Stuttgart 1937, S. 34. " So schon Corl \'orer¿scIi: Uber die Sage von Ogier dem Dänen und die Entstehung der Chevalerie Ogier. Halle an der Saale 1891, S . 77.

l 3 hfc~cllrts: Quirinalien. Ode 15c, S. 31. Eb~n<iu: S. 17.

" Die Traditionen des Hochstiftes Eichstätt. bearb. von E L BaumannIL Sreinberger (=Quellen und E~iirteningen zur Deutschen Geschichte NF 3). München 1910, S. 7 , Nr. 2 (912-932).

'' Diese abhhgige Stellung erl;lM das Fehlen von Iimrnünster (und St. Pölten) in der ,,Aachener Kloster- liste" von 8 17.

" Vgl. dazu ausMhrlich ir'eippnsteinec Tegernsee (wie Anm. 2), S. 65-69 und zuletzt Diepolder: Be- merkungen (wie Anni. 3). S. 141-164.

Quirinus und Hippolytus

IndizienJUr die Gründung St. Pöltens durch Tegernsee: Hippolytreliquien, Tegernseer Entfremdungslisten

Obwohl also erst die Quirinusviten des 12. Jahrhunderts über die Gründung des Klosters Ilmmünster durch die Tegernseer Stifter berichten, würden es demnach ältere Zeugnisse erlauben, diese Behauptung zu bestätigen. Daher dürfe auch die Tegernseer Tradition über die Anfange St. Pöltens, die auch dieses Kloster auf Tegernsee zurückführt, nicht ohne weiteres als abgetan werden.

Metellus bezeichnet das Hippolytkloster recht unbestimmt als in der ,,Noricapmvintia" gelegen;19 die jüngere Passio Quirini präzisiert diese Angabe: ,,[. . .] in orientali Bauuaria, queN0ricum ripense vocatur". Daraus geht hervor, dass mit diesem Kloster St. Pölten in NiederÖsterreich gemeint i~t.~ODie ,,abbatia ad sanctum Yppoiitum" reklamierte das Klos- ter schon zu Beginn des 11. Jahrhunderts in einer Liste jener Güter, die dem 9sterentfremdet worden waren, für sich; damals befand sich das Kloster St. Pölten schon lrnBesitz des Bistums Passa~ :~ l ,,Episcopus Benne de Pazzoua abbatiam habet ad sanctum Yppozitume'' In einer jüngeren Liste, auf etwa 1060 zu datieren, heißt es: ,,Episcopus Pauouensis abbatiam habet ad sanctum Yppolit~m.'' Da eine Gründung des 976 erstmals genannten Klosters erst im 10. Jahrhundert angesichts der Ungarneinfaile als ganz Un- wahrscheinlich gelten muss, verdient die Tegernseer Überlieferung, die die Anfänge :On

noch weit vor die Ungamzeit datiert, durchaus Beachtung, bedarfjedoch rer Belege:

Das Kloster St. Pölten war dem hl. Hippolyt und die Tegernseer Quifinusviten -au~ten, die Reliquien dieses Heiligen seien von Adalbert und Otakar selbst aus Rom ubecagen worden. Tatsächlich erfolgte aber die Translation durch Fulrad von St. Den's1 der diese Reliquien 757 gemeinsam mit denen des hl. Alenander in Rom empfangen haoe;ndie Tegernseer Darstellung wird dadurch in ihrem Wert in Frage gestellt, Da aber euiTegmseer aus dem 1 1. Jahrhundert tatsächlich H ~ P T ~ P ~ ~ ! ~ ~ ~ ~ ~ In TegenW32 nennt,= besteht noch immer die Möglichkeit, dass Tegernsee diese Rel'qulen

nicht selbst direkt aus Rom, aber noch im 8. Jahrhundert liber Fulradyon Den's hat. Die ältere Forschung, die noch den fränkischen d u Autchar vt dem gleich-

namigen Stifter von Tegernsee gleichsetzte, konnte diese vermuteten Sehen St. Denis und Tegemsee leicht herstellen: Fulrad war ein engervemauterAutchm' mt dem er mehrmals gemeinsam genannt wird. So lag die Annahme

habe Autchar Teile der ~ippolytusre~iquien oberlassen oder ihn wenigstens zur W*1 dieses '.' Seltenen Pabouniums veranlasst. Wenn nun auch die ~leichsetzung des d?

Stifter von Tegernsee nicht mehr halten ist, SO gibt es dennoch genugend F die für Beziehungen des mosters Tegernsee ZU Fuirad von Sr. "'Yhen:

egemsee gab es nicht nur ~ ~ l i ~ ~ i ~ ~ des hl. Hippolynis, sondern auch des hl' Dionys'us*

------- 18 . oshlpenraum (wie Anm. 4)*

So sehr skeptisch gegenüber der Tegernseer überiiefening Giesier+ „ S. 267 f. Meteiius: Quirinalien, Ode 15c, S. 9. R"doll ß$tmer: ~i~ ~~f~~ des Klosfcrs st . pij~en. L: Unsere olynisnfi<luien Heimat 'O (1949)9). gab, und wo'Ju 21 f. 'je

daauf verniesen, dass es auch in Zell am See (Salzburg) H i ~ ~ in dieser ~ ~ g e n d N e b@ Berichte auf diesen Ort beziehen. Da das Kloste! Tegernsee hatte, muss eine

W=. in Niederijstemich dagegen schon seit der ~ a r o l l n g e n ~ ~ ~ 21 "Iche Deutung zunickgewiesen werden. 'valische ~eitschnfi u3

wlzhelm ß e ~ k : TegemseeisChe G"ter aus dem 10. ~ahrhundefi. In: (1914), S. 83-105, hier S. 90-91. ~ ~ y e m " 8. JMU*~. In: Mihezm ffotrelc Translationen von ~ärt~rene~iguien e~o~f,","~~ Seiner Zweige 53 (1935)*

und ~ i t t e i l u n ~ e n zur Geschichte des Bene- 3439 hier S. 294. 6-1(168, hier S. 1067; auf 'je@

Notae~egemseenses, hg. von G MGH ss m2 (1888)*S. lo6 hat Zuerst Uwe: Reichsgründung (wie M*. 11) vernesen.

214 Johann Weißensteiner

des Patrons von St. Denis. Dieser Heilige war auch Patron der Huosiergründung Scharnitz- Schlehdorf; sein Patrozinium findet sich auch in Niederthann (LK Pfaffenhofen), ganz in der Nähe von Ilmmünster, das, wie oben dargelegt, zumindest später von Tegernsee abhän- gig war. Ebenso hatten die Klöster Benediktbeuern und Schäftlarn Dionysiusreliquien. Schäftlarn erhielt sogar von Fulrad selbst Teile der Reliquien der Heiligen Rusticus und Eleutherius. In Salzburg gab es dagegen wie in Tegernsee Hippolytusreliquien; hier wurde auch Fulrad von St. Denis in das Verbrüderungsbuch von St. Peter eingetragen. Neben Bischof Hariulf von Langres ist er der einzige nichtbayerische Prälat dieses Verbrüderungs- bundes. Weiters werden für Audaldovillare (Orschwiller), wo Fulrad zwischen 768 und 774 für die Hippolytusreliquien eine cella gründete, in einer Handschrift des Martyrologiums Usuards Quirinusreliquien genannt. Schließlich folgt der hl. Quirinus in einer Freisinger Litanei aus dem 10. Jahrhundert unmittelbar auf den hl. Hip~olyt .~~Diese Verbindung Hippolytus - Quirinus muss noch in frühere Zeiten zurückreichen: In der Litanei des Psal- terium Ellingeri aus Tegernsee aus dem 11. Jahrhundert sind die beiden Heiligen schon durch 13 Namen voneinander getrennt.

