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10/19/17 1 STRAFRECHT – ALLGEMEINER TEIL I 2. Einheit: Vorsatzdelikt Wintersemester 2017 Susanne Reindl-Krauskopf & Andreas Schloenhardt Institut für Strafrecht und Kriminologie INHALTLICHER ABLAUF I. Grundlagen II. Vorsatzdelikt III. Fahrlässigkeitsdelikt IV. Rechtswidrigkeit + Rechtfertigung Reindl-Krauskopf & Schloenhardt | Strafrecht AT I | WS 2017 V. Schuld VII. Versuch VIII. Beteiligung IX. Unterlassungsdelikt X. Internationales Strafrecht XI. Konkurrenzlehre

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STRAFRECHT – ALLGEMEINER TEIL I2. Einheit: Vorsatzdelikt

Wintersemester 2017Susanne Reindl-Krauskopf & Andreas SchloenhardtInstitut für Strafrecht und Kriminologie

INHALTLICHER ABLAUFI. Grundlagen

II. Vorsatzdelikt

III. Fahrlässigkeitsdelikt

IV. Rechtswidrigkeit + Rechtfertigung

Reindl-Krauskopf & Schloenhardt | Strafrecht AT I | WS 2017

V. Schuld

VII. Versuch

VIII. Beteiligung

IX. Unterlassungsdelikt

X. Internationales Strafrecht

XI. Konkurrenzlehre

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II. VORSATZDELIKT (Vorlesung 19. Oktober 2017)

1. Allgemeines

2. Objektive Tatbestandsmerkmale

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6. Anwendungsbeispiele

3. Erfolg und ZurechnungKausalität, normative Zurechnung

4. Subjektiver TatbestandVorsatz

5. Tatbildirrtum

DELIKTSAUFBAU UND FALLPRÜFUNG

Dreistufiger Verbrechensaufbau: Vorsatzdelikt

I. Tatbestandsmäßiges Handeln I.1. Objektive (äußere) Tatbestandsmerkmaleeinschl. tatbestandsmäßiges Handeln

I.2. bei Vorsatzdelikt: subjektive (innere) Tatbestandsmerkmale

Tatbestand: gesetzliche Beschreibung einer Handlung, die strafrechtliches Unrecht ist.

II. RechtswidrigkeitTat ist nicht durch Rechtfertigungsgründe gerechtfertigt.

III. SchuldSchuldhaftigkeit des Handelns (nicht zB bei Zurechnungsunfähigkeit, Entschuldigungsgründen, ...)

IV. Ggf. zusätzliche Voraussetzungen: Strafausschließungsgründe, obj. Bedingungen, ...

ACHTUNG!

Prüfung für jedes

Delikt separat;

bei mehreren

Straf-normen

Verhältnis klären

(Konkur-renz)

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STRAFRECHT – ALLGEMEINER TEIL I2.1: Allgemeines

Wintersemester 2017Susanne Reindl-Krauskopf & Andreas SchloenhardtInstitut für Strafrecht und Kriminologie

Reindl-Krauskopf & Schloenhardt

ALLGEMEINES

Bedeutung und Stellung des Vorsatzdeliktes• Vorrangstellung, Regelfall und Ausgangspunkt

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• § 7(1) StGB: Wenn das Gesetz nichts anderes bestimmt, ist nur vorsätzliches Handeln strafbar.

• actus non facit reum nisi mens sit rea;• keine Strafbarkeit ohne Vorsatz (wenn nichts anderes bestimmt ist);• Tatbestand besteht aus objektiven und subjektiven Merkmalen.

• Begriff: „Vorsatz“• § 5(1) StGB: Vorsätzlich handelt, wer einen Sachverhalt verwirklichen

will, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht; dazu genügt es, dass der Täter diese Verwirklichung ernstlich für möglich hält und sich mit ihr abfindet.

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Reindl-Krauskopf & Schloenhardt

ALLGEMEINES

Unwert und Unrecht

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• Vorsatzunrecht: Strafbarkeit aufgrund einer subjektiven Entscheidung für die objektive Rechtsgutsverletzung

1. Stufe: Handlungsunwert (der verbotenen Handlung)

• Fahrlässigkeitsunrecht: Strafbarkeit weil, Rechtsgutsverletzung hätte vermieden werden können und müssen

• Eintritt eines Verletzungserfolgs; Beeinträchtigung des Rechtsguts findet statt („sekundärer Erfolgsunwert“).

