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STUDI VERSUM NUMMER 42  | 2011.12 Das Buch REALITäTSVERLUST 10 AUTORIN EVELINE HASLER IM GESPRäCH 12 TIBET SPECIAL 28 | 30 AUF WARMEM FUSS 34

StudiVersum 42 - Das Buch

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Realitätsverlust, Autorin Evelin, Hasler im Gespräch, Tibet Special, Auf warmem Fuss

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STUDIVERSUM

NUMMER 42 | 2011.12

Das BuchREalITäTSVERlUST 10 aUToRIN EVElINE HaSlER IM gESpRäcH 12TIbET SpEcIal 28|30aUf waRMEM fUSS 34

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3 STUDIVERSUM | 2011.12

04 LIEBLINGSDING

waRUM IcH MEINEN HUT lIEbE

05 UMFRAGE

waS IST füR DIcH lUxUS?

07 AUS DEM LEBEN

wIE wERDE IcH MEINEN KaTER loS?

08 ATELIER

STRIcHcoDE aUf STRIcHcoDE

09 DAS UNIKAT

gEwINNE DaS flIEgENDE bUcH

10 WISSENSCHAFT

DER REalE TRaUM

28 UNIPOLITIK TIbET IN ZüRIcH

30 REPORTAGE REISE ZUM IcH

32 UNTERHALTUNG IMpRESSUM, DENKSpIEl

33 DIE FLOTTE 3ER-WG DaS ENDE DER 3ER-wg

34 WIE ANNO DAZUMAL

EISfüSSE

04

09

Die stillen Rebellen

Bestseller 2.0

Für eine Handvoll Groschen

Geschichten aus dem Radio

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Liebe Leserinnen und Leser, «Von allem Geschriebenen liebe ich nur Das, was Einer mit seinem Blute schreibt», schrieb einst Nietzsche. Mit Blut meint der Meister der Metaphorik den Geist. In die-ser Ausgabe tauchen wir ein in den Geist des Buches. Evelin Meierhofer war bei einer Bestsellerforscherin, Melanie Keim sprach mit einem Hörspiel-Regisseur, Myriam Schuler interviewte Eveline Hasler und Marina Lienhard hat sich der «Trivialli-teratur» ausgesetzt.

Entgegen aller Schwarzmalerei: Das Buch wird nicht aussterben. Doch wie sieht seine Zukunft in der digitalisierten Medien-welt aus? E-Books sind nun schon seit 2008 auf dem Massenmarkt vertreten. Wird das gedruckte Buch eine Seltenheit – ja gar ein Elitemedium? Madlaina Bundi, Programm-leiterin in der Abteilung Sachbuch des Orell Füssli Verlags, weiss: «Es hängt sehr von der Produktart ab, ob das Buch in Printform er-halten bleibt.» Es gäbe allerdings schon Ver-lage, die nur auf E-Books setzen. Die Zu-kunft verspreche mehr Partizipation des Kunden, weiss Bundi. «Es gibt Verlage, die dem Kunden anbieten, den Content seines Buches selbst zusammenzustellen – zum Beispiel einen individuellen Reiseführer.»

Der habtische Wert des Buches ist zu gross, um der Digitalisierung zu unterlie-gen. Ein Buch hat sentimentalen Wert und Erinnerungswert. Das Buch ist ein Kunst-werk für die Sinne. In der Interaktion lässt sich ein gemeinsamer Nenner mit dem In-ternet finden: Die visuellen Möglichkei-ten der digitalen Welt sind enorm. Google hat ein digitales Bücherregal erstellt, das auf chromeexperiments.com/bookcase einseh-bar ist. Es ist endlos.

Diese Ausgabe ist die Dernière von Martina Zimmermann und André Bähler, die beide auch als Buchautoren tätig sind. Ein «Versüecherli» vom Werk, wo Marti-na beteiligt war, gibt es unter semestra.ch/leseprobe und Andrés sämtliche bisher im StudiVersum erschienen Kurzgeschich-ten könnt ihr als Buch unter studiversum.ch/3er-WG bestellen. Sie hinterlassen bei-de einen grossen Fussabdruck im StudiVer-sum. Merci für euren Einsatz und alles Gute für die Zukunft!

Und an alle Studierende: Viel Erfolg bei euren Examen! Für die entspannende Zeit danach: Die Buchtipps der Redaktion fin-det ihr auf Seite 19.

Mit Blute geschrieben,Eure Raffaela Angstmann

EDITORIAL | INHALT

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4 STUDIVERSUM | 2011.12

«Der Hut ist aus einem Theaterfundus und deshalb einzigartig! In dieser beinahe krankhaftrationalen welt brauchen wir ganz einfach etwas Verspieltes, Verrücktes, Nonsense…Deshalb liebe ich ihn. Nicht zuletzt der köstlich verstörten, oft schockierten und manchmalerfreuten blicke wegen, welche uns zugeworfen werden.»

Rhea Blem, 17, angehende Studentin der Englischen Literaturwissenschaften und Theaterwissenschaft

waRUM IcH MEINEN HUT lIEbELIEBLINGSDING

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5 STUDIVERSUM | 2011.12

waS IST füR DIcH lUxUS?Mit dem Porsche an die Uni? Klubbesitzer sein und sich in einer Langzeit-Suite im Dolder einnisten? Oder darf es ruhig weniger spektakulär sein? Wir haben an der Zürcher Hochschule der Künste bei den Studierenden nachgefragt, was für sie über grundlegende Bedürfnisse hinausgeht. r Text und bild Dominic Illi

«Das leben gestalten, wie ich es mir wünsche! Dazu gehört die lebensform und die Um- gebung – auch im Kleinen. Zum beispiel will ich meine wohnung mit genau dem Möbelstück einrichten, das meinen Vorstellungen ent-spricht.»

Sebastian Fehr, 24, Visuelle Kommunikation

Pascal Sidler, 22, Bildende Kunst«an einem Sonntag den ganzen Tag im bett bleiben. Mit einem bier und einer Zigi in der Hand.»

«luxus ist für mich ein allgemeines wohlbefinden. Um das zu erreichen, muss man ballast abwerfen und sich den problemen stellen, statt sie mit sich herumtragen.»

«Es ist luxus, eine berufung zu finden – sprich: einer Tätigkeit nachgehen zu können, die mit leidenschaft verbunden ist. Und Menschen zu haben, die für einen da sind. beides ist nicht selbstverständlich.»

Gian Gadient, 28, Interaction Design

Fabienne Wyss, 25, Visuelle Kommunikation

«luxus bedeutet Entscheidungsfreiheit: Selber bestimmen, was man machen will. genau deshalb habe ich mich für ein Studium entschieden.»

«Ich will genug Zeit haben. Nicht nur für die schönen Dinge, auch für diejenigen, die ich erledigen muss. Nicht jedes Zeitfenster soll ein fix definiertes label haben. Und dann sind da noch die materiellen Dinge: ein neuer computer oder eine Stereoanlage.»

«Ich hätte gerne mehr Zeit für Musik mit meiner band ‹Sluthorn›. Die reinste form von luxus ist aber die unberührte Natur. Keine Stadt, keine Menschen, keine Zivilisation. Eigentlich habe ich den falschen Studiengang gewählt, merke ich gerade!»

«freizeit! Selbst wenn ich dann nichts anderes mache als auch im Studium: filmen und kreativ sein – aber ohne wirtschaftlichen Druck und einengende Vorgaben. Nur so kann ich mich richtig austoben.»

Martin Feigel, 34, Interaction Design

Manu Beffa, 34, Visuelle Kommunikation

Lukas Baumgartner, 24, Industrial Design

Raffael Greminger, 23, Cast / Audiovisuelle Medien

UMFRAGE

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AUS DEM LEBEN

DER EURo UND DIE STRUMpfKRISEWie ich dank einem Loch im Strumpf herausfand, was graue Strümpfe mit der SVP zu tun haben und wie es sich anfühlt, Angela Merkel zu sein.

In regelmässigen Abständen stehe ich mit dem gleichen alten Problem vor meinem Kleiderschrank: Ich finde keine Strumpf-hose ohne Loch. In etwas grösseren aber leider doch auch regelmässigen Abständen taucht ein anderes Problem auf – nämlich, dass ich das Problem erst erkenne, wenn ich schon aus dem Haus bin – mit Strumpf-hose und Loch. Kürzlich war es wieder so weit: An der Bushaltestelle grinste einer meiner rot lackierten Zehen frech aus dem Strumpfloch hervor. Ich fand es weniger lustig, da ich am Abend an einen schicken Anlass musste und rannte schnurstracks in die nächste Coop-Filiale, obwohl ich schon längstens an der Uni hätte sein sollen.

In der Strumpfabteilung musste so schnell wie möglich eine schwarze Strumpf-hose her. Auf der Toilette der Uni Zü-rich angelangt, konnte ich meinen nack-ten Zeh endlich wieder einpacken, doch – oh Schreck! – die Strümpfe waren nicht schwarz, sondern grau. Nicht so schlimm, dachte ich zuerst, passt schon zum grünen Kleid. Doch das Grau war wirklich grässlich – so etwas hatte ich bisher noch nirgendwo gesehen. «Euro» stand auf der Packung, wo sonst «Noir» oder Ähnliches stehen sollte, und ich ärgerte mich. Mein Spiegelbild er-innerte an Angela Merkel, denn meine Bei-ne hatten in diesem Grau nicht mehr viel

mit Beinen zu tun, sondern eher mit der Stillosigkeit der deutschen Bundeskanzle-rin. Doch plötzlich überkamen mich Ge-wissensbissen. War es vielleicht unpassend, sich in Zeiten der Eurokrise nett zu kleiden? Sollten wir Schweizer, denen es trotz der Fi-nanzkrise immer noch so gut geht, vielleicht etwas bescheidener sein und uns nicht noch glamourös kleiden wollen? Und darf man sich denn wegen kleiner Strumpflöcher auf-regen, wenn anderswo viel schwerwiegen-dere Löcher gestopft werden müssen? Auf jeden Fall fühlte ich mich unwohl in meinen Eurostrümpfen und verdrückte mich in die hinterste Ecke der Bibliothek.

Auf dem Weg zum Bahnhof hetzte ich nochmals in eine Coop-Filiale, verzichtete auf das Farbexperiment «Champagne», ob-wohl ich ein «Cüpli» vertragen hätte, streif-te mir in der Zugtoilette endlich normale schwarze Strümpfe über und versank er-schöpft im Zugsessel.

Nach diesem Abenteuer hatte ich zwar eine wage Ahnung davon, wie anstrengend es war, Angela Merkel zu sein, dafür weder eine Ahnung, warum solch fürchterliche Strümpfe verkauft werden, noch den leises-ten Schimmer, warum sie diesen Namen tra-gen. Oder steckte hinter allem eine beson-ders raffinierte Strategie der SVP, um die EU mit schlechten Gefühlen zu verbinden?

Text Melanie Keim

Wenn dein Telefon den ganzen Tag Sturm klingelt und der SMS-Speicher zu überquel-len droht, kann das eigentlich nur eines be-deuten: Happy Birthday! Schon wieder hast du ein Jährchen mehr auf dem Buckel. Dem muss nicht zwingend so sein. Es könnte auch daran liegen, dass du gerade fälschli-cherweise als frischgebackener Vater oder als Petting liebender Jüngling gefeiert wirst.

Aber der Reihe nach. Im vorletzten Sommer wurde ich von einem Ex-Klassen-kameraden angefragt, ob ich mit ihm bei ei-nem kleinen Shooting vor die Kamera ste-hen würde. Es gehe um PET-Recycling, Fo-tograf sei der bekannte Walter Pfeiffer. Ich habe eingewilligt, weil ich gerade mit jenem Kumpel auf Mallorca war und jeder Bieridee zugestimmt hätte. Erst am Shooting erfah-re ich die Details: Ich soll halbnackt in ein Becken voller PET-Flaschen liegen und meinen Arm um den Kollegen legen. Was macht man nicht alles für eine Öko-Kam-pagne, die nur aus einer limitierten Anzahl Kalendern besteht! Das Shooting schon ver-drängt, das Honorar längst investiert, stellt sich mehrere Monate später heraus: Die Ka-lender werden in verschiedenen Magazinen verlost, und offenbar gefällt unser Bild den Redaktoren speziell gut. «Friday» findet mit «Wir lieben Petting» eine besonders pas-sende Überschrift. Ich werde bombardiert von Anfragen: «He, bist du das? Und bist du schwul?» Ja, bin ich. Nein, bin ich nicht. Was mich damals unnötig Energie gekostet hat, amüsiert mich heute: all die Sprüche abzu-wimmeln und dafür zu sorgen, dass meine heutige Freundin das Bild nicht ohne vor-gängige Erklärung sieht.

Etwas weniger Resonanz hat das zwei-te Ereignis hervorgerufen. Ein Dozent hat die Zeichen der Zeit erkannt und auf eine etwas eigenwillige Form der Interaktivität zurückgegriffen: ein Handy, auf das Studie-rende Fragen zum Stoff schicken können, die dann direkt in der Vorlesung beantwor-tet werden. Klar, dass damit auch Unsinn getrieben wurde. Neben etlichen Fragen zu seiner Tochter hat der Dozent im grössten Vorlesungssaal der Uni Zürich auch folgen-den Glückwunsch berücksichtigt: «Es ha-ben nicht nur Leute Geburtstag, Dominic Illi ist sogar Vater geworden. Ich hoffe, er

weiss es selber.» Weiss ich bis heute nicht. Zum Glück habe ich mich an jenem Mor-gen entschieden, zugunsten einer anderen Veranstaltung auf diese Vorlesung zu ver-zichten. Die Glückwünsche haben mich via Kommilitonen trotzdem in Sekunden-schnelle erreicht.

