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Schwerpunkt FORTBILDUNG Kardiovaskuläre Folgen von Stress „Gebrochenes Herz“ und rezidivierende Hochdruckkrisen Stress macht krank – aber nicht jeden Ist das Herz der Sitz der Gefühle? - Der in den 1970er-Jahren anhand der Symptomatik von Vetera- nen des Vietnamkriegs geprägte Begriff der posttraumatischen Be- lastungsstörung bezog sich ursprünglich auf zahlreiche vegetative Störungen, bei denen kein organischer Befund erhoben werden konnte. Umso rätselhafter erschien eine erstmals in den 1990er-Jahren in Ja- pan beschriebene Erkrankung, die mit dem Vollbild des akuten Koronarsyndroms bzw. eines ST-Hebungs- infarkts einherging. Im Herzkatheter zeigten sich eine typische tran- siente linksventrikuläre apikale Ballonierung und eine reversible Koronarver- engung ohne Anhalt für eine Koronarsklerose. Wegen der Ähnlichkeit der Herz- silhouette mit der alten ja- panischen Tintenfischfalle (tako-tsubo) wurde dieses Krankheitsbild etwas exo- Tako-Tsubo-Syndrom genannt, was sicher zusätzli- che Publizität mit sich brachte. Nachdem es sich bei den Betroffenen fast ausschließlich um postmenopausale Frauen han- delte, die ein emotional stark belastendes Lebensereignis wie Tod eines Partners oder Kindes, Verkehrsunfälle, Naturkatastrophen oder Vergewaltigung erlebt hatten, brachte man die Erkrankung mit psy- chischem Stress in Verbindung. 2005 wurde das Prinzip einer „Stress- Kardiomyopathie“ in die Kardiologie eingeführt, während man in den Publikumsmedien gerne vom „Syndrom des gebrochenen Her- zens“ sprach. Bisher fehlt ein schlüssiges pathophysiologisches Konzept, wie psychischer Stress sich in dieser Weise auswirken kann. In der aku- ten Phase werden immerhin Katecholamin-Konzentrationen im Plas- ma gemessen, die um ein Vielfaches höher sind als beim klassischen Myokardinfarkt. Weiterhin zeigte sich, dass mindestens die Hälfte der Patienten bereits lange Zeit vor Auftreten dieses Ereignisses un- ter einer Angststörung bzw. Panikattacken litt. Ist das Krankheitsbild also doch ein Beweis für die von Dichtern und Verliebten gern verwendete Metapher vom Herzen als dem Sitz der Gefühle? Jüngste Ergebnisse sprechen dagegen. So konnte ein Forscherteam des Imperial College London vor Kurzem zeigen, dass bei Ratten (!) durch Injektionen von Adrenalin in sehr hohen Dosen eine ganz ähnliche Kardiomyopathie ausgelöst wird. Wenn wir an psychogene Lähmungen, Erblindungen und viel- leicht sogar Todesfälle denken, die in engem zeitlichen Abstand zu psychisch belastenden Ereignissen beschrieben wurden, so müssen wir uns demütig vor der Komplexität des menschlichen Gehirns verneigen und eingestehen, dass unsere neurobiologischen Er- kenntnisse immer noch ziemlich bescheiden sind. Unser Schwer- punktheft zum Jahreskongress der Deutschen Hochdruckliga bringt zwei irritierende Bespiele. Ebenso interessant wäre es aber heraus- zufinden, warum manche Menschen gegenüber Stressoren resilient sind. Prof. Dr. med. H. S. Füeßl Internist Gastroenterologie Leiter Somatischer Querschnittsbereich Isar-Amper-Klinikum, Klinikum München-Ost, Haar 41 _ Stress-Kardiomyopathie 44 _ Paroxysmale Hypertonie Ist das Herz konnte. Umso räts erstmals in d pan bes die aku bz in H s si ap eine engun Koro der silh pan (tako Kran tisch genann che Pub Nach © ArTo/fotolia.de 40 MMW-Fortschr. Med. 2013; 155 (20)

Stress macht krank — aber nicht jeden

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Schwerpunkt

FORTBILDUNG Kardiovaskuläre Folgen von Stress

„Gebrochenes Herz“ und rezidivierende Hochdruckkrisen

Stress macht krank – aber nicht jeden

Ist das Herz der Sitz der Gefühle?