2. Stufe: Erfolgsunwert (der zurechenbaren Folgen des rechtswi. Handelns)• Schaffung einer konkreten Gefahr für eine Rechtsgutsbeeinträchtigung;

Gefährdung tritt ein, Verletzung unterbleibt („primärer Erfolgsunwert“).

Handlungs-unwert ohne

Erfolgsunwert istbei Vorsatz-

deliktenmöglich

Erfolgsunwertohne Handlungs-unwert ist nichtstrafrechtlich

relevant

STRAFRECHT – ALLGEMEINER TEIL I2.2: Objektive Tatbestandsmerkmale

Wintersemester 2017Susanne Reindl-Krauskopf & Andreas SchloenhardtInstitut für Strafrecht und Kriminologie

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VORSATZDELIKT

Dreistufiger Verbrechensaufbau: vorsätzliches Begehungsdelikt

I. Tatbestandsmäßiges Handeln I.1. Objektive (äußere) Tatbestandsmerkmaleeinschl. tatbestandsmäßiges Handeln

I.2. Subjektive (innere) Tatbestandsmerkmale

Tatbestand: gesetzliche Beschreibung einer Handlung, die strafrechtliches Unrecht ist.

II. RechtswidrigkeitTat ist nicht durch Rechtfertigungsgründe gerechtfertigt.

III. SchuldSchuldhaftigkeit des Handelns (nicht zB bei Zurechnungsunfähigkeit, Entschuldigungsgründen, ...)

IV. Ggf. zusätzliche Voraussetzungen: Strafausschließungsgründe, obj. Bedingungen, ...

ACHTUNG!

Reindl-Krauskopf & Schloenhardt | Strafrecht AT I | WS 2017

OBJEKTIVE TATBESTANDSMERKMALE

Überblick

• Tathandlung (Verhalten)

Tatumstände, die das äußere Erscheinungsbild des deliktischen Geschehens betreffen

• Subjekt der Tat/Person des Täters

• Erfolg

• Tatobjekt

• andere äußere Umstände/ Merkmale

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• aktives Tun

• Unterlassen (nicht handeln)nur bei gesetzlicher Verpflichtung (Garantenstellung; „handeln können und müssen“, (Unterlassungsdelikt)

Vom Willen beherrscht/beherrschbar

Zurechnung zw. Handlung und Erfolg

Achtung: Jedes Delikt hat andere Tatbestandsmerkmaleund setzt sich anders zusammen; nicht jedes Delikt hat

alle Arten von objektiven Tatbestandsmerkmalen.

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OBJEKTIVE TATBESTANDSMERKMALE

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Tatsubjekt• idR: jede Person („wer“: Allgemeindelikt, Jedermannsdelikt)

• Besondere Eigenschaften und Verhältnisse des Täters, § 14 StGB: Eigenschaften und Verhältnisse des Tätersbspw. Beamter, § 302 StGB; schwangere Frau (§ 96(3) StGB) (sog. Sonderdelikte (wichtig bei Versuch und Beteiligung)

Tathandlung und Erfolg• schlichte Tätigkeitsdelikte

beschreiben bestimmte Handlung ohne Rücksicht auf deren Auswirkung/einen Erfolg.

• Erfolgsdeliktekausale Veränderung in der Außenwelt, die dem Täter objektiv zurechenbar ist.

TÄTIGKEITS-/ERFOLGSDELIKTE

Beispiele. Fragen:

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§ 75. Wer einen anderen tötet, ist mit Freiheitsstrafe von zehn bis zu zwanzig Jahren oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe zu bestrafen.

§ 127. Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen mit dem Vorsatz wegnimmt, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, ist [...] zu bestrafen

2. Ist das Delikt ein Tätigkeits- oder ein Erfolgsdelikt?

1. Was sind die objektiven Tatbestandsmerkmale des Delikts?

Täter: “wer” = jedermann

Tatobjekt: “einen anderen” (Menschen)

Tathandlung: “töten” = Tod verursachen;Erfolg: Tod

Täter: “wer” = jedermann

Tatobjekt: “fremde bewegliche Sache”

Tathandlung: “wegnehmen” = Zueignung + Wegnahme (Gewahrsamsbruch) = Erfolg

Umstand: “einem anderen” = fremder Gewahrsam

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TÄTIGKEITS-/ERFOLGSDELIKTEBeispiele. Fragen:

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§ 184. Wer, ohne die zur Ausübung des ärztlichen Berufes erforderliche Ausbildung erhalten zu haben, eine Tätigkeit, die den Ärzten vorbehalten ist, in Bezug auf eine größere Zahl von Menschen gewerbsmäßig ausübt, ist [...] zu bestrafen.