Die Beziehungen der bayerischen Klöster zu St. Denis und dessen Abt Fulrad, die sich aus diesen Beobachtungen ablesen lassen, können nicht auf Zufall beruhen; sie sind ein Resultat der intensiven Kontakte vor allem des westbayerischen Adels zum Frankenreich seit der Mitte des 8. Jahrh~nderts.2~

Die Awarenkriege als teminus post quemfir die Gründung des Klosters St. Pölten

Das Kloster Tegernsee war also durchaus in der Lage, eine von ihm initiierte Tochter- gründung - die Errichtung abhängiger cellae durch ein Mutterkloster war im 8. Jahrhun- dert durchaus üblich - mit Reliquien des heiligen Hippolytus auszustatten. Fragt man nun aber weiter, wann Tegernsee ein solches Hippolytkloster oder eine Hippolytzelle gründete, ergeben sich sofort schwerwiegende Bedenken gegen die bei Metellus und Heinrich von Tegernsee, zwar nicht in konkreten Jahreszahlen, aber durch Nennung wichtiger handeln- der Personen - vor allem Papst Zacharias' (741-752) und König Pippins (741-768) - evozierte Chronologie. Es ist heute gesicherter Wissensstand, dass bis zum Jahr 791 die Enns als limes certus zwischen Bayern und dem Awarenreich galt und die früher vertretene Hypothese von einem bayerischen Vorstoß in den Raum zwischen Enns und Wienenvald um die Mitte des 8. Jahrhunderts, noch lange vor den Awarenkriegen Karls des Großen, nicht mehr zu halten i~t .2~Die Eroberung des Awarenreiches durch Kar1 den Großen hat nicht nur die historischen Voraussetzungen für bayerische und fränkische Siedlung östlich der Enns geschaffen, die Awarenkriege erklären letztendlich auch, wieso die erste klöster- liche Niederlassung in St. Pölten seine Existenz gerade dem Kloster Tegernsee verdankte:

Auf einer Versammlung der Bischöfe und Äbte im Jahr 817 in Aachen nahm Kaiser Ludwig der Fromme aus gegebenem Anlass27 eine Einteilung der Klöster des Franken- reiches nach ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit vor.28 Diese ,,Aachener Klosterliste" teilte die Klöster in drei Gruppen: Die erste Gruppe war verpflichtet, dona zu geben und Kriegs-

24 Anton Lechner: Mittelalterliche Kirchenfeste und Kalendarien in Bayern. Freiburg i. Br. 1891, S. 28. 25 Vgl. dazu besonders Friedrich Prinz: Frühes Mönchtum im Frankenreich. ~ünchen-Wien 19659

S-.655. ff. und Ders.: Stadtrömi~chitalienisch~ Märtyreneliquien und fränkischer ~e ichsadel In: Historisches Jahrbuch 87 (1967), S. 1-25, bes. S. 13 ff. Vgl. Giesler: Ostaipenraum (wie Anm. 4), S. 269.

27 Auf Drängen von Abt Benedikt von Aniane schuf der Kaiser einerseits Maßnahmen gegen die kurliche Ausbeutung von Klöstern durch weltliche (und bischöfliche) Große, andererseits legte er die bis dahin ungeregelten, oft geradezu existenzgefährdenden Leistungen der Klöster für Kaiser und Reich nach der finanziellen und personellen Leistungsfähigkeit der einzelnen Klöster fest. Notitia de servitio monasteriorum. In: Capitularia Regum Francorum, hg. von ~ l f r e d Boretius (=MGH LL sectio H, Capituiaria 11). Hannover 1890, S. 349-352, Nr. 171.

Quirinus und Hippolytus 215

dienst zu leisten,29 die zweite nur zu dona, ohne Krieg~dienst~~und die dritte allein zum Gebet für den Kaiser und seine Söhne sowie für die Festigkeit des Reiche~.~lDie erste Gruppe umfasste 14 Klöster, darunter aus dem durchaus nicht klosterarmen Bayern nur die Klöster Tegernsee und Mondsee. Die zweite Gruppe umfasste 16 Klöster, davon aus Bay- ern Weltenburg, Niederalteich, Kremsmünster, Mattsee und Benediktbeuern. Die dritte Gruppe war mit 18 die größte, davon Berg im Donaugau, Metten, Schönau, Moosburg und Wessobrunn aus Bayern.

Was so im Jahr 817 festgeschrieben wurde, war keine bloße Regelung für die Zukunft, sondern vielmehr eine Niederschrift bestehender Verhältnisse. Das Kloster Tegernsee war also auch schon vor 817 zu Kriegsdienst verpflichtet gewesen und hat daher auch an den Kriegen Karls des Großen gegen die Awaren teilgenommen. So hat Friedrich Schragl nüch- tern und realistisch festgestellt: ,,Ziemlich ungezwungen läßt sich die Gründung des Traisenkloster~~~ eher so erklären: Die Abtei Tegernsee war an den Awarenfeldzügen mit eigener Mannschaft beteiligt. 1.. .] Bei diesen Feldzügen vergab Karl der Große das er- oberte Gebiet als Königsgut an die mitwirkenden weltlichen und geistlichen Großen. So dürfte auch Tegernsee in St. Pölten Besitzungen erlangt haben."33 Tegernsee reiht sich da- mit in eine ganze Reihe von bayerischen Hochstiften und Klöstern ein, die schon unter Karl dem Großen Besitzungen im heutigen Niederösterreich erwarben, worüber oft erst nachträglich Schenkungsurkunden ausgestellt wurden. Diese Schenkungen an die Hoch- stifte und Klöster Salzburg, Passau, Regensburg, Freising, Tegernsee, Niederalteich, Kremsmünster, Herrieden, Mattsee und Moosburg betreffen hauptsächlich Orte zwischen der Ybbs und der Pielach, in der Wachau, vor allem aber an beiden Ufern der Traisen von St. Pölten bis zur D ~ n a u . ~ ~

Dieser Besitzenverb des Klosters Tegernsee spiegelt sich nicht nur im Hippolytpatro- zinium des späteren Chorherrenstiftes St. Pölten wider - in keinem anderen der bayerischen Hochstifte und Klöster war die eindeutig auf Fulrad von St. Denis verweisende Kombination der Heiligen Quirinus, Hippolytus und Dionysius gegeben -, sondern auch in den auf- fallenden Übereinstimmungen zwischen den Ortsnamen Ottakring in Wien und Otterkring im Chiemgau sowie Zagging nördlich von St. Pölten und Zacking am Simsee im Chiem- gau: Während der Ortsname Ottakring sofort an Otakar, den Mitgründer des Klosters Te- gernsee, erinnert, lebt in Zagging der Name Zaccos, des Vikars des Gründerabtes Adalbert von Tegernsee, weiter. Alle diese Überlegungen weisen darauf hin, dass das Kloster St. Pölten tatsächlich um das Jahr 800 unter Tegernseer Einfluss gegründet wurde.

