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Tel.: 030 300 65-200 Fax: 030 300 65-390 www.familienunternehmer.eu E-Mail: [email protected] KOMMENTAR AUS BERLIN Berlin, 7. Mai 2010 DIE FAMILIENUNTERNEHMER – ASU e.V. Prof. Dr. Gerd Habermann Tuteur Haus I Charlottenstraße 24 10117 Berlin Vom Nutzen der „Sündenböcke“ Sündenböcke sind Opfer von Gruppen, die aus Frustration über eigenes Versagen einen Stellver- treter suchen und ihn all das büßen lassen, was sie selber verantworten. Für diese Rolle eignen sich vor allem Minoritäten ohne viel Macht oder Berufsgruppen, die sowieso schon das populäre Vorurteil gegen sich haben. Gegenwärtig sind dies Ratingagenturen, Spekulanten und Bank- manager. Dies erinnert an jemanden, der bei einem Erdbeben auf den Seismographen einschlägt. Es ist dies das Verhalten eines „Wilden“, der mit der natürlichen Kausalität auf dem Kriegsfuß steht. An die Spitze dieser Sündenbockjäger hat sich BaFin-Chef Sanio gestellt: „Hier wird von Spekulan- ten ein Angriffskrieg gegen die Euro-Zone geführt“ ruft er martialisch aus und möchte einen Ge- genangriff, indem er Kreditausfallversicherungen regulieren oder vielleicht verbieten will. Aber: es waren die deutschen Politiker, die das Konstrukt der Währungsunion gegen fast einhelli- gen Rat ökonomischer Experten durchsetzten. Sie ließen es zu, dass eine Reihe von traditionellen Weichwährungsländern in die Währungsunion aufgenommen wurden. Bei den Stabilitätskriterien, die zur Beruhigung vorgesehen waren, sah man weitgehend durch die Finger, namentlich im Fall Griechenlands. Auch die Weichwährungsländer behielten ihre finanzielle und wirtschaftspolitische Autonomie. Das traditionelle Ventil für wirtschaftspolitische Schlamperei, der Wechselkurs, fiel weg. Nun hätte es an Reformen gehen müssen – diese blieben aber aus und dies wurde auch nicht beanstandet. Die zudem seit Jahren bekannte Zahlenspielerei Griechenlands wurde großzügig ignoriert. Durch politische Fehlentscheidungen zahlen wir jetzt einen hohen Preis für den Euro. Deutschland verlor den Zinsvorteil aus DM-Zeiten, während die Weichwährungsländer durch die Bonität der deutschen Währung viel günstigere Zinsen geschenkt bekamen und sich nun zu einer Verschul- dungsorgie eingeladen fühlten. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt, von Anfang an recht harmlos, wurde missachtet, dann auch faktisch bei der ersten Bewährungsprobe preisgegeben (Chirac/Schröder 2005). In diesen Tagen erhielt er den Todesstoß: Durch Bruch des Artikels 125 des AEUV wurde der Grundsatz aufgege- ben, dass die Mitgliedsstaaten nur für ihre eigenen Schulden haften. Auch die EZB verlor als weite- rer Stabilitätsanker ihre Glaubwürdigkeit: sie akzeptiert inzwischen griechische Anleihen als Sicher- heit, ohne Rücksicht auf Bonität und wird demnächst vielleicht Staatsanleihen aller Euro-Staaten direkt aufkaufen, also die Notenpresse in Gang setzen. Inzwischen zeigen die Märkte gnadenlos, dass die Griechenland-Unterstützung die Probleme nicht lösen wird. Man verlangt ja von dem schwächsten Land die radikalsten Reformen! Griechenland wird sich weiter verschulden, vielleicht im Chaos versinken. Als erschreckende Perspektive er- scheint am Horizont die Europäisierung aller nationalen Schulden. Damit verkommt die Währungs- union endgültig zu einer Gemeinschaft, in der die unsoliden Völker auf Kosten der soliden leben können – eine Überspannung des Solidaritätsgedankens, die sie kaum überstehen wird. So könnte bei dem gegebenen Verschuldungsstand ein europäischer Gesamtkonkurs bzw. eine Inflationie- rung bevorstehen. Das geringere Übel wäre eine „geordnete Insolvenz“, euphemistisch Um- schuldung genannt, für Griechenland und das Ausscheiden dieses Landes aus der Eurozone. Griechenland ist seit seiner Unabhängigkeit (1830) ein klassisches Land der Staatsbankrotte. Zweifellos „profitieren“ besonders Spekulanten von den Vorgängen, die sie nur anzeigen und zur Entscheidung treiben. Nicht anders wie Ärzte von Krankheiten „profitieren“; die Bauwirtschaft von Gebäudeverfall oder die Juristen von der Streitlust der Bürger. 5/2010