§ 125. Wer eine fremde Sache zerstört, beschädigt, verunstaltet oder unbrauchbar macht, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.

2. Ist das Delikt ein Tätigkeits- oder ein Erfolgsdelikt?

1. Was sind die objektiven Tatbestandsmerkmale des Delikts?

Täter: wer nicht die zur Ausübung des ärztlichenBerufes erforderl. Ausbildung erhalten hat.

Tathandlung: Ausübung einer Tätigkeit, die Ärztenvorbehalten ist

Weiters: größere Zahl von Menschen; gewerbsm.

Täter: “wer” = jedermann

Tatobjekt: “fremde Sache”

Tathandlung: zerstören, beschädigen, verunstal-ten, unbrauchbar machen = Substanzeingriff

ERFOLG UND ZURECHNUNG

Problematik

Reindl-Krauskopf & Schloenhardt | Strafrecht AT I | WS 2017

• Tathandlung

• Erfolg

• Tatobjekt

veru

rsac

htan

ein

em

• Eintritt eines bestimmten Erfolgs (zB Tod, schwere Verletzung)

• Tathandlung beschreibt oft die Erfolgsher-beiführung (zB töten, verletzen, zerstören)

• Person, Gegenstand (verkörpert häufig das geschützte Rechtsgut)

Objektive Zurechnung des Erfolges zum Handeln des Täters• Kausalität (naturgesetzmäßige Beziehung zw. Handeln + Erfolg)• Normative Zurechnung

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OBJEKTIVE ZURECHNUNG

• Verbindung zwischen Tathandlung und Erfolg (d.h. Zurechnung des Erfolges zur Tathandlung)• Vermittelt die Beziehung zwischen Handlungs- und Erfolgsunwert

Feststellung der objektiven Zurechnung: Aufbau1. Kausalität

Handlung ist für den Erfolg kausal, ist eine Bedingung für den Erfolgseintritt

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è Keine Strafbarkeit, wenn Erfolg eintritt, aber der Tathandlung nicht objektiv zugerechnet werden kann.è Jedoch: bei fehlender objektiver Zurechnung ist bei Vorsatzdelikten Strafbarkeit

wegen Versuchs möglich.

2. normative Zurechnung; erfordert:2.1. Adäquanz2.2. Risikozusammenhang2.3. Risikoerhöhung ggü. rechtmäßigem Alternativverhalten

KAUSALITÄT

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⇡ ist die naturgesetzmäßige Beziehung zwischen Handlung und Erfolg.

Formel von der gesetzmäßigen Bedingung:Eine Handlung war für den Erfolg kausal, wenn sich an sie nach allgemeiner oder sachverständiger Erfahrung zeitlich nachfolgende Veränderungen in der Außenwelt angeschlossen haben, die mit dem Verhalten und untereinander naturgesetzmäßig verbunden waren und die in den tatbestandsmäßigen Erfolg ausgemündet sind.

Conditio sine qua non Formel:Eine Handlung war für den Erfolg kausal, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass zugleich der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele. [nicht in allen Fällen hilfreich]

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ALLGEMEINE KAUSALITÄTSPROBLEME

• Handlung/Bedingung muss tatsächlich wirken und nicht von einer anderen abgebrochen werden (auch: überholende Kausalität).

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• kausal ist jede Handlung, die eine Bedingung für den Erfolg in seiner konkreten Gestalt war (auch wenn Erfolg dadurch lediglich beschleunigt wird).

• Kausalität beruht auf dem konkreten Verlauf (unbeachtlich, dass anderer, hypothetischer Verlauf ebenfalls zum gleichen Erfolg geführt hätte).

Im Einzelnen gilt ...

• Bei Zusammenwirken mehrerer Bedingungen (kumulative Kausalität) ist jede Bedingung kausal.

• Jede von mehreren für sich allein hinreichenden Bedingungen ist kausal (Doppelkausalität oder alternative Kausalität).

• Abbrechen des/Einschreiten in einen rettenden Kausalverlauf ist kausal für den eintretenden Erfolg.

