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ÖSTERREICHISCHE AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE KLASSE SITZUNGSBERICHTE, 858. BAND .. Verlag der Osterreichischen Akademie der Wissenschaften Wien 2015 OAW

ÖSTERREICHISCHE AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN … · Tara Romaneasca medievala (secoieIe XIV-XVI). Ia i 2013,79-100; zu Lovi§tea Mclentina BAZGAN, Evolu\ia administrativa a judepllui

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ÖSTERREICHISCHE AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE KLASSE

SITZUNGSBERICHTE, 858. BAND

.. Verlag der Osterreichischen Akademie

der Wissenschaften

Wien 2015 OAW

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DAS SÜDOSTEUROPA

DER R EGIONEN

HERAUSGEGEBEN VON

OLIVE R J ENS SCHMITT U N D M ICHAEL METZELT I N

.. Verlag der Osterreichischen Akademie

der Wissenschaften

Wien 2015 OAW

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Vorgelegt von w. M. OLIVER]ENS SCIlMITT in der Sitzung vom 9. Oktober 2014

Bibliografische Information dn Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie, detaillierte bibliografische Daten sind im Internet

über http://dnb.d··nb.de abrufbar.

Umschlagbild: Generalkarte 300.000. Balkanhalbinsel. Blatt 13 (Seres).

Erstellt vom K.K. Militär-geografischen Institut. Wien 1880-1890.

Diese Publikation wurde einem anonymen, internationalen Peer-Review-Verfahren unterzogen.

This publication has undergone the process of anonymous, international peer review.

Die verwendete Papiers orte ist aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff hergestellt, frei von säurebildenden Bestandteilen und alterungsbeständig.

Alle Rechte vorbehalten.

ISBN 978-3-7001-7726-5

Copyright © 2015 by Österreich ische Akademie der Wissenschaften, Wien

Satz: Maria ScheITer Schreibbüro, A-8045 Graz Druck und Bindung: Sowa SI" z.o.o., Warschau

http://epub.oeaw.ac.at/7726-5 http://verlag.oeaw.ac.at

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Inhaltsverzeichnis

Oliver Jens SCHMITT-Michael METZELTIN Das Südosteuropa der Regionen . . . . . . . . . . . .. .. . . . . . . . . . . . .. . ..... . . .. . . . . . .. .. .. . . . 7

Ludwig STEINDORFF Slawonien und Syrmien

Aleksandar JAKIR-Marko TROGRLIC

39

Dalmatien ........ . . . .... . . .............. ......... .................. . . . ........ ..... . . .... . . . . . 91

Hannes GRANDITS Herzegowina . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..... . . . . . . . .. ........ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 33

Krysztof ZALEWSKI Der Sandschak - zur Konstruktion einer historischen Region 177

Eva Anne FRANTZ Kosovo . . ........................................ .......... . .. . . .. . . ..... . . . . . . . . . . . . . . . . . ....... 201

Holm SUNDHAUSSEN (t) Die Sumadija: historische (Nicht-)Region und/oder "mental map"? 277

Michael PORTMANN Vojvodina ............... ....... ............... . . ............... . . . ....... ..................... . 313

Florian KÜHRER-WIELACH Siebenbürgen als administrative Einheit und diskursives Konzept 349

Kurt SCHARR Bukowina als historische Region .. . . . .. . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 1 1

Flavius SOLOMON Die Moldau ..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439

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6 Inhaltsverzeichnis

Daniel URSPRUNG Raumvorstel lungen und Landesbewusstsein: die Walachei als Name und Raumkonzept im historischen Wandel . . . . . ... . . . . . . . . . . . .. . . . 473

Nenad STEFANOV Die Kartierung der Nation und die Zähigkeit der Terra Incognita. Überlegungen zu einer Darstellung der Regionen in Bulgarien in historischer Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . .. . . . .. . . . . . . . . . . . . . 551

Mehmet HACiSALlHOGLU lhrakien - Eine wiederentdeckte Region auf dem Balkan 581

Vemund AARBAKKE Die Region Makedonien 603

Antonis RIZOS (t) Thessalien .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . , ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ... . . .. . . . . . . .. . . . . . . 641

Oliver Jens SCHMITT Epirus .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 677

Verzeichnis der Namen und Orte (erstellt von Konrad PETROVSZKY) . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . 735

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Raumvorstellungen und Landesbewusstsein: die Walachei als Name und Raumkonzept im

historischen Wandel

D A N I E L U RSPR U N G

Wo liegt die Walachei? Es gibt mehrere Möglichkeiten, korrekt auf diese [<rage zu antworten. Eine Antwort könnte lauten: nördlich der Donau - und zwar nördlich des gesamten Flusslaufes, vom Ober- bis zum Unterlauf Nicht falsch wäre aber auch die entgegengesetzte Antwort: südlich der Donau. Ja, mög­lich wäre sogar die Antwort: im Süden Brasiliens. Und schließlich ließe sich mit gewissem Recht einwenden, die Frage sei falsch gestellt, da die Walachei geographisch gar nicht lokalisiert werden könne, sondern potenziell überall liege. Wie ich weiter unten zeigen werde, trugen historisch oder tragen aktuell ganz unterschiedliche Regionen, Orte, oder Flure den Namen Walachei. Die Walachei ist daher ein mehrdeutiges Raumkonzept, zugleich aber eine der am präzisesten fassbaren historischen Regionen im südöstlichen Europa. Denn im Unterschied zu den meisten anderen in diesem Band besprochenen Regionen war die Walachei in den rund fünf Jahrhunderten osmanischer Herrschaft über diesen Teil Europas kein rein gelehrter Begriff mit geringer Relevanz für die Situation vor Ort. Vielmehr war die Walachei vorn frühen 14. bis zu Beginn der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine politisch-administrative Entität, ein eigenständiger Herrschaftsverband, wenn auch eingebunden in größere Reichsverbände (das Königreich Ungarn beziehungsweise das Os­manische Reich). Daher lässt sich die Walachei in historischer Zeit als Land präzise verorten. Zugleich aber sind sowohl der Name ,,Walachei" wie auch die Vorstellungen über den Raum nördlich der unteren Donau weit weniger eindeutig, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Am Beispiel der Wa­lachei lässt sich exemplarisch zeigen, dass nicht geographische Gegebenhei­ten, "natürliche Grenzen", Raumeinheiten konstituieren, sondern menschliche Handlungen und Imaginationen: H istorische Regionen "existieren" nicht, sie werden erschaffen und erdacht.l Am Beispiel der Walachei gehe ich drei Leit-

I Diese Einsicht ist keineswegs neu und in den historischen Osteuropawissenschaften be­sonders nach 1 989 oft thematisiert worden, neuerdings als Überblick mit weiteren Lite-

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474 Daniel Ursprung

fragen nach: Welche inneren Raumeinteilungen der Walachei waren historisch relevant? Wie wurde die Walachei als Raum wahrgenommen? Und in welche unterschiedlichen Raumkonzeptionen war das Gebiet zwischen unterer Do­nau und Südkarpaten vom 14. Jahrhundert bis heute eingebunden?

Die historische Landschaft Walachei erstreckt sich im Süden des heuti­gen Rumänien zwischen den Südkarpaten und dem Unterlauf der Donau. Topographisch bedeutsam ist die Abfolge von Hochgebirge im Norden, dem südlich daran anschließendem Hügelland und der Ebene sowie der Donau­auen ganz im Süden. Der Fluss Olt teilt die Region in die etwa ein Drittel des Territoriums umfassende Kleine Walachei (Oltenien) im Westen und die Große Walachei (Muntenien) im Osten. Als eigene Region fassbar, wenn auch vorerst noch diffus, wird die Walachei erst im frühen 14. Jahrhundert. Zu die­sem Zeitpunkt entstand im Karpatenvorland um Arge§ (Curtea de Argq) und Campldung der walachische Herrschaftsverband mit einem Woiwoden an der Spitze. Bereits Ende des Jahrhunderts kam diese Woiwodschaft in Kontakt mit den Osmanen, die dabei waren, Südosteuropa ihrer Kontrolle zu unterwerfen. Im 15. und 16. Jahrhundert geriet die Walachei in osmanische Abhängigkeit und wurde letztlich Teil des osmanischen Reichsverbandes, ohne jedoch ihre innere Autonomie zu verlieren. Sie bestand als politische Einheit bis zur Per­sonalunion mit dem benachbarten Fürstentum Moldau (1859) fort und ging dann im neuentstandenen rumänischen Staat auf (Proklamation Ende 1 861 , administrative Vereinigung 1862, Verfassung 1866), der sich schließlich von den letzten Resten der osmanischen Oberhoheit lösen konnte (Unabhängig­keitserklärung 1877, Anerkennung der vollen Souveränität auf dem Berliner Kongress 1 878, Königreich 1881).2 Seit der administrativen Vereinigung von Walachei und Moldau 1862 existierte die Walachei im administrativ-politi­schen Sinne nicht mehr und ist seitdem ein rein geographisch-historischer Begriff. Mit knapp 78.000 Quadratkilometern ist die Walachei flächenmä­ßig fast so groß wie die vier heutigen Staaten Makedonien, Albanien, Kosovo und Montenegro zusammen (ca. 79. 160 km2) oder etwas kleiner als Österreich (83.879 km2).

raturhinwcisen Stefan TROEBST, "Geschichtsregion": Historisch-mesoregionale Konzeptio­nen in den Kulturwissenschaften, in: European History Online (EGO), hg. Institut für Eu­ropäische Geschichte, M ainz 2010-12-03, URL: http://www.ieg-ego.eu/troebsts-201O-de, URN: urn:nbn:de:0159-2010092 1 364 [20.1 1 . 201 1 J.

2 Detaill ierte Chronologie bei Dinu C. GIURESCU (Hg.), lstoria Romaniei in date. Bucure�ti 32010, zum Zeitraum 1859-1881 : 197-251 .

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Raumvorstellungen und Landesbewusstsein: die Walachei . . . 475

INNERE GLIEDERUNG, NAM EN U N D GRENZEN

BINNENGLIEDERUNG UND RAUMSTRUKTUR

Die den Flussläufen entlang verlaufenden Kontaktzonen, die Gebirge, Hügelland, Ebene und Donauauen verbinden, prägten die politische Struk­tur der Walachei mit. Mehrere Verwaltungsbezirke (judet, slav. sudstvo, in den Quellen oft als sud. abgekürzt) sind nach Flüssen benannt.3 Gemäß neuer For­schungen des Bukarester Historikers Marian Coman waren die in den Quellen ab dem späten 14. Jahrhundert vereinzelt genannten "ludere" blog temporäre Fiskaldistrikte in peripheren und semi-peripheren Landesteilen4, die erst gegen Ende des 16. Jahrhunderts von eigentlichen territorial konstituierten und per­manenten Verwaltungseinheiten, ebenfalls unter dem Namen ,,judet", abge­löst wurden. Dabei wurde die "traditionelle", auf ältere Zeiten zurückgehende Raumwahrnehmung und Raumeinteilung von der neugeschaffenen "admini­strativen" Territorialeinteilung überlagert, welche die bestehende, eher diffuse Territorialstruktur adaptierte und modifizierte. Die Woiwoden versuchten da­bei, wo immer möglich Lokalidentitäten zurückdrängen und der Zentralherr­schaft zu unterstellen. So wurde etwa die Landschaft Lovi§tea (Tara Lovi�tei, externer Erstbeleg 1 233, interner 14715), ein beidseits des Olt liegendes, von Gebirgszügen umgebenes Becken im Norden der Walachei, dem Juder Argq einverleibt, obwohl sie über eine ausgeprägte Lokalidentität verfügte.6

J Gustav WEIGAND, Die Namen der rumänischen Jude�e im Alu'eich, Balkan Archiv 4 (1928), 168-177.

4 Dazu gehören auch die in einigen wcnigen Einzclqucllen des 1 4. , 15 . und frühen 16 . Jahr­hunderts (Erstbeleg 1385 , Documenta Romaniae historica. B: Tara Romancascä (im Fol­genden: DRHB), volumul 1 (1 247-1500) . Bucure�ti 1966, Nr. 7, 20/21) erwähnten vier "judqe" (sudstvo) in der Kleinen Walachei: Jalq, Motru, Gilort und Jude\ul de Bald, in denen die Historiographie später "verschwundene" territoriale Verwaltungseinhciten gesehen hat, siehe etwa Constantin C. GIURESCU, Jude�ele dispärute ale Romaniei, in: Dimitrie GUSTI (Hg.), Enciclopcdia Romaniei. Vol . 2, Tara Romaneascä. Bucurqti 1938, 17f.; Dinu C. GIURESCU, Tara Romaneascä In secolcle XIV �i Xv. Bucure�ti 1973, 30 1-303; Ovid SACHELARIE, Nicolae STOICESCU (Hgg.), Institu\ii feudale d in Tärile Romanc. Diqionar. Bucure�ti 1 988 , 259f.; Mclentina B AZGAN, Jude�e1e Tadi Romane�ti panä la mijlocul sccolului al XVIII-Iea. Bucurqti 2001, etwa 6 L

5 Eudoxiu d e HURMUZAKI, Documente privit6re la istoria romanilor. Voillmul I (1 199-1 345). Bucuresci 1 887, 1 27; DRH B (wie Anm. 4), 233 f .

6 Marian COMAN, Puterc �i teritorill. Tara Romaneasca medievala (secoieIe XIV-XVI). Ia�i 2013, 79-100 ; zu Lovi§tea Mclentina BAZGAN, Evolu\ia administrativa a judepllui Arge� panä la mijlocul secolului al XVIII-Iea, Revista arhivelor 63/78 (2001) , 1 -2, 43 -5 8 , 44; die zu Lovi�tea gehörenden Dörfer bei IancH FILIPESCU, Vechiul jude\ Valcea. Studiu de sociologie istoricä (I) , Revista romdnä de sociologie 9 ( 1 998). 3-4, 249-270, 253.

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Daniei Ursprung

Im. Spätmittelalter war eine Dreiteilung des Landes typisch: dem zentralen Landesteil mit den wichtigsten politischen Zentren (Argq, Targovi§tc, spä­ter Bukarest) standen die beiden nur schwach integrierten Randregionen der Kleinen Walachei im Westen und dem Nordosten mit Zentrum Buzau gegen­über. Diese Auf teilung widerspiegelte sich noch lange in der Kirchenorganisa­

tion. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts (um 1504) waren neben die Metropolie von Argq (ab 1 517 in Targovi§te, ab 1668 in Bukarest) die beiden Bistümer Buzau und Valcea getreten, letzteres als Neugründung anstelle der ein knap­pes Jahrhundert davor untergegangenen Metropolie von Severin (daher auch "noul Severin" - neues Severin genannt). Im 18 . Jahrhundert unterstanden der Bukarester Metropolie direkt die zentralen und südlichen Teile der Großen Walachei, die Judere Ilfov, Prahova, IalomiIa, Dambovip, Vla§ca, Teleorman, Mu§cel, Arge§ und Olt. Das Bistum Valcca war für die fünf Jude re der Klei­nen Walachei zuständig, während der Sprengel von Buzau den Nordosten der Großen Walachei mit Buzau, Ramnicu Sarar, Sacuieni und Braila umfasste?

Nachdem im späten 16. Jahrhundert das Land systematisch in Jude re eingeteilt worden war, stabilisierte sich deren Anzahl im 17. Jahrhundert bei siebzehn JudeIen, fünf in der Kleinen und zwölf in der Großen Walachei.8 Diese Einteilung sollte von kleineren Änderungen abgesehen in ihren Grund­zügen bis ins 20. Jahrhundert Bestand haben (Karte 1). Auf der 1700 in Pa­dua gedruckten griechischsprachigen Walachei-Karte von Ioannis Komninos (IwcXvv'lC; KOf1v'lvoc;) sind die 17 Judere namentlich vermerkt und mit ihren Grenzen, freilich nur ungenau, eingezeichnet.9 Dabei verfügte die kleine

7 [Mihai CANTACUZINO], [Gebrüder] TUNUSU, Constantin SION (Hgg.), lstoria politicä §i geograficä a Terei Romanesci de la cea mal veche a sa intemeere pinä la anulii 1774. ßucure§ti 1 865, 1 72 ; 1793 wurde zusätzlich das Bistum Argq gegründet: Mircea Päcu­rariu, lstoria biserciii ortodoxe romane. Vol . 2 (secolele XVII §i XVIII) . Bucure§ti "1994, 436f.; das unter osmanischer Herrschaft stehende ßräila verfügte über ein eigenes ortho­doxes ßistum von "Proilavia", gegründet zwischen 1 538 und 1590, aufgelöst 1828, ebd. 467-474.

8 COMAN, I'utere (wie Anm. 6), 95. 9 Zu den bibliographischen Angaben der Karte siehe weiter unten, Anm. 87; Autor der Karte

ist nicht wie bislang in der H istoriographie angenommen der Stolnic Consrantin Cantacu­zino, sondern loannis Komninos, griechischer Gelehrter und Leibarzt Constantin Branco­veanus, dazu der überzeugende, wenn auch in unkonventioneller Form publizierte Artikel von Timotei RAD, Ioannis Komninos autorul hiiqii Valahiei de la 1 700. Dimitrie Can­temir primul roman care a realizat 0 hartii pentru un teritoriu locuit de romani. <http:// nelucraci un.files .wordpress .com/2 0 1 3 I 0 2 I io a nnis-komni nos-a utorul-hc483 re5 a3 i i-va­lahiei-de-la-1 700-timotei-rad.pdf>, posted 24. 02. 2013 [25 Seiten]; eine Karte mit der ungefähren Lage und Ausdehnung der jude\e im 17. Jh. bei Radu SÄGEATÄ, Medieval Ad­ministrative-Territorial Structures on the Presem Territory of Romania, Review of Histor­ica! Geography and Toponomastics 1 (2006), 2 , 207-220, 2 1 1 sowie bei lancu FILIPESCU,

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Raumvorstellungen und Landesbewusstsein: die Walachei . . . 477

Walachei (Oltenien) über die Judere (Namen gemäß der 1718 erschienenen italienischen Variante der Karte); Mcchedinzio (Mchedinti), Ziul superiore (Gorj < slav. Gorni Zulj), Ziul inferiore (Dolj < slav. Dolni Zulj), Wulcia (Val­cea) sowie Rumanazzi (Romanari). Die große Walachei (Muntenien) hinge­gen umfasste die Judqe: Argis (Argq), Olto (Olt) , Teliorman (Teleorman), Muzcel (Mu§cel), Nembovizza (sie! für Dembovizza, Dambovip), Wlasca (Vla§ca), Praova (Prahova), I1fow (Ilfov) , Saccoiani (Sicuieni, auch Saac), Bu­seo (Buziiu), Ialomizza (Ialomira) und Ribinico (Ramnic, auch Slam-Ramnic, ab 1862 Ramnieu Siirat) . 1 0

Dieselbe Einteilung widerspiegelten in der zweiten Hälfte des 18 . Jahrhun­derts die Landesbeschreibungen des Offiziers in russischen Diensten, Friedrich Wilhelm von Bauer, des k.k. Offiziers Franz joseph Sulzer und des walachi­schen Großbans Mihai CantacuzirlOl l und war so noch zu Beginn des 19. Jahr­hunderts aktuell. In seiner im griechischen Original 18 19 erstmals erschienenen "Allgemeinen Geschichte Dakiens" gab der in der Walachei als Bediensteter des Woiwoden agierende, aus dem phanariotischen Umfeld stammende D ioni­sie Fotino (.6.WVUOlos <!>WTSlVOC;) einen ausführlichen Überblick über die zwölf Judere (Elsflcx) der großen Walachei (flEYcD .. Yj B),cxXlcx) und die fünf der kleinen Walachei (fllXQ<X BACXXlcx oder K(!CXÜD�CXC; MnCXVtXlOV, "Banat von Craiova"). Wertvoll sind seine Angaben vor allem aufgrund der detaillierten statistischen Angaben, die auf einer ] 815 vorgenommenen Bevölkerungszählung basierten und die im Folgenden in Tabellenform zusammengefasst sind . 12

Vechiul juder Valcea. Studiu de sociologie istoricä (I), Revista romdnd de sociologie 9 (1998),

3-4, 249-270, 250; eine minutiöse Rekonstruktion der judqe auf Grundlage der Quellen bci BAZGAN, Jude\elc Tärii Romane�ti (wie Anm. 4); zur Kritik an diesem vor allem für die ältere Zcit sehr unzuverläßigen und methodisch problematischen Werk siehe die Rezension von Marian COMAN Revista istoricd 15 (2004), 1-2,243-245.

10 Der moldauische Chronist Miron Costin zählte in seiner 1677 verfasstcn Cronica Tärilor Moldovei � i Munteniei (Cronica polonä) 15 walachische Jude\e sowie das "Land" Mehe­dinj:i auf, ließ aber Teleorman aus, Miron COSTIN, Opere. Bucurqti 1958, 215.

11 [friedrich Wilhelm von BAUER], Memoires hisroriques et geographiques sur la Valachie avcc un prospecrus d'un Atlas Geographique & militaire de la defIliere guerrc entre la Russie & la Porte Ottomane, publies par Monsieur de B***. Francfort, Leipsic 1778, 12f.,

detaillierte Beschreibung der einzelnen judcj:e mit ihren Städten und Dörfern lO6-228;

desgleichen bei Franz Joseph SULZER, Geschichte des transalpinischen Daciens, das ist: der Walachey, Moldau und Bessarabiens, im Zusammenhange mit der Geschichte des übrin­gen Daciens als ein Versuch einer allgemeinen dacischen Geschichte mit kritischer hey­heit entworfen. Des ersten oder geographischen Theils Erster Band. Wien 1781, 288-362; [CANTACUZINO], TUNUSLI, SION, Istoria politica (wie Anm. 7), 170-172; eine Karte der walachischen Juder-Einteilung um die M itte des 18. Jahrhunderts bei BAZGAN, Judelele Tarii Romanqti (wie Anm. 4), 224.

12 1l.lOvUCHOC; cD&2TEINm:, lCi"toQla TY]C; 1[(n.al1l.axla�, TC( njC; TQClV(JlA�avlac;, BAaxlac;, xal MOA­oaulac;. Ex OllXtf'OQWV 7raAalWV xal VSWTSQWV UUYYQClljlSWV. Ev Bll�VVY] TY]C; AOUCi"tQllXt; 1819,

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478

�J,lscj rumänischer Name Name

1-- . -Muntemen

�P[flv,x SIam Ramnic

;\["00(('([01) Buzau

L('(XOEV[ Siicuieni

TI(l:xxoßcx Prahova

l�uXAo�t'I�c( Ialomip

'IA'foßov Ilfov

L1ltJ.TCO�t'I(CX Dambovip

BA:xaxcx Vla�ca

TSAOC(J.CXV Tcleorman i\IotJaT�s)\o Mu�ccl i\CT�S:; Arge� 'Oho:; Olt Total Muntenien

Daniel Ursprung

Plli§i Plaiuri Dörfer

10 1 144

3 2 ]]7

5 2 186

5 1 ]]2

7 127

12 208

8 2 168

9 - 120

10 - 136

6 2 21

8 2 172

8 - 141

91 12 1652

Fami- Grenzübergänge'4 Städ-lien'! M stu D t.e"

7681 1 - 3 2

5334 - 2 - 1

10.892 15 -- 3

7132 - ') - 3

6256 -- - 4 I 2

11.7731(, - 3 2

11.937 - 10 - I

7036 - - 3 I

12.146 - - I 1

6291 - 10 - 1

10]44 - 14 - 2

6220 - - 1 1

103.442 1 60 15 20

185-314; digitales Onlinc-Faksimile http://anemi.lib.uoc.gr; teils gekürzte rumänische Übersetzung: Dionisiu FOTINO, Istoria generala a Daciei, sau a TransilvanieI, TereI Mun­tenescl a MoldoveI, Tomulü II I. Bucuresd 1859, 145-182; neueste Edition nach der Übersetzung von 1859: Dionisie FOTINO, Istoria generala a Daciei sau a Transilvaniei, Tarii Muntene�ti �i a Moldovei. Bucure�ti 2008, 543-581; zum Autor, dem Emstehungskomext und der Rezeption des Werkes Christine PHILLIOU, Communities on the Verge. Unravel­ing the Phanariot Ascendancy in Ottoman Governance, Comparative Studies in Society and

History 51 (2009), 1, 151-181, 164-169.

13 Aus der Gesamtzahl von 158.065 Familien ergibt sich bei Annahme von 5 Personen pro Familie und inklusive der 1129 familien aus Craiova (plus die nicht genannte Zahl von Bojaren und Händlern) und die "über 100.000" Einwohner aus Bukarest eine Gesamtein­wohnerzahl von ca. 900.000; darin nicht eingeschlossen sind die Bewohner der osmani­schen Gebiete von Braila, Giurgiu und Turnu. Total dürften diesen Daten gemäß auf dem gesamten Gebiet der Walachei ganz grob eine Million Einwohner gelebt haben.

" Der Text gibt für jeden juder die Grenzübergänge in die Moldau (M), nach Siebenbürgen/ Ungarn (S/U ) beziehungsweise über die Donau (0) an; bei den Übergängen über die Kar­paten nach Siebenbürgen handelte es sich meist um kleine Bergpfade; für den Juder Gorj ist nur der Übergang bei Vulcan (Schiltal, valea Jiului) vermerkt und weiterhin, dass die Bergpfade nur schwer zu begehen SeieIl.

15 Der Text erwähnt in der Beschreibung der judere folgende Städte beziehungsweise Marktflecken (kursiv der Sitz des ispravnic): SIam R amnic: Pocjani, Ramnic (Ramni­cu Särat); Buzau: Buzau; Sacuieni: Bucov, Valenii de Munte, Stinic; Prahova: Ploiejti,

Filipqti, Campina; D ambovifa: Targovifte; Mu§cel: Campulung; Argc§: Pitejti, Curtea de Arge�; Ialomita: Ora�ul de Floci, Urziceni; I1fov: Bukarest, GherghiIa; Vla§ca: Gaejti;

Teleorman: RUjii de Vede; Oie Slatina; Valcea: Ramnic, Ocnele Mari; Gorj: TdrguJiu,

Carbunqti; Romanati: Caracal; Dolj: Craiova; Mehedinti: Cerneti, Calafat. 16 Ohne Bukarest; dessen Einwohnerzahl wird mit "über 100.000" angegeben.

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Raumvorstellungcn und Landesbewusstsein: die Walachei ... 479

griechischer rumänischer Pla�i Plaiuri Dörfer Familien

Grenzübergänge Städ-Name Name M sm D te

Oltenien PW[lCXV'Xc(l Romanari 9 - 124 7396 - - 2 1

Bou),:r(cx Valcea 9 2 175 12.014 - - - 2

110Asl Dolj 10 - 146 10.31517 - ._. 5 1

l'oC(l Gorj 8 2 230 10.522 - 1 2

Mssolvc(l MchedinIi 11 1 293 14.376 - 33 - 2

TotalOltenien 47 5 968 54.623 - 34 7 8

Total Walachei 138 17 2620 158.065 1 94 22 28

Vom späten 16. Jahrhundert bis zu Beginn des zweiten Drittels des 20. Jahr­hunderts blieb die Einteilung in Judqe in ihrer äußeren Form in groben Zügen konstant. Ihre Funktionsweise war jedoch grundlegenden Änderungen unter­worfen, vor allem durch die ab 1740 umgesetzten Reformen des Woiwoden Constantin Mavracordat (von 1730 bis 1763 sechsmal walachischer Woiwode), deren Ziel in einer stärkeren Zentralisierung der Verwaltung und einer effekti­veren Kontrolle des Woiwoden über die Jude�e bestand.

Während in der Kleinen Walachei der Ban von Craiova als Stellvertreter des Woiwoden amtete (ab 1761 mit Sitz in Bukarest) hatte östlich des Olt, in den zwölf Judeten der Grogen Walachei, der Grog-Vornic rechtssprechende Kompetenzen, bis Muntenien 1761 diesbezüglich zweigeteilt wurde: Fortan war je ein Groß-Vornic für den westlichen Teil der Großen Walachei, das so genannte Oberland (Tara de Sus: Dambovip, V la§ca, Teleorman, Mu§cel, Arge§ und Olt) und für das Unterland (Tara de Jas: Siam Ramnic, Buzau, Sacuieni, Prahova, Ialomita und Ilfov) zuständig. Diese Einteilung, die in ähnlicher Form vorübergehend schon im 17. Jahrhundert existiert hatte18, war rein administrativer Natur, anders als in der Moldau, wo die als namensge­bendes Vorbild dienenden Bezeichnungen Ober- und Unterland über eine lange historische Tradition verfügten.19 1780 erliess der Woiwode Alexandru

l7 Ohne Craiova; dessen Einwohnerzahl wird mit 1129 familien (ohne Bojaren und Händ­ler) angegeben.

IX N ICOLAE STOICESCU, Sfatul domnesc §i marii dregatori din Tara Romaneasca §i Moldova (sec. XIV-XVII). Bucure�ti 1968, 187.

19 Zur Einteilung Mappa specialis Walachi;e ex acuratissimis singulorum districtuum ichno­graphiis collecta, delineata, et dedicata excellentissimo domino comiti dc Hadik sac: c;es: reg: apost: Mattis consiliario intimo, camp i mareschallo [et] supremi consilii aul;e bellici pr;esidenti per F. J os. Ruhedorf in offis c;es: reg: ad suprem: armor: pra:fecturam ; Hier. Bcnedicti scrip. ; Kil. Ponheimcr sculp. 0.0. 1788; SULZER, Geschichte (wie Anm. 11),

275; Nicolae BÄNESCU, Viara §i opera lui Daniel (Dimitrie) Philippide. Cartea sa de­spre pamantul romanesc: l'swyccxqll){OV cYjC; Pou[louvlcxC; (Leipzig 1816). Bucure§ti 1924,

192-194. Leicht abweichende, weniger stimmige Angaben bei (j)QTEINOZ, IcnoClcx (wie

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480 Daniel Ursprung

Ipsilanti ei nen Gesetzeskodex (LuvccxY[LCeTlov VO[LlXOV, rum. Pravilniceasca condicd), in dem unter anderem der "treapad" für jeden Judq festgelegt wurde, eine Gebühr für Dienstleute, die vom Gericht vor Ort entsandt wurden: I lfov (225 bani), Vla§ca (320), Buzau, Sicuieni, Prahova, Dirnbovira, Teleorman (450 bani), Ialomira, Mu§cel, Arge§, Olt, Romanari (600 bani), Siam Rimnic, Vilcea, Dolj (750 bani) sowie Gorj und Mehedinri (900 bani).20 Die mit zu­nehmendcr Entfernung von Bukarest in konzentrischen Ringen ansteigende Gebühr widerspiegelt nicht allein dic Distanz, sondcrn kann als grober Indi­kator dienen für die vcrkehrstechnischc Erschließung und Zugänglichkeit von der Hauptstadt aus21, für die Mühsal, dic ein Dienstmann für den Weg auf sich nehmen musste. So fiel der Juder Ialomira, obwohl dem auch Bukarest umfas­senden Juder I 1fov unmittelbar benachbart, in die vicrte Gebührenkategoric, wohl weil der Judet größtenteils aus der unwirtlichcn Baragan-Steppe bestand. Die Gebühr widerspiegelte damit die am Woiwodenhof existiercndc Vorstel­lung dcr Raumstruktur und ist ein Indiz für die zunehmende Zentralisierung, hier des Gerichtswesens.

Die beiden einzigen wesentlichen Veränderungen der ludet-Struktur be­treffen den Juder Sicuieni (seit Mitte 17. Jahrhunderts auch als Saacabgekürzt), der auf Anfang 1845 aufgelöst und auf die beiden Nachbar-Judete Prahova und Buzau aufgeteilt wurde22 sowie den J uder BraiIa, der nach dem Ende der osma­nischen Herrschaft über die Stadt und ihr Umland 1 829 neu gegründet wor­den war23, womit wieder eine Gesamtzahl von siebzehn Juderen erreicht war.24

Anm. 12); siehe auch GIURESCU, Istoria romanilor. [Vol.] 3, partea a doua: dela moartea lui M ihai Viteazul pa na la sfar�itul cpocci fanariote (1601-1821). Bucurqti 1946, 473f.; [CANTACUZINO], TUN USLI, SION, Istoria politicä (wie Anm. 7), 22.

20 IWrXvvY]�-AAs�lXvoQoc; Y'PI L\M\TI-I2:, LUVTlXYflomov VOfllliOV. TIsQl SlHIX�lw; XIXI TOt) liIXO�­

XOVWC; SliOUHOU "twv liQl"tY]Qlwv lilXl TWV Otptpllilwv wu 71:QIVT�lT(rXWt) TY]C; ßAIXXllXc; ( ... ). Bou­liOUQ8CHl 1780, 12v; kritische Edition Andrei R ÄDuLEscu, Alexandru COSTIN (Hg.), Pravilniceasca condicä, 1780: editie criticä. [Bucure§ti] 1957.

21 Angaben zur Dauer, in der verschiedene Wegstrecken innerhalb der Walachei zurückgelegt werden konnten in Ignatij r. ]AKOVENKO, Nynesnee sostojanie tureckichN knjazestv" Moldavii i Valachii, i Rossiiskoj Bessarabskoj oblasti SN kartojü. SanktpeterburgN 1828, 32, 137-154 (auszugsweise rumänische Übersetzung des Buches in Paul CERNOVODEANU (Hg.), Calatori straini despre Tärile Romane In secolul a l XIX-Iea. Serie nouä. Vol . 1

(1801-1821). RUCLue§ti 2004, 817-904). 22 Constantin C. GIURESCU, Dinu C. GIURESCU, Istoria romanilor. [Vol.l 1: Din cele mai

vechi timpuri plna la Imemeierea statelor romane§ti. Rucure�ti 1975, 210.

23 COIlStantin C. GIURESCU, Istoricul ora§ului Braila din cele mai vechi timpuri panä astäzi. Braila '2002, 144; bereits zwischen 1806 und 1812 war der jnder vorübergehend wieder gegründet worden, ebd. 89.

24 Eine kurze Beschreibung der 18 walachiscben ]udere (inklusive Bräila und Säcuieni) zu Beginn der 1 840er Jahre bei Stephan Adolph WILHELMI, Kurze statistische Uebersicht des Fürstenthums Walachei. Kronstadt 1842, 32-46.

