202
Naturkundliche Forschung im Fürstentum Liechtenstein BAND 28 Herausgeberin: Regierung des Fürstentums Liechtenstein 2011 Säugetiere Mario F. Broggi / Denise Camenisch / Michael Fasel René Güttinger / Silvio Hoch / Jürg Paul Müller Peter Niederklopfer / Rudolf Staub

Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

  • Upload
    others

  • View
    3

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

NaturkundlicheForschungim FürstentumLiechtenstein

BAND 28

Herausgeberin: Regierung des FürstentumsLiechtenstein 2011

SäugetiereMario F. Broggi / Denise Camenisch / Michael Fasel

René Güttinger / Silvio Hoch / Jürg Paul Müller

Peter Niederklopfer / Rudolf Staub

Page 2: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

Die Säugetiere des Fürstentums Liechtenstein (Mammalia)

Mario F. Broggi

Denise Camenisch

Michael Fasel

René Güttinger

Silvio Hoch

Jürg Paul Müller

Peter Niederklopfer

Rudolf Staub

Naturkundliche Forschungim Fürstentum Liechtenstein

Band 28

2011

Page 3: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

Herausgeber: Regierung des Fürstentums Liechtenstein

Redaktion: Rudolf Staub

Layoutkonzeption: Atelier Silvia RuppenUmschlagsgestaltung: Atelier Silvia Ruppen

Satz und Druck: BVD Druck und Verlag AG, Schaan

Bezugsquelle:Amt für Wald, Natur und Landschaft, FL-9490 Vaduz

Amtlicher Lehrmittelverlag, Vaduz 2011ISBN 3-9523234-5-4ISBN 978-3-9523234-5-8

Mario F. Broggi, Denise Camenisch, Michael Fasel, René Güttinger,Silvio Hoch, Jürg Paul Müller, Peter Niederklopfer, Rudolf StaubDie Säugetiere des Fürstentums Liechtenstein. (Mammalia). Amt-licher Lehrmittelverlag, Vaduz, 2011 (Naturkundliche Forschung imFürstentum Liechtenstein; Bd. 28)ISBN 978-3-9523234-5-8

2

Page 4: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

3

Vorwort

Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindetsehr viel mit uns Menschen. Unser Verhältnis zu ihnen ist

jedoch ambivalent. Einzelne Vertreter, wie z.B. die majestä-tischen Hirsche, haben grosse Sympathien in der Bevölke-rung und beeindrucken uns immer wieder aufs Neue. Diegrossen Säugerarten stehen auch im Zentrum der jagdlichenInteressen und Aufgaben. Andere Arten sind nicht gern

gesehene Nahrungskonkurrenten, gelten als mögliche Über-träger von Krankheiten oder schränken in Form von Mar-derschäden unsere Mobilität ein. Bei manchen Arten sinddie Meinungen gespalten. Sollen Luchs, Wolf und Bär beiuns wieder eine Heimat finden?

Die Säugetiere stellen auch hohe Anforderungen an dieLandschaftsqualität. Die Hirsche brauchen durchgängige Le-bensräume für ihre Wanderungen. Sie benötigen vor allemauch im Winter Ruhezonen, die von menschlichen Aktivitä-ten weitgehend freigehalten bleiben. Wollen wir dem Wild,aber auch den Grossraubtieren gerecht werden, heisst diesEinschränkungen in unseren Ansprüchen an die Nutzung desRaumes in Kauf zu nehmen. Es heisst auch Lebensraumauf-wertung sowie Korridore für die Wildtierwanderung bereit-zustellen.

Viele der kleinen Säugerarten sind auf Strukturvielfalt in derLandschaft angewiesen. Die Fledermäuse brauchen Wochen-stuben in Altbäumen und Gebäuden sowie geeignete Nah-rungsreviere mit einem hohen Insektenangebot. Die Insek-tenfresser benötigen Kleinstrukturen und ungestörteRandflächen und Gehölze. Doch viele von ihnen sind in der

Regel nur schwer zu beobachten. Über viele Arten – vorallem die unscheinbaren Kleinsäuger – war daher nur wenigbekannt. Einzig bei den Fledermäusen gab es in den letztenJahrzehnten dank der Arbeitsgruppe für Fledermausschutzder Botanisch-Zoologischen Gesellschaft Liechtenstein-Sar-gans-Werdenberg e.V eine gewisse Konstanz in der Erfor-schung. Ein in den letzten vier Jahren unter der Leitung desAmts für Wald, Natur und Landschaft durchgeführtes um-fangreiches Fallenprogramm und die breite Mithilfe der Be-völkerung ermöglichten hier erst eine wesentliche Verbesse-rung des Kenntnisstandes.

Dieser ist nun im vorliegenden Forschungsbericht attraktivaufbereitet der Öffentlichkeit zugänglich. Seine Erstellungwar nur mit einem kompetenten Autorenteam und in einergrenzüberschreitenden Zusammenarbeit möglich. Fachleuteaus Liechtenstein, St. Gallen und Graubünden erlaubten erstdie professionelle Bearbeitung. Ihnen sind wir zu Dank ver-pflichtet. Sie nehmen uns aber auch in die Pflicht. Denn dasWerk schliesst nicht nur Wissenslücken, sondern zeigt auchdie bestehenden Forschungsdefizite auf. Massnahmen -vorschläge konkretisieren zusätzlich das Anliegen der Erhal-tung der Säugerarten. Die Komplexität ihrer Lebensraum -ansprüche ist jedoch eine Herausforderung für denNaturschutz in Liechtenstein. Vor allem müssen wir mitihnen unseren Lebensraum teilen. Hier ist mehr Toleranz vonuns allen gefordert.

Dr. Renate MüssnerRegierungsrätin

Page 5: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

4

Page 6: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

5

MARIO F. BROGGI, DENISE CAMENISCH, MICHAEL FASEL, RENÉ GÜTTINGER,

SILVIO HOCH, JÜRG PAUL MÜLLER, PETER NIEDERKLOPFER, RUDOLF STAUB

Die Säugetiere des Fürstentums Liechtenstein (Mammalia)

Mario F. BroggiGeboren 1945 in Sierre (VS), Studiumder Forstwirtschaft an der ETH Zürich,Dissertation an der Universität für Bodenkultur in Wien mit einem raum-planerisch-ökologischen Thema (Land-schaftswandel in Liechtenstein). Seit1969 in Liechtenstein wohnhaft, bisEnde 1997 Inhaber eines Ökobüros.Bis 2004 Direktor der EidgenössischenForschungsanstalt für Wald, Schneeund Landschaft (WSL). Präsident der Botanisch-Zoologischen Gesell-schaft Liechtenstein-Sargans-Werden-berg von 1970 bis 1989.

Denise CamenischGeboren 1985, Gymnasium in Vaduz,Studium der Biologie an der Universi-tät Zürich, Studienabschluss in Anthro-pologie. Teilnahme an verschiedenenWeiterbildungskursen an der ZHAWWädenswil zum Thema Säugetiere.Befristete Mitarbeit in der Naturkund-lichen Sammlung des FürstentumsLiechtenstein und am Bündner Natur-museum. Derzeit wissenschaftlicheMitarbeiterin in Kleinsäugerprojektenbei der J.P. Mueller – Science & Com-munication GmbH in Chur.

Michael FaselGeboren 1957, Gymnasium in Vaduz,Studium der Biologie in Bern mitSchwerpunkt Zoologie und AlpineÖkologie. 1985 bis 2010 Abteilungs -leiter im Amt für Wald, Natur undLandschaft in den Bereichen Natur-schutz und Jagd (bis 2004). Veröffent-lichung diverser Beiträge zu den Säugetieren im Rahmen der Amts -tätigkeit. Seit 2011 selbständig und Inhaber des Ökobüros econat in Triesen FL.

Page 7: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

6

René GüttingerGeboren 1960 in Nesslau. Studium der Zoologie und Geobotanik an der Universität Zürich. Seit 1989 tätigals freischaffender Wildtierbiologeund Naturfotograf in den Bereichenanwendungsorientierte Forschung,Naturschutz und Umweltpublizistik.

Silvio HochGeboren 1944 in Triesen. Lehrer -seminar Mariaberg in Rorschach, Primarlehrer in Gamprin und Vaduz,1968-1973. Hauptfach Biologie imRahmen der Sekundarlehrerausbil-dung der Uni Bern. 1973-1984 Lehr -tätigkeit an der Realschule Vaduz und 1985-2005 an der Realschule Triesen. 1992 Gründung der Liechten-steiner Arbeitsgruppe für den Fleder-mausschutz.

Jürg Paul MüllerGeboren 1945 in Chur. Studium derBiologie mit Hauptfach Zoologie ander Universität Zürich (dipl. nat., Dr.phil II). Von 1971 bis 1973 Leiter desSimien Mountains National Park inÄthiopien. Von 1973 bis 2010 Direktordes Bündner Naturmuseums in Chur.Seither selbständige Tätigkeit in denBereichen Säugetierbiologie und Wissenschaftskommunikation. Präsident der Stiftung Pro Bartgeierund Projektleiter der Stiftung Schatz-insel Alp Flix.

Peter NiederklopferGeboren 1965 in Chur. 1981-1985 Ausbildung zum Zoologischen Präpa-rator am Bündner Naturmuseum,Chur. Seit 1989 in der Naturkundli-chen Sammlung des FürstentumsLiechtenstein, Amt für Wald, Naturund Landschaft tätig.

Rudolf StaubGeboren 1965. Studium der Biologiean der Universität Zürich. Seit 1993 im Büro für Räumliche Entwicklungund Natur (RENAT) im FürstentumLiechtenstein tätig. Vorstandsmitgliedder Botanisch-Zoologischen Gesell-schaft Liechtenstein-Sargans-Werden-berg.

Page 8: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

Inhalt

Abstract 7Zusammenfassung 8

1 Zielsetzung des Projektes 8

2 Der Naturraum Liechtensteins 92.1 Vielfalt auf kleinstem Raum 92.2 An der Grenze von West- und Ostalpen 102.3 Klimatisch begünstigt 102.4 Lebensräume in Liechtenstein 11

3. Jagd und jagdbare Säugetierarten 143.1 Gesetzliche Grundlagen 143.2 Waldgerechter Wildbestand und wildgerechter Wald 143.3 Die Grenzen der Jagd und des Jägers 153.4 Warum jagen? 15

4. Datenquellen 164.1 Zur Geschichte der säugetierkundlichen Erforschung

Liechtensteins 164.2 Methodisches Vorgehen 18

5. Systematik 21

6 Artbeschriebe 236.1 Ordnung Insektenfresser 246.2 Ordnung Fledermäuse 486.3 Ordnung Nagetiere 946.4 Ordnung Hasenartige 1346.5 Ordnung Raubtiere 1406.6 Ordnung Paarhufer 1646.7. Eingewanderte Arten 181

7 Prioritäten des Schutzes heimischer Säugetiere: Empfehlungen und Massnahmen 186

7.1 Rote Listen 1867.2 FFH-Berichte 1877.3 Verantwortlichkeit 1887.4 Folgerungen für den Säugetierschutz 1887.5 Forschungslücken und Monitoring 1887.6 Allgemeine Biotopmassnahmen für den

Säugetierschutz 1907.7 Artenhilfsprogramme 1927.8 Öffentlichkeitsarbeit 1927.9 Fördermassnahmen - Übersicht 192

8 Dank 193

9 Literatur9.1 Allgemeine Literatur 1949.2 Spezielle Literatur 194

10 Index Arten 19810.1 Deutsch 19810.2 Wissenschaftlich 199

11 Anschrift der Autoren 200

Abstract

Liechtenstein is a topographically diverse country despite itssmall size of just 160 km2, home to a rich mammalian faunaand high habitat heterogeneity. This monograph is the firstcomprehensive overview of the mammals of Liechtensteinsince Ernst von Lehmann’s «Säugetieren des FürstentumsLiechtenstein», published in 1962. Extensive bat distributiondata from decades of research by Silvio Hoch, as well as datafrom a recent three-year small mammal distribution studyare the foundation of this compendium. Data from the«Amt für Wald, Natur und Landschaft» and observations bythe general public complement these studies.76 species are portrayed in detail with a majority also featuring Liechtenstein distribution maps. Information ondistribution, habitat preferences, threats and possible con-servation measures make this monograph an invaluable resource for conservation work, as many species are interna-tionally protected and endangered in neighboring coun-tries. Several bat species, but also the charismatic beaver areprime examples. Creating red list of endangered species ofLiechtenstein was not attempted as data is still incompletefor a number of species.The aforementioned studies revealed significant need to im-prove our knowledge of distribution and habitat use of bats,small mammals and martens. Additionally, population mon-itoring of hare, beaver, and non-native fauna should be con-ducted regularly. Conserving mammalian diversity in Liechtenstein must alsoinclude habitat conservation and restoration. Particularlyimportant are the restoration of watercourses, increasinghabitat heterogeneity on agricultural lands, decreasingfarming intensity, conserving old growth forest patches, andcreating wildlife sanctuaries. Urban areas could present suit-able habitat for a variety of bat species if bat roosts onbuildings are conserved and encouraged. Lastly, the largecarnivores, wolf, bear and lynx would benefit primarily froman educated, tolerant public attitude.

Keywords: mammals, Liechtenstein

7

Page 9: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

Zusammenfassung

Liechtenstein weist trotz der geringen Grösse von 160 km2

mit einem Höhenunterschied von über 2000 Metern einegrosse Reliefvielfalt auf. Daraus ergeben sich auch vielge-staltige Lebensräume und eine hohe Artenvielfalt bei denSäugetieren. Die vorliegende Monographie ist die erste umfassende Übersichtsdarstellung nach dem im Jahre 1962erschienenen Beitrag «Die Säugetiere des FürstentumsLiechtenstein» von Ernst von Lehmann. Umfangreiche Nach-weisdaten aus der Fledermausforschung der letzten Jahr-zehnte von Silvio Hoch sowie ein intensives Kleinsäuger-Er-fassungsprogramm in den Jahren 2007-2010 bilden dieGrundlagen für die vorliegende Darstellung. Zähldaten desAmtes für Wald, Natur und Landschaft sowie Hinweise ausder Bevölkerung ergänzen die Aufnahmen.Es werden 76 Arten im Detail vorgestellt. Bei den meistenArten wurden Nachweiskarten für Liechtenstein erstellt.Hinweise zur Verbreitung, zu den Lebensraumansprüchen,zur Gefährdung und möglichen Schutzmassnahmen schaffeneine Grundlage für die Erhaltung der einzelnen Arten. VieleArten gelten in den Nachbarländern als gefährdet oderhaben einen internationalen Schutzstatus. Für verschiedenedavon hat Liechtenstein eine besondere Verantwortung.Dazu gehören mehrere Fledermausarten, aber auch derRückkehrer Biber. Auf die Erstellung einer liechtensteini-schen Rote Liste wurde aufgrund teils grösserer Wissenslü-cken bei der Verbreitung der Arten verzichtet. Die Erforschung zeigte auch wesentliche Wissenslücken beider Verbreitung und Lebensraumnutzung auf. Dies gilt ins-besondere bei Fledermäusen, kleinen Säugetierarten undMardern. Daneben ist im Sinne einer Überwachung der Ent-wicklung ein regelmässiges Bestandesmonitoring von Feld-hase, Biber sowie der Neozoen sinnvoll. Die Erhaltung der Säugetiervielfalt erfordert auch Lebens-raummassnahmen. Schwerpunkte bilden Ruheräume undAltholzzellen im Wald, eine Extensivierung und Strukturie-rung des Landwirtschaftsgebietes sowie die Aufwertung derFliessgewässerräume. Notwendig ist zudem eine Verbesse-rung der Durchgängigkeit des immer dichter besiedeltenTalraumes. Auch die Siedlungsflächen können geeignete Le-bensräume darstellen. Wichtig ist hier der Erhalt der Fleder-mausquartiere. Bei den Gross-Regulatoren Wolf, Luchs undBär ist zudem eine Sensibilisierung der Bevölkerung not-wendig.

1 Zielsetzung des Projektes

Die Säugetiere stehen uns entwicklungsgeschichtlich amnächsten und zählen zu den Artengruppen mit den grösstenSympathien. Sie stehen auch im Zentrum der jagdlichen In-teressen und sprechen so breitere Bevölkerungskreise an.Faszinierend ist ihre Spannweite von den wenigen Grammschweren Spitzmäusen bis zu den hunderte von Kilogrammwiegenden Grosssäugern. Mit 76 heute bzw. historisch nach-gewiesenen Arten weist Liechtenstein zudem eine beachtli-che Artenvielfalt auf.

Obwohl viele Säugetiere eine heimliche Lebensweise führenund teils nur schwer nachzuweisen sind, standen sie schonfrüh im Fokus der naturkundlichen Forschung. So beschriebErnst von Lehmann bereits in den 1950iger Jahren die Säu-getiere Liechtensteins im Rahmen der Schriften des Histori-schen Vereins (VON LEHMANN 1962). 1982 folgte eine weitereBearbeitung durch den gleichen Autor (VON LEHMANN 1982).Seither ist es um die Erforschung der Säugetiere in Liechten-stein ruhiger geworden. Dies hängt auch mit der teilweiseschwierigen Erfassung und Bestimmung der Arten im Feldzusammen. Vor allem dank der Arbeitsgruppe für Fleder-mausschutz unter der Leitung von Silvio Hoch konnten wei-tere Erkenntnisse gewonnen und neue Arten für Liechten-stein beschrieben werden. Für die anderen Wirbeltierklassen (Vögel, Reptilien, Amphi-bien, Fische) wurde in den letzten 20 Jahren der aktuelleWissensstand aufgearbeitet. Bei den Säugetieren bestandenfür eine entsprechende Darstellung noch grössere Wissens-defizite:– Bei sehr vielen Arten war über die Verbreitung nur sehr

wenig bekannt. Vor allem bei den Kleinsäugern (Insek-tenfresser und Kleine Nagetiere) bestand ein lückenhaf-tes Wissen.

– Es waren noch nicht alle zu erwartenden Arten für Liech-tenstein nachgewiesen worden. Insbesondere bei denKleinsäugern waren durch genetische Tests neue Arten zuerwarten.

– Der aktuelle Gefährdungsstatus vieler Artvorkommenwar nicht bekannt. So konnten in den 50iger Jahren nochvorhandene Artvorkommen durch Lehmann bereits inden 80iger Jahren nicht mehr bestätigt werden.

Im Jahre 2007 erteilte die Regierung des Fürstentums Liech-tenstein dem Amt für Wald, Natur und Landschaft (AWNL)und der Botanisch-Zoologischen Gesellschaft Liechtenstein-Sargans-Werdenberg (BZG) den Auftrag, die Säugetiere imRahmen der naturkundlichen Erforschung des Landes zu be-arbeiten und wesentliche Wissenslücken zu schliessen. Diekonkreten Ziele waren:– Klärung wichtiger Forschungsdefizite zur Artenausstat-

tung und Verbreitung der Säugetiere in Liechtenstein.– Beurteilungen des Gefährdungsgrades und der Gefähr-

dungsursachen.– Ableiten von internationalen Verantwortlichkeiten Liech-

tensteins für die Erhaltung einzelner Arten.– Formulierung von Schutzbestrebungen und Massnah-

men.– Attraktive Übersichts-Darstellung und Publikation des ak-

tuellen Wissensstandes zu den Säugetieren als Grundlagefür die Verbreitung der Erkenntnisse.

Für die Bearbeitung wurde ein grenzüberschreitendes Fach-team zusammengestellt. Dieses intensivierte die Erforschungder Säugetiere und bereitete die gewonnenen Erkenntnissein Beiträgen zu den einzelnen Arten auf.

8

Page 10: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

2. Der Naturraum Liechtensteins

Der Naturraum Liechtensteins wurde bereits in ver-schiedenen Publikationen (BROGGI 1988, BROGGI 2003, SCHLEGEL

2003, WILLI 2006) detailliert beschrieben. Basierend aufdiesen Werken wird nachfolgend eine Kurzübersichtgegeben.

2.1 Vielfalt auf kleinstem Raum

Liechtenstein befindet sich am Nordrand des Alpenbogensungefähr in der Mitte der Ost-Westausdehnung. Die Flächeumfasst 160 km2. Trotz dieser kleinen Landesfläche bestehteine grosse naturräumliche Vielfalt. Diese hat sich weit-gehend aus dem Zusammenspiel der naturräumlichenVoraussetzungen (z.B. Tektonik und Gesteinsaufbau) undder natürlichen Landschaftsentwicklung (Erosion und Ab-lagerung durch Gewässer und Gletscher) ergeben. Einenbedeutenden Einfluss übte zudem die traditionelleagrarische Landnutzung aus.

Zentrale Faktoren für die räumliche Vielfalt Liechtensteinssind:– In Liechtenstein treten alle Höhenstufen auf engstem

Raume auf. Das Hoheitsgebiet des Landes erstreckt sichvom Talgrund des Alpenrheins (tiefster Punkt 430 m ü. M.)bis hinauf in alpine Höhen von rund 2600 m ü. M.

– Günstige Voraussetzungen (lockeres Gestein, steile Hang-gewässer, hohe Dynamik der Fliessgewässer) für dieBildung ausgedehnter Rüfen und Schwemmfächer imÜbergangsbereich zwischen Talgrund und Hanglagen.Am mächtigsten sind die Schwemmfächer in Vaduz undSchaan ausgebildet.

– Differenzierte Ausbildung der Talfüllung durch den Rheinin Verbindung mit den engen Beziehungen zum Grund-wasser des Rheins und seiner Zuflüsse. Das Spektrumreicht von kiesig bis sandigen Böden in Rheinnähe bis zustaunassen Bereichen mit Flachmoorbildung.

– Eisrandstadium im Gebiet zwischen Eschnerberg undFeldkirch in der Endphase der letzten Eiszeit. Die damit inVerbindung stehenden dynamischen Vorgänge habeneinen landschaftlich bedeutenden Formenschatz ge-schaffen und spezielle standörtliche Voraussetzungenhinterlassen. Zeugen sind die Drumlins und Moränen ent-lang des Eschnerbergs und die Bildung grossräumigerSenken mit speziellen hydrologischen Verhältnissen imGebiet Maurer Riet.

– Nutzlandgewinnung durch den Menschen. Das Raum-muster von Wald und Offenland wurde im Zuge der Nutz-landgewinnung im Wesentlichen durch den Menschengeschaffen. Aufgrund des Reliefs haben sich dabei ganzunterschiedliche offene Raumtypen herausgebildet.

Abb. 1 Übersichtskarte Liechtensteins mit den wesentlichen Nutzungs-flächen und wichtigsten Fliessgewässern.

2 01 Kilometer

Siedlungen

Wald

Landesgrenze

Landwirtschaftsgebiet

Reliefkarte (© swisstopo)

Fliessgewässer

Tab. 1 Eckdaten zu Liechtenstein. (Quelle: Amt für Statistik 2011)

Tiefster Punkt 430 m ü. M. (Ruggeller Riet)Höchster Punkt 2599 m ü. M. (Grauspitze)Fläche 160 km2

Waldfläche 66 km2 (41%)Landwirtschaftliche Nutzflächen 53 km2 (33%)Unproduktive Flächen 24 km2 (15%)Siedlungsflächen 17 km2 (11%)

Page 11: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

2.2 An der Grenze von West- und Ostalpen

Geologisch gesehen liegt Liechtenstein an der Grenzezwischen den West- und Ostalpen. Am Aufbau der Bergesind vor allem die Decken des Penninikums und desOstalpins beteiligt. Das Helvetikum tritt nur ganz im Nordenund im Süden des Landes, in Gestalt des Eschner- undFläscher berges, auf. Sie sind Ausläufer der hier abtau -chenden Gebirgsketten der schweizerischen Talseite.Die Basis des Gebirgskörpers bilden penninische Flyschge-steine. Darüber liegt im Süden die Falknisdecke. Diese Ein-heiten sind, wie der Flysch der Basis, im penninischen Raum(d.h. in der Mitte des Ozeans zwischen dem afrikanischenund europäischen Kontinent) abgelagert worden. Die höchste Einheit bildet die dem Ostalpin zugehörigeLechtaldecke (nördliche Kalkalpen). Sie baut grosse Teile desinneralpinen Raums Liechtensteins auf und tritt rhein tal -seitig hauptsächlich in Gestalt des Drei Schwestern-Massivsdominant in Erscheinung.

2.3 Klimatisch begünstigt

Innerhalb des Westwindgürtels liegt Liechtenstein im Übergangsbereich zwischen dem ozeanischen und dem kon-tinentalen Klima. Gegenüber anderen Gebieten mit ähn-lichen grossklimatischen Voraussetzungen sind es haupt-sächlich die Anlage und der Verlauf des Rheintales, welchedifferenzierend wirken. Auf dem Gebiet Liechtensteins ver-läuft das Rheintal in Nord-Südrichtung und wird von der Al-vierkette und dem Alpstein auf der linken Rheintalseitegegen Westen abgeschirmt. Abgesehen von einzelnen Öff-nungen – etwa der Wildhauser Mulde – geniesst Liechten-stein gegenüber den dominanten Westwinden eine Leelage.

Im überregionalen Vergleich fallen die Niederschläge daheretwas geringer aus, wobei sich hauptsächlich die Gegend umVaduz als kleine Trockeninsel herausgebildet hat. Liechtenstein verzeichnet – föhnbedingt – leicht höhereTemperaturwerte als das Schweizer Mittelland, und in allerRegel entwickelt sich die Vegetation auch spürbar früher alsdort. Der Föhn (warmer trockener Fallwind) beeinflusst dieTemperaturen aber selbst innerhalb der Region. Die Anzahlder Föhneinbrüche wie auch deren Dauer nimmt von Südnach Nord deutlich ab. Zudem modifizieren geographischeBesonderheiten den Einfluss des Föhns.

10

Abb. 2 Der tektonische Aufbau Liechtensteins (Louis Jäger in WALDBURGER et al. 2003).

Abb. 3 Liechtenstein weist auf kleinstem Raum ein starkes Höhenrelief von der Rheintalsohle auf 430 m ü. M.bis zu den höchsten Berggipfeln auf 2600 m ü. M. auf.(Foto: Rudolf Staub)

Tektonische Einheit Vorherrschende Gesteine

Triesner Flysch Kieselkalke, Ton- bis Kalk-schiefer, Feinbrekzien

Vaduzer Flysch Kieselkalke und Mergel-schiefer

Vorarlberger Flysch Sandsteine, Mergelschiefer,Kieselkalk

Helvetische Decken Kalke, Mergel, Sandstein,wechselnd

Lechtal-Decke oben: Kalke, Dolomite, Ton-und Mergelschiefer; unten:Buntsandstein, Rauhwacke

Tektonische Einheit Vorherrschende Gesteine

Aroser Schuppenzone Verschiedene Sedimente,basische Eruptivgesteine

Sulzfluh-Decke Kalke, Mergel und Ton-schiefer, Granitlinsen

Falknis-Decke oben: Kalke, Mergel, Ton-schiefer mit Brekzien;unten: Kalke mit Brekzien

Bergstürze / Sackungen

Moräne, Gehängeschutt,Alluvionen

Grafik:Louis Jäger nach Allemann 1956

Drei Schwestern AlpspitzBargellajoch

Schönberg Ochsenkopf Heubühl Rappenstein Falknis

Rhein

Page 12: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

2.4 Lebensräume in Liechtenstein

Siedlungsgebiet

In Liechtenstein sind sehr grosse Flächen rund um die Dörferals Bauzonen ausgeschieden. Die Siedlungen haben sich ausdörflich-ländlichen Strukturen entwickelt. Die ausge wie se -nen Bauzonen weisen daher teils noch eine sehr lückigeBebauung auf. Diese wird jedoch in den letzten Jahrzehntenzunehmend verdichtet. Weit verbreitet ist der Einfamilien-hausbau mit entsprechend individueller Umgebungsge stal -tung. Städtische Strukturen ohne grössere Grünflächen sindnur in den Dorfzentren vorhanden. Damit sind auf weiten Siedlungsflächen noch nicht verbauteGrün- und Restflächen vorhanden, die je nach Ausge stal -tung durch Kleinsäuger genutzt werden können. Die zusammenwachsenden Siedlungen reduzieren dieDurchlässigkeit insbesondere für Grosssäuger. So stellt diezusammenhängende Siedlung zwischen Schaan und Triesen,vielleicht mit Ausnahme der Rüfen, eine weitgehende Wan-derungsbarriere für Grosssäuger dar. Barriereeffekte sindauch bei den zahlreichen Strassen vorhanden.