UNVERHoffTE pUblIZITäT

Text Dominic Illi

Nicht nur Promis müssen damit leben, dass sie sich unverhofft in der Öffentlichkeit wiederfinden. Eine (freiwillig) publizierte Schilderung.

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AUS DEM LEBEN

Auf diesem Regal standen zwei grosse Ke-ramiktöpfe. Um sie drehte sich das Gesche-hen in dem kleinen Laden, der in seinen Auslagen Zuckerwatte, Salzheringe und Salzkartoffeln zum Take-away, Zuckerrü-ben, Salzgurken, herrlich süsse Torten und Salzbrezeln in allen Grössen anbot.

Die Töpfe waren beide dunkelblau, mit weissen Verzierungen am Rand und auf den Henkeln. Beide standen an ihrem Platz, der eine neben dem anderen, seit es den Laden gab. Beide waren genau gleich. Aber ihr In-halt war nicht derselbe, obwohl er sich zum Verwechseln ähnlich sah. Wer sich von je-dem nur eine Messerspitze voll auf die Zunge legte, bat beim einen um mehr und beim anderen um ein Glas Wasser. Der Ge-schmack des einen verging viel zu schnell, während der andere noch lange seine Spu-ren im Mund hinterliess, ohne zu ahnen, wie unangenehm er dies tat. Aber woher sollte er das auch wissen? Er kannte ja über-haupt nichts anderes. Er kannte den ande-ren, wohlig schmeckenden nicht, denn zwei undurchdringbare Wände trennten sie. Und wie war es mit dem weich schmecken-den? Wenn er gewusst hätte, dass es auch noch einen anderen Geschmack gab, hätte ihn sein ewig süsslicher nicht genervt?

Eines Tages, als das liebliche Bimmeln des Glöckleins über der Ladentür gerade wieder Kundschaft ankündigte, passierte es. Der eine Keramiktopf fiel klirrend zu Bo-den. Vielleicht war es ein Windstoss, der durch die offene Tür bis in den Vorratsraum gestürmt war und den Topf hinterrücks überwältigt hatte. Doch Zeit, sich die Fra-ge nach der Ursache durch den Kopf gehen zu lassen, blieb keine, denn ein leises, krat-zendes Geräusch kündigte ein erneutes Un-heil an. Der andere Topf bewegte sich eben-falls unaufhaltsam auf den Abgrund zu. Es schien, als würden ihn die vielen weissen Kristalle, die schon über den ganzen Boden zerstreut lagen, zu sich ziehen; als streckten sie sehnsüchtig ihre Arme aus.

Die Zeit hielt ihren Atem an, denn das Herz des kleinen Ladens lag auf dem Bo-den zerstreut. Vereint. Weiss in Weiss. Der Zucker vermischte sich mit dem Salz und das Salz sich mit dem Zucker. Sie rochen einander, schmeckten einander und um-

armten sich. Was war es denn nun, das auf dem Bo-

den lag? War es Salz oder war es Zucker? Man vermochte es nicht mehr mit Be-stimmtheit zu sagen, aber das war auch nicht mehr wichtig. Wichtig war nur, dass die beiden eins geworden waren und dass niemand sie jemals wieder trennen konnte.

UMaRMUNg IN wEISS

Text Julia Krättli

Eine Geschichte, die in der Vorratskammer eines kleinen Lebensmittelgeschäfts, auf dem Regal links neben der Tür, spielte.

Bedarf, uns Studierenden hierbei zu helfen. «Die sind ja so superschlau, die wissen sich bestimmt selbst zu helfen – saufen können sie ja auch», lachen die sich wohl ins Fäust-chen. NEIN, SIND WIR NICHT! Zumin-dest nicht immer. Auch wir sind manch-mal total verstört, der Kopf platzt uns und wir wissen nicht mehr Ein und Aus. Haben eine Riesenkrise, weil die altbewährte Aus-sage «Ich habe ein Motivationsproblem, bis ich ein Zeitproblem habe» mit hämmern-dem Kopf noch viel realer wird und einem der Himmel in Form von Arbeit und Bü-chern auf den Kopf fällt. Alles wird zu viel und ein guter Zuspruch würde einem schon wieder ein Bisschen Mut und Zuversicht einflössen. Apropos einflössen: Der letzte Schnaps gestern Abend war nötig. WÜK-KI. Auch wenn ihr jetzt alle denkt: Soll der doch weniger trinken und sich aufs Studium konzentrieren!

Abschliessend muss ich aber festhalten: Solange ich die nächsten Jahre nicht über ein Baby in Panik gerate, gebe ich mich ger-ne weiter mit den Problemen eines anstän-digen Katers ab. EIGENTLICH GNÜSS ICH JA S’STUDENTELEBE. MIT UND OHNI KATER A DE LEINE!

Für alle kleinen und grossen Probleme gibt es Telefon-Hotlines. Nur wir Studierenden werden davon grösstenteils ausgeschlossen – als ob wir keine (alkoholinduzierten) Probleme hätten.

«ICH HALTE DAS BABY NÜME US!», schreit mich ein leuchtend gelbes Plakat im Tram an. Nur schon die grelle Farbe ver-stärkt meine Kopfschmerzen. Meine vom Rausch der letzten Nacht immer noch ziem-lich benebelten Hirnzellen machen gerade Urlaub und versuchen verzweifelt das Wort «Studium» in den Satz zu schmuggeln: «ICH HALTE DAS STUDIUM NÜME US, TAMI-SIECH!» Das wäre mal eine Werbung. Paral-lel zu einem Notruf für verzweifelte Eltern bräuchte die Welt nämlich einen Notruf für verkaterte Studierende. Beratung zum Zeit-management oder Infos über die nächsten Abgabetermine kann man sich an Uni und ETH bereits telefonisch abholen. Doch bei ebenso wichtigen Themen und spezielleren Leiden wird uns nicht geholfen: Wie finde ich aus diesem Bett, in dem ich neben ei-ner unbekannten (aber wunderschönen), schnarchenden 25-Jährigen aufgewacht bin a) zu meinen Kleidern und b) zur nächsten Tramhaltestelle? Was ist das beste Rezept gegen den Todeskater nach einem durch-zechten Wochenende, wenn am Montag-morgen die 8-Uhr-Vorlesung überstanden werden muss? Anscheinend sehen die «im-mersozialen» Hilfsorganisationen keinen

Text Jonas frehner

wIE wERDE IcH MEINEN KaTER loS?

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ATELIER

STRICHCoDE AuF STRICHCoDE

AUCH WENN DER FüNFZIGER ZWISCHEN TRENNSTAB UND BAND STATT AUF SEINER HAND LANDET, LäCHELT ANDREAS LORI – UND FäNGT DIE SZENE SPäTER AUF PAPIER EIN.

Wenn Andreas Lori mit dem Bleistift ein Stück Kassenzettel bekritzelt, meinen die Shoppenden möglicherweise, die Kasse 2 werde gleich geschlossen. Stattdessen no-tiert er sich Geistesblitze. Inzwischen haben sich über 100 solcher Quittungen angesam-melt. Die festgehaltenen Einfälle lässt An- dreas an seinen freien Tagen in Comicstrips einfliessen, welche sich mit der absurden Konsumwelt auseinandersetzen und den Shoppingwahn thematisieren. «East Mi-le» heisst die von ihm entwickelte und re-alisierte Publikation, die im Rahmen des «Fumettos» im März/April 2012 der Öffent-lichkeit zugänglich gemacht wird. Bei «East Mile» handelt es sich um ein fiktives Ein-kaufszentrum, in welchem ein Kassier sei-nen tageslichtlosen Alltag verbringt. Er bil-det sich in Kassenseminaren weiter, lernt in einer Lachmeditation, wie er während achteinhalb Stunden sein freundliches und gleichzeitig authentisches Lächeln konser-vieren kann, und stellt sich Tag für Tag der Herausforderung, sein berufliches Dasein durchzustehen – oder vielmehr: durchzu-sitzen.

Eigentlich bewarb sich Andreas um ei-nen Teilzeitjob bei der Migros, um sich nach seinem Studium in Fiction sein Leben nicht mit Auftragsillustration verdienen zu müs-sen, sondern sich vermehrt dem Zeichnen von Comics widmen zu können. Das un-kritische Konsumverhalten, wie beispiels-weise das beinahe zwanghafte Akkumulie-ren von «hochprozentigen» Ermässigungen, beschäftigt ihn aber seit Februar 2010 über seine Arbeitszeit an der Kasse hinaus. Him-beeren aus Neuseeland wägend, darf man gut gelaunt dem Swiss Pop Radio lauschen und ungeduldig warten, bis die Drehtüre die Sicht auf das «East Mile»-Heft freigibt. Wer lächelt, kriegt zwei Prozent Rabatt. rText Martina Zimmermann, bild andreas lori

pRoJEKT VoN aNDREaS loRI

Das 21. «fumetto» findet vom 24. März bis 1. april 2012 in luzern statt. www.fumetto.ch

Mehr zu und von andreas lori unter www.thujaland.ch Thujaland ist eine humoristische comicserie aus der agglomeration der Schweizer Mittellandwüste. Herr und frau bachtel mieten eine wohnung in einem Mehrfamilienhaus, wo auch eine Hipster-wg haust. Das über- und Nebeneinanderleben ist konfliktträchtig.

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der reale Traum

erschienen ist. Sie bittet die ganze Familie Rosenkranz zu beten. Ihre Mutter schickt sie zu einem Priester. Laura reagiert hyste-risch, bespuckt den Geistlichen und wird in eine psychiatrische Klinik eingeliefert.

Innere und äussere GedankenAn Schizophrenie erkrankte Personen ha-ben Mühe äussere und innere Einflüsse zu unterscheiden. Sie können nicht erken-nen, welche Gedanken in ihrem Kopf ent-stehen und welche Wahrnehmungen von aussen auf sie einwirken – so wie bei Laura. Psychologe M. Sc. Nadeem Kalak vergleicht dies mit unseren Träumen: Im Traum sind alle Erlebnisse real. Während wir träumen, wissen wir nicht, dass wir träumen und nehmen den Traum als Wirklichkeit wahr.

DiagnosePer Definition erkennt man Schizophrenie an folgenden Merkmalen: auffällige Ver-haltensweisen, Desorganisation der Per-sönlichkeit, verzerrte Wahrnehmung der Realität und Probleme mit der Lebensfüh-rung. Zusätzlich werden körperliche Un-tersuchungen durchgeführt, um Halluzina-tionen aufgrund von Drogeneinfluss aus-zuschliessen. Liegt die Vermutung auf eine Erkrankung vor, muss ein Psychiater an-hand der sogenannten ICD-10-Kriterien ei-ne Diagnose machen. Das ICD-10 ist ein Di-agnosemanual, in dem psychische Krank-

aUf DIE fRagE waS ScHIZo-pHRENIE SEI, MEINEN DIE MEISTEN EINE aNTwoRT ZU KENNEN: bETRoffENE HöREN STIMMEN, HabEN MEHRERE pERSöNlIcH-KEITEN UND lEIDEN UNTER VERfolgUNgSwaHN. IST DaS So EINfacH ZU ER-KläREN? EIN gESpRäcH MIT pSycHologEN VERSUcHT KlaRHEIT ZU ScHaffEN.

heiten erfasst sind und anhand der darin angegebenen Leitlinien diagnostiziert wer-den. Die Leitsymptome für Schizophrenie sind teilbar in zwei Gruppen. Zu der ers-ten, den eindeutigen Symptomen, gehören: 1. Gedankenlautwerden, 2. Wahnwahrneh-mungen (Kontroll- oder Beeinflussungs-wahn), 3. Stimmen, 4. Anhaltender unre-alistischer Wahn. Dann gibt es vier weite-re Symptome, von denen mindestens zwei vorliegen müssen: 5. Anhaltende Halluzi-nationen jeder Sinnesmodalität (Visuell, Gehör, Geschmack, etc.), 6. Gedankenab-reissung, 7. Katatone Symptome (stunden-langes Starrstehen, Haltungsstereotypen, etc.), 8. Sprachverarmung, Apathie oder andere Affekte. Verhaltensweisen sind sehr individuell, was eine Diagnose sehr schwierig macht. Ein oder zwei Symptome müssen mindestens einen Monat lang an-halten. Eine Diagnose darf nie unter Dro-geneinfluss, während eines Entzuges oder einer längeren Gehirnerkrankung erfolgen. An Schizophrenie erkranken nur genetisch prädisponierte Personen. Der präfrontale Kortex, zuständig für Handeln und Fühlen, ist verkleinert. So etwas ist angeboren, be-deutet aber nicht, dass eine schizophrene Erkrankung ausbrechen muss. Zum Aus-bruch führen umweltbedingte Belastun-gen, sogenannte «Life Events». Alkohol und Drogen können diese Belastungen ver-stärken, da sie auf die betroffenen Hirnzen-tren einwirken. Regelmässiger Marihuana-konsum beschleunigt den Ausbruch bei ei-ner prädisponierten Person um zirka acht Jahre. In Lauras Fall hat sich der Ausbruch schleichend angebahnt, weil sie unter mas-sivem Druck ihrer Familie stand.