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Rallmvorstellungen und Landesbewusstsein: die Walachei . . . 481

Erst mit der Diktatur König Carols 11. 1938 brach eine drei Jahrzehnte dauernde Zeit an, in der die verschiedenen politischen Regime in kurzen Ab­ständen neue formen der Regionalverwaltung einführten, bevor die Reform von 1968 zumindest vordergründig wieder an das traditionelle J uder-System der Walachei anknüpfte. 1938 wurde Rumänien in insgesamt 1 0 Regionen (Tinut, Plural Tinuturi) gruppiert, was bereits 1 940 aber wieder rückgängig gemacht wurde.25 Einen fundamentalen Einschnitt in die Verwaltungsgliede­rung der Walachei, die bisher weitgehend die historisch gewachsene Situation bewahrt und nur punktuell modifiziert hatte, stellte die frühsozialistische Zeit dar, als ganz Rumänien von 1950 bis 1968 nach sowjetischem Vorbild in Re­gionen aufgeteilt worden war und der Judet als Verwaltungseinheit aufgehört hatte zu existieren. In kurzer Abfolge ( 1950, 1952, 1956, 1%0) wurde die Ver­waltungsstruktur umgebildet und die Anzahl der Region und ihrer Unterein­heiten (Raion, pI. Raioane) sukzessive verringert.26

1968, drei Jahre nach Ceau�escus Machtantritt, wurde die Einteilung in Regionen und Raioane wieder durch die 1950 abgeschafften Judere ersetzt, allerdings in neuem Grenzverlauf, der weniger historisch gewachsenen Zu­sammenhängen als vielmehr administrativen Erfordernissen gehorchteY Die Judete Romanafi, Mu§cel und Riimnicu Sirat wurden nicht wieder eingeführt und ihr Territorium unter den benachbarten Kreisen aufgeteilt. Seit 1968 ragt auch der Judet Mehedinri über die Westgrenze der einstigen Walachei bei der Mündung der Bahna in die Donau (einige K ilometer östlich von Or�ova und der durch das Kraftwerk Eisernes Tor gefluteten Donauinsel Ada Kaleh) ins Banat hinein. Die historischen Außengrenzen der Walachei widerspiegeln sich daher nicht mehr in den heutigen Judet-Grenzen. Bereits mit der Verwaltungs­reform von 1950 wurden an diversen Stellen Gebiete zu Verwaltungskreisen benachbarter historischer Regionen geschlagen, so etwa die Stadt Foqani mit einem schmalen Streifen der historischen Walachei südlich davon zur südwest­lichen Moldau (nach der Wiedereinführung der Judere zum Judet Vrancea) oder Predeal im oberen Prahovatal zu Siebenbürgen (Judet Bra§ov).

25 Ebd., 125f.; Ion ALEXANDRESCU, Ion BULBI, Ion MAMINA et al. (Hgg.), Enciclopedia de istorie a Romaniei. Bucurqti 2000, 470-472.

2(, M ihai T. OROVEANU, Organizarea administrativa !/i sistematizarea teritoriullli Republicii Socialiste Romania. Bucure!/ti 1986, 213-216; Ioan Silviu NISTOR, Comuna !/i judetul. ractori ai civilizaiiei romanqti lInitare. Evoilliia istorica. Clllj-Napoca 2000, 131f.; GIURESCU, Istoria Romaniei In date (wie Anm. 2), 522f., 531, 598; siehe aueh die Karte in Vietor TUFESCU (Hg.), Atlas geografie Republiea soeialista Romania. Bueure�ti 1965,

102f.; Ronald A. HELIN, 'lhe Volatile Administrative Map of RlImania, Annals 0/ the Asso­ciation 0/ American Geographers 57 (1967), 3, 481-502, 493-500.

27 OROVEANU, Organizarea administrativa (wie Anm. 26), 280.

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482 Danie! Ursprung

1981 wurden zwei neue Judere geschaffen: Giurgiu (im Wesentlichen auf dem Territorium des einstigen Juder Vla§ca) und der völlig neue Juder Cilara§i im südlichen Baragan.28 Die Gründung dieses Juder trug der gewachsenen Bedeutung der Gegend der südlichen Baragan-Steppe und entlang des Unter­laufs der Donau Rechnung, die vor dem 19. Jahrhundert extrem dünn besiedelt war und wo erst nach 1829 gröfSere Siedlungen entstanden. Die administrative Neuordnung ging auch mit neuen Grenzziehungen und Namen einher. Als Verwaltungseinheiten spielen die Judere zwar durchaus eine Rolle im Alltag der Bevölkerung, allerdings ist eine auf die Judere bezogene Regionalidentität nur wenig ausgeprägt, wohl mit eine Folge des nationalstaatlichen Zentralis­mus und der häufigen Veränderung administrativer Strukturen im 20. Jahr­hundert. Die Umstrukturierung von 1981 etablierte die im Prinzip noch heute gültige Verwaltungseinteilung. Neben dem Munizipium Bukarest umfasst die Walachei somit derzeit fünfzehn Judere, die mit Ausnahme von Giurgiu und Calara§i alle historische Namen tragen, jedoch territorial historisch gewachse­ne Zusammenhänge nur ganz grob abbilden. Doch lässt gerade die historische Entwicklung der Judere Rückschlüsse auf regionale Verschiebungen in der Binnenstruktur der Walachei zu.

Die Ende 184429 erfolgte Auflösung des Juder Sacuieni (zwischen den Juderen Prahova und Buzau gelegenen) hing mit der Änderung der HandeIsrou­ten zusammen. Das Tal des Teleajen mit seinen Seitentälern, die zentrale Achse des Juder mit Slanic, Valeni i de Munte und Bucov als wichtigsten Zentren (Karte 2), war lange Zeit der bedeutendste Verkehrsweg zwischen Kronstadt und der östlichen Walachei gewesen. Ab dem späten 18 . Jahrhundert verlagerte sich der Verkehr zunehmend in das weiter westlich gelegene Prahovatal, das bisher über einen nur mit Saumtieren begehbaren Bergpfad mit Siebenbürgen verbunden gewesen war. Zwischen 1736 und 1739 wurde der Pfad zu einem Handelsweg und 1846-1850 zu einer StrafSe ausgebaut. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann sich das Prahovatal rasch zu entwickeln, als mit dem Abbau von Kohle und der Erdölförderung auch die Frühindustria­lisierung Einzug hielt.30 Der Bau der königlichen Sommerresidenz oberhalb des Klosters Sinaia und die 1 876-1879 errichtete Eisenbahnlinie durch das

28 0ROVEANU, Organizarea administrativa (wie Anm. 26), 283; ALEXANDRESCU, BULE!, MAMINA, Enciclopedia de istorie (wie Anm, 25), 4S0.

29 Eeaterina ZAHARESCU, Veehiul jude} al Saaeului In lumina istorica �i anttopogeografica, Buletinul societdfii regale romane de geografie 40 (1922), 147--17 1 , 163, detaillierte Karte 160f:

30 SÄGEATÄ, Medieval Struetures (wie Anm. 9), 209; Ceorge VALSAN, M orfologia vaji su­perioare a Prahovci �i a regiunilor veeine, Buletinul societdtii regale romane de geografie 58 (1939), 1-44, 9f:

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Raumvorstellungen und Landesbewusstsein: die Walachei . . . 483

PrahovataPl , die seither Bukarest mit dem siebenbürgischen Kronstadt (und \\7esteuropa) verbindet, wirkten sich günstig auf den im ausgehenden 19. Jahr­hundert einsetzenden Tourismus ein. Im späten 19. Jahrhundert entstand am Grenzübergang nach Siebenbürgen die Ortschaft Predeal, die sich im 20. Jahr­hundert zur Stadt entwickelte. In den ersten vier Jahrzehnten des 20. Jahrhun­derts entwickelte sich die Bevölkerungszahl des oberen Prahovatals, das von einer Reihe von Kleinstädten (Predeal, Azuga, Bu�teni, Sinaia) gekennzeichnet ist, rasch.-?2 Im 20. Jahrhundert avancierte das einst verlassene Bergtal zu einer der bedeutendsten Tourismusregion Rumäniens und zur wichtigsten transkar­patischen Verkehrsachse des Landes. Einen ähnlichen Bedeutungsverlust wie Sacuieni erfuhr auch der Juder Mu§cel mit seiner Hauptstadt Clmpulung, im Spätmittelalter eine der wichtigsten Städte der Walachei dank der Handelsver­bindungen nach Kronstadt, der hier durchführenden Transitrouten durch das Tal der oberen Dambovira und der Nähe zu den frühen Woiwodenresidenzen in Arge� und und Targovi§te. Dem Bedeutungsverlust - bei der Neueinfüh­rung der Judere 1968 wurde Mu§cel dem benachbarten Argq zugeschlagen - lag auch hier die Verschiebung des Hauptverkehrsweges ins Prahovatal zu Grunde. Der gebirgige Norden des Juder war außerdem dünn besiedelt, der Süden hingegen lag im Einzugsbereich von Pite§ti, mit dessen Entwicklung im späten 1 9. und im 20. Jahrhundert das verkehrstechnisch ungünstiger ge­legene Campulung nicht mitzuhalten vermochte. Mu�cel gehörte auch zu den kleinsten Juderen der Walachei und lag in der Zwischenkriegszeit auf dem letzten Platz bezüglich der Bevölkerungszahl, flächen mäßig nach Olt auf dem zwei tletzten.

Einen B edeutungszuwachs, der sich in der 1981 erfolgten Gründung des Judet Cilara§i manifestiert, verzeichnete ab dem frühen 19. Jahrhundert auch die Region entlang der Donau und die einst fast menschenleere33, bis weit ins 20. Jahrhundert hinein außer als Sommerweide wirtschaftlich kaum genutzte Baragan-Steppe im Südosten, die erst im Sozialismus in größerem Umfang urbar gemacht wurde. Die Marktflecken Calara§i, Oltenira und Fetqti hatten bereits nach dem Frieden von Adrianopel 1 829 durch den Getreidehandel eine

3j Dumitru P. !ONESCU, Costruirea liniei ferate Ploie�ti - Predeal, Studii. Revistd de istorie 39 (1986), 1, 86-9'5, 90, 93.

32 Vasile Cucu, Valea superioara a Prahovei - wna de intensa urbanizare, Terra. Revistd de informare geograjicd a societdtii de itiinte geograjice din R. S. Romania 20 (40) ( 1988), H. 3-4, 1 03-1 16, 106.

3 3 Der Baragan war weitestgehend unbesiedclt, besonders der Teil südlich der Ialomita; die wenigen Ortschaften lagen meist entlang der Ialomita und der Donau, siehe etwa Topogra­phische Karte Der Grossen und Kleinen Wallachey, aus verschiedenen Recognoscirungs­Plaenen des k. k. General-Quartier-Meister-Stabs im Jahre 1790 zusamengetragen. [Wien] , 18 12 , Blatt 3; digitale Online-Reproduktion unter http://teca.bncf.firenze.sbn.it.

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484 Daniel Ursprung

stürmische Entwicklung erlebt und waren planmäßig ausgebaut worden.?'! Der Bau der ersten, 1 869 eröffneten Eisenbahnlinie des noch jungen rumänischen Staates von Bukarest nach Giurgiu zeigt, welche Bedeutung die Donau-Region zu diesem Zeitpunkt bereits erlangt hatte.55

Langfristig gesehen verlagerte sich also der Schwerpunkt innerhalb der Raumstruktur etappenweise vom nördlichen Hügelland nach Süden in die Ebene, was sich besonders anschaulich am walachischen Städtenetz nachver­folgen lässt. Die ältesten und zahlreichsten städtischen Zentren und Marktflek­ken der Walachei sind im Hügelgebiet im Norden zu finden sowie, besonders ausgeprägt in der Großen Walachei, in der Kontaktregion, wo die Hügel des Karpatenvorlandes in die Ebene auslaufen - so Städte wie Pite§ti, Targovi§te, Ploiqti und Buzäu, aber auch Ramnicu Särat und Foc§ani.·36 Am Ausgang des 15 . Jahrhunderts stiegen die südlich davon in der Ebene liegenden Städte Bukarest (Erstbeleg 1459) und Craiova (1475) schnell auf und überflügelten in ihrer politischen, wirtschaftlichen und demographischen Bedeutung die alten Zentren im Hügelland. Ab dem zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts entwik­kelte sich schließlich im äußersten Süden entlang der Donau eine Reihe von Klein- und Mittelstädten. Wichtigstes Zentrum an der Donau war wie bereits im Mittelalter Bräila, nun in Konkurrenz zu dem nahegelegenen Galari, das im späten 15 . Jahrhundert wohl als Ersatz der osmanisch gewordenen Hafen­städte Chilia und Cetatea Albä als einziger Hafen der Moldau zur Stadt ange­wachsen war. Neben Bräila (1538) fielen am walachischen Donau-Ufer Giur­giu (über dessen vorosmanischen Charakter wenig bekannt ist) sowie die Burg Turnu (Turnu Mägurele) gegenüber von Nikopolis um 1417 unter osmanische Herrschaft. Drei bedeutende Orte am Donauufer unterstanden damit nicht mehr walachischer Kontrolle, während die wenigen anderen Zentren entlang des Flusses wie Severin ab dem 16. Jahrhundert allmählich verfielen. Einzig die Stadt Floci (Ora�ul de FIoci) konnte sich noch bis ins 18 . Jahrhundert halten, bis es gegen Ende des Jahrhunderts zur Wüstung wurde.

Erst im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts änderte sich die Situation grundlegend, als ein eigentlicher Gründungsboom von Städten entlang der

34 Inwiefern der Aufschwung besonders der Donauregion auf das Verschwinden osmanischer Handclsbeschränkungen oder verstärkter Nachfrage zurückgeht, ist noch nicht zufrie­deIlSteIlend geklärt, siehe Bogdan MURGESCU, Some ConsideratoIlS on Romanian Histo­riography About Ottoman-Romanian Commercial Relations, Romano-Turcica, 1 (2003), 127-140, 138f.

35 Const. C. MÄNESCU, Istoricul cailor fe rate din Romania. Vol. I. Bucure�ti 1906, 383f, 490-492; Bucur TINcu, ComrihuJ:ii la istoria cäilor fe rate din Romania. Idei �i probleme in perioada 1859-J 869, Studii. Revista de istorie 24 (1971), 5 , 951-%2, 957.

36 Gh. ZAGORIT, Targuri Ji orase lntre Buzau, TargoviJte Ji BucureJti in desvoltare istori­co-gcograficä, economicä Ji comercialä. BucureJti o. J. [ca. J937], 88-105.

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Raumvorstellungen und Landesbewusstsein: die Walachei . .. 485

Donau einsetzte. Das Nordufer des Flusses stand seit der Rückgabe der drei osmanischen Gebiete 1 829 auf ganzer Länge zwischen dem Eisernen Tor und Briila unter walachischer Kontrolle. Einige bereits im 18 . Jahrhundert beste­hende Orte wie Calafat und Cilira�i erlebten jetzt einen raschen Aufstieg zu regional bedeutenden Marktzentren und Verwaltungssitzen, während eine ganze Reihe von Städteneugründungen entlang der Donau und im weiteren Hinterland der walachischen Tiefebene zu verzeichnen warerl. Meist wurden sie auf unbebautem Land in der Nachbarschaft von Vorgängersiedlungen er­baut (Corabia, Turnu Magurele, Oltenira) oder auf freiem Feld gänzlich neu gegründet wie Turnu Severin oder Alexandria.57 Die nach dem Fürsten Alex­andru Ghica benannte, ab 1 834 erbaute Stadt war eine der ersten Neugrün­dungen dieser Phase. Der Fürst, der sich als Erneuerer dezidiert vom alten politischen System abgrenzte, stilisierte die Stadtgründung zum Symbol einer neuen Ära, Alexandria wurde als leuchtendes Vorbild für andere Gründungs­projekte angepriesen.38

Von der stürmischen Entwicklung des Agrarexports über die Donau, die nach 1 829 einsetzte, profitierten besonders Orte, die auf eigens zur Stadtgrün­dung aufgekauftem Land neu errichtet worden waren und daher von keinen Grundlasten in ihrer Entwicklung behindert wurden. Die neue Bedeutung der Donau als Verkehrsweg reflektiert sich in der Verschiebung mehrerer Juder-Verwaltungssitze vom Hinterland an die Donau, so im Falle der Judere Ialomira (Calara�i anstelle von Urziceni), Vla�ca (Giurgiu anstelle von Gae�ti),

37 Die faszinierende und für die walachische Städtclandschaft zentrale Phase ab den 1 830er Jahren mit der Gründung neuer Planstädte und dem systematischen Ausbau bestehender Zentren ist bislang wenig erforscht, siehe einige grundlegende Bemerkungen bei Nicolae LASCU, Epoca reglliamentara §i urbanismllL Cheva observatii generale, Historia urbana 2 (1994), 2, 119-1 30; zum Handel Narcisa Maria MITu, Evolulia comerrului romanesc in porturile dunarene oltene in secolul al XIV-lea si prima jumatate a secolului al XX-lea, Arhivele Olteniei 23 (2009), 1 21-1 34; siehe auch Drago§ BUGÄ, Ora�ele dimre Carpaj:i �i Dunarc in secolele XIX �i XX. Repartirie teritorialä �i evoluj:ie demografica. Bucure�ti 2005; zu einzelnen Städten Literaturangaben in Vasile CIOBANU, Anda-Lucia SPANU, Ju­dith PAL (Hgg.), Bibliografia istorica a ora§clor din Romania. Bucure�ti 2008 .

. 1X Zur Entstehungsgeschichte von Alexandria I lie CORfUS, Lupta de clibcrare a ora�elor �i tlrgurilor din Tara Romaneasca sub regulamentul organic, Studii ;i materiela de istorie modernd 5 (1975), 7-67, 50f.; Gheorghe POPA, Maria GEORGESCU (Hgg.), Documente privind istoria ora�ului Alexandria, 1 833-1982. Bucurqti 1 984, v. a . 1 3f., 78-87; Ilie 1. CATALINA, Ora§ul Alexandria (monografie), 1834-1934. Bucure§ti 1934, 9-34; Petre GA�TESCU, Constanj:a RUSENESCU, Ariadna BREIER, Jude\ul Teleorman. B ucure�ti 1976, 104; die Rolle Alexandrias als städtebauliches Symbol einer neuen Ära unter Fürst Ghica kommt etwa in einem zeitgenössischen Theaterstück deutlich zum Ausdruck, siehe H. BUVELOT, G. STORHAS, Aujourd'hui ou la St. Alexandre. A propos-vaudeville, in DIES., Souvenirs du 30 Aout 1 838. Dedie a S. A. Ser. A. D. Ghika Prince regnant de Valachie. Bucure�ti 1 838 , etwa 74f., 96-98 .

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486 Daniel Ursprung

Teleorman (Turnu Magurele anstelle von Ro§iorii de Vede) und Mehedinti (Turnu Severin anstelle des nahegelegenen Cerneri).l9

Heute zeichnet sich die Walachei bezüglich der wirtschaftlichen Entwick­lung durch ein großes Gefälle aus. Bukarest ist landesweit mit weitem Abstand das dynamischste Zentrum: rund ein Viertel des rumänischen Bruttoinland­produktes entfällt auf den Großraum Bukarest (die Hauptstadt und den Juder Ilfov). Innerhalb der Walachei ist es vor allem das Dreieck Bukarest - Ploiqti - Pite§ti sowie das Prahovatal (die Judere Argq, Dambovip, Prahova, I lfov so­wie Bukarest), in dem sich ein guter Teil der Wertschöpfung konzentriert, das eine relativ hohe Bevölkerungsdichte aufweist und verkehrstechnisch gut er­schlossen ist. Darüber hinaus sind einige im Sozialismus stark industrialisier­te Zentren wie Braila, Buzäu, Craiova oder Ramnicu Valcea von Bedeutung, während die Mehrzahl der Kleinstädte nach 1989 durch den Zusammenbruch der Planwirtschaft unterschiedlich stark in Mitleidenschaft gezogen worden ist. Vor allem die südlichen Gegenden der Walachei, so die Judere Teleorman, Giurgiu, Cälära§i und Ialomip, sind schwach entwickelt und überwiegend agrarisch geprägt. Auf relativ kleinem Raum - etwa im Vergleich zwischen Bukarest und Giurgiu, einem der landesweit ärmsten Judere - existiert in­nerhalb der Walachei ein großes sozio-ökonomisches Entwicklungsgefälle, das etwa bezüglich Arbeitslosenrate, Einkommensunterschiede oder Bruttoinland­produkt (pro Kopf der Bevölkerung in Buhrest mehr als viermal höher als im Juder Giurgiu) praktisch die gesamte innerrumänische Bandbreite abdeckt.40 Auch wirtschaftlich ist die Walachei also alles andere als ein homogener Raum.

DIE WALACHEI: EIN LAND MIT VIELEN NAMEN, EIN NAME MIT VIELEN BEDEUTUNGEN

Der Name Walachei leitet sich von der Gruppenbezeichnung "Walachen" (Vlachen) ab. Der Wortstamm von "V lachen" geht auf eine Fremdbezeichnung in germanischen Sprachen für keltische Gruppen zurück (vgl. "Wales") und wurde später auch auf romanischsprachige Gruppen bezogen (vgl. "welsch") . In Südosteuropa tritt der Name als Exonym Romanischsprachiger ab der zwei­ten Hälfte des 1 0. Jahrhunderts (976) quellenmäßig in Erscheinung, nachdem ein sehr unsicherer Beleg aus dem Jahr 586 zuletzt romanischsprachige Be­wohner der Balkanhalbinsel belegt hatte. Der Begriff Vlache nahm jedoch je

39 Crisrache STAN, Octavia BOGDAN, Juderul Ialomip. Bucure§ti 1971, 10. 40 Nach Judqen aufgeschlüsselte Angaben zum Zeitraum 2008-2015 in Comisia Na\ionala

de Prognoza: Proieqia principalilor indicatori economico - sociali In profil territorial pana In 2015. Iuaie 2012, http://www.cnp.ro/userlrepository/prognoza_regiuni_2012-2015.pdf [4.3.2013].

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Raumvorsrellungen und Landesbewusstsein: die Walachei . . . 487

nach Kontext unterschiedliche Bedeutungsvarianten an und konnte sich auf Personengruppen ethnisch-sprachlicher (romanischsprachig), sozialer (Hirte, Viehzüchter), konfessioneller (Orthodoxe) oder rechtlicher-fiskalischer Art (Steuerkategorie) beziehen.41

Ab wan n romanischsprachige Bevölkerungsgruppen, die dann ebenfalls mit dem Vlachenbegriff belegt wurden, nördlich der unteren Donau anzutref­fen sind, ist umstritten, worauf hier jedoch nicht näher eingegangen werden kann. Die ältesten hochmittelalrerlichen Belege für "Walache" und, im Sinne von "Gebiet der Walachen" davon abgeleitet, "Walachei" (in den jeweils unter­schiedlichen sprachlich-orthographischen Varianten) beziehen sich generisch auf die östliche Romania, auf d ie romanischen Sprachgemeinschaften der Bal­kanhalbinsel. D ie Woiwodschaft nördlich der unteren Donau war nach ihrer Entstehung im frühen ]4 . Jahrhundert daher bloß eine unter mehreren südost­europäischen "Walacheien".42 Andere "Walacheien" existierten im Mittelalter etwa in Thessalien oder im südlichen Pindos - also klar südlich der Donau.43

I n historischer Zeit tauchte das Gebiet der späteren Woiwodschaft Wa­lachei unter verschiedenen Namen auf. I n der römisch-byzantin ischen Welt waren im Laufe der Jahrhunderte diverse Quellenbegriffe in Gebrauch, welche

41 Zu den Vlachen Birgül DEMIRTA�-CO�KUN, The Vlachs. A Forgotten Minotity in the Bal­kans. London, Portland 2001 , v. a. 8f. (Ankara Paper, 1) ; T. J. WINNIFRITH, The Vlachs. The Hisrory of a Balkan People. New York 1987, etwa 89, 1 14-125; P. NÄSTUREL, Les Va­laques balcaniques aux Xe-XIIIe siecles, Byzantinsiche Forschungen 7 (1979), 89-1 12; zur Rolle der Kumanen für die Frühgeschichte der Walachei Paul STEPHENSON, Byzantium's Balkan Frontier. A Political Study of the Northern Balkans, 900-1 204. Cambridge 2000, 288-294, 300-305, 309-312; Radu �tefan VERGATTI, Romani, bulgari, cumani §i tatari la Dunarea de Jos in prima jumatate a secolului al XVIII-lea, Studii ji materiale de istorie medie 21 (2003), 71-9 1 , 79-81 ; Bogdan BURTEA, Farbsymbolik zwischen Legende und moderner Geschichtsschreibung, Archaeus. Studies in History 0/ Religions 8 (2004), 61-78, etwa 75-77; eine ausführliche Bibliographie zu allen "Vlachen", "Walachen" etc. genann­ten Gruppen in Südost- und Ostmitteleuropa auf der von der Abteilung für rumänische und südosteuropäische Geschichte der Universität Bukarest unter der Leitung von Marius DIACONESCU betreuten Website http://www.vlachs.ro mit 650 Titeln in weit über einem Dutzend Sprachen [2. 1 2.2013] .

42 Giuseppe STABILE, Valacchi e Valacchie nella letteratura francese medievale. Roma 2010 (Collana. Esercizi di lettura, 14), 45-48; eine Liste mit QuellenbeIgen für "Walache" und "Walachei" vom 12. bis 15. Jahrhundert 197-203.

43 WINNIFRITH, The Vlachs (wie Anm. 4 1) , 1 14 , 1 19, 121 ; Asterios 1. KOUKOUDIS, The Vlachs. Metropolis and Diaspora. Thessaloniki 2003, 83-86; daneben weisen zahlreiche flurna­men in Südosteuropa auf Walachen hin, siehe etwas Mihailo St. POPOVIC, Spätbyzantini­sche Siedlungen und wlachische Transhumanz in den Flusstälern der Strumica und Kriva Lakavica, in: Wolfgang DAHMEN u. a. (Hgg.), Südosteuropäische Romania. Sicdlungs-I Migrationsgeschichte und Sprachtypologie. Romanistisches Kolloquium XXv. Tübingen 2012 (Tübinger Beiträge zur Linguistik, 532), 227-240, 232.

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488 Danicl Ursprung

sich ganz oder teilweise auf das Gebiet nördlich der unteren Donau bezogen und dieses jeweils als Teil des "Barbaricum" auswiesen, mit Verweis auf dort lokalisierte stereotype Völkernamen, so etwa Gothia, Gepidia, Patzinakia (in byzantinischen Quellen für "Petschenegenland"), Cumania oder TartariaY Die Humanisten griffen in ihren Schriften auf solche Namen zurück, die sie in antikisierender Weise gebrauchten. In seiner ungarischen Chronik vermerkte etwa der Humanist Antonio Bonfini im 15 . Jahrhundet, König Kar! sei "mit den obigen Legionen in Walachey gezogen/wider die Walt/cher/die jetzund des Go­then Lt/nd besitzen".4) Erst mit der Herrschaftsbildung im frühen 14. Jahrhun­dert entstand ein politisches Gebilde, das mit dem Namen Walachei bezeich­net wurde, der auf dem Balkan bereits mehrfaeh verwendet wurde.

Eine der ältesten Bezeichnungen für die Woiwodschaft lässt sich auf das ökumenische Patriarchat in Konstantinopel zurückführen. Dieses verlegte 1 359 die Metropolie von ViCina in der Dobrudscha nach Argq (Curtea de Arge§), schuf damit die erste walachische Metropolie (ab 1517 in Targovi§te, ab 1668 in Bukarest, seit 1925 Patriarchie) und verlieh ihr den Namen Un­grovlachia (OuyYQOßA<XXlIX).46 Auf der Balkanhalbinsel existierten im Mittelal­ter mehrere als "Vlachia" bekannte Gebiete, weshalb die Referenz auf das be­nachbarte Ungarn hinzugefügt wurde (zu weiteren Regionen mit dem Namen Walachei siehe unten). Der Name Ungrovlachia wurde von den Woiwoden übernommen, die sich beim Aufbau der Herrschaftsstrukturen am kirchlichen Vorbild orientiertenY Offiziell blieb der Begriff Ungrovlachia bis 1 990 in Ge­brauch, als sich die Metropolie mit Sitz in Bukarest in "Mitropolia Munteniei Ji Dobrogei" umbenannte.48

Aus der Bezeichnung Vlt/chia, in etwa "eine von Vlachen bewohnte/be­herrschte Gegend", leiten sich diverse weitere Namensvarianten in verschie­denen Sprachen ab, so im Deutschen "Walachei", in südslawischen Idiomen

44 Victor SPINE!, Moldova in secolele XI-XlV. Bucure§ti 1982, 33-39; Istvany VASARY, Cumans dnd Tatars. Oriental Military in the Pre-Ottoman Balkans, 1 1 85-1365 . Carn­bridge 2005, 137-139 ; Adolf ARMBRUSTER, Der Donau-Karpatenraum in den Mittel- und Westeuropäischen Quellen des 10.-16. Jahrhunderts. Eine historiographische I magologie. Köln, Wien 1990, 7-9.

i) Antonio BONFINI, Ungerische Chronica, Das ist Ein gründtliche beschreibung deß aller­mächtigsten und gewaltigsten Königreichs Ungern . . . Frankfurt am Meyn 158 1 , 1 74.

4(, Haralambie M IHAESCU et al. (Hgg.), Fontes historiae daco-romanae = Izvoarele istoriei Romaniei. Vol. IV: scriitori §i acte byzantine, secolele IV-XV. Bucure§ti 1982, 196-203; siehe auch den Sammelband mit Beiträgen zum 600. Jubiläum 1 959 von Mircea PACURARIG, Pavel CHERESCU (Hgg.), Istoria mitropoliei Tärii Romane�ti. Studii publicate In anul 1 959, la lmplinirea a 600 de ani de existeIl�ä. Bucure�ti 2010.

4/ COMAN, Putere (wie Anm. 6), 62. 48 Beschluss der nationalen Kirchenversammlung vorn 17. Mai 1990, Website des Erzbistums

Bukarcst, http://www.crestinism-ortodox.ro/istoric2.html [letzter Zugriff 1 9.3.2010J.

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Raumvorstellungen und Landesbewusstsein: die Walachei . . . 489

VlaskolVlaska, im Polnischen Woloszczyzna, im Italienischen und Lateinischen ValacchialValahia, im Französischen ValachielValaquie, im Türkischen Eflakl !flak etc. In rumänischen Texten taucht ab dem 1 6. Jahrhundert schließlich der Landesname unter dem Begriff " Tara Rumaneascd" (wörtlich "rumänisches Land") auf, das als Synonym von "Vlachia" vor allem als Eigen-, kaum aber als Fremdbezeichnung benutzt wurde.49 Die Variante mit ,,0

" (Romaneascd), der auch der heutige Landesname Romania zugrunde liegt, geht auf eine jüngere Lautverschiebung zurück. Im 15 . und 16. Jahrhundert war in moldauischen und polnischen Quellen zudem die Benennung der Walachei nach ihrer Dy­nastie der Br1.sr.trr.tbi (Singular Br1.sr.trr.tb) verbreitet (Basr.trabskoi Zemli, Land der Basarabi) . 50

Die ungarische Kanzlei verfügte über eine eigene Namenstradition für das südöstliche Nachbarland, die sich an der geographischen Lage der Walachei orientierte, von Siebenbürgen aus gesehen ,Jenseits der schneebedeckten Berge", des Karpatenkamms. Ab dem 1 3. Jahrhundert ist der Begriff " Terrr1. Transr.tl­pina" belegt, in späteren ungarischen Varianten lautet der Name sinngemäß Havaselve beziehungsweise Havasalföld. Diese Namen beziehen sich allerdings nur auf den östlich des Olt gelegenen Teil, auf die Große Walachei, die im Rumänischen "Muntenir.t" (Bergland)51 genannt wird. Der Landes name Mun­tenir.t (rumänisch "munte" = Berg) war in der Moldau im 15 . Jahrhundert zur Bezeichnung des benachbarten Woiwodschaft im Südwesten entstanden und dann ins Polnische übernommen worden.52 Der Name Oltenien (nach dem Fluss Olt) zur Bezeichnung der Kleinen Walachei ist eine Neuschöpfung des 18 . Jahrhunderts. In Anlehnung an das ungarische Grenzland des 1 3. Jahr­hunderts war zuvor meist vom "Banat von Severin" oder auch dem im späten 15. Jahrhundert entstandenen "Br.tnat von Craiova" die Rede.

Der Name " Vr.tlachia", in Ableitungen in den meisten Sprachen als Fremd­bezeichnung für die Walachei verwendet, ist im Rumänischen nur in gebilde­tem Kontext für die historische Region geläufig. Ansonsten wird die histori­sche Woiwodschaft als "Tara Romaneasca" bezeichnet, im heutigen Gebrauch die Region im Süden Rumäniens insgesamt (unter Einschluss Olteniens) als

49 So die Constantin Cantacuzino zugeschriebene Chronik, siehe Otilia DRAGOMIR (Hg.), Istoria Tadi Rumane§ti, atribuita stolnicului Constantin Camacuzino. EdiIie critid, studiu filologic, studiu lingvistic, glosar §i indice de nume proprii. Bucure§ti 2006, 161 (23' der Originalhandschrift).

50 COMAN, Putere (wie Anm. 6), 154. 51 Diese Etymologie explizit bei COSTIN, Opere (wie Anm. 1 0), 209. 52 Adolf ARMBRUSTER, Terminologia politico-geografid §i emid a Iarilor romane in epoca

constituirilor statale, in: Nicolae STOICESCU (Hg.), Constituirea statclor feudale romanqti. Bucure§ti 1980 (Biblioteca istorid, 54), 251-259, 254.

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490 Daniel Ursprung

"MUntenia". fl1untenia ist daher doppeldeutig, es umfasst einerseits die histo­rische Region insgesamt, von Briila bis zum Eisernen Tor westlich von Tllrnu

Severin, in einem engeren Sinne jedoch nur die Große Walachei östlich des

Olr. Diese Namensverwendung reflektiert die Sonderstellung Olteniens, das

je nach Kontext als Teil der Walachei wie auch als eigenständige historische Region gesehen wird.

DER R AU M UND SEIN E GR EN ZEN

Die Grenzen der Walachei werden klassischerweise mit der Donau im Südwes­ten, Süden und Osten sowie dem Gebirgskamm der Südkarpaten im Norden angegeben, während die Grenzc zur Moldau im Nordosten einen konventionel­len Verlauf aufwcist, der stellenweisc den Flüssen Milcov (um Foqani), Putna und Siret folgt.53 Wenn diese Angaben in der Tat für einen längeren Zeitraum zutreffend sind, so zeigen doch Marian Comans bereits erwähnte Forschun­gen, dass die Herausbildung der walachischen Außcngrenzen ein langwieriger Prozess war. Die vermeintlich so prägnanten " natürlichen Grenzen" der Do­nau und dcr Karpaten bcsaßen bis weit in die Neuzeit hinein keineswegs die (durchaus wechselnde) Bedeutung, die ihnen spätere Historikergcnerationen zuschrieben. Bis ins 16 . Jahrhundert hatten die Woiwodcn keine klare Vorstel­lung von den territorialen Grenzen ihres Herrschaftsbereichs.

Abgesehen von den bis ins 16 ./ 17. Jahrhundert auf allen Seiten offenen Grenzen veränderte sich der Territorialbestand des Fürstentums Walachei bis zu seiner Vereinigung mit der Moldau zum rumänischen Nationalstaat 1859/62 nur geringfügig. Um 1420 fielen die an der Donau gelegenen Burgen Turnu (nahe der Mündung des Olt, am Donauufer gegenüber von Nikopolis) und Gi­urgiu unter osmanische Kontrolle und wurden als Kaza beziehungsweise Niya­bet54 ins Reich eingegliedert.55 I m Wesentlichen aber blieben die Außengren­zen der Walachei stabil, abgesehen von der habsburgischen Herrschaft in der kleinen Walachei zwischen 1718 und 1739 und minimalen Grenzkorrekturen. Die ursprünglich entlang des Flusses Cerna (östlich von Or�ova) verlaufende Westgrenze der Walachci sei angeblich 1887 zu Ungunsten der Walachei um

53 So etwa [5tefan RAICEVIC], Osservazioni storiche naturali e politiche intomo la Valachia e Moldavia. Napoli 1788, 33f.