PRAKTISCHE KAUSALITÄTSPROBLEME

Wahrscheinlichkeitsurteil ex ante

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Beispiel: Herr Rieger betreibt eine Schnapsbrennerei in Ried am Wolfgangsee. Zur Reinigung seiner Gerätschaften benutzt er eine giftige Chemikalie, die unbehandelt in den See abfließt. In einer Fischzucht in Strobl am Ausfluss des Wolfgangsees setzt wenige Tage später ein Fischsterben ein.

1. Strafbarkeit des R wegen Sachbeschädigung, § 125 StGB ?

2. Strafbarkeit des R wegen Beeinträchtigung der Umwelt, §§ 180, 181 StGB (Gefährdungsdelikt)?

Erfordert Nachweis, dass• die Chemikalie Fische töten kann (generelle oder naturwissenschaftliche Kausalität)

und • gerade die von R verwendete Chemikalie die Fische betroffen und deren Absterben

bewirkt hat (Kausalität im Einzelfall).

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NORMATIVE ZURECHNUNG1. Kausalität

Erfolg kann trotz Kausalität nicht ein Werk des Täters, sondern Zufall sein.Kausalität ist notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die objektive Zurechnung.

2. normative Zurechnung; erfordert:2.1 Adäquanz

Haftungsausschluss für völlig atypische Kausalverläufe: Erfolg ist nicht adäquat und trotz Kausalität nicht zurechenbar, wenn sein Eintritt außerhalb jeder Lebenserfahrung lag.

2.2 Risikozusammenhang/SchutzzweckzusammenhangErfolg ist eine Verwirklichung desjenigen Risikos, dem die Verhaltensnorm entgegenwirken will:1. Welche Verhaltensnorm hat der Täter konkret übertreten?2. Warum ist das Verhalten verboten; welcher Gefahr wird entgegenwirkt? (Schutzzweck)3. Welche Gefahr hat sich im konkreten Ablauf und tatsächlichen Erfolg verwirklicht?4. Ist verwirklichte Gefahr, jene, die die übertretene Norm verhindern will?

2.3 Lehre von der Risikoerhöhung (teilw. Umstritten): besagt (verallgemeinernd): sorgfaltswidriges Verhalten erhöht zweifelsfrei Risiko des Erfolgseintritts ggü. rechtmäßigem Alternativverhalten

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NORMATIVE ZURECHNUNGBeispiel

Reindl-Krauskopf & Schloenhardt | Strafrecht AT I | WS 2017

Radfahrer F übersieht den Fußgänger G, wodurch G stürzt und sich leicht verletzt. Zur Behandlung muss G einen Arzt aufsuchen, den er mit der Bim erreichen kann. G verpasst jedoch die geplante Abfahrtzeit und muss daher eine spätere Bim nehmen. Diese verunglückt, wobei G zu Tode kommt.

1. Kausalität

2. normative Zurechnung2.1 Adäquanz: Eintritt nicht außerhalb jeder Lebenserfahrung.

2.2 Risikozusammenhang/SchutzzweckzusammenhangErfolg ist eine Verwirklichung desjenigen Risikos, dem die Verhaltensnorm entgegenwirken will:1. Welche Verhaltensnorm hat der Täter konkret übertreten?2. Warum ist das Verhalten verboten; welcher Gefahr wird entgegenwirkt? (Schutzzweck)3. Welche Gefahr hat sich im konkreten Ablauf und tatsächlichen Erfolg verwirklicht?4. Ist die verwirklichte Gefahr, jene, die die übertretene Norm verhindern will?

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RISIKOZUSAMMENHANGFallgruppen

Risikozusammenhang entfällt ...• Erfolg tritt außerhalb des räumlich begrenzten

Schutzbereichs der Norm ein;• Erfolg liegt außerhalb der sachlichen Grenzen

des Schutzzwecks;• Erfolg ist eine Verwirklichung des allgemeinen

Lebensrisikos, insbes. Folgeunfälle und –erkran-kungen, die nicht auf ein Weiterwirken der spezifischen Gefahrenlage zurückzuführen sind; bes. schlechte Konstitution des Opfers;

• nachträgliches, grob sorgfaltswidriges Fehlver-halten eines Dritten;

• nachträgliches, grob unvernünftiges Fehlverhalten des Opfers.

Reindl-Krauskopf & Schloenhardt | Strafrecht AT I | WS 2017

Risikozusammenhang entfällt nicht ...