TherapieIst Schizophrenie anhand der ICD-10-Krite-rien diagnostiziert, folgt eine medikamen-töse Behandlung durch Psychopharmaka. Medikamente bringen die Neurotransmit-ter wieder ins Gleichgewicht. Mit einer ko-gnitiven Verhaltenstherapie versucht man dem Betroffenen die Krankheit zu erklären und damit umzugehen. Diese Phase ist oft schwierig, denn zum Krankheitsbild gehört keine Krankheitseinsicht. Im seltenen Fäl-len ist es aber durchaus möglich, dass ein Schizophrenie-Erkrankter wieder ein nor-males, aber nie medikamentenfreies Leben führen kann. rText claudia piwecki, Il-lustration Melanie Imfeld

In der Schweiz ist zirka ein prozent der bevölkerung an Schizophrenie erkrankt. In wenigen fällen lässt sie sich gänzlich heilen. Medikamentös kann man die Krank-heit teilweise unter Kontrolle bringen, die betroffenen personen müssen aber in der Regel mit sozialen Ein-schränkungen leben. Informationen für betroffene und angehörige gibt es unter: www.vask.ch.

WISSENSCHAFT

Laura hat Musik studiert und wächst in einem religiösen Zuhause auf. Sie heira-tet ihren ersten Freund, der sie bald lang-weilt. Als sie während dem Studium Juan kennenlernt, ist sie sofort begeistert und erzählt ihrer Mutter, dass sie mit ihm nach Brasilien auswandern möchte, 20 Kinder bekommen will und ihr die Jungfrau Maria

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befreite Emilies Geschichte vom Staub der Jahrzehnte und brachte sie ans Licht. Ne-ben starken Frauen sind auch eigenwillige Männer Thema ihrer Romane. So etwa Hen-ry Dunant, den man nach seinem sozialen Abstieg aus dem Komitee des Roten Kreu-zes ausschloss, das er selbst gegründet hat-te.

Verdrängte Geschichten aufdeckenIn ihrem ersten historischen Roman «An-na Göldin – Letzte Hexe», der 1982 erschien, rollte sie den Fall Göldin neu auf. Die Auto-rin, die wie Göldin aus dem Kanton Glarus stammt, hörte bereits als Kind von Göldins Geschichte. Später habe sie erkannt, dass da ein aussergewöhnlicher Hexenprozess stattgefunden hatte; und das während die Aufklärung in vollem Gange war und die Väter des «Siècle des Lumières» bereits im Grab lagen. Bei der Recherche über Göldins Prozess rannte sie keine offenen Türen ein. In Glarus war man nicht begeistert über den Staub, den sie aufwirbeln wollte. Has-ler musste erst einige Widerstände über-winden, bevor sie im Landesarchiv von Glarus an die zeitgenössischen Dokumen-te herankam. Solche Geschichten entspre-chen nicht dem Bild einer heilen Welt, es sind verdrängte Stoffe. Oft würde es sich besonders lohnen, den Geschichten nach-zugehen, die verdrängt werden, sagt die Au-torin. «Nur die Geschichten von Menschen, die gegen den Strom schwammen, die ei-gene Gedanken hatten und die sich selber waren, sind es Wert, niedergeschrieben zu werden», ist Eveline Hasler überzeugt. Ihre Helden sind «stille Rebellen», weil sie nicht rebellieren wollten, ihre Lebensweise fiel einfach aus dem Rahmen des Durchschnitt-lichen. Was im Durchschnitt liege, bringe einen nicht weiter, gibt Hasler zu bedenken. Vom Durchschnitt gehen keine neuen Im-pulse aus.

Als Studentin an der Universität Fribourg war Eveline Hasler beeindruckt von Ge-schichtsprofessor Oskar Vasella. Er hatte die Fähigkeit, Geschichte lebendig weiter-zugeben. Vom Vater Daniel Vasellas habe sie viel gelernt. Er sei ein sehr begabter Pro-fessor gewesen, habe einfach gelebt und sei mit dem Fahrrad zur Uni gekommen. Heute ist die Autorin berühmt dafür, dass sie his-torische Stoffe packend umsetzt. «Ich bear-beite historische Stoffe, die nicht unter ei-ner Staubschicht ersticken dürfen.» Hasler deckt Geschichten auf, die manche lieber unter den Teppich kehren würden. Etwa jene der Emily Kempin-Spyri. In der Fest-schrift, die zum 100. Geburtstag der Uni Zü-rich verfasst wurde, erwähnte man die le-gendäre Juristin nur am Rande, in zwei, drei Sätzen. Dabei war ihr ein Durchbruch ge-lungen. Als erste Frau im deutschsprachi-gen Raum studierte sie Jura, arbeitete als Dozentin an der Uni Zürich und baute in den USA eine Rechtsschule auf. Ihr ist es zu verdanken, dass seit 1898 Frauen als An-wältinnen vor Gericht treten dürfen. Sie selbst konnte aber nicht mehr von dieser Neuregelung profitieren. Autorin Hasler

DIE STILLEN REBELLENEINE BLASSE WINTERSONNE STRAHLT üBER DEN LAGO MAGGIORE, ALS DIE AUTORIN EvELINE HASLER IN EINER CHICEN LEOPAR- DENPRINTjACKE ZUM INTERvIEWTERMIN ERSCHEINT. BELANGLOSIGKEITEN LIEGEN IHR NICHT, DAS IST SCHNELL KLAR. UNSER GESPRäCH FüHRT vON DER OCCUPy-BEWE-GUNG üBER FEMINISMUS BIS ZUM TESSIN ALS KüNSTLERDESTINATION.

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DIE STILLEN REBELLEN

Leidenschaft für GeschichtenIm Gespräch wird deutlich, dass Eveline Hasler ihre Figuren bewundert. Doch iden-tifizieren würde sie sich nicht mit ihnen. Sie bewahrt immer eine gewisse Distanz, auch wenn die Protagonisten ihrer Romane ihr teilweise sehr nahe kommen. Um ihre Ge-schichten lebendig zu erzählen, muss sie sich intensiv mit ihren Leben auseinander-setzen. Das Ambiente der Orte, an denen sich die Ereignisse abspielten, ist wichtig. Halser nennt sich selbst eine Ortsfetischis-tin. Sie ist überzeugt, dass Geschichten stets mit einem Ort verknüpft sind. Die Ge-schichte der Anna Göldin etwa hätte sich an einem anderen Ort wohl anders zugetra-gen. Damit ein Roman authentisch und spannend wird, sind zahlreiche Details zu beachten. In ihrer Arbeit stecke viel Leiden-schaft. Die Autorin nimmt für jedes Buch einen grossen Aufwand auf sich. Bis ein Ro-man fertig ist, vergehen jeweils etwa drei Jahre. Gut eineinhalb Jahre verbringt sie mit Recherchen. Sie webt sich einen dich-ten Faktenteppich, auf dem sie in den men-talen Raum der Protagonisten schweben kann.

Sie webt sich einen dichten Faktenteppich, auf dem sie in den mentalen Raum der Protagonisten schweben kann.

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Der Klang der SpracheZum Schreiben schottet sie sich nicht von der Umwelt ab und folgt keinem stren-gen Stundenplan. Manchmal habe sie die schönsten Einfälle, wenn sie gera-de das Haus verlasse, sagt Eveline Hasler. Während des Schreibprozesses ist ihr die Spracharbeit sehr wichtig. Lange brütet sie jeweils über Formulierungen. Jedes ih-rer Bücher habe einen anderen Klang. Um präzise und lebendige Formulierungen zu entwickeln, braucht Eveline Hasler eine gewisse Stille. Sie spürt der Tonalität der Sprache nach. Die Autorin versucht, aus einem Geschehnis das herauszuschälen, was wesentlich ist. Diesen wesentlichen Kern will sie in lebendige Sprache fassen.

Eine satte GesellschaftGeschichten, ähnlich wie die von Anna Göldin, würden sich auch heute noch ab-spielen, ist sich Hasler sicher. Als Jury-Mit-glied beim «Prix Courage» sei sie oft auf Personen getroffen, denen man es verübelt habe, dass sie der Wahrheit nachgegangen seien, die sich nicht einer verschwiege-nen Unternehmenskultur gebeugt hätten. Menschen, die nicht dem Mainstream fol-gen, hätten es auch heute schwer. Die Au-torin wird energischer, als sie die Occupy-Bewegung anspricht. «Wer sonst soll hin-gehen und sagen: ‹Das geht nicht!›, wenn nicht junge Leute? Das braucht viel Mut in einer sehr satten Gesellschaft, die nichts mehr wagt.»

Ein Verhalten, das nicht dem Mittel-mass entspräche, werde in der Schweiz grundsätzlich nicht akzeptiert, fährt die Autorin weiter. Besonders Frauen würden das zu spüren bekommen, sie würden här-ter kritisiert, wenn sie sich exponierten. Als Feministin versteht sich Hasler nicht. Sie sieht nicht ein, wieso ein solches Eti-kett nötig wäre. Sie sei einfach eine Frau, die sensibel gegenüber Schwierigkeiten an-

Hasler nennt sich selbst eine ortsfetischistin.

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ZUR aUToRIN UND IHRE bIblIogRapHIE ZUM STöbERNDie im Kanton glarus aufgewachsene autorin studierte psychologie und geschichte in freiburg und paris. Heute lebt und arbeitet sie im Tessin. Ihre bücher sind bisher in zwölf Sprachen übersetzt worden. Zu Eveline Haslers wichtigsten werken zählen die Romane: «Und möchte immer Ihr freund sein. Hermann Hesse, Emmy Hennigs und Hugo ball», «Engel im zweiten lehrjahr» (eine weihnachtsgeschichte!) (Nagel&Kimche) und «Die wachsflügelfrau», «anna göldin – letzte Hexe», «Der Zeitreisende. Die Visionen des Henri Dunant», «aline und die Erfindung der liebe» (dtv).

derer Frauen sei. Für einen Mann, der über Schwierigkeiten anderer Personen berich-te, bräuchte man auch keine spezielle Be-zeichnung. Sie selbst habe aber von Femi-nistinnen profitiert und respektiere deren Errungenschaften. Sie ist überzeugt, dass es auch heute noch Einsatz brauche, um die Gleichberechtigung der Geschlechter zu fördern. Männer und Frauen müssten sich in dieser Hinsicht gemeinsam entwickeln. Sie finde es schade, wenn junge Frauen das Gefühl hätten, sie müssten sich nicht mehr um wichtige politische Themen kümmern. Es wäre ein Rückschritt, wenn sich junge Frauen nur noch mit Lifestyle und Shop-ping beschäftigen würden.

Tessin – ein KünstlerhortNach dem Exkurs in aktuelle gesellschaftli-che Themen führt unser Gespräch zurück ins Tessin. Hier lebt die Autorin seit vie-len Jahren und hat damit eine Gemeinsam-keit mit Hermann Hesse und den «Cabaret Voltaire»-Gründern Emmy und Hugo Ball. Die innige Freundschaft dieser drei Frei-geister beschreibt Hasler in ihrem jüngsten Buch «Und werde immer ihr Freund sein», welches 2010 erschienen ist. Das Tessin war früher, bevor es wirklich touristisch wur-de, ein Zufluchtsort für Künstler. Im da-mals günstigen Kanton konnten sie, die oft wenig Geld hatten, Ferien machen und die faszinierende Natur geniessen. Das Tessin hat die Freigeister angezogen. Diese Atmo-sphäre ist auch im heutigen Tessin noch zu spüren, doch vieles davon ist verlorenge-gangen. Heute würden viele Menschen im Tessin weilen, die keine Ahnung hätten, wo

sie seien. Sie könnten ebenso gut in Mona-co oder Nizza sein. Sie lernten kein Italie-nisch und nähmen die Kultur des Ortes nicht wahr, bemerkt Eveline Hasler.

Künstler wie Hesse und das Ehepaar Balls verbanden sich intensiver mit dem Tessin. Alle drei Persönlichkeiten hatten spannende Lebensläufe. «Ihre Geschich-te lässt Impulse spüren, die wichtig sind für die Gegenwart», erklärt die Autorin. Etwas wie das «Cabaret Voltaire» ist aus Not und Verzweiflung entstanden. Die Balls sind wegen dem ersten Weltkrieg in die Schweiz immigriert. Sie verabscheu-ten Krieg und Gewalt. In der Schweiz hat-ten sie weder Arbeit noch Geld. Ihre Not war gross. In dieser schwierigen Situation stellten sie etwas ungemein Kreatives auf die Beine. In ihrem Cabaret ist der Dada-

ismus entstanden. Im Tessin haben sich die Balls vom intensiven und exzessiven Künstlerleben erholt. Dort trafen sie auf Hermann Hesse, der die Pflanzenwelt des Tessins liebte. Auch Hasler hat einen spe-ziellen Bezug zur Natur. «Hier im Tessin wird die Pflanzenwelt immer stärker sein als der Mensch.» Es sei nicht wie in gros- sen Städten, wo die Natur zurückgedrängt wurde. Hier lebe man mit ihr und müsse sich ihr beugen. Von der Natur könne man sehr viel lernen, man müsse sie respektie-ren. Die Natur zeige ihr, dass das Feine stär-ker sei als das Grobschlächtige, sagt Eveline Hasler. In ihrem Garten blühe eine rosaro-te Winterkamelie, dünn wie Seidenpapier. Sie übersteht jeden Schneesturm.rText Myriam Schuler, bilder yvonne böhler (porträt), Johanna Muther (Montagen)

«Nur die Geschichten von Menschen, die gegen den Strom schwammen […] und die sich selber waren, sind es Wert, niedergeschrieben zu werden»

Die Schriftstellerin Eveline Hasler

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se Recherchearbeiten zwar übernehmen und setzen sich für bessere Margen ihrer Kunden ein, allerdings müssen diese auch wieder bezahlt werden. Besonders für un-bekannte Jungautoren ist es folglich frag-lich, ob es sich lohnt, einen Profi zu enga-gieren. Obwohl Kein&Aber unter anderem Grössen wie Woody Allen, Truman Ca-pote und David Nicholls vertritt, sind sie auch immer wieder auf der Suche nach bis-her unentdeckten Talenten. «Wir konzen- trieren uns nicht nur auf einige wenige be-kannte Schriftsteller, sondern kümmern uns gleichermassen um die Vermarktung der Bücher all unserer Klienten.» Insbe-sondere zeichnet sich der 1997 von Peter Haag gegründete Verlag durch seine Affi-nität zu humoristischer und illustrierter Li-teratur aus. Bereits zum Klassiker avancier-te der Bestseller von Ursus Wehrli «Kunst aufräumen», dessen neuester Streich «Die Kunst, aufzuräumen» dieses Jahr erschie-nen ist. Originell ist ebenfalls das Internet-radio, welches mit Auszügen aus dem Hör-buchsortiment von Kein&Aber unterhält – und dabei natürlich auch Lust auf mehr macht.