54 'fumu war als niyabet der kaza von Nikopolis unterstellt, Liviu MAXIM, Cechelle et la forteressc danubienne de Turnu (Holovnik, Kule) a la lurniere des Ilouveaux docurnents ottornans, Romano-turcica 1 (2003), 1 17�125, 1 2 1 .

55 Gheorghe 1. CANTACUZINO, Ccta\i rnedieval d i n Tara Rornaneasca In secolele XIII�XV1. Bucure�ti 2001, 58 .

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Raumvorstellungen und Landesbewusstsein: die Walachei . . . 491

einige Kilometer bis zum Bach Bahna nach Osten verschoben worden.56 De­taillierte und zuverlässige Quellen zum Grenzverlauf der Walachei sind erst aus dem späten 18. und frühen 19. Jahrhundert überliefert, bis ins 17. Jahrhundert ist sowieso von keiner klar definierten Grenzlinie auszugehen. 1 792 nahmen Vertreter des Habsburger und des Osmanischen Reiches zwei Grenz-Ream­bulierungen (Grenzbegehung, Kontrolle der Grenzsteine) zwischen der Wa­lachei einerseits und dem Banat und Siebenbürgen andererseits VOr.57 Fotino gab in seiner Landesbeschreibung im frühen 19. Jahrhundert eine detaillierte Beschreibung des Grenzverlaufs der Walachei gemäß einer 174 1 vorgenomme­nen Grenzfesdegung.58 Eine sehr gen aue Definition der walachischen Grenzen verzeichnet schließlich eine russische Militärkarte von 1835.59

Nicht klar ist, inwieweit im Mittelalter, als präzise festgelegte Grenzlinien eine weniger zentrale Rolle hatten, Klostergründungen in Grenznähe dazu dienten, den Raum symbolisch zu markieren und in Besitz zu nehmen. Ins­besondere die Gründung des Klosters Cozia im späten 14. Jahrhundert am Flusslauf des Olt, der von Norden her aus Siebenbürgen in die Walachei führ­te, ist hierbei zu erwähnen. In dem von steilen Felsen dominierten Tal des Olt und rund 30 Kilometer vom eigentlichen Grenzübergang zum Königreich Ungarn entfernt gelegen war Cozia ein hoch bedeutsames Kloster, das als Grabstätte der Woiwoden diente. Ob dabei auch die Idee eine Rolle spielte, die Grenzregion symbolisch für die Orthodoxie wie für die weltliche Herr­schaft in Besitz zu nehmen und in einem politischen Akt die Abgrenzung vom

j(, George loan LAHOVARI (Hg.), Marele diqionar geographie al Romaniei. Vol. 1 , Bucure�ti 1898, 194 doch schon bei Fotino (mit Verweis auf 1741) war der Bach Vodij:a, dann 1792 anläßlich der Grenz-Reambulierung die Bahna als Grenze bezeichnet worden, in beiden Fällen also nicht die Cerna, siehe dazu Literaturangaben in den folgenden beiden Anmer­kung.

57 Ghenadie PETRESCU, Dimitrie A. STURDZA, Dimitrie C. STURDZA (Hgg.), Acte §i do­cumente relative la isroria renascerei Romaniei. Bucuresci 1888 , No. 1 8-19, 82-9 1 ; zu den kartographischen Quellen der walachischen Grenze zum Habsburgerreich Bcrndt SCIIIPPLER, Die Veränderungen europäischer Staatsgrenzen 1699-1 812 und ihr Nieder­schlag auf ausgewählten zeitgenössischen Landkarten unter besonderer Berücksichtigung des Gebietes der Österreichischen Monarchie. Ein Beitrag zur Kartographie- und Terri­rorialgeschichte der Frühen Neuzeit. Diplomarbeit Universität Wien [2008] http://othes. univie.ac.at/2697/1 /2008-11-19 _8706761 .pdf [22 . 1 1 .201 1] .

58 CPQTRlNm::, IGw(?llX (wie Anm. 1 2) , 321-342; FOTINo, Isroria (2008 , wie Anm. 1 2) , 586-601 .

5 9 Bibliographische Angaben zur Karte wie Anm. 234; ausführliche Beschreibung und Ana­lyse der Karte auf über 300 Seiten bei Constantin C. GIURESCU, Principatele Romane la Inccputul secolului XIX. Constatäri istoricc, geografice, economice §i statistice pe temeiul häq:ii ruse din 1835. Bucure§ti 1 957, zum Grenzverlauf der Walachei 52f.

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Stephansreich zu markieren, darüber kann bestenfalls spekuliert werden.60 Möglicherweise ist dieser Aspekt bei der Gründung des ersten walachischen Klosters überhaupt von Bedeutung gewesen. Das vom Woiwoden Vladislav ( 1 364 bis ca. 1 377) mit Unterstützung des serbischen Athos-Mönches Nico­dirn gestiftete und um 1 374 erstmals urkundlich belegte Kloster Vodip61 lag im äußersten Westen der Walachei, im Gebiet des Banates von Severin. In­wiefern hierbei der Kampf um die Vorherrschaft zwischen Katholiken und Orthodoxen eine Rolle spielte, ist unklar. Jedenfalls verfügte die Walachei im späten 14. Jahrhundert mit der Etablierung der zwei orthodoxen Metropolien von Arge§ ( 1 359) und Severin ( 1 370, Fortbestand bis zu einem unbestimm­ten Zeitpunkt nach 1 40562) und der Einrichtung zweier katholischer Bistümer (Arge§, ante 138 1 und Severin, ante 1 382) über eine doppelte Kirchenhierar­chie. Der Bau des knapp 20 Kilometer westlich von Severin gelegenen Klosters VodiIa könnte also durchaus im Kontext der Auseinandersetzungen der beiden Konfessionen um die Abgrenzung ihrer Einflusssphären gestanden haben.63

BINNENWAHRNEHMUNG

FORMIERUNG WAL ACHISCH EN LAN DESBEWUSSTSEINS UNTER O SM ANISCH ER HER R SCH A PT

Heftige Kämpfe rivalisierender Bojarenclans um die Macht hatten in der Wa­lachei bereits im 15. Jahrhundert begonnen. Als die Osmanen auftauchten wurde die ungarische Vorherrschaft durch die Rivalität beider Reiche um Ein­fluss in der Walachei abgelöst, eine Konstellation, die vom späten 14. bis ins frühe 16. Jahrhundert andauerte. Die walachischen Eliten konnten sich nicht auf eine außenpolitische Orientierung einigen, ungarisch orientierten Bojaren-

Go In diesem Sinne Daniel BARBU, Picrura murala din Tara Romaneasca in secolul a l X IV-Iea. Bucure�ti 1 986, 29.

GI Dumitru BALA§J\, Toma BRISANT, Manastirea Tismana. Varra strabuna. Craiova 1 983, 32-34.

(,2 Niculae �ERBÄNESCU, M itropolia Severinului - §ase sure de ani de la infiinpre, 1370 - oc­tombrie - 1970, Biserica ortodoxd romand 88 (1970), 1 1-12, 1 191-1227, v. a. 1 196-1 198; zur quellen mäßig nicht bclegebaren, erst viel später überlieferten Tradition, wonach die Metropolic von Severin genauso wie der Sitz des Sevcriner Bans im 15 . Jahrhundert vor­übergehend in Strehaia beheimatet gewesen sein sollen siehe T. G. BULAT, Istoria bisericii oltene, in: [s.n.] , Oltenia. Craiova 1 943, 457; Krista ZACH, Orthodoxe Kirche und ru­mänisches Volksbewusstsein im 15 . bis 1 8 . Jahrhundert. Wiesbaden 1 977 (Schriften zur Geistesgeschichte des östlichen Europa, 1 1) , 39.

(,3 So Emil LÄZÄRESCU, Nicodim de la Tismana �i rolul sau in cultura veche romaneasca. I (pina in 1 385), Romanoslavica - istorie 1 1 ( 1965), 237-285, 264-267.

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Raumvorstellungen und Landesbewusstsein: die Walachei . . . 493

fraktionen standen turkophile Gruppierungen gegenüber. Das ermöglichte es beiden Mächten, in innere Konflikte einzugreifen, was die politische Insta­bilität verstärkte. Andererseits ermöglichte es gerade die Konkurrenz beider Reiche den walachischen Eliten, in gewissen Grenzen zwischen den beiden Reichen zu lavieren.

Auf politisch-administrativer Ebene wirkte die osmanische Oberhoheit geradezu als Katalysator: Die häufigen, auch von der Hohen Pforte mitver­ursachten Thronwechsel ließen es als unerlässlich erscheinen, Regelungen durchzusetzen, die etwa jeden Woiwoden zur Übernahme der unerfüllten Verpflichtungen seines Vorgänger anhielten. Schulden, die ein Herrscher hin­terlassen hatte, mussten von seinem Nachfolger bezahlt werden. Die Woiwo­denwürde erhielt dadurch im Laufe des 16. Jahrhunderts Amtscharakter, aus der persönlichen Herrschaft begann sich die transpersonale Vorstellung einer "domnie" ( Woiwodenherrschaft) zu entwickeln: Die Herrscher waren hier Re­präsentanten der "tara" (Land), der politischen Gemeinschaft.64 Der in der Folge aufkommende Begriff der " legea tarii" (Gewohnheitsrecht, eigentlich "Landesrecht") verweist auf das Bewusstsein eigenständiger Regelungen, d ie nun in einem separaten Begriff zusammengefasst wurden, um dem von außen erhobenen Ordnungsanspruch die legitimierende Kraft der Tradition entgegen zu halten.

Nach dem Tod des Woiwoden Neagoe Basarab (1521) versank das Land, nicht zum ersten Mal, in blutige Machtkämpfe, die letztlich sogar seine Exi­stenz bedrohen sollten. Nur mit äußerster Not und auswärtiger Unterstüt­zung gelang es dem Woiwoden Radu de la Afuma!i ( 1522-1529), eine direkte Herrschaftsübernahme durch osmanische Würdenträger zu verhindern. Die während Radus Regierungszeit entstandene, nicht erhaltene, sondern nur aus späteren Kompilationen rekonstruierte Landeschronik dürfte den politischen Willen der Eliten ausgedrückt haben, angesichts äußerer Bedrohung innere Gegensätze zurücktreten zu lassen und durch einen integrierenden Mythos, eine historisch legitimierte Landestradition, gemeinsame Werte in den Vorder­grund zu stellen. Ob bereits diese Chronik von 1 525 den Gründungsmythos mit der Landnahme des legendären Negru Voda und einer bis in die Gegen­wart reichenden lückenlosen Abfolge von Herrschernamen enthielt, ist in der Forschung umstritten. Der Gründungsmythos führte die Entstehung der Wa­lachei auf die quellenmäßig nicht belegte Figur des Negru Voda (schwarzer Woiwode) oder Radu Negru zurück.65 Dieser soll um 1 290 vom siebenbür-

6/0 Daniel BARBU, Bizan\ contra Bizan\. Exploräri in cultura politid romaneasca. ßucure�ti 2001, 61-69.

(,5 Siehe etwa Denis CAPRAROIU, Asupra inceputurilor ora�ului C'tmpulung, Historia urbana 16 (2008), 1-2, 37-·64, der Negru Vodä mit Thocomer, dem Vater Basarabs, identifiziert,

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494 Danicl Ursprung

gischen Fogarasch (Fagara§) aus mit seinem Gefolge in die Walachei gezogen, in Clmpulung vom Pferd gestiegen sein und so den walachischen Herrschafts­verband gegründet haben.

Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass der Mythos von Negru Voda einen unmittelbaren historischen Hintergrund widerspiegelt. Vermutlich entstand diese sinnstiftende, einen komplexen Vorgang auf ein Einzelereignis verein­fachende Erzählung erst im 16. Jahrhundert, als die walachischen Eliten sich der Existenz ihres Landes versichern wollten. Wie die moderne Mythen- und Sagenforschung an vielen Beispielen gezeigt hat, reflektieren derartige Erzäh­lungen eher die unmittelbaren politischen I nteressen im Entstehungszeitraum der Erzählung, sind jedoch in den seltensten Fällen zuverlässige Quellen für hi­storische Vorgänge im Berichtszeitraum. Im walachischen Kontext hat �tefan AndreesCLl vergleichbare Konstruktionsmechanismen am Beispiel der Episo­de einer angeblichen Herrschaft eines fiktiven Woiwoden Mihail sowie des moldauischen Woiwoden Stefans des Großen über die Walachei herausgear­beitet. Er argumentiert, diese Erzählung sei unter dem Woiwoden Alexandru Mircea (1568-1577) entstanden, um die dynastische Verbindung der Walachei mit der Moldau zu legitimieren: Petru �chiopul, der Bruder Mirceas, wurde 1574 als Woiwode der Moldau eingesetzt.66 Die Bedeutung des Gründungs­mythos mit dem legendären Negru Voda liegt in der sinnstiftenden Funktion, den die Erzählung im 16. und 1 7. Jahrhundert erfüllte. Die Entstehungszeit­punkte der drei aus späteren Kompilationen rekonstruierten Chroniken des 16. Jahrhundert - die Jahre 1 525, 1 559 und 1601 - fallen jeweils in einen Moment politischer Krisen, der äußeren Bedrohung durch die Osmanen be­ziehungsweise innerwalachischer Machtkämpfe. In diesen Zeiten entstand ein Bedürfnis, sich in sinnstiftender Weise der eigenen Vergangenheit als einer idealisierten Zeit und als Modell für die Gegenwart zu vergewissern. In die Zeit ab der M itte des 1 6. Jahrhundert fallen auch die ersten urkundlichen Er­wähnungen des sagenhaften Negru Voda.G7

57-59; ebenfalls VOll der Existenz Negru Vodas aus geht Matei CAZACU, 0 controversa: Thocomerius - Negru Voda, Revista istm'icd 19 (2008), 1-2, 49-58, 55; siehe auch $cr­ban PAI'ACOSTEA, Bctwecn the Crusade and thc MongoI Empire. Thc Romanians in the 1 3th Century. Cluj-Napoca 1998, 276f.; zahlreiche 'DIesen haben bereits versucht, die his­torische Substanz hinter der mythischen Figur des Negru Voda zu ergründen, so etwa die Argumentation, Ncgtu Voda habe anfänglich nicht eine Person bezeichnet, sondern sei ursprünglich ein Herrschertitel gewesen: BURTEA, Farbsymbolik (wie Anm. 41), v. a . 73.

66 $tcfan ANDREESCU, Amintirea lui �tefan cel Mare In Tara Romaneascä, Revista istoricd 15 (2004), 3-4, 5-10, 8 ; weitere für die walachische Chronistik wichtige Auf�ätze des Autors sind zusammengefasst in $ tefan ANDREESCU, Istoria romanilor. Cronicari, misionari, cti­tori (sec. XV-XVII). Cluj-Napoca 22007.

67 �tcfall ANDREESCU, Considerations sur la date de la premiere chronique de Valachie, Re­vue roumaine d'histoire 1 2 (1973), 2, 36 1 -373, 369-372; anders als die dort aufgeführten

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Raumvorstellungen und Landesbewusstsein: die Walachei . . . 495

Jedenfalls setzte im 16. Jahrhundert die Annalen- und Chroniktradition ein, die zwei Elemente enthielt: einen mythisch überhöhten Beginn und eine bis unmittelbar in die Gegenwart wirkende Kontinuität, erzählt als (historisch nur in groben Zügen korrekte) Abfolge walachischer Herrscher. Damit sollte der politischen Gemeinschaft eine historische Identität und Legitimität ver­liehen werden.68 Ab dem 16. Jahrhundert entwickelte sich so eine historiogra­phische Tradition, die sich explizit auf die Walachei als eigenständige Größe bezog und deren Existenz mit geschichtlichen Argumenten erklärte.69 Somit trat spätestens zu dieser Zeit ein deutlich konturiertes Landesbewusstsein zu­mindest der Elite hervor.

Dazu gehörte auch die begriffliche Abgrenzung nach außen. Als Folge der osmanischen Oberhoheit zogen im 16. und besonders ab dem 17. Jahrhundert verstärkt Christen aus dem Reichsgebiet in die Walachei. Um zwischen alt­eingesessenen " Einheimischen" und den neu ins Land ziehenden "Fremden" unterscheiden zu können, bedienten sich die Zeitgenossen der sprachlichen Unterscheidung zwischen "pamdntean" (wörtlich etwa "Landsmann") und "straini" (Fremde) oder im Falle orthodoxer Christen "greci" (Griechen), wobei oft schon nach relativ kurzer Zeit durch Verschwägerung auch Fremde zu den Einheimischen gerechnet werden konntenJo Im 17. Jahrhundert gelangte dann über griechische Vermittlung das Wort "patrie" sowie Ableitungen wie "patriot" in die rumänische Sprache. Letzteres hatte entsprechend der zeitgenössischen griechischen Bedeutung gleichfalls die Bedeutung " Einheimischer".71 Die Be­zeichnung "patrie" ist in der Walachei im späten 17. Jahrhundert erstmals in rumänischen Texten belegt und wurde damals mit dragoste (Liebe) zur mOJie (Erbgut, Heimat) oder zum neam (Geschlecht, Stamm, Volk) übersetzt.72 Im spä­ten 18 . Jahrhundert ist der Ausdruck "patriotismos" mit ähnlicher Bedeutung

ersten urkundlichen Belege des Woiwoden Negru (8 . Januar 1569 und 28. April 1576) ist dieser bereits in einer allerdings nur einer Abschrift auf dem 19. Jahrhundert erhaltenen Urkunde vom 3. Mai 1549 sowie in einer im Original erhaltenen Urkunde vom 8. Juli 1558 erwähnt worden: DRHB (wie Anm. 4). Vol. 4 (1536-1550), 327 und ebd., Vol . '5 (1551-1565), 138.

6 8 ANDREEscu, Considerations (wie Anm. 67), 363. 69 Vergleiche Pavel CHlHAIA, Inv8.\8.ruri �i mituri in Tara Romaneasca. Bucure�ti 1998 (Artä

medievalä, 2), 157. 70 Bogdan M URGESCU, "Phanariots" and "Pämanteni". Religion and ethnicity in shaping

identities in the romanian principalities and the Ottoman Empire, in: Maria CRACI UN,

Ovidiu G HITTA (Hgg.), Ethnicity and Religion in Central and Eastern Europe. Cluj 1995, 196-204.

71 Emanuela POPEscu-MIHUT, "Patrie", "Patriote", "Amour de la patrie" (PatriotisIIlOS) dans les actes princiers de l'epoque phanariotc, Southeastern Europe 11 (1984) , 1, 13-29, 19f.

72 $tefan LEMNY, Originea �i cristalizarea ideii de patrie in cultura romanä. Bucurqti 1986, 29.

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belegt, patrie bezog sich auf das Territorium und die Bevölkerung, so dass un­ter einem Patrioten ein "Landsmann" verstanden wurde. Die Wortfamilie von patrie wurde nun semantisch angereichert, avancierte aber erst in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem kohärenten politischen Konzept im Sin­ne einer modernen Vaterlandsliebe. Erkennen lässt sich dies in den Schriften aus dem Umfeld des antiphanariotischen Aufstandes unter Führung Tudor Vladimirescus von 182 l . Der Patriotismusbegriff drückte hier aber noch kein panrumänisches Verständnis aus, sondern blieb auf die Walachei beschränkt. Erst in den folgenden Jahrzehnten begann allmählich ein gesamtrumänisches Bewusstsein zu entstehen.

Der im frühen 1 9. Jahrhundert entstehende moderne, politisch-natio­nale Patriotismus-Begriff wurde also schon bald durch eine gesamtrumäni­sche Konnotation überlagert. Den Phanarioten hi ngegen hatte das Konzept der Liebe zum Land dazu gedient, eine Art "Staatspatriotismus" zu kreieren. Mit Verweis auf übergreifende Interessen sollte die Loyalität der Bojaren und der Bevölkerung gewonnen werden.73 Dabei stand der politische Verband, nicht die nationale Einheit im Vordergrund. In den gleichen Kontext gehört das Konzept des "allgemeinen Nutzens" (folosul de o bfte) , das ab dem späten 17. Jahrhundert Einzug fand in den gelehrten Diskurs und den Nutzen für das Land, konkreter: für den Herrscher i n den Mittelpunkt rückte?4 Die Phanari­oten waren bestrebt, sich als Angehörige des Landes zu präsentieren, um ihrer Herrschaft Legitimation zu verleihen. Sie förderten damit einen Landespatrio­tismus, der ganz auf die politisch-administrativen Bedürfnisse zugeschnitten war. Vereinzelte Phanarioten unternahmen es darüber hinaus sogar, sich in legitimatorischer Absicht eine (fiktive) rumänische Genealogie erstellen zu las­sen, um so ihre Verbundenheit mit dem Land noch deutlicher aufzuzeigen. Die Phanarioten pflegten jedoch nicht in einem lokalen walachischen Hei­matgefühl aufzugehen, sondern hatten als Wanderer zwischen verschiedenen Kulturen vielschichtige Formen der Selbstidentifikation.75

73 Das Wortfeld von Patrie, Patriotismus gehört in der rumänischen Historiographie zur Be­griffsgeschichte, die vor allem für die ältere Zeit nicht sehr umfangreich ist, zu den am besten erforschten Konzepten, siehe POPEscu-MIHUT, "Patric" (wie Anm. 71), 28; Klaus BOCHMANN, Conceptul de patriotism in cultura roman3., in: Victor NEU MANN, Armin HEINEN (Hgg.), Istoria Romaniei prin concepte. Pcrspective alternative asupra I imbajelor social-politice. Ia�i 2010, 1 03-128, v. a. 107-109 sowie LEMNY, Originea (wie Anm. 72).

74 Daniel BARBU, Etica ortodoxa �i "spiritul"romanesc, in: DERs. (Hg.), Firea romanilor. Bucure�ti '2004, 39 -130, 44; BARBU, Bizan\ (wie Anm. 64), 94 siehe auch Vlad GEOR­GESCU, Istoria ideilor politice romane§ti ( 1 369-1878). München 1987, 185 .

7 \ Dimitris LIVANIOS, Pride, Prudencc, and rhe Fear of God. The Loyalries of Alexandcr and Nicholas Mavracordatos (1664-1730), Dialogos. Hellenie Studies Review 7 (2001) , 1-22, v. a. 17; zu den Phanarioten neuerdings Christine PHILLIOU, Communities on the Verge:

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Wie gezeigt stellte die Vorstellung von der Walachei als eigenständiger administrativer Größe in der Wahrnehmung der politisch-sozialen Elite des 17. und 1 8. Jahrhunderts ein sinnstiftendes Narrativ dar, obschon oder gera­de weil sich der Status des Landes faktisch kaum von dem einer peripheren osmanischen Reichsprovinz unterschied und die Woiwoden administrativen Statthaltern des Sultans glichen. Daniel Barbu hat bei den Eliten eine an der Wende vom 17. zum 18 . Jahrhundert einsetzende Bewusstseinskrise konsta­tiert, die erst gegen Ende des 1 8 . Jahrhunderts auch die breite Bevölkerung erfasste. Das eschatologische Verständnis rückte zunehmend das Individuum ins Zentrum, das für sich individuell vor dem jüngsten Gericht Rechenschaft abzulegen haben würde und nicht mehr quasi kollektiv als Angehöriger einer übergreifenden religiösen Gemeinschaft auf Erlösung hoffen konnte.lG Mit der wachsenden Individualisierung löste sich die traditionelle Vorstellung einer or­thodoxen Gemeinschaft als Kollektiv auf, in welcher der Einzelne aufgehoben war. Gleichzeitig machte sich im späten 17. Jahrhundert eine Krise des politi­schen Systems77 bemerkbar, welche bei den Eliten ein zunehmendes Bedürfnis weckte, Fragen der sozialen Organisation in einem konkteten Sinn und nicht wie bisher i n Form quasi zeitloser, idealtypischer Gleichnisse zu reflektieren.78 Gegen Ende des 18 . Jahrhunderts löste die Idee eines gegenwarts- und zu­kunftsbezogenen Idealzustandes des Vaterlandes die ältere Vorstellung einer ewigen und immergleichen Glückseligkeit im Rahmen der Orthodoxie ab.79 Der Herrschaftsverband, die politisch verfasste Gemeinschaft rückte damit als gesamtgesellschaftliche Einrichtung ins Zentrum menschlichen Strebens nach dem Gemeinwohl, der säkularen und diesseitigen Variante des göttlichen Heils.

DIFFUSES KULTURELLES RAUM KONZEPT

Das Landesbewusstsein diente der walachischen Elite im Kontext der osma­nischen Oberhoheit dazu, die Stellung der Walachei als autonomes Gebilde, als " Rechtssubjekt" nach außen zu legitimieren und im lnnern Gemeinsam-

Unraveling the Phanariot Ascendancy in Ottoman Governance, Comparative Studies in Society and History 5 1 (2009), 1, 1 5 1-181 ; die türkische Literatur zu den Phanarioten er­schließt Cafer <;::1 FT<;:I , Bab-l Äll'nin Avrupa'ya <;::evrilmi� Iki Gözü: EBak ve Bogdan' da fenerli Voyvodalar ( 171 1-1821), Uluslararasi lliskiler = Journal 0/ international relations 7 (2010), H . 26, 27-48, englische Zusammenfassung 48.

76 ßARBU, ßizan1; (wie Anm. 64), 93-100, 231-241 . 77 GEORGESCU, Istoria (wie Anm. 74), 44f., 49. 7S Adolf ARMBRUSTER, Einleitung, in: Johann FILSTICH, Rumänische Chroniken. Aus dem

Manuskript herausgegeben, eingeleitet, mit Anmerkungen und einem Glossar. Bukarest 1 984, 7--42, 2 1 .

79 BARBU, Bizan1; (wie Anm. 64), 253.

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keit ZU stiften. Diese Art von Landesbewusstsein war stärker auf die politisch­administrative Struktur als auf eine gesamtheitlich-kulturell verstandene Einheit ausgerichtet. Es existierte kein ähnlich wirkmächtiges Narrativ, wel­ches die Walachei als rein historisch-kulturelle Entität entworfen hätte. Wo in historisch-kultureller Perspektive argumentiert wurde, blieb die Walachei als Raumkonzept nur unscharf ausgeprägt. Die in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts verfasste, dem Stolnic Constantin Cantacuzino zugeschriebe­ne80 Chronik "Istoria Firii Rurnane{ti" (Geschichte des Rurnänenlandes, gemäß zeitgenössischer Bedeutung also der Walachei) unternahm es, Licht in die völ­lig im Dunkeln liegenden Anfänge des Landes zu bringen. Die unvollständig gebliebene, nur bis zum Hunnenkönig Attila reichende Darstellung begann in humanistischer Tradition mit dem antiken Dakien oder Getien, das, so der Verfasser, neben der Walachei auch Siebenbürgen und die Moldau umfasst ha­be.81 Im Folgenden bemühte sich der Verfasser darum, die römische Herkunft der Rumänen zu belegen. Er führte damit als einer der Ersten den römischen Gründungsmythos in die rumänischsprachige Historiographie ein, eine Tradi­tion, die bis heute nachwirkt.82 Cantacuzino kann in einer Reihe walachischer und moldauischer Gelehrten verortet werden, die mit der Geschichtsschrei­bung auch politische Absichten verfolgten, in der zeitliche und räumliche Kon­tinuitäten konstruiert wurden, um die politische Ordnung zu legitimieren.83 Die Person Cantacuzinos, dessen Bruder (�erban Cantacuzino 1678-1688) , Neffe (Constantin Brancoveanu, 1688-1714) und Sohn (�tefan Cantacuzino 1714-1716) nacheinander fast vierzig Jahre lang den walachischen Woiwo­denstuhl innehatten, während er selber wie viele seiner Verwandten hohe Hof­ämter ausübte, zeigt exemplarisch die enge Verbindung zwischen politischer und Bildungselite auf.84 Constantin Cantacuzino war dabei nicht nur Gelehr-

'0 Vergleiche aber die Meinung, wonach der Metropolit Teodosie Ve§temeanul Autor der Chronik sei, N. A. URSU, Din nou despre paternitatea Istoriei Tarii Romanqti, atribuitii stolnicului Constantin Cantacuzino, Anuarul institutului de istorie ii arheologie "A. D. Xe­nopol" 25 (1988), 2, 439-450; zusammenfassend zur Frage der Autorschaft DRAGOMIR, Istoria (wie Anm. 49), 19-38.

X I EBD., 149 (7' der Originalhandschrift). H2 ARMBRUSTER, Der Donau-Karpatenraum (wie Anm. 44), 107. 83 Stergios LAITSOS, Die Konstruktion der Vlachen von 1640 bis 1 720, in: Helmut REIMITZ,

Bernhard ZELl.ER (Hgg.), Vergangenheit und Vergegenwärtigung. Frühes Mittelalter und europäische Erinnerungskultur. Wien 2009 (Forschungen zur Geschichte des M ittelalters, 14), 205 -227, 216 .

84 Als Stammvater aller ab dem 17. Jahrhundert in der Walachei und der Moldau ansäßi­gen Cantacuzini gilt der im späten 16. Jahrhundert in die Walchei gekommenc Andro­nie, Sohn von Mihai Cantacuzino (genannt Saitanoglu, "Teufelssohn") und Großvater des Chronisten Constantin, siehe Dimirrie Gh. IONEscu, Precisari privind viaIa §i activitatea

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Raumvorstellungen und Landesbewusstsein: die Walachei . . . 499

ter, sondern als graue Eminenz lenkte er während mehrerer Jahrzehnte d ie Geschicke des Landes. Verbindendes Element seiner Gelehrtentätigkeit und seiner Eingriffe in die Landespolitik war das Bestreben, den Bestand der Wa­lachei mit ihrem Autonomiestatus nicht zu gefährden und den Einfluss auf die Landespolitik seines Familienzweiges zu bewahren. Wenn er auf politischem Gebiet seinen Einfluss in Landesangelegenheiten verteidigte, so verdoppelte er dieses Bestreben auf kulturellem Gebiet, indem er das "Land", die politische Entität, über die Geschichtsschreibung als historisches Gebilde in eine zeitli­che Kontinuität einbettete. Allerdings trat in seiner Darstellung die Walachei nur sekundär in Erscheinung, der eigentliche Erzählrahmen bildete das antike, beiderseits des Karpatenbogens gelegene Dakien. In der gelehrten Tradition nahm die Walachei in diesem Kontext eine prinzipiell gleichberechtigte Stel­lung neben den bei den anderen Regionen ein, war aber nicht eigentlich der Rahmen des historischen Geschehens. Die Perspektive des Verfassers reichte vielmehr darüber hinaus.

Die moderne rumänische Historiographie hat hierbei in anachronistischer Weise immer wieder auf die Anfänge eines modernen Nationalstaatsgedankens verwiesen. I m vorliegenden Kontext interessant ist jedoch vielmehr, dass in der Walachei kein ausgeprägtes, abgeschlossenes Landesbewusstsein existierte, das den administrativ-politischen wie auch den kulturell-historiograph ischen oder literarischen Bereich gleichermaßen abgedeckt hätte. Die Walachei blieb ins­gesamt als Geschichtslandschaft, als spezifische Region mit Eigenheiten blass. Wo an ein Landesbewusstsein appelliert wurde, diente es vor allem unmittel­baren politischen Interessen. Eine systematische, gelehrte Tradition, die das

stolnicului Constantin Cantacuzino, Studii. Revistd de istorie 22 ( 1969), 2, 289�295; zu den Verwandtschaftbeziehungen der Familie Cantacuzino, in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts die bedeutendste Bojarenfamilie der Walchei, siehe die Stammtafel in Ion Mihai CANTACUZINO, 0 mie de ani in Balcani. 0 cronicä a Cantacuzinilor in valtoarea secoleloL Bucurqti 1 996, 489f.; die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts von Mi­hai Cantacuznino verfasste Genealogie seines Geschlechts, das er unter anderem auf die französische Dynastie Valois zurückführte, ist vor allem für die ältere Zeit unzuverlässig und beruht stellenweise auf der Imagination des Autors, siehe die Edition von N [icolael IORGA (Hg.), Gcnealogia Cantacuzinilor de Banul Mihai Canztacuzino. Bucurqti 1902, siehe auch die parallel dazu erschienenen kritischen Anmerkunden von N [icolacl IORGA (Hg.), Despre Cantacuzini. Studii istorice basare in parte pe documente ineditc din arhiva lui G. G. Cantacuzino. Bucure§ti 1902; sowie neuerdings Filip-l.ucian Iorga, Stramo§i pe alese. Calatorie in imaginarul genealogic al boierimii tomane. Bucurqti 2013, 270� 274; zum Stolnic Constantin Cantacuzino Virgil CANDEA, Stolnicul intre contemparani. Bucure§ti 1971 ; populärwissenschaftlich, stellenweise gar ergänzt durch phantasievolle Überlegungen im Stil eines historischen Romans Corncliu DIMA-DRAGAN, Livia BACARU, COllstantin Cantacuzino Stolnicul. Un umanist roman. Bucurqti 1 970.

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Land als grundlegende Einheit konzipiert, theoretisiert und beschrieben hät­te lässt sich bestenfalls in Ansätzen erkennen. Vielmehr standen verschiedene Perspektiven mit unterschiedlichen Intentionen - dynastischer, institutionen­geschichtlicher und historisch-ethnographischer Art - nur locker verbunden nebeneinander.

Unter diesen Umständen war auch der Stellenwert von Landesbeschrei­bungen geringer als in der benachbarten Moldau (zu denken ist etwa an die Chronistik und Dimitrie Cantemirs "Beschreibung der Moldau"), von den historisch und landeskundlich aufgebauten Landesbeschreibungen der sieben­bürgischen Sachsen und Ungarn ganz zu schweigen. Die Werke der walachi­schen Historiographie und Landeskunde zirkulierten nur als Handschriften und wurden erst beginnend im 19. Jahrhundert in gedruckter Form ediert8>, obschon bereits im frühen 16. Jahrhundert die erste Druckerei in der Walachei funktioniert hatte.

Neben der Chronistik ist die vielleicht bedeutendste Arbeit, welche als Be­leg für die bewusste Wahrnehmung der Walachei als eigenständiger Größe angeführt werden kann, die Karte der Walachei, die 1700 (37 Jahre vor Cante­mirs bekannter Moldaukarte) von Hrisant Notaras (XQll0cxv6oc; NmcxQcXC;) in Padua in griechischer Sprache mit einer Widmung für den Woiwoden Con­stantin Brincoveanu gedruckt und achtzehn Jahre später als Beilage zu del Chiaros Landesbeschreibung in italienischer Sprache neu aufgelegt wurde. Gemäß neuesten Erkenntnissen war nicht der Stolnic Constantin Cantacu­zino Autor dieser Karte, sondern Ioannis Kominos.8G 1707 erschien auf dieser

85 Eine Übersicht ber die verschiedenen Handschriftcn in I [oachim] CRACIUN, A[urora] IUE? (Hgg.), Rcpertoriul manuscrisclor de cronici interne, sec. XV-XVII I , privind istoria Ro­miniei. [Bucure§ti] 1963 (Cronicile medievale ale Rominiei, I), 143-204.