• für Folgeunfälle und -erkrankungen, die auf ein Weiterwirken der spezifischen Gefahrenlage zurückzuführen sind

• für nachträgliches Fehlverhalten eines Dritten, das vom Schutzzweck der Norm umfasst ist;

• für Fehlverhalten des Opfers, das vom Schutzzweck der Norm umfasst ist;

• umstritten: „Retterproblematik“

è Bei fehlendem Risikozusammenhang ist bei Vorsatzdelikten Strafbarkeit wegen Versuchs möglich.

RISIKOZUSAMMENHANG

Beispiel

Reindl-Krauskopf & Schloenhardt | Strafrecht AT I | WS 2017

In einer Wohnung im 3. Stock kommt es zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung. R schlägt wiederholt mit einem Baseballschläger auf seinen wehrlosen Mitbewohner O ein. Dieser flieht aus Angst in das Badezimmer und schließt die Tür ab. Als R beginnt auf die Tür einzuschlagen, öffnet O das Fenster und springt aus Angst auf die Straße, wo er auf dem Asphalt aufschlägt und stirbt.

Frage: Ist der Tod des O dem R objektiv zurechenbar?

Lösung 1 (Lit): kein Risikozusammenhang wenn grob fahrlässiges Fehlverhalten des Verletzten selbst vorliegt und Tod ohne dieses Fehlverhalten zumindest wahrscheinlich nicht eingetreten wäre.

Lösung 2 (Rspr): Zurechnunungsausschluss nur dann, wenn Folgeverhalten des Verletzten für jeden vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Betroffenen unter den gegebenen Umständen schlechthin unbegreiflich ist, und wenn ohne das Folgeverhalten des Opfers die schwere Tatfolge mit großer Wahrscheinlichkeit nicht eingetreten wäre.

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STRAFRECHT – ALLGEMEINER TEIL I2.3: Subjektive Tatbestandsmerkmale

Wintersemester 2017Susanne Reindl-Krauskopf & Andreas SchloenhardtInstitut für Strafrecht und Kriminologie

SUBJEKTIVER TATBESTAND

Vorsatzdelikt als Regelfall, §§ 5-7 StGBRegelfall § 7(1) „wenn das Gesetz nichts anderes bestimmt ist nur vorsätzliches Handeln strafbar“

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Bedeutet § 5(1) 1, Halbsatz: „Vorsätzlich handelt, wer einen Sachverhalt verwirklichen will, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht.“• Tatbildvorsatz

erfasst alle Merkmale des objektiven Tatbestands, § 5(1);

Dafür genügt § 5(1) 2. Halbsatz „dass der Täter diese Verwirklichung ernstlich für möglich hält und sich mit ihr abfindet“.• Eventualvorsatz

(auch: bedingter Vorsatz, dolus eventualis)

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VORSATZ: WESEN UND BEGRIFF

§ 5(1): Vorsätzlich handelt, wer einen Sachverhalt verwirklichen will, der einem gesetzlichen Tatbestand entspricht; dazu genügt es dass der Täter diese Verwirklichung ernstlich für möglich hält und sich mit ihr abfindet.

Reindl-Krauskopf & Schloenhardt | Strafrecht AT I | WS 2017

für gewiss halten wahrscheinl. halten für möglich halten

Gerade daraufankommen (Ziel)

einfachesWollen

Gleichgültigkeit;Abfinden

direkter Vorsatz(dolus directus)

Wissen/Kenntnis

Wol

len

direkter Vorsatz(dolus directus)

direkter Vorsatz(dolus directus)

direkter Vorsatz(dolus directus)

Eventualvorsatz(dolus eventualis)

Eventualvorsatz(dolus eventualis)

Eventualvorsatz(dolus eventualis)

Eventualvorsatz(dolus eventualis)

Eventualvorsatz(dolus eventualis)

Abgrenzung:bewusste Fahrlässigkeit

SUBJEKTIVER TATBESTAND

Anwendung und Auslegung im StGB, §§ 5-7 StGBRegelfall § 7(1) „wenn das Gesetz nichts anderes bestimmt“

Reindl-Krauskopf & Schloenhardt | Strafrecht AT I | WS 2017

Andere Fälle: wenn das Gesetz etwas anderes voraussetzt

• Tatbildvorsatz erfasst alle Merkmale des objektiven Tatbestands, § 5(1);