Die ersten Seiten sind entscheidendDa der Stapel an zu bearbeitenden Manu-skripten auf den Schreibtischen der Lekto-ren täglich um bis zu zehn Exemplare wächst, rät Schindler: «Es muss mich von Anfang an packen!» Die ersten Seiten sind also entscheidend. Sehr beliebt ist es auch, wenn ein Autor sich mit ein bis zwei inter-essanten Auszügen aus dem Manuskript, ei-nem Exposé und einem persönlichen Be-gleitschreiben inklusive Lebenslauf be-wirbt. «Wir sind an einer längerfristigen Zusammenarbeit interessiert. Darum möchte ich auch wissen, mit was für einem Menschen ich es zu tun habe, ob er zu uns passt und ob wir etwas aus ihm machen können.» Der zunehmenden Digitalisie-rung von Büchern sieht Schindler gelassen entgegen: «Wir gehen mit der Zeit und en-gagieren uns auch in diesen Bereichen. So bieten wir beispielsweise iPhone-Apps

«Es gibt keine Bestsellerformel», bemerkt Ingrid Tomkowiak, Professorin für Popu-läre Kulturen an der Universität Zürich und Bestsellerforscherin, als erstes. Der Zeitgeist spiele eine entscheidende Rol-le, wenn es darum geht, ob ein Buch zu ei-nem Bestseller avanciert. Ihr fällt auf, dass Autoren heute vermehrt so schreiben, dass ihr Manuskript einem Drehbuch gleicht und es verfilmt werden könnte. Die Wich-tigkeit der visuellen Komponente (Schau-plätze und Aussehen der Personen) wer-de zunehmend hervorgehoben. «Schlus-sendlich sind Bestseller Zufallserfolge, die nicht vorhersehbar sind und auch nicht er-zwungen werden können. Der Erfolg ist abhängig von unterschiedlichen Faktoren wie der Bekanntheit des Autors, dem Mar-keting, den Rezensionen und nicht zuletzt vom Text selbst.»

VerlagssucheAm Anfang ist also immer noch das Wort – doch wie bringt es ein Autor, sobald es ein-mal geschrieben ist, zwischen zwei Buch-deckel? Die erste Etappe ist die Verlagssu-che, wobei man sich sehr genau über das Angebot des Verlags informieren sollte, wie Sara Schindler, Cheflektorin des Zür-cher Verlags Kein&Aber erklärt. «Vie-le Autoren begehen den Fehler, ihre Tex-te wahllos Verlagen zuzuschicken, ohne sich vorher über deren Programm zu in-formieren.» Literaturagenten können die-

MIT DEM STäNDIG WACHSENDEN ANGEBOT AN BüCHERN STEIGEN AUCH DIE AN- FORDERUNGEN AN DIE SCHRIFTSTELLER. WER SICH GEGEN DIE KONKURRENZ DURCH- SETZEN WILL, MUSS SICH ETWAS EINFALLEN LASSEN. WIE SCHAFFT MAN ES, ALS AUTOR IM ZEITALTER DES INTERNETS ER-FOLGREICH ZU SEIN?

BESTSELLER 2.0

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sowie vermehrt E-Books parallel zur ge-druckten Version an.»

Das Projekt Business BreakfastBisher noch ohne Verlag, aber auf dem bes-ten Weg dazu, ist Mathias Ruch, dessen Pro-jekt mit dem Arbeitstitel «Business Break-fast» ein Beispiel einer innovativen Aus-einandersetzung mit dem Medium Buch darstellt. Im Gegensatz zu vielen anderen Schriftstellern, die sich bei ihrer Arbeit nicht in die Karten schauen lassen, stellt Ruch Auszüge seines Manuskripts einer breiten Leserschaft online zur Verfügung. Die sogenannten Business Breakfasts mit seinem Chef Sergio werden für Jonas zur qualvollen Tortur, so sehr widert ihn sein Vorgesetzter an. Der Anblick des in Sergios Rachen verschwindenden Frühstücks be-reitet Jonas nicht nur psychische und phy-sische Schmerzen – sondern auch den einen oder anderen Gedanken an das Ableben des verhassten Gegenübers. Dieser halbherzige Wunsch könnte allerdings schneller in Er-füllung gehen als Jonas lieb ist.

Vom Manuskript zum fertigen BuchIndem Ruch seine Schreibtischschubla-de öffnet und die Leser am Entstehungs-

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buchtipps von der RedaktionHaruki Murakami: Hard-Boiled Wonderland and the End of the WorldT.C. Boyle: Water MusicAntal Szerb: Reise im MondlichtAnnemarie Schwarzenbach: Flucht nach obenFrédéric Beigbeder: NeununddreissigneunzigJean-Claude Izzo: Die Marseille-TrilogieJonathan Safran Foer: Extrem laut und unglaublich nahDavid Sedaris: Me talk pretty one dayElif Batuman: Die Besessenen: Abenteuer mit russischen Büchern und ihren LesernBone Black: Memories of a GirlhoodDiethmar Dath: Deutschland macht dicht Rhonda Bryne: The Power Derek Blasberg: ClassyMilan Kundera: Die unerträgliche Leichtigkeit des SeinsSir Arthur Conan Doyle: Die Abenteuer des Sherlock Holmes (davor aber «eine Studie in Scharlachrot» von Doyle lesen – Holmes’ erster Fall)Zadie Smith: Von der SchönheitDaniel Glattauer: Gut gegen NordwindThomas Morus: UtopiaRaymond Chandler: The Big SleepDoris Dörrie: Was machen wir jetzt?Martin Suter: Business ClassDouglas Coupland: Generation XUmberto Eco: Die grosse Zukunft des Buches

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prozess seines Romans – vom Manuskript bis zur Veröffentlichung – teilhaben lässt, schafft er ein ganz neues Leseerlebnis. Die Leser können den Weg vom Entwurf bis zum fertigen Buch nicht nur mitverfolgen, sondern werden sogar zur aktiven Mithilfe aufgefordert. Ruch, der unter anderem be-kannte Fernsehformate wie «Joya rennt» entwarf, profitiert von der Erfahrung, die er im Umgang mit TV-Serien gesammelt hat. «Vor der Aufnahme ins Programm wer-den einige Testsendungen gemacht, um zu sehen, wie das Konzept beim Publikum an-kommt und welche allfälligen Schwierigkei-ten beim Dreh auftreten. So ähnlich funktio- niert ‹Business Breakfast› auch», sagt er.

«Hilf mit, einen Roman zu schreiben!»Bevor das Buch gedruckt wird, soll es auf Herz und Nieren geprüft werden. Ruch ist davon überzeugt, dass mehr Köpfe zusam-men mehr schaffen als einer alleine. Die so-genannten Supporter haben Zugang zu ver-schiedenen Auszügen des Manuskripts und werden im Gegenzug darum gebeten, Stel-lung zu den Leseproben zu beziehen. Ganz nach dem Motto «Hilf mit, einen Roman zu schreiben!» werden die Leser dazu angehal-ten, ihre Meinung über die auf der Home-page veröffentlichten Passagen zu äussern. Ein typisches Beispiel für diesen Austausch ist beispielsweise ein Hinweis auf eine zeit-liche Ungereimtheit im Zusammenhang mit einer Flasche Mineralwasser: Die Er-zählung ist im Jahr 2009 angesiedelt, das Design einer bestimmten Mineralwasserfla-sche wurde jedoch erst 2010 auf den Markt gebracht. Dieser Fehler konnte durch den hilfreichen Kommentar eines Users aufge-deckt und dadurch in der Endversion beho-ben werden. «Dieses Expertenwissen habe ich nicht – und es ist toll, wenn andere es mit mir teilen und so das Manuskript ver-bessert wird!»

Sich aktiv am Projekt zu beteiligen, er-möglicht interessante Einblicke in den Ent-stehungsprozess eines Buches und ist eine Bereicherung für die Beteiligten. Durch den Perspektivenwechsel sieht der Leser den Text – und somit auch die Arbeit, die in ei-nem fertigen Buch steckt – mit ganz ande-ren Augen.

Einschneidende Erlebnisse Die Glaubwürdigkeit der Charaktere stellt für Ruch ein besonders wichtiges Anliegen dar. «Ich möchte, dass die Leser die Ent-wicklung der Protagonisten nachvollziehen können.» Aufgrund der Reaktionen der Le-ser stellt er etwa fest, dass gewisse Informa-tionen fehlen und im Vorfeld eine Passage hinzugefügt werden muss, um die Hand-lung einer Figur verständlich zu machen. Auf die Frage, ob «Business Breakfast» denn

DER VERlag lEbT wEITEREs ist ein Verdrängungsprozess der Verlage beobacht-bar. Um an die öffentlichkeit zu gelangen, braucht der autor eigentlich nur noch das Internet. Die Verlage haben die Medienrevolution des Internets aber nicht ohne grund überlebt. «Der Verlag steht für eine Quali-tätsgarantie. Er hat unter anderem die funktion eines filters in bezug auf problematische Inhalte. Er behält die gesellschaftlichen Entwicklungen im auge und schafft orientierung. Es gibt grenzen, was die Selbstbestim-mung der leute betrifft», sagt Madlaina bundi, pro-grammleiterin in der abteilung Sachbuch des orell füssli Verlags.

SURfENlust zum selber Mitmachen oder weiterlesen? Mehr über Mathias Ruch und sein business breakfast findest du unter www.businessbreakfast.ch

wEITERlESENwie wird aus einem Roman eigentlich ein Drehbuch? Es ist kein einfaches Unterfangen. Schon E.T.a Hoffmann wusste, dass verschiedene Künste nicht restlos ineinan-der überführbar sind. beatrice Kohler ist dem prozess dieses Medienwechsels nachgegangen. Den artikel kannst du unter www.semestra.ch/roman-zu-drehbuch einsehen!

QUIZRomanheft oder grosser Klassiker: welches buch passt zu dir? bist du ein bücherwurm? Mach den Test!www.semestra.ch/buch-quiz

auch ein Bestseller werden könnte, antwor-tet Ruch nach einigem Zögern: «Was ich sehr spannend finde, sind einschneidende Erlebnisse. Eine wichtige Veränderung, die entscheidenden Einfluss auf das Leben des Charakters hat. Dabei interessiert mich, was dazu geführt hat, dass eine Figur sich in die-ser Situation wiederfindet. Damit kann sich der Leser identifizieren – jeder kennt solche Momente. Wenn der Leser sich dann noch seine eigenen Gedanken dazu und zu sich selbst macht, habe ich mein Ziel erreicht. Ich denke ‹Business Breakfast› erfüllt die-se Anforderungen und hat daher das Poten- zial, ein Bestseller zu werden.»

«ohne Internet geht ja heute gar nichts mehr!»Laut der Bestsellerforscherin Tomkowiak entspricht die Inhaltsangabe von «Business Breakfast» durchaus einem klassischen Spannungsbogen: Eine Person befindet sich in einer schwierigen Situation, der sie nicht entkommen kann und versucht, diese zu verändern. Daraus ergibt sich der Hand-lungsverlauf des Romans. «Ich habe mir das Projekt gerade kurz auf Facebook ange-sehen», fährt sie fort. «Ohne Internet geht ja heute gar nichts mehr! Ich denke hier werden die Möglichkeiten, die die neuen

Medien bieten, sehr geschickt genutzt. Der Geschmack des möglichen Publikums wird miteinbezogen und der Text dadurch opti-miert. Die Abstimmung mit den Erwartun-gen der Rezipienten könnte dazu beitragen, dass sich der Roman schlussendlich bes-ser verkauft.» Von purer Kommerzialisie-rung und dem Untergang der Kunst will die Professorin allerdings nichts wissen. «Man kann das natürlich so sehen. Aber wenn man es aus einer anderen Perspektive be-trachtet, war das Schreiben eines Romans lange Zeit einem sehr begrenzten Kreis vorbehalten. Dank den neuen Medien hat jeder die Möglichkeit, aktiv an der Kultur teilzunehmen, anstatt sich der Deutungs-macht einer Bildungselite zu unterwerfen. Man kann diese Entwicklung also durchaus auch als Emanzipierungs- und Demokrati-sierungsprozess sehen.»

Die Zauberformel für den sicheren Er-folg gibt es also nicht. Der Erfolg der Akteu-re in der Branche wird massgebend durch ihre Fähigkeit, sich den neuen Gegebenhei-ten anzupassen, bestimmt. Junge Schrift-steller, die sich der Macht des Internets be-wusst sind, können dieses Wissen zu ih-rem Vorteil nutzen und sich dadurch von ihrer Konkurrenz absetzen. rText Evelin Meierhofer, bild Maya wipf

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FüR EINE HANDvOLL GROSCHEN

durch meinen Vater hatte meine Erwar-tungen viel zu hoch geschraubt. Western? Immerhin kamen Pferde vor, aber die Ge-schichte vermochte mich als Achtjährige nicht wirklich zu packen.