Das Bistum Passau und sein Besitz in Treisma / St. Pölten Wurde bis jetzt die Gründung des Klosters oder der Zelle zum hl. Hippolyt aus der Sicht des Klosters Tegernsee dargestellt, soll nun die Frage auch aus der Perspektive der Passau- er Bischöfe - sie waren schließlich spätestens seit 976 die Eigenklosterhenen des Stiftes St. Polten -betrachtet werden.

Dem Gebiet an der Traisen dürfte im Rahmen der ersten Einrichtung des nun eroberten ehemaligen Awarenlandes eine zentrale Bedeutung zugekommen sein; so fand im Jahr 799

29 9, [...I haec sunt quae dona et militiam facere debent". 30 >,[-..I haec sunt quae tantum dona dare debent sine militia". 31 „[. . .] haec sunt quae nec dona nec militiam dare debent, sed solas 0rationes pro Salute imperatoris

32 velfiliorum eius et stabilitate imperii". Gemeint ist das Hippolytkloster.

33 Friedrich Schragl: Geschichte des Stiftes St. Pölten. In: Heinrich Fasching (Hg.): und Stift

34 St. Pölten und ihre Kunstschätze. St. Pölten-Wien 1985, S: 16-49, h!er S. 20. Herwig Wolfram: Grenzen und Räume. Geschichte Osterreichs Vor Seiner Entstehung 378-907. Wien 1995, S. 222.

216 Johann Wegensteiner

in einem als Treisma genannten Ort an der Traisen eine Synode statt,35 in deren Verlauf der Passauer Bischof Waltrich die Übergabe der Martinskirche in Linz an Gerold, den Schwa- ger Karls des Großen, zugestand und beurkundete. Ein Passauer Bischof trat also - ur- kundlich nachgewiesen - schon im Jahr 799 arn Ort des späteren Stiftes st. Pölten han- delnd36 auf, als Beweis für Passauer Besitz in Treisma schon zu diesem Zeitpunkt kann die Urkunde aber nicht gelten. Erst gute zwanzig Jahre später, im Jahr 823, wurde dem Pas- sauer Bistum von Kaiser Ludwig dem Frommen Besitz an der Leitha, in Zeiselmauer, in der Wachau, an der Pielach, in Naarn, Ried, Aschbach und Wolfeswang, an der Erlauf, in Ardagger und Saxen sowie auch in Treisma - ohne nähere Beschreibung des Umfanges dieses Besitzes - bestätigt.37 Die nächste Nennung von Treisma fallt erst in das Jahr 976,3' wobei erstmals auch das Hippolytkloster genannt wird: In einem Diplom Ottos 11. wurde dem Passauer Bischof neben den Klöstern Kremsmünster und St. Florian auch der Besitz von ,,Treisma ad monasterium sancti Yppoliti" bestätigt. Eine ähnliche Formulierung wur- de verwendet, als der Bayernherzog Heinrich 11. um 985 auf einem placitum dem Bistum Passau seine Besitzungen in der babenbergischen Mark be~tä t ig te .~~ Diese komplizierten Umschreibungen lassen vermuten, dass das Eigentum Passaus an St. Pölten keineswegs eindeutig war.@Das Bistum Passau hatte zwar schon, wie erwähnt, seit dem frühen 9. Jahr- hundert Besitz an der Traisen; in den darüber ausgestellten Urkunden wird aber das Klos- ter St. Pölten nie genannt. Da es aber nach den oben dargelegten Gründen schon lange Zeit vor 976 bestand, muss es auf vorerst nicht näher bekannte Weise seine ~elbstständigkeit verloren haben bzw. die Abhängigkeit von Tegernsee von einer Unterstellung unter das Bistum Passau abgelöst worden sein. Rechtlich war aber dieser Wechsel nicht gedeckt; dieser Umstand erklärt das Bemühen Bischof Pilgrims von Passau, sich den Besitz von St. Pölten nach der Bestätigung durch den Kaiser im Jahr 976 auch noch durch den Herzog von Bayern bestätigen zu lassen. In der Zwischenzeit war nämlich das in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts eingegangene Kloster Tegernsee durch Kaiser Otto 11. im Jahr 979 wiedererrichtet worden?' wodurch aus Passauer Sicht zu befürchten war, Tegernsee werde St. Polten zurückfordern. So ließ sich Bischof Pilgrim vom Bayernherzog Heinrich „dem Ziinker" den Besitz des Klosters St. Pölten besonders ausführlich und mit Anführung kon- kreter Details bestätigen: ,,[. . .] deinde Treisimam civitatem monasterii sancti Ypoliti martinsl ea integritate ut quondam beute memorie Adalbertus episcopus sub Purchardo Marchione in sua tenuit vestitura et quemadmodum carta legali afimatione antiquitus roborata et In publico recitata de~ignabat ."~~Die Nennung des Markgrafen Burkhard ist dem Wortlaut nach eine bloße Zeitbestimrnung (,,sub Purchardo marchione"), sollte aber vielleicht doch

Die Ann+me einer Synode setzt die Emendation der verderbten Datierungsangabe ,,Actum adTreismal quando 1Ua sacra anno resedit" zu ,,quando sacra synodus ibi" voraus. Vgl. dazu die entsprechen- den Bemerkungen. In: Die Regesten der Bischöfe von Passau, Bd. 1: S. 731-1206, bearb. von Ego'' Bofhof. München 1992, S. 14 f., Nr. 48. Will man nicht so stark in den überlieferten Text eingreifen, bleibt noch immer die Tatsache bestehen, dass Bischof Waltrich von Passau (774-804) im Jahr 799 an der Trauen- wobei dann die Entscheidung, ob mit ,,TreismaU das spätere St. Pölten oder Trasmauer gemeint ist, offen bleiben könnte - in einem Rechtsgeschäft handelnd auftrat. Vgl. die vorangehende Anm.

37 Regesten Passau (wie Anm. 351, S. 26 f., Nr. 105. Die Urkunden Otto des II., MGH Diplomata regum et imperatorum Gemaniae 11 1 (1888)~ S. 15" Nr. 135; Regesten Passau (wie Anm. 351, S. 67, Nr. 232.