Fliessgewässer und Uferzonen

Liechtenstein weist aufgrund seiner naturräumlichen Viel -falt auch vielgestaltige Fliessgewässertypen auf. Diesereichen von den Bergbächen mit starker Geschiebeführungüber die nur periodisch wasserführenden Rüfen bis zu denTalbächen und Entwässerungsgräben bzw. vom Grund-wasser gespiesenen Giessenläufe der Talebene. Oft werdendie Gewässer im Talboden von Gehölzen oder Exten siv -wiesen streifen gesäumt. Daraus entsteht ein Grundrastervon möglichen Vernetzungsachsen in der Landschaft. Markant sind die Rüfebäche, die mit ihren ausgedehntenSchuttkegeln das Landschaftsbild dominieren. In den Rüfe -bächen selber ist durch den Geschiebetrieb auch eine ge -wisse Dynamik vorhanden.Die Eingriffsdichte in die Gewässer ist je nach Naturraumunterschiedlich. Weisen die Gewässer der Hänge und des in-neralpinen Berggebiets noch eine gute Vernetzung mitihrem Umland auf, ist der Böschungsfuss der Gewässer amTalgrund meist gesichert und geradlinig verbaut. Diesefehlende Verzahlung des Gewässers mit seinem Umlandreduziert die Eignung dieser Uferstreifen als Säugetier-lebensraum.

11

Baugebiet 2005

Siedlung 1950

Eindolung

natürlich / naturnah

wenig beeinträchtigt

stark beeinträchtigt

naturfremd künstlich

1 0 10.5 Kilometer

Abb. 5 Ökomorphologischer Zustand der Fliessgewässerin Liechtenstein. (RENAT 2006)

Abb. 4 Entwicklung des Siedlungsgebietes in Liechten-stein. (WILLI 2006)

Page 13: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

Kulturlandschaft

Grundlage für die Schaffung der heutigen Kulturlandschaftwar die Rheinkorrektion mit der nachfolgenden Ent-wässerung der Rheinebene sowie der Grundwasserspie-gelabsenkung. Dies ermöglichte die Intensivierung der land-wirtschaftlichen Nutzung auf grösseren Flächen im Talraum.Zunehmend werden die Flächen aus Gründen der Effizienzzu grösseren Schlägen zusammengelegt und bearbeitet. Da-durch geht das frühere kleinräumige Nutzungsmosaik mitverschiedensten nebeneinanderliegenden Vegetations-zuständen verloren.In den Tallagen wird Acker- und Futterbau betrieben.Günstig für den Ackerbau sind vor allem die rheinnahenAllu vialböden, die nicht zur Staunässe neigen. Die ausehemaligen Verlandungen entstandenen Riedgebieteeignen sich primär als Dauerwiese für den Futterbau. Die In-tensivwiesen und Äcker erweisen sich im Vergleich zu denHanglagen als relative Gunstlagen für die Landwirtschaftund werden entsprechend intensiv bewirtschaftet. Die Landwirte Liechtensteins sind im Rahmen der fi-nanziellen Förderung zu einem Mindestanteil an öko-logischem Ausgleich verpflichtet. Dadurch ergeben sichgrössere Flächen mit extensiver Nutzung (keine Düngung,späterer Schnittzeitpunkt). Ein Netz aus Flurgehölzen dientals Windschutz und strukturiert die Landschaft. Oft wurdensie entlang der Entwässerungsgräben angelegt.Hangseitig dominiert der Futterbau mit gemähten Wiesen,allenfalls kombiniert mit einer Weidenutzung, die gegenoben von den Alpweiden abgelöst werden. Um dieehemaligen Ortschaften gab es früher ausgedehnte Streu-obstbestände. Diese gehen durch die Siedlungsausdehnungzunehmend verloren.

Magerwiesen und Moorflächen

Aus Flächen mit besonderen Standorteigenschaften habensich trockene Magerwiesen oder feuchte Moorflächen ent-wickelt. Diese stellen die naturkundlich besonders wertvollenFlächen dar und weisen eine besondere Artenvielfalt aufbzw. bieten Lebensraum für seltene und gefährdete Artenan. Durch die extensive Nutzung besteht ein gutes Angebotan Deckungsstrukturen und Nahrung (Insekten, Samen).Von besonderer Qualität sind dabei die NaturschutzgebieteRuggeller Riet und Schwabbrünnen-Äscher, die beidengrössten Flachmoore in Liechtenstein, sowie die sekundärenstandene Magerwiese an der Rheindamminnenseite.

12

Abb. 6 Zahlreiche Windschutzstreifen untergliedern dieRheintalebene zwischen Schaan und Bendern. Grosse Flächenanteile werden intensiv landwirtschaftlich genutzt.(Foto: Rudolf Staub)

Abb. 9 In der Landwirtschaft werden ökologische Ausgleichsflächen wie diese später gemähte Extensiv wiesefinanziell gefördert. (Foto: Rudolf Staub)

Abb. 8 Die Rheindamm-Innenseite bildet den grössten zusammenhängenden Magerwiesenkomplex Liechtensteins.(Foto: Rudolf Staub)

Abb. 7 Das Ruggeller Riet weist eine hohe Lebensraum-qualität für feuchte- und deckungsliebende Arten auf.(Foto: Rudolf Staub)

Page 14: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

Wälder

41 % der Liechtensteiner Landesfläche sind bewaldet. Damitbilden die Wälder den wichtigsten Biotoptyp in Liechten-stein. Hauptbaumart ist die Fichte mit 56%, gefolgt von derBuche und Föhre/Lärche mit je 13%. Weisstannen nehmen9% ein (ULMER 2000). In der Rheinebene sind natürlicherweise Laubwälder vor-handen, teils treten Föhrenauwälder auf. Auf einzelnenFlächen sind die ursprünglichen Laubholzbestände durchFichten überprägt worden.Heute wird vermehrt auf Naturverjüngung und eine stand-ortverträgliche Baumartenmischung gesetzt. Der Waldbauachtet dabei auf einen angemessenen Laubbaumanteil, umstabile Waldbestände zu erhalten. Daraus ergeben sichimmer mehr Mischwälder.

Alpine Hochlagen

Die alpinen Hochlagen umfassen die offenen, verhältnis-mässig naturnahen Gebiete oberhalb der Waldgrenze. DieFlächen weisen meist einen hohen Strukturreichtum imKleinrelief auf und sind mit Steinen und Felsflächen durch-setzt. Im Bereich der Waldgrenzen treten auch Sträucherund teils Einzelbäume sowie Baumgruppen auf. Entspre-chend hoch ist die Lebensraumvielfalt.Ein Teil der Hochlagen wird alpwirtschaftlich genutzt. DieseNutzung bewirkte auch ein Verschieben der oberen Wald-grenze nach unten und eine Intensivierung auf Teilflächen.Touristisches Zentrum bilden Malbun und Steg mit entspre-chender Infrastruktur wie Skipisten, Langlaufloipen undWanderwegen.

Rudolf Staub13

Abb. 10 Übersicht der Laub-, Misch- und Nadelwälder inLiechtenstein. (SCHMIDER & BURNAND 1988)

Abb. 12 Grössere Flächen des Berggebietes werden alp-wirtschaftlich genutzt. (Foto: Rudolf Staub)

Abb. 11 Das Berggebiet weist grösstenteils noch einehohe Strukturvielfalt auf. (Foto: Rudolf Staub)

1 0 10.5 Kilometer

Laub-Nadelwälder

Nadelwälder

Grünerlenbestände

Laubwälder

Page 15: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

3. Jagd und jagdbare Säugetiere

Die Jagd hat in Liechtenstein eine grosse, langjährige Tradi-tion. Siebzehn Säugetierarten sind im Jagdgesetz als jagdbare Arten aufgeführt. Davon sind vier Arten ganzjäh-rig geschont, das heisst, sie dürfen nicht erlegt werden. Eineneu eingewanderte Art, der 2009 zum ersten Mal in Liech-tenstein beobachtete Marderhund, dürfte der Liste der jagd-baren Arten wohl bald hinzugefügt werden. Dasselbe giltfür die Grossraubtiere Luchs, Bär und Wolf. Durch die Ein-stufung als jagdbare Tierart nach Jagdgesetz besteht nichtnur das Recht zur Bejagung sondern auch zur Hege, dasheisst zum Schutz der Wildart und ihres Lebensraums. DasHauptaugenmerk der Jagd gilt den Schalenwildarten Rot-hirsch, Gämse und Reh. Im Winter wird der Fuchs häufig be-jagt, die Jagd auf Murmeltiere wird während des MonatsSeptember ausgeübt. Die beiden weiteren SchalenwildartenWildschwein und Steinbock spielen eine geringe jagdlicheRolle. Die kleineren Säugetierarten bis Dachsgrösse werdennur sporadisch erlegt. Rund acht Tonnen küchenfertigesWildbret gelangen jedes Jahr durch die Jagd auf den Tisch. Die Jagd ist in Liechtenstein seit 1849 Landesregal. Mit demJagdgesetz vom 30.1.1962 begann in Liechtenstein die Zeiteines modernen Jagdverständnisses. Zur im Jagdgesetz vor-geschriebenen weidgerechten Jagd gehört auch die Hegedes Wildes, die Erhaltung und Pflege des Wildlebensraumesund die Pflicht zur Winterfütterung.

3.1 Die gesetzlichen Grundlagen

Das Land ist in 19 Jagdreviere eingeteilt, die jeweils für dieDauer von acht bis zehn Jahren an Gruppen von Jagdbe-rechtigten verpachtet werden. Die Regierung erhebt injedem Revier eine Jagdabgabe, die die Verwaltungs- und

Aufsichtskosten sowie den Landesanteil an den Kosten derWildschadens- und Verhütungsmassnahmen decken soll. So-weit das Finanzgesetz für das betreffende Jahr nichts ande-res vorsieht, überlässt der Staat den erzielten «Jagdpacht-schilling» den Gemeinden beziehungsweise den Alp- undBürgergenossenschaften. Zum Schutz der Jagd und derWildtiere hat jede Pächtergruppe einen Jagdaufseher zu be-stellen. Die Schusszeiten für die verschiedenen jagdbarenArten, die Höhe der Abschusspläne sowie weitere Jagdbe-triebsvorschriften werden von der Regierung mit Verord-nung festgelegt. Bis 2004 wurde Rotwild und Rehwild angross angelegten Futterstellen intensiv gefüttert. Dies führ-te beim Rotwild zu Massierungen rund um die Futterstellenvon zeitweise über einhundert, andernorts bis zu zweihun-dert Stück. Die negativen Auswirkungen auf den Wald undauf die Wildtiere selbst konnten durch wissenschaftliche Un-tersuchungen belegt und die Grossfütterungen abgeschafftwerden. Die Winterfütterung des Schalenwildes ist seit demWinter 2004/2005 nur noch in Form einer Notfuttervorlagemit Heu gemäss Fütterungskonzept zulässig (KERSTING & NÄSCHER 2008).

3.2 Waldgerechter Wildbestand und wildgerechter Wald

Die Abschussplanung bei allen Huftierarten erfolgt auf-grund von jährlichen Bestandserhebungen. Das Ziel dieserJagdplanung ist ein den Lebensraumverhältnissen angepass-ter, gesunder Wildbestand, und die Ausübung der «weidge-rechten Jagd». Die Altersstruktur der Wildbestände, das Ge-schlechterverhältnis und die Verteilung der Wildtiere imRaum sind dafür entscheidende Faktoren. Die Wildlebens-räume, vor allem für Rothirsch, Gämse und Reh, haben sichin den letzten Jahrzehnten aufgrund der zunehmenden Ver-kehrsdichte, der sich ausbreitenden Siedlungen und der zu-nehmenden Störungen durch Erholungs-, Sport- und Frei-zeitaktivitäten drastisch verschlechtert. Die Tragfähigkeitdes Lebensraums, in erster Linie innerhalb des Waldes, wirddadurch strapaziert. Zu hohe Bestände der grossen Pflan-zenfresser wie Rothirsch, Gämse oder Reh können die Wald-vegetation nachhaltig schädigen. Kann die Nahrungsauf-nahme nicht ungestört ausserhalb des Waldes auf Wiesenerfolgen, wird der Jungwald verbissen, was bei zu hohenWildbeständen zum Ausfall der Waldverjüngung führt.Rund zwei Drittel der Liechtensteiner Bevölkerung wohnt inSiedlungen am Hangfuss von erosionsgefährdeten, steilenHanglagen. Hier spielt der Schutzwald eine entscheidendeRolle für die Bewohnbarkeit dieser Dörfer. Die Liechtenstei-ner Schutzwälder wurden 2005 bis 2007 auf ihre Schutzwir-kung hin geprüft. Das Resultat zeigt zusammenfassend einunbefriedigendes Bild: Die Baumartenmischung wird nochals gut eingestuft, die Stabilität und die Strukturierung alsmässig, die Verjüngung als ungenügend. Die Wildschadensi-tuation im Schutzwald wird wie folgt bewertet: 28% der Flä-che weisen einen tragbaren, 72% einen untragbaren Zu-stand auf. Wenn der Jungwald nicht zeitgerecht dieAufgaben des Altbestandes übernehmen kann, gibt es un-verantwortbare Lücken im Schutzwald. Darum muss bei derWaldbewirtschaftung und bei der Anpassung der Wildbe-

14

Tab. 2 Jagdbare Säugetiere in Liechtenstein

Wildart Schusszeit (Stand 2010) Abschuss-plan

Rothirsch 1. Mai bis 30. November +Reh 1. Mai bis 30. November +Gämse 1. Mai bis 30. November +Steinwild 1. Mai bis 30. November +Schwarzwild 1. August bis 31. Dezember –(Wildschwein)Feldhase 15. Oktober bis 31. Dezember –Schneehase 15. Oktober bis 30. November –Murmeltier 1. bis 30. September +Bisamratte 1. Juni bis 28. Februar –Fuchs 1. Juni bis 28. Februar –Dachs 1. September bis 31. Dezember –Steinmarder 1. Juni bis 28. Februar –Baummarder ganzjährig geschontIltis ganzjährig geschontHermelin ganzjährig geschontMauswiesel ganzjährig geschontWaschbär 1. Juni bis 28. Februar –

Page 16: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

stände der Sicherung des Waldnachwuchses künftig absolu-te Priorität eingeräumt werden (NIGSCH 2009). Anderseits istes wichtig, dass innerhalb des Waldes offene oder halboffe-ne Flächen bestehen, wo ausreichend Licht auf den Waldbo-den gelangen kann und dadurch genügend pflanzliche Bio-masse auch als Futter für die Pflanzenfresser zur Verfügungsteht. In einem Wald mit geschlossenem Kronendach undungenügendem Lichteinfall befindet sich die grüne Biomas-se und damit auch das nutzbare Futter der Pflanzenfresserunerreichbar in den Kronen der Waldbäume. EntsprechendeMassnahmen wurden von den Gemeindeförstern in den letz-ten zehn bis fünfzehn Jahren grossflächig durchgeführt. Fürden Schutz der Wildtiere ist die Einrichtung von Wildruhe-zonen künftig unabdingbar.

3.3 Die Grenzen der Jagd und des Jägers

Vor allem bei der Jagd auf den Rothirsch stossen die Jägerheute an ihre Grenzen. Durchschnittlich werden in Liechten-stein jährlich 85% der im Rahmen der Nachtaxation im Spät-winter erhobenen Rothirschbestände jagdlich abgeschöpft.26 Stück Rotwild werden pro 1‘000 Hektar Rotwildlebens-raum erlegt. In Vorarlberg liegt diese Zahl bei 15 Stück, inGraubünden bei 6 Stück (NÄSCHER 2009). Obwohl sehr hoheAbschusszahlen seit Jahren erfüllt werden (Durchschnitt 211Stück pro Jahr seit 1993) und dadurch das Standwild inLiechtenstein mehr oder weniger schon abgeschöpft wurde,wird der Rothirschbestand durch Zuwanderung aus dem be-nachbarten Vorarlberg jedes Jahr wieder aufgestockt. InVorarlberg wird das Rotwild noch immer durch Intensivfüt-terung durch den Winter gebracht und der Kälberzuwachswird jagdlich nicht abgeschöpft. Die hohen Abschüsse beimSchalenwild erfordern sehr viel Präsenzzeit des Jägers im Revier. Die intensive Bejagung wird damit auch zu einem bedeutenden Störfaktor für das Wild. Zusammen mit denStörungseinflüssen der nichtjagenden Bevölkerung wird da-durch die Scheuheit der Wildtiere erhöht und die Bejagungimmer mehr erschwert und in die Dämmerungszeit derNacht verschoben. In dieser Teufelsspirale stösst die Jagd beiihrer Pflicht zur Erfüllung der vorgegebenen Abschusszahlenan ihre Grenzen.Seit 2010 wird in Liechtenstein und in den benachbarten Ge-bieten Graubündens und Vorarlbergs das Wanderverhaltender Rothirsche durch Markierung und Besenderung unter-sucht, um Klarheit über die grenzüberschreitenden Wechsel-beziehungen zu erhalten und zielführende Massnahmentreffen zu können.

3.4 Warum jagen?

Die Jagd auf wildlebende, jagbare Tiere ist eine Tätigkeit,die tief in der Geschichte der Menschheit verankert ist. Inder heutigen modernen Zeit mag die Jagd für viele Men-schen als überholtes, archaisches Überbleibsel aus vergange-nen Zeiten gelten. Heute spricht man eher von Wildtierma-nagement und beschafft sich das nötige Wissen überWildtiere bei Google und aus Fernsehfilmen. Eine zuneh-

mende Vermenschlichung des Tieres und damit verbundenesMitleid ist feststellbar. Viele Menschen haben Abstand ge-nommen wenn es darum geht, Tiere zu töten um sie zuessen. Der Jäger gibt sich dieser Aufgabe hin und versuchtauf zeitgerechte, moderne Weise die Bestände von jagdba-ren Wildtieren artgerecht zu nutzen und zu regulieren. Erverbringt viel Zeit im Revier und sammelt dabei praktischeErfahrung und Wissen über den Ort, wo er jagt. Eine Art Ehrenkodex existiert in Form der traditionellen und überviele Jägergenerationen überlieferten Begriffe «Weidge-rechtigkeit» und «Hege». Jäger lernen während der gesetz-lich vorgeschriebenen Ausbildung und mit dem von erfahre-nen Kollegen weiter gegebenen Wissen, wie die Jagd mitdem nötigen Respekt gegenüber der Natur und zur Förde-rung und Erhaltung der Wildtierbestände und derer Lebens-räume ausgeübt wird. Diese Aufgabe ist sehr anspruchsvoll,weil bei jeder Wildart und in jedem Wildlebensraum andere Voraussetzungen berücksichtigt werden müssen. Jägerjagen aus Freude an der Jagd und nicht in erster Linie ausdem Pflichtgefühl heraus, dass kranke und schwache Tiereaus der Wildbahn entnommen werden müssen. Dabei ist dieSuche nach möglichst grossen Trophäen nicht Bestandteilvon Weidgerechtigkeit und Hege. Die Jagd kann nur dannnachhaltig sein, wenn Wildbestände und deren Lebensräu-me in einem ausgewogenen Verhältnis stehen. Die Regulie-rung von Wildbeständen ist deshalb eine wichtige öffentli-che Aufgabe, die der Jäger unentgeltlich erfüllt und überden Jagdpachtschilling sowie seine persönlichen Ausgabenauch noch bezahlt. Für die moderne Entwicklung der Jäge-rei ist es wichtig, dass sich die Jäger nach ökologischenGrundsätzen ausrichten. Diese Forderung gilt jedoch für alleNaturnutzer, nicht nur für die Jäger.

Michael Fasel

15

Abb. 13 Das Reh wird neben dem Hirsch in Liechtenstein am stärkstenbejagt. (Foto: Xaver Roser)

Page 17: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

4. Datenquellen

4.1 Zur Geschichte der säugetierkundlichen ErforschungLiechtensteins

Eine erste, sehr summarische Übersicht über die Pflanzen-und Tierwelt Liechtensteins erhalten wir durch ein Kapitel inder Landeskunde von W. Fach: «Liechtenstein, das so einge-hend botanisch erforscht ist, wurde bisher noch nie zoolo-gisch bearbeitet» (FACH 1938). Tatsächlich findet sich bis zudiesem Zeitpunkt keine eigenständige zoologische Arbeitüber Liechtenstein. Den ersten Beitrag über liechtensteini-sche Säugetiere veröffentlichte Ernst von Lehmann, damali-ger Kurator des Zoologischen Forschungsinstitutes und Mu-seums Alexander Koenig in Bonn (VON LEHMANN 1954). Seineweiteren Beiträge mündeten in die erste liechtensteinischeSäugetiermonografie des Jahres 1962 (VON LEHMANN 1955 und1962).

Geringe Erkenntnisse über die Säugetierfauna im Alpenrheintalbis zur Mitte des 20.Jh.

Ähnlich spärlich sind die säugetierkundlichen Publikationenfür das weitere Alpenrheintal. In der Landeskunde von K. ILG

(1961) für Vorarlberg wird von H. Janetschek für die Tierweltfestgestellt, dass «dieses Bundesland zu den zoologisch nochwenig untersuchten Alpenländern gehört». Die entspre-chende Arbeit wurde erstmals mit Fokus auf die Kleinsäugerdurch BAUER et al. (1967) für dieses Bundesland geleistet,wobei man auf frühe Quellen von BRUHIN (1867, 1868) undvon DALLA TORRE (1887) zur Wirbeltierfauna Vorarlbergs zu-rückgreifen konnte. SPITZENBERGER (2006) erstellte für dasösterreichische Bundesland Vorarlberg eine Rote Liste dergefährdeten Säugetiere und behandelt darin auch die Er-kenntnisse über die Kleinsäuger. In der Schweiz verfasste STEINMÜLLER (1821), Pfarrer in Rhein-eck, eine Arbeit über die in der Schweiz einheimischen Säu-getiere. HAUSSER (1995) gibt eine aktuelle Übersicht über dieSäugetiere der Schweiz. Dabei fehlen vertieftere Übersich-ten für das St.Galler Rheintal. Das AMT FÜR RAUMENTWICKLUNG

UND GEOINFORMATION (2009) des Kantons St.Gallens schreibt«über die meisten kleineren Säugetiere ist praktisch nichtsbekannt». Eine Ausnahme bildet die Arbeit über die zoo-geografische Kontaktzone im St.Galler Rheintal von Feld-und Hausspitzmaus (GÜTTINGER et al. 2008). Im Kanton Grau-bünden wurde 2010 «Die Säugetiere Graubündens – eineÜbersicht» publiziert (MÜLLER et al. 2010).

Indirekte Hinweise über andere Quellen

Ansonsten muss man sich für die Beurteilung früherer Ver-hältnisse auf indirekte Quellen stützen. Diese finden wir ei-nerseits in der Auswertung von Speiseresten in neolithi-schen, römerzeitlichen bis mittelalterlichen Siedlungen amEschnerberg, im Eschner Riet und in Schaan (WÜRGLER 1958,HARTMANN-FRICK 1959, 1964, BECK, 1957, SCHÜLKE 1965) sowievon der Burg Hohensax im benachbarten Sennwald (SG)

(WÜRGLER 1956). Ebenso lässt sich einiges aus Archivunterla-gen, z.B. Rentamtsrechnungen mit Angaben über die Aus-zahlung von Prämien für «Raubtiere» und auch Jagdstatisti-ken entnehmen. Damit werden vor allem die grösserenSäugetiere angesprochen und kaum die Kleinsäuger. Vonden ausgerotteten Grosssäugern erhalten wir auch einigeAuskünfte in MÜHLBERG (1887) und HESCHELER (1930), für denBiber in GIRTANNER (1885) und für den Elch in BÄCHLER (1911).

Ernst von Lehmann – Pionier der säugetierkundlichen ErforschungLiechtensteins

Ernst von Lehmann (1912-1991) war als Deutschstämmiger inder polnischen Mathildenhöhe geboren und besuchte dasGymnasium in Posen. Er studierte 1932-36 Landwirtschaftund Zoologie im damals ebenfalls polnischen Danzig, in Hei-delberg, Kiel und Wien. Er floh am Ende des 2. Weltkriegesin den Westen und präparierte Kleinsäuger für Museen inBremen und später in Bonn. Er sammelte in den Jahren1953-1962 vorwiegend Kleinsäuger in Liechtenstein, wasihm hier den Spitznamen «Mäuse-Lehmann» eintrug. SeinHauptwerk «Die Säugetiere des Fürstentums Liechtenstein»veröffentlichte er wie seine weiteren Arbeiten im Histori-schen Jahrbuch des Fürstentums Liechtenstein (VON LEHMANN

1962, 1967). Für diese Monografie erhielt er vom Landes-fürsten Franz Josef II. den Titel eines FL-Professoren. In

seiner Pensionszeit wurde er im Jahre 1981 von der Bota-nisch-Zoologischen Gesellschaft Liechtenstein-Sargans-Wer-denberg nochmals beauftragt vergleichende Kontrollfängebei den Kleinsäugern durchzuführen. Dabei behandelte ererstmals auch die Fledermäuse etwas ausführlicher (von LEH-MANN 1980, 1982). Er schrieb so insgesamt acht Beiträge überdie Säugetierfauna des Landes. Zusammen mit dem Studen-ten Heinz-Josef Knecht verfasste er noch einen Artikel überdie alpine Gelbhalsmaus (VON LEHMANN & KNECHT 1969), wobeider Zweitautor im Jahre 1971 noch einen eigenständigenBeitrag über die vertikale Verbreitung einiger Säugetiereschrieb (KNECHT 1971).

16

Abb 14 Ernst von Lehmann – Pionier der säugetierkund-lichen Erforschung in Liechtenstein.

Page 18: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

Ernst von Lehmann bezeichnete Prinz Hans von Liechten-stein als tragenden Grund aller seiner Unternehmungen mitder Beschaffung von Wohn- und Fahrmöglichkeiten undKenntnis der lokalen Gegebenheiten. Prinz Hans war damalsVorsitzender der Liechtensteiner Jägerschaft und veröffent-lichte als erste zoologische Publikation 1954 eine Liste derAvifauna des Landes (FASEL 1994). Als Jäger standen für ihndie grösseren jagdbaren Tiere eher im Vordergrund der Be-trachtung. Er erstellte für sich privat ein unveröffentlichtesDossier von Aussagen über die Wildschwein-Invasion nachdem 2. Weltkrieg in Liechtenstein der Jahre 1947-1955.