Eine Pubertät und ein fast abgeschlos-senes Geschichtsstudium später, stehe ich fürs StudiVersum vor dem Romanheftregal im Bahnhofskiosk und schaue mir die rie-sige Auswahl an: Krimis, Western, Grusel- und Horrorromane, Science-Fiction und Fantasy, Adels-, Liebes-, Ärzte-, Heimat- und Mutter/Kindromane – alle mit bunten Einbänden und genretypischen Bildern auf der Titelseite. Erschaudern lässt mich eine Reihe mit dem Titel «Der Landser», die laut Einband «Authentische Erlebnisberich-te zur Geschichte des Zweiten Weltkrie-ges, die schonungslos die Härte und Grau-samkeit des Kampfes und die Entbehrun-gen des Frontalltages aufzeigen» verspricht. Wer liest vor dem Einschlafen Wehrmacht-geschichten? Da der Westernversuch vor 17 Jahren gescheitert ist, entscheide ich mich diesmal für typische Frauengenres.

Feldforschung auf der AlmZuhause kuschle ich mich mit «Nachhilfe in Sachen Liebe. Überraschende Begegnungen auf der Alm» unter die Bettdecke. Der Ro-man stammt aus der Reihe «Der Bergpfar-rer. Der gute Hirte von St. Johann» und wur-de von Toni Weidacher verfasst. (Ob es sich um den gleichen Toni handelt, welcher der Serie «Toni. Der Hüttenwirt» seinen Namen leiht?) Die Geschichte ist schnell erzählt: Ein schnittiger Städter, Florian, fällt durch seine Jura-Prüfungen und muss deshalb

Es lag auf einem leeren Tramsitz, war etwas zerlesen und auf dem Titelblatt war auf ro-tem Hintergrund eine Wild-West-Szene-rie zu sehen. Ich kann mich noch so gut an das erste Mal erinnern, dass ich ein Roman-heft gesehen habe, weil mein Vater dieses mit seinem typisch professoral-spöttischen Lächeln aufhob und mir erklärte, dass sei ein sogenanntes «Groschenheft», die be-vorzugte Lektüre älterer Damen. Gera-de weil mein Vater so verächtlich darüber gesprochen hatte, wuchs meine Neugier-de ins Unermessliche. Was konnte denn der Inhalt eines so verwerflichen Romans sein? Ich musste dieses Heft lesen! Durch ein grossartiges Täuschungsmanöver gelang es mir, den Groschenroman, von meinem Vater unbemerkt, nach Hause zu schmug-geln. Mit klopfendem Herzen, zitternden Händen und grösstem Schuldbewusstsein faltete ich in meinem Zimmer schliesslich die dünnen Seiten auseinander. Aber die geheimnisvolle Ablehnung des Mediums

jEDE UND jEDER KENNT SIE: ROMANHEFTE. WäHREND SIE BIS IN DIE 70ER-jAHRE REISSENDEN ABSATZ FANDEN, GELTEN SIE NUN ALS ANTIqUIERT UND vON DEN NEUEN MEDIEN vERDRäNGT. ZU RECHT? IN EINEM SELBSTvERSUCH HABE ICH MICH TIEF INS FELD DER SOGENANNTEN «TRIvIAL-LITERATUR» GEWAGT.

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«Glücklich sahen sie sich an und gingen Hand in Hand zur Berg-

hütte zurück. Sie hatten sich wiedergefunden und diese Nacht

gehörte ihnen allein»

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zu einer anmutigen Bauerntochter namens Alex, die dieselben Prüfungen mit Bravour bestanden hat, auf die Alm, um von ihr Nachhilfe zu erhalten. Nach 32 Seiten (von insgesamt 64) bricht Florian mit folgendem Satz das Eis: «Sagen S': Sollen wir net lieber ‹du› zueinander sagen? Dieses dumme Sie-zen ist doch viel zu förmlich und unpersön-lich.» Doch ihr junges Glück wird bald ge-trübt, als Monika, Florians Ex-Verlobte aus der Stadt, plötzlich im Bergdorf auftaucht und die zart knospende Liebesbeziehung sabotiert. Glücklicherweise ist aber der Bergpfarrer gerade zu Besuch und mit etwas Geschick – und kalkulierter Manipulation – gelingt es ihm, Alex und Florian wieder zu-einander zu führen. Der Roman endet mit Liebesschwüren, dem ersten Kuss der bei-den und einem Hauch der Andeutung eines erotischen Verhältnisses: «Glücklich sahen sie sich an und gingen Hand in Hand zur Berghütte zurück. Sie hatten sich wiederge-funden und diese Nacht gehörte ihnen al-lein.» Zwei Studierende, die sich siezen, mit Schecks bezahlen, Faxe erhalten, im «schnittigen Sportwagen» nicht mal ein Na-vi haben und von denen immer als «die Alex», «der Florian» oder schlicht «das Ma-del», beziehungsweise «der Bursche», die Rede ist – all dies klingt nicht gerade nach 21. Jahrhundert. Immerhin muss man dem Roman zugute halten, dass Alex, obwohl sie im Verlaufe der Handlung mindestens vier Mal in Tränen ausbricht, und auf den ersten Annäherungsversuch Florians total unbe-holfen und überfordert reagiert, immerhin dadurch Stärke beweist, dass sie erfolgreich ein Jura-Studium abgeschlossen hat. Mir hätte die Geschichte besser gefallen, wäre Alex tatsächlich ein Junge gewesen, wie Flo-rian aufgrund ihres androgynen Namens zuerst angenommen hat, aber sie hat mich irgendwie auch angenehm in meine Teena-gerzeit versetzt, in der ein Annäherungsver-such von Seiten eines «Burschen» tatsäch-lich noch verstörend sein konnte.

Exotik, Erotik und FamilienglückWeit weniger zaghaft geht es in den Roma-nen der Reihe «Baccara Exklusiv» zu. Der Cora-Verlag bewirbt die Reihe so: «Stürmi-sche Gefühle, die nur ein Ziel kennen: ein Happy End, das keine Wünsche offen lässt.»

Es geht mit anderen Worten um gemeinsa-me Orgasmen. Diese sind auf den wenigen Seiten häufig gestreut und einer ist überwäl-tigender als der andere: «Lucky stöhnte und gab sich ganz den köstlichen Gefühlen hin, die sie durchströmten. Ihr ganzer Körper schien elektrisiert zu sein und zu vibrieren. Sie fühlte sich von diesem Mann in Besitz genommen und aufgesogen. Sie ergänzten sich so perfekt und verschmolzen miteinan-der nicht nur körperlich. Sie waren so sehr eins, wie es Frau und Mann nur sein konn-ten. Ken stöhnte, während er sich mit rhyth-mischen Stössen vor und zurück bewegte. Lucky klammerte sich an ihn und folgte in-stinktiv seinen Bewegungen. […] Sein Kör-per war schweissüberströmt, als er Luckys Hüften ein letztes Mal heftig umklammer-te und sich ihrer beider Lust in einem ek-statischen Höhepunkt entlud.» Wer schon lange von einem gleichzeitigen Höhepunkt geträumt hat, dem sei die Lektüre herzlich empfohlen. Menschen mit Symbioseängs-ten hingegen sollten eher die Finger davon lassen, wenn sie sich den Gang zum Psych-iater ersparen wollen.

In «Katz und Maus. Lena weiss nicht, was sie will» von Viola Maybach aus der Rei-he «Arztroman. In grosser Schrift» ist der Ti-tel Programm: Lena findet einfach keinen Mann, der ihr gewachsen ist. Ihre Schwes-ter und ihr todkranker Vater fürchten bei-de, dass sie womöglich nie erwachsen wird, sprich: unter die Haube kommt. Doch da taucht Steffen auf, ein junger Arzt, der ge-rade von einer «schwierigen Mission» in Afrika zurückkehrt – und so einen gewissen «Exoten-Bonus» geniesst. Lena zeigt sich zwar zunächst widerspenstig und unzähm-bar, doch der Missionar – äh sorry, Arzt – aus Afrika ist der Aufgabe gewachsen und so finden die beiden in einer bewegenden Szene doch noch zueinander: «Er machte einen Schritt auf sie zu, streckte die Arme nach ihr aus und zog sie an sich, endlich. Sie fing an zu weinen und zitterte am ganzen Körper, während er sie an sich presste und seine Lippen in ihren Haaren vergrub. Als sie sich beruhigt hatte, küsste er sie – und tat das so lange, bis sich der Sturm in sei-nem Innern gelegt hatte und bis auch ihre letzte Träne versiegt war.» Der Roman ist nicht gerade subversiv, was die Geschlech-

terrollen angeht und glänzt auch nicht mit einem sehr differenzierten Bild von Afrika. Auch «Emergency Room»-Fans werden hier zu kurz kommen, denn medizinischer Jar-gon spielt bei der Menge an Freizeit, die die Hauptfiguren geniessen, keine Rolle.

Fachjargon ist im Roman «Was haben wir angerichtet! Als Graf Gregor der Ver-suchung erlag» aus der Reihe «Fürstenkin-der» umso bedeutender. So ist die Schil-derung des Mobiliars oft ausschweifender und spannungsvoller als jene der Hand-lung: «Ein bezaubernder Lüster aus Nym-phenberger Porzellan erhellte das Zimmer, doch Angelina schaltete das Licht aus und stattdessen die Porzellan-Appliquen an den Wänden ein.» Weniger sorgfältig geht es zu und her, wenn es um orientalistische Klischees geht. So wird Graf Gregor, Ehe-mann der Gräfin Angelina, von einer «Ori-entalin» namens Soraya von Thal verführt. Diese Frau, der nachgesagt wird, sie besäs-se wie ihre Volksgenossinnen «einen ganz besonderen Sexappeal» will Gregor jedoch nur um des Geldes und des Ansehens Wil-len. Weil aber solche unehrlichen Spiel-chen gerade von klugen Kindsköpfen ger-ne mal durchschaut werden, ist ihre Missi-on zum Scheitern verurteilt und am Ende siegt das traute Familienglück.

Die Qual der WahlEs wäre absurd, die Heftromane aufgrund ihrer Realitätsferne anklagen zu wollen, denn gerade das ist ihre Stärke. Sie entfüh-ren vom tristen Alltagsleben geplagte Zeit-genossen gekonnt in traumhafte Welten, in denen sie für einmal wissen, was sie erwar-tet und gewissermassen alles «in Ordnung» ist. Doch man muss eben erst die richtige Parallelwelt finden, in die man sich flüch-ten möchte. Angesichts der Identifikations-angebote in meinem Sampling bleibe ich etwas ratlos. Jungfräuliche Heulsuse? Har-moniebedürftige Nymphomanin? Nach Zähmung verlangende, nur vermeintlich selbständige Frau? Biedere Gräfin? Oder ir-gendeine der farblosen Männerfiguren, die sich vor allem durch ihre Körpergrösse und ihr Vermögen auszeichnen? Vielleicht wer-de ich es das nächste Mal doch mal wieder mit einem Western versuchen. rText Ma-rina lienhard, bilder Maya wipf

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«Stürmische Gefühle, die nur ein Ziel kennen: ein Happy End, das keine Wünsche offen lässt.» Es geht mit anderen Worten um

gemeinsame orgasmen.

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GESCHICHTEN AUS DEM RADIO

Haben Sie denn als Regisseur einen gros-sen Einfluss auf die Produktion oder bleibt Ihnen nur die Rolle eines Dirigenten?Es ist wichtig, dass man zwischen Hörbuch und Hörspiel unterscheidet. Bei einer Hör-buchproduktion, wo im Grunde ein Buch vorgelesen wird, ist der kreative Einfluss eines Regisseurs natürlich begrenzt. Bei Hörspielen ist das anders: Es gibt verschie-dene Figuren und Stimmungen, je nach Manuskript wählt man auch Musik und Hintergrundgeräusche selbst aus oder gibt eine Komposition in Auftrag. Immer aber geht es bei meiner Arbeit darum, sprach-liche Feinheiten herauszuarbeiten. Denn kleine Unterschiede in der Sprechmelodie sind beim Hörspiel viel wichtiger als beim Theater oder im Film, da wir aufs Akusti-sche beschränkt sind.

Welche Regieanweisungen geben Sie ei-nem Schauspieler?Das Tolle an meiner Arbeit ist, dass sich vie-les spontan im Studio entwickelt, viel aus-probiert werden kann. Ich habe zwar schon meine Vorstellungen, wie etwas klingen soll, aber häufig kann man das gar nicht be-schreiben. Dann muss man das gemeinsam mit den Schauspielern erarbeiten. Das ma-che ich lieber, als den Leuten den Text so vorzulesen, wie ich ihn will. Manchmal kommt auch der Schauspieler und sagt: «Das stelle ich mir so und so vor.» Ist mir da-nach eine Stelle zu brav, sage ich dem Schauspieler vielleicht, er solle sich vor-stellen, dass er eine Lederjacke trägt, damit es etwas rauer tönt.

StudiVersum: Herr Mayr, wie ein Hörspiel zustande kommt, ist den meisten Radio-hörern wohl unbekannt. Wie muss man sich eine Aufnahme für ein Hörspiel vor-stellen?Johannes Mayr: Die Aufnahmen finden praktisch immer im klassischen Hörspiel-studio statt. Da gibt es den Aufnahmeraum mit Mikrofonen und Schauspielern drin und einen Regieraum, in dem der Techni-ker und ich sitzen. Über eine Gegensprech-anlage können wir jederzeit mit den Schau-spielern kommunizieren, ihnen etwa sagen, dass sie etwas in einem andern Ton spre-chen sollen oder dass eine Stelle wieder-holt werden muss. Ähnlich wie auf einem Filmset arbeiten wir das Manuskript oft nicht chronologisch durch. Es kann sein, dass wir auf Seite 1 anfangen und dann zu Seite 50 springen. Meine Aufgabe dabei ist es, das gesamte Hörspiel jederzeit im Kopf zu haben. Nach den Sprachaufnahmen wäh-le ich die besten Takes aus und füge Musik und Geräusche hinzu.