39 Die Traditionen des Hochstifts Passau, bearb. von Max Heuwieser. München 1930, ND: Aalen 19889 S. 79 f.7 Nr. 92: „Treisimam civitatem monasterii sancti ~ppoliti"; vgl. Regesten Passau (wieAnm. 35)' S. 72 f., Nr. 241. Kar1 Flleiner: Studien zur Frühgeschichte Niederijsterreichs. In: Der Traisengau 2 (1936)9 S. 103. hier S. 95 ff - - - - --.

4' Die Urkunden Otto des 11. (wie Anm. 38), S. 219 f., Nr. 192. '' Urkundenbuch zur Geschichte der Babenberger in Österreich, Bd. 411: Ergänzende Quellen 976- 1194, bearb. von Heinrich Fichtenau. Wien 1968, S. 3-5, Nr. 552; Traditionen Passau (wi$Anm. 39)' Se 79 f, Nr. 92: „Treisimam civitatem monasterii sancti Yppoliti."

Quirinus und Hippolytus 217

den Eindruck vermitteln, der Passauer Bischof sei vom Markgrafen förmlich mit St. Pölten belehnt worden.43 Offensichtlich war Passau bemüht, gerade in der werdenden Babenber- germark, wo die ursprüngliche Zugehörigkeit von St. Pölten zum Kloster Tegernsee noch durchaus in Erinnerung sein konnte, seinen Besitz als von Kaiser und Herzog sanktioniert darzustellen. Und Passau hatte damit Erfolg: Das Kloster Tegernsee ist nie wieder in den Besitz von St. Pölten gekommen, während es sonst mit seinen Rückforderungsansprüchen bei Kaiser Heinrich II., die es ihm bald nach seiner Wiedererrichtung noch als Herzog von Bayern vorgetragen hatte, erfolgreich war.44

Das Kloster St. Pölten im Rahmen der Passauer Diözesanvenualtung

Wann aber kann das Kloster St. Pölten in die Verfügungsgewalt der Passauer Bischöfe gekommen sein? Als Erster hat Max Heuwieser in seiner Geschichte des Bistums Passau eine durchaus plausible Lösung dieser Frage geboten: Um die Mitte des 9. Jahrhunderts war der Passauer Bischof Hartwig (840-866) Kommendatarabt von Tegernsee und leitete damit auch das von Tegernsee abhängige St. Pölten. Es ist daher durchaus denkbar, dass St. Pölten, als Tegernsee wieder einen eigenen Abt weiter bei Passau blieb.

Geht man also davon aus, St. Pölten wäre unter Bischof Hartwig um die Mitte des 9. Jahrhunderts in die Abhängigkeit des Bistums Passau geraten, ergibt sich auch eine neue und durchaus plausible Erklärung für das auffallende Vorkommen des Hippolytpatroziniums in Mähren und in der Slowakei.

Bekanntlich ist das Hippolytpatrozinium in Österreich äußerst selten. Es findet sich nur in Zell am See (Erzdiözese Salzburg), Eferding (Diözese Linz, bis 1785 Diözese P ~ s s ~ u ) , St. Pölten und Harmannsdorf (Erzdiözese Wien, bis 1785 Diözese Passau). Abgekommen ist das Hippolytpatrozinium der Pfarre Otten~chlag."~

Das Hippolytpatrozinium in Zell am See geht noch in das 8. Jahrhundert zurück, tat- sächlich schenkte Fulrad von st. Denk Reliquien des heiligen Hippolyt auch nach st. Pe- ter in Salzburg, von wo aus eine Zelle in Zell am See gegründet wurde.

Nach Eferding dürfte das Hippolytpatrozinium durch Passau vermittelt worden sein, waren doch Burg und Stadt bis 1367 im Besitz der Bischöfe von Passau und unterstand die Pfarre mit der Pfarrkirche zum hl. Hippolyt deren Patronat; 1367 wurde die Pfan;e vom Passauer Bischof gegen die Pfarre Oberleis abgegeben. Auch das Hippolytpatrozinlum der Pfarrkirche von H-annsdorf verweist eindeutig auf Passauer Ursprung: Die Pfarre un- terstand bis 1789 dem Patronat des Passauer Domkapitels. Unter Berücksichtigung der Tatsachen, dass der Passauer Einfluss auf St. Polten seit dem 12. Jahrhundert zumhmend abnahm, dazu auch die Verehng des heiligen Hippolytus selbst in St. Pölten im Hoch-

Spätmittelalter in keiner Weise besonders ausgeprägt war, wird man die Wahl des Hi~~olytpatmziniums an den oben genannten Orten eher früh ansetzen. Dies konnte auch für die Hippolytpatrozinien in Znaim-Pöltenberg (HradiSt6 SV. Hipolyta) und in ZobOfl

" 'gl. dazu die Wendung „in sua tenuit vestitura", die an eine rechtserhebliche Investitur denken lässt. Wegensteiner: Tegernsee (wie Anm. 2), S. 144. - Eine gewisse Erklpng, wieso Tegernsee

Seine Forderung bezüglich der Rückgabe von St. Polten nicht energischer betneb, liegt wohl auch l? der Entfernung. So tauschte Tegernsee zwischen 1034 und 1041 die fünf Konigshufen zwl- Sehen PieSting und Triesting, die Kaiser Heinrich 11. im Jahr 1020 dem Kloster geschenkt hatte, gegen nähergelegenen Besitz in Bayern; vgl. ebenda: S. 146 f.

45 Zwischen 860 und 876 wird mit Megilo nochmals ein Abt von Tegernsee vor dem Eingehen des in der ersten ~ g l f t ~ des 10. Jahrhunderts genannt; vgl. Wegensteher: Tegernsee (wie Anm. 21,

s. 80. 'gl Gerhqrd Winner: St. Pölher Zehentbesiu im südösilichen Waldvieal und in der Wachau. In: Das Waldviertel 18 (19691, S. 272-277, bes. S. 276; ~udolf~innhobler (Hg.): Die Passauer Bistums-

47 mabkeln, Bd. 4/6: Das östliche 0ffiziala*. Die Dekanate nördlich der Donau. Passau 1991, S. 224. Hier bestand seit dem 11. Jahrhundert eine ~enefitinerabtei Zum hl. Hlppol~t-

218 Johann Wegensteiner

bei Neutra gelten: Schragl sieht in ihnen einen weiteren Beweis dafür, dass das Kloster St. Pölten noch im 9. Jahrhundert gegründet wurde und in dieser Zeit sogar im Großmäh- rischen Reich - noch vor der Mission von Cyrill und Method - missionarisch tätig war. Eine solche Bedeutung wird man aber St. Pölten nur schwer zumessen können: Wenn schon das Mutterkloster Tegernsee selbst als Kommende vergeben werden konnte, ist es kaum vorstellbar, dass das abhängige Tochterkloster stark genug war, Personal für die Mission freizu~tellen.4~ Eher ist daran zu denken, dass das Hippolytpatrozinium von den Bischöfen von Passau vermittelt wurde: Sie übten nachweislich Mission im Großmährischen Reich und waren schon lange vor 976 - nach dem oben Dargelegten seit der Mitte des 9. Jahrhun- derts - Eigenklosterherren des Hippolytklosters an der Traisen.