'6 Titel der Karte: TIlvcx� l'swYQCXtflJ,(o; T1']t; Y'�1']A01:O:'1']t; HystJ.ovslcxt; OOyyQOßAcxXlcxt; [ . . . ] oSJ,(cx27no: OStJ.CXtCX Ol1']Q1'] tJ.SV1']t; . . . ; lateinischer Paralleltitel: Index geographicus celsissimi Principatus Wallachiae in decem er septem themata divisa . . . ; neuerdings zum Autor der Karte RAD, Ioannis Komninos (wie Anm. 9) mit der Reproduktion einiger Kartenaussch­nitte; ältere Beschreibung der Karte Constantin C. Gw RES CU, Harta stolnicului Constan­tin Cantacuzino. 0 descricre a Munteniei la 1700, Revista istoricd romdnd 13 (1 943), I , 1-28 m i t einer - allerdings aufgrund geringer Auflösung unbrauchbaren - Reproduktion dieser Karte, 26/27, desgleichen bei George TOLlAs, Maps printed in Greek During the Age of Enlightenment, 1665-1820, e-Perimetron, 5 (2010), I, [1-48], 19, URL : http:// www.e-perimetron.org/VoL5_I /Tolias.pdf [20. I l . 2011 ] ; eine Reproduktion in der ru­mänischen Akademiebibliothek unter der Signatur S 50, ebd. 2; Germainc AUJAC, Canes geographiques en grec moderne imprimees a Padoue en 1700, Geographia antiqua. Rivista di geografia storica de! mondo antico e di storia della geografia 6 (1997) , 165-181 , 168, 172f., ebenda 178f. Reproduktion der italienischen Karte unter dem Titel I ndice topografico del principato di Valachia aus Anton-Maria DEI. CHIARO, Istoria delle moderne rivoluzioni della Valachia. Con la descrizione del paese, natura, costumi, riti, e rcligione degli abitanti.

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Raumvorstellungen und Landesbewusstsein: die Walachei . . . 501

Grundlage eine adaptierte, wohl in Wien erstellte und Joseph 1. gewidmete Walacheikarte. 87

Nach dieser ersten intensiven Phase der Selbstthematisierung im späten 17. und frühen 18 . Jahrhundert erreichte die intellektuelle Selbstreflexion in der Walachei erst in der zweiten H älfte des 18 . Jahrhunderts einen bescheidenen Höhepunkt, während für die erste Jahrhunderthälfte die Fortführung der Lan­deschronik bis 1729 durch Radu Popescu die bedeutendste Errungenschaft war.S8 Aus der zweiten Jahrhunderthälfte ragt, neben der 1787 publizierten rumänischen Grammatik des walachischen Bojaren Ianache Vicarescu, eine der ersten überhaupt89, die Landesbeschreibung des Großbans Mihai Cantacu­zino hervor. Diese um 1775 verfasste politisch-geographische Geschichte der Walachei wurde jedoch erst einige Jahrzehnte später anonym im griechischen Original, in rumänischer Übersetzung sogar erst 1 863 publiziert und konn­te schon deshalb nie dieselbe Bedeutung erlangen wie Cantemirs Beschrei­bung der Moldau.90 Cantacuzino behandelte unter anderem die Geschichte der walachisch-osmanischen Beziehungen und speziell den rechtlichen Status seines Landes gegenüber dem Reich der Sultane. Die diversen zitierten Do­kumente sollten die historische Entwicklung des Abhängigkeitsverhältnisses der Walachei vom Osmanischen Reich belegen.91 Unter diesem Gesichtspunkt

Venzia 1718 ; digitale Online-Reproduktion der Karte von 1718 unter http://gallica.bnf.fr; das einzig bekannte Exemplar der 1700 gedruckten griechischen Karte wird in der British Library unter der Signatur Maps.*44170.(l) (sowie Maps.*44170.( 1 .) b., Rolle mit 3 Foto­grafien der Karte) aufbewahrt und nicht mehr, wie gelegentlich in der älteren Literatur zu lesen, im British Museum; Auskunft gemäß Schriftverkehr per E-mail mit den Southeast European Collections bzw. der Kartenabteilung der British Library, Februar/März 2010.

Xl Augustissimo lnvictissimoque Romanorum Imperatori Iosepho I. Mappam hanc geo­graphicam Principatus Valachiac in XVII themata divisae ab exemplari graeco, quod, jux­ta accuratissimam descriptionem Sapientiss: Viri Constantini Cantacuzeni . . . . 0.0. 1 707, Österreiches Nationalbibliothek, Kartensammlung AB 6 (5) Kar, digitales Online-Fak­simile unter http://www.onb.ac.at/sammlungen/karten/kartenzimelien/30.htm#

88 Paul CERNOVODEANU, Istoriografia, in: DERs. (Hg.), Istoria romanilor. Vol. VI: Romanii lntre Europa clasica �i Europa luminilor (171 1-1 821). Bucure�ti 2002, 789-81 3 , 798f.; Edition der Chronik COllStantin GRECESCU (Hg.), Istoriile domnilor Tarii Romane�ti de Radu Popescu vornicul. Bucure�ti 1963.

89 Cornel CiRSTOIU, Ianache Vacarescu. Via\a �i opera. Bucure�ti 1974, 146. 90 [MlXIX�A. KANT.\KOYZI I0jm:], TOYNClYL\H [Gebrüderl (Hg.), IO'WQllX nl� BA.IXXllX�: I10A.11;lX�

XlXl rEWYQlXlplX� IXTtO '['1� IXQXlXlO'[a.T'1� IXU,[�;; XIX1IXGTa.OEW;; sWs 'WU 1774 s'Wu;;. B lEVV'1 1 806, digitales Online-Faksimile http://anemi.lib.uoc.gr; rumänisch CANTACUZINO, TUNUSLI, SION, Istoria politidi (wie Anm. 7); zu den von Cantacuzino verwendeten Quellen siehe Paul CERNOVODEANU, Originea mitidi a Bucure�tilor: legenda lui Bucur, Anual' al al'­hivelol' municipiului Bucurefti 2 ( 1998), 9-26, 13 .

91 Zusammenfassend die Rezensionen in Allgemeine Literaturzeitung 2 (1807), 179, 1 8 8-190, digitales online-Faksimile unter http://zs .thulb.uni-jena.de/ contentl main/journals/alz.xml

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kann das Werk als eigentliche politische Kampfschrift verstanden werden, die im Umfeld des Kongresses von Foqani von 1772 verfasst worden ist. Mihai Cantacuzino war durch seine Korrespondenz mit Vertretern des Zaren reiches eine der führenden politischen Persönlichkeiten der Walachei. Mit H ilfe der Großmächte strebte er danach, den angeblich vertraglich festgelegten Zustand einer weitgehenden Selbständigkeit der Walachei wiederherzustellen, den die Hohe Pforte im Spätmittelalter gewährt, danach aber missachtet habe.92

Im späten 17. und frühen 18 . Jahrhundert hatte die Chronistik im Zuge der wachsenden Integration der Walachei in den osmanischen Reichsverband mit dem Bezug auf die römische Herkunft das defensive und an der Vergangenheit orientierte Ziel einer sinnstiftenden Integration der Eliten und der Bewah­rung einer walachischen Identität gegenüber landesfremden Zuzügern. In der zweiten Hälfte des 18 . Jahrhunderts jedoch, als mit der zunehmend offensiven Politik der europäischen Großmächte und vor allem Russlands die Möglich­keit einer politischen Neuordnung sichtbar wurde, verlagerte sich die Debatte von der historisch-kulturellen auf die politisch-rechtliche Ebene. Anstelle der Vergangenheit stand nun mehr und mehr die künftige Gestaltung der po­litischen Ordnung i m Vordergrund, wobei die walachischen Eliten offensiv für eine stärkere Selbstbestimmung warben. Das Verhältnis der Walachei zum Osmanischen Reich war zum zentralen Problem geworden, das die politischen Debatten ein gutes Jahrhundert lang wesentlich mitbestimmte. Die geistig­politische Elite des Landes inklusive einiger Phanariotenfürsten insistierte darauf, dass ihr Land im Unterschied etwa zu demjenigen der Griechen, wel­ches seine politische Organisationsform verloren habe, nur unter osmanischem Schutz stehe und dieses Verhältnis in alten Verträgen festgehalten worden sei.

Ganze Generationen von Gelehrten suchten nun nach Belegen dafür, dass die Walachei stets separat vom übrigen Reichsgebiet als eigenes Land behan­delt worden sei und beharrten auf der Wiederherstellung angeblicher histori­scher Rechte, die missachtet worden seien.93 Sie verwiesen darauf, dass sich das Land freiwillig osmanischem Schutz unterstellt habe und legitimierten damit

und lhe North American Review 27 (1828), 61, 464-471, digitales online-Faksimile unter http://digital.library.comell.edu/n/nora.

91 Virgil ]OITA, De dtre cine, dnd �i cum a fost plasmuit "tratarul " lui Mircea ce! Mare cu sultanul Baiazid, in: Fanu§ NEAGU, Alcxandru V. DITÄ, Virgil ]OITA et al . (Hgg.), Mircea ccl Mare. Scutul Europei. BUCLue§ti 2009, 652-678, 658-666; zu den politischen Denkschriften Cantacuzinos Vlad GEORGESCU, Memoires el projets de reforme dans les principaures roumaines, 1769-1830. Repertoire et textes inedits. Bucarest 1970, 5f., 37f.

9.1 Lidija Egorovna SEMENOVA, Knjazestva Valachija i Moldavija. Konec X I V-nai'alo X I X v. Ocerki vndnepolitiCeskoj istorii. Moskva 2006, 21-23, zur Historiographie des Problems 23-30.

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die Forderung nach größerer Autonomie oder gar Selbständigkeit. Im Rahmen des Kongresses von Foqani ( 1772) brachten Vertreter des walachischen und moldauischen Bojarentums die fortan viel diskutierte Idee der "Kapitulatio­nen" vor, angebliche vertragsähnliche Abmachungen, mit denen das Osmani­sche Reich vom 14. bis 16. Jahrhundert den beiden Ländern Schutz und gewis­se Privilegien zugesichert habe, die danach jedoch missachtet worden seien.94 Die rumänische Historiographie hat zwar in den vorgelegten Quellen schon früh Fälschungen des 18 . und 19. Jahrhunderts erkannt, sie wurden aber als eine Art "pia fraus" interpretiert.95 Die Fälschungen sol len demnach auf einem realen historischen H intergrund beruhen und das faktische Rechtsverhältnis zwischen dem Osmanischen Reich und den beiden Woiwodschaften im 15. und ] 6. Jahrhundert zutreffend beschreiben.9G Die europäischen Großmächte machten sich im Gegensatz zum Osmanischen Reiche diese Sichtweise zu Ei­gen und nahmen die entsprechenden Bestimmungen in den Friedensvertrag von Kü<;:ük Kaynarca (1774) auf. Die angeblich der Walachei wie der Moldau von der Hohen Pforte vertraglich zugesicherte Autonomie bot den europä­ischen Mächten eine Art staatsrechtliche Legitimation, den osmanischen Ein­fluss auf die beiden nun vermehrt zusammenfassend als "Donaufürstentümer" wahrgenommenen Woiwodschaften in klare Grenzen zu verweisen und damit die eigenen I nterventionsmöglichkeiten vertraglich festzuhalten.97

ÜBERGR EIFEND E RAUM KONZEPT E

Die Orientalische Frage rückte die Walachei und die Moldau ab dem spä­ten 18. Jahrhundert in zunehmendem Maße ins I nteresse der europäischen Großmächte. Dabei wurden die Donaufürstentümer in der Regel weniger als separate Länder betrachtet, sondern in einem übergreifenden Raumkonzept erfasst, das den Umfang der Manövriermasse umriss, um die gestritten wur­de. I n einem Geheimabkommen etwa legten Zarin Katharina die Große und

94 Vlad GEORGESCU, Ideile politice � i i1uminismul In prineipatele romane, 1750-183l. Bucure�ti 1 972, 138, 144[.

95 Ausführlich dazu JOITA, De catrc eine (wie Anm. 92), 652-678, dessen heroisierende Interpretation Mirceas des Alten allerdings problematisch ist, sowie $teflll $TEFÄNESCU, Tara Romancasca de la Basarab I "I ntemeietorul" plnä la Mihai Viteazul. Bucure§ti 1970, 103-140.

9G Ion MATE!, Quelques problemes conccrnant le regime de la domination ottomane dans les pays roumains (concernant particulierement la Valachie), Revue des etudes sud-est euro­pt!ennes 10 (1972), I , 65-81, 67.

97 G . G. FLORESCU, Caspect juricique des Kh att-i-cherifs. Contributions a l'etude des rela­tions de I 'empire otaman avec les principautcs roumaines, Studia et acta orientalia 1 ( I 957), 1 21-147, 1 22f.

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Kaiser Joseph IL die Einflusssphäre ihrer Reiche fest: die Walachei und die Moldau inklusive Bessarabiens sollten als eigenständiges Gebilde namens Dakien unter Herrschaft eines russischen Fürsten kommen, quasi ein erster Schritt zur Realisierung des "griechischen Projekts", einer Wiederherstellung des byzantinischen Reiches unter russischer FührungYs

Analog dazu reflektierten auch die walachischen und moldauischen Eliten die politische Zukunft immer häufiger in einem beide Länder umfassenden geographischen Rahmen. Dazu trug bei, dass die bereits im 17. Jahrhundert gelegentlich verbreitete Praxis, die Woiwoden nach einer gewissen Zeit in die jeweils andere Woiwodschaft zu versetzen, im 18 . Jahrhundert faktisch zur Regel wurde.99

Parallel dazu verwischten die Unterschiede zwischen den Bewohnern bei­der Gebiete in der gegenseitigen Wahrnehmung. Moldauer wurden in der Wa­lachei nicht als wirkliche Fremde wahrgenommen, sondern verfügten ohne weitere Umstände im rechtlich-administrativen Sinne über die gleichen Rech­te wie Einheimische (pämdnteni - "Landsleute"), etwa bezüglich des Erwerbs von Grundeigentum.1oo Da Angehörige von Bojarenfamilien häufig von ei­nem Land ins andere wechselten, wurde die administrative Abgrenzung zwi­schen beiden Ländern durchbrochen und ein gemeinsamer Erfahrungsraum entstand: Mit den Menschen zirkulierten auch Ideen. In der Vorstellungswelt der Eliten zeichneten sich die zwei Woiwodschaften nicht als klar distinkte Entitäten ab, sondern als zwei administrativ getrennte Instanzen eines gemein­sam gedachten Raumes. So entstand ein gewisser länderübergreifender Zu­sammenhalt, zumal manchem der landesfremden Phanarioten viel daran lag, seine Verbundenheit mit der lokalen Gesellschaft auszudrücken. Dieser Patrio­tismus schloss aber häufig die Walachei und die Moldau gleichermaßen ein.

Schon M iron Costin hatte 1677 in polnischer Sprache eine kurze " Chronik der Länder Moldau und Walachei", eigentlich eher eine kleine Landesbeschrei­bung, verfasst. 1 0 1 In den 1720er Jahren entstand eine umfangreiche parallele Chronik der Walachei und der Moldau, die möglicherweise im Auftrag des Phanarioten Nicolae Mavracordat, abwechselnd je zweimal walachischer und moldauischer Woiwode, niedergeschrieben wurde. Der Verfasser schilderte in

9 B Stanford Jay SHAW, Between Old and New. The Orroman Empire Under Sultan Sclim I I I , 1789-1 807. Cambridge 1971 , 22 ; David M . GOLDFRANK, The Origins of the Crimean War. London, New York 1994, 42.

99 Zu den Regierungszeiten der einzelnen Woiwoden GWRESCU, Istoria Romaniei In date (wie Anm. 2), 870-875.

100 GEORGESCU, Ideile politice (wie Anm. 94), 164. "" Chronika Ziem Moldawskich i Multanskich. Edition in rumänischer Übersetzu ng in Co­

STlN, Opere (wie Anm. 10), 202-217.

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diesem nur wenig rezipierten Werk abwechselnd die aus älteren Chroniken übernommen Geschehnisse in der Walachei und der Moldau. 102 Inhaltlich vergleichbar, jedoch von deutlich bescheidenerem Umfang ist die 1733 auf Veranlassung des moldauischen Woiwoden Constantin Mavracordat verfasste parallele "Geschichte der Walachei und der Moldau".lo3 Der länderübergreifen­de Erzählrahmen derartiger Chroniken bezeugt eine zumindest von Teilen der Elite im späten 17. und frühen 18 . Jahrhundert empfundenen besondere Nähe historisch-kultureller Art der zwei Länder, die Vorstellung eines die admini­strativen Grenzen überwindende Raumes.

Die in der Chronistik hergestellte Paralle lität der Walachei und der Moldau war dabei mit ein Ergebnis der osmanischen Oberhoheit, waren die beiden Länder doch im Mittelalter noch deutlich eigenständigere Wege gegangen. Die Osmanen- beziehungsweise Phanariotenherrschaft hat so dazu beigetra­gen, über den rein kulturell-historischen Rahmen hinaus, wie er in den an­tikisierenden Dacia-Vorstellungen zum Ausdruck kam, auch im administra­tiv-politischen Sinne einen beide Fürstentümer überwölbenden gemeinsamen Erfahrungsraum zu schaffen. 104 Auch in der ausländischen Publizistik wurden die Walachei und die Moldau im 18 . und der ersten Hälfte des 19. Jahrhun­derts vermehrt gemeinsam betrachtet wie eine Reihe von beide Länder umfas­senden Beschreibungen zeigt.105

102 Edition Axinte URICARIUL. Cronica paralelä a Tärii Romane�ti �i a Moldovei. EdiIie crit­icä �i studiu introductiv de Gabriel $TREMPEL. 2 vol., Bucure§ti 1 993; zur Entstehung und Rezeption v. a. V-VI, X-XIX.

103 Publikation in drei Teilen von Em. E. KRETZULESCU, Cronica lui Vasile Buhäescul cämära�ul, Revista pentru istorie, arheologie fi filologie 14 ( 1913) , 151-170; ebd. 15 ( 1914), 219-225 und ebd. 16 ( 1922), 162-186; zur Frage nach dem Auror Andrei PIPPIDI, In j urul cronicarului Vasile Buhaescul, Anuarul institutului de istorie fi arheologie "A. D. Xenopol" 23 (1986), 2, 835-841 .

104 Zur Bedeutungsentwicklung des Namens Dacia, allerdings aus einer nationalrumänischen Perspektive Adolf ARMBRUSTER, Evolutia scnsului denumirii de " Dacia". Incercare de ana­liza a raportului hure tcrminologia politico-geograficä �i realitatea �i gindirca politicä, Stu­dii. Revistd de istorie 22 (1969), 3, 423-444.

105 RAICEVIC, Osservazioni (wie Anm. 53); SULZER, Geschichte (wie Anm. 1 1) ; Johann Christian von ENGEL, Fortsetzung der Algcmcinen Welthistorie durch eine Gesell­schaft von Gelehrten in Teutschland und England ausgefertiget. Neun u. vierzigten Theils4. B [andJ 1 .Abth[eilungJ . Halle 1804; CDmEINOL, IenoQt<x (wieAnm. 1 2) ; MicheideKo­GALNITCHAN, Hisroire de la Valachie, de la Moldavie et des Valaques transdanubi­ens. Tome premier: Histoire de la Dacie, des Valaques transdanubiens et de la Valachie ( 1241-1792). Berlin 1 837; J. F. NEIGEBAUR, Die Donau-Fürstenthümer. Gesammelte Skizzen geschichtlich-statistisch-politischen Inhalts. Breslau 1854; S [piridonJ N [ikolaeviCJ PALAUZOV: Rumynskija gospodarstva Valachija i Moldavija v" istoriko-politiceskom" otnoscnii. Sanktpeterburg" 1 859.

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Daniel Ursprung

Die politische Forderung nach einer Vereinigung bei der Länder begann jedoch erst gegen Mitte des 19. Jahrhunderts im Zuge der einsetzenden rumä­nischen Nationalbewegung Form anzunehmen . Damit trat die Wahrnehmung der Walachei als eigenständiger Einheit zugunsten einer gesamtrumänischen Raumvorstellung im ethnisch-nationalen Sinne endgültig zurück. In dieser Zeit kam auch der Name Rumänien (Romania) auf, der ganz vereinzelt au­Gerhalb der Fürstentümer schon im späten 18 . und frühen 19. Jahrhundert verwendet worden war. Sein eigentlicher Gebrauch als Landesname und Ei­genbezeichnung lässt sich jedoch auf die 1830er Jahre zurückführen, womit zuerst ab 1833 die Walachei bezeichnet wurde, ein Name, der vor allem im Verlauf der 1848er Revolution starke Verbreitung fand. Begünstigt wurde der Gebrauch dadurch, dass die bisherige Selbstbezeichnung der Walachei als " rara Romaneascii" (in zahlreichen orthographischen Varianten), als " Rumäni­sches Land", bereits sehr ähnlich gelautet hatte und die Umstellung daher weniger Widerstände zu überwinden hatte als in der Moldau, wo gegen Mitte des J ahrhun­dens mit diversen Namensformen wie etwa "Moldo-Romania" experimentiert wurde. Bei der Vereinigung der beiden Donaufürstentümer 1 861/62 wurde dann als offizieller Landesname "Romania" festgeschrieben. lOG Damit aber hatte der Name Walachei im politisch-rechtlichen Sinne seine Bedeutung verloren.

DIE WALACHEI AUF DER M ENTAL MAP; ARCHAISCHES OLTENIEN UND GROSSSTADT BUKAREST

Innerhalb des 1859-1862 entstandenen neuen rumänischen Nationalstaates nahm die Walachei eine zentrale Position ein. Die Hauptstadt, Bukarest, lag in der Walachei. lo7 Die moderne Schriftsprache wurde auf der Grundlage der in der GroGen Walachei gesprochenen Dialekte kodifiziert, womit die Mundar­ten der Moldau, aber auch der Kleinen Walachei (Olteniens) zum sprachlichen Signum von Provinzbewohnern wurden, während die groGe Walachei als quasi merkmallose Region den Landesdurchschnitt repräsentierte. Die Walachei er­füllte daher eine vergleichbare Funktion für die rumänische Nationswerdung wie das Piemont im Falle Italiens oder die IIe de France im Falle Frankreichs. l os

Die im zentralistischen Verwaltungssystem Rumäniens ganz auf die Haupt­stadt ausgerichteten Infrastrukturvorhaben (Verkehrswege, Industrie etc.)

I(lr, Zur Herausbildung des Landesnamens Vasile ARVINTE, Die Rumänen. Ursprung, Volks­und Landesnamen. Tübingen 1980 (Tübinger Beiträge zur Linguistik, 144), 48-55.

107 $tefan IONEscu, Cum a devenit Bucure§ti capitala a Romaniei, BucureJti. Materiale de istorie Ji muzeograjie 8 (1971), 309-318 , 3 1 2f.

108 Matci CAZACU, La Valaehic medievale et moderne: esquisse historique, in: Tania VELMANS (Hg.), Art er so eiere en Valaehie et Moldavie du XIVeme au XVIIeme siecles. Paris 1994 (Cahiers balkaniques, 21), 95-159, 95 .

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begünstigten die große Walachei zusätzlich. Das im Vergleich zur Moldau und Siebenbürgen sowieso viel schwächer ausgeprägte, primär an dynastisch-admi­nistrativen Bezugsgrößen ausgerichtete walachische Landesbewusstsein ging daher fast nahtlos in ein gesamtrumänisches Bewusstsein über. Das ohnehin nur unscharf ausgeprägte Bild der Walachei als eigenständiger Region verblas­ste damit weiter. Dazu kommt, dass die Walachei insgesamt, unter Einschluss ihrer beiden Teile beidseits des Olt, administrativ nicht nur auf staatlicher Ebe­ne seit der Vereinigung mit der Moldau keine Einheit mehr bildete, sondern auch kirchenrechtlich verschiedenen Kirchenprovinzen angehört. Die Kleine Walachei verfügt seit 1949 über eine eigene Metropolie (Mitropolia Olteniei, seit 1939 als Erzbistum mit Sitz in Craiova in Fortsetzung des Bistums Valcea), während die Große Walachei, inklusive einiger Gebiete in der historischen Süd-Moldau, mit der Dobrudscha zur "Mitropolia Munteniei ji Dobrogei" zu­sammengefasst wurde.

Die neuerdings im Zusammenhang mit der EU-Integration geschaffenen insgesamt acht Entwicklungsregionen Rumäniens konstituieren die Walachei gleichfalls nicht als Einheit, vielmehr ist ihr Gebiet auf vier verschiedene Re­gionen aufgeteilt.lo9 Bei den in der Öffentlichkeit in jüngster Zeit immer wie­der diskutierten Vorschlägen zur Reorganisierung Rumäniens in neue, größere Verwaltungseinheiten spielt die Walachei als Einheit ebensowenig eine Rolle.I IO

Regionalistische Strömungen sind im zentralistischen rumänischen Nati­onsverständnis allgemein schwach ausgeprägt. Die gilt für die Walachei be­sonders, wo sich regionalist ische Stellungnahmen in der Öffentlichkeit bisher kaum bemerkbar machten.1 1 1 Auf lokaler Ebene gibt es zwar durchaus gele­gentlich Diskussionen um die administrative Zugehörigkeit einzelner Ort-

109 Zu den Entwicklungsregionen Jozsef BENEDEK, Raumplanung und Regionalentwicklung, in: Thede KAHL, M ichael METZELTIN, Mihai-Räzvan UNGUREANU (Hgg.), Rumänien: Raum und Bevölkerung. Geschichte und Geschichtsbilder. Kultur. Gesellschaft und Poli­tik heute. Wirtschaft. Recht und Verfassung. Historische Regionen. Wien, Münster 2006, zugleich Österreichische Osthefte 48 (2006), 105-130, 1 25f.

1 10 I n Wellen werden i n Politik und Medien Dikussionen über eine neue administrative Ein­teilung geführt, so im Juni 201 1 oder im Jahr 2013 in Hinblick auf die für dieses Jahr geplante neue Verfassung, die jedoch angesichts der Grabenkriege des politischen Tages­geschäfts über das Projektstadium nicht hinaus kamen und schließlich wie viele Vorhaben versandeten; vom 29.-31 . Mai 2013 fand aus Anlass der Regionalisierungsdebatten in Ia§i die von den H istorikern Dorin Dobrincu und F1avius Solomon organisierte internationale Konferenz "Regionalism �i regionalizare in Romania. Interpretäri istorice �i provocäri con­tempora ne - Regionalismus und Regionalisierung in Rumänien. Hisrorische Betrachtun­gen und Herausforderungen der Gegenwart" statt; ein Tagungsband ist in Vorbereitung.

1 1 1 Vergleiche aber etwa die nach 1989 gegründete Liga culturalä "Fiii Gorjului", eine in Bu­karest ansässige Vereinigung der mit dem Jude\ Gorj (Oltenien) verbunden Personen, die kulturelle und gesellige Anlässe organisiert: http://www.ligagorjenilor.ro [3.2.2013] .

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schaften, wobei aber oft weniger regionalistische Argumente eine Rolle spie­len, sondern handfeste materielle Interessen. So existieren Bestrebungen, die Kleinstadt Or�ova, erst seit 1968 Teil des oltenischen Juder Mehedinti, wie­der dem Juder Cara�-Severin einzugliedern und damit wieder einem Verwal­tungskreis des Banats zuzuteilen, zu dem es historisch gehört. Hintergrund ist insbesondere die Unzufriedenheit über die Zuteilung von nationalen Budget­mitteln und die Vernachlässigung der Infrastruktur des verkehrstechnisch und geographisch ganz auf das Banat ausgerichteten westlichen Hinterlandes von Mehedinri durch die Juder-Behörden. Von Banater Seite aus bestehen Hoff­nungen, durch eine Einverleibung Or�ovas die administrative Kontrolle über das Donau-Kraftwerk "Eisernes Tor" zu erhalten. l l 2 In der entsprechenden, vor allem auf Banater Initiative h in geführten Diskussion (tonangebend die in Timi§oara angesiedelte Asociaria "Banatul de altadata") manifestiert sich vor allem ein Banater Regionalismus, dem von oltenisch-walachischer Seite kaum eigene Argumente entgegengehalten werden. l 1 3

Innerhalb Rumäniens finden sich regionalistische Strömungen aus histori­schen Gründen am ehesten in Siebenbürgen und dem Banat. Dabei spielt auch das negativ besetzte Bild der südlichen und östlichen Landesteile eine Rolle, von denen sich die als zivilisiert und kultiviert geltenden Siebenbürger gerne abheben. Dieses Negativimage besteht aus zwei gegensätzlichen oder doch zu­mindest komplementären Bestandteilen: der dekadenten und unmoralischen Hauptstadt Bukarest einerseits und dem rückständigen und unzivilisierten ländlichen Raum Olteniens andererseits, während die Große Walachei außer­halb von Bukarest kaum wahrgenommen wird.

Die Hauptstadt nimmt auf der mental map als politisches, wirtschaftliches und kulturelles Zentrum des Landes einen hervorgehobenen Platz ein. I n die­ser Funktion repräsentiert sie in keiner Weise die Walachei insgesamt, sondern steht als eigenständige Einheit. In Rumänien herrscht ein auch von anderen Städten mit ausgeprägter Zentrumsfunktion her bekanntes Negativbild der rumänischen Metropole vor. Soziale Missstände wie Korruption, Nepotismus oder bürokratischer Zentralismus werden pauschal mit der Hauptstadt in Ver­bindung gebracht. Die stereotype Wahrnehmung der Bewohner von Bukarest besonders in den ehemals habsburgischen Landesteilen beruht auf dem Bild

1 1 2 Srefan BOTH, Or§ova, pitorescul ora§ de pe Dunare, es re dispurat de Banat §i Oltenia, Adevärul, 30. 12 .2012, http://adevarul.to/localeltimisoara/ orsova-pitorcscul-oras-dunarc­disputant -banat-oltenia-1_50df6dfc596d720 0914e3 b8 a/index.html.

1 1 5 Online-Petirion "Dorim ca Municipiul Oqova sa fie parte din Banat!", http://www.peri­tieonline. ro/petitie/dorim_ca_municipiul_orsova_sa_fie_parrc_din_banat_-p691 60148. html; Facei:look-Seite von Banatul de altadata, https:llwww.faccbook.com/banatuldealta­data, mit entsprechenden Diskussionen [28 . 1 .2013J .

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des arroganten und verschlagenen Großstädters. 1 14 In postsozialistischer Zeit wird das negativ konnotierte Phänomen neureicher Aufsteiger, die durch un­durchsichtige Machenschaften und Beziehungen zu Reichtum und Einfluss gelangt sind, oft auf die Hauptstadt bezogen. Der stark ausgeprägte Zentralis­mus nicht nur im öffentlichen Bereich, sondern auch in der Privatwirtschaft führt dazu, dass solche Phänomene in Bukarest viel offensichtlicher sind, da sich die Eliten des Landes in der Hauptstadt konzentrieren.

Andererseits hängt der Walachei außerhalb der Hauptstadt wie übrigens auch der Moldau das Etikett einer rückständigen, unzivilisierten Region an. Interessanterweise wird dieses in der siebenbürgisch-sächsischen und ungari­schen Sichtweise dominierende Bild der Rumänen insgesamt von den sieben­bürgischen Rumänen übernommen, aber auf die rumänischen Bewohner des sogenannten rumänischen Altreiches (Walachei und Moldau) eingeschränkt. 1 1 5 Dabei wird nur schwach zwischen der Moldau und der Walachei differenziert und regionale Zuschreibungen (Moldauer, Oltene; auch hier existiert kein ausgeprägter Begriff für die Bewohner der Großen Walachei) meist pars pro toto als Charakteristika für die Rumänen des Altreiches insgesamt verstan­den. Besonders aus Bukarester Sicht wird für alle "Provinzler" der generische Begriff "Moldauer" verwendet. 1 l 6 Die symbolische Abgrenzung gegenüber den Rumänen von jenseits der Karpaten wurde besonders im Sozialismus aktuell, als im Rahmen der forcierten Industrialisierung eine große Anzahl von bis­lang landwirtschaftlich tätigen Rumänen aus der Moldau und der Walachei als

1 14 I n einem Zeitungsbeitrag über stereotype Zuschreibungen der Bewohner verschiede­ner Regionen werden vier Gruppen thematisiert: Moldauer, Siebenbürger (ardeleni), Oltenicr und Bukarester. Letztere werden mit folgenden Eigenschaften in Verbindung gebracht: ständig in Eile, mit schwachen Nerven, durchtrieben (�mecheri), überheblich (infumura\i), unverschämt (nesimj:ij:i), arrogant, haben das Gefühl, der Nabel der Welt zu sein, reden schnell, chaotische Aurofahrer, stolz auf sich, kennen ihre Stadt nicht, "miti­ci" (siehe dazu unten), in: Razvan PRITULESCU, Ce ne separa de Ziua Unirii. Rivalitäj:ilc Romaniei Mari: "rnitici", "sarme" �i "präzari", Adevarul, 23. 1 .2013, http://adevarul.ro/ newslsocietate/infografie-separa-ziua-unirii-rivalitatile-romaniei-mari-mitici-sarme-pra­zari- l_51002420aa73e8e04b36dcOe; " Mitic" ist eine pejorative Bezeichnung für Buka­rester, nach der Figur des "Mitica" des Dramatikers loan Luca Caragiale, vgl. Bogdan PÄVÄLOI, Bucure�teanul vazut prin ochii ardelenilor: un " Miticä" �mechera� desprins din schi\ele [ui Caragiale, Adevarul, 6.2.2013, http://adevarul.ro/ncws/bucurcsti/vidco­bucurcsteanul-vazut-ochii-ardelenilor-mitica-smecheras-desprins-schitele-caragiale-1_51 1 123a44b62ed5875daebnlindex.html.

1 15 Margit FEISCHMIDT, Ethnizität als Konstruktion und Erfahrung. Symbol streit und All­tagskultur im siebenbürgischen Cluj. Münster, Hamburg, London 2003 (Zeithorizonte. Perspektiven europäischer Ethnologie, 8), 188 , 190; Alina MUNGIU-PIPPIDI, Transilvania subiectiva. Bucure�ti 1999, 78.

1 16 PRITULESCU, Ce ne separä (wie Anm. 1 14).