DAS BUCH IST BEI WEITEM NICHT DAS EINZIGE MEDIUM, UM GESCHICHTEN ZU vER-BREITEN. DANK jOHANNES MAyR DARF MAN GETROST ZURüCKLEHNEN UND DIE AUGEN SCHLIESSEN, DENN ER BRINGT SIE ALS HöRSPIELREGISSEUR ZUM KLINGEN. IM INTERvIEW MIT STUDIvERSUM ERZäHLT ER vON SEINEM BERUF.

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GESCHICHTEN AUS DEM RADIO

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Was meinen Sie mit erster Idee? Wird das Hörbuch nicht nach einem festen Dreh-buch aufgenommen?Meistens schon, aber es kann auch vorkom-men, dass uns Leute ein Hörbuch anbieten – also andere, die mit einer Idee auf uns zu-kommen. Dann wird in der Hörspielredak-tion diskutiert, ob wir das realisieren wol-len. Bei unbekannten Autoren wird viel-leicht noch eine Arbeitsprobe verlangt.

Wie kommt man eigentlich dazu, Hör-spielregisseur zu werden? Waren Sie schon immer ein Fan von Hörspielen?Sie müssen wissen, ich bin auf dem Land aufgewachsen. Als Jugendliche waren wir viel mit dem Auto unterwegs und hörten deshalb viel Radio. Am Freitag- und Sams-tagabend fuhren wir jeweils zu irgendei-ner Landdisco, im Radio lief ein Hörspiel. Mit meiner Band habe ich dann selbst he-rumzuexperimentieren begonnen. Wir er-zählten Geschichten und machten Musik dazu, machten sozusagen Live-Hörspie-le. Inspiriert haben mich Storyteller in Ir-land und Griots in Westafrika, wo ich An-fang 20 läng-ere Zeit herumreiste. Diese Art Geschichten zu erzählen, hat mich sehr fas-ziniert.

Sie sind also nicht einfach durch Zufall zu diesem ungewöhnlichen Beruf gekom-men?Die meisten Hörspielregisseure kommen vom Theater her. Bei mir war das anders. Ich merkte irgendwann, dass ich Hörspiele machen wollte und habe mich nach einem Studiengang erkundigt, obwohl ich eigent-lich auf keinen Fall studieren wollte. So bin ich auf den Studiengang Mediengestaltung an der Bauhaus Universität in Weimar ge-stossen, wo es einen eigenen Lehrstuhl für Radio gibt. Nach einem Volontariat beim Südwestrundfunk in Baden-Baden kam ich nach Basel zu DRS 2.

Bei DRS 2 denkt man eher an ältere Leute, die klassische Musik mögen. An wen rich-ten sich Ihre Hörspiele?Es sind schon eher junge Leute, die mei-ne Hörspiele hören. Das weiss man aus der Hörerforschung und anhand der Feedbacks. Wichtig ist im Radio immer, was vorher und nachher läuft und am Mittwochabend, wenn meine Hörspiele meist gesendet wer-den, läuft nachher eben experimentelle Musik, die vor allem junge Leute anspricht. Klar kann man sich sein Publikum mit der Zeit auch schaffen, das mache ich aber nicht gezielt.

Stimmt es, dass die Hörspieltradition be-sonders im deutschsprachigen Kultur-raum wichtig ist?

Verstehe ich Sie richtig, dass Sie viel mit Bildern arbeiten?Naja. Es gibt diesen Satz, dass ein Hörbuch «Kino im Kopf» sei. Den finde ich ziemlich doof, denn wenn ich ins Kino will, gehe ich ins Kino. Es geht mir vielmehr darum, dass die Schauspieler eine gewisse Haltung ein-nehmen, die sich dann auch auf die Sprech-weise auswirkt.

Wie lange dauert es normalerweise, bis ein Hörspiel fixfertig ist?Oft geht es etwa ein Jahr von der ersten Idee, dem ersten Treffen, bis zur Ausstrahlung des Hörspiels. In der Zwischenzeit arbeitet man dann aber auch an andern Sachen und so mache ich etwa vier bis fünf Hörspiele pro Jahr.

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Das Hörspiel spielt im deutschsprachi-gen Kulturraum nach wie vor eine wich-tige Rolle. Und hat eine enorme Tradition vorzuweisen. Allerdings hat es seinen Ur-sprung im Amerika der 20-er/30-er Jahre. Damals gab es sogenannte «Radio-Soaps», kurze Hörspiele mit einem Cliffhanger, ge-nau wie die heutigen Fernsehserien. Das deutschsprachige Hörspiel hatte lange den Ruf, dass es innerlich und ernst sei und sehr psychologisierend. Das stimmt durchaus für die Radiozeit der 50er und 60er. Das hat sich in den letzten Jahrzehnten aber sehr verändert, die Palette der Hörspielformen ist sehr breit und bunt geworden.

Was kann für Sie ein Hörspiel oder ein Hörbuch, was ein Buch nicht kann?Was ich sehr schätze am Hörspiel, ist, dass ich nebenbei etwas machen kann. Man kann aus dem Fenster schauen, Hemden bügeln oder kochen, oft schlafe ich auch ein beim Zuhören. Früher gab es diesen Anspruch, dass man das ganze Hörspiel am Stück hört und sich nur auf dieses konzentriert. Das ist heute nicht mehr so, mich stört es zum Bei-spiel nicht, wenn Leute neben meinem Hör-spiel etwas anderes machen. Dass man sich eben einfach abgeben kann an das Hörspiel, das ist das Schöne für mich. Dazu kommt, dass es mir keinen Ort vorschreibt, anders als beim Buch kann man auch einfach die Augen schliessen und eintauchen.

Wann ist ein Hörspiel für Sie gelungen? Möchten Sie etwas Bestimmtes vermit-teln?Ideal ist für mich, wenn Kritik und Witz zu-sammen kommen. Mein Anspruch ist es, et-was Kritisches zu vermitteln und gleichzei-tig zu unterhalten. Ich mag es, wenn etwas skurril ist und möchte, dass den Leuten das Lachen im Hals stecken bleibt. Ob ein Hör-spiel gelungen ist, merke ich auch oft an den Feedbacks der Hörer. Leider bin ich manch-mal selbst ein sehr intoleranter, ungeduldi-ger Hörer und stelle ab, wenn mich etwas nicht überzeugt. Für mich muss jemand ein gutes Sprachgefühl haben, damit ich ihm gerne zuhöre.

Wie sieht das bei Ihren eigenen Hörspie-len aus. Können Sie sich diese selbst über-haupt noch anhören?Wenn ich mit einem Hörspiel fertig bin, ertrage ich das fast nicht mehr als Ganzes. Nach einer Produktion braucht es zuerst einmal Abstand. Natürlich gibt es Sachen, die ich gemacht habe, die mir später nicht mehr gefallen, aber es kommt auch vor, dass ich mir nach zwei Jahren ein Hörspiel wie-der anhöre und denke: «Wow, das ist toll.» rText Melanie Keim, bilder thomyhaeu-sermann.ch, Johanna Muther

HöRSpIElZEIT bEI DRS Eine abwechslung zum leselastigen Studentenalltag gefällig? DRS 2 sendet jeweils mittwochs um 20 Uhr und samstags um 21 Uhr Hörspiele zu den verschiedensten Themen. auf DRS 1 gibt es jeweils montags um 14 Uhr und freitags um 20 Uhr ein Hörspiel.Im programm auf www.drs.ch findet man vom experimen-tellen Hörspiel über den Krimi bis hin zu Hörspielen zu historischen Themen so ziemlich alles. Noch mehr Hörspiel findet man auf www.dasweisselauschen.ch. auf dieser plattform können Hörspielmacher ihre eigenen produktionen hochladen und der Hörer diese gratis herunterladen, damit er die geschichten geniessen kann, wann und wo es ihm gerade gefällt.

REINHöRENEine Hörspielprobe von Johannes Mayr kannst du unter www.semestra.ch/hörspiel finden. play klicken, augen schliessen und eintauchen.

Es kann sein, dass wir auf Seite 1 anfangen und dann zu Seite 50 springen. Meine Aufgabe dabei ist es, das ge- samte Hörspiel jederzeit im Kopf zu haben.

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«Diese beispiellosen und verzweifelten Selbstverbrennungen von Tibetern stellen einen Hilfeschrei an die internationale Ge-meinschaft dar», erklärt Tenzin Kelden Lo-singer, Vizepräsidentin des Vereins Tibeter Jugend in Europa (VTJE), ihr Engagement in Cannes. Seit März dieses Jahres haben sich in Tibet neun Mönche und zwei Non-nen selbst verbrannt. Amnesty Internatio-nal fordert von China, sich mit den Grün-den zu befassen, die dazu geführt haben. Während das offizielle China die Selbst-verbrennungen als durch die tibetische Exilregierung gutgeheissene und geförder-te Propagandaaktionen bezeichnet und die Exilregierung dahingehend kritisiert, sieht Losinger darin den Versuch, ein Zeichen gegen Chinas Repressionspolitik zu setzen. «Diese Selbstverbrennungen sind ein beun-ruhigendes Zeichen der tibetischen Mön-che und Nonnen, die seit jeher gewaltlosen Widerstand leisten.» Losinger äussert tiefes Bedauern und ist erschüttert darüber, dass die jungen Tibeter ihren Körper als letz-tes Mittel des Widerstands einsetzen. «Das sind traurige Ereignisse. Schuld trägt Chi-nas repressive und tyrannische Herrschaft. Seit den Unruhen 2008 wurde die Religi-onsfreiheit in Ngaba [Ost-Tibet, Anm. d. Red.] durch Umerziehungsmassnahmen noch stärker eingeschränkt.» Grundsätz-lich wird im Buddhismus keine Gewaltan-wendung gegen Lebewesen toleriert, auch nicht gegen sich selbst. Da die jungen Gläu-bigen aber für die Anliegen eines ganzen Volkes sterben, beurteilt Losinger die Ta-ten anders: «Diese Menschen gaben sich selbstlos auf, in der Hoffnung auf ein Ende

NIRgENDS IN EURopa lEbEN So VIElE TIbETER wIE IN DER ScHwEIZ. VoN ZüRIcH aUS KäMpfEN DIE JUNgEN TIbETER EURopaS füR EIN UNabHäNgIgES TIbET. IM NoVEMbER wURDE TENZIN KElDEN loSINgER IN caNNES KURZZEITIg fESTgENoMMEN, alS SIE bEI EINEM pRoTEST DIE g20-STaaTEN aUffoRDERTE, SIcH füR DIE MENScHEN- REcHTE IN TIbET EINZU-SETZEN.

UNIPOLITIK

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der chinesischen Unterdrückung.» Dass der Selbstmord ihrem Glauben entgegenstehe, mache die durch die Selbsttötung transpor-tierte Botschaft umso intensiver. «Sie erle-ben die Unterdrückung aus erster Hand, wir können nur versuchen mitzufühlen, was sie durchmachen.»

Sprachrohr An diesem Mitfühlen und dem damit ver-bundenen Gefühl der Machtlosigkeit des Zuschauenden macht Losinger denn auch ihre Motivation fest, sich für ein unabhäng- iges Tibet zu engagieren. «Es ist extrem er-schütternd zu sehen, dass sich die Men-schen keinen Meter mehr frei bewegen können. Die Situation in Ngaba ist ein Mik-rokosmos für die landesweite Repression.» Im Gegensatz dazu verfügen die jungen Ti-beter in der Schweiz über Meinungsäusse-rungsfreiheit. Auch wenn sie gegen das Ge-schehen vor Ort direkt wenig ausrichten können – sie können ihren Landsleuten Gehör verschaffen. Der VTJE, der seinen Hauptsitz in Zürich hat, hat sich zum Ziel gesetzt, immer wieder an die Weltöffent-lichkeit zu appellieren, um «das Bewusst-sein der unrechtmässigen und gewaltsamen Besetzung Tibets durch die Volksrepublik China wachzuhalten». Mit diesem Ziel wur-de auch die Protestaktion in Cannes lan-ciert. Losinger wurde von den Behörden in Cannes drei Stunden festgehalten. Nach der Aufnahme ihrer Personalien wurde sie frei-gelassen.