Sündenböcke

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Tel.: 030 300 65-200 Fax: 030 300 65-390 www.familienunternehmer.eu E-Mail: [email protected]

KOMMENTAR AUS BERLIN

Berlin, 7. Mai 2010

DIE FAMILIENUNTERNEHMER – ASU e.V. Prof. Dr. Gerd Habermann Tuteur Haus I Charlottenstraße 24 10117 Berlin

Vom Nutzen der „Sündenböcke“

Sündenböcke sind Opfer von Gruppen, die aus Frustration über eigenes Versagen einen Stellver-treter suchen und ihn all das büßen lassen, was sie selber verantworten. Für diese Rolle eignen sich vor allem Minoritäten ohne viel Macht oder Berufsgruppen, die sowieso schon das populäre Vorurteil gegen sich haben. Gegenwärtig sind dies Ratingagenturen, Spekulanten und Bank-manager. Dies erinnert an jemanden, der bei einem Erdbeben auf den Seismographen einschlägt. Es ist dies das Verhalten eines „Wilden“, der mit der natürlichen Kausalität auf dem Kriegsfuß steht. An die Spitze dieser Sündenbockjäger hat sich BaFin-Chef Sanio gestellt: „Hier wird von Spekulan-ten ein Angriffskrieg gegen die Euro-Zone geführt“ ruft er martialisch aus und möchte einen Ge-genangriff, indem er Kreditausfallversicherungen regulieren oder vielleicht verbieten will. Aber: es waren die deutschen Politiker, die das Konstrukt der Währungsunion gegen fast einhelli-gen Rat ökonomischer Experten durchsetzten. Sie ließen es zu, dass eine Reihe von traditionellen Weichwährungsländern in die Währungsunion aufgenommen wurden. Bei den Stabilitätskriterien, die zur Beruhigung vorgesehen waren, sah man weitgehend durch die Finger, namentlich im Fall Griechenlands. Auch die Weichwährungsländer behielten ihre finanzielle und wirtschaftspolitische Autonomie. Das traditionelle Ventil für wirtschaftspolitische Schlamperei, der Wechselkurs, fiel weg. Nun hätte es an Reformen gehen müssen – diese blieben aber aus und dies wurde auch nicht beanstandet. Die zudem seit Jahren bekannte Zahlenspielerei Griechenlands wurde großzügig ignoriert. Durch politische Fehlentscheidungen zahlen wir jetzt einen hohen Preis für den Euro. Deutschland verlor den Zinsvorteil aus DM-Zeiten, während die Weichwährungsländer durch die Bonität der deutschen Währung viel günstigere Zinsen geschenkt bekamen und sich nun zu einer Verschul-dungsorgie eingeladen fühlten. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt, von Anfang an recht harmlos, wurde missachtet, dann auch faktisch bei der ersten Bewährungsprobe preisgegeben (Chirac/Schröder 2005). In diesen Tagen erhielt er den Todesstoß: Durch Bruch des Artikels 125 des AEUV wurde der Grundsatz aufgege-ben, dass die Mitgliedsstaaten nur für ihre eigenen Schulden haften. Auch die EZB verlor als weite-rer Stabilitätsanker ihre Glaubwürdigkeit: sie akzeptiert inzwischen griechische Anleihen als Sicher-heit, ohne Rücksicht auf Bonität und wird demnächst vielleicht Staatsanleihen aller Euro-Staaten direkt aufkaufen, also die Notenpresse in Gang setzen. Inzwischen zeigen die Märkte gnadenlos, dass die Griechenland-Unterstützung die Probleme nicht lösen wird. Man verlangt ja von dem schwächsten Land die radikalsten Reformen! Griechenland wird sich weiter verschulden, vielleicht im Chaos versinken. Als erschreckende Perspektive er-scheint am Horizont die Europäisierung aller nationalen Schulden. Damit verkommt die Währungs-union endgültig zu einer Gemeinschaft, in der die unsoliden Völker auf Kosten der soliden leben können – eine Überspannung des Solidaritätsgedankens, die sie kaum überstehen wird. So könnte bei dem gegebenen Verschuldungsstand ein europäischer Gesamtkonkurs bzw. eine Inflationie-rung bevorstehen. Das geringere Übel wäre eine „geordnete Insolvenz“, euphemistisch Um-schuldung genannt, für Griechenland und das Ausscheiden dieses Landes aus der Eurozone. Griechenland ist seit seiner Unabhängigkeit (1830) ein klassisches Land der Staatsbankrotte. Zweifellos „profitieren“ besonders Spekulanten von den Vorgängen, die sie nur anzeigen und zur Entscheidung treiben. Nicht anders wie Ärzte von Krankheiten „profitieren“; die Bauwirtschaft von Gebäudeverfall oder die Juristen von der Streitlust der Bürger.

5/2010