− Der in den 1970er-Jahren anhand der Symptomatik von Vetera-nen des Vietnamkriegs geprägte Begri� der posttraumatischen Be-lastungsstörung bezog sich ursprünglich auf zahlreiche vegetative Störungen, bei denen kein organischer Befund erhoben werden

konnte. Umso rätselhafter erschien eine erstmals in den 1990er-Jahren in Ja-

pan beschriebene Erkrankung, die mit dem Vollbild des

akuten Koronarsyndroms bzw. eines ST-Hebungs-infarkts einherging. Im Herzkatheter zeigten sich eine typische tran-siente linksventrikuläre

apikale Ballonierung und eine reversible Koronarver-

engung ohne Anhalt für eine Koronarsklerose. Wegen der Ähnlichkeit der Herz-silhouette mit der alten ja-panischen Tinten� schfalle

(tako-tsubo) wurde dieses Krankheitsbild etwas exo-

tisch Tako-Tsubo-Syndrom genannt, was sicher zusätzli-

che Publizität mit sich brachte. Nachdem es sich bei den

Betro� enen fast ausschließlich um postmenopausale Frauen han-delte, die ein emotional stark belastendes Lebensereignis wie Tod eines Partners oder Kindes, Verkehrsunfälle, Naturkatastrophen oder Vergewaltigung erlebt hatten, brachte man die Erkrankung mit psy-chischem Stress in Verbindung. 2005 wurde das Prinzip einer „Stress-Kardiomyopathie“ in die Kardiologie eingeführt, während man in den Publikumsmedien gerne vom „Syndrom des gebrochenen Her-zens“ sprach.

Bisher fehlt ein schlüssiges pathophysiologisches Konzept, wie psychischer Stress sich in dieser Weise auswirken kann. In der aku-ten Phase werden immerhin Katecholamin-Konzentrationen im Plas-ma gemessen, die um ein Vielfaches höher sind als beim klassischen Myokardinfarkt. Weiterhin zeigte sich, dass mindestens die Hälfte der Patienten bereits lange Zeit vor Auftreten dieses Ereignisses un-ter einer Angststörung bzw. Panik attacken litt.

Ist das Krankheitsbild also doch ein Beweis für die von Dichtern und Verliebten gern verwendete Metapher vom Herzen als dem Sitz der Gefühle? Jüngste Ergebnisse sprechen dagegen. So konnte ein Forscherteam des Imperial College London vor Kurzem zeigen, dass bei Ratten (!) durch Injektionen von Adrenalin in sehr hohen Dosen eine ganz ähnliche Kardiomyopathie ausgelöst wird.

Wenn wir an psychogene Lähmungen, Erblindungen und viel-leicht sogar Todesfälle denken, die in engem zeitlichen Abstand zu psychisch belastenden Ereignissen beschrieben wurden, so müssen wir uns demütig vor der Komplexität des menschlichen Gehirns verneigen und ein gestehen, dass unsere neurobiologischen Er-kenntnisse immer noch ziemlich bescheiden sind. Unser Schwer-punktheft zum Jahres kongress der Deutschen Hochdruckliga bringt zwei irritierende Bespiele. Ebenso interessant wäre es aber heraus-zu� nden, warum manche Menschen gegenüber Stressoren resilient sind.

Prof. Dr. med. H. S. FüeßlInternist GastroenterologieLeiter Somatischer QuerschnittsbereichIsar-Amper-Klinikum, Klinikum München-Ost, Haar

41 _ Stress-Kardiomyopathie

44 _ Paroxysmale Hypertonie

Ist das Herz der Sitz der Gefühle?

konnte. Umso rätselhafter erschien eine erstmals in den 1990er-Jahren in Ja-

pan beschriebene Erkrankung, die mit dem Vollbild des

akuten Koronarsyndroms bzw. eines ST-Hebungs-infarkts einherging. Im Herzkatheter zeigten sich eine typische tran-siente linksventrikuläre

apikale Ballonierung und eine reversible Koronarver-

engung ohne Anhalt für eine Koronarsklerose. Wegen der Ähnlichkeit der Herz-silhouette mit der alten ja-panischen Tinten� schfalle

(takoKrankheitsbild etwas exo-

tisch Tako-Tsubo-Syndrom genannt, was sicher zusätzli-

che Publizität mit sich brachte. Nachdem es sich bei den

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40 MMW-Fortschr. Med. 2013; 155 (20)