Das 1. Europäische Naturschutzjahr als Katalysator für die natur-kundliche Forschung

Im 1. Europäischen Naturschutzjahr 1970 des Europarateswurde die Botanisch-Zoologische Gesellschaft Liechtenstein-Sargans-Werdenberg e.V. gegründet. Sie sorgte in Zusam-menarbeit mit der zuständigen Amtstelle des Landes dafür,dass Liechtenstein nicht mehr weitgehend eine «weisseLandkarte» bezüglich der Erforschung der einheimischenTier- und Pflanzenwelt verblieben ist. Davon konnte aberdie Säugetier-Erforschung vorerst nicht in vollem Ausmassprofitieren. Es verblieb bei wenigen weiteren Abklärungen.Im europäischen Naturschutzjahr 1970 wurde eine Schriftzur Sensibilisierung für den Natur- und Landschaftsschutz anjeden Haushalt geschickt. In diesem Bericht wurde auch einPortrait des Fischotters als zoologische Rarität abgedruckt(BROGGI 1970). In den Folgejahren wurden einige Arbeitenmit direkten oder indirekten Hinweisen über Säugetier -vorkommen im Historischen Jahrbuch des FürstentumsLiechtenstein veröffentlicht, und zwar zur Fauna in denliechtensteinischen Flurnamen (BROGGI 1973), zu bisherigenNachweisen von Wildschweinen in Gegenwart und Ver -gangenheit (BROGGI 1974), der Ausrottungsgeschichte desGrossraubwildes (BROGGI 1979), der Verlustbilanz der Feucht-gebiete (BROGGI 1984) sowie dem Landschaftswandel im Talraum (BROGGI 1988). Sie alle enthalten auch Aussagen zuSäugetiervorkommen in Liechtenstein. Nur mehr eine weitere Arbeit von Patrik WIEDEMEIER (1990)widmet sich den Kleinsäugern des Naturschutzgebietes Rug-geller Riet. Die übrigen Säugetiere werden in der RuggellerRiet-Monografie in BROGGI (1990) beschrieben. Der Feldhaseist seinerseits Gegenstand einer grenzüberschreitenden Stu-die für das Alpenrheintal (HOLZGANG & PFISTER 2003).

Schalenwildbewirtschaftung erfordert Forschungen

Mit den wachsenden Wald-Wildproblemen wurde die wild-kundliche Forschung in Liechtenstein intensiviert. Den Auf-takt machte das veröffentlichte Gutachten zur integralenSchalenwild-Bewirtschaftung des Forschungsinstitutes fürWildtierkunde der Veterinärmedizinischen Universität inWien (ONDERSCHENKA et al. 1989) und in populärer Fassung(REIMOSER 1990). Ihm folgten zehn weitere Veröffentlichun-gen im Bereich «Wildtiere und Jagd». Sie behandeln dieWald-Wild-Strategie, die Wildlebensräume, die Freizeitnut-

zung, die Grösse der tragbaren Rotwildbestände, das Not-fütterungskonzept, den Abschussplan. FASEL (1990) be-schreibt zudem in einem populären Beitrag die Gams unddie Wildtier-Lebensräume des Schalenwildes. Im UNO-Jahrder Biodiversität folgt ein Beitrag über die Tierartenvielfalt(FASEL 2010). Michael Fasel betreute auch die Pressemittei-lungen des AWNL über erste Beobachtungen des eingewan-derten Luchses sowie des Marderhundes.

Intensive Fledermauserforschung

Am intensivsten wurde bisher die Erforschung der liechten-steinischen Fledermaus-Fauna vorangetrieben. Patrik Wie-demeier erstellte 1984, mit neuen technischen Hilfsmittelnausgestattet, eine Übersicht über die Fledermausarten desLandes (WIEDEMEIER 1984). Die Autoren René Güttinger, HansWietlisbach, René Gerber und Silvio Hoch betreuten die be-deutende Mausohrenkolonie in der Triesner Pfarrkirchewährend der Kirchenrenovation (GÜTTINGER et al. 1994). HOCH

& GERBER (1999) bringen in einem Beitrag in der BZG-Al-penrhein-Monografie einen Überblick über die Fledermäuseam Rhein. BECK et al. (2006) und GÜTTINGER et al (2006a) be-richten über die Nahrung des Grossen Mausohrs (Myotismyotis) und der Breitflügelfledermaus (Eptesicus serotinus)in Liechtenstein. Die Förderung potentieller Jagdhabitatefür das Kleine Mausohr (Myothis blythii) wird in einemgrenzüberschreitenden Konzept für das nördliche Alpen -rheintal im Rahmen des Interreg IIIB–Lebensraumvernet-zung mit Abschlussbericht Mai 2006 vorgelegt GÜTTINGER et al (2006b). Ab 1993 berichtet Silvio Hoch alljährlich als Betreuer der Arbeitsgruppe für Fledermausschutz über ent -sprechende neue Erkenntnisse in den Berichten der Bota-nisch-Zoologischen Gesellschaft Liechtenstein-Sargans-Wer-denberg.

Abklärungen über Neueinwanderer

Die säugetierkundlichen Arbeiten der neuesten Zeit widmensich den Neueinwanderern. In einer Neozoen-Schwerpunkt-nummer der Berichte der Botanisch-Zoologischen Gesell-schaft und der naturkundlichen Reihe des Landes werdendie Neueinwanderer Bisamratte, Waschbär und der zu er-wartende Marderhund angesprochen (BROGGI 2006). Derzoologische Präparator Peter Niederklopfer hat ebenso zumWaschbären in Liechtenstein einen Beitrag geschrieben (NIEDERKLOPFER 2002). KRÄMER (2006) behandelt seinerseits dieAusbreitung der Bisamratte in der Nordostschweiz und zeigtauch den Verlauf der Ausbreitung am Alpenrhein. Auch im Kanton St.Gallen wird den Neozoen grössere Auf-merksamkeit mit einigen Beiträgen in der Naturwissen-schaftlichen Gesellschaft gewidmet (HOFMANN 1993 fürWaschbär und Marderhund, Bisam und Nutria). Auch dieWiedereinwanderer Schwarzwild (BAETTIG 1993) und Biber(RAHM 1993) werden behandelt.

Mario F. Broggi

17

Page 19: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

4.2 Methodisches Vorgehen

Wie in Kapitel 4.1 dargestellt bestand ein sehr unterschied-licher Wissensstand um die Vorkommen und Verbreitung derverschiedenen Säugetierarten in Liechtenstein. Verschiede-ne Aufnahmen lagen zudem bereits längere Zeit zurück. ImSinne der Aktualisierung wurden zwischen 2007 und 2010die Säugetiere intensiver naturkundlich erforscht. Die Bear-beitung erfolgte auf verschiedenen Ebenen unter Beizugentsprechender Fachautoren.

Dazu gehörte:– Der Einbezug der Öffentlichkeit durch ein Faltblatt sowie

Aufrufe in den Landeszeitungen und Medien, Säugetier-beobachtungen zu melden und Kleinsäugerfunde abzu-geben.

– Die Erfassung der Kleinsäuger im Rahmen eines intensi-ven Fallenprogrammes und unter Zuhilfenahme geneti-scher Bestimmungsmethoden.

– Das Schliessen von Wissenslücken zur Verbreitung ausge-wählter Fledermausarten in Liechtenstein.

Das Projekt Kleinsäuger Liechtensteins 2007 bis 2010

Um die Datenlage für die Publikation im Bereich der Insek-tenfresser und Nagetiere zu aktualisieren und zu verbessern,wurde in den Jahren 2007-2010 eine umfassende Aktion mitLebendfallen und einer Bevölkerungsumfrage durchgeführt.Das Projekt stand unter der Schirmherrschaft des Amtes fürWald, Natur und Landschaft. Die wissenschaftliche Beratungübernahmen Dr. Thomas Briner und Dr. Jürg Paul Müller, diebeide zu jenem Zeitpunkt im Bündner Naturmuseum, Chur,tätig waren.Eine Umfrage bei der Bevölkerung, die mit Aufrufen in denMedien ab Oktober 2007 und mit der Verteilung eines Falt-blattes durchgeführt wurde, ergab zahlreiche Meldungenvon Totfunden, vor allen von Katzenopfern, welche von derNaturkundlichen Sammlung entgegengenommen wurden.Sämtliche Objekte wurden nach verschiedenen Kriterien un-tersucht, vermessen und präpariert. Die Resultate dieser Ak-tion vermitteln einen guten Einblick in die Kleinsäugerfaunader Siedlungsgebiete.

18

Abb. 15 Die Kleinsäuger wurden mit Lebendfallen vomTyp Longworth gefangen. (Foto: Jürg Paul Müller)

Abb. 17 Standorte mit Fallenreihen.

2 01 Kilometer

Wald

Fliessgewässer

Landesgrenze

Reliefkarte (© swisstopo)

Fallenreihen

Abb. 16 Verteilung der Fallenreihen (es wurden jeweils 10Fallen in einer Reihe gleichzeitig aufgestellt) und Katzen-fänge auf verschiedene Höhenstufen im Vergleich zur Verteilung der Landesfläche (Flächenverteilung). Die Fallen-reihen repräsentieren in etwa die Verteilung der Landes -fläche, einzig die Höhenstufe zwischen 500 und 1000 müM.ist übervertreten. Funde und Katzenfänge konzentrierensich erwartungsgemäss auf die tieferen Lagen.

Page 20: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

Aus der Bevölkerung ergaben sich zudem zahlreiche Hin-weise zu gut beobacht- und bestimmbaren Säugetierartenwie Igel und Eichhörnchen.Im Zentrum stand eine Grossaktion mit Lebendfallen. 100Fallen vom Typ Longworth wurden während insgesamt 100Nächten an ausgewählten Standorten aufgestellt, die überdas ganze Land und die wichtigsten Lebensräume verteiltwaren. Von Tieren, die im Feld nicht ausreichend bestimmtwerden konnten, wie zum Beispiel die Vertreter der GattungApodemus (Waldmäuse), wurden auf eine schonende WeiseGewebeproben entnommen. Bei diesen wurde die Artbe-stimmung von Dr. Peter Wandeler und seinem Team von derUniversität Zürich mit genetischen Methoden vorgenom-men. In rund 10’000 Fallennächten wurden insgesamt 842Fänge realisiert.

Jürg Paul Müller

Ergänzende fledermauskundliche Erforschung

Die Darstellung der Fledermäuse und ihrer Verbreitung inLiechtenstein beruht auf der Erfassung und Dokumentationder Fledermausfunde seit 1992 durch Silvio Hoch. Auch aus den Auffangstationen und der Beratungstätigkeitergaben sich über die Jahrzehnte immer wieder besondereNachweise von Arten. Zudem wurden – meist in Zusammenarbeit mit René Gerber,Grabs – verschiedene Forschungsprojekte durchgeführt:– Erfassen von Fledermausquartieren in öffentlichen Ge-

bäuden, Kirchen und Kapellen (1993/94)– Untersuchungen zur Lebensraumnutzung der Wasserfle-

dermaus (Myotis daubentonii) im Vorfeld der BZG-Al-penrhein-Monografie

– Netzfangaktionen in unterschiedlichen Lebensräumen– Aufzeichnung und Analyse von Fledermausrufen aus

sämtlichen Lebensräumen Liechtensteins (2007-2010)– Regelmässige Kontrolle von rund 70 Fledermauskästen in

verschiedenen Lebensräumen

Im Rahmen der Erarbeitung des Grundlagenwissens für dievorliegende Darstellung der Fledermäuse wurden vier Ver-tiefungen durchgeführt:– Vorkommen der drei Langohrarten in Liechtenstein mit

Erfassung von Felddaten und Bestimmung der DNA-Pro-ben (Silvio Hoch, Monika Gstöhl, Andreas Kiefer)

– Abklärung des Vorkommens des Kleinen Mausohrs in derWochenstubenkolonie der Triesner Pfarrkirche (René Güt-tinger, Silvio Hoch)

– Ultraschalldetektor-Kontrolle von Pipistrellus-Quartieren(Silvio Hoch)

– Stellnetzfänge an geeigneten Standorten und Besende-rung mit anschliessender Telemetrierung von Arten mitgeringen Kenntnissen (Silvio Hoch, René Güttinger, Moni-ka Gstöhl, René Gerber)

Methoden:Netzfänge: Im Rahmen verschiedener Projekte wurden Netz-fänge durchgeführt. Feinmaschige Netze, wie sie teilweiseauch zum Zwecke der Vogelberingung Verwendung finden,werden auch zum Fang von Fledermäusen eingesetzt. DieFangquote ist allerdings wesentlich geringer als beim Vogel-fang, da Fledermäuse durchaus in der Lage sind, das feineNetz mit ihrer Ultraschall-Echoortung zu erkennen. Netzfän-ge werden durchgeführt, wenn es darum geht:– Artenspektrum und Häufigkeit in einem bestimmten Le-

bensraum zu erfassen– Artenspektrum und Häufigkeit an einem Schwärm- bzw.

Winterquartier zu erfassen– Fortpflanzungsnachweis durch den Fang von trächtigen

oder säugenden Weibchen zu erbringen– Geeignete Tiere für die Telemetrie zu finden

Beringung: Um Fledermäuse zu markieren, werden offeneRinge passender Grösse verwendet, die den Unterarm um-schliessen, ohne die Flughaut zu verletzen. Die Ringe trageneinen Buchstaben- und Zahlencode sowie den Namen derBeringungszentrale. Solcher Art markierte Fledermäuse sindbei Wiederfängen individuell zu erkennen. Die Beringungliefert Daten zur:– Altersbestimmung und Lebensdauer– Erfassung des Aktionsradius’– Erforschung von Flugrouten und Flugdistanzen

19

Abb. 18 Ein Braunes Langohr (Plecotus auritus) wird ausdem Netz befreit. (Foto: Silvio Hoch)

Abb. 19 Beringtes Männchen des Kleinen Abendseglers(Nyctalus leisleri). Männchen tragen die Armspange amrechten Unterarm. (Foto: Silvio Hoch)

Page 21: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

– Im Rahmen der Untersuchungen zur Lebensraumnutzungder Wasserfledermaus (Myotis daubentonii) im RaumeLiechtenstein-Werdenberg wurden über 400 Wasserfle-dermäuse beringt. Aktuell werden in Liechtenstein imRahmen eines europäischen Projektes zu Erfassung derFlugrouten und Flugdistanzen Kleine Abendsegler(Nyctalus leisleri) beringt.

Telemetrie: Minisender von 0.3–1.5 g werden Fledermäusenins Rückenfell geklebt oder mitttels eines Halsbandes im Nacken befestigt. Die Signale des Senders können mit Antenne und Funkgerät empfangen und der jeweilige Auf-enthaltsort des besenderten Tieres kann so exakt erfasstwerden. Die Telemetrie liefert Daten, um:– Tagesquartiere zu finden– Flugstrassen und Aktionsradius zu ermitteln– Jagdgebiete, Dauer von Jagdaktivität und -pausen zu er-

fassen

Ultraschall-Analyse: Die Ultraschall-Ortungsrufe der Fleder-mäuse können mit Detektoren hörbar gemacht und aufge-zeichnet werden. Diese 10fach verlangsamten Aufzeichnun-gen können am PC mit Hilfe eines Programms analysiertwerden. Dazu werden die Rufsignale auf einer Frequenz-und einer Zeitachse grafisch dargestellt. Farben geben aus-serdem die unterschiedlichen Intensitäten wieder. Zahl -reiche Features erlauben es u.a., die Länge, die Frequenz desmaximalen Schalldruckes und den Frequenzumfang einesSignals exakt zu ermitteln. Diese Eigenschaften eines Signalssind oft arttypisch, so dass in den meisten Fällen die Art-oder zumindest die Gattungszugehörigkeit bestimmt wer-den kann. Seit 2007 sind in Liechtenstein rund 2’500 Fleder-

mausrufe aufgezeichnet und analysiert worden. Zukünftigsollen auch automatische Ultraschall-Aufzeichnungsgerätewie «Batlogger» und «Batcorder» eingesetzt werden.

DNA (oder DNS)-Analyse: Deoxyribonucleic acid (DNA) oderDesoxyribonukleinsäure (DNS) ist das Biomolekül, das inallen Lebewesen die Erbinformationen trägt. In den Zellenbefindet sich ein Grossteil der DNA in den Zellkernen und istdort als Chromosomen organisiert. Ein kleiner Teil der zellu-lären DNA befindet sich in den Mitochondrien, zur Energie-gewinnung wichtigen Zellorganellen. Teile der mitochon-drialen DNA (mtDNA) eignen sich zur genetischenArtbestimmung, da die Unterschiede in diesen Abschnittenzwischen Individuen verschiedener Arten deutlich grössersind, als zwischen Individuen derselben Art. Die DNA-Analy-se ermöglicht:– Die genetische Artbestimmung– Die Untersuchung der Verwandtschaftsverhältnisse inner-

halb einer Population– Ein besseres Verständnis der Evolution und der Ver-

wandtschaft zwischen verschiedenen Arten– DNA kann nicht nur aus Gewebeproben, sondern auch

aus den stets im Fledermauskot vorhandenen Darm-schleimhautzellen gewonnen werden.

Um einen umfassenden Überblick über das Vorkommen derdrei Langohrarten (Gattung Plecotus) zu erhalten, wurdeninsgesamt 36 Gewebeproben aus der NaturkundlichenSammlung und Kotaufsammlungen aus potentiellen Lang-ohrquartieren durch Vermittlung von Andreas Kiefer an derUni Mainz einer DNA-Analyse unterzogen.

Silvio Hoch

20

Abb. 20 Die Grafik zeigt den Sozialruf der Mückenfledermaus, zusammen mit Ortungsrufen von Mücken- und Zwerg -fledermaus. Unten ist die Zeitachse in ms (Millisekunden), links die Frequenzachse in kHz (Kilohertz). Im oberen Bereichist das Powerspektrogramm eingeblendet. Es zeigt die Frequenzen mit den grössten Schallintensitäten an.

Ortungsruf derZwergfledermaus bei 44,8 kHz

Ortungsrufe derMückenfledermaus bei 56,5 kHz

Sozialruf der Mückenfledermaus bei 22,8 kHz

Page 22: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

5. Systematik

Die nachfolgende Tabelle 3 gibt eine systematische Über-sicht über die Säugetiere Liechtensteins. Die Reihenfolge derInsektenfresser, Nagetiere, Hasenartigen und Raubtierefolgt der Systematik der Säugetiere der Schweiz (HAUSSER

1995). Bei den Fledermäusen werden jeweils die Arten einerGattung zusammen dargestellt. Die Angaben zu Gewicht,

Kopf-Rumpf-Länge bzw. der Spannweite bei den Fleder-mäusen orientieren sich – sofern vorhanden – an den einzel-nen Artbeschrieben oder wurden aus Standardwerken er-gänzt (MARCHESI 2009, SCHOBER & GRIMMBERGER 1987). Siedienen primär einem groben Grössenvergleich und verdeut-lichen die markanten Grössenunterschiede innerhalb derKlasse der Säugetiere.

21

Tab. 3 Übersicht der Liechtensteiner Säugetiere mit Angaben zu Gewicht und Grösse

Familie/Ordnung Art Art (wiss) Gewicht Kopf-Rumpf-Länge (cm)

Ordnung InsektenfresserIgel Braunbrust- oder Westigel Erinaceus europaeus 0.8-1.7 kg 25-30Spitzmäuse Waldspitzmaus Sorex araneus 7-13 g 6.6-8.8

Schabrackenspitzmaus Sorex coronatus 6-12 g 6.8-8Zwergspitzmaus Sorex minutus 3-6 g 4.4-6.2Alpenspitzmaus Sorex alpinus 5-11 g 6.2-8.7Wasserspitzmaus Neomys fodiens 12-19 g 7.2-9.6Sumpfspitzmaus Neomys anomalus 8-16 g 6.4-8.8Hausspitzmaus Crocidura russula 6-14 g 6.4-8.4Gartenspitzmaus Crocidura suaveolens 3-8 g 5.5-7.7Feldspitzmaus Crocidura leucodon 7-13 g 6.4-8.4

Maulwürfe Europäischer Maulwurf Talpa europaea 45-100 g 12.4-14.4

Ordnung Fledermäuse Spannweite (cm)Hufeisennasen Grosse Hufeisennase Rhinolophus ferrumequinum 17-34 g 35-40

Kleine Hufeisennase Rhinolophus hipposideros 4-8 g 19-25

Glattnasen Kleine Bartfledermaus Myotis mystacinus 4-7 g 19-23Fransenfledermaus Myotis nattereri 7-12 g 25-28Grosses Mausohr Myotis myotis 20-35 g 35-42Kleines Mausohr Myotis oxygnathus 15-28 g 35-40Bechsteinfledermaus Myotis bechsteini 7-13 g 25-30Wasserfledermaus Myotis daubentonii 6-13 g 24-27Braunes Langohr Plecotus auritus 6-10 g 24-28Alpenlangohr Plecotus alpinus 6-11 g 25-29Graues Langohr Plecotus austriacus 6-12 g 25-29Mopsfledermaus Barbastellus barbastella 7-12 g 26-29Zwergfledermaus Pipistrellus pipistrellus 4-7 g 19-23Rauhautfledermaus Pipistrellus nathusii 6-15 g 23-25Mückenfledermaus Pipistrellus pygmaeus 4-8 g 18-20Weissrandfledermaus Pipistrellus kuhlii 5-10 g 21-22Breitflügelfledermaus Eptesicus serotinus 14-33 g 32-38Nordfledermaus Eptesicus nilssoni 8-17 g 24-28Zweifarbenfledermaus Vespertilio murinus 12-20 g 27-33Kleiner Abendsegler Nyctalus leisleri 13-20 g 26-32Grosser Abendsegler Nyctalus noctula 19-40 g 35-40Alpenfledermaus Hypsugo savii 5-10 g 21-23

Ordnung NagetiereHörnchen Eichhörnchen Sciurus vulgaris 300-400 g 20-25

Alpenmurmeltier Marmota marmota 3-6 kg 45-58Biber Biber Castor fiber 23-35 kg 83-100

Page 23: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

Familie/Ordnung Art Art (wiss) Gewicht Kopf-Rumpf-Länge (cm)

Ordnung NagetiereSchläfer Gartenschläfer Eliomys quercinus 45-120 g 10-17

Siebenschläfer Glis glis 70-180 g 13-19Haselmaus Muscardinus avellanarius 15-40 g 6-9

Langschwanzmäuse Zwergmaus Micromys minutus 3.5-13 g 5.8-7.6Waldmaus Apodemus sylvaticus 15-35 g 7.7-11Gelbhalsmaus Apodemus flavicollis 30-50 g 8.8-13Alpenwaldmaus Apodemus alpicola 25-35 g 8.6-9.6Wanderratte Rattus norvegicus 230-500 g 19-27Hausratte Rattus rattus 75-230 g 16-24Hausmaus Mus domesticus 15-30 g 7.5-10.3

Wühlmäuse Rötelmaus Myodes glareolus 18-35 g 8.5-11Schermaus Arvicola terrestris 54-150 g 12-17Kleinwühlmaus Pitymys subterraneus 13-23 g 7-10Feldmaus Microtus arvalis 20-35 g 9-12Erdmaus Microtus agrestis 30-45 g 9.5-13.3Schneemaus Chionomys nivalis 30-56 g 5.6-7.6Bisamratte Ondatra zibethicus 0.8-1.6 kg 30-36

Ordnung HasenartigenHasen Feldhase Lepus europaeus 3-6 kg 48-67

Schneehase Lepus timidus 1.8-3.5 kg 48-60Ordnung RaubtiereKatzen Luchs Lynx lynx 17-25 kg 80-120Hunde Wolf Canis lupus 25-80? kg 100-160

Fuchs Vulpes vulpes 6-10 kg 50-80Marderhund Nyctereutes procyonoides 8-9 kg 50-65

Bären Braunbär Ursus arctos 140-320 kg 100-280Kleinbären Waschbär Procyon lotor 4-9 kg 40-70Marder Dachs Meles meles 9-18 kg 60-90

Steinmarder Martes foina 0.8-2.5 kg 40-56Baummarder Martes martes 0.8-1.8 kg 40-48Iltis Mustela putorius 0.5-1.7 kg 28-46Hermelin Mustela erminea 85-360 g 21-37Mauswiesel Mustela nivalis 27-100 g 14-19Fischotter Lutra lutra 6-12 kg 59-90

Ordnung PaarhuferEchte Schweine Wildschwein Sus scrofa 47-200 kg 130-180Hirsche Rothirsch Cervus elaphus 100-220 kg 190-250

Reh Capreolus capreolus 18-35 kg 95-135Elch Alces alces Bis 800 kg

Hornträger Gämse Rupicapra rupicapra 25-50 kg 115-150Alpensteinbock Capra ibex 40-140 kg 115-170Wisent Bison bonasus Bis 900 kg Bis 300Auerochse Bos primigenius Bis 1 T Bis über 300

22

Page 24: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

6. Artbeschriebe

Nachfolgend werden die in Liechtenstein heute vorkom-menden oder historisch nachgewiesenen Arten im Detailvorgestellt. Vorgängig werden jeweils die verschiedenenOrdnungen mit ihren äusseren Merkmalen und biologischenBesonderheiten beschrieben, sowie kurz die Familienmerk-male mit den jeweiligen Artzahlen erwähnt. Diese Ord-nungs- und Familienmerkmale gelten jeweils auch für diezugehörigen Arten. Dadurch können die Merkmalsbeschrei-bungen bei den einzelnen Arten kürzer gehalten werden.Die Reihenfolge orientiert sich an der Tabelle 3 wobei dieNeozoen (Bisamratte, Marderhund, Waschbär) und nur historisch nachgewiesene Paarhuferarten (Elch, Wisent,Auerochse) in einem eigenen Kapitel am Schluss zusammen-gefasst werden.

Die einzelnen Artbeschriebe sind unterteilt in die Kapitel:

Merkmale

Diese beschreiben typische und auffällige äussere Merkmaleoder Besonderheiten beim Körperbau einer Art. Hier findensich teilweise auch Angaben zu Grösse oder Gewicht. AufSchwierigkeiten bei der Bestimmung wird hingewiesen. Dievorliegende Säugetiermonografie ist jedoch kein Bestim-mungsbuch. Hierfür wird auf die einschlägige Literatur ver-wiesen (z.B. MARCHESI et al. 2009).

Biologie

Hier finden sich Angaben zum Nahrungsspektrum, zur Fort-pflanzung, zu Überwinterungsstrategien oder zum Aktivi-tätszeitraum. Daneben werden biologische Besonderheitenoder Strategien, z.B. beim Nahrungserwerb, erwähnt.

Verbreitung

In einem ersten Teil wird die weltweite Verbreitung kurz be-schrieben und danach auf Liechtenstein eingegangen. Wich-tige ältere Nachweise z.B. aus von LEHMANN 1962/1982 wer-den dabei textlich erwähnt. In den Karten sind aktuelleFunde (Fundortdatenbank der Arbeitsgruppe für Fleder-mausschutz, Nachweise im Rahmen des Kleinsäugerprojek-tes 2007-2010, aktuelle Hinweise aus der Bevölkerung) dar-gestellt. Diese Fundkarten widerspiegeln teilweise nurlückenhaft die effektive Verbreitung der einzelnen Arten.Darauf wird jeweils im Text oder der Kartenlegende hinge-wiesen.Einzig bei ausgewählten Paarhufern konnte aufgrund vonProjekten bzw. Angaben des Amtes für Wald, Natur undLandschaft eine eigentliche Verbreitungskarte erstellt wer-den.Bei mehreren Arten ohne aktuelle Nachweise oder mit einerallgemeinen aber nicht aktuell erfassten Verbreitung wurdeauf die Kartendarstellung verzichtet.

Lebensraum

Hier werden die Anforderungen der Arten an Typ und Qua-lität ihres Lebensraumes beschrieben. Dazu gehören auchdie Jagdlebensräume der Fledermäuse wie auch deren Quar-tierstandorte.