Sowohl in St. Pölten wie auch in Passau hatte man seit dem 12. Jahrhundert die Zusam- menhänge zwischen Tegemsee und dem Kloster in St. Pölten schon längst vergessen: So bat Propst Heinrich von St. Pölten um 1170 Abt Rupert von Tegemsee um Entsendung eines Malers aus dem Kloster Tegernsee nach St. Pölten, ohne dabei auf die Mutter-Toch- ter-Beziehung der beiden Klöster zu venveisen.49 Zu diesem Zeitpunkt galten im Chorherren- stift St. Pölten nur die Passauer Bischöfe Berengar (1013-1045) und Eigilbert (1045146- 1065) als Gründer ihres Klosters.

Der Passauer Bischof Rudiger (1233-1250) bezeichnete in einer Urkunde vom 23. Jänner 1243 St. Pölten geradezu als Gründung aus den Herzstücken des Passauer bis turn^.^^ 1365 behauptet dann Bischof Albert von Passau ausdrücklich die Gründung des Klosters St. Pölten durch das Bistum Pas~au.~l

Die ,,Wiederentdeckung" der Zusammenhänge zwischen Tegernsee und St. Pölten in der Barockzeit Erst am Ende des 17. Jahrhunderts hat der damalige Propst von St. Pölten, Christoph Mü1- ler von Prankenheim (1688-1715), die Bedeutung des Klosters Tegernsee für die Anfänge von St. Pölten wieder in Erinnerung gerufen und ausführlich dargestellt.52 Zusätzlich zu seiner historiographischen Arbeit war er bestrebt, das Andenken an die ersten Gründer von St. Pölten auch mit Hilfe der Kunst zu fördern, und veranlasste die Herstellung eines Ge- mäldes mit der lebensgroßen Darstellung von Adalbert und Otakar in ihrer „wahren Län- ge" von acht Schuh (h 31,6 cm) und neun Zoll (h 2,64 cm), also einer Größe von gewalti- gen 277 Cm, und die Aufstellung von zwei Statuen. Mit seinen als Erzherzöge dargestellten Stiftern hätte St. Pölten durchaus mit dem jüngeren Klosterneuburg konkurrieren können: Besaß die Stiftung Leopolds 111. zwar den Erzherzoghut, so standen an den Anfängen von

48 Gegen eine direkte Mission durch St. Pöltner Mönche spricht wohl auch das Gelübde der stablilitas loci des Benediktinerordens.

49 Urkundenbuch des aufgehobenen Chorhermstiftes Sanct Pölten. Codex canonicorum S. Yp~liti, Bd. S. 976-1367, bearb. von Josef Lampe1 (=Niederösterreichisches Urkundenbuch 1). Wien 18919 S. 15, Nr. 11. Ebenda S. 53 f., r . 35: „Quamvis omnibus ecclesiis nostre diocesis in suis necessitatibus solila benlgnitate ac gratla manus misericordie teneamur porrigere, eis tamen quas Pataviensis ecfZesza tamquam mater de suis visceribus fabricqyit atque plantavit, in suis pressuris et inopiis speczalzter ComPatl volumus afSectu pio etpaterno." Ahnlich heißt es in einer Urkunde des Passauer Domkap!- tels vom 6. August 1284: „[ ... ] ex eo potissime, quod a sancte matris nostre Pataviensis ecclesie vlsceribus extractafore dinoscitur"; Ebenda: S. 152, Nr. 120. Als Bischof Gottfried von Passau lm Jahr 1362 die Pfarre Retz dem Stift St. Polten inkorporierte, griff er in der Arenga wieder diese

auf: . .1 nos tamen potissime obnoxios esse recognoscimus hiis qui de corpore nostre Pataviensis ecclesie primeva fundatione originem receperunt"; Ebenda: S. 542, Nr. 457.

" cum monastenum sancti Ypoiiti ordinis sancti ~ u ~ u s t i n i canoniconcm regularium no~tre dyocesis:

quod cum suis membris personis et ministris inibi virtutum domino famulantibus a nostra Patavzens' ecclesiafundacionisprirnitive [primeve?] originem recepisse dinoscitur"; Ebenda: S. 623, Nr. 506. . '' Christoph Müller von Prankenheim: Introductio in historiam canoniae Sand-Hippolytanae. In: mund Duell~us: Miscellanea quae ex codicibus mss. collegit I. Augsburg 1723, S. 260-399.

Quirinus und Hippolytus 219

St. Pölten gleich zwei Herzöge, die noch dazu mit Pippin und damit mit Kar1 dem Großen, dem Begründer des damals noch bestehenden „Heiligen Römischen Reiches", verwandt gewesen waren.

Propst Müller machte sich intensiv mit der Tegernseer Hausgeschichte und ihrer litera- rischen Ausformung bis in das 16. Jahrhundert vertraut und zog auch die spätmittelalterlichen bzw. humanistischen Chronisten wie Veit Arnpeck, Aventin, Cuspinian und Wolfgang Lazius für seine Darstellung heran. Durchaus auch zu eigenem Urteil fähig, ordnete er die vorge- fundenen Überlieferungen zu einer neuen, selbstständigen Darstellung zusammen. So lässt er das Wirken der Brüder Adalbert und Otakar schon unter Kar1 Martell (gest. 741), den er als König der Franken und Germanen beze i~hne t ,~~ beginnen. Sie hätten sich als wahre „KnegsbIit~e"~~ erwiesen und seien dann von Pippin, als er sich Bayerns bemächtigte, als Grafen an die Ennsgrenze gesandt worden. Unter Berufung auf Lazius wird dann erzählt, die Brüder hätten die Grenzen Bayerns bis zum Wienenvald vorgeschoben und an der neuen Grenze eine Befestigung gegen die Hunnen und Awaren errichtet. Um diese auch durch den Glauben zu stärken, hätten sie hier schließlich auch ein Kloster errichtet, in dem sie die Reliquien des heiligen Hippolytus, die ihnen von Papst Zacharias geschenkt wor- den waren, beisetzten. Propst Müller kannte schon die Datierung der Gründung des Klos- ters Tegernsee in das Jahr 746.55Nach seiner Erzählung musste daher die Gründung von St. Pölten noch früher erfolgt sein, er datiert sie auf 742 bis 744, wobei er sich einen klei- nen Seitenhieb auf die „guten Tegernseer" („boni Tegemseenses"), die unbedingt die Ers- ten unter den Gründungen der Brüder Adalbert und Otakar sein möchten, nicht ersparen kann.56Daher hätte nach Propst Müller St. Pölten das Recht der ,,Primogenitura und werde mit vollem Recht als ,,antiquissimaU („vulgo uraltes") bezeichnet. Voll Stolz über diese Erkenntnis hat der Propst dies auch vor Kaiser Leopold I., als dieser auf seiner Fahrt zur Krönung seines Sohnes Joseph zum Römischen König in St. Pölten Station machte, vorge- tragen, worauf der Kaiser antwortete: ,,Also ist es, wie unser Prälat gesagt hat, dann ist dis in unseren Oesterreichischen landen das ältiste Stifft."57

Im Gegensatz zum heutigen Wissen, das die Entstehung des Ordens der Augustiner Chorherren erst in das 11. Jahrhundert datiert, ging der Orden für Propst Müller noch auf den hl. Augustinus von Hippo (gest. 430) selbst zurück, er polemisiert daher - hier ganz unhistorisch - heftig gegen die Behauptung, St. Pölten sei ursprünglich als Benediktiner- kloster gegründet worden?S Auch den zeitgenössischen E i n ~ a n d ? ~ St. Polten sei erst von den Passauer Bischöfen gegründet worden, da ja nicht einmal der Gedenktag der angebli- chen Stifter Adalbe* und Otakar liturgisch gefeiert werde, lässt er da Wun- der durchaus zeigten, dass die Stifter selig seien, wenn auch die Kirche dlesn1chtfömlich verkündet hätte.