Erwünschte Flüchtlinge Gegründet wurde der Jugendverein 1970 – zehn Jahre nachdem die ersten tibeti-schen Flüchtlinge mit offenen Armen in der Schweiz empfangen wurden. Flüch-ten mussten die Tibeter im Jahr 1959, nach-dem die chinesische Volksarmee 1951 in Ti-bet einmarschiert war und nun – rund zehn Jahre später – den Volksaufstand blutig nie-derschlug. Trotz der zunehmenden Angst vor Überfremdung – welche 1970 in der Schwarzenbach-Initiative gipfelte – wur-den die ersten aussereuropäischen Flücht-linge in der Schweiz grosszügig aufgenom-men. Aufgrund der Initiative von Privatper-sonen wurden 200 tibetische Waisenkinder in Familien und im Kinderdorf Pestaloz-zi in Trogen untergebracht. 1963 bewillig-te der Bundesrat die Aufnahme von weite-ren 1000 Tibet-Flüchtlingen. Aus den indi-schen Auffanglagern reisten die Familien in die Schweiz ein und wurden in möglichst hügeligen Gegenden angesiedelt. Die Iden-tifikation mit dem tibetischen Bergvolk, die antikommunistische Stimmung und die po-sitive Berichterstattung in den Medien wa-ren wohl Gründe aus denen die Sympathie der Schweizer für die Tibeter erwuchs. 1968

UNI-aKTIVITäTTenzin Kelden losinger (25) studiert publizistik und film an der Uni Zürich und ist dort auch Teil einer studenti-schen arbeitsgruppe aus Tibet. Zurzeit ist diese gruppe inaktiv, weil die Mitglieder ausgelastet sind mit Vereins-arbeit. Der VTJE hat im april 2010 das erste tibetische Jugendparlament lanciert, wobei auch workshops an der Uni Zürich angeboten wurden. beendet wurde das parlament mit der Verabschiedung einer friedlichen Resolution. losinger: «Unser Ziel war, das Netzwerk der Tibeter Jugend zu stärken und ihr politisches bewusst-sein zu erhalten.»

SURfENwww.vtje.orgwww.tibet-institut.ch

wurde in Rikon ZH das erste tibetisch-bud-dhistische Kloster in der westlichen Welt eingeweiht.

Auch Integration Wie viele der Vereinsmitglieder wurde Lo-singer in der Schweiz geboren, ist hier auf-gewachsen, studiert hier, hat hier Freun-de und Bekannte – lebt hier. Gleichzeitig fühlt sie sich ihrem Ursprungsland stark verbunden. «Das eine schliesst das andere nicht aus. Das ist eine Bereicherung für mei-ne Identität, dass ich beide Kulturen leben kann.» Die Erhaltung und Pflege der tibeti-schen Kultur ist auch ein explizites Ziel des Vereins, dazu werden zum Beispiel Ferien-lager für Kinder durchgeführt. Die Vernetz- ung der jungen, oftmals gut ausgebildeten Tibeter zählt zu den Hauptinteressen des Vereins. Denn auch im Exil soll die Debat-te um die Zukunft Tibets durch das tibeti-sche Volk weitergeführt werden. Wobei der VTJE lautstark die Unabhängigkeit fordert.

Demokratisierung der Exilregierung Von einem Generationenkonflikt, wie er in den Medien oft heraufbeschworen werde, mag Losinger aber nicht reden. Vielmehr sieht sie in den moderaten Forderungen des Dalai Lamas und der Exilregierung nach Autonomie einen Mittelweg. «Natürlich ha-ben sie eine andere politische Stellung und somit eine andere Verantwortung.» Die Ju-gend dagegen könne unversöhnlicher aus-sprechen, was sie wolle. «Wir wollen Un-abhängigkeit. Diese steht uns zu, wir haben das Recht auf unser Land.» Die unterschied-lichen Ansichten innerhalb der tibetischen Gemeinschaft vergleicht sie mit den unter-schiedlichen Einstellungen der politischen Parteien der Schweiz. Im Exil hat sich das ursprünglich theokratische tibetische Sys-tem zu einer Demokratie entwickelt. Trei-bende Kraft für diesen Demokratisierungs-

prozess war dabei stets der Dalai Lama selbst. Im März 2011 ist der Dalai Lama als politisches Oberhaupt Tibets zurückgetre-ten und hat seine Verantwortung an den de-mokratisch gewählten Premierminister ab-gegeben. Die Wahl des Premierministers hatte somit dieses Jahr eine besondere Be-deutung. Die Schweiz-Tibeter konnten ih-re Stimmen für den Premierminister und zwei europäische Parlamentarier in grösse-ren Schweizer Städten abgeben. «Wir ha-ben versucht, die jungen Tibeter zu infor-mieren und zu aktivieren. Wir haben unter anderem eine Debatte mit allen Kandidaten der europäischen Parlamentssitze – welche unsere Interessen im Exilparlament im indi-schen Dharamsala vertreten – organisiert.»

Hauptziel: Menschenrechte Die mit dem Demokratisierungsprozess verbundene Einschränkung der Autorität des Dalai Lamas auf religiöse Fragen bringt also erwünschten politischen Diskussions-stoff mit sich. Ungeachtet jeglicher Dif-ferenzen ist für Losinger aber klar: «Wir kämpfen alle für das Gleiche: für das Wohl-ergehen der Tibeter in Tibet und damit für die Einhaltung der Menschenrechte.» Die Selbstverbrennungen haben den Verein Tibeter Jugend in Europa dazu veranlasst, einen Brief an Bundespräsidentin Miche-line Calmy-Rey zu schreiben. «Wir haben alle einen Schweizer Pass und ich erwar-te von meinem Land, dass es etwas unter-nimmt, wenn auf der Welt Menschenrech-te mit Füssen getreten werden.» Den Traum eines freien Tibets aufzugeben, ist Losin-ger aber nicht gewillt. Sollte es soweit kom-men, könnte sie sich gut vorstellen in Tibet zu leben. «Ein freies Tibet – dafür kämpfen wir seit eh und je und wäre es soweit, gäbe es sicher viel Arbeit und Leute würden ge-braucht, um das Land aufzubauen.» rText Nora lipp, Illustration Melanie Imfeld

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Bann des Films gezogen und wartete un-geduldig, bis das rollende Kino wieder ins Dorf kam.

Fasziniert zu sein von diesem Medium ist eins, aber wie kommt man dazu, wirklich Filmemacher zu werden? Ihre Eltern hat-ten doch mit Sicherheit ihren Anteil dar-an?In der Tat waren meine Eltern und beson-ders mein Vater eine treibende Kraft. Wis-sen Sie, meine Eltern waren anders als die meisten in meinem Dorf. Sie waren bei-de Lehrer und waren im Umgang mit mir sehr liebevoll. Ich denke, ich hatte mehr Freiheiten als andere Kinder in meinem Alter und war irgendwie privilegiert. Im-merhin hatte mein Vater als Einziger im Dorf eine Universität besucht. Er förder-te meine Kreativität und unterstützte die Entwicklung eines freien Geistes. Ich soll-te frei sein wie ein Wildpferd, sagte er ein-mal zu mir. Er war selbst Künstler, das mit dem Film ist also naheliegender, als es im ersten Augenblick scheint.

Das Interview wurde am Filmfestival Lo-carno 2011 geführt. Sonthar Gyal war in der Kategorie der jungen Filmemacher, Con-corso Cineasti del presente, mit seinem Film «Tai yang zong zai zuo bian» («The Sun Beaten Path») nominiert.

StudiVersum: Wie und wann sind Sie zum ersten Mal in Berührung mit dem Medium Film gekommen?Sonthar Gyal: Als ich noch ein kleiner Jun-ge war, erinnere ich mich, dass regelmäs- sig, etwa einmal im Monat, ein sogenann-tes «rollendes Kino» bei uns im Dorf vor-beikam. Im Stile eines Wanderzirkus fuhr dieser Mann durch die kleinen Ortschaf-ten der tibetischen Hochebene und strahl-te auf dem Dorfplatz Filme aus. Mein schönstes Bild vor Augen ist, als ich in ei-ner lauen Sommernacht auf dem Boden vor einer aufgespannten Leinwand liege, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, und die bewegten Bilder vor mir betrachte. Das war ein magischer Moment für mich [lacht]. Mit neun Jahren wurde ich in den

fIlMEMacHER SoNTHaR gyal IST EINER VoN ZwEI REgISSEUREN aUS TIbET, DIE aUSScHlIESSlIcH IN TIbETIScH gESpRocHENE fIlME DREHEN. EIN JUNgES pHäNoMEN IM aNSoNSTEN RESTRIKTIVEN cHINa, wElcHES EINE NEUE aUS- EINaNDERSETZUNg MIT DIESER UNTERDRücKTEN KUlTUR ERMöglIcHT.

reise zum ich

REPORTAGE

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31 STUDIVERSUM | 2011.12

Inwiefern wurden Sie dazu ermutigt, die-sen künstlerischen Weg einzuschlagen?Ich habe früh angefangen zu malen. Wenn man als Junge seinen Vater dabei beo- bachtet, möchte man ihm nacheifern. Es war für mich immer klar, dass ich an eine Kunsthochschule gehen wollte und so stu-dierte ich Malerei und Fotografie. Erst spä-ter ging ich zur Filmschule in Peking, wo ich auch den Produzenten dieses Films kennenlernte.

Haben Sie den Produzenten bereits wäh-rend dem Studium für diesen Film gewin-nen können?Nein. Wir sind gut miteinander ausgekom-men und ich hatte die Hoffnung, dass in Zukunft eine Kooperation mit ihm mög-lich wäre. Aber konkret war in dem Mo-ment noch nichts. Als ich ihm dann ei-nige Zeit später das Skript zu «The Sun Beaten Path» geschickt habe, war ich sehr erstaunt, als zwei Stunden später eine Ant-wort von ihm kam und er sofort zusagte [lächelt]. Das war ein sehr erbaulicher Mo-ment. Das Projekt war geboren.

Der Film ist eine sehr spirituelle Reise. Ei-gentlich ein Roadtrip über einen büssen-den Jungen auf der Suche nach sich selbst. Wie viel Autobiografisches steckt in der Geschichte?Ich selbst habe dieses Gefühl durchlebt, eine wichtige Person aus meinem Leben zu verlieren. Als mein Vater 53 Jahre alt war, starb er. Das war ein herber Verlust. Ich fühlte mich verloren und besass nicht die Kraft, mich auf meinen Beinen zu hal-ten. Ich war auf einen Schlag erwachsen, musste Verantwortung übernehmen. Das Schlimmste aber war, dass ich ihm nie da-für danken konnte, was er mir ermöglicht hat. In der tibetischen Kultur ist die Ehrer-bietung den Eltern gegenüber sehr wich-tig. Also versuchte ich, meinen Vater intel-lektuell und künstlerisch zu reflektieren. Diese Verarbeitung steckt auch in dem Film, denn der Hauptdarsteller fühlt sich schuldig für den Tod seiner Mutter und begibt sich auf eine Wanderung durch die Wüste Gobi in der Hoffnung, die Schuld zu sühnen und sich in der Folge besser zu fühlen.

Ihr Vater ist sehr wichtig für Ihren Film. Gab es noch andere Vorbilder?Das ist schwer zu sagen. Ich gehöre be-reits der aufgeklärten Generation an und

habe einige Filme gesehen, auch viele aus-ländische. Aber künstlerisch ist sicher Pe-ma Tseden ein wichtiger Filmschaffender für mich. Er ist auch ein tibetischer Regis-seur, der mir für das Realisieren von Fil-men vieles beigebracht hat. Sein wohl be-kanntester Film ist «The Search», bei dem ich auch Kameramann war. Durch das Ma-len und Fotografieren habe ich eine sehr visuelle Vorstellung. Ich nähere mich Fra-gestellungen künstlerisch an. Pema ist di-rekter, mehr der Theoretiker. Er ist gut im Umgang mit Darstellern und stark im Er-zählen einer Geschichte.

Sie drehen, wie Ihr Mentor Pema Tseden, Ihre Filme gänzlich in tibetischer Sprache. War es schwierig, hierfür geeignete Schau-spieler zu finden?Wie gesagt, Pema war sehr wichtig für meinen Film. Er half mir auch bei der Su-che nach geeigneten Schauspielern, denn es gibt keine professionellen Darsteller in Tibet. Hier war die Erfahrung der Beteilig-ten an meinem Film von grosser Bedeu-tung. Als wir den Hauptdarsteller für die Figur Nima fanden, ging es auch an die Ar-beit, dem Charakter psychologische Tiefe zu verleihen. Da gab es auch viele Inputs von den Professoren aus der Filmschule.

In China wurde der Film zwar gezeigt, aber vor allem die Festivals im Westen schei-nen an Ihrem Werk interessiert zu sein. Meinen Sie, das hat vor allem mit dem stärkeren medialen Interesse an Tibet in Europa und den USA zu tun?Das ist sicher möglich. Das weiss ich nicht so genau. Auf jeden Fall haben Sie recht mit dem Interesse. Ich war von dem gros- sen Applaus nach der ersten Vorführung hier sehr angetan. Es ist kein Vergleich zum Publikum in China, das sehr verhal-ten reagiert hat. Ich erkläre mir das vor al-lem mit dem Wert, den kulturelle Filme in der Gesellschaft haben. In Europa ist das viel ausgeprägter. Chinesen bevorzugen vor allem die kommerziellen Filme und das actionreiche Hongkong-Kino. Es ist eine Gesellschaft, die ökonomisch boomt und alles, was dieses Wirtschaftswachs-tum beflügelt, erscheint für die Menschen erstrebenswert. So auch die Mainstream-Filme. Es gibt ein chinesisches Sprichwort, das besagt «Erst musst du genügend zu es-sen haben». Das bedeutet, dass Kunst ein-fach nicht Priorität hat. Die Leute sind mo-mentan zu sehr damit beschäftigt, ihren

Lebensstandard zu erhöhen. In Europa ist das anders – stabilisierter. Ein viel grös- serer Teil der Bevölkerung, als in China, muss sich nicht den Kopf darüber zerbre-chen, ob sie morgen auch noch genug zu essen haben. Ausserdem besitzt ihr (Eu-ropäer) eine grosse Tradition in der Film-kunst. Sie hat einen höheren Stellenwert in der Gesellschaft.