• Eventualvorsatz • (bedingter Vorsatz, dolus

eventualis) genügt, § 5(1):„ernstlich für möglich halten und sich damit abfinden“

• Absichtlichkeit, § 5(2)„darauf ankommt, den Umstand oder Erfolg zu verwirklichen“zB: § 87 absichtl. schwere Körperverletzung

• Wissentlichkeit, § 5(3)Vorliegen von Umstand oder Eintreten des Erfolg für gewiss haltenzB: §153 Untreue (wissentl.Missbrauch)

• Fahrlässigkeit, §§ 6, 7(2)Sorgfaltspflichtverletzung

• Eventualvorsatz genügt auch für erweiterten Vorsatz

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ABSICHT + WISSEN

absichtlich § 5(2): darauf ankommen, den Umstand oder Erfolg zu verwirklichen

Reindl-Krauskopf & Schloenhardt | Strafrecht AT I | WS 2017

für gewiß halten wahrscheinl. halten für möglich halten

Gerade daraufankommen (Ziel)

einfachesWollen

Gleichgültigkeit;Abfinden

Absichtlichkeit §5(2) Absichtlichkeit §5(2)

Wissen/Kenntnis

Wol

len

Wissentlichkeit §5(3)

Wissentlichkeit §5(3)

Absichtlichkeit §5(2)

wissentlich § 5(3): Umstand oder Erfolg werden für gewiss gehalten

Wesen und Begriff

Wissentlichkeit §5(3)

Reindl-Krauskopf & Schloenhardt | Strafrecht AT I | WS 2017

SUBJEKTIVER TATBESTANDGegenstandI. Tatbestandsmäßiges Handeln

I.1. Objektive (äußere) Tatbestandsmerkmale

I.2. Subjektive (innere) Tatbestandsmerkmale

• idR Vorsatz, wobei Eventualvorsatz ausreicht, §§ 7(1), 5(1);

• in besonderen Fällen Absichtlichkeit § 5(2), Wissentlichkeit § 5(3)

• Tathandlung (sozial-inadäquat gefährliche Handlung);

• Tatobjekt in seinen tatbildrelevanten Eigenschaften;

• Erfolg;• Kausalverlauf in seinen wesentlichen

Zügen;• andere Umstände.

Achtung:• Einzelne obj. Tatbestandsmerkmale können

unterschiedliche subj. Tatbestandsmerkmale haben;

• Gleichzeitigkeit von obj. TB. + Vorsatz.

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Reindl-Krauskopf & Schloenhardt | Strafrecht AT I | WS 2017

SUBJEKTIVER TATBESTANDGegenstand des Vorsatz - BeispieleK will den S mit einer Pistole töten wenn S in einem Fußballstadion sitzt. K schießt und tötet eine andere Person, da K glaubte diese Person sei S gewesen.

N will den Bauern B töten und wartet nachts nahe des Gehöfts des B. Als N eine Bewegung wahrnimmt, schießt er, im Glauben dies sei B, jedoch tötet er eine Kuh des B.

S ist ein radikaler Tierschützer und schießt auf die Auslage eines Pelzhändlers am Burgring. Er glaubt im Fenster steht eine Schaufensterpuppe, die einen Pelz trägt. Als er darauf schießt und die „Puppe“ trifft, stellt sich jedoch heraus, dass er eine Kundin getötet hat, die den Pelz in der Auslage getragen hat.

A will den X töten, in dem er diesen von einer Brücke auf eine Autobahn stößt. A stößt den X von der Brücke, unter der sich jedoch eine Bahnlinie befindet. X wird von einem durchfahrenden Zug erfasst.

VORSATZ: WEITERE ERFORDERNISSE

Tatsachenkenntnis und Wertung normativer Tatbestandsmerkmale• Täter erfasst die soziale Bedeutung des Sachverhalts

„Parallelwertung in der Laiensphäre“; juristisch korrekte Subsumtion ist nicht erforderlich.

Reindl-Krauskopf & Schloenhardt | Strafrecht AT I | WS 2017

• Auch bei Rechtsbegriffen genügt, dass der Täter die strafrechtliche Wertung in laienhafter Weise nachvollzieht.

• Täter muss Bewertung durch die Gesellschaft (Rechtsordnung) erkennen, nicht nachvollziehen.

BeispielM wird beim Verbreiten „unzüchtiger Schriften“ iSd des Pornographiegesetzes erwischt und entsprechend angeklagt. M bestätigt, dass er die Schriften verbreitet hat, findet an diesen aber nichts „unzüchtiges“.