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Industriearbeiter nach Siebenbürgen und ins Banat zogen. 1 1 7 Die Verschiebun­gen der ethnischen Mehrheitsverhältnisse zugunsten der Rumänen verfolgten die Minderheiten mit besonderem Argwohn als "Rumänisierung". Doch auch die alteingesessenen rumänischen Stadtbewohner Siebenbürgens und des Ba­nats grenzten sich nicht selten gegen die vielfach als unzivilisiert und bäurisch empfundenen Neuzuzüger ab, so dass der Begriff "Moldauer" etwa im sieben­bürgischen Kronstadt eine negative Konnotation aufweist . 1 1 8 Damit soll auch der soziale Vorrang der sich selbst einem (einheimischen) Bürgertum und einer urbanen Intelligenz zurechnenden Rumänen gegen ein (zugezogenes), bäuer­lich-rural geprägtes Proletariat deutlicht gemacht werden. In ähnlicher Weise wurden bereits d ie rumänischen Sied ler, die sich im 18 . Jahrhundert aus der Kleinen Walachei kommend im Banat niederließen als "bujeni" oder "zarani" (tarani) bezeichnet. 1 19 Lokalpatriotisch weisen die Bewohner Timi§oaras gerne auf ihre interethnische Toleranz und das gute Auskommen mit Ungarn, Deut­schen, Serben etc. hin, während in der jüngeren Vergangenheit zugezogene rumänische Bewohner oft herablassend oder gar mit xenophobem Unterton als "Dahergelauftne" (vinituralveniturd; für Moldauer auch "sarmd", Drahtl20) bezeichnet werden. l 2 l

1 17 Siehe etwa LOlhar BLICKLING, Verrückte Welt. Kritik, Satire und Humor. Ein bisschen (politische) Ernster und viel (nicht nur politisch) Heiteres, besonders für Rumäniendeut­sche. Nürnberg 2008, 50 , wo das sozialistische Rumänien als EWW (Echt Walachische Wirtschaft, im Gegensatz zur westeuropäischen EWG) verspottet wird, wobei h ier "wa­lachisch" sowohl für die Walachei (als Hauptstadtregion pars pro toto) als auch für eine herabwürdigende Bezeichnung für Rumänen stehen kann.

1 1 8 Auf den Punkt gebracht in einem Beitrag einer Online-5atirereseite über eine angebliche administrative Neueinteilung, bei der das siebenbürgsiche Kronstadt aufgrund der großen Anzahl Moldauer Hauptstadt der Moldau werde: "Kein Kronstädter gibt zu, dass er von seiner Herkunft her Moldauer ist. So ertappst Du praktisch den Moldauer, wenn er sagt, nicht von dort zu sein und und sie zu hassen. Nirgendwo in ganzen Land gibt es so viele Leute die bestreiten, von der Herkunft her Moldauer zu sein, wie in K ronstadt" ( [NJici un bra§ovean nu recunoa§te ca e moldovean la origine. "Practic, a§a prinzi moldoveanul, cand zice ca nu-i dc acolo §i ca-i ura§te. Nicaieri pe cuprinsul �arii nu exista arat de mulri oameni care sä nege ca-s moldoveni la origine, ca in Bra§(JV"). EFTIMIE, Dreptate istorid.: Noua Impärrire pe regiuni va desemna Bra§ovul drept capitala a Moldovei. 29 Ial1llarie 2013, http://www.timesnewroman.ro/politic/8689-dreptate-istorica-noua-imparrire-pe-regi­uni-va-desemna-brasovul-drept-capitala-a-moldovei.

1 19 Siehe dazu die Literaturangaben bei Eleonora CALINCOF, Streiflichter zum Siedlungsbild des Banats im 18 . Jahrhundert, Das achtzehnte Jahrhundert und Österreich. Jahrbuch der Österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des Achtzehnten Jahrhunderts 1 0 (1995), 125-140, l35, Anm. 62.

120 Angeblich, weil arme Moldauer in so großer Zahl in andere Landesgegenden gefahren seien, dass in den Zügen kein Platz mehr war und einige auf dem Dach reisten, wo sie sich vor herunterhängenden Drähten in Acht hätten nehmen müssen: PRITULESCU (wie Anm. 1 14).

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Raumvorstellungen und LandesbeWllsstsein: die Walachei . . . 511

Die sozialen Unterschiede zwischen (einheimischer) Stadtbevölkerung und (aus dem Altreich zugezogener) Landbevölkerung werden dabei mit be­stimmten regionalen Merkmalen in Verbindung gebracht. Die Walachei wird als eine wirtschaftlich wenig produktive, kulturell konservative und gesell­schaftlich rückständige Region gesehen. Besonders im Kreis der ungarischen und deutschen Minderheiten gilt die ethnisch einheitlichste Region mit dem höchsten prozentuellen Anteil rumänischer Bevölkerungl22 als Gegenstück zum Idealbild einer toleranten, multiethnischen historischen Landschaft. Die lange historische Zugehörigkeit zum byzantinisch-orthodoxen beziehungs­weise osmanischen Raum wird hier in Verbindung mit dem administrativen Zentralismus negativ gewertet, da sie als Einebnung kultureller Vielfalt erlebt wird und das prinzipiell weltoffene Siebenbürgen von den positiv bewerteten westeuropäisch-abendländischen Werten entferne. 123 Insofern findet sich hier kleinregional eine Widerspiegelung der von Maria Todorova im europäischen Maßstab beschriebenen Prozesse der "Balkanisierung". 1 24 Dieses bei Ungarn und Siebenbürger Sachsen besonders deutlich ausgeprägte Bild findet sich in etwas abgemilderter Form auch bei siebenbürger Rumänen.

Solche Stereotype stehen jedoch, anders als das Negativbild von Bukarest, nur in sehr losem Zusammenhang mit einer als eigenständiger Landschaft wahrgenommenen Walachei. Das Bild der Walachei ist vielmehr vage, es ist sogar diejenige der historischen Großlandschaften Rumäniens, die als solche im kollektiven Bewusstsein am undeutlichsten konturiert ist. Viele der stereo­typen Einschätzungen gelten für das rumänische Altreich (" Vechiul Regat") insgesamt, also den Regionen, welche Rumänien vor dem Ersten Weltkrieg konstituierten (Walachei, Moldau und Dobrudscha). Auf der innerrumäni­schen Mental Map hebt sich die Walachei jedoch nur unscharf ab. Deutlich wahrgenommen wird hier nur Oltenien, die Kleine Walachei als westlichster Tei l der Gesamtregion. In stereotyper, karikierter Überzeichnung tritt in der Populärkultur, vor allem in Witzen, der Personentypus des "oltean" neben an­dere Personenstereotype, etwa des "moldovean" (Moldauers), des "ardelean" (Siebenbürgers), des "ungur" oder "ungurean" (Ungar oder Ungarnländer, Sie-

1 2 1 Gemäss eigener anekdotischer Evidenz; ebenso: Gheorghe ILA�, Timi§oara, capitala cmigranrilor din toatä pra?, Opinia TimiJoarei 1 30, 2 . 12.20 1 0, 1 -3, http://www.opiniati­misoarci.ro/timisoara-capitala-emigrantilor-din-toata -tara/021 12/20 1 O.

122 Lucian BOlA, Romania. Tara de frontiera a Europei. Bucure§ti 2002, 15f. 123 50 etwa ein Witz in BJ.ICKI.ING, Verrückte Welt (wie Anm. 1 17), 61f. 124 Maria TODOROVA, Imagining the Balkans. New York 1997; zur Kritik Holm 5uNDHAu­

SSEN, Europa balcanica. Der Balkan als historischer Raum Europas, Geschichte und Ge­sellschaft 25 (1999), 626-653; DERs., Der Balkan: Ein Plädoyer für Differenz, Geschichte und Gesellschaft 29 (2003), 608-624.

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512 Daniel Ursprung

ben bürger), des "Jigtm" (Zigeuners) oder des "evreu" Uuden). Der "Oltenier" gilt dabei als bauernschlau, gutmütig, großzügig, abergläubisch und konservativ, wobei sein ungeschicktes Verhalten im städtischen Umfeld und die Unbehol­fenheit im Umgang mit zivilisatorischen Errungenschaften auf die ländliche Herkunft verweisen. ! 2) Kurzum verkörpert der Oltenier, h ierin dem Moldauer nicht ganz unähnlich, den prototypischen Hinterwäldler, der verspottet wird, je nach Kontext aber aufgrund moralischer Integrität und als Hüter nationaler Traditionen insgeheim Bewunderung genießt. Daher eignet sich das Stereotyp des Olteniers auch besonders gut, um folklorisierende Authentizität zu evozie­ren. Oltenien wird vielfach als Region archaischer Authentizität ausgewiesen, als rumänischste aller rumänischen Regionen.126

Passend dazu weisen die Mundarten Olteniens archaische Formen auf, die in anderen Gegenden Rumäniens Belustigung hervorrufen, zugleich aber mit Bodenständigkeit assoziiert werden. Im Gegensatz dazu bildet die Umgangs­sprache der Großen Walachei die Grundlage des Standardrumänischen und wird daher nicht als dialektal empfunden. Auch die Staatskultur im Sozialis­mus kokettierte mit derartigen volkstümlichen Stereotypen: die vom Schau­spieler Amza Pellea dargestellte Figur des "Nea Marin" (,Onkel" Marin) er­reichte mit ihrem typisch oltenischen Habitus große Popularität.127 Auf einer subversiven Ebene konnten während der Ceau§escu-Jahre (1965-1989) Wit­ze über Oltenier daneben auch als Chiffre auf Ceau§escu betrachtet werden, stammte der Diktator doch aus dem Dorf Scornice§ti unmittelbar östlich des Olt, das in einem erweiterten Sinne als Teil Olteniens gesehen wird. 1 28

1 25 Siehe dazu die Sammlungen von Witzen über Oltenier: [ N.N.] , Antologie de bancuri cu olteni. Cluj-Napoca 2006 (Bancuri pentru tot fOmanu': antologie de umor, 14); Ioan MA­RINESCU (Hg.), Cele mai bune bancuri cu si despre olreni 1. Cluj 2001 (Biblioteca pentru tori glumerii, 55); Oltenier werden beschrieben als gewandt (descurcäreri), aber in nega­tivem Sinne, eher im Sinne von durchtrieben (§mecher), als Personen die keinen Finger krümmen, aber überzeugend reden können; sie werden als Gegenteil der Siebenbürger beschrieben, die Ruhe verkörpern. Siche PRITuLESCU, Ce ne separa (wie Anm. 1 14).

1 26 Ein ganzes Repertoire an Merkmalen, welche die Spezifik Olteniens begründen sollen bei Aurelia-Felicia STÄNCIOIU, Ion PARGARU, Anca-Daniela VLÄDOI u. a., Olrenia - Micro­destination of Cultural and Medical Spa Tourism, lheoretical and Applied Economics 1 8 (20 1 1), H. 12(565), 43-58, 44-48.

1 27 Etwa im 1 979 gedrehten Spielfilm Nea Marin miliardar unter der Regie von Sergiu Nico­laescu, einer der grösten Filmerfolge im sozialistischen Rumänien mit zahlreichen Anspie­lungen auf Sterotype über Olrenien und seine Bewohner; vgl. auch die DVD-Kompilation: Amza Pelca - Momente de aur. [s.!.] 2004; voller bewusst maßlos übersteigerter Klischees über Oltenier ist auch der Film Garcea �i oltenii, Regie Sam Irvin 2002 der Komikertrup­pe "Trei Sud-est" - die zentralen Figuren sind auch aus anderen Auftritten der Truppe bekannte Kreationen.

12" Zur Witzkultur im rumänischen Sozialismus Calin-Bogdan )TEFÄNESCU (Hg.), 10 ani de umor negru romanesc. Jurnal de bancud politice. Bucure§ti 199 1 , etwa Nr. 53, 22, Nr. 77,

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Raumvorstellungen und Landesbewusstsein: die Walachei . . . 513

Von Oltenien abgesehen ist die Walachei insgesamt, aber auch Muntenien als die größere Teilregion im öffentlichen Bewusstsein nur wenig präsent. In der volkstümlichen Ballade "Miorija" , im 19. Jahrhundert zu einer Art Na­tionalepos hochstilisiert, das den rumänischen "Volkscharakter" repräsentie­ren soll, treten drei Hirten auf, die nach ihrer regionalen Herkunft vorgestellt werden. In bezeichnender Weise ist dabei die Walachei nicht vertreten: in der am weitesten verbreiteten Variante werden die Hirten als "moldovan" (Moldau­er), "ungurean" (Ungarnländer, Siebenbürger) und als Vrancean (aus der Region Vrancea im Südwesten der Moldau stammend) vorgestellt.129

Die Diskrepanz zwischen der als klar konturierte historisch-ethnographi­sche Region wahrgenommen Kleinen Walachei (Oltenien) auf der einen und der fehlenden Wahrnehmung der Großen wie auch der Gesamtwalachei auf der anderen Seite ist auch für den intellektuellen Diskurs charakteristisch. Mit den von 1922 bis 1943 und erneut seit 1981 herausgegebenen "Arhivele Olte­niei" existiert eine traditionsreiche regionalwissenschaftliche Zeitschrift, die sich explizit als landeskundliches Publikationsorgan für alle die Region Olte­nien betreffenden Belange definiert.l3° Daneben existierten zahlreiche Zeitun­gen, Zeitschriften, Verbandsorgane oder Mitteilungsblätter aller Art, die im Titel den Namen Olteniens trugen, während dem Verfasser dieser Zeilen außer amtlichen Publikationen (Amtsblatt, Parlamentsprotokolle) und statistischen Jahrbüchern aus der Zeit vor oder um die Vereinigung der Fürstentümer Mol­dau und Walachei kein einziges Periodikum bekannt ist, das im Titel Bezug auf die Walachei oder Muntenien genommen hätte. I 3l Die Große Walachei

27; Nr. 197, 50; Nr. 548, 99; Nr. 753, 1 32; Nr. 883, 152; BLICKLING, Verrückte Welt (wie Anm. 1 17), v. a. 6-82; Bancuri din iepoca [sie!] odiosului. Bra�ov 1992; Dana Ma­ria NICULESCU GRASSO, Bancurile politice in \ärile socialismului real. Studiu demologic. Bucure�ti 1999, v. a. 228-239.

129 Ernest H. LATHAM (Hg.), Miorip: an icon of romanien culture. Ia�i, Oxford, Portland 1 999, 26.

1)0 Siehe die einleitenden Bemerkungen des Herausgebers in der ersten Nummer Ch. l.AU­GIER, PRIMUL CUVANT, Arhivele Olteniei I ( 1922), H. 1 , 1-2; vergleiche auch die, allerdings recht vage bleibenden, Angaben im Geleitwort von Nicolae IORGA, Regionalism oltean, ebd. 5-10; aUe Beiträge der ersten Folge sind aufgeführt in Justin CONSTANTINESCU, Ar­hivele Olteniei, 1 922-1 943. Bibliografie. Bucure�ti 1983.

1 3 1 Zu den zahlreichen, teils ephemeren Periodika aller Art, die den Namen Oltenien im Titel trugen siehe Nerva HODo�, Al. Sadi IONEscu (Hg.), Publica\iunile periodice romane�ti (zi­are, gazete, reviste), Descriere bibliograficä. Tom I: Catalog alfabetic 1 820-1906. Bucure�­ti 1 9 1 3, 32, 161 , 163, 171 f. , 232, 461 , 470, 560, 702, 775 ; Publica\iile periodice romane�ti (ziare, gazete, reviste). Catalog alfabetic. Bucure�ti 1969-: Tom Il (1907-1918, supliment: 1790-1906), 161 , 166, 432, 447-448, 635, 641 , 848; ebd. Tom I I I ( 1919-1924), 76, 5 1 f., 106-1 07, 178, 222, 231 , 245, 356, 429, 524, 677-678, 900; ebd. Tom I V (1925-1930), 13f. , 60, 1 29f., 282, 433, 467, 555, 698, 903, 9 1 3, 935; ebd. Vol. V, partea 1 (1931-1935),

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514 Daniel Ursprung

ist damit die einzige historische Region Rumäniens, die nie über eine eigene landeskundliche oder regionalgeschichtliche Zeitschrift verfügt hat.u2

Das Profil Olteniens als eigenständiger Region kommt darüber hinaus in mehreren landeskundlichen oder historischen Gesamtdarstellungen mit einem enzyklopädischen oder synthetischen Charakter über die Region Oltenien zum Ausdruck, denen nichts Vergleichbares in Bezug auf die Große Walachei (Muntenien) gegenübersteht.u3 Wenn verschiedene Regionen Rumäniens über traditionsreiche regionale Museen verfügen, deren Anfang meist in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zurückreicht, so existiert zwar ein solches für die Kleine, nicht aber für die Große Walachei. 1 J4 Dasselbe gilt auch für die institutionali­sierte Forschung: wäh rend in Rumänien und im Ausland verschiedene I nsti-

33, 65, 66, 346, 363; danach etwa Oltenia: documente, cercetari, culegeri ( 1 /1940-5/1944), seit 1980 das Jahrbuch des "Muzeul Olteniei" unter dem Titel Oltenia. Studii Ji comu­nicari; das Museum ist zwar heute administrativ dem jude! Dolj unterstellt, hat seit seiner Gründung im Jahr 1915 aber einen regionalen Anspruch in den Bereichen Ethnographie, Archäologie, Geschichte und Naturwissenschaften; vgl . Luchian DEACONU, Radu Popo­VICI, Muzeul Olteniei. Istorie, ghid. Craiova 1976; zu den Begriffen Tara Romaneasca, Muntenia oder Valahia (mit orthographischen und grammatischen Varianten) sind in obe­nerwähnten Periodika-Bibliographien, außer den erwähnten amtlichen und statistischen Periodika (vgl. Vol L 8, 37, 86-87, 194, 422, 432-435) dagegen keine Einträge aufgeführt (gemäß Voltextsuche in den Online-Faksimile aufhttp://www.dacoromanica.ro); in Buka­rest existiert seit 2001 ein Verlag namens "Mica Valahie" (Kleine Walachei), der auf geis­tes- und sozialwissenschaftliche Publikationen spezialisiert ist, allerdings ohne besonderen Fokus auf die Walachei, http://www.micavalahie.ro.

Ll2 Die seit 1969 unter dem Titel Valachica (die Jahrgänge 2/1970 bis 8/1976 trugen wechseln­de Titelzusätze: Studia, Acta, Scripta, Chronica, Documenta, Bibliotheca, Archiva Vala­chica, vergleiche zur politisch bedingten Namensänderung und den Schwierigkeiten einer regelmäßigen Publikation vor 1989 Gabriel MIHAESC, Valachica la 40 de ani de la aparij:ie, Valachica 21-22 (2008-2009), 3-4) ist keine regional-, sondern eine lokalkundliche Pu­blikation des ]udq-Museums Dambovij:a in Targovi§te; in dieser Stadt hat der Gebrauch der ßezeichnung "Walachei" für lokale Institutionen eine gewisse Tradition, so nennt sich auch die 1992 dort gegründete Universität "Valahia", http://www.valahia.fo; die von der Universität herausgegebene Zeitschrift Valahian Journal ofHistorical Studies hat keinerlei regionalgeschichtlichen Anspruch, sondern behandelt im Gegenteil explizit Themen der internationalen B eziehungen sowie der neueren und neuesten Geschichte Rumäniens und anderer Länder, siehe Ion STANCIU, Editor's Forward, Valahian Journal of Historica! Stu­dies l (2004) , 3 .

1 33 Ohne Herausgeberangabe erschienen Oltenia. Craiova 1943 (eine Art enzyklopädischer Sammelband); Dimitrie BODIN, Oltenia §i oltenii . Craiova 1 944; Mite M ÄNEANU, Oltenia, de la medieval la modernitate. Craiova 2009; Alex M ihai STOENESCU, Istoria Olteniei. Bucure§ti 201 1 (bebilderte populärwissenschaftliche Geschichte Olteniens) .

1 34 Muzeul Olteniei, Craiova (gegründet 1915), hnp:llwww.muzeulolteniei.ro; Bukarest ver­fügt über eine Reihe von Museen (und zahlreiche andere wissenschaftliche Institutionen) nationaler und lokaler Art, nicht aber über ein explizit regionales Museum.

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Raumvorstellungen und Landesbewusstsein: die Walachei . . . 515

tutionen oder mit wissenschaftlichem Anspruch auftretende Gesellschaften und inzwischen sogar universitäre Studiengänge die Erforschung und wissen­schaftliche Vermittlung einzelner historischer Regionen Rumäniens betreiben, existiert keine entsprechende Einrichtung oder Gruppierung, die sich explizit der Erforschung der Walachei verschrieben hätte.135

Selbst in systematischen, gesamtrumänisch ausgerichteten, aber regional gegliederten Publikationen hilfswissenschaftlicher Art oder Quellen- und Datensammlllngen wird die Walachei nicht konsequent als eigene historische Region behandelt. Je nach Umständen wird (den Grögenverhältnissen keines­wegs entsprechend, bedingt durch die Existenz regionaler Forschungseinrich­tungen) Oltenien separat geführt, während Muntenien alleine oder zusammen mit der Dobrudscha abgehandelt wird, gelegentlich auch alle drei genannten Regionen zusammen. 1 36

Die Walachei wird, so ist zu konstatieren, auf der mental map nur in sehr vagen Konturen als eigenständige Region wahrgenommen. Vielmehr steht sie als "rumänischste" der historischen Regionen des modernen Nationalstaats stellvertretend für den merkmallosen, weil dem Durchschnitt entsprechenden Zustand, während die anderen historischen Regionen die Abweichung davon markieren. Zudem ist die Walachei die einzige historische Region Rumäniens, die in der jüngeren Vergangenheit nie von Territorialansprüchen benachbar­ter Staaten betroffen war. Da ihre Zugehörigkeit zu Rumänien weder ganz noch teilweise umstritten war und ist, bestand auch nie die Notwendigkeit

135 Siehe etwas Gabriel MOISA, Direqii �i tendin�e in istoriografia romaneasca 1989�2006. Oradea 2007, 1 12-1 15 .

1 36 Je eigenständig geführt werden Oltenien und Muntcnien in Diqionarul toponimic al Romaniei: Oltenia. 7 vol. , Craiova 1993-; Diqionarul toponimic al Romaniei: Muntenia. Vol . 1�, Bucure§ti 2005�; Muntenien und die Dobrudscha einerseits, Oltenien anderer­seits etwa in der ethnographischen Datensammlung von Ion GHINOIU (Hg.), Särbäto­ri §i obiceiuri. Räspunsuri la chestionarele Atlasului Etnografic Roman. Vol. 1 : Oltenia. Bucure§ti 200 1 ; Vol. 5 : Dobrogea, Muntenia. Bucure�ti 2009; die beiden Bestandteile der Walachei plus die Dobrudscha deckt ab Nicolae STOlCESCU, Bibliografia localiä�ilor §i mo­numentelor feudale din Romania. I : Tara Romaneasca (Muntenia, Oltenia, Dobrogea). 2 vol. o. O. [Craiova] 1970 ; explizit als Teil der Walachei C{ara Romaneasca) ausgewiesen wird die Dobrudscha auf der Karte in GUSTI, Enciclopedia (wie Anm. 4), Vol. 1, gegenüber S. 48; das Korpus mittelalterlicher Dokumente hingegen umfasst die Walachei als Einheit: Documenta Romaniae historica. Seria B: Tara Romaneascä. Bucure§ti 1969�; zwar wird in derartigen Werken zu den beiden anderen großen historischen Regionen Rumäniens (die Moldau und Siebenbürgen) teilweise ebenfalls unterschieden zwischem einem Kerngebiet und Randregionen (Bessarabien und die Bukowina im Falle der Moldau, das Banat, die Cri§ana und die Maramure§ im Falle Siebenbürgens), die je nach Kontext separat oder gemeinsam mit der Kernregion geführt werden, doch im Unterschied dazu ist im Falle der Walachei ausgerechnet die Kernregion am undeutlichsten ausgeprägt.

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516 Danicl Ursprung

einer legitimatorischen Historiographie, welche in anderen historischen Re­gionen (nicht nur Rumäniens) wesentlich zur Entwicklung einer regionalen Geschichtsschreibung beigetragen hat, Daher zerfällt die Walachei in der ru­mänischen Binnenwahrnehmung in drei Teile: das archaische Oltenien, die dekadente Großstadt Bukarest, während die Große Walachei (Muntenien im engeren Sinne) weitgehend ignoriert wird.

FREMDWAHRNEHNUNG

DIE ZAHLRE ICH EN "WALACHEIEN " : VIELDE UTIGER LANDE SNAME UND STEREOTY PE

Die geographisch korrekte Verortung der Walachei gehärt im deutschsprachi­gen Raum keineswegs zur Allgemeinbildung. Der Begriff "Walachei" steht in der Umgangssprache einiger Regionen vielmehr für eine abgelegene Gegend, über die genaueres Wissen fehlt. Regional weist "Walachei" in den Dialekten des deutschen Sprachraumes ein beachtliches Spektrum an Bedeutungen auf, die jedoch alle auf einem ähnlichen Grundverständnis aufbauen. So ist Wa­lachei in Südhessen Synonym für "verwahrloster Haushalt", "ungepflegtes An­wesen", ,, (entlegenes) Feld mit ungünstigen Geländeverhältnissen"l37, in Preußen wurde darunter allgemein "unfruchtbares Land"138 verstanden. Dementspre­chend verweist in Mecklenburg die Redensart "dat is dar hinnen in de Wal­lachei" auf eine unbekannte, wüste Gegend, während "wi sänd hier doch nich in de Wallachei!" darauf zielt, staatliche Unordnung abzuwehren. Bei besonders auffälligem Aberglauben konnte die Rede davon sein "dat is doch, as wenn 'n in de Wallachei iS". 1 39 Wer in Thüringen die früher gebräuchl iche Redenart verwandte "dou gtt's zu wie in der Walachei" meinte damit, dass Durcheinan­der herrsche, es l iederlich zu und her gehe. 140 In rheinischen Mundarten steht "dat es de reinste Walachei" verächtlich für "eine in der Kultur zurückgebliebene Gegend"14 I , in der Pfalz meint dieser Name eine "Örtlichkeit mit Durcheinan­der" oder "unordentliche Zustände"142.

137 Friedrich MAURER, hiedrich STROH, Rudolf MULCH (Hgg.), Südhessisches Wörterbuch, Band 6. Marburg 2002, 210.

[3" Erhard RIEMANN, Reinhard GOLTZ (Hgg.), Preußisches Wörterbuch. Deutsche Mundar­ten Ost- und Westpreußens. Neumiinster 2000, 514 .

[ 3 0 Richard WOSSIDLO, Hermann TEUCHERT (Hgg.), Mecklcnburgisches Wörterbuch. 7. Band, T bis Zypreß. Ber!in 1992, 1 1 1 9.

[40 Viktor M ICHELS, Kar! SPANGENBERG, Susanne WIEGAND et al. (Hgg.), 1hiiringisches Wörterbuch. 6. Band, T-Z. Berlin 1990, 710.

1 4 1 Josef MÜLLER, Karl MEISEN (Hgg.), Rheinisches Wörterbuch. Bonn, Berlin 1 97 1 , 221 . [42 Ernst CHRIST MANN, Julius KRÄMER (Hgg.), Pfälzisches Wörterbuch. Band 6, Se-Z . Stlltt­

gart 1997, 1 016.

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Raumvorstellungen und Landesbewusstsein: die Walachei . . . 517

I n Frankfurt am Main war "Walachei" gar die abschätzige Bezeichnung des Viertels hinter der Alten Mainzergasse, meinte in Redensarten jedoch auch streitsüchtig, unordentlich oder laut sein.143 Bei Lippstadt trägt ein Na­turschutzgebiet den Namen Walachei (Geodaten: 51° 40' 37" N 8° 23'8" E) ­vermutlich ein Flurname mit ähnlicher Konnotation. Der Begriff Walachei ist jedoch nicht durchgehend negativ besetzt - in Hessen wirbt gar eine Gast­stätte ohne offensichtlichen Bezug zu Rumänien mit dem Namen "Walachei" offensiv mit dem Klischee der Abgeschiedenheit. So heißt es auf der Internet­präsentation etwa: "Eingebettet in der Rheinebene, zwischen Pfälzer Wald und Odenwald liegt die Walachei ftrnab von Straßenlärm und Alltagsstress. ( . .) In der Walachei können Sie sich wohlfühlen - abseits vom Trubel in absolut ruhiger Lage".144 Eine 201 1 in Berlin gegründete Biokosmetikfirma trägt ebenfalls den Namen Walachei mit folgender Begründung: "Walachei ist für uns ein Symbol für Einöde - die Metapher für einen Ort, an dem wir in aller Ruhe klar denken können. Um neue Produkte und Prozesse zu entwickeln, die unsere Natur und unsere Gesundheit nicht weiter beschädigen können."145 Auswanderer brachten den Namen sogar bis nach Brasilien, wo Mathias Mombach aus Echternach (Luxemburg) sich 1 829 in einem entlegenen Gebiet niederließ. Das Dorf, vier Kilometer nordwestlich der Kleinstadt Morro Reuter, zu der es admini­strativ gehört, liegt 60 Kilometer nördlich von Porto Alegre im Bundesstaat Rio Grande do Sul und ist bis heute als "Walachai" bekannt.146

Auch im deutschsprachigen Raum war der Name Walachei als Toponym verbreitet, zumeist in der Umgangssprache und, soweit die einzelnen Befun­de sich verallgemeinern lassen, nicht südlicher als Hessen und die Pfalz (wie die rumänische Walachei also durchgehend nördlich der Donau). So nannte man im thüringischen Sonneberg das Gebiet der Steinersgasse auf grund der unregelmässigen Bauart auch "Walachei", in Düsseldorf trug der Mitte des 19. Jahrhunderts planmäßig ausgebaute Stadtteil Friedrichstadt den Über­namen "Walachei", angeblich wegen seiner ursprünglich stadtfernen Lage. In Darmstadt bezeichnete die Walachei ein Wohnviertel im Nordwesten, im

143 Johann Joscph QpPEL, Hans Ludwig RAUB, Wolfgang BRÜCKNER (Hgg.), Frankfurter Wörterbuch. 17. Lieferung, ungehudelt bis wehen. Frankfurt am Main 1 984, 3473.

144 Webseite des Restaurants Gästehaus Walachei bei Viernhcim http://www.walachci-viern­heim.de/unserhaus.html [ 16 .2.2010] .

145 http://www.walachei.com/de/work_field/alles-%C3%BCber-walachei [17. 1 .2013] . 146 Felipe Kuhn BRAUN, Mem6rias de imigrantes alemaes e seus descendentes no Sul do Brasil.

Nova Petr6polis 201 1 , 15-21; Joao Benno WENDLING, A hist6ria de Walachai. Rio de Janeiro 2014, zum Namen 39f.; Geodaten der katholischen Kirche und des "Centro com[unitariol Sao Nicolau Walachai" (so ersichtlich auf Google meet view, 10 .12 .2013) : 29° 3 1 ' 2 .33" S 5 1 °3 ' 8 .50" W; zum Dorf erschien 2009 der Dokumentarfilm "Walachai" von Rejane Zilles.

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nahegelegenen Spachbrücken den ältesten Dorftcil, in weiteren Ortschaften Hessens (Goddelau, Frischborn) war Walachei als Flurname verbreitet . Auch in Berlin gab es eine Walachei, womit ein Stadtviertel bezeichnet wurde. Al­lerdings verweist das Berlincr Beispiel auf den wichtigen Umstand, dass dieser Name nicht immer mit der Landschaft an der unteren Donau in Verbindung zu bringen ist. Den Spottnamen "Böhmische" (oder "Kleine") Walachei trug dort das Gebiet der südlichen WilheImstraße von der Puttkamerstraße bis zum Belleallianceplatz (heute Mehringplatz), wo sich in den 173Üer und 174Üer Jahren böhmischc Glaubensflüchtlingc n icdergelasscn hatten. ' 47 Es könnte also sein, dass sich das Stereotyp der ,,walachei" zumindest in gewissen Re­gionen und anfänglich gar nicht auf das südrumänische Fürstentum, sondern auf die mit "Walachen" in Verbindung gebrachten Landschaften der Westkar­paten (primär Mährens sowie Schlesiens um Teschen, heute auf die "mährische Walachei" um Vsetin eingeschränkt) bezog. Zumindest ist eine Überlagerung der verschiedenen, dem durchschnittlich Gebildeten wohl in ihrer konkreten geographischen Abgrenzung sowieso nicht vertrauten, jeweils als "Walachei" bezeichneten Regionen wahrscheinlich. Die Bezeichnung "Walachen" in den nördlichen Ost- sowie in den Westkarpaten, ein vager Begriff mit wechselnden Konnotationen, geht zurück auf Hirten und Viehzüchter, die vereinzelt schon im späten 1 3. , vor allem aber im 14. und zum Teil bis ins 16 . Jahrhundert aus dem ungarisch-rumänischen Raum in den südlichen Teil Rotreußens, in die heutige Nordslowakei, nach Kleinpolen, ins südliche Schlesien und Mähren zuwanderten und dort die höheren Lagen besiedelten. In der Forschung ist umstritten, ob das Ansiedlungsrecht auch aus der südosteuropäischen Her­kunftsregion der Walachen (auf dem Balkan verfügten die dortigen "Vlachen" teils über ähnliche Bestimmungen) mitgebrachte Rechtsbestimmungen wie­derspiegelt oder ob das "walachische Recht" (Jus ValachicumIValachorum), aus­schließlich eine Adaption deutschrechtlicher Bestimmungen an die Verhältnis­se der viehzüchtenden Hochlandbewohner war, mit der die polnische Krone die Besiedlung besonders der östlichen Teile ihres Reiches förderte. Jedenfalls war das walachische Recht wie auch die deutschrechtliche Kolonisierung keine

147 Zu Sonneberg: Sonneberg in alten Ansichten. Erfurt 2007, 48; zu Düsseldorf Richard DEIss, Hibdebach bis Dribdebach. 222 Stadtteilbeinamen und -klischees von Applebe­ach bis Zickzackhausen. Nordcrstedt 2009, 25; zu Darmstadt MAURER, STROH, MULCH, Südhessisches Wörterbuch (wie Anm. 1 37), 210; zu Spachbrücken Hans RAMGE (Hg.), Südhessisches Flurnamenbuch. Darmstadt 2002 (Arbeiten der Hessischen Historischen Kommission, Neue Folge, 23), 95 1 ; zu den hessischen Beispielen Hessische Flurnamen online, http://Iagis.online.uni-marburg.dc/de/subjectslindex/snlfln [7. 1 2 .2013] zu Bcrlin Marina WESNER, Kreuzberg und seine Gotteshäuser. Kirchen, Moscheen, Synagogen, Tempel. Berlin 2007, 186; Hans BRENDICKE, Der Berliner Volksdialekt, Schriften des Ver­einsjür die Geschichte Berlins 32 (1895), 1 15-142, 1 23.

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ethnisch exklusive Angelegenheit und blieb nicht ausschließlich auf Gemein­schaften "rumänischer" Herkunft beschränkt. Vielmehr unterstanden auch Gruppen ruthenischer und anderer Herkunft walachischem Recht. Umstritten in der Forschung ist ebenso, inwiefern die als "Walachen" bezeichneten Grup­pen entlang der Karpaten und ihrem Vorland auf ursprünglich "rumänische", später slawisierte Hirten zurückgehen beziehungsweise in welchem Ausmaß lokale ost- und westslawische Gemeinschaften (Ruthenen, Polen, Slowaken, Tschechen), die "walachischen" Rechtsstatus und Lebensweise adaptiert hat­ten, an der "walachischen" Kolonisation der höheren Lagen bis nach Mähren im Westen beteiligt waren.