War es schwer, den Film durch die chi-nesische Zensur und Filmförderung zu bringen? Die tibetische Thematik und der gänzlich in der eigenen Sprache gespro-chene Film könnten doch als störend auf-gefasst werden?[Lacht] Ich glaube nicht. Interessanter-weise war es sehr einfach. Worum geht es denn in meinem Film? Nur um zwei Perso-nen, die durch die Wüste Gobi gehen! Da gibt es nichts offensichtlich Politisches, al-so nichts zum zensieren [schmunzelt].

Aber haben Sie keine Angst vor den po-litischen Vorgängen in Ihrem Land? Wie mit Künstlern wie Ai Weiwei umgegangen wird? Ihr Film berührt immerhin auch zu-mindest am Rande ein Thema, das von den Autoritäten nicht gerne aufgegriffen wird.Natürlich beschäftigt mich das... speziell als Tibeter [Der chinesische Produzent Li unterbricht ihn und bestätigt, dass man in der Tat immer wieder Angst hat].Gyal: Ich halte sehr viel vom iranischen Regisseur Abbas Kiarostami. Nicht nur, dass er meisterhaft im Umgang mit Lai-endarstellern ist. Er verpackt seine Bot-schaften in eine poetische Filmsprache. Es ist beeindruckend. In seinem Land ist es auch nicht einfach als Regisseur. Trotzdem schafft er es, seine Geschichten zu erzäh-len und die eigene Kultur anderen Men-schen zu zeigen.

Zum Thema Kultur. Meine letzte Frage ist: Sind Sie zum ersten Mal in der Schweiz und wie gefällt es Ihnen hier?Dies ist für mich das erste Mal, dass ich in Europa bin. Die Schweiz gefällt mir sehr gut. Viele Dinge erinnern mich an mei-ne Heimat. Die bergige Landschaft und die Seen. Aber es ist viel grüner. Die Leu-te hier sehen auch viel glücklicher aus [lächelt]. Wenn ich wiedergeboren wer-de, weiss ich zumindest, wo ich gerne le-ben würde [deutet lachend mit der Hand aus dem Fenster]. rText und bild filip Dingerkus

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DENKSpIEl | Darts–LohntüteDas ist kein abzufüllendes Schnittmuster, es ist aber auch keine Bank-Bonus-Lohnliste (sprich Wundertüte) in Tausendern. Dies ist schlicht und einfach eine Auszahlungsliste in Punkten beim Darts. Was bedeutet beispielsweise die Linie mit den Zahlen 8, 240, 150, 120, 110 und 100?

Acht Spieler haben ein Turnier ausgetragen, wobei Gold 240 Punkte, Silber 190 Punk-te und Bronze 150 Punkte einbringt. Damit werden auch die Buchstaben verständlich: T = Anzahl Teilnehmer, G = Gold, S = Silber, B = Bronze. Der 4. Rang (4) – weit weg vom Siegespodest – ist in Darts-Kreisen offensichtlich nicht allzu viel wert. Ob zudem schliess-lich jemand stolzer Fünfter oder gedemütigter Achter und Letzter wird, ist ebenfalls nur noch ein «Nachdenkerli» fürs Einschlafen. Die Punktedifferenz beträgt gerade einmal zehn Punkte. Angesichts der ausgedehnten «Schwenkungen» rund um die rote Laterne kann von einer logischen Konsistenz nun wirklich keine Rede sein. Dafür lohnt sich das Mitmachen, denn hundert Punkte sind beim Darts stets ein Minimal-Lohn, selbst wenn sämtliche Pfei-le das Nichts mal für mal präzis treffen!

Andererseits, so völlig unsystematisch ist eine Darts-Ausschüttung nun auch wieder nicht. Deshalb sind wir aufgefordert, systematisch die Zellen, die absichtlich leer sind, zu füllen, denn hinter der «Darts-Lohn-Tüte» steckt tatsächlich ein logisches System, wobei die Akzentuierung bei 8, 16 und 32 Teilnehmern liegt.

lösung der letzten ausgabe (bananiertes):Ali legt sein erstes Lager vorteilhaft nach 30 Meilen an. Hier kann er optimal insgesamt 300 Bananen lagern. Somit braucht er 150 Bananen als Futter für die fünf Wegstücke (dreimal hin und zweimal zurück) zum ersten Lager. Vom ersten bis zum zweiten Lager sollen noch-mals 150 Bananen verfüttert werden, da es optimal ist, die maximale Kapazität (150 Bana-nen) zu lagern. Da sich im ersten Lager nur noch 300 Bananen befinden, braucht Ali den Weg vom ersten zum zweiten Lager nur noch drei Mal (zweimal hin und einmal zurück) zu absolvieren. Somit wird er sein zweites Lager 50 Meilen hinter dem ersten Lager anle-gen. Voll beladen absolviert Ali die restlichen 20 Meilen und bringt damit beachtliche 130 Bananen zur Oase. rKreation peter Hammer

HERAUSGEBERIN:

Campus Lab AGEschenring 26300 Zug

CHEFREDAKTORIN:

Raffaela Angstmann

REDAKTOREN DIESER AUSGABE:

Raffaela Angstmann, André Bähler Filip Dingerkus, Jonas Frehner Mario Fuchs, Dominic Illi Melanie Keim, Julia Krättli Marina Lienhard, Nora Lipp Evelin Meierhofer, Claudia Piwecki Myriam Schuler, Martina Zimmermann

LAyOUT:

Aline Dallo

DESIGN:

Céline Beyeler, Maike Hamacher

BILDREDAKTION:

Johanna Muther, Maya Wipf

ILLUSTRATION:

Melanie Imfeld

FOTOGRAFIE:

Yvonne Böhler, Filip Dingerkusthomyhaeusermann.chJohanna Muther, Prinzli Maya Wipf

LEKTORAT:

André Bähler

DRUCK:

Vogt-Schild Druck AG

KONTAKT:

Campus Lab AGLavaterstrasse 718002 ZürichTel: +41 44 201 16 57Fax: +41 44 201 16 [email protected]

LESERBRIEFE:

[email protected]

StudiVersum erscheint sechs Mal jährlich in einer Auflage von 25 000 Exemplaren an allen universitäten und Fachhochschulen der Deutschschweiz. Alle Rechte vorbehal-ten; Nachdruck, Aufnahme in online-Dienste und Internet und Vervielfältigung auf Datenträgern wie CD-Roms etc. nur nach vorheriger schriftlicher Genehmigung der Herausgeberin.

IMpRESSUM | 2011.12

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T g S b 4 5/6 7/8 9.. 13.. 17.. 25..

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8 240 190 150 120 110 100

9 161 10010 218 138 120 100

14 173 105 100

15 108 100

16 380 300 240 190 150 120 110 100

11 231 10012 100 10013 164 103 100

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33 STUDIVERSUM | 2011.12

DIE FLOTTE 3ER-WG

Text: André Bähler

DAS ENDE DER 3ER-WG

Es gab eine Zeit, da Beat nicht mehr daran glaubte, dass er sein Studium erfolgreich abschliessen würde. Wenn er ehrlich ist, dauerte diese Zeit praktisch von Anfang bis Ende seines Studiums. Doch jetzt hat er den Master in der Tasche, wird aus der WG ausziehen, sei-ne Habseligkeiten einlagern und sich auf eine Weltrei-se mit unbestimmter Dauer begeben.

Auch Rebekka hat ihr Studium abgeschlossen und wird nun eine Praktikumsstelle als Betriebspsychologin in Mün-chen antreten. John tut den bei-den ein wenig leid. Einerseits, weil sie beide aus der WG aus-ziehen werden, andererseits, weil er als Einziger noch wei-terstudieren muss. Doch John trägt es mit Fassung und hat sich entschlossen, die gemeinsame Wohnung aufzugeben: «Natür-lich könnte ich zwei neue WG-Mitglieder suchen, aber ohne euch wäre es nie mehr dasselbe. Lasst uns die WG auflösen – mit einer würdigen ‹Ustrinkete›.»

Zur «Ustrinkete» kommen viel mehr Leute als erwartet. Bald ist die Wohnung völlig über-füllt und so feiern ein paar Leu-te auf dem Vorplatz des Hauses. Um sich warm zu halten, zün-den sie dort ein grosses Feuer an – die perfekte Scheiterbeige von Nachbar Knörri existiert schon bald nicht mehr. Schliesslich verlagert sich das ganze Fest auf den Vorplatz und die Strasse, es hat eine Eigendynamik angenommen, die nicht mehr zu kontrollieren ist. Immer mehr Leute strömen her-bei, bringen Bier, Wodka und Whisky mit, denn das, was es auszutrinken gab, ist längstens ausgetrunken. Beat und Rebekka versuchen gerade den aufgebrachten Knörri davon abzuhalten, die Polizei zu rufen, als sie plötzlich John sehen, der mit einer riesigen Tasche in

der Hand auf einen Stuhl steigt und um Aufmerksam-keit bittet. Als er sich endlich Gehör verschafft hat, sagt er: «Liebe Leute, heute gibt es gleich dreifachen Grund zum Feiern! Nicht nur Rebekka und Beat sind mit ih-rem Studium fertig, sondern auch ich. Ich habe nicht die geringste Lust, mein Studium fortzusetzen!» Unter dem tosenden Applaus der nicht mehr ganz nüchter-nen Menge öffnet er seinen Sack, entnimmt ihm einen

Ordner und schreit «Nie mehr Statistik!» und wirft ihn ins Feu-er. Dann hält er ein blaues Skript in die Höhe: «Nie mehr nervtö-tende Musikethnologie-Semina-re!» Nach und nach wirft John die gesamten Unterlagen seines Stu-diums ins Feuer. Jeder Wurf wird von einem lauten «Olé» der auf-geputschten Menge begleitet. Auch als John nichts mehr zum Verbrennen hat, bleibt er auf dem Stuhl stehen. Jetzt muss er alles rauslassen, was sich ange-staut hat: «Nie mehr etwas Un-sinniges auswendig lernen, das dich einen Scheiss interessiert! Nie mehr an ECTS-Punkte den-ken müssen! Nie mehr Mensa-Frass! Nie mehr Uni!»

Es wird eine lange Nacht. Im-mer wieder skandieren einzelne Gruppen oder alle zusammen: «Nie mehr Uni! Nie mehr Uni! Nie mehr Uni!»

Als die letzten Teilnehmer der «Ustrinkete» gehen, sendet die Sonne bereits ihre ersten

Strahlen auf Beat, Rebekka und John. Rebekka fragt John, was er nun für Pläne habe. John sagt: «Keine Ah-nung. Vielleicht werde ich bei der Müllabfuhr arbeiten oder ich eröffne eine Strandbar. Das Einzige, was ich weiss: Ich will nicht mehr studieren – ich will leben! Nie mehr Uni!»

«Nie mehr Uni!», rufen alle drei gemeinsam.

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Page 34: StudiVersum 42 - Das Buch

34 STUDIVERSUM | 2011.12

allTagSTIppEisfüsse

Die Vorlesung hatte schon angefangen, als Carolin die Tür des Hörsaales aufstiess, mit schmerzverzerrtem Gesicht eintrat und umständlich die Treppe zum letzten frei-en Platz hochhumpelte. Mit einem Seufzer liess sie sich neben mir auf den Stuhl fal-len. «Was ist denn mit dir los? Hast du dich verletzt?», flüsterte ich. «Ach Horst», ant-wortete sie, «ich leide unter schrecklichen Eisfüssen. Meine Beine fühlen sich an wie abgestorben.» Ich dachte kurz nach. Dann kritzelte ich folgende Zeilen auf ein Blatt und schob es ihr zu:

«Meine Liebe, Eisfüsse sind unange-nehm, aber kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken. Man kann Einiges dage-gen tun. Das A und O sind natürlich warme Schuhe. Aber Obacht: Entgegen der land-läufigen Meinung sind zu enge Schuhe nicht gut. Ein Eisfuss braucht genügend Platz und Luft, um Wärme zu speichern. Auch sind Schuhe aus atmungsaktivem Material bil-ligen Turnschuhen vorzuziehen. Ich selbst schwöre noch immer auf die guten alten Le-derschuhe mit dicker Sohle. Sodann emp-fehle ich allen Eisfüsslern regelmässige Fussbäder. Ein Eimer heisses Wasser, eine Handvoll Rosmarin und fünf Esslöffel Salz ist alles, was man dazu braucht. Das Wasser mit dem Salz und Rosmarin anreichern und hinein mit den Füssen. Nach dem Bad sor-gen flauschige, möglichst warme Wollso-cken für anhaltende Wärme. Auch ein Vollbad schafft – mit den richtigen Zusät-zen – Abhilfe gegen kalte Füsse. Ich emp-fehle Heublumen aus der Apotheke. Hart-gesottenen sei schliesslich das Schneetreten empfohlen: Morgens nach dem Aufstehen mit den nackten, noch warmen Füssen raus in den Schnee – das regt den Kreislauf an und sorgt für eine gute Durchblutung. Und wie so oft gilt auch hier: viel trinken, auch das unterstützt den Blutfluss.»

Carolin nahm den Zettel, las ihn auf-merksam durch, begann zu lächeln, strahl-te, beugte sich zu mir rüber und drückte mir einen dicken Kuss auf meine bärtige Wan-ge. «Danke, Horst», hauchte sie zärtlich. «Du bist der Beste.»Horst

Horst, 75, zweifacher Vater, ist allzeit bereit: ob im Haus-halt oder in der garage, beim Einkaufen oder an der Uni, Horst hilft! als Hörer besucht er regelmässig Vorlesungen und weiss daher bestens bescheid, was den Jungen von heute unter den Nägeln brennt. Seine Tipps sind längst schon keine geheimtipps mehr. Deshalb: Horst ausschneiden, an den Kühlschrank oder die pinnwand heften, dann kann nichts mehr schief-gehen!

WIE ANNO DAZUMAL

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