M ist strafbar, solange M gewusst hat, dass die Gesellschaft die Schriften als unzüchtig bewertet.

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VORSATZ: WEITERE ERFORDERNISSE

Reindl-Krauskopf & Schloenhardt | Strafrecht AT I | WS 2017

Zeitpunkt• grundsätzlich: aktuelles Bewusstsein im Zeitpunkt der Tathandlung• ausnahmsweise: aktualisierbares Bewusstsein, „ständiges Begleitwissen“

persönl. Tätereigenschaft

• Gleichzeitigkeitsprinzip: Vorsatz im Zeitpunkt der Tathandlung• Dauerdelikt: ausreichend, wenn Vorsatz hinzutritt, nachdem rechtswidriger

Zustand eingetreten ist• Mehraktige Delikte: gesamter Vorsatz muss bei Beginn vorliegen (bspw. Raub)

ANWENDUNGSBEISPIELObjektive + subjektive Tatbestandsmerkmale

Reindl-Krauskopf & Schloenhardt | Strafrecht AT I | WS 2017

Fünf Herren aus Linz mieten eine Hütte am Grasjoch in Montafon, um dort das Wochenende zu verbringen. Vier dieser Herren entschließen sich, den fünften, Julius, zu töten. Dazu schlagen sie mit Stöcken auf ihn ein, bis er regungslos ist. In dem Glauben, dass Julius tot ist, tragen sie ihn am nächsten Morgen auf einen naheliegenden Berg und stürzen seinen Körper in ein steiles felsige Tal, um sich so des Körpers zu entledigen. Julius stirbt jedoch erst, als er nach dem Sturz aufschlägt.

Fragen: 1. Worin könnte das Problem beim Nachweis der Tatbestandmerkmale bestehen?

2. Wie könnte man dieses Problem lösen?

Lösung 1 (hM): Trennung mangels Gleichzeitigkeit;Ø Erster Akt: versuchter Mord;Ø Zweiter Akt: ggf fahrlässige Tötung

Lösung 2 (aA): zweite Handlung verwirklicht Risiko der ersten Handlung, daher gemeinsame Betrachtung: vollendeter Mord

ErfolgVorsatz

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STRAFRECHT – ALLGEMEINER TEIL I2.4: Tatbildirrtum

Wintersemester 2017Susanne Reindl-Krauskopf & Andreas SchloenhardtInstitut für Strafrecht und Kriminologie

TATBILDIRRTUM

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⇡ fehlendes oder falsches Wissen oder Wollen hinsichtlich eines objektiven Tatbestandmerkmals⇡ Täter handelt nicht vorsätzlich: § 5(1) StGB

Tatbildirrtum umfasst:• Tatsachenirrtum: Annehmen einer falschen Tatsache (zB: Tatobjekt wird verwechselt; falsche

Einordnung von Eigentum)• Bedeutungsirrtum: Irrtum über den sozialen Bedeutungsgehalt eines normativen Tatbestands-

merkmals (zB: falsche Einordnung als „jagdbares Tier“); Abgrenzung zu Rechtsirrtum (§ 9) kann schwierig sein.

Tatbildirrtum hat zur Folge:• fehlender Vorsatz: keine Strafbarkeit für Vorsatzdelikt (Ausnahme: § 183a StGB Umweltdelikte)• Strafbarkeit für Grunddelikt, falls Tatbildirrtum nur qualifizierendes Merkmal betrifft• Strafbarkeit für entsprechendes Fahrlässigkeitsdelikt, falls solches existiert und der Tatbildirrtum

auf Fahrlässigkeit beruht (dh: sorgfältigen, gewissenhaften Mensch wäre Irrtum nicht unterlaufen)

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STRAFRECHT – ALLGEMEINER TEIL I2. Einheit: VorsatzdeliktAnwendungsbeispiele

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ANWENDUNGSBEISPIEL #1

KausalitätsproblemFrau I arbeitet als Kindermädchen im Hause der Familie H. Mit Carla, der zehn Monate alten Tochter der Familie, kommt Frau I nur schlecht zurecht, und sie fühlt sich von Carla terrorisiert. Daher beschließt Frau I, Carla zu töten. Gegen Mittag mischt sie Gift in ein Glas Babynahrung, das sie Carla am Abend verabreichen will. Nachmittags legt sich Frau I zu einem Schlaf hin. Genau in dieser Zeit erscheint Frau G, eine Tante des Kindes, und entschließt sich, Carla zu füttern. Dazu verabreicht sie Carla die von Frau I vorbereitete Babynahrung, unwissend, dass diese mit Gift versetzt wurde. Carla verstirbt kurze Zeit nach der Nahrungsaufnahme.