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Die vorliegende Monografie ist keine Rote Liste im klassi-schen Sinn. Trotzdem kann bei verschiedenen Arten die Ge-fährdungssituation grob eingeschätzt werden. Aufgrundder Lebensraumansprüche lassen sich auch allfällige Schutz-massnahmen formulieren.

Abb. 21 Hintergrund der Kartendarstellung mit Höhenrelief (© swisstopo),der Waldkartierung, dem übergeordneten Fliessgewässernetz sowie derLandesgrenze (© Liechtensteinische Landesverwaltung und FL-Tiefbauamt2011). Dargestellt sind jeweils Einzelnachweise (z.B. Fallenfänge, Katzen-funde, Beobachtungen) oder – sofern detaillierte Angaben für eine Beurtei-lung vorhanden waren – Verbreitungsgebiete.

2 01 Kilometer

Einzelnachweise

Verbreitungsgebiet

Fliessgewässer

Wald

Landesgrenze

Reliefkarte (© swisstopo)

Page 25: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

Ordnung Insektenfresser (Insectivora)

Merkmale

Früher zählten die Systematiker viele Gruppen von Säuge-tieren, die sich vorwiegend von wirbellosen Tieren ernähren,zu den Insektenfressern. Dank genetischen Studien wurdeaber klar, dass zum Beispiel die Goldmulle und die Elefan-tenspitzmäuse nicht zu den eigentlichen Insektenfresserngehören und eigene Entwicklungslinien darstellen. Daherwerden die Insectivora im engeren Sinn neu als «Eulipo-typhla» bezeichnet, ein Name, der sich noch nicht durchge-setzt hat. Die Insektenfresser sind eine ursprüngliche Grup-pe von Säugetieren und weisen viele urtümliche Merkmaleauf. So sind sie Halbsohlen- oder Sohlengänger. Sie besitzennoch die ursprüngliche Zahl von fünf Zehen und fünf Fin-gern. Der Schädel ist lang und flach. Das Gebiss besteht auszahlreichen spitzhöckrigen Zähnen. Es ist ein typischesFleisch fressergebiss. Der Maulwurf besitzt noch die ur-sprüngliche Zahl von 4 x 11 oder 44 Zähnen. Die Insekten-fresser haben eine lange rüsselförmige Schnauze und verfü-gen über einen leistungsfähigen Geruchs- und Tastsinn.Es wäre falsch, die Insektenfresser nur als primitive Säuge-tiere anzusehen. Verschiedene Arten oder Gruppen zeigenausgeprägte Spezialisierungen. Der Maulwurf baut mit seinen als Grabschaufeln ausgebildeten VorderextremitätenGangsysteme, um seine Hauptnahrung, die Regenwürmereffizient zu jagen. Der Igel verfügt zur Feindabwehr überein Stachelkleid. Die Wasserspitzmaus macht unter WasserJagd auf wirbellose Tiere und besitzt dazu zahlreiche Anpassungen wie etwa einen Ruderschwanz. Mit Ausnahme Australiens, der Antarktis, Grönlands undgrosser Teile Südamerikas leben Insektenfresser auf der gan-zen Erde. Sie besiedeln die verschiedensten Lebensräumevon den Regenwäldern der Tropen bis zu den Kältezonender Gebirge und der Nordhalbkugel.

Biologie

Insektenfresser sind eher kleine Tiere. Mit der knapp zweiGramm schweren Etruskerspitzmaus gehört auch das kleins-te nicht fliegende Säugetier in diese Gruppe. Zur Nahrunggehören neben Insekten der verschiedensten Gruppen undStadien auch andere Gliederfüssler, Weichtiere und sogarkleine Wirbeltiere. Aas wird regelmässig gefressen, seltenerhingegen pflanzliche Nahrung. Wegen der verhältnismässiggrossen Körperoberfläche sind der tägliche Nahrungsbedarfund der Energieumsatz sehr hoch. Hoch ist auch die Fort-pflanzungsrate, dafür ist die Lebensdauer der einheimi-schen Arten mit meistens einem knappen Jahr sehr kurz(Ausnahme Igel). Die Jungen werden als ausgeprägte Nest-hocker geboren und sind bei der Geburt nackt, blind undzahnlos.Bei der innerartlichen Kommunikation spielt der Geruchs-sinn eine grosse Rolle. Viele Arten leben einzelgängerischund territorial, es kommen aber auch soziale Systeme vor.

Familien

Igel (Erinaceidae)

In Liechtenstein kommt nur eine Art vor, die man korrekter-weise immer Westigel nennen sollte. Bereits im Tirol lebt dernahe verwandte Ost- oder Weissbrustigel. Das besondereMerkmal der Igel ist ihr Stachelkleid, das der Feindabwehrdient und mit einer speziellen Muskulatur in Stellung ge-bracht werden kann. Igel nehmen im Gegensatz zu anderenInsektenfressern regelmässig pflanzliche Kost zu sich. Im FL:1 Art

Spitzmäuse (Soricidae)

Diese relativ kleinen Insektenfresser besitzen eine spitze undsehr bewegliche Schnauze und kleine Augen. Spitzmäusesind ausgesprochen kurzbeinig. Der Geruchssinn und derTastsinn sind sehr gut entwickelt. Die einzelnen Arten habensich oft an ganz spezielle Lebensbedingungen angepasst wiezum Beispiel die Wasserspitzmaus. Die meisten Spitzmäusebevorzugen Lebensräume mit einer reich strukturierten Bo-denoberfläche, die viel Deckung bietet. Im FL: 8 Arten

Maulwürfe (Talpidae)

Die Maulwürfe besitzen einen langen, walzenförmigen Kör-per, vom dem der Kopf kaum abgesetzt ist. Die Vorderfüssesind zu breiten Grabschaufeln umgeformt. Die Augen sindklein oder funktionslos. Das Fell besitzt keinen Strich, alsokeine eindimensionale Ausrichtung der Haare. Maulwürfesind hervorragend an das Leben im Boden und an das Gra-ben angepasst. Südlich der Alpen kommt neben dem Euro-päischen Maulwurf noch der Blindmaulwurf vor. Im FL: 1 Art

Jürg Paul Müller

24

Abb. 22 Wasserspitzmaus (Foto: René Güttinger)

Page 26: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen
Page 27: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

Braunbrust- / Westigel (Erinaceus europaeus)Ordnung: Insektenfresser (Insectivora)Familie: Igel (Erinaceidae)

Foto: René Güttinger

Merkmale

Der allseits bekannte Igel ist mit seinem mit bis zu 8’000 Sta-cheln besetzten Rücken unverwechselbar. Die zwei bis dreiZentimeter langen, aufstellbaren Stacheln fehlen lediglichan Kopf, Beinen und Bauchseite. Durch ihre helle Grundfar-be mit einem dunkelbraunen Band verleihen sie dem Igelein kontrastreiches Aussehen. Die plumpe, kompakte Ge-stalt und die kurzen Beine sind eine Anpassung an das Lebenam Waldboden. Ausgewachsene Igel erreichen 30 cm Kör-perlänge und im Herbst, vor Beginn der Winterruhe, ein Ge-wicht bis 1700 Gramm. Das spitze Gesicht und die lang ge-zogene Nase eignen sich hervorragend um Weichtiere undWürmer im Laub aufzustöbern.

Biologie

Der Igel ist vorwiegend dämmerungs- und nachtaktiv, wes-halb man ihn nur selten zu Gesicht bekommt. Von Novemberbis März/April halten Igel Winterschlaf. Dafür tragen sie tro-ckenes Laub zu einem Nest zusammen. Die Körpertempera-tur fällt im Winterschlaf auf bis zu 1-5°C. Bei lang anhalten-der Trockenheit und Hitze im Sommer sind Igel ebenfallsinaktiv und machen eine Ruhephase bis sich die Wetterver-hältnisse bessern. Es werden Temperaturen zwischen 8-20°Cbevorzugt.Igel sind auf der Nahrungssuche nicht wählerisch. Mit ihremausgezeichneten Geruchsinn spüren sie versteckte Kleintie-re, Insekten, Würmer und Schnecken auf. Auch Eier, Aas,junge Mäuse und Eidechsen werden nicht verschmäht. Gele-gentlich fressen sie heruntergefallenes Obst. In der Nähemenschlicher Siedlungen werden vor allem Komposthaufenund Gärten nach Essbarem abgesucht. Als willkommene Ab-wechslung fressen Igel auch Hunde- und Katzenfutter, dasüber Nacht draussen stehengelassen wurde. Die Paarungszeit des einzelgängerisch lebenden Igels liegtim April/Mai. Häufig ist zu dieser Zeit ein lautes Schnaufenund Fauchen zu hören, wenn die Männchen über grosse Dis-tanzen umherstreifen, um paarungsbereite Weibchen zu fin-den. Diese sind zur Paarungszeit ortstreu und beanspruchenein Revier von 3-5 ha. Zur Paarung legen die Weibchen ihreStacheln eng an den Körper und drücken den Bauch an denBoden um die Männchen nicht zu verletzen. Nach 32-35Tagen werden drei bis acht Junge im Nest geboren. JungeIgel sind Nesthocker und verlassen mit drei bis vier Wochenzum ersten Mal das Nest, mit fünf bis acht Wochen werdensie selbständig. Zu diesem Zeitpunkt wiegen die Jungigel

26

Abb. 23 Das Stachelkleid schützt den Igel vor Fressfeinden. (Foto: René Güttinger)

Page 28: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

etwa 300 Gramm. Um genügend Fettreserven für die Win-terruhe zu haben, müssen sie ihr Gewicht vor Winterein-bruch auf mindestens 600 Gramm verdoppeln. Igel haben eine hohe Lebenserwartung von acht bis zehnJahren, jedoch ist die Sterblichkeitsrate von 80% im erstenLebensjahr sehr hoch. Gegen Angreifer und Gefahren weh-ren sie sich durch das Zusammenrollen zu einer stacheligenKugel. Sie verstecken dabei den stachellosen, verletzlichenKopf und Bauch. Zusätzlich sind Igel sehr gift-tolerant;weder das Gift von Bienen, Wespen und Ölkäfern, nochBlausäure oder Tetanusinfektionen können ihnen schaden.Igel wurden ausserdem öfter dabei beobachtet, wie sieihren Stachelpanzer mit Speichel benetzen. Ob dies der Ei-gengeruchsintensivierung bzw. -verringerung, dem Schutzvor Ektoparasiten oder sonst einer Funktion dient, ist unbe-kannt.

Verbreitung

Der Braunbrustigel ist in Europa von Portugal über Spanien,Frankreich und Deutschland bis nach West-Polen verbreitet.Ebenso findet sich ein ausgedehntes Vorkommen in den Bal-tischen Staaten und West-Russland über Finnland, Schweden

und Norwegen. Im Süden reicht seine Verbreitung bis Ita-lien. Ebenfalls besiedelt werden die Britischen Inseln sowiedie grösseren Mittelmeerinseln. In Osteuropa und Nordasienwird der Braunbrustigel durch den eng verwandten Weiss-brustigel ersetzt. In Neuseeland wurden Braunbrustigel aus-gesetzt. In der Schweiz ist der Braunbrustigel landesweit verbreitet,während er in Österreich nur die westliche Landeshälfte be-siedelt und im Osten vom Weissbrustigel abgelöst wird.In Liechtenstein ist der Braunbrustigel landesweit bis in eineHöhe von etwa 1000 m ü. M. und in den Niederungen vonBalzers bis Ruggell häufig anzutreffen. Da er tagsüber ver-steckt lebt und nur schwer zu beobachten ist, stammen diemeisten Nachweise aus den Siedlungsgebieten Schaan,Vaduz, Balzers und Eschen, wo er abends im Scheinwerfer-licht und in Gärten beobachtet wird. In Liechtenstein sindEinzelbeobachtungen bis ins Gebiet Steg-Malbun bekannt,wobei es sich dabei vermutlich um umherstreifende Männ-chen handeln dürfte.

Lebensraum

Der Igel ist ursprünglich Bewohner von Laubwaldrändernund reich strukturierten Kulturlandschaften. Da natürlicheheckenreiche Landschaften zunehmend verschwinden, hatsich der Igel als Kulturfolger die reich strukturierten Gärtenund Parks in Siedlungen als Lebensraum erobert. Offenes,deckungsloses Gelände wird gemieden. Zur Winterruhe undals Tagesversteck nutzt der Igel Laub- und Asthaufen, dichteHecken, Erdbauten anderer Tiere und enge Höhlen. Auf dennächtlichen Streifzügen können Igel mehrere Kilometer proNacht zurücklegen. Besonders die Männchen beanspruchengrosse Gebiete bis zu 100 Hektaren.

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Obwohl der Igel durch seinen dichten Stachelpanzer sehrgut vor Angriffen geschützt ist, vermögen doch einige Artendiese Abwehr zu durchdringen. So kann der Uhu mit seinenlangen Fängen den Stachelpanzer durchstechen. Ebenso istder Dachs in der Lage, den eingerollten Igel mit seinen kräf-tigen Pfoten zu überlisten. In der Nähe menschlicher Sied-lungen ist der Strassenverkehr sicherlich die grösste Gefahr,der jährlich unzählige Igel zum Opfer fallen. Durch die zu-nehmende Lebensraumfragmentierung wird sich diese Ge-fahr in Zukunft weiter vergrössern. Biozide und Insektizide,die in Gärten und in der Landwirtschaft eingesetzt werden,töten nicht nur die Nahrung des Igels, sondern sind auch fürdiesen selbst schädlich. Durch den Schutz und Erhalt struk-tur- und heckenreicherer Landschaften, mehr Rücksicht beimStrassenverkehr und vermindertem Einsatz von Pestizidenkann dem Igel geholfen werden.

Rudolf Staub

27

Abb. 24 Der Igel ist landesweit mit einem Schwerpunkt inden Tieflagen verbreitet. Die Karte beruht auf Sichtmel-dungen aus der Bevölkerung. Diese konzentrieren sich ent-sprechend auf das Siedlungsgebiet.

2 01 Kilometer

Page 29: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

acht Junge. Als extreme Nesthocker öffnen diese die Augenerst am 21. Tag. Wenige Tage später erfolgt der Durchbruchder Zähne. Die Lebensdauer der Waldspitzmäuse beträgtmaximal 16 Monate. Einen zweiten Winter erleben sie nicht.Im Herbst findet man viele tote alte Tiere, die an ihren dür-ren Schwänzen, an denen man jeden Schwanzwirbel sieht,gut zu erkennen sind.Im Tageslauf wechseln Aktivitäts- und Ruhephasen ab. Dierund 10 bis 15 Aktivitätsphasen pro Tag dauern zwischen 30und 120 Minuten. Im Winter ist die Aktivität etwas einge-schränkt.Mit Ausnahme der säugenden Weibchen und ihren Jungenleben Waldspitzmäuse einzelgängerisch, besetzen Territo-rien und sind gegenüber Artgenossen relativ aggressiv.

28

Waldspitzmaus (Sorex araneus)Ordnung: Insektenfresser (Insectivora)Familie: Spitzmäuse (Soricidae)

Foto: Miloš Andera

Merkmale

Die Waldspitzmaus ist mit einem Gewicht von sieben bisdreizehn Gramm innerhalb der Spitzmäuse von mittlererKörpergrösse. Ihr weiches, glänzendes Fell ist meist dreifar-big mit einem dunklen Rücken und einem hellgrauen Bauch,wobei die Flanken einen Zwischenton aufweisen. Die Tiereaus Liechtenstein sind im europäischen Vergleich eher dun-kel gefärbt.Die Waldspitzmaus, die in Eurasien weit verbreitet ist, er-scheint hinsichtlich Färbung und Gestalt sehr einheitlich. Eskönnen aber im gesamten Verbreitungsgebiet nicht wenigerals 65 Chromosomenrassen unterschieden werden. In Liech-tenstein und seiner weiteren Umgebung kommen zwei naheverwandte Arten vor, nämlich die Schabrackenspitzmaus(Sorex coronatus) und die Walliser Spitzmaus (Sorex antino-rii). Die Unterscheidung dieser drei Arten ist nur mit biome-trischen (Schädelmasse), biochemischen und genetischenMethoden möglich.

Biologie

Die Waldspitzmaus ist insofern kein Nahrungsspezialist, alssie wirbellose Tiere jeglicher Grösse, bevorzugt aber Regen-würmer und Käfer frisst. Regelmässig nimmt sie auch Aasvon Wirbeltieren zu sich, seltener überwältigt sie kleine Wir-beltiere wie junge Feldmäuse. Über die Aufnahme pflanzli-cher Nahrung gehen die Meinungen auseinander. Erwachse-ne Waldspitzmäuse benötigen pro Tag etwa die Hälfte bisDreiviertel ihres eigenen Körpergewichtes. Wie alle Spitz-mäuse hält die Waldspitzmaus keinen Winterschlaf. Sieüberlebt den Winter und das geringere Nahrungsangebot,indem sie durch eine winterliche Schrumpfung vieler Orga-ne (Dehnel‘sches Phänomen) den Nahrungsbedarf stark ein-schränkt. Waldspitzmäuse werden in der Regel erst nach dem erstenWinter geschlechtsreif. VON LEHMANN (1982) konnte aber inder Rheinau früh geborene Weibchen feststellen, welchenoch im gleichen Jahr trächtig wurden. Die Waldspitzmauswirft pro Jahr zwei bis drei Mal. Ein Wurf umfasst vier bis

Abb. 25 Schädel einer Waldspitzmaus mit dem typischenInsektenfressergebiss und den roten Zahnspitzen, welchefür die Gattungen Sorex und Neomys charakteristisch sind.(Foto: Sven Beham)

Abb. 26 Typisch für die Waldspitzmaus ist das dreifarbigeFell. (Foto: Lubomir Hlasek)

Page 30: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

Verbreitung

Die Waldspitzmaus ist in fast ganz Mitteleuropa weitverbreitet und kommt von den Pyrenäen und Englandbis zum Baikalsee in Zentralasien vor. Anlässlich derFangaktionen in Liechtenstein in den Jahren 2007 bis2010 war sie mit 60 von total 842 Nachweisen vonKleinsäugern mit 7.1 Prozent aller Fänge vertreten. VON

LEHMANN (1982) fing in den Jahren 1953 bis 1962 unter650 Kleinsäugern insgesamt 50 Waldspitzmäuse, was7.7 % aller Fänge entspricht. Damit ist die Art in Liech-tenstein mit Abstand die häufigste Spitzmaus. Sie ist inallen Höhenstufen nachgewiesen worden, von denFeuchtgebieten der Ebene bis hinauf in die alpineStufe.

Lebensräume

Die Waldspitzmaus ist wie alle Vertreter der Gattung Sorexan feucht-kühle Lebensräume gebunden. Trockenere Le-bensräume werden auch besiedelt, aber immer in geringererDichte. Sie bevorzugt Lebensräume mit viel Bodenstreu undPflanzenwuchs. In Liechtenstein fand man die Art besondersin den Feuchtgebieten der Talebene und im Waldgrenzen-

bereich, wo sie in feuchten Bergwäldern mit viel Totholz be-sonders häufig ist.

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Als häufigste Spitzmaus ist die Waldspitzmaus in Liechten-stein nicht gefährdet. Sie ist auf feuchte Lebensräume ange-wiesen, die viel Streu und Pflanzendeckung aufweisen. DieAusräumung der Kulturlandschaft schränkt ihre Lebensmög-lichkeiten stark ein. Oft ist sie im Kulturland gerade anStandorten wie Mistlagerstätten, nicht gemähten Wiesen-borden und Ruderalflächen häufig, die man gemeinhin als«unordentlich» empfindet.

Jürg Paul Müller

29

Abb. 27 Die Waldspitzmaus besiedelt geeignete Lebens-räume auf der ganzen Landesfläche.

2 01 Kilometer

Abb. 28 Die Waldspitzmaus bevorzugt feucht-kühle Lebensräume. (Foto: Rudolf Staub)

Abb. 29 Feuchtgebiete wie das Ruggeller Riet bieten mitihrer Bodenstreue und ihrem hohen Angebot an Regen-würmern gute Lebensbedingungen. (Foto: Rudolf Staub)

Page 31: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

malen und genetischen Methoden einwandfrei von derWaldspitzmaus zu unterscheiden. Offenbar kommt es auchnie zu Kreuzungen zwischen den beiden Arten. Die Scha-brackenspitzmaus besitzt eine etwas dunklere Rückenfär-bung. Dies ist aber ebenso wenig ein sicheres Unterschei-dungsmerkmal wie die kürzere Schwanzlänge. Die geringereSchädelbasislänge kann allerdings am präparierten Objektexakt gemessen werden. Der Nachweis der Art am Schellen-berg wurde mit genetischen Methoden betätigt. Damitkann die Schabrackenspitzmaus definitiv in die Liste der Säu-getiere Liechtensteins aufgenommen werden.

Biologie

Die Lebensweise der Schabrackenspitzmaus ist noch relativschlecht erforscht. Alle bisherigen Untersuchungen deutendarauf hin, dass diese ähnlich wie bei der Waldspitzmaus ist.Auch das Nahrungsspektrum der beiden Schwesterarten ent-spricht sich weitgehend und umfasst in erster Linie wirbello-se Tiere. Der Nahrungsbedarf bewegt sich in der gleichenGrössenordnung. Bemerkenswert ist, dass das Dehnel’schePhänomen, also die winterliche Schrumpfung der Organebei der Schabrackenspitzmaus weniger ausgeprägt ist.Die Fortpflanzung kann schon früh im Jahr, nämlich gegenEnde Februar beginnen. In dieser Phase wachsen die Tierestark. Bei den Männchen schwellen die Seitendrüsen an undverbreiten den charakteristischen Moschusgeruch. Währenddie Weibchen ihre Territorien besetzen, wandern die Männ-chen weiter herum. Sie haben dann vor allem Kontakt zueinem Weibchen, das sich seinerseits aber auch von anderenMännchen begatten lässt. Das soziale System ist eine Mono-gamie mit einer Tendenz zur Polygamie, während die Wald-spitzmaus ausgesprochen polygam ist. In der Schweiz erreichen nur die Weibchen des ersten Wur-fes die Geschlechtsreife im gleichen Jahr, die anderen erstnach dem Winter. Die Anzahl Junge pro Wurf ist mit zwei bis

30

Schabrackenspitzmaus (Sorex coronatus)Ordnung: Insektenfresser (Insectivora)Familie: Spitzmäuse (Soricidae)

Foto: Paul Marchesi

Merkmale

Es ist eine Tatsache, die man einfach hinnehmen muss: Aucherfahrene Kenner können die Schabrackenspitzmaus unddie Waldspitzmaus am lebenden Tier nicht unterscheiden.Im Jahre 1758 beschrieb Carl von Linné die Waldspitzmaus(Sorex araneus), mit ihrem riesigen Verbreitungsgebiet vomNorden Spaniens über England bis nach Sibirien. Hinsichtlichihrer Gestalt und Färbung schien die Art recht einheitlich.Um die Mitte des 20. Jahrhunderts begann man die Chro-mosomen, die Träger der Erbsubstanz, zu untersuchen underkannte bei der Waldspitzmaus eine Variabilität hinsicht-lich der Chromosomenzahlen und der Chromosomenanord-nung, wie dies von anderen Säugetieren nicht bekannt war.Nicht weniger als 65 Chromosomenrassen wurden unter-schieden, darunter befinden sich, wie es sich später herausstellte, auch echte Arten.Erst im Jahre 1968 wurde die Schabrackenspitzmaus (Sorexcoronatus) als neue Art beschrieben. Sie ist mit chromoso-

Abb. 30 Die Schabrackenspitzmaus ist äusserlich von der Waldspitzmaus kaum zu unterscheiden. (Foto: Paul Marchesi)

Page 32: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

sechs gleich wie bei der Waldspitzmaus. Der Umstand, dassdie Schabrackenspitzmäuse etwas früher im Jahr mit derFortpflanzung beginnen und sich ein Teil der Weibchenschon im ersten Sommer fortpflanzt, erklärt möglicherweise,warum sich die Schabrackenspitzmaus offenbar auf Kostender Waldspitzmaus ausbreiten kann.

Verbreitung

Die Schabrackenspitzmaus kommt von Nordspanien,Frankreich, nördliche Schweiz, Holland, Belgien, Lu-xemburg bis nach Deutschland vor. In der Schweiz be-siedelt sie vorzugsweise das Mittelland, während dieWaldspitzmaus im Jura sowie in den Voralpen undAlpen vorkommt. Im Wallis und in den Südalpen lebtmit der Walliser Spitzmaus (Sorex antinorii) eine dritteSchwesternart. Bisher waren nach HAUSSER (1995) undSPITZENBERGER (2006) nur Vorkommen im unteren Rhein-tal bis etwa Feldkirch bekannt. Die Nachweise auf demSchellenberg sind die südlichsten Feststellungen derArt, die aber mitten im Vorkommensgebiet der Wald-spitzmaus liegen. Es wird interessant sein zu verfolgen,ob sich die Schabrackenspitzmaus weiter ausdehnenkann.

Lebensraum

Die Schabrackenspitzmaus bevorzugt ein mildes atlantischesKlima und lebt in wärmeren und weniger feuchten Lebens-räumen als die Waldspitzmaus. Dies wird deutlich, wennbeide Arten im demselben Gebiet vorkommen und in direk-ter Konkurrenz stehen. Die Vorkommen am Schellenbergentsprechen diesem Habitattyp.

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Wie alle Spitzmäuse ist die Schabrackenspitzmaus auf einestrukturreiche Landschaft angewiesen. Es ist denkbar, dassdie Klimaerwärmung dazu beiträgt, dass sich die Schabra-ckenspitzmaus weiter auf Kosten der Waldspitzmaus aus-breiten kann.

Jürg Paul Müller31

Abb. 31 Die Schabrackenspitzmaus ist bisher nur vomSchellenberg nachgewiesen.

2 01 Kilometer

Abb. 32 Der Schellenberg bietet das für die Schabracken-spitzmaus notwendige milde Klima. (Foto: Rudolf Staub)

Abb. 33 Ein Nachweis gelang im Malanserwald in Eschen.(Foto: AWNL)

Page 33: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

Es ist erstaunlich, dass die Zwergspitzmaus die deutlich grös-seren Streifgebiete benutzt als ihre «Cousine», die Wald-spitzmaus. Sie lebt abgesehen von der Fortpflanzungsphasesolitär und ist ausgesprochen territorial und aggressiv.

32

Zwergspitzmaus (Sorex minutus)Ordnung: Insektenfresser (Insectivora)Familie: Spitzmäuse (Soricidae)

Foto: Miloš Andera

Merkmale

Die Zwergspitzmaus ist mit einem Gewicht von drei bis sechsGramm das kleinste Landsäugetier Mitteleuropas. Dies istetwa 250‘000 mal weniger als das Gewicht eines ausge-wachsenen Stieres. Beides aber sind Säugetiere mit densel-ben typischen Merkmalen und Organen. Die Zwergspitz-maus kann nur mit einiger Übung von der Waldspitzmausunterschieden werden, da junge Waldspitzmäuse eine ähn-liche Grösse haben. Bei der Zwergspitzmaus sind die Flankengleich wie der Rücken graubraun gefärbt, die Unterseite istetwas heller. Der Kopf ist im Verhältnis zum Körper kleinund weniger vom Rumpf abgesetzt. Die Schnauze ist deut-lich zugespitzt. Der Schwanz wirkt dick. Er ist bei jüngerenTieren dicht behaart.