Die Aus~chmückun~ der Tegernseer Frühgeschichte in den Quirinusdarstellungen des 12. Jahrhunder(s und ihre zeitpoütkchen Hintergründe An einem Detail im Beficht von Propst Müller soll abschließend aber noch die ganze Pro- blematik der - aufs Ganze gesehen - letztlich doch fast ausschließlich auf die Angaben der

" Ebenda: S . 274. 54 ,@lmina beM.; diese Wendung findet sich auch auf der Bilduntenchnft des BarOckgemäldes der

Stifter von Tegernsee im Diözesanmuseum SI. Pölten; sie geht auf qopst zunick'

:: Tatsachlich beging Tegernsee im ~ a h r 1746 sein tausendjähriges Jub1laum. 57 D"ellius: Miscellanea (wie Anm. 52), S. 302. 58

Ebenda: S. 303. 59 Ebenda: S . 313.

Vorgebracht von Propst Augustinus Era* (gest. 1719) des ~ugustiner ~horhemnstifts SL *ndrä an derTraiSen; Duellius: Miscellanea (wie Anm. 521, S . 314-325.

M) Ebenda: S. 323.

220 Johann Wegensteiner

Tegernseer Mönche Metellus bzw. Heinrich gestützten Darstellung der Gründung des Klos- ters Tegernsee in der bisherigen Forschung aufgezeigt werden: Propst Müller gibt an, im Kloster Tegernsee hätten unter seinem Gründerabt Adalbert 150 Mönche gelebt.61 Diese große Menge muss den Propst wohl sehr beeindruckt haben, zählte sein Konvent in der Barockzeit doch in der Regel nur ein Fünftel dieser Zahl. Verfolgt man diese Angabe auf ihre Quellen zurück, kommt man schließlich auf die Angaben bei Metellus bzw. in der Passio secunda s. Quirini, in der es arn Ende der eigentlichen Gründ~ngsgeschichte~~ heißt:63 ,,Hec digna memoratis principibus, quorum amore vel forma examen statim sub eis in CL monachos crevit ac diu mansit integra possessione, quam prediximus." Diese so konkrete Zahlenangabe hatten aber Metellus und Heinrich nicht aus alten, noch vor dem Eingehen des Klosters Tegernsee im 10. Jahrhundert stammenden Quellen geschöpft, sondern aus der Urkunde Kaiser Ottos 11. über die Wiederherstellung des Klosters Tegernsee im Jahr 979 bzw. auch aus der Darstellung der Gründungsgeschichte des Klosters Benediktbeuern durch den dortigen Mönch Gottschalk in seinem um 1055 verfassten ,,Rotulus histori~us"~ übernommen. Ludwig Holzfurtnef15 gebührt das Verdienst, durch seine vergleichende Un- tersuchung der Gründungsgeschichte der bayerischen Klöster der Agilolfingerzeit den Blick für die schrittweise Ausgestaltung der entsprechenden Klosterüberlieferungen, die zwar jeweils Antworten auf neue Fragestellungen zur Zeit ihrer schriftlichen Fixierung geben, jedoch keinen Mehrwert an historischer Information über die Zeit der Gründung des be- treffenden Klosters selbst bieten, geschärft zu haben. So waren die Gründer von Tegernsee für die ältere Passio s. Quirini aus dem Ende des 9. Jahrhunderts nur Brüder mit einigem Besitz, in der Narratio der Urkunde Kaiser Ottos 11. über die Wiederenichtung des Klo- sters Tegernsee werden sie erstmals als Grafen bezeichnet, bei Metellus und Heinrich wer- den sie um 1160 schon als Verwandte Pippins vorgestellt. Schon Jacobsed6 hat zu Recht darauf hingewiesen, dass hinter der Betonung der königlichen Abkunft der Stifter, ihrer Verwandtschaft mit Pippin und ihrer Beziehungen zu Burgund ein ganz konkreter Anlass steht: In den Jahren der Abfassung der Quirinalien bzw. der Passio secunda erreichte die Verehmng Karls des Großen ihren Höhepunkt. Im Jahr 1165 erfolgte auf Veranlassung Kaiser Friednch Barbarossas seine Kanonisation durch den Erzbischof von Köln, unter Billigung des Gegenpapstes Paschalis III.67 Gottfried von Viterbo ( Ca. 1125-ca. 1191/92), als Mitglied der Hofkapelle unter König Konrad 111. und als Notar und Hofkaplan von Kaiser Friedrich Barbarossa bestens mit der Herrscherideologie in der Umgebung des Kaisers vertraut, bezeichnet Kaiser Friedrich I. sogar als direkten Nachkommen der Ib1-0-

linger: natus ex clarissima progenie K a r ~ l o r u m . ~ ~ Galten nun Adalbert und Otakar, die Gründer von Tegernsee, als Verwandte Pippins, dann gehörten auch sie zu den Vorfahren des aktuell regierenden Kaisers. 1156 war auch Burgund, wo Otakar Herzog gewesen sein s011,6~ durch dieVermählung Kaiser Friedrichs I. mit Beatrix besonders ins Blickfeld getre- ten. Abt Rupert von Tegernsee (1 155-1 186), der energische Vertreter der Interessen seines

Auf den den Statuen der Gründer Adalbert und Otakar beigegebenen Schrifttafeln, deren Text von Propst Müller verfasst wurde, lautet die entsprechende Angabe: ,,[...I rnonasterium in Tegernsee [..:I Pof l tanfif c e y b u s ac redditibus instruxerunt [SC. Adalbertus et Okariusl, ut quinquagl?ta vins religiosis suficeret, qui die noctuque deo laudes decantarent in hymnis et cantzczs .

62 Vor dem eingeschobenen ,,Norikerkapitel" und den anschließenden Wunderberichten. 63 WelJensteiner: Tegemsee (wie Anm. 2), S. 255.

Edition: Rotulus histoncus circa Annum 1070 exaratus. In: Monuments Benedicto-Burma (=MonU- menta Boica 7). München 1766, S. 1-17.