Der Name Walache bezog sich daher, zeitlich und örtlich unterschiedlich, ab dem 1 6. Jahrhundert überwiegend nicht mehr auf die Herkunft, sondern auf den Rechtsstatus (walachisches Recht), seltener auf die Wirtschaftsweise (Viehzucht, Almwirtschaft). Spätestens im 18. Jahrhundert wurde der Wala­chenname in Mähren und Südschlesien schließlich zu einer ethnographischen Bezeichnung der Hochlandbewohner.148 Möglicherweise war die Bewirtschaf-

148 Zur walachischen Besiedlung entlang des Karpatenbogens nach Norden und Westen und in die umliegenden Gebiete Grzegorz JAWOR, A�ezärile de drept valah �i locuitorii lor din Rutenia Ro§ie in evul mediu tarziu. Ia�i 2012, zum Zeitraum der Kolonisation 20-23, zu den Kontroversen um die Bedeutung des Walachen namens 28-30, zur frage, wo das wala­chische Recht entstand 38-41 (poln. Original: Osady prawa woloskiego i ich micszkancy na Rusi Czerwonej w p6znym Sredniowieczu. Lublin 2004); Wilhelm GIESE, Rumänen in der Mährischen Walachei, Zeitschrift für romanische Philologie 90 (1974), 1, 253-257; Jaroslav STIKA, Valasi a Valassko. 0 puvodu Valachu, valasske kolonizaci, vzniku a hi­storii moravskeho Valasska a take 0 karpatskych salasich. Roznov pod Radhostem 2007, 27-91 ; Josef MACUREK, Zur Frage der walachischen Kolonisation in den Westkarpaten, in: Liszl6 FÖLDES (Hg.), Viehwirtschaft und Hirtenkultur. Etnographische Studien. Bud­apest 1969, 244-257; den rumänischen Charakter der Auswanderung betonte u. a. $tefan Mete§, Emigriiri romane§ti din Transilvania in secolele XIII-XX. Bucure§ti ' 1977, 22-61, die These einer primär lokalen (slawischen) Herkunft der westkarpatischen Walachen ver­trat in zahlreichen Publikationen Dumitru CRANJALA, Rumunske vlivy v Karpatech se zvlastnim zretelem k Moravskemu Valassku = Influen�e romane§ti in Carpa�i cu privire specialä asupra reginuii Valassko din Moravia. Praha 1938, rumänische und französische Zusammenfassung XVI-XCIX; ebenso derselbe Dimitre KRANDJALOV, Lc probleme des influences roumaines dans les Carpates du Nord et de l'Ouest, surtout dans la region dite Valachie Morave (en Tchecoslovaquie), Sbornik praci historickjch 2 (1961), 143-190; Di­mitr KRANDZALOV, Valasi na Morave. Materialy, problemy, metody = Valachi v Moravii =

Les Valaques en Moravie. Praha 1963 (Acta Universitatis Palackianae Olomucensis. Facul­tas philosphica 18 , Historica 5); D. KRANDZALOV, Zur Frage des Ursprungs des H irten­wesens und seines Wortschatzes in den Karpaten, in: Laszl6 FÖLDEs (Hg.), Viehwirtschaft und Hirtenkultur. Etnographische Studien. Budapest 1969, 220-243; Richard JERABEK, Ethnische und ethnographische Gruppen und Regionen in den böhmischen Ländern (17.-20. Jahrhundert), Hthnologia slavica 19 (1987), 1 22-164, 150-153; zur ethnographischen

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tung karger, entlegener Bergregionen durch "Walachen" genannte Viehzüch­ter Ausgangspunkt der übertragenen Bedeutung von Walachei als entlegene, unftuchtbare Gegend, wie sie noch heute in der deutschen Umgangssprache verbreitet ist.

Im Dreißigjährigen Krieg rebellierten die protestantischen Walachen der Ge­gend von Vsedn in Mähren gegen die Habsburger (1621-1644), so dass der Name ,,walache" in dieser Gegend auf alle Aufständischen überging und der Begriff noch mehrere Jahrzehnte mit dem Begriff "Rebell" konnotiert wurde, während ihr Gebiet im militärischen Sprachgebrauch als ,,walachei" bezeichnet wurde.149 Im geographischen Sinne lässt sich der Begriff Walachei in Bezug auf Mähren und Schlesien in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts belegen, in der tschechi­schen Sprache auf die zweite Jahrhunderthälfte (Erstbeleg in einer Ortschronik 1687) und drang um die Mitte des 18 . Jahrhunderts in amtliche Dokumente vor ("Wallachei", "Wallachische Gegend"), worin die "wallachischen Unterthanen" un­ter anderem mit Raub und Plünderung in Verbindung gebracht werden. ISO

Der Name Walachei bezeichnete daher in verschiedenen h istorischen Epo­chen beziehungsweise Sprachen ganz unterschiedliche Räume mit zahlreichen Konnotationen und wanderte, der Ausbreitung der stereotyp als "Walachen" bezeichneter Gruppen (worunter abhängig vom Kontext die Sprache, die Wirtschaftsweise, die Konfession, eine rechtliche oder fiskalische Kategorie verstanden wurde) folgend, von Süden nach Norden und Westen: Im Hoch­mittelalter im heutigen Griechenland belegt (Pindos, Thessalien), fand er ab dem Spätmittelalter Verwendung für die "eigentliche" Walachei, die Woiwod­schaft nördlich der unteren Donau (gelegentlich auch für die Moldau) und wird schließlich in der Frühen Neuzeit für die gebirgigen Regionen i m südli­chen Schlesien, vor allem aber im östlichen Mähren gebräuchlich, während die A kten der österreich ischen Militärverwaltung eine weitere Region, das Gebiet der Militärgrenze in Slawonien, ebenfalls als Walachei bezeichneten.l s ,

Abgrenzung Kevin HANNAN, Borders o f Language and Identity in Teschen Silesia. New York u. a . 1 996 (Berkeley insights in I i ngu istics a nd scmiotics, 2R), 60f.; vgl. auch die

online-Bibliographie von DIACONESCU u. a . (wie Anm. 41) . 1 4" FrantiSek DOSTAL, Valasska povstani za tficetilete valky (162 1-1644). Praha 1956; STIKA,

Valasi (wie Anm. 148), 151 -154, 161 . ISO STIKA, Valasi (wie Anm. 148), 159-163; DERS., Nazvy Lach, Valach, Corol a nazev regionu,

Tiffnsko 5. dil (2003), 93-123, 100; für englische Belege von "Walachia" und "Wallachy" aus den 1 620er Jahren JosefPoLISENSKY, Valasi a Valassko v anglickych pramenech 17. sto­led, Nase Valassko 10 (1947), 3, 101-107, 102, 105; HANNAN, Borders (wie Anm. 148), 71 , der allerdings den deutschen Namen "Wallachey" in Mähren erst auf die zweite Hälfte des 18 . Jahrhunderts zurückführt, den tschechischen Terminus "Valachy" (der um die Mitte des 19. JahrhundertS durch Valassko ersetzt wurde) gar auf das frühe 19. Jahrhundert.

'51 Dimitr KRANDZALOV, 0 sovrernennom sostojanii izucenija rumynskich vlijanij v Karpa­tach, Ethnographica: roienka, Museum Moraviae Brunense 3--4 (1962), 254-273, 262 .

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D ie weiter oben angeführten regionalen Wörterbücher verweisen zwar, wenn sie den übertragenen Gebrauch überhaupt mit einer konkreten Region in Verbindung bringen, jeweils auf die Walachei am Südabhang der Karpaten, ohne jedoch die Herkunft der Redensart zu thematisieren. Über die Mechanis­men, wie dieser Wortgebrauch in die deutsche Sprache Eingang gefunden hat, scheinen derzeit keine Erkenntnisse vorzliegen. Mir ist jedenfalls keine Arbeit bekannt, die die Umstände erhellen würde, unter denen die Walachei in gewis­sen Regionen des deutschen Sprachraumes in der Umgangssprache eine neue Bedeutung erlangte, indem sie nicht mehr einen topographisch lokalisierbaren Raum bezeichnete, sondern zu einer generischen Bezeichnung entlegener Ge­genden und zum Spottnamen wurde. Die übertragene Bedeutung des Begriffs scheint gemäß dem Befund der regionalen Wörterbücher und eigener anekdo­tischer Evidenz vor allem im zentralen, nördlichen und östlichen Teil des deut­schen Sprachraumes bekannt zu sein, nicht jedoch im Süden und Südosten. In den deutschen Dialekten Siebenbürgens lässt sich dieser Wortgebrauch ebenso wenig feststellen. Daher erscheint es denkbar, dass die Redewendung westsla­wischen Einfluss widerspiegelt, zumal die Beziehungen des deutschen Sprach­raumes zur Walachei und der Moldau bis weit ins 19. Jahrhundert hinein zu­meist indirekt blieben und zumindest im Handel häufig über Polen l iefen. In diesem Zusammenhang ist etwa auf die Bezeichung eines kastrierten Pferdes als "Wallache" zu verweisen, die laut dem Grimmsehen Wörterbuch ab dem 16 . Jahrhundert belegt ist und auf die Herkunftsregion verweisen soll, ähnlich wie gleichbedeutende Bezeichnungen, die ebenfalls auf das östliche Europa ver­weisen wie französisch "hongre" ( Ungarn) und älteres neuhochdeutsch "reusz" (Russland). In eine ähnliche Richtung deutet der Übername von lspringen (bei Pforzheim), das als "Wilde Walachei" oder "Klein-Russland" verspottet wurde - Russland, Ungarn oder auch Walachei waren hier generische Begriffe des Fremden, Exotischen, Unbekannten, außer einer vagen Vorstellung vom "Osten" aber nicht geographisch konkret verortete Regionen. In verschiede­nen Kontexten wurden osteuropäische Ländernamen wie Polen, Russland oder eben Walachei im generischen Sinne für abgelegene Fluren verwendet.1)2

152 Klaus HEITMANN, Das Rumänienbild im deutschen Sprachraum, 1775-1918. Eine ima­gologische Studie. Köln, Wien 1985 (Studia Transylvanica, 12), 33f.; Deutsches Wörter­buch von Jacob und Wilhe1m GRIMM. Band 13: W-Wegzwitschern. Leipzig 1922, 1265; vgl. auch Friedrich KLUGE, Elmar S EEBOLD (Hgg.), Etymologisches Wörterbuch der deut­schen Sprache. Berlin 242002, 970; Ernst SCHNEIDER, Die Flurnamen der Stadtgemarkung Ettlingen. Karlsruhe 1980, (Beiträge zur Geschichte der Stadt Ettlingen, 7), 14; cbd. der Hinweis auf die Verwendung von Walachei als volkstümliche Benennung des Landfahrer­platzes in Karlsruhe-Hasgfeld sowie als Gassenname in Worms; zu Karlsruhe auch Ernst SCHNEIDER, Die Stadtgemarkung Karlsruhe im Spiegel der Flurnamen. Karlsruhe 1965 (Veröffentlichungen des Karlsruher Stadtarchivs, 1), 158; zu Worms Hans RAMGE, Die

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Für die Hypothese, "Walachei" als generische Bezeichnung entlegener Ge­genden sei aus dem westslawischen Sprachraum entlehnt worden, spricht, dass der Name Walachei auch im Polnischen einen sprichwörtlichen Gebrauch kennt, dort allerdings nicht mit Eigenschaften wie "entlegen" oder "öde" kon­notiert wird, sondern mit traumatischen Kriegserfahrungen verknüpft wird. Demnach war die N iederlage des polnischen Heeres unter Kasimir dem Gro­ßen auf dem Zug in die Moldau von 1367 (oder 1368, nicht aber 1359, wie Wurzbach meint) derart fürchterlich, dass die Walachei (gemeint ist offen­sichtlich die Moldau) zum "Grabhügel der Polen" wurde: " Valachia tumulus Polonorum".1)3 Auf einen ähnlichen Kontext verweist das Sprichwort: "Za krala Olbrachta pognifta szlachta" (In König Albrechts Tagen ward der Adel erschla­gen), das auf die Niederlage des polnischen Königs Johann Albrecht von 1497 gegen den moldauischen Woiwoden Stefan den Großen (Schlacht im Codrul Cosminului) anspielt. I54 Eine dritte Redewendung schließlich spricht wieder direkt die Walachei an: "Zarobif jak kral fan na Wolo5zczyznie" (es erging ihm dabei wie König Hans in der Walachei). H intergrund bildeten die diversen misslungenen polnischen Feldzüge in die Moldau unter König Johann Sobie­ski, zweimal (1686 und 1691) gar unter direkter Führung des Königs. I)5 Das polnische Bild von der "Walachei", worunter hier die Moldau zu verstehen ist, ist stark von solchen Erzählungen hinterlistiger und grausamer, in unzugäng­lichen Regionen siedelnden "Walachen" geprägt. I5G

D ie Namensgebung für die beiden rumänischen Woiwodschaften ist im Polnischen uneinheitlich, so dass je nach Kontext die Namen austausch­bar sind: während " Woto5zczyzna" als generischer Terminus sowohl Moldau (Motdawia) als auch Walachei (Multan) umfassen konnte, 157 wurde die Moldau

Siedlungs- und Flurnamen des Stadt- und Landkreises Worms. Giessen 1979 (Beiträge zur deutschen Philologie, 43), 287; zur synonymen Verwendung von Polen und Russland Ulrich SCHEUERMANN, Die Flurnamen des westlichen und südlichen Kreises Rotenburg (Wümme). Rotenburg (Wümme) 1971 (Rotenburger Schriften: Sonderhefte, 17), 198, 214: derzeit a rbeitet An�-M�ria Schlupp (Innsbrucklßr,lli:,lava) ,lllS litclalllfwisscnsc!Jafl­licher Perspektive an einer Dissertation zum Thema "Walachei", die sich zum Teil auch einigen der hier formul ierten Fragen zuwenden wird; Korrespondenz mit der Autorin im November 2013 .

153 Constam WURZBACH, Beiträge zur Culturgeschichte Polens. 1 . Band: Die Sprichwörter der Polen. Wien 1852, 17[

')1 EBD., 24[ 155 EBD., 8 I E 15(, ARMBRUSTER, Der Donau-Karpatenraurn (wie Anm. 44), 17 1 ; JAWOR, A�ezarile (wie

Anm. 148), 32f. 157 Filip SULIMIERSKI, Bronislaw CHLEBOWSKI, Wladyslaw WALEWSKI (Hgg.), Slownik geo­

graficzny K r6lestwa Polskiego i innych k raj6w slowiariskich, Tom XIII. Warszawa 1 893, 897.

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RaumvorsteHungen und Landesbewusstsein: die Walachei . . . 523

gelegentlich als "Walachenland" (Wotowska ziemif), die Walachei hingegen als "Multatiska" (Muntenien, Bergland) bezeichnet,158 wobei aber Multany auch für die Moldau stehen konnte15�. Man scheint in Polen die beiden Länder, ausgehend von ihrer "walachischen" Bevölkerung, als zusammengehörende Regionen wahrgenommen zu haben, selbst wenn man sich der Existenz zwei­er separater Woiwodschaften sehr wohl bewusst war. Im polnisch-litauischen Bereich wurde der Name Walachei schon früh unter anderem auf die Moldau bezogen, häufig mit diversen wechselnden und inkonsequent verwendeten Zu­sätzen (so maior, minor, inferior, superior, citerior, ulterior ete.) zur näheren Bestimmung versehen. 1 60 Die Bezeichnung der Moldau als "Walachei" ist in Polen von der päpstlichen Kanzlei übernommen worden, wo diese Namens­verwendung bereits 1 372 belegt ist, 1387 dann auch in Polen und ab dem 15. Jahrhundert auch auf italienischen Karten.161 1 395 wurde die Moldau von der Kanzlei Sigismunds von Luxemburg kleine Walachei genannt. Im 15. Jahr­hundert verbreiteten sich diese Namen, wurden bald aber schon verwechselt. In derselben Zeit fand der Name Walachei in den verschiedensten lokalen Va­rianten Eingang in die jeweiligen Volkssprachen. 162 Gelegentlich wurde sogar Siebenbürgen mit der Bezeichnung "Valachia" belegt, so in einer Karte aus dem späten 16. Jahrhundert, wo Siebenbürgen als " Valachia interior" erscheint. 163 In gelehrten Kreisen wurde der Name " Valachia" im Spätmittelalter mit den Rö­mern bzw. der "korrupten" lateinischen Sprache der " Valachi" (Rumänen) in Verbindung gebracht. Eine weit verbreitete, vom Humanisten Enea Silvio Pic­colomini (Papst Pius H.) in Umlauf gebrachte Etymologie führte den Namen auf einen angeblichen römischen Feldherrn FlacClls zurück. 164 In der Folge lässt sich der doppelte Gebrauch des Namens Walachei auch im deutschen Sprachraum nachweisen. So schrieb etwa 1576 Cristofor Teuffenpach, kaiser-

158 Samuel Bogumil LINDE, Slownik jc;zyka polskiego, Tom 6: U-Z. Lw6w 1 860, 385. 159 SULIMIERSKI, CHLEBOWSKI, WALEWSKI, Slownik (wie Anm. 157), Tom VI, 802; Samuel

ORGELBRAND (Hg.), Encyklopedyja powszec!tna, Tom 27 (Wikaryusz-Wybrze'l.e). Wars­zawa 1867, 779; Julian Ursyn NIEMCEWICZ, Dzieje panowania Zygmunta IH, kr6la pols­kiego, wielkiego ksi�cia litewskicgo itd., Tom 1 . Krak6w 1 860, 2 15f.

160 ARMBRUSTER, Der Donau-Karpatenraum (wie Anm. 44), 98, 185 ; Nicolae STOICESCU, Unitatea romanilor in Evul Mediu. Bucure�ti 1983, 1 35f.

161 Eugen STÄNESCU, Unitatea teritoriului romanesc in lumina men\iunilor externe. "Valahia" �i sensurile ei, Studii. Revista de istorie 21 ( 1968), 6, 1 105-1 1 23, 1 1 1 0.

162 ARMBRUSTER, Terminologia (wie Anm. 52), 256. 163 Iocobo CASTALDO, Romaniae (quae olim 'lhracia dicta) vicinorumque regionum, uti Bul­

gariae, Walachiae, Syrfiae etc. desriptio. [Antwerpen} 1584, digitales Ollline-Faksimile unter http://ora-web.swkk.dc.

164 Adolf ARMBRUSTER, La romanite des roumains. Histoire d'une idee. [Bucarest} 1977 (Bi­bliotheca historica Romaniae - Monographies, 17), 52.

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l icher Gesandter, aus Siebenbürgen an Maximilian I I . : "wie ich dann auch selbst vom Weyda und in der gemein vernommen, der Türkische Kaiser habe beiden Walacheien aujboten".165

Der Name Walachei wurde also sowohl für das Land südlich der Karpaten (die eigentliche Walachei) als auch für dasjenige östliche davon (die Moldau) verwendet, wie folgendes Zitat belegt: "Die Nahmen der jetzigen Hospodaren sind nicht nöhtig zu specificieren, weil man von ihrer fomilie doch wenig Näch­richt hat, auch von denen Zeitung-Schreibern gemeiniglich der General-Nähme die Wallachey von beyden Ländern genommen, und so eine grosse confusion ge­macht wird."166 Die Moldau wurde so mitunter zum "Principatus Vr./.lachiae propriae" , die Walachei an der Donau gar zum "Principätus Moldaviäe". 1 67 Häufiger jedoch steht der Name Walachei in einem weiteren Sinne als gemein­samer Name für beide Donaufürstentümer und in einem engeren Sinne für das südlichere der beiden Länder: "Diese gantze Landschaft [WalächeyJ wird in zwey theil getheiletlin Walachiam Transalpinam unnd in die Moldaw".168 Zusam­menfassend lassen sich im Raum der Ost- und Südkarpaten vier verschiedene Grundbedeutungen des Namens Walachei unterscheiden: 1 .) Landesname für das Fürstentum Walachei (rum. Tara Romaneasca), 2 .) alternativer Name für die Moldau, 3.) gemeinsamer Name für beide Länder und 4.) umfassende Be­zeichnung für alle von Rumänen bewohnte Gebiete. 169

Die Verwechslung wurde begünstigt durch den Umstand, dass die Grund­bedeutung von Walachei "Land der Walachen" ist, womit bis ins 19. Jahrhun­dert unter anderem die Rumänen als ethnische Gruppe gemeint waren, wobei der Begriff WalacheniVlachen im südost- und ostmitteleuropäischen Raum wie gezeigt je nach Kontext ganz unterschiedliche Bedeutungen annehmen

16S Andrci VERESS (Hg.), Documente privitoare [a istoria Ardealului, Moldovei �i Tärii-Ro­mane§ti. Volumul II: ac te §i scrisori (1573-1584). Bucure§ti 1930, 95 .

1(,6 J . E . B [EIlM] , Compendieuse Staats-Beschreibung Des Durchlachtigen Welt-Kreises, Wor­in 1. Aller Regenten, als Kayser, Könige, Chur- und Fürste]l. . . Dritrcr und letzter "lheil . Braunschwcig 172 1 , 341 .

Icl Nicolaes VrsscHER, Exactissima Tabula, Qua Tam Danubii Fluvii Pars Inferior, a Bclgrado Urbe usq ad ejus ostia et Minores in eum inHuentes Fluvii, quam Regiones Adjacentes, ut Transylvania, Valachia, Moldavia . . . Amsterdam [ca. 1690], digitale Online-Reproduktion http://lowcountrydigital.library.cofc.edu; siehe dazu auch Marin I'oPEscu-SPINENI, Ru­mänien in seinen geographischen und kartographischen Quellen. Vom Altertum bis an die Schwelle unseres Jahrhunderts. Wiesbaden 1987, 230.

1GB Conrad LAUTEN BACH, Sybenbürgische Chronica und Kriegßhändel zu Wasser und Lan­de, darinncn auch der Wallachen, Moldawer und I'odolicr Ursprung und Herkommen . . . Wallstatt [i.e. Frankfurt] 1596; digitales Online-Faksimile unter http://www.digitale­sammlungen.de, 5.

169 STÄNESCU, Unitatea teritoriului (wie Anm. 161), 11 05.

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Raumvorstellungen und Landesbewusstsein: die Walachei . . . 525

konnte. Der Name Walachei in der jeweiligen Lautung verschiedener Spra­chen bürgerte sich im Hoch- und Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit als Sammelbezeichnung an verschiednen Orten ein, wo "Walachen" ansässig ge­worden waren - was auch immer im jeweiligen Kontext unter diesem vielfältig gebrauchten und unscharfen Begriff verstanden wurde.

WANDELBARE TOPOGRAPH I E: VOM "BERGLAND" ZUR "WEITEN WÜSTENEI" -

WAHRNEHMUNG I M RAH MEN DER TÜRKENKRIEGE

Die Wahrnehmung des unteren Donauraumes stützte sich noch im Spätmittel­alter zumeist auf antike VorlagenYo Wenn das Land an der unteren Donau in den Blickwinkel des westlichen Europa rückte, dann meist im Zusammenhang mit den Türkenkriegen. Das Ausgreifen der Osmanen war im Spätmittelalter der Anlass gewesen, der die Walachei ins Bewusstsein des westlichen Europa rückte.17l Auf der zwischen 1430 und 1450 entstandenen, als "Mappamondo Borgiano" bekannten Weltkarte, die weitgehend antiken Vorlagen folgte, fand sich nördlich der unteren Donau die Bezeichnung "Magna Valachia", direkt benachbart am anderen Flussufer "Nicopoli", "Burgaria" und weiter südlich "Grecia", weiter westlich, aber ebenfalls noch südlich der Donau " Ungaria".I72 Die Schlacht von Nikopolis 1 396 dürfte die Ursache gewesen sein, welche die Walachei hier ins Bewusstsein des Kartographen gerückt hatte: Die Verzeich­nung dieser Stadt ist ein deutlicher Hinweis darauf, sind doch am gesamten übrigen Donaulauf nur noch zwei weitere Städte eingetragen worden: Viana (Wien) und Patama (Passau).

Vermutlich noch etwas älter, wahrscheinlich gar im unmittelbaren Kon­texte des Kreuzzuges von 1396 entstanden ist die einem Manuskript über das Kriegshandwerk beigegebene Karte der östlichen Regionen Südosteuropas.173 Als wohl älteste kartographische Darstellung der noch jungen Woiwodschaft

170 Siehe etwa Grigore Arbore POPESCU, Cartografia venetianä din secolele XIV-XVII �i Cllno�tin\e1e privind Dunärea inferioara �i Marea Neagrä, Arheologia Moldovei 29 (2006), 259-269, 266.

m ARMBRUSTER, Der Donau-Karpatenraum (wie Anm. 44), 1 1 1 -· 123 172 Reproduktion in [s.n.] (Hg.), Atlas: 'Ihe Bulgarian Lands in the European Cartographic

Tradition (3rd-19th centuries) = Atlas: Bälgarskite zemi v evropijskata kartografska tra­dicija ( I II-XIX v.). Sofia 2008, 65-66.

173 Reproduktion ebd., 3 86-387; vergleiche auch die Erläuterungen zu der Karte in der Editi­on des erwähnten Manuskripts bei Ion Dumitru SNAGOV (Hg.), Tirile romane in secolul al XIV-Ica. Codex Latinus Parisinus - 7239. Pauli Sanctini Ducensis: Tractatus de re militari et machinis bellicis = Tratat despre arta militarä �i ma�inile de räzboi [Bucurqti 1979], 66-107, v. a. 85, 99-100.

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526 Daniel Ursprung

Walachei war die Darstellung für damalige Verhältnisse überraschend genau, was sich mit ihrem Zweck als praktische Handhabe für die Bedürfn isse der Kriegsführung erklären lässt. Eventuell sind sogar Beobachtungen vor Ort in die Zeichnung eingeflossen. Die Walachei, mehrere Städte mit dem Kreuzban­ner künden davon, wird dabei a ls Teil des christlichen Europa ausgewiesen. Namentliche Erwähnung findet das "Prinzipio della Vlaehia" zwischen Karpa­ten und "Schierino" (Severin), zudem sind mehrfach weitere Eintragungen für "Vlahia" sowohl nördlich als auch südlich der Karpaten zu finden. Die Berge reichen östlich von "Zorio" (Giurgiu) bis zum Ufer der Donau und fal len dort völlig realitätswidrig mit steilen Felsen in den Fluss ab. H ier kam das Klischee eines gebirgigen Landes zum Ausdruck, was wohl mit der Nennung von Ber­gen im ungarischen Landesnamen zusammenhing. Noch im 18 . Jahrhundert verbreitete ein mit den Verhältnissen vor Ort nicht vertrautet Autor, die Wa­lachei sei ,jast nichts als lauter Gebuergelausgenommen gegen die Donau ZU",174

Demgegenüber war in der Frühen Neuzeit viel öfter das Klischee der "wei­ten Wüstenei", der endlosen Ebene verbreitet, so, wie es der Florentiner Anton­Maria del Chiaro schilderte, der sieben Jahre lang (I 71 0-1716) als Sekretär des Woiwoden Constantin ßrancoveanu in der Walachei gelebt hatte und a lso aus eigener Anschauung berichtete. Er meinte in seinem Werk über das Land, der ersten umfangreichen Landesbeschreibung der Walachei: "Dal Danubio sino Cl Bueorest (ehe e nel mezzo della Valaehia) e da Bueorest sino a Tergoviste, ehe e distante 14 ore di cammino, altro non si vede senon untt vttsttt e deliziostt pittnurtt, in eui non trovttsi ne pur untt pieeoltt pietrtt", 175 Interessanterweise verschob sich also die Wahrnehmung, je genauere Kenntnis vom Land vorhanden waren, bezüglich der Topographie radikal. Hatte die Walachei im Mittelalter noch als überaus gebirgiges Land gegolten, so begann sich in der Frühen Neuzeit die Sichtweise eines von endlosen Ebenen dominierten Territoriums durchzuset­zen. Darin widerspiegelt sich wohl nicht nur der Einfluss des ungarischen Lan­desnamens, sondern auch die Verschiebung des wichtigsten städtischen Zen­trums des Landes, der Woiwodenresidenz, vom Vorgebirge weit in die Ebene hinaus, Eine ziemlich adäquate Beschreibung l ieferte hingegen um 1778 Ste­fan Raicevic in seiner Landesbeschreibung: "dttlle rive dei Danubio fino alla meta, regntt una vastissimtt pittnura, e dalltt meta eomineiano ämene eoffine, e valli, ehe creseono fino äffe somita die Carpäzj". 176

17i [Heinrich Ludwig GUDE], Staat von Siebenbürgen, Wallachey und Moldau. [ Halle, ca. 1708J , [S o 4 1 ] .

175 Anton-Maria DEL CHIARO, Istoria delle moderne rivoluzioni della Valachia. e o n la de­scrizione del paese, natura, costumi, riti, c religionc degli abitanti.Ycnzia 1718. h ier zitiert nach der von Nicolae IORGA besorgten Ausgabe mit demselben Titel, Bucarest 1914, 21 .

17(' RAICEVJ(�, Osscrvazioni (wie Anm. '53), 34 .

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Raumvorstellungen und Landesbewusstsein: die Walachei . . . 527

Ödnis ist eine Eigenschaft, die in der gelehrten Literatur zur Walachei seit der Frühen Neuzeit derart oft wiederholt wird, dass nachgerade von einem Ste­reotyp die Rede sein kann. Geradezu exemplarisch formulierte Johann Georg Krünitzens Oekonomische Encyklopädie diese Sichtweise im Artikel zur Wala­chei aus:

"Die Physiognomie dieses Landes trägt die furchtbarsten Spuren einer langen Knechtschaft. Zur Hälfte noch in Trümmern und Schutthauftn liegen die Städte ohne Mauern, ohne more, denn jede Gegenwehr war bisher Verbrechen gewesen. Nachdem der Widerstand sich oft so fruchtlos gezeigt hatte, nachdem er so oft verderblich geworden war, dachte der Walache an keine andere Ret­tung mehr, als an die Flucht. Sobald eine türkische Schaar über die Donau herangezogen kam, entwich, wer etwas zu verlieren hatte, in die Wälder nach Ungarn oder Siebenbürgen. Die Bojaren gingen stets mit diesem Beispiel vor­an, und in vierzig Jahren hatte die walachische Bevölkerung sieben Mal die Flucht ergri/.ftn. Die Ortschaften dieses Landes liegen in 7hälern, gleichsam im Versteck; denn wer zurück blieb, suchte Schutz in seiner Armuth, seinem Elend und in der Verborgenheit. Welchen Anblick gewähren noch heute jene Dörfer ohne Gärten, ohne Obstbäume, ohne Kirchen, und, man möchte sagen, ohne Häuser, denn diese sind in die Erde versenkt und nur mit einem Dach von Zweigen eingedeckt. Vorwerke, Mühlen, Wirtschaftshäuser, Alleen, Anpflan­zungen, Brücken oder Schlösser erblickt man während ganzer Tagereisen nicht. Das flache Land ist vollkommen baumlos, obschon ein Drittel desselben mit Eichengestrüpp überdeckt ist. An Anpflanzungen dachte hier natürlich Nie­mand, und die schönen Waldungen, welche die Natur geschenkt, sind aufeine Art verwüstet, daß man kaum begreift, wie Bosheit, Nachlässigkeit, Muthwil­le, wie Menschenkräfte in ihrer verderblichen Richtung überhaupt zu solchen Verheerungen ausreichten. Es wird eben so schwer sein, diese großen Flächen in Forst-, als in Getreideland umzuwandeln. Von dem zum Ackerbau fähigen Boden ist kaum der fünfte 7heil bestellt, und so gleicht denn dieses Land in der mat nur einer weiten Wüstenei - einer Wüstenei freilich, die nur auffleißige Menschenhände wartet, um jede Mühe überschwenglich zu lohnen. "Weiter un­ten fuhr der Text mit einer Charakterisierung der walachischen Untertanen fort: "Kräfte, Zeit und Freiheit sind Schätze, die für ihn keinen Werth haben, und die er auch wirklich nicht gebraucht, um in dem Zustande fortzuleben, in welchem er aufgewachsen und der ihm lieb geworden ist. Der Walache hat von seinem Vater gelernt, nie mehr zu bauen, als gerade ausreicht, sein Leben küm­merlich zu fristen; ein Mehr wäre nur die Beute seiner Machthaber oder seiner Feinde gewesen. Gewöhnt, sich mit dem Allergeringsten zu begnügen, kennt er keine der tausend Bedürfoisse anderer Nationen und scheut die Dürftigkeit

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528 Dankl Ursprung

nicht so sehr, wie die Arbeit, den Zwang der Gesittung mehr, als das Elend der Barbarei." 1 77

Zedlers Universallexikon wiederum wusste in dem sich über drei Seiten er­streckenden Lemma " Wallache/, unter anderem folgendes zu berichten: "Dieses Fürstenthum, nehmlich die eigentliche Wallfichey, ist reich von Honig und das Land würde vortreffliches Korn (davon ein Artickel folget) geben, wenn die Ein­wohner selbiges recht zu bfiuen nicht zu foul wären, daher es fiuch geschiehet, dass sie einen grossen 1heil ihrer Verpflegung aus Siebenbürgen übernehmen müssen." 178 Das vorherrschende Bild der Walachei als einer "weiten Wüstenei" scheint vor allem im Kontext der häufigen Kriege insbesondere des 18 . und 19. Jahrhun­derts entstanden zu sein, die zumindest in den stark exponierten Landesteilen in der Ebene ähnlich wie im südlichen Ungarn große Verheerungen verursach­ten.179 Als die Habsburger 1717 die kleine Walachei besetzten, fielen ihnen die enormen Bevölkerungsverluste durch die Kriegshandlungen auf.180 üb auch hier eine Wurzel für die Entstehung der umgangssprachlichen Verwendung von Walachei im deutschen Sprachraum liegen könnte scheint insofern eher unwahrscheinlich, als damit die geographische Verbreitung (im nördlichen, nicht jedoch im südöstlichen deutschen Sprachraum) nur schwer zu erklären wäre.

Warum die Walachei eine derart öde Landschaft ist erklärte RudolfLindau dem Lesepublikum in seiner größtenteils aus Vorgängerwerken abgeschriebe­nenl S ! Landeskunde der Moldau und der Walachei. Er verwies auf die noch bis weit ins 19. Jahrhundert verbreitete Wohnweise in Grubenhäusern sowie auf die Tatsache, dass die Bewohner sehr verstreut und häufig weitab der Haupt­verkehrswege siedelten:

"In den Ebenen sind die elenden Wohnungen ganz unterirdisch ( . .) Mfin sieht in der Ferne nur den Rfiuch, der fiUS den Schornsteinen fiufiteigt, und in der Nähe bemerkt mfin dfis nur wenig über die Oberfläche des Bodens erhöhte

177 Johann Ceorg KRÜNITZ (Hg.), Oekonomische Encyklopädie oder allgemeines System der Staats- Stadr- Haus- und I.andwirthschaft. Band 233: Waidmühle - Wasserbenediktwurz. Berlin 1856, 7 -8 .