Fragen:1. Ist Frau Is Verhalten für den Tod von Carla kausal?

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2. Ist Tante Gs Verhalten für den Tod von Carla kausal?

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ANWENDUNGSBEISPIEL #2

RisikozusammenhangHerr B besucht eine Bar im 1. Wiener Gemeindebezirk, die sich im 2. Stock befindet und einen Außenbereich hat, der die Kärntner Straße überblickt. Er trinkt geraume Mengen Alkohol und setzt sich auf die Balkonmauer des Außenbereichs. Es ergibt sich ein Streit-gespräch mit Herrn S, bei dem Herr S dem B einen Stoß versetzt, so dass dieser rückwärts von der Mauer fällt und auf der Kärtner Straße aufschlägt. Herr B ist schwer verletzt, aber bei Bewusstsein. Er erleidet einen großen Blutverlust und wird in ein Spital eingeliefert. Die Ärzte teilen ihm mit, dass er dringend eine Blutransfusion benötigt. Diese lehnt B mit der Begründung ab, diese verstoße gegen seine Religion. Am nächsten Tag verstirbt B.

Fragen:1. Ist Herr S für den Tod des B strafbar?

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2. Wie wäre der Fall zu beurteilen, wenn B bereits auf der Kärntner Straße verstirbt, nur weil er Bluter ist und bereits ein geringer Blutverlust zum Tod führen kann?

ANWENDUNGSBEISPIEL #3

Objektive + subjektive Tatbestandsmerkmale

Fragen:1. Was sind die objektiven Tatbestandsmerkmale des § 148a (1) StGB?

§148a Betrügerischer Datenverarbeitungsmißbrauch(1) Wer mit dem Vorsatz, sich oder einen Dritten unrechtmäßig zubereichern, einen anderen dadurch am Vermögen schädigt, daß er dasErgebnis einer automationsunterstützten Datenverarbeitung durchGestaltung des Programms, durch Eingabe, Veränderung, Löschung oderUnterdrückung von Daten oder sonst durch Einwirkung auf den Ablauf desVerarbeitungsvorgangs beeinflußt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechsMonaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.

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2. Was sind die subjektiven Tatbestandsmerkmale des § 148a (1) StGB?

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ANWENDUNGSBEISPIEL #4

Objektive + subjektive Tatbestandsmerkmale§ 302 StGB Mißbrauch der Amtsgewalt(1) Ein Beamter, der mit dem Vorsatz, dadurch einen anderen an seinenRechten zu schädigen, seine Befugnis, im Namen des Bundes, einesLandes, eines Gemeindeverbandes, einer Gemeinde oder einer anderenPerson des öffentlichen Rechtes als deren Organ in Vollziehung derGesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich mißbraucht, ist mitFreiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen

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Fragen:1. Was sind die objektiven Tatbestandsmerkmale des § 302 (1) StGB?

2. Was sind die subjektiven Tatbestandsmerkmale des § 302 (1) StGB?

ANWENDUNGSBEISPIEL #5Objektive + subjektive Tatbestandsmerkmale

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Herr Bieber fährt durch den 9.Wiener Gemeindebezirk, um einen Parkplatz zu finden. Endlich erspäht er eine Parklücke und parkt sein Auto dort. Plötzlich vernimmt er ein lautes Schreien und Schläge gegen sein Auto: Diese kommen von einem Polizisten, auf dessen Fuß Herr Bieber nichtsahnend sein Auto geparkt hat. Nun entschließt sich Herr Bieber jedoch, sein Auto dort stehen zu lassen, und geht fort.

Fragen: 1. Worin könnte das Problem beim Nachweis der Tatbestandmerkmale bestehen?

2. Wie könnte man dieses Problem lösen?

Lösung : Trennung mangels Gleichzeitigkeit;Ø 1. Akt: ggf fahrlässige KörperverletzungØ 2. Akt: (vorsätzliche) Freiheitsentziehung, ggf weitere vorsätzliche Körperverletzung

ErfolgVorsatz