65 Wie Anm. 3. 66 Jacobsen: Quinnalien (wie Anm. I), S. 39 f.

Vgl. Ernst W Wies: Kar1 der Große, Kaiser und Heiliger. München 42000. 68 MGH SS XXII (1872) 264 (aus dem Werk ,,Pantheon" von Gottfried von Viterbo). 69 Jacobsen: Quinnalien (wie Anm. I), Ode 1 la, S. 7.

Quirinus und Hippolytus 221

Klo~ters,~Ohat diese aktuellen Bezüge erkannt und für sein Kloster nutzbar gemacht, Tat- sächlich regelte schon im März des Jahres 1157 Kaiser Friedrich 1. auf dem Hoftag von Würzburg, auf dem sich Graf Otto VI. von Wolfratshausen, Vogt des Klosters Tegernsee, wegen seiner andauernden Übergriffe gegen das Kloster verantworten m ~ s s t e , ~ l die Vogteifragen zugunsten des Klosters Tegern~ee.~~In der entsprechenden Kaisemrkunde werden Adalbert und Otakar nun ausdrücklich als duo comites Otkerus e tdlbertus , regali prosapia exorti bezeichnet, wobei sich die Urkunde auf die relatio illustriurn virorum - unter denen wohl niemand anderer als Abt Rupert von Tegemsee zu verstehen ist - berief. Genau dieselbe Formulierung über die königliche Abstammung der Tegernseer Gründer findet sich dann in den Tegernseer Vogteifalschungen auf Kaiser Friedrich I. (angeblich von 1163) bzw. Heinrich VI. (angeblich von 1193) aus den ersten Jahrzehnten des 13. Jahrhun- der t~?~ In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass in den Privilegien, die die Päps- te Alexander 111. (1 178 März 12) bzw. Urban 111. (1 186 April 3) für das Kloster Tegernsee a~sstellten?~ die Stifter von Tegernsee nur als einfache Grafen, ohne jede Erwähnung einer Verwandtschaft mit Pippin, bezeichnet wurden.75 Dieselben Angaben finden sich auch schon im Privileg Eugens 111. vom 21. November 1 150?6 In Tegernsee hat man also durchaus ganz bewusst die Informationen, die man an den jeweiligen Aussteller von Urkunden und Privilegien weitergab, ausgewählt. Beim Kaiser konnte man mit der Betonung der königli- chen Abkunft der Stifter an Ansehen gewinnen, den Päpsten gegenüber wurde dagegen davon keine Erwähnung gemacht, was angesichts der Schismen des 12. Jahrhunderts, in denen sich auch Kaiser und Papst feindlich gegenüberstanden, nicht verwundern kan11.7~ Diese Beobachtungen machen zugleich aber auch deutlich, dass die Wichrichten der Quirinusdarstellungen des 12. Jahrhunderts über die Anfange des Klosters Tegernsee und seine Stifter keineswegs altes Wissen wiedergeben, sondern aus aktuellem Anlass kon- struiert, gleichzeitig aber durch die Berufung auf hohes Alter gleichsam der Kritik entzo- gen wurden. Geradezu entlarvend sind dabei die Angaben in den Vogteifälschungen auf Fnedrich I. (1 163) bzw. Heinrich VI. (1 193), wonach die Gründer von Tegernsee nicht nur den Leib des hl. Quirinus, sondern auch die Leiber der hll. Chrysqgonus und Castoius in das Kloster Tegernsee übertragen hätten.78Tatsächlich erfolgte die Ubertragung der Reliquien des hl. Chrysogonus und des hl. Castorius erst im Jahr 1054.79

'O Sabine Buttinger: Das Kloster Tegernsee und sein Beziehungsgefüge im 12. Jahrhundert. Mün- chen 2004, bes. S. 75-88. Abt Rupert von Tegernsee war auch erfolgreich bemüht, die Verehmng d e ~ h!. Qulrinus und damit auch die Wallfahrten nach seinem Kloster in Tegemsee neu zu beleben. In

Zusammenhang sind etwa die Ablässe, die Papst Alexander 111. in den Jahren 1163 und 1164 Fest des hl. Quirinus gewäme, ZU erwähnen; vgl. WeCnsteiner: Tegernsee (wie Anm. 21,

0. OJ.

'' Bt<tinger: Tegernsee (wie Anm. 70), S. 136-140; Weißensteiner: Tegemsee (wie Anm. 2). S. 137- 1 JY.

72 MGH DF. I. 160; vgl. Johann fiednch Böhmer: Die Regesten des Kaiserreiches unter Fnedrich L: 1152 (1 122)-1 190, Lfg. 1. 1152 (1 122)-1158 / neubearb. von Ferdinand Opll. Köln u. a. 19809 S. 136 f., Reg. 439.

" PeterAcht: Die Tegemsee-E&rs&rgervogteif&h~ngen. h: Archivalische (lg51)7 S. 135-188, bes. S. 179.

74 Dmcke in: Monumenta Tegemseensia (=Monuments Boica 6). München 1766, 186-188 bzw. s. 189-191.

l5 quod Utique a nobilibus viris M p e f l o er Otkario gemiani~frßtnbus ilzustribusque

76 comitibus in suo fundo constructum est. Monuments Boica 6 (wie Anm. 74), S. 169-171.

B ~ t t i n ~ e r : Tegemsee (wie Anm. 74). S. 202-204 über die Haltung Abt Ru~efis von Tegernsee 78 lrn alexandrinischen Schisma. .. - abbatiam . . . laudabiliterfundaven<nt ibique trium mrt~~nini Quirini, Chnsogoni~ Castoni coipora

collocaverunt. 79 Bemhard schmeidler: studien zur ~esc~chtsschre ib~ng des Klosters Tegernsee. München 19357

S. f. (Edition).

222 Johann Wezpensteiner

Mit veranlasst wurden die entsprechenden Behauptungen auch aus der Konkurrenz zum Nachbarkloster Benediktbeuern. Dieses Kloster hatte schon im Jahr 1155 von Kaiser Fried- rich I. das Recht auf freie Vogtwahl erhalten,*Oein Recht, das sich Tegernsee erst durch Fälschungen im 13. Jahrhundert zu sichern suchte.