Biologie

Die kleine Zwergspitzmaus ist äusserst gefrässig und kannan einem Tag bis zu 92% ihres Körpergewichtes fressen. IhreBeute sind wirbellose Tiere, die in der Regel weniger alssechs Millimeter lang sind. Dazu gehören Spinnen, Weber-knechte, Wanzen und verschiedenste Entwicklungsstadienvon Insekten. Im Gegensatz zur Waldspitzmaus frisst siekaum Regenwürmer und Schnecken. Es ist etwas unerwar-tet, dass die kleine Zwergspitzmaus weniger gräbt und un-terirdisch lebt als die Waldspitzmaus. Sie sucht die Nahrungan der Oberfläche und klettert recht gut. Sie wurde öfter inInsektenfallen gefangen, die deutlich über dem Boden auf-gehängt waren. Die Zwergspitzmaus, welche ein breitesSpektrum von Lebensräumen besiedelt und in Hochlagenvorkommt, zeigt das Dehnel’sche Phänomen der Organ-schrumpfung im Winter sehr deutlich. Die Fortpflanzungsphase dauert in Mitteleuropa von Aprilbis Oktober. Nach einer Tragzeit von ungefähr 25 Tagenkommen zwei bis fünf Junge pro Wurf zur Welt. Sie wiegenbei der Geburt nur 0.25 Gramm! Einige Weibchen werfennoch im Geburtsjahr, die meisten aber erst im folgendenFrühjahr. Während seines ganzen Lebens hat ein Weibchenhöchstens drei Mal Nachwuchs.

Abb. 34 Die Zwergspitzmaus ernährt sich vor allem vonkleinen Arthropoden. (Foto: Lubomir Hlasek)

Page 34: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

Verbreitung

Das Verbreitungsgebiet der Zwergspitzmaus erstreckt sichvon Spanien über Sibirien bis in den Fernen Osten. In Euro-pa fehlt sie in Südspanien und auf den Mittelmeerinseln. ImRahmen der Fangaktionen von 2007 bis 2010 in Liechten-stein wurden nur drei Tiere gefangen. Drei weitere Zwerg-spitzmäuse wurden tot aufgefunden. VON LEHMANN (1982)wies in den vielen Jahren seiner Forschertätigkeit lediglichvier Exemplare nach. Offenbar ist die Art im ganzen Ver-breitungsgebiet dort seltener, wo die Waldspitzmaus unddie Schabrackenspitzmaus – die beiden grösseren Sorex-Arten – vorkommen. Wegen ihrer geringen Körpergrösse istsie schwierig zu fangen, da sie den Fallenmechanismus oftnicht auslöst oder wieder aus den Fallen entweicht. Wie imbenachbarten Graubünden kommt die Zwergspitzmausimmer wieder auch in grossen Höhenlagen vor.

Lebensräume

Die Zwergspitzmaus kommt in den verschiedensten Lebens-räumen von den Tief- bis in die Hochlagen vor, da sie ökolo-gisch sehr anpassungsfähig ist. So wurde sie in Liechtensteinbei Balzers im Siedlungsbereich und auf Sareis in Legföhren-gebüschen nachgewiesen. In Vorarlberg lebt sie bevorzugtin Mooren, Bachauen, Fichten-Lärchenwäldern und mitZwergsträuchern durchsetzten alpinen Rasen (SPITZENBERGER

2006).

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Die beste Schutzwirkung für die Zwergspitzmaus hat die Er-haltung von Lebensräumen, die reich an wirbellosen Tierensind. Hierzu gehören naturnahe Wälder mit einer gutenStreueschicht aber auch Moorflächen und abwechslungsrei-che Alpweiden.

Jürg Paul Müller

33

Abb. 35 Aufgrund ihrer geringen Grösse sind Nachweiseder Zwergspitzmaus mit Lebendfallen schwierig. Entspre-chend liegen nur vereinzelte Funde vor.

2 01 Kilometer

Abb. 36 Die Zwergspitzmaus konnte auf einem mit Zwergsträu cherndurchsetzten alpinen Rasen auf dem Vaduzer Hahnenspiel nachgewiesenwerden. (Foto: AWNL)

Page 35: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

Füsse sind mit weissen Haaren bedeckt. Auffällig ist auch diewegen den Augendrüsen nackte Umgebung der kleinenAugen. Die Alpenspitzmaus ist eine ausgeprägte Spaltenbe-wohnerin. Während die übrigen Spitzmausarten oft naheverwandte und sehr ähnliche Schwesterarten besitzen - dieWaldspitzmaus zum Beispiel die Schabrackenspitzmaus unddie Wasserspitzmaus die Sumpfspitzmaus - vertritt die Al-penspitzmaus eine eigene, vermutlich recht alte Linie.

Biologie

Die Alpenspitzmaus gilt als die am schlechtesten erforschteSpitzmausart der Alpen. Nur wenige Studien beschäftigensich mit ihrer Nahrung, die aus wirbellosen Tieren, vor allemRegenwürmern, besteht. Es scheint, dass sie bevorzugt Jagdauf langsame, wenig bewegliche Tiere macht. Neben leben-den Tieren frisst sie auch Aas. Obwohl sie auch Hochlagenbewohnt, hält sie keinen Winterschlaf, zeigt aber das Deh-nel’sche Phänomen der winterlichen Schrumpfung vieler Or-gane. Die Alpenspitzmaus kann sich offenbar schon im ers-ten Lebensjahr fortpflanzen. Die Fortpflanzungsperiodedauert ausgesprochen lang von Februar bis November. ImLaufe eines Lebens können die Weibchen drei bis vier Würfemit drei bis neun Jungen austragen.

34

Abb. 37 Die Alpenspitzmaus besitzt einen auffallend langen Schwanz. (Foto: Paul Marchesi)

Alpenspitzmaus (Sorex alpinus)Insektenfresser (Insectivora)Familie: Spitzmäuse (Soricidae)

Foto: Miloš Andera

Merkmale

Keine einheimische Spitzmaus kann so leicht bestimmt wer-den wie die Alpenspitzmaus. Sie ist ober- und unterseitsschiefergrau gefärbt und besitzt einen langen Schwanz, derdeutlich zweifarbig ist. Der Schwanz dient der Alpenspitz-maus, die sehr gut klettert, als Balancierhilfe. Die rosaroten

Page 36: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

Verbreitung

Die Alpenspitzmaus kommt nur in Europa vor, nämlich inden Alpen, im Jura, im Balkan, in den Karpaten, in Deutsch-land und der Tschechischen Republik. Man trifft sie in gros-sen Höhenlagen, aber durchaus auch in den Niederungen.Dies trifft auch für Liechtenstein zu. Von fünf Funden ausder Kleinsäugeraktion 2007 bis 2010 stammen vier aus Hoch-lagen (Region Malbun) und einer aus der Talsohle (Triesen).Auch VON LEHMANN (1982) erwähnt eine Beobachtung ausdem Talgebiet. Im November 1953 wurde eine Alpenspitz-maus bei der Pfarrkirche von Vaduz gefunden. In Graubün-den wurde die Alpenspitzmaus von 600 m ü. M. bis in eineHöhenlage von 2’500 m ü. M. festgestellt (MÜLLER et al.2010).

Lebensräume

Die Alpenspitzmaus bevorzugt Lebensräume mit niedrigenJahrestemperaturen, hohen Niederschlagsmengen und spal-tenreichen Strukturen. Man findet sie in der Umgebung vonkleineren Fliessgewässern, vor allem wenn diese blockreicheUfer aufweisen, in Erlenbrüchen und Hochstaudenfluren,aber auch in Blockhalden unterhalb und oberhalb der Wald-grenze. Im Rahmen der Kleinsäugerprojektes 2007 bis 2010wurde sie im Schlucher (Malbun) in einem tiefen Tobel mitunregelmässiger Wasserführung und wenig Vegetation fest-gestellt. Im Winter dringt sie immer wieder auch in Gebäu-de ein.

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Wichtig ist die Erhaltung der typischen Habitate, die meistkleinflächig sind und weit voneinander entfernt liegen.

Jürg Paul Müller

35

Abb. 38 Die Alpenspitzmaus besiedelt vor allem die Berg-lagen, Nachweise sind auch aus dem Talgebiet möglich.

Abb. 39 Nachweise der Alpenspitzmaus gelangen im Gebiet Malbun-Schlucher. (Foto: AWNL)

2 01 Kilometer

Page 37: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

wiederholt. Die Wasserspitzmaus taucht zum Fressen aufund legt öfters auch mit ihrer Beute Depots an. Wie die Ver-treter der Gattung Sorex ist auch die Wasserspitzmaus sehrgefrässig und frisst gelegentlich pro Tag bis über 100 % ihresKörpergewichtes. Die Verdauung verläuft extrem rasch.Beim Füttern von Mehlwürmern, die mit unschädlichen Vi-talfarben markiert waren, fand man deren Reste schon nacheiner Stunde im Kot und nach vier Stunden war der Verdau-ungsvorgang abgeschlossen.Die Wasserspitzmaus gräbt selbst auch Gänge. Das Nest legtsie gerne an Uferböschungen unter Wurzeln und Steinenund in alten Maulwurf- und Nagerbauen an. Die Fortpflanzungszeit beginnt im März – April. Die Weib-chen sind dann territorial und recht aggressiv, die Männchenunternehmen auf der Suche nach Weibchen, die zur Kopula-tion bereit sind, weite Wanderungen. Die Tragzeit beträgtungefähr 20 Tage. Die Weibchen haben zwei oder gar dreiWürfe mit drei bis zwölf, in der Regel fünf bis sechs Jungen.Diese werden in einem hilflosen Zustand geboren, wachsendann aber schnell heran und sind mit einem Monat schonrecht selbständig. Wasserspitzmäuse werden meist im erstenLebensjahr geschlechtsreif. Sie überleben in der Regel nureinen Winter und werden maximal 18 Monate alt. Dankihrer hohen Fortpflanzungsaktivität können sie auch Phasenmit einer hohen Sterblichkeit rasch überwinden. WichtigeFeinde sind die Eulen, die Reiher, der Mäusebussard, aberauch grosse Raubfische wie der Hecht.

36

Abb. 40 Deutlich erkennbar sind die ausgeprägten Tast-haare. (Foto: René Güttinger)

Wasserspitzmaus (Neomys fodiens)Ordnung: Insektenfresser (Insectivora)Familie: Spitzmäuse (Soricidae)

Foto: René Güttinger

Merkmale

Die Lebensweise der Wasserspitzmaus überrascht. Durch-nässte Kleinsäuger kühlen in der Regel leicht aus und sind inTodesgefahr. Die Wasserspitzmaus hingegen schwimmt undtaucht und ist an das Leben im Wasser hervorragend ange-passt. Die grösste einheimische Spitzmaus besitzt ein dichtesFell. Die einzelnen Haare haben im Querschnitt die Form vonDoppel-T-Balken, in denen Luftblasen hängen bleiben,einen Luftmantel bilden und dafür sorgen, dass kein Wasserbis auf die Haut vordringt. Durch Reiben an der Vegetationvor dem Tauchgang wird das Fell auch elektrostatisch auf-geladen, wodurch eine zusätzliche wasserabweisende Wir-kung erzielt wird. Die Ohrmuscheln sind im Fell verborgen.Eine Reihe von harten, steifen Härchen entlang derSchwanzunterseite macht den Schwanz zu einem effizientenAntriebs- und Steuerruder. Dank dem Haarsaum an den Füs-sen können diese als wirkungsvolle Flossen eingesetzt wer-den. Mit ihrer Schwesterart, der Sumpfspitzmaus, kann dieWasserspitzmaus leicht verwechselt werden. Beide besitzenein zweifarbiges Fell mit einer schiefergrauen bis schwarzenOberseite und einem weissen Bauch. Die etwas kleinereSumpfspitzmaus ist weniger gut an das Wasserleben ange-passt. Ihr fehlt der Haarsaum an der Schwanzunterseiteweitgehend. Manchmal ist der Bauch der Wasserspitzmäusenicht weiss, sondern rötlich gefärbt. Dies geht auf die Einla-gerung von roten Carotinoiden zurück, die bei der Ernäh-rung mit Bachflohkrebsen aufgenommen werden.

Biologie

Ihr Futter sucht die Wasserspitzmaus sowohl im Wasser alsauch in der Uferzone der Gewässer. Bei der Futtersuche imWasser stöbert sie oft mit der Schnauze und den Vorderfüs-sen im Gewässergrund und dreht dabei kleinere Steine undanderes Material um. Diese Technik des Stöberns ist recht er-folgreich. Leicht erbeutet sie so wirbellose Tiere, vor allemBachflohkrebse und Insektenlarven, aber auch kleine Fische.Ihre Beute schwächt sie mit dem giftigen Speichel. DieTauchgänge dauern maximal 20 Sekunden, werden aber oft

Page 38: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

Verbreitung

Die Wasserspitzmaus ist über ganz Mittel- und Nordeuropaund bis zum Polarkreis verbreitet und kommt auch in Asienvor. In Europa fehlt sie in Irland und südlich der Pyrenäensowie in Süditalien. Schon VON LEHMANN (1982) wies die Art inLiechtenstein nach und zwar am Binnenkanal zwischenVaduz und Schaan sowie am Rotenboden (Triesenberg),nicht jedoch im Saminatal und bei Steg und Malbun. DieFangaktionen von 2007 bis 2010 ergaben erstaunlich wenigneue Fänge. Immerhin konnte die Art erstmals in einerHochlage, nämlich beim Jugendheim in Malbun (1500 m ü.M.) festgestellt werden. In Graubünden ist die Wasserspitz-maus in allen naturnahen Gewässern bis in eine Höhenlagevon 2500 m ü. M. gut vertreten (MÜLLER et al. 2010). Auch inVorarlberg kann die Art einigermassen verbreitet nachge-wiesen werden und gilt dort daher als nicht gefährdet (SPIT-ZENBERGER 2006).

Lebensräume

Entsprechend ihrem riesigen Verbreitungsgebiet sind dieAnforderungen der Wasserspitzmaus an ihren Lebensraumnicht sehr spezifisch. Sie besiedelt Binnengewässer der ver-

schiedensten Höhenlagen von unterschiedlicher Grösse undmit ungleich starker Strömung. Entscheidend sind das Nah-rungsangebot, der Strukturreichtum der Uferhabitate undein Minimum an ungestörter Umwelt. Ein idealer Lebens-raum für die Wasserspitzmaus ist das St. Katrinabrunna beiBalzers.

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Aufgrund der bisher nur wenigen Nachweise kann von einereher geringen Verbreitungsdichte dieser Art in Liechtensteinausgegangen werden.Die Wasserspitzmaus ist ein guter Zeiger für intakte Klein-gewässer mit natürlichem Ufer, guter Wasserqualität undeinem reichen Nahrungsangebot. Vor allem die Fliessgewäs-ser im Talraum von Liechtenstein wurden grösstenteils öko-morphologisch stark verändert und weisen kaum noch na-türliche Uferstrukturen auf. Entsprechend dürfte hier derLebensraum für die Wasserspitzmaus weitgehend fehlen.Für die Förderung dieser Art müssen entsprechende Lebens-räume erhalten oder durch Revitalisierungen geschaffenwerden.

Jürg Paul Müller

37

Abb. 41 Es gelangen nur zwei Nachweise der Wasser-spitzmaus, je einer aus den Tief- und Hochlagen.

Abb. 42 Das St. Katarinabrunna in Balzers bietet optimaleLebensraumbedingungen. (Foto: AWNL)

2 01 Kilometer

Abb. 43 Die Wasserspitzmaus besiedelt auch die Hochla-gen wie hier am Malbunbach. (Foto: Rudolf Staub)

Page 39: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

38

Biologie

Die Sumpfspitzmaus lebt oft in Gewässernähe, taucht abernur selten. Sie sucht sich ihre Nahrung in feuchten Lebens-räumen. Ihre Beute sind vor allem wirbellose Tiere der ver-schiedensten zoologischen Gruppen und selten auch kleineWirbeltiere. Die Fortpflanzung beginnt im Mai und damit etwas späterals bei der Wasserspitzmaus. Ein Weibchen wirft zwei odergar drei Mal drei bis 10, meistens vier bis sechs Junge. Dieseentwickeln sich rasch und können in der gleichen Fortpflan-zungsperiode geschlechtsreif werden. Erstaunlicherweise istdie Sumpfspitzmaus im Vergleich mit anderen Rotzahnspitz-mäusen der Gattungen Sorex und Neomys recht sozial. Sielebt gesellig in Gruppen, in denen eine klare Hierarchieherrscht. Zwischen der Sumpfspitzmaus und der Wasser-spitzmaus besteht eine erhebliche zwischenartliche Konkur-renz, wobei die Wasserspitzmaus die dominante Art ist.

Abb. 45 Regenwürmer gehören zum Beutespektrum derSumpfspitzmaus. (Foto: Lubomir Hlasek)

Sumpfspitzmaus (Neomys anomalus)Insektenfresser (Insectivora)Familie: Spitzmäuse (Soricidae)

Foto: Miloš Andera

Merkmale

Sumpf- und Wasserspitzmaus sind sich zum Verwechselnähnlich und trotzdem ein ungleiches Artenpaar. Die Sumpf-spitzmaus ist weniger verbreitet, weniger an das Leben imWasser angepasst und viel schlechter erforscht als ihre Zwil-lingsschwester. Dabei geht man davon aus, dass die Sumpf-spitzmaus die ursprünglichere Form ist, aus der durch Spe-zialisierung und Anpassung an das Leben im Wasser dieWasserspitzmaus hervorgegangen ist. Die Unterscheidungder beiden Arten bereitet auch erfahrenen Kleinsäugerex-perten erhebliche Schwierigkeiten. Beide Arten besitzen einzweifarbiges Fell mit einer dunklen Ober- und einer weissli-chen Unterseite. Die Sumpfspitzmaus ist etwas kleiner. DerHaarsaum am Schwanz fehlt meistens, auch die Haare anden Füssen sind spärlicher.

Abb. 44 Haare an den Füssen haben eine ähnliche Funktion wie Schwimmhäute und erlauben ein schnellesSchwimmen im Wasser. (Foto: Lubomir Hlasek)

Page 40: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

Verbreitung

In Mittel- und Südeuropa zeigt die Sumpfspitzmaus ein ähn-liches Verbreitungsbild wie die Wasserspitzmaus. Ihre Ver-breitung reicht von Spanien bis zum Schwarzen Meer. BeideArten kommen oft miteinander, also sympatrisch vor. DieSumpfspitzmaus fehlt aber im nördlichen Europa. Die Nachweise in Liechtenstein während der Kleinsäugerak-tion 2007 bis 2010 waren eher spärlich und beschränktensich auf «Katzenfänge» aus den Gemeinden Schaan undTriesen. VON LEHMANN (1982) wies die Art verschiedentlich inder Rheinebene und bei Triesenberg nach. In Vorarlberg beschränken sich die Nachweise auf die Tiefla-gen, obwohl sie von ihren ökologischen Ansprüchen landes-weit verbreitet sein könnte (SPTITZENBERGER 2006). In Grau-bünden ist die Sumpfspitzmaus seltener als dieWasserspitzmaus, aber relativ weit verbreitet, vor allem inden tieferen Lagen (MÜLLER et al. 2010). Die Sumpfspitzmaustritt erfahrungsgemäss oft sehr unregelmässig auf. Gele-gentlich wird sie in einem bestimmten Jahr an einem Stand-ort in grösserer Zahl nachgewiesen, um dann für lange Zeitwieder zu verschwinden.

Lebensraum

Die Sumpfspitzmaus bevorzugt feuchte Standorte, ist aberviel weniger an offenes Wasser gebunden als die Wasser-spitzmaus. Typische Lebensräume sind feuchte Wiesen,Moore, Bachufer und feuchte Wälder.

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Die Tendenz in der Kulturlandschaft auch kleinere feuchteStellen zu eliminieren, führt zu einer Austrocknung derLandschaft, welche das Vorkommen der Sumpfspitzmaus er-heblich einschränkt. Zur allgemeinen Austrocknung vonFeuchtflächen hat auch der tiefe Grundwasserspiegel alsFolge der Rheinsohlenabsenkung beigetragen.

Jürg Paul Müller 39

Abb. 46 Die Nachweise der Sumpfspitzmaus beschränktensich auf Katzenfänge aus Schaan und Triesen.

2 01 Kilometer

Page 41: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

40

Biologie

Als typischer Insektenfresser zeigt die Hausspitzmaus eingrosses Beutespektrum. Neben wirbellosen Tieren aller Artnimmt sie gelegentlich auch pflanzliche Nahrung zu sich.Wie die beiden anderen einheimischen Weisszahnspitzmäu-sen besitzt die Hausspitzmaus die Fähigkeit zum Torpor,einem Absenken der Körpertemperatur bis auf 18 Grad Cel-sius, ein hervorragender Mechanismus zum Sparen von Ener-gie. Ausgelöst wird der Torpor vor allem durch Futterknapp-heit. Das Absinken der Umgebungstemperatur scheint vonuntergeordneter Bedeutung zu sein. Der Torpor wird imWinter und in kühlen Sommern beobachtet. Die Fortpflanzungszeit der Hausspitzmaus dauert relativlange, nämlich vom Februar bis in den Oktober. Die in dieserPhase sehr territorialen Weibchen teilen ihr Nest oft miteinem einzigen Männchen. Es scheint, dass die Hausspitz-maus sogar vorwiegend monogam ist. Die Tragzeit beträgtca. 30 Tage. Ein Weibchen bringt zwei- bis viermal pro JahrJunge zur Welt. Pro Wurf werden zwei bis 9, meistens fünfbis sechs Junge geboren, die bei der Geburt rund ein Grammwiegen. Nach der relativ langen Tragzeit sind sie zwar blindund nackt, entwickeln sich aber rasch. Ein hoher Anteil von50% wird schon im 1. Lebensjahr geschlechtsreif. In derRegel überleben diese Tiere den 1. Winter nicht. Der Turno-ver der Population ist sehr hoch: die Lebenserwartung imFreiland beträgt höchstens 18 Monate. Nur 5% der Tiereüberleben einen 2. Winter. Im Winter lebt die Hausspitz-maus gesellig. Oft benutzen mehrere Tiere dasselbe Nest.

Hausspitzmaus (Crocidura russula)Ordnung: Insektenfresser (Insectivora)Familie: Spitzmäuse (Soricidae)

Foto: René Güttinger

Merkmale

Die Hausspitzmaus wurde im Rahmen der Aktion Kleinsäu-ger 2007 bis 2010 erstmals für das Land nachgewiesen. Nichtweniger als neun Mal wurde die Art bei den Fangaktionenmit Lebendfallen gefangen. 17 Beobachtungen stammenaus der Bevölkerung, wobei die meisten Hausspitzmäusevon Katzen erbeutet wurden. Diese mittelgrosse Spitzmausist nicht ganz einfach zu bestimmen. Zwar ist sie mit ihrenweissen Zähnen, den grossen Ohren und dem Schwanz, anwelchem einzelne Haare weit abstehen, leicht als Weiss-zahnspitzmaus der Gattung Crocidura zu erkennen. Weitmehr Mühe bereitet die Unterscheidung zu den anderenVertretern der Gattung. Von der zweifarbigen Feldspitz-maus (Crocidura leucodon) unterscheidet sie sich allerdingsdeutlich durch ihren graubraunen bis braunen Pelz. DerBauch ist hellgrau ohne klare Abgrenzung gegenüber demRücken. Viel Mühe bereitet die Bestimmung von Jungtierender Hausspitzmaus, die eine ähnliche Grösse aufweisen wieGartenspitzmäuse. In diesen Fällen erfolgt die Bestimmungam besten mit genetischen Methoden oder der Vermessungvon Schädelmerkmalen.

Abb. 47 Markant für die Gattung Crocidura sind die grossen Ohren. (Foto: Paul Marchesi)

Page 42: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

41

Verbreitung

Die Gattung Crocidura ist in Afrika weit verbreitet. Auch dieHausspitzmaus kommt noch im Westen Nordafrikas vor. DieWärme und Trockenheit liebende Art besiedelt ganz West-europa bis nach Deutschland. Sie erreicht Österreich geradenoch in Vorarlberg. In der Schweiz besiedelt sie das Mittel-land, dringt aber lokal auch in die Alpentäler ein. Bisherwaren im Rheintal Vorkommen bis in die Gegend von Senn-wald bekannt (GÜTTINGER et al. 2008). Obwohl Ernst von Lehmann von den 50er bis in die 80erJahre die Kleinsäugerfauna Liechtensteins eingehend er-forschte, stellte er die Hausspitzmaus nie fest. Auch in Vor-arlberg gelang der erste Lebendnachweis erst 1996 (SPITZEN-BERGER 2006). Es ist denkbar, dass sich die Hausspitzmaus aufKosten ihrer Konkurrentin, der Feldspitzmaus ausbreitet,eine Situation, die durch die Klimaerwärmung zu Gunstender Hausspitzmaus verstärkt wird.

Lebensräume

Die Hausspitzmaus ist entsprechend ihrer Herkunft eine wär-meliebende Art, die meist in Siedlungen und im Kulturlandlebt und damit ein eindeutiger Kulturfolger ist. Auffallendist das gehäufte Vorkommen am Südfuss des Schellenbergsmit seiner wärmeliebenden Vegetation. Aber auch im Nor-den dieses Hügelzuges wurde die Hausspitzmaus gefangen,in einem Fall auch deutlich ausserhalb der Siedlungen ineiner Hecke.

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Eine Kleinsäugerart, die besonders im Siedlungsbereich vor-kommt, ist vor allem durch die vielen Katzen gefährdet, diezwar Spitzmäuse wegen den stark riechenden Seitendrüsennicht fressen, aber mit ihrem angeborenen Jagdtrieb immerwieder töten.

Jürg Paul Müller

Abb. 50 Als Kulturfolgerin nutzt die Hausspitzmaus auchKomposthaufen zur Suche nach Wirbellosen. (Foto: AWNL)

Abb. 48 Zahlreiche Nachweise der Hausspitzmaus liegenvom Südfuss des Schellenbergs vor.

2 01 Kilometer

Abb. 49 Die Hausspitzmaus bewohnt als wärmeliebendeArt strukturreiche Siedlungsgebiete von Mauren. (Foto: Rudolf Staub)

Page 43: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

Biologie

Die Gartenspitzmaus ist ein typischer Insektenfresser und er-nährt sich hauptsächlich von Insekten, Schnecken und Re-genwürmern, seltener auch von kleinen Wirbeltieren. Dieaufgenommenen Nahrungsmengen sind beachtlich. So frassbeispielsweise ein 4.0 g schweres Tier an einem Tag Insektenmit einem Gesamtgewicht von 4.37 g. Die Fortpflanzungszeit dauert normalerweise vonMärz/April bis September/Oktober. In Gebieten mit mildenWintern ist eine ganzjährige Fortpflanzung möglich. DieTragzeit ist mit 26 bis 27 Tagen relativ kurz. Im Mittel habendie Weibchen, die in der Fortpflanzungsphase territorialsind, drei Würfe mit zwei bis sechs Jungen. Nur die Jungender ersten Würfe werden im Geburtsjahr auch geschlechts-reif.

42

Abb. 51 Typisch für die Gartenspitzmaus ist die hellgraueBauchfärbung. (Foto: Lubomir Hlasek)

Abb. 52 Die kleine Gartenspitzmaus ist nur sehr schwierignachzuweisen. (Foto: Lubomir Hlasek)

Gartenspitzmaus (Crocidura suaevolens) Ordnung: Insektenfresser (Insecivora)Familie: Spitzmäuse (Soricidae)

Foto: Miloš Andera

Merkmale

Die Gartenspitzmaus ist mit einem Gewicht von drei bis achtGramm auch unter den Spitzmäusen ein ausgesprochenerWinzling und entsprechend schwierig nachzuweisen.Schwierig ist auch die Unterscheidung zur Hausspitzmaus,vor allem von deren Jungtieren. Der Rücken ist graubraun,der Bauch hellgrau gefärbt, ohne dass die Abgrenzung sehrdeutlich ist. Eine sichere Unterscheidung ist nur mit Vermes-sung des Schädels und genetischen Methoden möglich.