178 Johann Heinrich LEDLER (Hg.), Grosses vollständiges Universal-Lexikon. 52. Band, W­War. Leipzig, Halle 1747 (zitiert nach dem 2., vollständigen photomechanischen Nach­druck, Graz 1993-1999; OnIine-Faksimile umer http://www.zedlcr-Iexikon.de). 1 620.

179 HEITMANN, Das Rumänienbild (wie Anm. 1 52), 249, dort auch ein weiterer einschlägiger Quellenbeleg aus Meyers Lexikon, dem der Begriff der "weiten Wüstenei" entstammt.

! HO �erban PAPACOSTEA, Oltenia sub stäpanirea austriaca (1718-1739). BucureJti 2 1 998, 34f. 1 8 1 Manfred STOY, Historische Bücherkunde Südosteuropa. Band II: Neuzeit. Teil 2: Rumä­

nien 1521-19 1 8 . München 2002, 57.

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Raumvorstellungen und Landesbewusstsein: die Walachei . . . 529

Dach, das aus Stangen besteht, die mit Erde bedeckt sind (. . .) Die Bewohner dieser gedrückten Länder ziehen sich gewöhnlich von den Landstrassen zurück und wählen tiefere Gegenden oder Niederungen zu ihren Wohnplätzen, wo sie von Reisenden nicht bemerkt werden und sich Beraubungen und Plackereien entziehen können".1 82

Und an anderer Stelle:

"Der grosse Umfong des Bodens, den man in den beiden Fürstentümern im natürlichen Zustande lässt und die allgemeine Sitte, die in der unmittelbaren Nähe grofer Strassen gelegenen Felder nicht anzubauen, geben dem Lande an vielen Stellen ein ödes Ansehen, das den Reisenden täuscht; nach dem überra­schenden Anblicke den er vor sich hat, ist er versucht, sich in einer Wüste zu glauben, er bemerkt ausser den Posthäusern wenige Wohnungen auf seinem Wege und sieht kaum einige andere Spuren von Bevölkerung".183

Neben den stereotyp in praktisch allen Kontexten auftauchenden Grundbe­deurungen von öde und ungeordnet verband sich mit dem Namen Walachei im volkstümlichen Verständnis, wie bereits oben gezeigt worden ist, unter an­derem die Idee vom Aberglauben. Auch für diese im 18 . und 19. Jahrhundert weit verbreitete Vorstellungl84 lassen sich in der älteren Literatur Belege finden:

,Ja die gemeinen Leute koennen auch nicht einmal recht beten aus ietzt gedach­ten Ursachen. Dannenhero ist dieses Sprich-Wort entstanden dass nehmlich das Vater Unser hinter Cron-Stadt in Siebenbuergen ein Ende habe- Denn die Innwohner ueberlassen alle Glaubens-Sachen als auch das Beten ihren Pfoffen dannenhero sie alles was ihnen vorgesaget wird auch die allerlaecherlichsten Fabeln undLuegen vor ein wahres Heiligthum halten".185

Diese Sichtweise ist durchaus charakteristisch für das Bild, das in Mittel- und Westeuropa über den unteren Donauraum vorherrschte, der als barbarisch und roh gesehen wurde.186

182 Rudolf LINDAU, Die Walachei und MaIdau, in Hinsicht auf Geschichte, Landesbeschaf­fenheit, Verfassung, gesellschaftlichen Zustand und Sitten der Bewohner. Dresden, Leip­zig 1829, 1 40.

IR3 EBD., 163-164. I'" HEITMANN, Das Rumänienbild (wie Anm. 152), 238-240. 185 Curiöse Beschreibung von Der Moldau und Wallachey/worinnen deroselben Zustand und

Beschaffenheit/Graclltzen/LageriStacdte und Sch loesserldcr Innwohner Sitten/Religion, und andere Ceremonien . . . Gedruckt Im Jahr 1699. [s.l., s.n.], fol . BS/Cl .

186 Alexander RANDA, Pro republica Christiana. Die Walachei im "langen" Türkenkrieg der katholischen Universalmächte (1593-1606). Monachii 1964 (Acta historica, 3), 79.

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530 Daniel Ursprung

Über einen ganz anderen und sicherlich so unzutreffenden Brauch berich­tete bereits im 16. Jahrhundert Leonhard Gorecius in seinem Werk über den Kriegszug des moldauischen Fürsten Ion Vodi cel Viteaz von 1574, der im lateinischen Original als " Voivoda Valachiae" bezeichnet wurde:

"Denn es haben die Walachen ein solchen Brauch, dz welcher unuerletzt aus der Schlacht entfleucht, urmd heim zu Hauß kompt, wird derselbig vieljaem­merlicher unnd grewlicher getoedtet, darm wann er im Krieg were umbkom­men. Daher kompt es dz die Walachen viel grewlieher, Wilder unnd Standt­haJftiger seind im Streit, dann andere Voelcker, welches geschieht von wegen der Foreht, dz sie nicht doerffen sicher heim fwmmen, es sey dann sach das sie den Sieg erobern". [87

Obwohl hier vom benachbarten Fürstentum Moldau die Rede ist, wurde durch den Landesnamen " Valachia" einem mitteleuropäischen Lesepublikum, das mit den Verhältnissen des Donau-Karpaten-Raumes nicht vertraut war, ein Bild vermittelt, das es nolens volem mit der Walachei assoziieren musste.

Die Walachei war erstmals im ausgehenden 14. Jahrhundert anlässlich der Schlacht von Nikopolis schlaglichtartig ins Blickfeld des westlichen Europa gerückt. In den folgenden Jahrhunderten wuchs das Interesse der westlichen Mächte an der christlichen Woiwodschaft langsam, aber kontinuierlich. Lange Zeit lief die Wahrnehmung der Walachei im Westen über siebenbürgische und ungarische Vermittlung. Auf politischer Ebene blieb die Walachei zusammen mit der Moldau primär im Rahmen der Türkenkriege von I nteresse. Die beiden Länder waren als letzte christliche Vorposten im osmanischen Herrschaftsbe­reich sowie unzuverlässige Untertanen des Sultans wichtige potenzielle Ver­bündete der christlichen Mächte und mussten daher bei jeder Planung anti os­manischer Aktionen mit berücksichtigt werden. I m Zuge der Türkenabwehr setzte die gelehrte Auseinandersetzung mit den beiden Fürstentümern ein. Im späten 15 . Jahrhundert beschäftigte sich Aeneas Sylvius Piccolomini (als Papst Pius I I .) unter anderem auch mit der Region, die er in typisch humanistischer Weise im Rahmen des antiken Dakien behandelte. [ SS Besonders wichtig wur­den aber vermeh rt direkte Kontakte der christl ichen Mächte zu den Woiwoden der Walachei und der Moldau über das Gesandtschaftswesen. So setzten die

187 Leonhardus GORECIUS, Descriptio belli Ivoniae, Voivodae Valachiae, quod anno MDLXXIIII, cum Selymo H, Turcarum imperatore . . . Francofurti 1578, zit. nach der zeit­genössischen deutschen Übersetzung von Nicolaus HÖNIGER, Walachischen Kriegs oder Geschichten warhatlte Beschreibung, so Juonia der Landtvogt oder Vaywodcn, uber die Walachey, vom Türcken dahin gesetzt, unversehens im Jar MDLXXIIIl, wider den Türck­ischen Keyser Selym . . . Basel 1578, 20.

188 ARMBRUSTER, La fOmanite (wie Anm. 164), 52.

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Raumvorstellungen und Landesbewusstsein: die Walachei . . . 531

quellenmäßig belegten direkten Verbindungen der Habsburger zu den Regen­ten der beiden Länder in der Zeit nach der Schlacht von Mohacs (1526) ein.189 Als eigenständige Länder wurden sie von den Zeitgenossen jedoch nicht oder zumindest nicht konsequent behandelt. Sebastian Münster etwa beschrieb in seiner Mappa Europae in der weiteren Nachbarschaft zwar in dieser Reihenfol­ge Polonia, Hungaria, Grecia, Laconia, Tartaria und die Türckey, die Walachei jedoch fehlte in dieser Aufzählung genauso wie die Moldau.190

Wie wenig zuverlässig die in Westeuropa zirkulierenden Informationen über die Walachei selbst im 18 . Jahrhundert waren zeigt ein Blick in Dide­rots und d 'Alemberts berühmte Enzyklopädie. Unter dem Lemma "Valachie ou Valaquie" ist dort zu lesen:

"II n y a que trois villes dans la Valachie, savoir Tergovitz, OU dem eure I' hospodar, Briel 6- Tressort. Le terroir seroit fertile, si les habitaJzts le cultivoient: mais la plus grande partie est en friche, 6- les terres sont au premier qui veut les labourer 6- enfemencer. Les maisons des habitants ne sont bdties quen terre grasse, 6- couvertes de roseaux. " 19 1

Die Aufzählung der Städte zeugt von großer Unkenntnis der zeitgenössischen Verhältnisse. Targovi§te war nur bis ins 17. Jahrhundert phasenweise Woiwo­denresidenz, während Bukarest, die bedeutendste Stadt und zum Zeitpunkt der Publikation schon seit Jahrzehnten alleinige Residenz der Woiwoden, mit keinem Wort erwähnt wurde. Mit Briel war offensichtlich der Donau­hafen Briila gemeint, der zu diesem Zeitpunkt jedoch direkter osmanischer Verwaltung unterstellt war. " Tressort" oder Trescortal92 schließlich bezeichnete

189 Manfred STOY, Die Bedeutung der Moldau und Walachei in den österreichischen Tür­kenkriegen des 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts, in: [s.n.l (Hg.), Bericht über den zehnten österreich ischen Historikertag in Graz, veranstaltet vom Verband Österreichiseher Geschichtsvereine in der Zeit vom 20. Bis 23. Mai 1969. [Wien] 1970, 209-219, 212 .

190 Sebastian MÜNSTER, Mappa Europae, eygentlich fürgebildet, außgelegt und beschriben. Franckfurt am Meyn 1 536, digitales online-Faksimile unter http://www.digitale-samm­lungen.de.

19 1 Jean Baptiste LF. ROND D'ALEMBERT, Denis DIDEROT (Hg.), Encyclopedie, ou Diction­naire raisonne des scicnces, des arts et des metiers. Edition exactement conforme a celle de Pellet, in-quarto, tome 34. Lausanne, Berne. 1781 , 858.

1 92 Nicht zu verwechseln mit ,;rrescort" oder "Targorod" am Zusammenfluss von Siret und Moldova, also am Ort des heutigen Roman in der nördlichen Moldau: Antoine Augustin Bruzen DE LA MARTINIlmE, Le grand dictionnaire gcographique et critique, vol. 8. La Haye, Amsterdam, Rotterdam 1738, 298 ; der Name findet sich an besagtem Ort auch auf Karten, so auf der um 1689 von Nicolas Sanson erstellten Ungarnkarte, siehe Klira NEMEs (Hg.), Cartographia Hungarica, I. Magyarorszag terkepi a XVI. Es XVII. Szizadb6l. faks­zimile kiadasban = Karten Ungarns aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Faksimileausgabe. [Budapest] 1972, Nr. 9.

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532 Danicl Ursprung

den Marktflecken Thg§orI93, der jedoch schon längst hinter das nahegelegene Ploie§ti zurückgefallen war.

Die Information beruhte in diesem Fall auf älteren Vorlagen, die praktisch wörtlich übernommen worden sind. Schon im späten 16 . Jah rhundert fan­den sich in einer Aufzählung der walachischen Städte diese drei Namen in derselben Reihenfolge: "Die Stätt der klftinert Walachey seind Ternovvitz, alda der Weywoda wohnet. Item Braila unnd Trescurt".191 Noch frappanter sind die Übereinstimungen mit einem im späten 17. Jahrhundert erschienenen franzö­sischen Text: "Il n'y a dans la Valachie que trois Villes, Zernowitz, ou demeure l'Hospodar, Briel, & Tressors."195 Das Beispiel belegt, wie über Jahrhunderte hinweg selbst elementarste Angaben zur Walachei durch bruchstückhafte Überlieferung fragmentarischen Wissens tradiert wurde, das in dieser Form in der ersten Hälfte oder um die Mitte des 15 . , spätestens jedoch im frühen 16 . Jahrhundert zustande gekommen sein muss.1% Die besser informierte zeitgenössische Literatur wusste aber durchaus auch im 18 . Jahrhundert Zu­treffenderes über die Verhältnisse in der Walachei zu berichten. So führte der französische Konsul im osmanischen Reich Charles-Claude de Peyssonnel, der 1758/59 unter anderem die Walachei bereist hatte, in einem seiner Werke eine Reihe von 14 Städten an; der moldauische Chronist Costin wusste im späten 17. Jahrhundert gar die Namen von insgesamt 29 "Städten" aufzuzählen. 197

DIE WALACH EI ALS TEIL DAKIENS: DIE TRANSFORMATION EINER GELEHRTEN IDEE IN EIN POLITISCHES RAUMKONZEPT

Wir haben bereits gesehen, dass häufig gar nicht von der eigentlichen Walachei die Rede war, wenn der entsprechende Name Verwendung fand. Umgekehrt ist

193 Mircea GEORGESCU, Nume de locuri din Tara Romaneasca atestate In secolele al XV-Iea §i al XVI-lca (considera�ii morfo-sintactice §i semantic). Constanp 2007, 1 5 .

1 9 4 Ioannis B oteri des BENESERS [Giovanni Bottero BENESE], Allgemeine historische Weltbe­schreibung. München 161 1 , 74 (italienisch Le relation i universali. Bergamo 1 5%).

195 Gaspar BOUTTATS, Description exacte des royaumes de Hongrie, et Dalmatie, &c . . Avec les Principautes de Sevenberge, Walachie, Moldavie. & Bnlgarie, lerns Villes & Forteresses, tiree de plus expers I ngenieurs des Armees de I 'Empereur. Anvers 1688, 36.

196 Targovi§te ist 14 171 1 8 erstmals in den Quellen belegt und war bis zum Aufstieg Bukarests (Erstbeleg 1 459) in der zweiten Hälfte des 15 . Jahrhunderts wichtigster Sitz der Woiwo­den; Bräila geriet 1 538 unter osmanische Herrschaft; die Handelsstadt Targ§Of erlebte im 16. Jahrhundert den Höhepunkt ihrer Entwicklung; ältere und im walachischen Kontext

durchaus bedeutende Zentren wie Arge§ (bis 1 5 1 7 Sitz des Metropoliten) oder Campulung fehlen in der Aufzählung.

197 Charles-Claude DE PEYSSONNEL, Traite sur le cornmerce de la Mer Noire. Vol . 2. Paris 1 787, 1 77, zit. nach Mafia Holban, M. M. Alexandrescu-Dersca Bulgarn, Paul Cernovo­deanu (Hgg.), Cälätori sträini despre \ärile romane. Vol . IX. Bucure§ti 1997, 394; COSTIN, Opere (wie Anm. 1 0), 2 1 7.

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Raumvorstellungen und Landesbewusstsein: die Walachei . . . 533

festzustellen, dass vielfach der Name Walachei nicht benützt wurde, wenn von der Region zwischen Südkarpaten und unterer Donau die Rede war. Die Woi­wodschaft ging nicht selten im Rahmen größerer Raumkonzepte auf, wobei in humanistischer Tradition die antikisierende Wahrnehmung von Dakien als geographisch-historischer Raumeinheit unter Einschluss von Walachei, Mol­dau und Siebenbürgen zu den wirkmächtigsten Narrativen der frühen Neu­zeit über den Raum nördlich der unteren Donau gehörte. Die entsprechende Vorstellung war Gemeinplatz des gebildeten Diskurses über die Gegend zwi­schen Theiß, Unterlauf der Donau, Nordwestküste des Schwarzen Meeres und Dnjestr. Bereits auf einer historischen Karte von Ortelius vom Ende des 16. Jahr­hunderts erschien ein auf allen Seiten durch natürliche Grenzen gebildetes Da­cia: im Westen vom Tibiscus (Temes/Timi�), im Süden und Südosten von der Donau, im Osten vom Hierasus (Siret) und im Norden schließlich von den Kar­paten. 198 Knapp zwei Jahrhunderte später war auf einer historischen Weltkarte unter dem Begriff Dacia ein fein umrandetes Gebiet zu finden, das verblüffend genau den Umrissen des heutigen Rumänien entspricht, allerdings ohne die Dobrudscha, dafür im Osten bis an den Dnjestr reichend. 199 Weniger eindeutig identifizierte der Ragusaner Luccari in seinem Werk einen Teil von Valachia, die Woiwodschaft, mit dem antiken Dakien: "Negro Voeuoda di natione Unga­ro padre di Vlaico nel 13IO s'era impadronito di quell aparte di Valachia, la quale, secondo Tolomea, Eustachio, Suida, e Stefono Brochiero, Jit lantica Dacia".200

D ie antike römische Provinz Dacia, dies gilt es zu betonen, umfasste nur Siebenbürgen und die Kleine Walachei, während das Gebiet der späteren östli­chen Walachei und der Moldau wohl unter anderem von sogenannten "freien" (nicht der römischen Herrschaft unterworfenen) Dakern bewohnt wurde. D ie unterschiedslos den gesamten Raum von Siebenbürgen, Walachei und Moldau umfassende, ab der Mitte des 15 . Jahrhunderts belegte Benennung Dacia201 griff hier also nicht auf die römische Provinzeinteilung zurück, sondern formte in typisch humanistischer Manier aus einem antiken Völkernamen eine Raum­bezeichnung. D ie zeitgenössische Verbreitung der Rumänen ("Walachen") in allen diesen Gebieten, vor allem in den "Walacheien" (Walachei und Moldau) dürfte dieser Konstruktion Vorschub geleistet haben. Humanistische Autoren prägten so eine Raumimagination, die nicht unebdingt mit den Verhältnissen vor Ort übereinstimmte.

198 Abraham ORTELIUS, Daciarum, Moesiarumque, Vetus Descriptio. 1595, Reproduktion in Atlas (wie Anm. 172), 455-456.

199 Orbis veteribus notus auspiciis serenissimi principis Ludovici Philippi aurclianorum ducis publici juris factus. Aucror d'Anville lParis] 1763, Reproduktion in Atlas (wie Anm. 172), 439-440.

200 GiacoIllo LUCCARI, Copioso tistretto degli annali di Rausa. Venetia 1605, 49. 201 STOiCESCU, Unitatea (wie Anm. 160), 140-141 .

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534 Daniel Ursprung

A llerdings konnten solche gelehrten Konzepte durchaus wirkmächtig wer­den, wie neulich am Beispiel der geographischen Bezeichnung Bessarabien ge­zeigt worden ist. Bisher ging die Historiographie von einer Übertragung des Namens von der walachischen Dynastie der Basarab aus, welche ihre Herr­schaft unter Mircea dem Alten um die Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert über die Gegend nördlich der Donaumündung ausgedehnt hätte. Gemäß neu­er, quellenbasierter Erkenntnisse geht der Namen Bessarabien für die südöst­liche Moldau (und später, allerdings nicht erst nach der russischen Annexion 18 12 allgemein für die Region zwischen Pruth und Dnjestr) hingegen auf eine Verwechslung in der westeuropäischen Kartographie zurück, die erstmals um die Mitte des 16. Jahrhunderts belegt ist. Von da aus verbreitete sich der Name in geographische Beschreibungen und Kosmographien italienischer und polni­scher Humanisten, um allmählich in diplomatischer Korrespondenz aufzutau­chen. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts schließlich benutzten auch Reisende in ihren Berichten die Bezeichnung Bessarabien für die südöstliche Moldau. Etwa gleichzeitig begann sich der Name Bessarabien als gelehrte Bezeichnung in moldauischen Quellen auf die südöstliche Region, die Gegend nördlich der Donaumündung, zu beziehen, während er bisher, wie in polnischen Quellen bis Ende des 16 . Jahrhunderts, stets die Walachei (das Land der Dynastie Basa­rab) bezeichnet hatte.202

Ein anfänglich rein gelehrtes Konzept konnte mit der Zeit auch im poli­tisch-juristischen Sinne wirkmächtig werden wie das Beispiel der walachischen Donaugrenze zeigt. Die Vorstellung der Donau als Scheidelinie zwischen "Christentum" und "Islam" hat zwar schon früh Eingang in Reiseberichte ge­funden, stellte aber eine grobe Vereinfachung einer viel komplexeren Realität vor Ort dar. Eine der politischen Forderungen der walachischen Eliten des 1 8 . und frühen 19. Jahrhunderts war, die angeblich althergebrachte Donaulinie als Grenze "wiederherzustellen". Die unablässig wiederholten Forderungen nach einem angeblich historisch und geographisch legitimierten Grenzverlauf trans­formierten jedoch letztlich die symbolische in eine juristische Grenze, die 1 829 im Vertrag von Adrianopel anerkannt wurde.203

Der Raumdiskurs hatte hier performativen Charakter, war also nicht neutrale Beschreibung eines existierenden Zustandes, sondern trieb als eine Art "Sprechakt" vielmehr selbst einen Prozess an, der die Raumvorstellung und daraus folgend auch rechtlich-politisch anerkannte Raumeinteilungen überhaupt erst schuf.204 In denselben Kontext gehört der Raumdiskurs über

202 COMAN, Puterc (wie Anm. 6), 1 5 1-16l. 203 EBD., 290f. ",;, Zum Konzept der Performativität, einer Art "selbsterfüllenden Prophezeihullg", siehe etwa

Jürgen MARTSCHUKAT, Steffen PATZOLD, Geschichtswissenschaft und "performative turn".

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Raumvorstellungen und Landesbewusstsein: die Walachei . . . 535

Dakien. Die rumänische Nationalbewegung reicherte das ursprünglich rein gelehrte Konzept, das antike Daker mit zeitgenössischen "Walachen" (Rumä­nen) in Verbindung gebracht hatte, mit politischen Inhalten an. Die Natio­nalbewegung propagierte die humanistische Raumvorstellung als territorialen Rahmen eines rumänischen Nationalstaates, der freilich mit dem antiken Da­kien nichts gemein hatte. Zugespitzt formuliert war die "Einheit" des Volkes daher nicht Ursache als vielmehr Folge gelehrter Raumimaginationen.

Dabei überlagerten sich zwei anfänglich getrennte Diskussionsstränge: ei­nerseits der unscharfe, vom Volksnamen abgeleitete Name Walachei, der in verschiedenen historischen Epochen von Thessalien bis Mähren "walachisch" besiedelte Regionen benannte, andererseits der antikisierende Name Dacia, den die Humanisten auf die zeitgenössischen Bewohner (nicht nur die Rumä­nen) des entsprechenden Raumes übertrugen. Die Bedeutungsnuancen zwi­schen "Dakien" und "Walachei" verschwammen und beide Begriffe konnten in der gelehrten Literatur als Synonyme für ein- und denselben Raum verwen­det werden.205 Auch wenn die Rumänen gelegentlich in die Nähe der Daker gerückt wurden, so identifizierte die frühneuzeitliche Literatur etwa auch die Siebenbürger Sachsen mit den Dakern.206 Und es waren ungarische Fürsten Siebenbürgens, die aus machtpolitischen Überlegungen während Kriegswirren vereinzelt in einem größeren Raum dachten und die Vorherrschaft über die beiden Länder jenseits der Karpaten, die Walachei und die Moldau, anstreb­ten: Sigismund Bathory (1581-1602, mit Unterbrechungen) und Gabriel Beth­len (1613-1629)207. In diesem Kontext muss auch die ephemere Personalunion der drei Länder unter der Herrschaft des walachischen Woiwoden Michael des Tapferen 1600 gesehen werden, dem das Vorbild Sigismund Bathorys noch vor

Eine Einführung in Fragestellungen, Konzepte und Literarur, in: DIEs. (Hg.), Geschichts­wissenschaft und "performative rurn". Rirual, Inszenierung und Performanz vom Mittelal­ter bis zur Neuzeit. Köln, Weimar, Wien 2003 (Norm und Struktur. Studien zum sozialen Wandel in Mittelalter und Früher Neuzeit, 19), 1-31 ; Christoph WULF, ]örg ZIRFAS, Die performative Bildung von Gemeinschaften. Zur Hervorbringung des Sozialen in Ritualen und Ritualisierungen, Paragana. Internationale Zeitschrift für Historische Anthropologie 10 (2001), 1 , 93-1 16; Stanley J. TAMBIAH, Eine performative Theorie des Rituals, in : Andrea BELLIGER, David J. KRIEGER (Hgg.), Ritualtheorien. Ein einführendes Handbuch. Wies­baden 1 998 , 227-250.

205 STOICESCU, Unitatea (wie Anm. 160), 1 31-132. 20G Aufgrund der Namensähnlichkeit wurden Geten (Daker, Geto-Daker) mit Goten (Germa­

nen) verwechselt und die deutschsprachigen Siedler Siebenbürgens mit den im 4. Jahrhun­dert in dieser Region belegten Goten identifiziert: Edit SZEGEDI, Geschichtsbewusstsein und Gruppenidentität. Die H istoriographie der Siebenbürger Sachsen zwischen Barock und Aufklärung. Köln, Weimar, Wien 2002 (Studia Transylvanica, 28), 331f.

207 Nicolae STOICESCU, Age-old facrors of Romanian unity. Bucuresti 1986, 196.

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Augen stand.208 Jedenfalls entsprangen seine Kriegszüge nicht einem angebli­chen National- oder Volksbewusstsein, sondern waren eine aus der Not heraus geborene Lösung. Eine Vereinigung der drei Länder strebte Mihai nie an.209 Auf keinen Fall kann daraus auf ein politisches Raumkonzeptes "Dakien" bei den walachischen Eliten jener Zeit geschlossen werden. Dakien war vorerst ein diffuser Begriff, auf den verschiedene Gruppen zu Legitimationszwecken zurückgriffen. Erst im späten 18 . und im 19. Jahrhundert wurde Dakien zu

einem eindeutig "rumänisch" konnotierten Konzept. Wie wenig Dakien zuvor ein politisches Konzept war belegen etwa die

Werke des berühmten Gelehrten und kurzzeitigen moldauischen Woiwoden Dimitrie Cantemir. Er zeichnete das Bild eines politische Grenzen überwin­denden Großraumes, der jedoch rein historisch-kulturell zu verstehen ist. In seinem um 1720 im russischen Exil verfassten rumänischsprachigen Ge­schichtswerk "Hronicul vechimei a romano-moldo-vlahilor" (Chronik des Alters der Romanen-Moldo-Wlachen) machte er Dakien zum Rahmen der Erzählung, die im Wesentlichen vom Altertum bis zur Gründung der Walachei und der M oldau im 14. Jahrhundert reichte. Er verortete das vorrömische Dakien, nach Strabon das Gebiet der Daker oder Geten, in einem riesigen Gebiet, das vom Azovschen Meer im Osten bis zum Mittellauf der Donau bei Buda, ja gar bis zum Quellgebiet der Donau im Westen sowie vom Bug im Norden südlich über die Donau hinaus bis zu den Rhodopen gereicht haben soll. Nach ihrer Eroberung hätten die Römer nur noch das Kerngebiet als Dakien bezeichnet und es in drei Teile aufgeteilt: die Region entlang der Donau von der Mündung der Theiß bis zum Olt (das "am Flussuftr gelegene" Dakien, entspricht in etwa dem römischen Dacia inftrior oder maluensis), Siebenbürgen (das "mittlere" Dakien, entspricht in etwa dem römischen Dacia superior bzw. Dacia apulensis und porolissensis) sowie die Region außerhalb des Karpatenbogens vom Olt bis an den Dnjestr, also die Große Walachei sowie die Moldau inklusive B essara­biens (das "gebirgige" Dakien, das nicht Teil des römischen Dacia war).2 1 0

211H Constantin REZACHEVICI, Legcnda §i substrarul ci istoric. Mihai Vitcazul "Rcstirutor Da­ciae"?, Magazin Istoric 34 (2000), 10, 108-1 1 2; lancu MOTU, Mihai Viteazul. Un principe renascentist. Cluj-Napoca 2008, 1 1 2f.

209 Meinolf ARENs, Habsburg und Siebenbürgen, 1 600-1605. Gcwaltsame Eingliederungs­versuche eines ostmittclcuropäischcn Fürstentums in eincn frühabsoluristischcn Reichsver­band. Köln, Weimar, Wien 2001 (Studia Transylvanica, 27), 4 1f ; Lucian BOlA, Geschich­te und Mythos. Über die G egenwart des Vergangenen in der rumänischen Gesellschaft. Köln 2003 (Srudia Transylvanica, 30), v. a. 48-52; MOTu, Mihai Viteazul (wie Anm. 208), 1 5 1-161 .

2 1 0 Einc Karte der römischen Provinzen in Dakien in Andras BEREZNAY, Erdely törtenetenek Atlasza. 0.0. 20 1 1 , 23.

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Cantemir stand hier in der Tradition der in der Frühen Neuzeit so beliebten antikisierenden Namen Dacia ripensis (der Name bezog sich in der Spätantike auf eine nach dem römischen Rückzug aus Dakien südlich der Donau in Ober­mösien gegründete Provinz), Dacia mediterranea (spätrömischer Name einer Provinz mit Zentrum in Serdica, dem heutigen Sofia) und Dacia alpestris. 2 1 1 Das heutige Dakien, so Cantemir, umfasse daher das Ey!det von Temesvar (grob das heutige Banat), Siebenbürgen, die Walachei und die Moldau inklusi­ve dem Budschak, das H interland der Schwarzmeerküste zwischen Donaudel­ta und Dnjestr-Mündung. 2 1 2 Nach dem " Wechsel oder besser der Übersetzung des Namens Dakien in Walachei (Volohia)" hätten die Moldau und die Walachei, solange sie unter gemeinsamer Herrschaft gestanden hätten, beide den Namen Walachei getragen - die Moldau sei als große, die Walachei hingegen als kleine Walachei bekannt gewesen. Später aber hätten sie sich unter Drago� und Ne­gru Vodä (gemeint war damit die Gründung der beiden Woiwodschaften im 14. Jahrhundert) getrennt und würden seither verschiedene Namen tragen: die große Walachei nenne sich seither Moldau, während der Name Walachei für das Land zwischen Südkarpaten und Donau übrig geblieben sei . 2 1 3

Cantemir referierte sehr ausführlich die mehrdeutige Bezeichnung Wa­lachei, die neben der Kernbedeuwng (die aus Muntenien und Oltenien be­stehende eigentliche Walachei) zusätzlich auch die Moldau oder im weitesten Sinne als Synonym von Dacia überdies noch Siebenbürgen und das heutige Banat umfassen konnte. Dieser regionale Rahmen lag seiner bereits im Titel angesprochenen These zugrunde. Cantemirs Bestreben war es, die Rumänen als Nachfahren der Römer zu präsentieren, die sich in Dakien niedergelassenen hätten und in den drei Ländern Siebenbürgen, Moldau und Walachei gleicher­maßen leben würden.214 Er wollte über die Vergangenheit aufklären, nicht, die Zukunft gestalten - das sollte ihm erst von späteren Generationen besonders in der Ceau§escu-Ära angedichet werden, die seine Schriften mit den modernen Kategorien eines "einheitlichen Volkes" und eines "einheitlichen Territoriums" interpretierten.2 1 5

2 1 1 So etwa bei Antonio Bonfini, siche ARMBRUSTER, Der Donau-Karpatenraum (wie Anm. 44), 164; ebenfalls bei Abraham ORTELIUS, Daciarum, Moesiarumque, Verus De­scriptio. 1595, Reproduktion in Atlas (wie Anm. 1 72), 455-456.

m Dimitrie CANT EMIR, H ronicul vechimei a romano-moldo-vlahilor. Editie ingrijitä, studio introductive, glosar �i indici de Stela TOMA. 2 vol., Bucurqti 1999-2000, vol. 1, 47-55 (fol. 8-18).

213 EBD., 270-271 (fol. 323-325). 214 EBD. VoL 2, siehe etwa 152 (fol. 532-533). 215 So etwa STOICESCU, Unitatea (wie Anm. 160), 165f.; siehe auch BOlA, Geschichte und

Mythos (wie Anm. 209), v. a. 1 62-169.

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Kaum einer der frühneuzeidichen Autoren, die über diesen Raum schrie­ben, waren dabei besser informiert als Cantemir, der seinem Heimatland, der Moldau, eine ausführliche landeskundliehe Beschreibung widmete. 2 16 N ach ge­rade erstaunlich ist es im Kontrast dazu, wie unscharf im Hronicul die Wala­chei als eigenständige Landschaft oder politische Einheit konturiert ist. Cante­mir betrachtete die Walachei im historisch-kulturellen Sinn nicht als separate Größe, sondern bloß als Teil eines weiter gefassten geographisch-historischen Raumes und reihte sich damit in eine intellektuelle Debatte ein, die er zugleich entscheidend mitprägte. Die gemeinsame, Moldau wie Walachei umfassende Raumvorstellung war den moldauischen Bi ldungseliten durchaus vertraut.217

Im walachischen Kontext hatte die bereits einige Jahrzehnte früher entstan­dene Chronik des Stolnic Constantin Cantacuzino erstmals explizit auf dem antikisierenden dakischen Raumbegriff aufgebaut. Im Unterschied zum wala­chischen Chronisten beeinflusste das Werk des polyglotten Cantemir jedoch die Außenwahrnehmung in wesentlich größerem Maße. Die siebenbürgische Schule, gemeinhin als Wiege der rumänischen Nationalbewegung verstanden, nutzte Cantemirs Erzählung ausführl ich.2 18 Cantemirs Schriften, wenn auch nicht sein Hronicul, waren überdies Quelle eines umfangreichen Plagiats, das jedoch indirekt die Rezeption seiner Texte förderte. 2 19 Häufige Abschriften ge­hörten sowieso zu den wichtigsten Mechanismen, mit denen die spärlichen Informationen über den Raum außerhalb des Karpatenbogens bis weit in das 19. Jahrhundert hinein einem westeuropäischen Publikum zugänglich ge­macht wurden.220 Den wenigen Angaben aus erster Hand stand ein Heer von Autoren gegenüber, welche die immergleichen Informationen aus zweiter oder dritter Hand laufend reproduzierten, verfremdeten und ausschmückten.221 D ie

2 1 6 Dernetrii CANTEMIRII [Dimitrie CANTEMIR], Descriptio antiqui et hodicrni status Mol­daviae = Descrierea Moldovei. Bucure�ti 1973; Faksimile-Edition einer zeitgenössischen deutschen Übersetzung: DERS., Beschreibung der Moldau. Bukarest 1 973 .

W I.AITSOS, Die Konstruktion (wie Anm. 83), 2 17. 218 Ein Exemplar des Hronicon war zufallig nach Blasendorf, das geistige Zentrum der sieben­

bürgischen Schule, gelangt, Alina TOl'AN, Die Persönlichkeit von Dirnitrie Cantemir im bessarabischen Identitätsdiskurs in der Zwischenkriegszeit, in: Klaus BOCHMANN, Vasile DUMBRAVA (Hgg.), Dimitrie Cantemir: Fürst der Moldau, Gelehrter, Akteur der europä­ischen Kulturgeschichte. Leipzig 2008 (Veröffentlichungen des Moldova-Instituts Leipzig, 3), 286-303, 297.