Das ,,Schielenu nach Benediktbeuem und der dortigen Klosterüberlieferung wird auch bei der Angabe, Adalbert und Otakar hätten neben Tegernsee noch drei weitere Männer- klöster (Ilmmünster, St. Pölten und ein Kloster in Burgund) und sogar ein Frauenkloster (Neuß am Rhein) gegründet - gerade ein solches Projekt wäre für die zweite Hälfte des 8. Jahrhunderts geradezu singulär gewesen - deutlich. Man versteht diese Aussagen erst vor dem Hintergrund der Darstellung der Anfänge des Klosters Benediktbeuem durch Mönch Gottschalk um 1055. Nach seinem ausführlichen Bericht stifteten die Brüder Lantfrid, Waldram und Elilant neben Benediktbeuern noch die Klöster Schlehdorf, Staffelsee, Wessobrunn und Sandau, außerdem die Nonnenklöster Kochel (hier weihte sich ihre Schwes- ter Gailswind Christus dem Herrn) und Polling, also einen richtigen ,,Benediktbeurer Klosterverband"?' an dessen Spitze der älteste Bruder Lantfrid als Abt von Benediktbeuern stand. Benediktbeuern zählte 50 Mönche, Schlehdorf und Staffelsee je 25, Wessobrunn und Sandau ebenfalls je 25, dazu kamen je 25 Nonnen in Kochel und Polling. Zählt man die Zahl der Mönche zusammen, kommt man auf dieselbe Zahl (150), die Metellus und Heinrich für Tegernsee angeben. Bei näherer Untersuchung der Anfange der einzelnen genannten Klöster zeigt sich bald, dass diese keinesfalls auf die Stifter von Benediktbeuern zurückgehen. So wurde Schlehdorf ursprünglich in Schmitz gegründet, es unterstand von Anfang an den Bischöfen von Freising. Wessobmnn war eine Gründung Herzog Tassilos, ebenso Polling. Kochel, Staffelsee und Sandau sind als Klöster überhaupt nicht greifbwa2 Sandau und Kochel waren aber zur Zeit der Aufzeichnung der Benediktbeuerner Gründungs- geschichte im Besitz des Klosters Benediktbeuern.

Ganz allgemein ist mit Holzfurtner festzuhalten, dass Klosterverbände dieser Art - mit einem Zentralkloster, dessen Abt den übrigen Klosteroberen übergeordnet war - dem frü- hen Mittelalter völlig fremd waren. Sie traten erst mit den Reformbestrebungen im benediktinischen Mönchtum seit dem 10. Jahrhundert in Erscheinung, als die Filiationen der einzelnen Reformklöster wie Cluny, Gorze oder Hirsau ,,mehr oder weniger feste Ver- bände bildeten".831m frühen Mittelalter (und auch später) gab es aber sogenannte cellae, kleine klösterliche Niederlassungen, die vom MutterHoster abhängig blieben und kein Eigenleben führten. Sie dienten vor allem als wirtschaftliche Zentralen in bestimmten (A~ßen)Gebieten.*~

Die von Gottschalk als Benediktbeuerner Gründungen reklamierten Klöster Polling, Wessobrunn und Schlehdorf bestanden zur Zeit der Abfassung des ,,Rotulus historicus" als Kanonikerstifte. Auch darin konnten die Tegernseer Mönche Metellus und Heinrich eine Parallele ZU ihrer Hausgeschichte finden, waren doch auch ,,ihre" Klöster Ilmmünster und St. Pölten ZU Kanonikerstiften geworden,

Spätestens seit den Untersuchungen von Ludwig Holzfurtner ist es also nicht meh möglich, Nachrichten erst späterer Entwicklungsstufen von ~ o s t e r g e s c h i c h t s s c h r ~ ~ b ~ ~ ~ als gesicherte Fakten für die Zeit der Gründung des jeweiligen Klosters zu übernehmen. Diese Erkenntnis kam etwa auch schon bei der Darstellung der Anfänge des Klosters

80 Josef Hemmerle: Die Benediktinerabtei Benediktbeuem (= Gemania Sacra NF 38, Das ~ i s t u m A ~ g ~ - burg I). Berlin-New York 1991, S. 201-205. Holzfurtnec Gründung (wie Anm. 3), S. 64.

82 Ebenda: S. 65. 83 Ebenda: S . 71.

Ebenda: S. 73. - Man vergleiche dazu die Funktion des Mönchshofes auf dem Absberg bei Absdo** der dem Benediktinerkloster Niederaltaich als Verwaltungszentmm für seine niederösterreichischen Besitzungen diente.

Quirinus und Hippolytus 223

Ilmmünster zum Tragen. Galt es bis weit in das 20. Jahrhundert weitgehend einhellig als Gründung der Tegernseer Stifter Adalbert und Otakar - woraus man auch folgern konnte, die Tegernseer Überlieferung erst des 12. Jahrhunderts über die Gründung des Klosters St. Pölten durch dasselbe Brüderpaar sei ebenso gesicherte historische Tatsache -, tragen jüngere Untersuchungen den Einwänden Holzfurtners zu Recht Rechnung und lassen Ilmmünster durchaus als eigenständige Gründung, die erst später unter den Einfluss des Klosters Tegernsee kam, gelten.85 Ähnlich werden auch in Zukunft die Anfange des Klos- ters St. Pölten nochmals neu untersucht werden müssen. Vorläufig muss man von dem bisher tradierten geradlinigen Erzählschema, das das Kloster von namentlich genau be- kannten und genealogisch eindeutig einzuordnenden Brüdern gegründet werden und dann im Zusammenhang mit dem Niedergang seines Mutterkiosters an den zuständigen Diözesan- bischof übergehen lässt, Abschied nehmen und die Darstellung auf die noch vor den Tegernseer Quirinusdarstellungen des 12. Jahrhunderts überlieferten Fakten reduzieren. Gesichert bleibt also nur, dass es schon vor der Einrichtung eines Kanonikerstiftes durch die Passauer Bischöfe in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts in St. Pölten eine kiösterli- che Niederlassung gegeben hat. Bei ihr hat es sich wohl um eine nach der Benediktiner- rege1 organisierte Gemeinschaft gehandelt, beanspruchte doch das Kloster Tegernsee schon um 1030 die ,,abbatia a d sanctum Yppolitum" als entzogenes Gut, das sich nunmehr im Besitz des Passauer Bischofs befand, für sich. Damit ist zwar gesichert, dass das Kloster Tegernsee noch vor der Ungmzeit an der Traisen als Besitzer in Erscheinung trat, die Gründung des Klosters St. Polten durch Tegernsee kann aber daraus nicht abgeleitet wer- den. Für diese Annahme wurden bis jetzt ausschließlich die Tegernseer Quirinusdarstellungen des 12. Jahrhunderts herangezogen; seit der Erkenntnis, dass die Herleitung der Klöster Ilmmünster, St. Polten, Neuß und eines Quirinusklosters in Burgund von den Tegernseer Stiftern allein als Nachahmung des ebenso unhistorischen „Benediktbeuerner Kloster- verbandes", den der Mönch Gottschalk von Benediktbeuern um 1055 konstruiert hat, zu verstehen ist, ist dies aber nicht mehr möglich.

SO K'ilhelm Störmer: Zur Geschichte von Kloster und Stift Ilmmünster. In: Die Chorschranken von Ilmmünster, hg. von Hermann Dannenheimer (=Große Kunstführer 14OlGroßer Ausstellungsfuhrer der Prähistorischen Staatssammlung 4). München-Zürich 1989, S. 33-46.

Österreich in Geschichte und Literatur (mit Geographie) - ÖGL -AU ISSN 0029-8743

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das Kulturarnt der Stadt Wien, Abteilung Wissenschafts- und Forschungsförde~ng. Dieses Heft wurde auch mit Dnickkostenbeiträgen der Landeshauptstadt St. Pölten

und der Familie Möcker hergestellt.

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