Page 44: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

Verbreitung

Das Areal der Gartenspitzmaus ist riesig. Es zieht sich mitVerbreitungslücken vom Atlantik durch Europa und Asienbis nach China und Korea. Neuere Forschungen zeigen aller-dings, dass es sich bei der Gartenspitzmaus nicht um eineArt, sondern eher um eine Artengruppe handelt. In Europaist das Areal durch einen grossen Korridor in eine westlicheund eine östliche Population getrennt. Die zwei einzigenNachweise in Liechtenstein stammen aus den Jahren 1953und 1956 (VON LEHMANN 1982) und erfolgten an warmenStandorten in der Rheinebene bei Vaduz. Die Gartenspitz-maus ist mit Lebendfallen nur sehr schwierig zu fangen undkonnte daher im Rahmen der Kleinsäugeruntersuchung2007 bis 2010 nicht nachgewiesen werden. Die Art kommtauch in benachbarten Gebieten, nämlich in Nordbündenund im St. Galler Rheintal sowie im Vorarlberg vor. In allengenannten Gebieten ist sie aber ausgesprochen selten.

Lebensraum

Die Gartenspitzmaus besiedelt in wärmeren Gebieten auchoffenes Kulturland, aber immer warme, gut besonnte Le-bensräume. In kälteren und höher gelegenen Gebieten lebtsie vermehrt im siedlungsnahen Bereich. Sie bevorzugt Le-bensräume mit einer dichten Vegetation.

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Da ihr Verbreitungsgebiet am Westrand des osteuropäischenAreals liegt, kommt die Gartenspitzmaus in Liechtensteinund dessen näherer Umgebung relativ selten und in kleinenisolierten Beständen vor. Ihr Lebensraum verschlechtert sichdurch eine immer naturfernere Gestaltung und Nutzung desKulturlandes und des Siedlungsgebietes. In der Region lebenmit der Hausspitzmaus, der Gartenspitzmaus und der Feld-spitzmaus drei Vertreterinnen der Gattung Crocidura, die inerheblicher zwischenartlicher Konkurrenz stehen. Dieses Ne-beneinander der drei Arten ist nur möglich, wenn jede ineiner vielgestaltigen Landschaft ihre spezifische ökologischeNische finden kann. Die Entwicklung der drei Crocidura-Arten in Liechtenstein istweiter zu verfolgen.

Jürg Paul Müller

43

Page 45: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

44

lich zweifarbig. Der Rücken ist dunkelbraun bis dunkelgrau,der Bauch ist weiss oder schwach grau. Zweifarbig ist auchder Schwanz.

Biologie

Die Feldspitzmaus sucht ihre Nahrung auf der Bodenober-fläche und in der Laubstreu. Dort findet sie Organismen wieRegenwürmer, Schnecken, Asseln, Spinnen, Weberknechtesowie Insekten und deren Larven. Wie die anderen Weiss-zahnspitzmäuse überbrückt sie Nahrungsengpässe mit demTorpor, einem energiesparenden Verhalten, bei dem Körper-temperatur und Herzschlag stark gesenkt werden. Die Fortpflanzungsperiode beginnt früh und endet spät.Von LEHMANN (1982) fand in Liechtenstein im Mai ein Weib-chen, das bereits zum 2. Mal trächtig war. Die Jungen kom-men nach einer Tragzeit von 31 bis 33 Tagen zur Welt. ProWurf werden drei bis acht Junge geboren. Schon nach 40Tagen sind sie selbstständig. Die im Frühling und Frühsom-mer geborenen Jungtiere werden in der Regel noch im glei-chen Jahr geschlechtsreif.

Abb. 53 Das Fell der Feldspitzmaus ist deutlich zwei farbig.(Foto: Lubomir Hlasek)

Abb. 54 Der Geruchssinn ist sehr stark entwickelt. Zusam-men mit den Tasthaaren erlaubt er die effiziente Nahrungs-suche. (Foto: Lubomir Hlasek)

Feldspitzmaus (Crocidura leucodon)Ordnung: Insektenfresser (Insectivora)Familie: Spitzmäuse (Soricidae)

Foto: René Güttinger

Merkmale

In warmen, trockenen Lebensräumen Liechtensteins trifftman die zierliche Feldspitzmaus immer noch an, obwohl dieArt durch die Konkurrenz mit der Hausspitzmaus und durchdie Veränderung ihres Lebensraumes in ganz Europa starkim Rückgang begriffen ist. Von allen drei Weisszahnspitz-mausarten, die im Land vorkommen, ist sie am leichtesten zubestimmen. Die weissen Zähne und der kurze, rübenartigwirkende Schwanz mit den abstehenden Haaren zeigen klarihre Zugehörigkeit zur Gattung Crocidura. Ihr Fell ist deut-

Page 46: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

Verbreitung

Der Verbreitungsschwerpunkt der Feldspitzmaus liegt imOsten und Südosten Europas. Die Verbreitung zeigt grosseLücken. In Österreich kommt sie nur in den östlichen Bun-desländern und im Vorarlberg vor. In der Schweiz ist sie nurim Unterwallis und in Nordbünden vergleichsweise häufig. Auf St. Galler Seite konnte Crocidura leucodon nur in denföhnbegünstigten Lagen südlich der Zone Kriessern-Saleznachgewiesen werden. Weiter nördlich scheint sie zuneh-mend von der Hausspitzmaus verdrängt zu werden (GÜTTIN-GER et al. 2008). In Vorarlberg ist die Art in der Talebene bisins Rheindelta zu finden. Einen Nachweis gibt es auch ausdem Walgau bei Nenzing (SPITZENBERGER 2006).In Liechtenstein findet man sie auch nach den aktuellen Er-hebungen am häufigsten in der Ebene des Rheintales in dersüdlichen Landeshälfte. Noch ist sie in Liechtenstein weiterverbreitet als ihre Konkurrentin, die Hausspitzmaus.

Lebensräume

Die Feldspitzmaus bevorzugt warme trockene Lebensräume.In der Kulturlandschaft findet man sie im offenen Gelände,gerne aber auch bei Trockenmauern, Lesesteinhaufen, aufRuderalfluren und in Streuobstwiesen. Oft lebt sie auch imSiedlungsbereich. Ein für Liechtenstein relativ hohes Vor-kommen liegt bei Planken auf 818 m ü. M. Im benachbartenGraubünden sind Nachweise in Höhenlagen über 1000 m ü.M. nicht selten.

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Der Rückgang der Feldspitzmaus in weiten Teilen Euro-pas kann zu einem wesentlichen Teil mit der Konkur-renz durch die Hausspitzmaus erklärt werden. VieleFachleute sind der Ansicht, dass sich auch die Verände-rungen in der Kulturlandschaft (Verlust von Streuobst-wiesen, Magerwiesen, Kleinstrukturen und Ruderalflä-chen) negativ auf die Verbreitung der Feldspitzmausauswirken. Es ist daher von einer längerfristigen Ge-fährdung dieser Art auszugehen. Die weitere Entwick-lung der Bestände im Verhältnis zur Hausspitzmaus istzu beobachten.

Jürg Paul Müller

45

Abb. 56 Ein Nachweis gelang im Balzner Äule. (Foto: Rudolf Staub)

Abb. 55 Die Feldspitzmaus besiedelt vor allem die südli-che Rheintalebene.

2 01 Kilometer

Page 47: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

46

dem Kopf nach oben stemmt. Die Hügel sehen wie kleineVulkane aus und enthalten Schollen. Die Haufen der Scher-maus hingegen bestehen aus feiner Erde, weil der Nager dieErde mit den Zähnen los beisst und dann mit den Füssen hi-naus scharrt. Das Nest befindet sich tief im Boden und ist mitBlättern, Gras und Moos ausgepolstert. Ausserhalb der Fort-pflanzungszeit, welche in Mitteleuropa von März bis Junidauert, lebt der Maulwurf einzelgängerisch und ist gegen-über Artgenossen sehr aggressiv. Nach einer langen Tragzeitvon drei bis vier Wochen werden pro Wurf zwei bis fünfnackte und blinde Junge geboren. In günstigen Gebietenkönnen zwei Jahreswürfe erfolgen. Die Jungen entwickelnsich langsam. Sie öffnen die Augen erst nach drei Wochen.Im zweiten Lebensmonat ist ihre Entwicklung dann abge-schlossen. Als erwachsene Tiere, die nun abwandern, müssensie in der Lage sein, ein Territorium zu erkämpfen. Meist pflanzen sich die jungen Maulwürfe erst im Jahr nachder Geburt fort. Nur wenige Maulwürfe überleben einenzweiten Winter.

Verbreitung

Der Europäische Maulwurf ist weit verbreitet. Er kommt vonMitteleuropa bis zur Mongolei vor. Er fehlt in Irland, im süd-lichen und westlichen Spanien, im Südabfall der Alpen sowieauf der Apennin- und Balkanhalbinsel. Im Norden geht ernur bis ins südliche Schweden und Finnland. Auch in Liech-tenstein ist die Art ausgesprochen häufig. Der Maulwurf

Abb. 57 Typisch für den Europäischen Maulwurf sind die zu breiten Grabschaufeln umgewandelten Vorderextre-mitäten. (Foto: Lubomir Hlasek)

Europäischer Maulwurf (Talpa europaea)Ordnung: Insektenfresser (Insectivora)Familie: Maulwürfe (Talpidae)

Foto: Lubomir Hlasek

Merkmale

Den Maulwurf kennt zwar jedermann. Aber die meistenMenschen haben nur tote Maulwürfe gesehen, deren steifeund starre Gestalt einen ganz falschen Eindruck von der Ak-tivität und Beweglichkeit dieses Bodenbewohners vermit-telt. Der Maulwurf ist hervorragend an das Leben im Erd-reich angepasst und bewegt sich in seinem Lebensraumäusserst kraftvoll, flink und wendig. Sein Körper ist kompaktund walzenförmig. Die Vorderextremitäten sind zu breitenGrabschaufeln umgestaltet. Das dichte, samtartige Fell mit200 und mehr Haaren pro Quadratmillimeter lässt keinenSand und keine Erde bis auf die Haut kommen. Das Fell be-sitzt keinen Haarstrich und erlaubt es dem Maulwurf in denengen Röhren gleich schnell vorwärts und rückwärts zu lau-fen. Die Ohröffnungen sind verschliessbar und die kleinenAugen, die nur ein Hell-Dunkel-Sehen erlauben, sind vonHaaren geschützt. An der Rüsselscheibe sitzen feine Tast-und Temperatursinnesorgane. Das hervorragende Gehörnimmt auch geringe Erschütterungen war. Auch der Ge-ruchssinn ist sehr gut entwickelt. In Liechtenstein lebt nureine Maulwurfart. In den Südtälern Graubündens kommtauch der Blindmaulwurf (Talpa caeca) vor.

Biologie

Die Hauptnahrung des Maulwurfes sind Regenwürmer. Aufder Jagd nach ihnen läuft er mehrmals innerhalb von 24Stunden seine Gänge ab. Um eine Vorratshaltung mit leben-den Regenwürmern anzulegen, beisst er ihnen gezielt inden Kopf und zerstört die Nervenzentren, welche die Bewe-gungen kontrollieren. So überleben die Regenwürmer zwar,können sich aber nicht mehr koordiniert bewegen und flie-hen. Der Maulwurf frisst auch Insektenlarven, zum BeispielEngerlinge, welche in die Gänge fallen. Das Gang- und Jagdsystem eines Maulwurfes kann mehrerehundert Meter lang sein. Nur die Maulwurfshügel verratenseine Anwesenheit. Sie entstehen, wenn der Maulwurf dieErde durch einen senkrechten Schacht mit einer Pfote und

Page 48: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

47

lebt bis zum Silumer Kulm in relativ hoher Dichte undkommt auch im Saminatal vor. Am 25.7.1979 wurde bei derKläranlage in Bendern ein Albino-Maulwurf gefunden (JÄGER

Louis, mündl. Mitt.).

Lebensräume

Eine tiefgründig, lockere und gleichzeitig etwas bindige Bo-denstruktur ist die Voraussetzung für das Vorkommen desMaulwurfs. Sie ermöglicht ihm die stabile Anlage seinerBaue und Gänge und ist auch eine wichtige Voraussetzungfür das Vorkommen von Regenwürmern, seiner Hauptnah-rung. Wo diese Bedingungen erfüllt sind, findet man ihn imGrünland aber auch im Wald. In Liechtenstein ist er in denfeuchten Standorten der Rheinebene besonders häufig. ImGebirge besiedelt er gerne die sogenannten Läger, wo durchdas lagernde Vieh und dessen Dung eine tiefe Bodenschichtentstanden ist.

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Noch ist der Maulwurf in Liechtenstein relativ häufig. Dort,wo moderne Landwirtschaft betrieben wird, verschlechternsich seine Lebensbedingungen deutlich. Der Schaden, den eranrichtet, hält sich in Grenzen. Der Maulwurf schädigt alsFleischfresser ja nicht direkt die Kulturen. Durch das Anle-gen der Haufen erschwert er bis zu einem gewissen Grad dieGras- und Heuernte. Da er auch Engerlinge vertilgt, ist er fürdie Schädlingsbekämpfung von Bedeutung. Zudem lockerter durch seine Grabtätigkeit den Boden auf.Neben den Hauskatzen zählen insbesondere Greifvögel(Eulen, Taggreife) zu seinen Feinden. In Liechtenstein wirdihm auch durch den Menschen nachgestellt.

Jürg Paul Müller

Abb. 59 Maulwurfshaufen mit den typischen Erdschollen.(Foto: Archiv Bündner Naturmuseum)

Abb. 58 Der Europäische Maulwurf ist häufig und überdie ganze Landesfläche verbreitet. Die Karte zeigt nur die Nachweise im Rahmen des Projektes Kleinsäuger FL2007–2010.

2 01 Kilometer

Abb. 60 Der Maulwurf lebt u.a. an Ackerrändern, dienicht umgebrochen werden. (Foto: AWNL)

Page 49: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

Abb. 61 Fledermäuse – im Bild ein Kleines Mausohr (Myo-tis oxygnathus) – fliegen mit den Händen. Die Mittelhand-und Fingerknochen des 2. bis 5. «Fingers» sind verlängertund spannen die Handflughaut auf. (Foto: René Güttinger)

48

Hindernisse sowie fliegende oder ruhende Beutetiere erken-nen und lokalisieren. Ruf-Design und Körperbau zeigendabei artspezifische Muster, die an bestimmte Lebensräumeund Verhaltensweisen bei der Nahrungsaufnahme ange-passt sind. So nutzen einheimische Fledermäuse insgesamtein breites Nahrungsspektrum, das von kleinen Mücken biszu den grössten bei uns lebenden Insekten wie Maulwurfs-grille und Schwärmer reicht.Bei uns durchlaufen Fledermäuse einen charakteristischenJahreszyklus. Jeden Frühling kommen Weibchen in denselben«Wochenstubenquartieren» zusammen und gebären dortihre Kinder. Männchen leben den Sommer über als Einzelgän-ger, bei einigen Arten jedoch teilweise auch in Wochenstu-bengruppen oder reinen Männchengruppen. Die Jungen –meist Einzeltiere, bei einigen Arten auch Zwillinge – wachsenrasch heran und werden nach vier bis acht Wochen selbstän-dig. Während diese noch im Wochenstubenquartier bleiben,verlassen die Mütter dieses bereits im Spätsommer, wenn diePaarungszeit beginnt. Begattungen finden vom Spätsommer-Herbst bis zum Frühling statt. Einzigartig unter den Säugetie-ren ist dabei die Tatsache, dass Weibchen die Spermien biszum Frühjahr speichern und es erst im folgenden Frühlingzum Eisprung und damit zur Befruchtung der Eizelle kommt.Nachdem Fledermäuse den kalten und nahrungslosen Winterin Winterschlaflethargie überdauern, werden die Weibchensomit erst bei wärmeren Temperaturen trächtig, wenn genü-gend Nahrung verfügbar ist. Während bei einigen Arten dieWinterquartiere nur wenige dutzend Kilometer vom Som-merquartier entfernt sind, legen andere Arten auf dem Wegin wärmere Regionen Richtung Süden oder Südwesten über1’000 km lange Zugstrecken zurück.

Familien

Hufeisennasen (Rhinolophidae)

Auffällig sind ein komplexer Nasenaufbau sowie das Fehleneines Ohrdeckels (Tragus). Hufeisennasen kommen, im Ge-gensatz zu den Glattnasen, ohne Milchzähne auf die Welt.Mit den bereits vorhandenen Eckzähnen können sich Jung-tiere an den Milchzitzen sowie an speziellen Haftzitzen, wiesie bei uns nur die Hufeisennasen besitzen, festhalten. Im FL:2 Arten.

Glattnasen (Vespertilionidae)

Zu ihnen gehören die meisten einheimischen Fledermausar-ten. Bei uns umfasst die formenreiche Familie ein Grössen-spektrum von der rund 5 g leichten Mückenfledermaus biszum 25 g schweren Grossen Mausohr. Die Schnauze ist«glatt» und ohne Nasenaufsätze. Alle Arten besitzen einentypisch geformten Ohrdeckel. Im FL: 20 Arten.

René Güttinger

Ordnung Fledermäuse (Chiroptera)

Merkmale

Fledermäuse haben als einzige Säugetiere die Fähigkeit er-langt, sich im Luftraum durch aktives Fliegen fortzubewe-gen. Möglich macht das eine Flughaut, welche durch Arme,Finger, Hinterbeine und Schwanz aufgespannt wird und sobis auf den Kopf den gesamten Fledermauskörper um-schliesst. Stammesgeschichtlich haben sich Fledermäuse vorrund 70 Millionen Jahren von den übrigen Säugetieren ge-trennt. Die ältesten bekannten Fossilien zeigen, dass sie bereits vor mindestens 50 Millionen Jahren fliegend als Insektenjäger unterwegs waren und sich durch Echoortungmit Ultraschallrufen orientieren konnten. Fledermäusehaben mit weltweit rund 1’100 Arten eine enorme Arten-vielfalt erreicht und stellen heute – nach den Nagetieren –die zweitgrösste Säugetierordnung dar. Nach neuesten mo-lekulargenetischen Analysen gliedern sich die Fledermäusein zwei Hauptgruppen. Zu den «Pteropodiformes» gehörendie sich optisch orientierenden Flughunde sowie die echoor-tenden Hufeisennasenverwandten, zu den «Vespertilionifor-mes» die übrigen echoortenden Fledermäuse. Interessanter-weise gibt dieser Stammbaum Hinweise darauf, dass sich dieEchoortung bei Fledermäusen mindestens zweimal, unab-hängig voneinander, entwickelt haben dürfte. Fledermäuse besitzen kleine, spitze Zähne sowie zwei mar-kante Eckzähne, mit denen sie in der Lage sind, je nach Nah-rungsspektrum grosse und harte Chitinpanzer von Insektenzu knacken oder grosse Früchte festzuhalten. Viele Fleder-mäuse haben auffallend grosse Ohren, deren Aufbau und Gestalt in Zusammenhang mit einer ausgefeilten Nahorien-tierung und spezifischen Beutesuchstrategie steht. Die Augensind bei den «eigentlichen» Fledermäusen, die ihre Beuteakustisch orten, relativ klein, ermöglichen jedoch zumindestdas Erkennen schwarzweisser Strukturen sowie des von Blü-ten reflektierten UV-Lichts. Die sich optisch orientierendenFlughunde besitzen hingegen grosse, nach vorne gerichteteAugen, mit denen die Tiere nachts nach früchtetragendenBäume Ausschau halten. Fledermäuse nutzen weltweit sehrunterschiedliche Nahrungsquellen. Während die bei uns lebenden Arten Insekten und weitere Gliedertiere fressen, ernähren sich andere Arten von kleinen Wirbeltieren, Früch-ten, Nektar und Pollen oder von Blut (Vampirfleder mäuse).Typisch für Fledermäuse ist die lange Lebensdauer. So könnensie ein Alter von 20 bis über 40 Jahre erreichen. Fledermäuse sind weltweit verbreitet und fehlen einzig inder Antarktis und anderen Polarregionen. Generell steigtdie Artenzahl von den Polen zum Äquator stetig an.

Biologie

Einzigartig unter den Säugetieren ist die bei Fledermäusenentwickelte Ultraschall-Echoorientierung. Anhand der Echosihrer Ortungsrufe, die wie bei allen Säugetieren im Kehlkopferzeugt werden, machen sich Fledermäuse nachts im Dun-keln ein «Hörbild» ihrer Umwelt. Dabei können sie kleinste

Page 50: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen
Page 51: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

les Nachtquartier aufsuchen. Das spezialisierte Echoortungs-verhalten sowie die grossen, breiten Flügel ermöglichen derArt ihren langsamen, wendigen Suchflug entlang von Wald-rändern und Hecken sowie über Wiesen und Weiden. Be-sonders charakteristisch ist die Wartenjagd, bei welcher dieGrosse Hufeisennase auf einer Höhe von einem bis zwei Me-tern über dem Boden an einem abgestorbenen Zweig hängtund mit ständigem Hin- und Her-Rotieren um die Längsach-se und Aussenden von Ultraschallrufen die Umgebung nachBeutetieren absucht. Vorbeifliegende Insekten fängt sie imFlug, verzehrt diese aber an der Jagdwarte hängend. Gele-gentlich liest die Grosse Hufeisennase ihre Beute auch direktvon der Vegetation oder vom Boden ab. Grosse Insekten do-minieren die Nahrung. In der Schweiz zählen im Al-penrheintal (Vorderrheintal, Kanton Graubünden) wie imJura (Kanton Aargau) Blatthornkäfer (Mai-, Mist- und Dung-käfer), Nachtfalter (Eulenfalter, Schwärmer), Zweiflügler(Schnaken) und Hautflügler zu den wichtigsten Beutetieren(ASHG 1994, BECK & SCHALBERT 1999).Weibchen kehren für die Geburt oft in ihr Geburtsquartierzurück. Ende Juni bis Mitte Juli gebären sie ihr Junges. ImAlter von vier Wochen fliegen die Jungtiere bereits selbst-ständig zur Jagd aus, obwohl sie noch bis zur siebten Wochegesäugt werden. Mit acht bis neun Wochen, nach Abschlussdes Skelettwachstums, nutzen jagende Jungtiere bereitsdenselben Aktionsradius wie die Alttiere. Beide Geschlech-ter erreichen meist im Alter von zwei bis drei Jahren die Ge-schlechtsreife. Das nachgewiesene Höchstalter beträgt 30,5Jahre. Die Grosse Hufeisennase verhält sich im Vergleich zuanderen Fledermausarten sehr ortstreu. So sind Sommer-und Winterquartiere meist weniger als 30 km voneinanderentfernt.

Abb. 62 Maikäfer sind in Liechtenstein für alle grossen Fledermausarten eine wichtige Nahrungsquelle.(Foto: René Güttinger)

Grosse Hufeisennase (Rhinolophus ferrumequinum)Ordnung: Fledermäuse (Chiroptera)Familie: Hufeisennasen (Rhinolophidae)

Foto: René Güttinger

Merkmale

Optisch auffällig bei allen Hufeisennasenfledermäusen istdie eigenartige Nasenform, welcher die Tiere ihren Namenverdanken. Charakteristisch ist die hufeisenförmige Hautfal-te rund um die Nasenlöcher, welche über Hautbildungen mitweiteren Hautaufsätzen wie dem Sattel und der Lanzetteverbunden ist. Dieser komplexe Nasenaufbau sowie der feh-lende Ohrdeckel (Tragus) stehen in engem Zusammenhangmit der Echoortung, welche sich wesentlich von jener derGlattnasenfledermäuse unterscheidet. Typisch für Hufeisen-nasen ist bei den Weibchen, zusätzlich zu den achselständi-gen Milchzitzen, die Ausbildung sogenannter Haftzitzen inder Leistengegend, an denen sich die Jungen festsaugenkönnen. Mit einem Normalgewicht von 18 bis 24 g und einerFlügelspannweite von 33 bis 40 cm zählt die Grosse Hufei-sennase zu den grössten einheimischen Fledermausarten. Sieträgt ein dichtes, braunes Fell mit rötlich-gelbem Einschlag.Frei hängende Tiere hüllen sich in typischer Hufeisennasen-manier in ihre Flughäute ein und können am Hangplatz des-halb gut von anderen Fledermausarten unterschieden wer-den. Die Grosse Hufeisennase ist auch anhand ihrerOrtungslaute, die sie wie alle Hufeisennasen durch die Na-senlöcher aussendet, eindeutig bestimmbar.

Biologie

In Mitteleuropa und Grossbritannien bildet die Grosse Huf-eisennase im Sommerhalbjahr Wochenstubenkolonien mitbis zu 200 Alttieren. Diese leben in Dachstöcken und setzensich hauptsächlich aus geschlechtsreifen Weibchen sowienoch nicht geschlechtsreifen Weibchen und Männchen zu-sammen. Die Tiere hängen meist in dichten Clustern zusam-men, bei hohen Dachstocktemperaturen jedoch auch ein-zeln. Wenn die Weibchen beim Einnachten zur Jagdaufbrechen, werden die Jungtiere oft in separaten Räumenzurückgelassen. Grosse Hufeisennasen legen während derJagd regelmässig Aktivitätspausen ein, wobei sie für kurzeVerdauungspausen im Jagdgebiet bleiben, für längere Ru-hephasen jedoch gezielt ihr Tagesquartier oder ein speziel-

50

Page 52: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

Abb. 64 Im Burg Gutenberg in Balzers wurden 1993 letztmals in Liech -ten stein Grosse Hufeisennasen nachgewiesen. (Foto: René Güttinger)

Abb. 63 Dieses in Alkohol konser-vierte Jungtier stammt von 1992 und ist einer der letzten Belege derGrossen Hufeisennase aus Liechten-stein. (Foto: René Güttinger)

51

solchen Beobachtungen jeweils unklar bleibt, ob es sich umletzte Einzeltiere oder um Zuwanderer handelt.In Liechtenstein ist ein ausreichendes Lebensraumangebotdie Voraussetzung für das Überleben der letzten (vielleicht)noch existierenden Grossen Hufeisennasen sowie für diemögliche Neubesiedlung durch zuwandernde Tiere. So be-nötigt die Art ein Netz an geräumigen, ruhigen und warmenDachstöcken sowie eine vielfältig gegliederte Kulturland-schaft mit Hecken, Laubmischwäldern und daran angren-zenden, extensiv bewirtschafteten Grasflächen. Beim Schutzsolcher Lebensraumstrukturen kommt der Gemeinde Balzerseine besondere Bedeutung zu, wurden hier doch letztmalsin Liechtenstein Grosse Hufeisennasen beobachtet. Viel-leicht ist dies kein Zufall, verfügt diese Gemeinde mit demGebiet Elltal-Ellwiesen – gemeinsam mit der Bündner Ge-meinde Fläsch – doch über eine grossflächig naturnah be-wirtschaftete Kulturlandschaft, welche den Lebensrauman-forderungen der Grossen Hufeisennase in hohem Masseentsprechen dürfte.