2 1 9 Klaus HEITMANN, Ein erfolgreicher Plagiator Dimitric Cantemirs: Jean-Louis Carra und seine "Histoire de la Moldavie et de la Valachie" (1777), in: BOCIIMANN, DUMBRAVA, Di­mitrie Cantemir (wie Anm. 2 1 8), 14 1-149, 144-146.

220 Vergleiche dazu etwa zum Werk von LINDAU, Die Walachei (wie Anm. 1 82) in Anm. 164. 12 1 Vergleiche etwa die mit Cantemirs Darstellung erstaunlich genau übereinstimmenden An­

gaben zur Walachei bei ZEDLER, Grosses vollständiges Universal-Lexikon (wie Anm. 178), 16 18f.

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gegenseitige Bestätigung anekdotischer Evidenz konnte sich so schnell zu ver­meintlich vielfach belegtem Wissen verfestigen. Die meist in wenigen stereo­typen Grundaussagen zusammenfassbaren Angaben über die Walachei in der Publizistik der Zeit bis ins 19. Jahrhundert verweisen auf das geringe Ausmaß an konkretem Wissen über die Landschaft. Eine wichtige Informationsquelle für die westeuropäische Presse des 18 . und frühen 19. Jahrhunderts bildete d ie siebenbürgische, und hier vor allem die deutschsprachige Presse, die über die Ereignisse im südlichen Nachbarland berichtete, wobei jedoch die diskonti­nuierliche Erscheinungsweise immer wieder Lücken entstehen ließ. Vielfach waren Zeitungen daher aufPrivatkorrespondenz von Kontaktpersonen vor Ort oder in wichtigen Städten außerhalb der Walachei angewiesen. Anlässlich des von Tudor Vladimirescu geführten Aufstandes von 1 82 1 wurde gezeigt, dass Nachrichten rund eineinhalb Monate brauchten, bis sie in Londoner Zeitun­gen erschienen, während die Wiener Presse in der Regel dank enger Kontakte und Korrespondenten vor On detaillierte Informationen hatte, die von ande­ren Zeitungen übernommen wurden. 222

DIE KARTIERUNG DER WALACHEI: DAS LANGE 18 . JAHRHUNDERT ALS HÖH EPUNKT VON

WALACHEIBESCHREIBUNGEN

Werke frühneuzeitlicher Landeskunde zum südöstlichen Europa hatten also in einem beträchtlichen Ausmaß den Charakrer von Kompilationen: Karto­graphen, Geschichtsschreiber und Autoren von Reiseberichten bezogen ihr Wissen häufig aus Vorgängertexten und stützten sich auf das Hörensagen. Allenfalls wurden die zugrunde l iegenden I nformationsquellen mit herme­neutischen Verfahren in neue Interpretationsrahmen wie die beliebten klas­sifizierenden Schematas eingefügt, häufig aber mit Verweis auf Tradition und Autoritäten als "Offenbarungswissen", als unhintergehbare Zeugnisse, unkri­tisch übernommen. Wenn etwa Geschichtsschreibung als Sammlung von Bei­spielen vorbildlichen und verwerflichen Handelns betrachtet wurde, als "Lehr­meisterin des Lebens", so richtete sich das Erkenntnisziel nicht primär auf das Einzelereignis, das vergangene Geschehen an sich, sondern auf die dahinter stehende Idee, die mit dem faktographisch Geschehenen modellhaft illustriert wurde. Stärker als in den zeitgenössischen Naturwissenschaften dominierte so zumindest für die weiter zurückliegende Vergangenheit noch in der Auf­klärung der Rationalismus als Erkenntnisquelle. Sein deduktives Verfahren mit dem I nteresse am Allgemeinen und Typischen hatte Vorrang vor empiri-

222 Nicolae EDROIU, Revolulia lui Tudor Vladimirescu (1 821) �i presa belgianä (studiu �i anexe). Cluj-Napoca 1997 (Bibliotheca historica, 3), 21-35.

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scher Evidenz, die auf den Einzelfall und das Besondere zielte. Grundlegend begann sich dies erst ab der zweiten Hälfte des 18 . Jahrhunderts zu ändern. In dieser Zeit formierte sich die Kunde vom Menschen, die bislang hilfswis­senschaftlich-rhetorischen Charakter gehabt hatte, zu eigenständigen, metho­disch fundierten wissenschaftlichen Disziplinen. Noch bis ins 18 . Jahrhundert hinein hatten Reiseberichte und Geschichtsschreibung jedoch, selbst wenn sie in humanistisch-antikisierender Weise den Autopsie-Topos oder Gewährsleute zur Legitimation anführten, nicht in erster Linie wissenschaftlich-dokumenta­rischen Anspruch im modernen Sinne erhoben. Konzipiert waren sie vielmehr als literarische Texte, die entsprechenden Gattungskonventionen gehorchten: so der Apodemik im Falle der Reiseberichte, während die humanistische His­torik in der Praxis für die Geschichtsschreibung weniger einflussreich war. Die starke Ausrichtung auf Überlieferung und Tradierung galt insbesondere für die Produkte der Gelehrsamkeit zu südosteuropäischen Ländern, die in westeuropäischen Gelehrtenzirkeln nicht zu den zentralen Wissensbeständen der Zeit zählten und deren Prestige daher gering war. Die faktographische Sammelwut der Aufklärungshistoriographie richtete ihr Augenmerk nur in Einzelfällen auf diese Regionen. Der Anspruch, neues Wissen auf empirischer Grundlage hervorzubringen, wurde hier nur selten erhoben - und dann vor allem aus praktischen (etwa kriegstechnischen), seltener aus erkenntnistheore­tischen Gründen. Solches Wissen blieb punktuell und häufig dem politisch­militärischen Arkanbereich vorbehalten. Zu einer methodisch regulierten, sy­stematisch auf Empirie gestützten Wissenschaft jedenfalls war die Kunde über die Länder Südosteuropas bis ins 18 . Jahrhundert noch nicht geworden.223

Zwar war gesichertes empirisches Wissen über das osmanisch dominierte Südosteuropa auch deshalb von nachgeordneter Bedeutung, weil es aus prak­tischen Gründen schwer zugänglich war: Augenzeugen und Gewährsleute gab es wenige, auch wenn ihre Zahl zunahm. Die geringe Überlieferungsdichte erlaubte Quellenkritik nur beschränkt und zwang daher zur Kompilation. Das oben erwähnte Beispiel aus dem Prestigeprojekt der Aufklärung, der Enzyklo­pädie Diderots und d'Alemberts, legt jedoch den Verdacht nahe, dass primär

m Vergleiche dazu Johanncs SÜSSMANN, Historiographie, in: Fricdrich JAEGER (Hg.), En­zyklopädie der Neuzcit. 5: Gymnasium--Japanhandel. Sruttgan 2007, 487--495, 490; Johannes SÜSSMANN, Geschichtsschreibung oder Roman? Zur Konstitutionslogik von Geschichtserzählungen zwischen Schiller und Ranke (1780-1824). Stuttgart 2000, 42-74; Benjamin STEIN ER, Die Ordnung der Geschichte. Historische Tabe1lenwcrkc in dcr Frühcn Neuzeit. Köln 2008, 74- 83; Annette MEYER, Von der Wahrheit zur Wahrschein­lichkeit. Die Wissenschaft von Menschen in der schottischen und deHtschen Aufklärung. Tübingen 2008, 228f.; ausführlich zur Entstehung der Humanwissenschaften M ichel FOUCAUT.T, Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften. Frank­furt am Main 1 3 1995.

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andere Gründe verantwortlich waren, wenn der Empirie anders als von den Herausgebern beabsichtigt - nur geringes Gewicht zugemessen wurde: Selbst da wo Beobachtungen aus zuverlässiger und aktueller Quelle vorlagen, stützten sich einschlägige Werke auf überkommenes Wissen. Der etablierte Wissenska­non genoss Kraft Tradition oder Autorität in der zeitgenössischen Wissensord­nung höheres Ansehen.

Entsprechende Mechanismen lassen sich auch an frühneuzeitlichen Land­karten gut verfolgen, die das Gebiet der unteren Donau darstellten. Noch mehr als im Falle der Moldau, vom kartographisch ungleich besser erschlossenen Siebenbürgen gar nicht zu sprechen, fehlte den Kartographen präzises Wis­sen über die Walachei. Flussnamen wie Aluata (Olt) oder Ialonicza (Ialomita) tauchten so etwa in Kartenwerken als Ortschaften auf224 Obwohl mit der Wa­lachei-Karte von Ioannis Komninos schon zu Beginn des 18 . Jahrhunderts eine detaillierte und auf Kenntnis der Verhältnisse vor Ort beruhende Karte des Landes vorlag, finden sich auch noch in den kartographischen Darstellungen des 1 8 . Jahrhunderts viele Fehler und Ungenauigkeiten, die von der Übernah­me älterer Vorbilder her rühren.225 Häufig wurden großräumige Regionen im Süden des Landes und ganz Oltenien als Teile von südlich der Donau gelege­ner osmanischer Sancaks ausgewiesen.226 Charakteristisch für die Kartographie des 17. Jahrhunderts zur Walachei ist ferner die dreieckige Form des Landes, wobei die Abgrenzung von der M oldau die meisten Probleme bereitete. Je nach Kartograph wurden immer wieder moldauische Städte unter Namen wie Bras­kovia, Braislow oder Bakow (Badu), Aczud (Adjud) oder Pudna (Putna) zur Walachei geschlagen. 227

224 Alexandru UNGUREANU, Häqi referitoare la j:ärile romane in arhivcle �i bibliotecile parizi­ene, Revista Arhivelor 5 0i35 (1973), 4, 637-652, 64l.

225 Eine Übersicht über die Kartographie in Bezug auf die Walachei von der Antike bis ins 20. Jahrhundert bei Gabriela OSACI-COSTACHE, Mu�eelele dintre Dambovip �i Olt in do­eumente cartografice. Reeonstituirea �i dinamiea peisajului geographie in seeolele XVIII­XX. Bueure§ti 2004, 30-57.

226 So beispielsweise auf der Karte von Ion. Bapt. HOMANNO, Danubii fluminis (hie ab urbe Belgrado, per Mare Nigrum usq. Defluentis exhibiti) Pars infima . . . , in: Atlas mapparum geographicarum generalium & speeialium eentum foliis eompositum et quotidianis uss­ibus aeeommodatum aecedit Introductio in Geographiam, mathematicam, naturalm & historieam. Norimbergae [Nürnberg] 1762, NI. 66; siehe auch Reiner & Josua OTTENS, Novissima Tabula Regni Hungariae et Regionum quondam et unitarum ur Transilvaniae. Valachiae. Moldaviae 5erviae. Romaniae. Bulgariae . . . Amsterdam 1745; Reproduktion in Atlas (wie Anm. 172) 323-324.

227 So etwa auf der recht detaillierten Karte von I . M. HASIUS, Hungariea ampliori significa­tu er veteris vel Methodicae, complexae Regna Hungariae propriae, Croatiae, Dalmatiae, Bosniae, 5crviae, Bulgariae, Cumaniac; Principatum: Transsylvaniae, despotatus: Wala­chiae, Moldaviae . . . , in: Atlas mapparum (wie Anm. 226), Nr. 67; siehe auch die zahlrei­chen Kartenreproduktionen in Atlas (wie Anm. 172).

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Erst im 1 8 . Jahrhundert sollten die zahlreichen Kriege zwischen dem Habs­

bu rger-, dem Zaren- und dem Osmanischen Reich die Erstellung genauer Walachei karten antreiben. Die bereits erwähnte, 1700 von Ioannis Komninos erstellte Karte war das erste detaillierte, wenn auch im Vergleich mit Cante­mirs Moldaukarte relativ ungenaue, ausschließlich die Walachei darstellende Kartenwerk und insofern eine Ausnahme, als es ein Produkt der Gelehrsam­keit war.228 In den folgenden eineinhalb Jahrhunderten waren es überwiegend militärische Gründe, die Russen und vor allem Österreicher dazu bewogen, das Gebiet zwischen Südkarpaten und Donauunterlauf kartographisch zu er­fassen. Eine erste, Komninos Zeichnung an Detailtreue übertrefFende Kar­te war diejenige der Kleinen Walachei, erstellt unter Führung von Friedrich Schwantz von Springfels 1722 nach der österreichischen Besetzung des Gebie­tes.229 Die in den folgenden Jahrzehnten entstandenen österreichischen230 und russischen231 Karten der Walachei brachten keine wesentlichen Fortschritte gegenüber diesen bei den frühen Werken. Erst die akribische und ästhetisch gelungene österreichische M ilitärkarte von Specht (1791), beruhend auf Reko­gnoszierung vor Ort während der militärischen Besetzung des Landes, setzte im wahrsten Sinne des Wortes neue Maßstäbe und ist die wohl bedeutendste kartographische Quelle zur Walachei überhaupt.232 Keine der in den folgenden Jahrzehnten erstellten Walachei karten erreichte diesen Detailreichtum. m

m TIlVCX� l'swYQcxul){oc;/Index geographicus (wie Anm. 86); überarbeitete Nachzeichnung: Au­gustissimo Invictissimoque (wie Anm. 87); zu den Fehlern der Karte RAD, Ioannis Komni­nos (wie Anm. 9), 1 2 .

229 Friedrich Schwantz VON SPRINGFELS, Tabula Valachiae Cisalutanae per Friedericum Schwanzium regimentis heisteriani Capitaneum. Alnn]o 1722 dessine par f. C. Osorio y Borja. S.l . 1722. 16 Blatt, [ca. 1 : 383.0001 ; Österreischische Nationalbibliorhek, Karten­sammlung, Signatur FKB V,6 Kar; in der Folge um Jude\-Wappen ergänzte Nachezich­nung von BERNDT ( 1723), verkleinerte Replikation durch Johannes WEINGARTNER (1738); Karte von Berndt reproduziert in [Paul] ]ACUBENZ, Die Cis-Alutanische Walachei un­ter kaiserlicher Verwaltung (1717-1739), Mittheilungen des k.u .k. Kriegsarchivs 12 (1900), 1 73-250; verkleinerte Nachzeichnung nach Jacubenz bei Ion CONEA, Corectari geografice in diploma IoarJi\i!or ( 1 247). Acele "piscinae de Cheley" erau sub mun\ii Gorjului, Bule­tinul societdfii regale romane de geografie 55 (1937), 246-271 , plan�a I (268/269), siehe zu den einzelnen Varianten Sorin FORTlU, Banatus Timisvariensis vel Banatus Temesiensis? http://www.banat.ro/XVIILpdf [15 . 1 1 .201 1]. 6 .

230 Walachia, zusammengesetzt, reducirt und gezeichnet von F. Jos . RUHEDORFF. S.L. [1788}. 1 Blatt [ca. 1 : 212 .000}; Österreischische Nationalbibliothek, Kartensammlung, Signatur fKB Q.5.4 Kar.

231 Carte Speciale de la Principaute de Valquie publiee par C. M. ROTlL St. Petersbourg 177 1 . I Blatt [ca. 1 : 420.000J; Österreischische Nationalbibliothek, Kartensammlung, Signatur ALB Port 246,8 Kar.

232 Militärische Carte der kleinen oder oesterreichischen und grossen Walachei, welche beide zusammen aus 394 Sectionen bestehet, und wehrend des Waffenstillstands Zwischen der

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Raumvorstellungen und Landesbewusstsein: die Walachei . . . 543

Danach dauerte es abermals einige Jahrzehnte, bis eine russische Militär­karte ] 835 eine geographische Zeichnung mit neuen Details lieferte, allerdings diesmal unter Einschluss der Moldau.234 Damit markiert diese Karte auch be­reits den Anfang vom Ende des "langen ] 8. Jahrhunderts" walachischer (aber durchwegs von Auswärtigen betriebenen) Kartographie, brachte sie doch eine größere Raumeinheit zu Papier, die im Wesentlichen aus den beiden Donau­fürstentümern bestand. Zwar wurden auch danach noch vereinzelt Walachei­karten hergestellt, doch gehörten sie zu einer aussterbenden Gattung, da die Region nun überwiegend im übergreifenden räumlichen Kontext zusammen mit der Moldau beziehungsweise als Teil Rumäniens kartographisch erfasst wurde und nicht mehr als eigenständige Einheit betrachtet wurde. Die ] 864, kurz nach der Vereinigung der beiden Fürstentümer erschienene, aber noch davor von österreichischen Militäringenieuren vermessene Karte der Walachei trug bezeichnenderweise bereits den Titel "Karte Südrumäniens".235 In den Jahren danach erschienen außerhalb Rumäniens noch einzelne Walacheikar-

K. K. und der turkischen Armee vorn Monat September 1790 bis Ende May 1791 durch der Generalquartiermcisterstaab unter der Direction des Obristen SPECHT geometrisch aufgenommen, und in das reine ausgezeichnet worden. 108 Blatt [1 : 57.600] Kriegsarchiv, Wien, Signatur B I I I a 202; siehe dazu auch N. DOCAN, Memoriu despre lucrarile carto­grafice privitoare la rasboiul din 1787-179 1 , AnaleIe Academiei Romane. Memoriile Secfi­unii istorice 34 ( 19 1 1-1912) , 1249-1360, 1282-1285; V. MIHAILESCU, Harta austriaca din 1 79 1 , Buletinul societdfii regale romane de geografie 47 (1928), 366-372; eine verkleinerte Version: Topographische Karte der Grossen und Kleinen Wallachey, aus verschiedenen Re­cognoscirungs Plaenen des k.k. General Quartier Meister Staabs im jahre 1790 zusamen­getragen. [Wien] 18 12 , digitales Online-faksimile unter http://teca.bncf.firenze.sbn.it.

23.1 Allerdings umfassten etwa nachfolgende Karten das osmanische Gebiet von Braila, das Spechts Karte ausgelassen hatte: Joseph DIRWALDT, Mappa Specialis Walachiae. Ex me­lioribus mappis et plurimis delineationibus specialibus deducta. Vindobona 18 10 . [ca. 1 : 530.000]; ebenso Generalcharte der Walachey. Nach allen vorhandenen Hilfsmitteln bearbeitet und gezeichnet von Franz FRIED. Wicn, Pesth 1 8 1 1 [ca. 1 : 720.000] , digitales Online-Faksimile unter http://aleph.unibas.ch; eine Übersicht walachischer Karten bei Ruxandra-Iulia STOi'CA, Lurbanisation valaque medievale et moderne vue par les contem­porains, Histoire urbaine 12 (2005), 1, 39-56, 47-5 1 .

231 Karta teatra-vojny y Evrope 1828 i 1 829 godov" sostavlena y" 1 /420.000 dolju nastojascej veliCiny s" instrumental'noj s"emki Bessarabii, rekognoscirovok" Serbii, vostocnoj Casti Bulgarii i Rumilii i yoennoj s"emki Moldavii, Valachii i Babadagskoj Oblast i. Gravirovana pri yoenno-topograficeskom" depo 1 835; konsultiert wurde die 1 853 gedruckte, verbesserte Version mit der Ergänzung im Titel: ispravlena v 1853 godu, po dopolnenijam sdelannym v 1850 godu. 1 1 Blatt [1 : 420.000] ; Österreischische Nationalbibliothek, Kartensammlung, Signatur K II 95703 Kar; eine sehr ausführliche Beschreibung der Karte GIURESCU, Prin­cipatele Romane (wie Anm. 59).

235 Charta Romaniel Meridionale publicata din ordinea Mariei seile principelui Domnitoriii Alcssandru J oannc 1. dupa planulii original redicatll prin disposi\iunea �i cu spesele gu­vernului Romaniei de ingenieri militari austriaci la annulii 1856 in stabilimentulii artistic

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544 Danicl Ursprung

ten2l6, womit aber das Schicksal dieses seit 1700 bestehenden Genres besiegelt war.

Zusammenfassend kann ein "langes 18 . Jahrhundert", das vom späten 17. bis ins frühe 19. Jahrhundert reichte, als Kulminationspunkt von Walachei-Be­schreibungen gelten - nicht nur kartographischer, sondern auch chronistischer und landeskundlicherl7 Art. Doch auch in dieser Zeit blieben detaillierte, ausschließlich auf die Walachei fokussierte Karten eher die Ausnahme als die Regel. Bedeutend häufiger, wenn auch weniger detailliert waren Karten, wel­che die Walachei in einem größeren geographischen Rahmen Ostmittel-/Süd­osteuropas2l8 oder gemeinsam mit der Moldau239 zeigten. Selbst Chroniken,

Satmari. Bucure§ti 1 864. 1 1 2 Blatt [1 : 57.000); Österreich ische Nationalbibliothek, Kar­tensammlung, Signatur AB 6 ( 1 2) Kar.

23(' M. ]LLICH [Zeichner], Kaiserlich-Königliches Militär-Geographisches Institut, Stra­ssen-Karte des Fürstenthums Walachei. ausgeführt und herausgegeben durch das k.k. militä­risch-geografische Institut. [Wien] 1 866. [1 : 288.000]. Österreichische Nationalbibliothek, Kartensammlung, Signatur MGl 14%c Kar; , M. I LLICH, Kaiserlich-Königliches Mili­tär-Geograph isches I nstitut, General-Karte des Fürstenthums Walachei. Wien 1867. 6 Blatt, [ I : 288.000J . Österreichische Nationalbibliothek, Kartensammlung,Signarur FKB W.2 Kar.

237 Für die ältere Literatur vom Ende des 17. bis zum Beginn des 18 . Jahrhunderts unersetz­lich ist die kommentierte Bibliographie "Literatur der Walachischen und Moldauischen Geschichte und Staatskunde" in ENGEL, Fortsetzung (wie Anm. 105) , 25-12 1 , siehe auch ebd., 2. Abth[eilung), 307-31 6 sowie KOGALNITCHAN, Histoire (wie Anm. 1 05), XV­XVIII und STOY (wie Anm. 1 8 1), 1 30-160; für das 19. Jahrhundert Cornelia BODEA (Hg.), Bibliografia istoricä a Romaniei � Bibliographia historca Romaniae. II: Secolul XIX. Tom I: Cadtul general. Tara �i locuirori i . BucureFi 1972, 1 16-1 29.

238 Lc theatre de la guerre sur les frontieres des deux empires depuis Vienne jusques a Constantinople ou se trouvem la Hongrie, la Transilvanie, la Valaquie, la Moldavie, I'Esclavonie, la Bosnie, la Servie et la Bulgarie, la rcpublique de Raguse et partie de la Dalmatie, de l'Albanie et de la Romanie/tire de plusieurs voyages et ambassades par N [icolasl de Fer ; H [erman) VAN LOON sculp. Chez l'auteur (a Paris) 1704, digitales Online­faksimile unter http://gallica.bnf.fr; BcA.2(JnvA-�r; [CD2Qcdor;] PllrAl:, XcXQTC< 'IYj<; EA),cXOO<; sv

� 7t2Ql2X0V'IlXl IXl N�CJOl IXUT�C; XlXl fLsQ0C; TWV cl<; TYjV EUQw7tYjV XlXl MlxQclv ACJlIXv 7tOAUiXQlO­fLWV IX7tOlXlWV iXU'I�C; 7tcQlOQl�ofLsvwv, 1X7t' iXViXWAWV OliX 'IWV MUQwv tYjC; /\UXliXC; fLEX(Jl WU AQ­

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239 Jacob SCHMlDT, Principatuum Moldaviae et Walachiae tabula geographica generalis ex autographis castrametarorum ruSSiCOrulll ad normam observationum astronomicarum

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Raumvorstellungen und Landesbewusstsein: die Walachei . . . 545

Landesbeschreibungen und historische Abhandlungen wurden häufig schon im 18 . Jahrhundert im Rahmen größerer Raumkonzepte entworfen, während die Walachei nur gelegentlich zum Rahmen der Erzählung wurde.

FAZIT: DIE WALACHEI - KONSTRUKTION UND DEKONSTRUKTION

EINER HISTORISCHEN REGION

Die Wahrnehmungsgeschichte der Walachei ist auch eine Geschichte der Nicht-Wahrnehmung. Die Walachei hat trotz ihrer ununterbrochenen Exis­tenz als klar abgrenzbare politisch-administrativer Einheit während der ge­samten osmanischen Epoche im breiteren Bewusstsein als Raumeinheit kaum prägende Spuren hinterlassen. Sobald die Region ihren Status als eigenes Land verloren hatte, indem sie im rumänischen Staat aufgegangen war, verschwand sie aus dem Bewusstsein der westeuropäischen Öffentlichkeit, die entworfenen Raumbilder ge reiten in Vergessenheit. Ein weiterer Grund dafür war, dass über die Walachei nur wenig konkretes Wissen bestand. Stereotype Bilder über das Land als an sich überaus fruchtbarer, aber weitgehend menschenleerer Raum gehörten zum bewusst exotisierenden Stil früh neuzeitlicher Beschreibungen ferner Länder. Die Walachei war dabei Teil eines weit breiteren Diskurses, der im Kontext der kulturellen Identitätsfindung Europas durch die Abgrenzung vom islamischen Reich der Osmanen stand. Erinnert seien hier an die Mecha­nismen der Exotisierung, wie sie von Edward Said für den Orient und Maria Todorova für den Balkan beschrieben worden sind. 240

hune inlinern in illis regionibus habitarum. [S.l.] [1 8 . Jahrhundert] , digitales Online­Faksimile unter http://gallica.bnf.fr; Franz Ludwig GÜSSEFELD, Charte von der Moldau und Walachey: nach den astronomischen Beobachtungen des Russisch Kaiser. Majors Islenief und denen Charten und Beschreibung des H. Hauptm. Sulzer ing. den Charten des ehma. Russ. Kays. Gen. Lieut. v. Bauer über die Moldau u. a. m. Nürnberg 1785, digitales Online-Faksimile unter http://aleph.unibas.ch; J. N. CHAMPION, Charte von der Moldau und Walachey. [ Pest, Wien] [18221 .

240 Maria TODOROVA, Imagining the Balkans. New York 1997; DIES., Der Balkan als Analyse­kategorie: Grenzen, Raum, Zeit, Geschichte und Gesellschaft 28 (2002), 470-492; vgl. auch Edward W. SAID, Orientalismus. Frankfurt a. M. 22009; zur Kritik an den von der post­modernen Wissenschaftstradition beeinflussten Thesen Todorovas SUNDHAUSSEN, Europa balcanica sowie DERs., Der Balkan (wie Anm. 1 24); trotz allen Meinungsverschiedenheiten scheint ein Minimalkonsens darin zu bestehen, dass die Differenz zwischen dem Südosten und dem (meist ebenso pauschal wahrgenommenen) Westen Europas nicht ausschließlich eine Frage der Wahrnehmung und der Konstruktion ist, sondern, ohne in eine essenzia­list ische Perspektive zu verfallen, auf bestehenden Differenzen aufbaut, diese jedoch grob vereinfacht und zuspitzt; divergierende Meinungen bestehen jedoch in der quantitativen Bedeutung, der empirischen Grundlage sowie der (nicht zuletzt moralischen) Wertung dieser Exotisierung, siehe ebd., 609 sowie Kar! KASER, Südosteuropäische Geschichte und

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546 Daniel Ursprung

Das marginale Wissen über die Walachei selbst in gelehrten Kreisen au­ßerhalb Rumäniens liegt jedoch auch im unstrittigen Status der Region be­gründet. Die Walachei gehört zu den am wenigsten politisch umstrittenen Landschaften Südosteuropas. Auch deshalb fehlt bis heute eine Geschichte der Walachei in Form einer monographischen Gesamtdarstellung, wie sie im Falle der historischen Regionen Moldau und Siebenbürgen, ja sogar der Dobrudscha existieren.24 \

Abschließend seien die wichtigsten Ergebnisse der vorliegenden Überle­gungen nochmals in Erinnerung gerufen. Die Binnengliederung lässt sich in historischer Zeit auf zwei komplementäre Dreiteilungen reduzieren: auf der Ost-West-Achse eine primär politisch bedingte, auf der Nord-Süd-Achse eine topographische Dreiteilung. Politisch wuchs die Walachei aus drei großen Tei­len zusammen: dem Kernbereich der im frühen 14. Jahrhundert entstandenen Woiwodenherrschaft im nördlichen Karpatenvoraland um Curtea de Arge§ und Campulung, später Targovi§te, dann der lange Zeit über eine Sonderstel­lung verfügenden Kleinen Walachei im Westen und schließlich den östlichen Regionen um Buzau und Briila, die erst allmählich der Zentralherrschaft un­terworfen wurden. Bezüglich der topographischen Einteilung verlagerte sich der Schwerpunkt im Verlauf der Jahrhunderte zunehmend nach Süden Rich­tung Ebene. Zusammenhängend damit veränderte sich die spätmittelalter­liche Wahrnehmung des Landes als einer gebirgigen Region zunehmend hin zum Stereotyp einer weiten, öden Ebene. Neben dieser hier nur recht holz­schnittartig wiedergegebenen Verlagerung sind kleinregionale Verschiebungen zu beobachten, so dass sich die heutige Binnengliederung der Raumstruktur

Geschichtswissenschaft. Wien, Köln, Weimar "2002, 202; nicht vergessen werden sollte bei dieser Diskussion, dass viele "westl iche" Stereotype über den Balkan sich auch vor Ort in Südosteuropa als Auto- oder Heterostereotype (in Bezug auf die jeweiligen Nach­barn oder Minderheiten) wiederfinden, mithin keine ausschließlich "westliche" Sichtwei­se repräsentieren, vgl . etwa Klaus ROTlI, "Bilder in den Köpfen". Stereotypen, Mythen, Idemitäten aus ethnologischer Sicht, in: Valeria HEUBERGER, Arnold SUPPAN, Elisabeth VYSLONZIL (Hgg.), Das Bild vom Anderen. Identitäten, Mythen und Stereotypen in mul­ticthnischen europäischen Regionen. Frankfurt [u. a.] , 2 1 -43, 28f.

241 Es existieren einige Überblicksdarstellungen zu bestimmten Zeitabschnitten, siehe GI­URESCU, Tara Romaneasd. (wie Anm. 4); �TEFXNESCU, Tara Romaneascii (wie A nm. 95); sowie die kurze Übersicht von Dorin TEODORESCU, Evoluria social-politid. a Tärii RomanC§ti ( 1701- 1 830). Slatina 2004; chronologisch breiter gefasste Darstellungen der Geschichte der Walachei existieren nur in Form von Aufsätzen oder Handbuchkapi­teln, siehe CAZACU, La Valachie (wie Anm. 1 08), v. a. zum 14. -17. Jahrhundert; Dankl URSPRUNG, Die Walachei als historische Region - Schnittstelle europäischer Verflechtun­gen an der Peripherie, in: KAHL, M ETZELTIN, UNGUREANU, Rumänien (wie Anm. 1 09), 807-824; bereits 1804 ENGEL, fortsetzung (wie Anm. 105), 138-382, Fortsetzung ebd., 2. Abth[eilungJ 1-92.

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Raumvorsrellungen und Landcsbewussrsein: die \Valachei . . . 547

wesentlich von derjenigen der Zeit vor dem 19. Jahrhundert unterscheidet. In der heutigen Wahrnehmung wird die Walachei nicht als Einheit wahrgenom­men, vielmehr zerfällt sie in drei Teile: Oltenien als Hort archaischer Tradi­tionen, Bukarest als lärmige und dekadente Großstadt sowie Muntenien (die Große Walachei) als weitgehend ignorierte Region.

Die Wahrnehmungsgeschichte der Walachei zeichnet sich durch eine ver­wirrende Vielfalt und Inkonsistenz von Namen aus, mit der das Land belegt wurde, während umgekehrt der Name "Walachei" in wechselnden Kontexten zahlreiche unterschiedliche Regionen in Südost- und Ostmitteleuropa bezeich­nete: das Land hatte viele Namen, der Name viele Bedeutungen. Im Kontrast dazu ist die Verortung und grobe Abgrenzung der Woiwodschaft Walachei reletiv eindeutig möglich. Sie hatte als eigenständige politische Entität vom 14. bis ins 1 9. Jahrhunderts ein klar fassbares Land gebildet hatte. Die admini­strative Existenz war so Ausgangspunkt eines Landesbewusstseins, in dem das Land als politische, weniger jedoch als kulturell-geographische Einheit ent­worfen wurde. Dies ist der wohl wichtigste Grund dafür, dass die Walachei aus dem Bewusstsein sowohl inner- wie auch außerhalb der Region verschwand, nachdem sie im rumänischen Staat aufgegangen war. Als historisch-kulturell eigenständige Region war die Walachei stets diffus geblieben und vielfach Teil übergreifender Raumimaginationen, vor allem antikisierender Dakien-Vorstel­lungen. Im späten 18 . und im 19. Jahrhundert knüpfte die rumänische Natio­nalbewegung daran an und begann das ursprünglich humanistische Konzept in einen politischen Begriff zu verwandeln, der schließlich gegen Mitte des 19. Jahrhunderts durch den Neologismus " Rumänien" abgelöst wurde.

In der Fremdwahrnehmung bezog sich der Name Walachei nicht nur auf unterschiedliche Regionen, sondern ist je nach historischem oder regionalem Kontext auch mit zahlreichen Konnotationen verbunden. "Walachei" wurde auch stereotyp als Synonym für eine entlegene, öde Landschaft, als Gebiet von Aufständischen oder als Ort barbarischer Grausamkeit verwendet. I nsgesamt blieb die Walachei stets ein exotischer Raum, über den konkretes Wissen fehl­te. Im Westen wahrgenommen wurde die Region vor allem im Rahmen der Türkenkriege und der Orientalischen Frage. Die intellektuelle Beschäftigung mit der Walachei war in der Zeit vom späten 17. bis ins frühe 19. Jahrhundert besonders intensiv, so dass ein langes 18 . Jahrhundert als bescheidener Höhe­punkt von Walachei-Beschreibungen gelten kann.

Die Walachei, eine stets nur marginal wahrgenommene Region, ist seit der Mitte des 19. Jahrhunderts allmählich aus dem Bewusstsein verschwunden. Überlappende, widersprüchliche und mehrdeutige Benennungen und Raum­konzepte sind dafür mitverantwortlich, die fehlende sinnstiftende Funktion eines Walacheidiskufses nach der Entstehung Rumäniens aber der entschei­dende Grund dafür. Da die Walachei außer als politisch-administrative Ein-

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548 Daniel Ursprung

heit nie konsequent als historisch-kultureller Raum gedacht worden war, fehl­ten die Voraussetzungen dafür, die Vorstellung von der Region Walachei über das Ende der Existenz des Fürstentums Walachei hinaus am Leben zu erhalten.

Dolj Judele

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Raumvorstellungen und Landesbewusstsein: die Walachei ... 549

• Stadt Höhenangaben inm @ Regionales Zentrum !23J über 2000 0 Lokales Zentrum L::J 1000 - 2000 .:. Verfallene städtische Zentren

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Die Walachei im 18./19. Jahrhundert