René Güttinger

Verbreitung

Das Verbreitungsgebiet reicht von Nordwest-Afrika, demMittelmeerraum und Teilen Europas über den Nahen Ostenund die südlichen Kaukasusländer bis nach Japan. In Europaliegt die Hauptverbreitung im Mittelmeerraum. In Mitteleu-ropa, wo die Grosse Hufeisennase lediglich reich strukturier-te Landschaften in klimatischer Gunstlage besiedelt, ist dieArt selten. Im Alpenrheintal ist nur noch eine einzige Wo-chenstubenkolonie aus dem Vorderrheintal (Kanton Gaubün-den) bekannt (MÜLLER et al. 2010). Zahlreichen Sommerquar-tieren von Einzeltieren sowie vereinzelten Winterquartierenaus derselben Region stehen lediglich ein Sommer-, einHerbst- sowie ein Winterquartier aus dem St. Galler Rheintalgegenüber (GÜTTINGER & BARANDUN 2010). Aus Vorarlberg sindkeine Nachweise überliefert (REITER, mündl. Mitteilung).In Liechtenstein ist die Grosse Hufeisennase in den vergan-genen 30 Jahren nur in Balzers beobachtet worden (HOCH,schriftl. Mitteilung).

Lebensraum

Sommerquartiere befinden sich in Mitteleuropa ausschliess-lich in warmen, störungsfreien Dachräumen. Aus Liechten-stein und der Schweiz sind Wochenstubenquartiere in Kir-chen, Kapellen, Burgen und Bauernhäusern bekannt. AlsWinterquartiere dienen Höhlen und Stollen. Nachtquartiere,die in den Ruhepausen während der Jagd aufgesucht wer-den, befinden sich in Gebäuden oder Höhlen. Im Al-penrheintal (Vorderrheintal, Kanton Graubünden) jagt dieGrosse Hufeisennase bevorzugt in flussnahen Laub- undLaubmischwäldern, am Waldrand sowie im angrenzendenOffenland. Zum Durchqueren des offenen Kulturlandes zwi-schen Tagesquartier und Jagdgebiet nutzt sie Flugroutenentlang von Hecken, Obstgärten und Waldrändern (ASHG1994). Aus anderen mitteleuropäischen Regionen sind aus-serdem Weiden, blütenreiche, extensiv bewirtschaftete Wie-sen und Obstwiesen als Jagdlebensräume nachgewiesen. ImAlpenrheintal beträgt der Aktionsradius während der Jagdmeist drei bis vier Kilometer (ASHG 1994).

Gefährdung und Schutz

Die Grosse Hufeisennase zählt in ganz Mitteleuropa undGrossbritannien zu den bedrohtesten Säugetierarten. Fach-leute schätzen den Rest-Bestand in Österreich auf rund 200,in der Schweiz auf maximal 500 Tiere. In Liechtenstein ist dieArt möglicherweise ausgestorben. Beobachtungen von we-nigen Alttieren mit einzelnen, oftmals toten Jungen gelan-gen letztmals 1983 im Dachstock der Kapelle Maria Hilf (WIE-DEMEIER 1984) sowie 1993 auf Schloss Gutenberg (Hoch,schriftl. Mitteilung). 1999 beobachtete Silvio Hoch im Raumüber dem Durchgang zum Innenhof der Burg Gutenbergzum letzten Mal eine Grosse Hufeisennase auf Liechtenstei-ner Boden. Sporadische Nachweise von Einzeltieren in be-nachbarten Regionen Liechtensteins (Bündner Herrschaft,St. Galler Rheintal) sind schwierig zu interpretieren, weil bei

Page 53: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

52

Kleinen Hufeisennase langsame, wendige Flugmanöver inBaumkronen und Büschen sowie über dem Waldboden. Aufder Suche nach Beute vollführen die Fledermäuse enge Flug-schleifen mitten durchs Geäst oder um einzelne Baumstäm-me. Beutetiere werden mit Hilfe frequenzkonstanter Or-tungslaute, wie dies für Hufeisennasen typisch ist, sowiedurch Wahrnehmung des Flügelschlags lokalisiert. Generelldominieren kleine, weiche und langsam fliegende Insektendie Nahrung, welche vor allem aus kleinen Nachtfaltern,Netz- und Zweiflüglern (hauptsächlich Schnaken) besteht. Die Weibchen gebären Ende Juni oder im Juli ein einzelnesJunges. Die Jungtiere verlassen vier Wochen nach der Ge-burt erstmals das Wochenstubenquartier, sind aber erst imAlter von sechs bis sieben Wochen entwöhnt und selbststän-dig. Weibchen und Männchen erreichen meist erst im zwei-ten Herbst die Geschlechtsreife. Das Durchschnittsalter be-trägt vier bis fünf Jahre, das nachgewiesene Höchstalterbeträgt 21 Jahre. Die Kleine Hufeisennase verhält sich wieihre grosse Verwandte sehr ortstreu. So sind Sommer- undWinterquartiere meist weniger als 20 km voneinander ent-fernt.

Abb. 65 Beim Aussenden der Ultraschalllaute wirkt der hufeisenförmige Nasenaufsatz wie ein Megafon.(Foto: René Güttinger)

Kleine Hufeisennase (Rhinolophus hipposideros)Ordnung: Fledermäuse (Chiroptera)Familie: Hufeisennasen (Rhinolophidae)

Foto: René Güttinger

Merkmale

Auch die Kleine Hufeisennase besitzt auf ihrem Nasenrückenauffällig geformte Hautaufsätze und die namengebende,hufeisenförmige Hautfalte. Mit einem Gewicht von vier bisacht Gramm und einer Flügelspannweite von rund 23 cm istsie jedoch deutlich kleiner als die Grosse Hufeisennase. DieKleine Hufeisennase besitzt ein dichtes, gelbbraunes Rü-ckenfell mit einer deutlich helleren, grauweissen Unterseite.Wie bei allen Hufeisennasen besitzen Weibchen zusätzlichzu den beiden achselständigen Milchzitzen in der Leistenge-gend zwei Haftzitzen, an denen sich die Jungtiere mit demMund festhalten können. In Ruhestellung am Hangplatzhüllt sie sich komplett in ihre Flughäute ein. Dank dieser ty-pischen Verhaltensweise am Hangplatz sowie der geringenKörpergrösse kann die Kleine Hufeisennase im Quartier mitkeiner anderen Fledermausart verwechselt werden. Eben-falls eindeutig bestimmbar ist die Kleine Hufeisennase an-hand ihrer Ortungslaute, die sie wie ihre grosse Schwesterdurch die Nasenlöcher aussendet.

Biologie

Im Sommerhalbjahr schliessen sich Weibchen der KleinenHufeisennase zu Wochenstubenkolonien zusammen, welchein Graubünden bis zu 300 (MÜLLER et al. 2010) und in Vorarl-berg bis zu 100 Individuen (REITER et al. 2006) umfassen. Diemeisten Kolonien zählen jedoch nur wenige Dutzend Alttie-re. In der Regel handelt es sich um reine Weibchengruppenmit ihren Jungtieren. Die einzelnen Tiere hängen in derRegel locker verteilt an Dachbalken, am Unterdach sowie anMauervorsprüngen. Gelegentlich dienen auch enge, ledig-lich wenige Dutzend Zentimeter hohe Zwischenböden alsHangplatz. Nur bei kühler Witterung sowie kurz vor der Ge-burt bilden die Tiere dichte Cluster. Kleine Hufeisennasenbrechen rund 30 Minuten nach Sonnenuntergang zur Jagdauf. Während der Beutesuche legen sie regelmässig Aktivi-tätspausen ein, die sie entweder in Ruhequartieren im Jagd-gebiet oder im Wochenstubenquartier verbringen. BreiteFlügel und ein geringes Körpergewicht ermöglichen der

Page 54: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

Aufnahme der Wirkstoffe über die Nahrungskette und denKontakt mit behandeltem Holz im Quartier führte zu einerschleichenden Vergiftung der empfindlichen Fledermäuse. InLiechtenstein ist die Kleine Hufeisennase seit über 50 Jahrenausgestorben. Systematische Dachstockkontrollen, wie sieseit den 1990er Jahren regelmässig durchgeführt werden, er-brachten bislang keine Hinweise auf ein aktuelles Vorkom-men. Erstaunlicherweise sind auch ältere Beobachtungen nurspärlich vorhanden. Einzig VON LEHMANN (1962, zit. in WIEDE-MEIER 1984) erwähnt zwei Beobachtungen von 1953 ausVaduz, nämlich eine Wochenstube mit rund 20 Alttieren ineinem Dachstock sowie ein Einzeltier in einem Keller. In Graubünden sowie im Bregenzerwald zeigen die verblie-benen Wochenstubenkolonien der Kleinen Hufeisennaseseit Jahren eine positive Bestandesentwicklung (REITER et al.2006, MÜLLER et al. 2010). Dieser Trend lässt auf eine Wie-derausbreitung und mittelfristig auch auf eine erneute Be-siedlung Liechtensteins hoffen. Das Öffnen verschlossenerDachstöcke, welche idealerweise nicht weiter als 2 bis 3 kmvom Wald entfernt liegen sollten, ist eine wichtige Mass-nahme zur Wiederherstellung potenzieller Wochenstuben-quartiere. Ebenfalls wesentlich ist das Vorhandensein vonHecken und Baumreihen als Deckungsstrukturen entlangder Flugrouten zwischen Quartier und Jagdgebieten. An ge-eigneten Orten angepflanzt, werden neue Hecken von denTieren sehr rasch angenommen. Eine möglichst grosse Wald-fläche im Umkreis von 600 m um das Wochenstubenquartiererhöht die Lebensraumqualität massgeblich.

René Güttinger

53

Abb. 66 Im Rheinbergerhaus in Vaduz hat der Zoologe Ernst von Lehmann 1953 letztmals eine zwanzigköpfige Kolonie der Kleinen Huf eisennase beobachtet. (Foto: Silvio Hoch)

Verbreitung

In Europa ist die Kleine Hufeisennase einzig im Mittelmeer-gebiet weit verbreitet. In Mittel- und Westeuropa erstrecktsich das Vorkommen, mit grossen Verbreitungslücken,gegen Norden bis nach West-Irland und das südwestlicheGrossbritannien. Ausserhalb Europas reicht die Verbreitungvon Teilen Nord- und Ostafrikas sowie der Arabischen Halb-insel ostwärts in Asien bis Kaschmir. In der Schweiz be-schränkt sich das Vorkommen der Kleine Hufeisennase,nachdem sie hier bis vor 50 Jahren noch weit verbreitet war,auf isolierte Kolonien in wenigen Alpentälern. In unmittel-barer Nachbarschaft Liechtensteins existieren im Alpen -rhein tal nur noch je eine Wochenstube in der Bündner Herr-schaft (MÜLLER et al. 2010) und im Sarganserland (Seeztal)(GÜTTINGER & BARANDUN 2010). In Voralberg sind je eine Wo-chenstube im Rheintal und Grosswalsertal sowie mehrereKolonien im Bregenzerwald bekannt (REITER et al. 2006). InLiechtenstein ist die Kleine Hufeisennase letztmals 1953 inVaduz beobachtet worden (VON LEHMANN 1962; WIEDEMEIER

1984).

Lebensraum

Wochenstubenquartiere der Kleinen Hufeisennase befindensich in Kirchen, Kapellen, Burgen, Wohnhäusern, Ställen,Brücken und Kraftwerksgebäuden. Die Art bevorzugt ver-winkelte, oft aus mehreren Teilräumen bestehende Dachbö-den mit zugluftfreiem und warmem Mikroklima. Den Win-terschlaf verbringt sie in Höhlen und Stollen. Die Kleine Hufeisennase jagt im Wald. Im Vorderrheintal(Lugnez, Kanton Graubünden) nutzt sie verschiedene Wald-typen bis auf 1500 m Meereshöhe (BONTADINA et al. 2006). Oftsucht sie ihre Beute im Bereich von Fliessgewässern. Auf demWeg zwischen Tagesquartier und Jagdgebiet fliegt die Klei-ne Hufeisennase gerne entlang von Hecken, Baumreihen,Geländekanten und Gebäuden. Vermutlich erhöht das Vor-handensein solcher Deckungsstrukturen die Chance eines si-cheren, vor Fressfeinden geschützten Ausflugs. Gleichzeitigkönnen die Fledermäuse früher in der Dämmerung ausflie-gen, so dass ihnen mehr Zeit für die Beutesuche bleibt. DerAktionsradius um das Wochenstubenquartier beträgt imNormalfall etwas 2,5 km und reicht im Maximum bis 4 km.Bei der Wahl von Ruhequartieren während der Jagdpausenist die Kleine Hufeisennase wenig wählerisch. In Frage kom-men alte Ställe, Felsspalten, Brücken sowie Betonschächteund Strassenunterführungen von Bächen.

Gefährdung und Schutz

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erlitt die KleineHufeisennase in Mittel- und Westeuropa einen umfassendenBestandesrückgang, verbunden mit einem grossräumigenArealverlust. Hauptursache dafür sind nach heutiger Auffas-sung hochtoxische Pestizide wie DDT und Lindan, welche da-mals in der Landwirtschaft und bei der Schädlingsbekämp-fung in Dachstöcken bedenkenlos eingesetzt wurden. Die

Page 55: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

54

und Spinnen einen beträchtlichen Teil der Nahrung ausma-chen. In der zweiten Junihälfte gebären die Weibchen ihr Junges(selten auch Zwillinge). Bereits im August lösen sich die Wochenstuben wieder auf. Im Herbst zeigt die Kleine Bart-fledermaus stellenweise ein ausgeprägtes Schwärmverhal-ten an Höhlen. Paarungen erfolgen vom Spätsommer bisFrühling in Männchen-, Schwärm- oder Winterquartieren.Weibchen können sich bereits im ersten Lebensjahr fort-pflanzen. Das nachgewiesene Höchstalter beträgt 23 Jahre,das Durchschnittsalter 3,5 bis 5 Jahre. Die Kleine Bartfleder-maus gilt wie viele Myotis-Arten als relativ ortstreue Art. Diewenigen Beringungsdaten, welche mit Sicherheit der Klei-nen Bartfledermaus zugeschrieben werden können, lassenvermuten, dass sie meist nur kleinräumige saisonale Wande-rungen bis maximal 100 km unternimmt.

Verbreitung

Die Kleine Bartfledermaus ist von Marokko über ganz Euro-pa bis nach Süd-Schottland und Süd-Skandinavien verbrei-tet. Ostwärts findet man sie auf der gesamten Balkaninsel,weiter östlich ist der Verlauf der Verbreitungsrenze hinge-gen unbekannt. Im Alpenrheintal und den angrenzendenRegionen gilt die Art trotz der spärlichen Nachweise sowohlin Vorarlberg und in den Kantonen St. Gallen und Graubün-den als verbreitet (REITER, mündl. Mitteilung, GÜTTINGER & BARANDUN 2010, MÜLLER et al. 2010). Dieses übereinstim -mende Verbreitungsmuster scheint auch für Liechtensteingültig zu sein. So umfassen die bisherigen Quartiernachwei-se das einzige bekannte Wochenstubenquartier in Nendelnsowie zwei Sommerquartiere von Einzeltieren in Schaan undTriesenberg (Steg). Sechs aus Vaduz, Triesen und Balzersstammende Einzelttierfunde ohne Quartierbezug rundendas Verbreitungsbild ab (HOCH, schriftl. Mitteilung).

Abb. 67 Wie alle Fledermäuse sucht auch die Kleine Bartfledermaus zur Überwinterung kühle und frostsichereHöhlen, Stollen und Keller auf. (Foto: René Güttinger)

Kleine Bartfledermaus (Myotis mystacinus)Ordnung: Fledermäuse (Chiroptera)Familie: Glattnasen (Vespertilionidae)

Foto: René Güttinger

Merkmale

Die Kleine Bartfledermaus ist mit einem Gewicht von vier bissieben Gramm und einer Flügelspannweite von 20 bis 25 cmnur wenig grösser als die Zwergfledermaus (Pipistrellus pipi-strellus) und Mückenfledermaus (P. pygmaeus). Sie gehörtdamit zu den kleinsten Fledermausarten Liechtensteins. Wiealle Myotis-Arten besitzt sie relativ lange Ohren mit einenlangen, spitz auslaufenden Ohrdeckel (Tragus) sowie einezur Oberseite deutlich abgesetzte helle Färbung des Bauch-fells. Anhand der schwarzbraunen Farbe von Gesicht undOhren sowie des dunkelbraunen Rückenfells, das oft mithellen Haarspitzen durchsetzt ist, kann die Kleine Bartfle-dermaus in Liechtenstein mit keiner der bisher nachgewie-senen Myotis-Arten verwechselt werden. Grundsätzlich besteht eine Verwechslungsgefahr mit dennahe verwandten Arten Nymphenfledermaus (Myotis alcat-hoe) und Brandtfledermaus (Myotis brandtii). Von beidenfehlen bislang Hinweise auf ein Vorkommen in Liechten-stein. Allerdings sind von Letzterer einzelne Vorkommen ausVorarlberg belegt. Aus den Kantonen St. Gallen und Grau-bünden liegen von beiden Arten keine Nachweise vor.

Biologie

Wochenstubenkolonien können mehrere dutzend bis hun-dert Tiere umfassen. Erwachsene Männchen leben meist alsEinzelgänger. Typisch für die Kleine Bartfledermaus sind re-gelmässige Wechsel der Sommerquartiere alle ein bis zweiWochen. Bei länger besetzten Quartieren findet ein regerIndividuenaustausch statt. Die Kleine Bartfledermaus jagtihre Beute im wendigen Flug bis auf Baumkronenhöhe. Sieist mit ihren langen und schmalen Flügeln auf die Jagd nachfliegenden Insekten prädestiniert, fängt ihre Beute aber ge-legentlich auch nahe an der Vegetation oder durch Ablesenvon einer Oberfläche. Sie erbeutet kleine und mittelgrosseArthropoden bis 7,5 mm. Das breite Nahrungsspektrum um-fasst verschiedene Arten von Zweiflüglern (Schnaken, Steck-mücken, Zuckmücken und andere), Nachtfalter, Hautflüglerund Netzflügler. Lokal können zudem auch Käfer, Raupen

Page 56: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

55

Abb. 69 Die Bartfledermaus findet an Wohnhäusern neuerer Bauart geeignete Spaltquartiere – so auch in Nendeln. Das Quartier befindet sicham mittleren Reihenhaus zwischen Dachtraufe und Traufbrett.(Foto: Silvio Hoch)

Abb. 68 Trotz der wenigen Nachweise darf man davonausgehen, dass die Bartfledermaus in Liechtenstein weitverbreitet ist.

Kleine Bartfledermaus

Wochenstube

Sonstiges Quartier

Netzfang Freiland

Freifund

2 01 Kilometer

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Die geringen Kenntnisse über Quartiere und Bestandesgrös-se lassen eine Beurteilung der Bestandesentwicklung fürLiechtenstein nicht zu. Wie alle Fledermausarten, die bevor-zugt Spaltquartiere an Gebäuden bewohnen, ist die Bartfle-dermaus gefährdet. Dachsanierungen, Renovierungen vonFassaden und dergleichen führen oftmals zur Zerstörung derQuartiere. Der gesetzliche Schutz der Quartiere kann in die-sen Fällen nur greifen, wenn die Grundeigentümer über dieSituation auch aufgeklärt werden. Neue Quartiere als Ersatzentstehen heute kaum mehr, weil bei Neubauten sämtlicheSpalten und Fugen von vorneherein abgedichtet werden. Die Bartfledermaus benötigt geeignete Jagdlebensräume inder Nähe der Tagesquartiere. Eine kleinräumige Vernetzungkann durch den Erhalt oder die Neupflanzung von Hecken,Baumgruppen und Obstgärten gefördert werden. Beson -deres Augenmerk sollte zudem auf den Schutz naturnaherUfergehölze, vor allem entlang von Waldbächen, gelegtwerden, stellen diese doch beliebte Jagdgebiete der Bart -fledermaus dar.

René Güttinger

Lebensraum

Wochenstuben- und übrige Sommerquartiere befinden sichhinter senkrechten Außenwandverkleidungen, in Zwischen-dächern, sowie hinter Fensterläden, Windbrettern und der-gleichen. Bei Quartieren in Dachböden nutzen die Bartfle-dermäuse Hohlräume im Dachgebälk. Selten werdenQuartiere in Baumhöhlen, unter loser Baumrinde oder inMauerspalten gefunden. Die einzige Liechtensteiner Wo-chenstube hat ihr Quartier zwischen Dachtraufe und Trauf-brett (HOCH, schriftl. Mitteilung). Zwei Quartiere mit Einzel-tieren sind in einem Mauerspalt sowie in einemFledermauskasten entdeckt worden. Den Winter verbringtdie Bartfledermaus in Höhlen, Stollen und Kellern, seltenauch in Felsspalten. Ihre Beute jagt die Art in Wäldern, anWaldrändern, um Hecken, Baumgruppen, locker mit Bäu-men bestockten Flächen (zum Beispiel Obstgärten) sowie anStrassenlampen. Jagdgebiete erstrecken sich häufig entlangvon Bachläufen und anderen Gewässern.

Page 57: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

56

terquartiere auch zur Paarung genutzt. Die Fransenfleder-maus sucht ihre Beute nahe an der Vegetation. Ein langsa-mer Flug, hohe Manövrierfähigkeit sowie die Fähigkeit zumStillstehen in der Luft (Rüttelflug) ermöglichen das Ablesender Beutetiere von Blättern, vom Wiesenboden oder derDecke von Viehställen. Darüber hinaus besitzt die Fransen-fledermaus ein hochspezialisiertes Echoortungssystem zumErkennen von Beute auf einem Substrat. In Wiesen landetdie Fransenfledermaus zum Fang der Beute auch auf demBoden und nähert sich dieser zu Fuss. Der Beuteerwerb er-folgt gelegentlich auch im freien Luftraum. Oftmals setztdie Fransenfledermaus beim Beutefang ihre Schwanzflug-haut als Kescher ein. Es wird vermutet, dass dabei die Fran-sen am Hinterrand der Schwanzflughaut als Tastorgane dienen könnten. Nicht fliegende Beutetiere wie Spinnen,Weberknechte und tagaktive Fliegen dominieren die Nah-rung. Fallweise sind im Speiseplan auch Käfer, Schmetterlin-ge, Hundertfüsser, Asseln sowie Köcher- und Steinfliegenvertreten.Jungtiere kommen als Einzelkinder Anfang Juni bis AnfangJuli zur Welt und sind bereits nach vier Wochen selbststän-dig. Weibchen werden bereits im ersten Herbst geschlechts-reif. Paarungen finden im Herbst in sogenannten Schwärm-quartieren sowie im Winterquartier statt. Das Höchstalterwird mit 21,5 Jahren angegeben. Auf ihren saisonalen Wanderungen verhält sich die Fransen-fledermaus relativ ortstreu. So betragen die Distanzen zwi-schen Sommer-, herbstlichen Schwärm- und Winterquartie-ren in der Regel meist weniger als 60 km. Wanderungenüber grössere Distanzen sind jedoch möglich.

Verbreitung

Die Fransenfledermaus ist in Europa weit verbreitet, wohlaber nirgends häufig. Ihr Areal reicht von den Britischen In-seln und Südskandinavien bis zum Mittelmeerraum sowieostwärts bis nach Turkmenistan am Kaspischen Meer. Im Al-penrheintal und seinen Seitentälern sind bis anhin nur ein-zelne Quartiere und Tierfunde bekannt geworden. DieQuartiernachweise beschränken sich im Bündnerischen Vor-derrheintal auf zwei Wochenstuben (MÜLLER et al. 2010), im

Abb. 70 Der s-förmige Sporn am Hinterrand der Schwanz-flughaut macht die Fransenfledermaus unverkennbar.(Foto: René Güttinger)

Fransenfledermaus (Myotis nattereri)Ordnung: Fledermäuse (Chiroptera)Familie: Glattnasen (Vespertilionidae)

Foto: René Güttinger

Merkmale

Der zweireihige, fransenartige Borstensaum am Hinterrandder Schwanzflughaut sowie ein s-förmig geschwungenerSporn (Knochenspange am Fussgelenk, welche die Schwanz-flughaut aufspannt) sind typisch für die Fransenfledermaus.Anhand dieser Merkmale kann sie bei uns mit keiner ande-ren Myotis-Art verwechselt werden. Die Ohren sind relativlang und überragen, wenn sie nach vorne gefaltet werden,die Schnauze knapp. Meist ist die Basis der braungrauenOhren schwächer pigmentiert und rötlich gefärbt. DieSchnauze ist schmal und ebenfalls von hellroter Farbe.Mit einem Gewicht von sieben bis zehn Gramm und einerFlügelspannweite von 25 bis 30 cm gehört die Fransenfle-dermaus zu den mittelgrossen Arten. Das relativ dichte Fellist auf dem Rücken braun bis braungrau, am farblich deut-lich abgesetzten Bauch weiss bis grauweiss. Die über einengrossen Frequenzbereich absinkenden Ortungsrufe erlau-ben Spezialisten meist eine sichere Artbestimmung.

Biologie

In Mitteleuropa zählen Wochenstubenkolonien meist weni-ge Dutzend, gelegentlich aber über 100 Tiere. Diese sindkeine reinen Weibchenverbände und beherbergen regel-mässig auch einzelne Männchen. Typisch für die Fransenfle-dermaus sind die ständigen Quartierwechsel im Abstand we-niger Tage, bei denen sich die Kolonie immer wieder inverschieden zusammengesetzte Teilgruppen aufsplittert. InGebäuden verweilen die Tiere jeweils über längere Peri-oden, wechseln aber ebenfalls regelmässig ihre Hangplätze.Besonders vor und nach einem frisch erfolgten Quartier-wechsel zeigen die Fransenfledermäuse frühmorgens einauffälliges Schwärmen vor dem Quartier. Ein ausgeprägtesMassen-Schwärmverhalten findet im September und Okto-ber an Höhlen statt. Möglicherweise ist dieses Phänomenauch im Alpenrheintal präsent. Zumindest lassen einzelne,im Herbst an Höhleneingängen abgefangene Männchen ausVorarlberg und der Region Werdenberg darauf schliessen.Diese herbstlichen Schwärmquartiere werden wie die Win-

Page 58: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

57

Abb. 72 An dieser Scheune in Mauren lebte im heissenSommer 2003 eine Wochenstubenkolonie im Zwischen-raum des Vordachs. (Foto: Silvio Hoch)

Abb. 71 Die sporadischen Nachweise der Fransenfleder-maus konzentrieren sich auf tiefere Höhenlagen des Liech-tensteiner Unterlandes.

Fransenfledermaus

Wochenstube

Freifund

2 01 Kilometer

Mitteilung). Winter- und Herbstquartiere, wie sie in Vorarl-berg sowie in der Region Werdenberg (Wartau) vereinzeltaus Höhlen bekannt sind, konnten in Liechtenstein bishernicht gefunden werden. Als potenzielle Winterquartierekommen nebst Höhlen auch Stollen, Keller und Felsspaltenin Frage. Die Fransenfledermaus jagt mit Vorliebe über Wei-den, Streuobstwiesen, Gewässern, in Wäldern mit Laubholz-anteil, an Waldrändern sowie entlang von Baumreihen. Da-nebst geht sie häufig auch in Viehställen auf Beutejagd.Diese sind offenbar auch in Liechtenstein beliebte Jagdle-bensräume. Dies zeigen zwei Funde von Fransenfledermäu-sen, welche sich bei der Jagd auf Stallfliegen an Fliegenkle-befallen verfingen (HOCH, schriftl. Mitteilung). Jagdgebietebefinden sich meist im Umkreis von 4 km um die Quartiere.

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Bei der Fransenfledermaus ist eine Beurteilung der Bestan-desentwicklung in Liechtenstein aufgrund der dünnen Da-tengrundlage nicht möglich. Jedoch sind aus anderen Re-gionen Europas Gefährdungsfaktoren bekannt, welche auchim Alpenrheintal wirksam sein dürften, sodass Empfehlun-gen zum Schutz der Art direkt aus der Literatur übernom-men werden können. Die Zerstörung von Quartierhohlräu-men an Gebäuden im Zuge von Renovierungen stellt eineständige Gefahr dar. Der gesetzliche Schutz der Quartierekann dem teilweise entgegenwirken. Ebenso wichtig ist da-rüber hinaus auch die Aufklärung der betroffenen Grundei-gentümer. Bestrebungen zur ökologischen Aufwertung derKulturlandschaft mit Hecken, Feldgehölzen sowie extensivbewirtschafteten Wiesen und Weiden kommen in jedem Fallauch der Fransenfledermaus zugute. Ein besonderes Pro-blem sind die in Viehställen verwendeten Fliegenfänger inForm von Klebebändern und –schnüren. Regelmässig blei-ben daran auch Fransenfledermäuse kleben beim Versuch,die unbeweglichen Fliegen von den Fallen abzulesen. MitDrahtgitterkörben umhüllte Klebefallen bieten Abhilfe,ebenso die Verwendung alternativer Bekämpfungsmittel.Eine effiziente und giftfreie Methode zur Vernichtung vonFliegen sind elektrische UV-Lockfallen mit integriertemHochspannungsgitter.

René Güttinger

Gebiet des St. Galler Rheintals auf eine Wochenstube im Sar-ganserland und ein Herbstquartier im Werdenbergischen(GÜTTINGER & BARANDUN 2010) sowie in Vorarlberg auf wenigeSommerquartiere, ein Winter- sowie ein herbstlichesSchwärmquartier (REITER, mündl. Mitteilung). In Liechten-stein konzentrieren sich die spärlichen Nachweise auf dasUnterland (HOCH, schriftl. Mitteilung). Je ein Wochenstuben-quartier wurde in Schellenberg und Mauren erfasst. VierNachweise einzelner Tiere stammen ebenfalls aus Schellen-berg (3) sowie aus Schaanwald (1). Bei der schwierig zu erfassenden Fransenfledermaus ist, zumindest im Bereichdes Alpenrheintals, mit weiteren Vorkommen zu rechnen.

Lebensraum

Kolonien der Fransenfledermaus bewohnen im Sommer-halbjahr Baumhöhlen, Fledermauskästen und Spalträume anund in Gebäuden. Im Alpenrheintal sind Wochenstuben-quartiere in Scheunen, Viehställen und Wohnhäusern nach-gewiesen, in denen sich die Tiere vor allem in Hohlräumevon Zwischendächern und Balken verkriechen (MÜLLER et al.2010). Die beiden Liechtensteiner Quartiere befinden sich imZwischendach einer Scheune und eines Wohnhauses, welchebeide mit einem Ziegeldach ausgestattet sind (HOCH, schriftl.

Page 59: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

58

individuelle Hangplätze in anderen Quartierräumen, gele-gentlich auch in Wochenstubenquartieren, jedoch in gebüh-rendem Abstand von der Kolonie. Das Grosse Mausohr ge-hört zu den am spätesten ausfliegenden Arten, die ihrQuartier erst bei deutlicher Dunkelheit verlassen und mor-gens zeitig zurückkehren. Bei geeigneter Witterung dauertdie Jagd über die ganze Nacht. Während der Jungenauf-zucht können säugende Weibchen die Jagd unterbrechenund gegen Mitternacht ins Tagesquartier zurückkehren,bevor sie nach einer ein- bis zweistündigen Ruhepause noch-mals zur Jagd aufbrechen. Im Jagdgebiet wird die meistmehrere dutzende Minuten dauernde Jagdphase durch re-gelmässige Pausen unterbrochen. Wie in ganz Mitteleuropa stellen Laufkäfer auch bei denTriesner Grossen Mausohren die Hauptbeute dar (GÜTTINGER

et al. 2006a). Je nach Untersuchungsgebiet und Jahr machenweitere Beutegruppen einen beträchtlichen Anteil an derNahrung aus. So können in Liechtenstein im Mai und JuniMaikäfer gehäuft auftreten und kurzzeitig gar die Nahrungdominieren. Die ab Juni erbeuteten Feldheuschrecken wer-den im August und September, gemeinsam mit den Laufkä-fern, zur wichtigsten Beutegruppe. Seine Beutetiere suchtdas Grosse Mausohr im niedrigen Suchflug über dem Boden.Es liest die Beutetiere, die es anhand der Laufgeräusche fin-det, entweder aus einem kurzen Rüttelflug direkt vomBoden ab oder fängt diese durch kurze Landungen. Dem-entsprechend findet man in der Nahrung praktisch nur gros-se, mit vergleichweise kräftigen Beinen ausgestattete Glie-dertiere, die entweder flugunfähig oder nachts nichtflugaktiv sind. In dieses Bild passen auch weitere typischeBeutetiergruppen wie Laufkäferlarven, Mistkäfer, Dungkä-fer, Kurzflügler, Feldgrillen, Wiesenschnaken, Hundertfüsserund Spinnen. Die Geburten erfolgen im Alpenrheintal im Juni, vereinzeltauch erst im Juli. Die Jungtiere werden ab Mitte Juli selb-ständig. In Jahren mit kühler und regnerischer Sommerwit-terung sterben bis zu 90 Prozent der Jungtiere bereits vordem Flüggewerden. Im August verlassen die erwachsenenWeibchen die Wochenstubenkolonie, um sich mit verschie-denen Männchen zu paaren. In dieser Jahreszeit (August bisSeptember) bilden Männchen mit den paarungswilligenWeibchen Harems mit bis zu fünf Weibchen. Die zunehmendnur noch aus entwöhnten Jungtieren bestehenden Wochen-stubenkolonien lösen sich im September und Oktober all-mählich auf. Die durchschnittliche Lebenserwartung wirdauf etwas drei bis fünf Jahre geschätzt. Das bekannte Höchs-talter liegt bei 25 Jahren. Saisonale Wanderungen zwischenSommer-, herbstlichem Schwärm- und Winterquartieren er-strecken sich meist im Bereich von 50 bis 100 km. Paarungs-quartiere liegen lediglich bis zu 12 km, Winterquartiere imMittel um die 28 km (Männchen) respektive 50 km (Weib-chen) vom Wochenstubenquartier entfernt. Diese Zahlengelten für Untersuchungsgebiete in Deutschland.Im Alpenrheintal lebt das Grosse Mausohr meist gemeinsammit dem Kleinen Mausohr im selben Wochenstubenquartier(GÜTTINGER et al. 2006b). Hier nutzen sie in gemischten Grup-pen dieselben Hangplätze.

Grosses Mausohr (Myotis myotis)Ordnung: Fledermäuse (Chiroptera)Familie: Glattnasen (Vespertilionidae)

Foto: René Güttinger

Merkmale

Das Grosse Mausohr ist die klassische Kirchenfledermausschlechthin, welche bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts inMitteleuropa vom Flachland bis in mittlere Höhenlangenzahlreiche Kirchendachstöcke bewohnt hat. Aus jener Zeit,als Fledermäuse bei uns generell noch häufiger waren, istdiese Fledermausart vielen älteren Personen bestens ver-traut – sei es, weil sie als Kinder Kirchturm und -dachstuhl alsheimliches Spielzimmer benutzten oder weil sie den haufen-weise anfallenden, guanoartigen Kot als wertvollen Garten-dünger einsammeln mussten. Das Grosse Mausohr ist miteinem Normalgewicht von 20 bis 30 g und einer imposantenFlügelspannweite von gut 40 cm die grösste FledermausartLiechtensteins. Sie ist die namensgebende «Charakterart»der Gattung Myotis, der «Mausohrverwandten». TypischeMerkmale aller Myotis-Arten sind die recht lange, kräftigeSchnauze, die relativ langen, spitzen Ohren mit einem gera-den, spitz auslaufen Ohrdeckel (Tragus) sowie eine vom dun-klen, in Brauntönen gehaltenen Rückenfell deutlich abge-setzte helle Unterseite. Seiner Grösse entsprechend besitzt das Grosse Mausohrlange und breite Ohren. Das Fell ist auf dem Rücken braunbis rötlichbraun, auf dem Bauch weissgrau bis beige gefärbt.Jungtiere sind deutlich grauer gefärbt. Äusserlich kann dieArt leicht mit dem Kleinen Mausohr (Myotis oxygnathus)verwechselt werden. Das Grosse Mausohr ist im Vergleich je-doch kräftiger gebaut. Vor allem Schnauze und Ohren sinddeutlich breiter ausgebildet. Sein Ohrdeckel (Tragus) ist ander Spitze fast immer dunkel pigmentiert. Eine sichere Un-terscheidung der beiden Geschwisterarten ist nur Spezialis-ten möglich.

Biologie

Kolonien des Grossen Mausohrs bewohnen vom März bisOktober ihre Wochenstubenquartiere. Diese Wochenstuben-verbände setzen sich aus Weibchen mit ihren Jungen sowieeinzelnen, noch nicht geschlechtsreifen Männchen zusam-men. Erwachsene Männchen sind Einzelgänger und nutzen

Page 60: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

59

Abb. 73 Hallenartige Buchenmischwälder mit geringem oder fehlendemUnterwuchs zählen zu den wichtigsten Jagdlebensräumen des GrossenMausohrs. (Foto: René Güttinger)

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Das Grosse Mausohr besiedelt Wochenstubenquartiere überJahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte hinweg Jahr für Jahr.Diese ausgeprägte Quartiertreue erstreckt sich über Genera-tionen, indem ein Grossteil der Weibchen zur Fortpflanzungjeweils wieder an ihren Geburtsort zurückkehrt. Die grössteGefährdung erfahren die Kolonien durch unsachgemässeDachstocksanierungen. Das Beispiel der umfangreichen Sa-nierung und Erweiterung der Pfarrkirche Triesen von 1991bis 1994 ist ein «Lehrbuchbeispiel» dafür, dass bei frühzeiti-gem Einbezug von Fledermausfachpersonen in die Planungselbst mehrjährige Sanierungen fledermausfreundlichdurchgeführt werden können. So hat das bedeutendste Fledermausquartier Liechtensteins die umfangreiche Reno-vierung dank zahlreicher flankierender Massnahmen schad-los überstanden (GÜTTINGER et al. 1994).Wegen ihrer spezifischen Ansprüche an die Struktur derJagdlebensräume (Jagd am Boden) ist das Grosse Mausohräusserst verwundbar gegenüber Veränderungen in der Kul-turlandschaft. Eine wichtige Massnahmen zur Lebensraum-optimierung ist die Förderung hallenwaldartiger Waldbe-stände durch Erhöhung des Buchenanteils sowie aufwüchsigen Buchenwaldstandorten die Rückführung derkünstlichen Fichtenforste in naturnahe Wälder. Geht mandavon aus, dass gerade im Alpenraum zahlreiche Waldflä-chen durch Nutzungsaufgabe allmälich verbuschen, so wirdsich für das Grosse Mausohr das Lebensraumangebot imWald mittelfristig vermindern. Als rasch wirksame Gegen-massnahme wäre abzuklären, ob in derart unternutzten Flä-chen mit einer kontrollierten Waldweide neue potenzielleJagdlebensräume geschaffen werden könnten. Für das Gros-se Mausohr ähnlich problematisch ist die Aufgabe der land-wirtschaftlichen Nutzung von Wiesen und Weiden und derdaraus resultierende Verlust an kurzgrasigen Flächen. Hiersollte alles unternommen werden, um zumindest die tradi-tionell bewirtschafteten Magerweiden zu erhalten.

René Güttinger

Verbreitung

Das Grosse Mausohr ist in ganz Südeuropa (mit Ausnahmeeinzelner Mittelmeerinseln) sowie in weiten Teilen West-,Mittel- und Osteuropas verbreitet. Die Verbreitungsgrenzeverläuft nördlich durch das südlichste Grossbritannien,Schleswig-Holstein, Südschweden und Nordpolen sowie öst-lich von der westlichen Ukraine bis zum Schwarzen Meer. InKleinasien reicht die Verbreitung bis zum Kaukasus und dennahen Osten. Im Alpenrheintal (inklusive der Seitentäler)sind insgesamt 11 Wochenstubenquartiere bekannt (MÜLLER

et al. 2010, REITER, mündl. Mitteilung, GÜTTINGER UND HOCH

2010). Diese liegen auf schweizerischem (7), österrei-chischem (3) sowie liechtensteinischem Gebiet (1). Die einzi-ge Wochenstube Liechtensteins lebt – gemeinsam mit demnoch selteneren Kleinen Mausohr – als Mischkolonie in derPfarrkirche Triesen. Wenige weitere Nachweise betreffen einPaarungsquartier aus Triesenberg, zwei Männchen-Sommer-quartiere aus Triesenberg, je ein Männchenquartier ausVaduz und Mauren sowie mehrere Nachtruhequartiere ausTriesen und Balzers (HOCH, schriftl. Mitteilung). (Karte sieheKleines Mausohr)

Lebensraum

Das Grosse Mausohr ist ein Tieflandbewohner, dessen Wo-chenstubenquartiere meist unterhalb 1000 m Meereshöheliegen. In Südeuropa nutzt die Art als Wochenstubenquar-tiere vorwiegend grossräumige, unterirdische Räume wieFelshöhlen. In Mitteleuropa und den Alpenländern bewoh-nen Wochenstubenverbände jedoch hauptsächlich Gebäudesowie gelegentlich auch Brücken. Dabei werden grosse, dun-kle und zugfreie Räume bevorzugt. Wenige Kubikmetergrosse Räume sowie Spaltquartiere sind die Ausnahme.Männchen zeigen als Einzelgänger eine flexiblere Quartier-wahl und besiedeln sowohl Dachstühle, Spalträume an Gebäuden (Zwischendächer, Rolladenkästen), Spalten inBrücken, Fledermauskästen und Baumhöhlen. Als Winter-quartiere dienen Höhlen, Stollen und andere unterirdischeHohlräume. Das Spektrum an Jagdlebensräumen ist breit und reicht vonunterholzfreien Wäldern (Laub-, Laubmisch- und Nadelwäl-der) bis zu frisch abgemähten Wiesen, frisch bestossenenWeiden sowie erst kürzlich abgeernteten Ackerflächen. Ent-sprechend seiner bevorzugten Jagdstrategie jagt das GrosseMausohr praktisch nur auf Flächen, bei denen es Beutetiereungehindert vom Boden aufnehmen kann. Als nächtlicheRuheplätze, welche das Grosse Mausohr in den Jagdpausenaufsucht, dienen zum Beispiel Gebäude in der Nähe derJagdgebiete, häufiger jedoch Gebüschgruppen, Fichtenscho-nungen und Baumhöhlen im Wald. In der Ostschweiz be-trägt die nachgewiesene Entfernung zwischen Jagdgebietund Wochenstubenquartier über 17 km. Die Jagdgebieteverteilen sich dabei von den Tieflagen bis auf 1400 m ü. M.(GÜTTINGER 1997).

Page 61: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

60

am spätesten ausfliegenden Arten (erst bei deutlicher Dun-kelheit), ist bei geeigneter Witterung während der ganzenNacht im Jagdgebiet flugaktiv und kehrt morgens vergleichs-weise früh ins Tagesquartier zurück. Während der Jungen-aufzucht unterbrechen säugende Weibchen gelegentlich dieJagd und fliegen bereits um Mitternacht ins Tagesquartierzurück, bevor sie nach einer ein- bis zweistündigen Aktivi-tätspause nochmals zur Jagd aufbrechen. Im Jagdgebiet wirddie meist mehrere dutzende Minuten dauernde Flugaktivitätdurch regelmässige Ruhepausen unterbrochen. Die Nahrung besteht zur Hauptsache aus Laubheuschrecken.Je nach Untersuchungsgebiet und Jahreszeit bilden auchSchnaken, Feldheuschrecken, Laufkäfer und Maulwurfsgril-len einen grösseren Nahrungsanteil. Im Alpenrheintal tretenLaubheuschrecken ab Juni in der Nahrung auf und werdendanach zur dominierenden Beute (GÜTTINGER et al. 2006 b).Bei jahreszeitlichem Massenauftreten können kurzfristigauch Maikäfer (Mai-Juni) sowie die Wiesenschnake (August-September) zur Hauptbeute werden. Seine Beute sucht dasKleine Mausohr im niedrigen Suchflug in Wiesen und Wei-den. Es liest die Beutetiere entweder aus einem kurzen Rüt-telflug direkt von der Vegetation ab oder fängt diese durchkurze Landungen im Gras (GÜTTINGER et al. 1998). Die Paarungszeit liegt im August-September, wobei dieMännchen bereits im Juli ihre Balzquartiere besetzen. Diesebefinden sich im peripheren Bereich der Wochenstuben-quartiere oder ausserhalb derselben. Die Männchen lockenpaarungswillige Weibchen mit Balzgesängen an und bildenmit diesen Harems mit bis zu sechs Weibchen. Erst im da-rauffolgenden Jahr gebären die Weibchen ihr einzelnesJungtier. Die Geburten erfolgen im Alpenrheintal im Juni(vermutlich vereinzelt auch erst im Juli), wo die Jungtiere abMitte Juli entwöhnt und selbständig werden. Die durch-schnittliche Lebenserwartung wird auf drei bis vier Jahre ge-schätzt. Das bekannte Höchstalter markiert ein 33 Jahrealtes Tier aus dem Wallis. Dies ist eine der ältesten bisher ge-funden Fledermäuse weltweit. In Europa lebt das Kleine Mausohr meist gemeinsam mitdem Grossen Mausohr im selben Wochenstubenquartier.Hier nutzen sie in gemischten Gruppen dieselben Hangplät-ze. In Höhlenquartieren Süd- und Osteuropas bildet die Artauch mit weiteren Fledermausarten gemeinsame Cluster.

Abb. 74 Die Triesner Pfarrkirche ist das bedeutendste Fledermausquartier Liechtensteins – hier leben, in einerMischkolonie, Grosses und Kleines Mausohr gemeinsamunter einem Dach. (Foto: Silvio Hoch)

Kleines Mausohr (Myotis oxygnathus)Ordnung: Fledermäuse (Chiroptera)Familie: Glattnasen (Vespertilionidae)

Foto: René Güttinger

Merkmale

Leben Fledermäuse an und für sich schon heimlich, gilt diesaus menschlicher Perspektive ganz besonders für das KleineMausohr. Weil die Art vielerorts in Mischkolonien mit demähnlich aussehenden, aber deutlich häufigeren GrossenMausohr lebt, bleibt ihr Vorkommen oft verborgen. EinNachweis ist einzig durch eine akribische Kontrolle vonMausohrkolonien möglich. Im Alpenrheintal beispielsweisewurde sie jahrzehntelang übersehen, weil man aus reiner«Betriebsblindheit» gar nie in Erwägung gezogen hatte,dass nebst dem Grossen auch das Kleine Mausohr im Gebietvorkommen könnte. Erst in den 1990er Jahren führte einegezielte regionale Untersuchung zum Nachweis der Art (AR-LETTAZ et al. 1994). Das Kleine Mausohr ist trotz seines Artnamens eine dergrössten Fledermausarten Europas und nur unwesentlichkleiner als das Grosse Mausohr. Es sieht seiner Geschwister-art sehr ähnlich und ist äusserlich nur anhand bestimmterKörpermerkmale von diesem zu unterscheiden. So hat dasKleine Mausohr kürzere und schmälere Ohren, eine leichtkürzere Schnauze sowie einen bis zur Spitze hell gefärbtenOhrdeckel. Im Alpenraum besitzen die Tiere am Scheiteleinen Fleck aus hellen Haaren, der beim Grossen Mausohrfehlt. Zudem ist die obere Zahnreihenlänge vom Eckzahn biszum hintersten Backenzahn beim Kleinen Mausohr mit ma-ximal 9,4 mm deutlich kürzer als beim Grossen Mausohr. Aktuelle DNA-Analysen haben dazu geführt, das europäi-sche Kleine Mausohr als eigene Art von seinen asiatischenVerwandten abzutrennen. Der wissenschaftliche ArtnameMyotis blythii, unter welchem europäische und asiatischeKleine Mausohren bislang zusammengefasst wurden, giltdeshalb nur noch für die asiatische Form.

Biologie

Das Kleine Mausohr lebt vom Frühjahr bis zum Herbst in Ta-gesquartieren (Wochenstubenquartiere), die aus Weibchenund vereinzelt auch aus Männchen bestehen. Männchenleben überwiegend einzelgängerisch. Die Art gehört zu den

Page 62: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

61

Abb. 76 Magerwiesen sind wichtige Jagdlebensräume desKleinen Mausohrs. (Foto: René Güttinger).

Abb. 75 Wie bei wärmeliebenden Arten zu erwarten, vertei-len sich die Nachweise sowohl des Grossen wie des KleinenMausohrs auf den Talraum und die untere Rheintalflanke.

Kleines Mausohr

Wochenstube

Netzfang Freiland

Grosses Mausohr

Wochenstube

Nachtquartier

Sonstiges Quartier

Netzfang Freiland

Freifund

akust. Mausohr unbestimmt

2 01 Kilometer

Art als Sommer- und Wochenstubenquartiere vorwiegendgrossräumige, unterirdische Räume wie Felshöhlen, in denAlpenländern jedoch ausschliesslich Dachräume. Männchenzeigen als Einzelgänger eine flexiblere Quartierwahl und be-siedeln sowohl grössere Räume wie auch Spalten an Brücken,Gebäuden und dergleichen. Als Winterquartiere dienen Höh-len, Stollen und andere unterirdische Hohlräume. Bei den Jagdlebensräumen reicht das Spektrum von trocke-nen, steppenähnlichen Flächen bis hin zu wechselfeuchten,hochgrasigen Riedwiesen. Im Alpenrheintal nutzt das KleineMausohr vor allem Streuwiesen, trockene Magerwiesen, magere Futterwiesen (Glatt- und Goldhaferwiesen) sowieWeiden. Bevorzugt werden ungemähte Flächen, während-dem frisch abgemähte Wiesen nur kurz nach der Mahd auf-gesucht werden. Mitentscheidend ist das Nahrungsangebot,welches in Jagdflächen jeweils deutlich höher ist als im um-liegenden Kulturland. Die Entfernung zwischen Jagdgebietund Tagesquartier beträgt im Alpenrheintal meist fünf bissieben km, im Maximum bis 25 km (GÜTTINGER et al. 2006 b).

Gefährdung und Schutzmassnahmen

2006 wurde im Gebiet Ellwiesen (Balzers) die Nutzung vonliechtensteinischem Hoheitsgebiet durch jagende KleineMausohren aus Fläsch (Graubünden) bestätigt (HOCH 2006).Erst 2009 wurden in der Triesner Pfarrkirche, nach mehrerenerfolglosen Versuchen in früheren Jahren, fünf Kleine Maus-ohren nachgewiesen, darunter zwei säugende Weibchen(GÜTTINGER & HOCH 2010). Die Interpretation dieser geringenAnzahl ist schwierig. Möglicherweise hat die Art die TriesnerPfarrkirche, die vom Grossen Mausohr nachweislich schonseit Jahrzehnten bewohnt wird, erst in neuerer Zeit (wieder)besiedelt. Alternativ könnte es sich bei den gefangenenKleinen Mausohren auch um die «letzten Mohikaner» diesergefährdeten Fledermausart gehandelt haben. Das KleineMausohr ist in Liechtenstein und den umliegenden Ländernselten und stark bedroht. Bestandesfördernde Massnahmenumfassen die Sicherung und Neuanlage naturnah bewirt-schafteter Wiesen und Weiden (GÜTTINGER et al. 2006 b), an-dererseits aber auch den absoluten Schutz des Wochenstu-benquartiers in der Triesner Pfarrkirche (siehe dazu KapitelGrosses Mausohr).

René Güttinger

Verbreitung

In Europa erstreckt sich die Verbreitung vom Mittelmeerraumgegen Norden bis zu einer durch Zentralfrankreich, dieSchweiz, Österreich, Tschechien, Slowakei und die Ukraineverlaufenden Linie. Ostwärts reicht das Verbreitungsgebietbis nach Zentralasien. Im Alpenraum konzentriert sich dasVorkommen auf die zentral- und südalpinen Trockentäler.Hohe Temperaturen im Sommerhalbjahr (starkes Wärmebe-dürfnis während der Tragzeit) sowie ein gutes Nahrungsange-bot (Laubheuschrecken, Maikäfer) dürften hier ausschlagge-bend für das kleine Verbreitungsgebiet sein. Im Alpenrheintalsind aktuell neun Wochenstubenquartiere bekannt (GÜTTINGER

et al. 2006 b). Diese liegen auf schweizerischem (7), österrei-chischem (1) sowie liechtensteinischem Gebiet (1). Die einzigeWochenstube Liechtensteins bewohnt, gemeinsam mit einerKolonie des Grossen Mausohrs, in einer Art «Wohngemein-schaft» die Pfarrkirche Triesen (GÜTTINGER & HOCH 2010).

Lebensraum

Das Kleine Mausohr ist ein Tieflandbewohner, dessen Wo-chenstubenquartiere meist unterhalb 1000 m Meereshöheliegen. In wärmeren Teilen des Verbreitungsgebiets nutzt die

Page 63: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

62

verlassen ihren Geburtsort und wandern ab. Das bekannteHöchstalter beträgt 21 Jahre.Offene Flächen zwischen Tagesquartier und Jagdgebietüberbrückt die Bechsteinfledermaus im raschen Flug tiefüber dem Boden oder entlang von Bäumen und Feldgehöl-zen. Die Beutesuche erfolgt in unterholzfreien Waldflächendicht über dem Boden sowie im Kronenbereich der Bäume.Mit ihren breiten Flügeln kann die Bechsteinfledermausdabei sehr wendig und langsam fliegen und nach Beute Aus-schau halten. Dem Ablesen der Beutetiere vom Boden sowievon Ästen und Blättern geht meist eine kurze Rüttelflugse-quenz voraus. Bei der Lokalisierung der Beutetiere machtsich die Bechsteinfledermaus deren Raschelgeräusche zunut-ze – ihre grossen Ohren sind dafür bestens geeignet. DieNahrung setzt sich vor allem aus flugunfähigen Gliedertie-ren des Waldes zusammen und variiert erheblich je nach Jah-reszeit. Das Beutespektrum umfasst Schmetterlinge, Käfer,Schnaken, Florfliegen und Spinnen. Je nach Region und Jah-reszeit zählen auch Weberknechte, Ohrwürmer, Raupen,Laubheuschrecken, Wanzen und Laufkäfer zur Beute.Die Bechsteinfledermaus gilt als ortstreue Art, deren Som-mer- und Winterquartiere in der Regel nur wenige Kilome-ter auseinander liegen. Vereinzelt sind saisonale Wanderun-gen bis 73 km belegt.

Verbreitung

Die Bechsteinfledermaus ist im Bereich der gemässigten Bu-chenwaldzone in West, Mittel- und Osteuropa weit, im süd-lichen Europa hingegen nur inselartig verbreitet. Die nördli-che Verbreitungsgrenze verläuft von Süd-England überSüd-Schweden und Zentral-Polen bis zum Schwarzen Meer.Ausserhalb Europas existieren einzelne regionale Vorkom-men in Anatolien, Iran sowie im Kaukasus. Im Alpenrheintalist die Art bisher nur im Kanton St. Gallen und in Liechten-stein nachgewiesen worden. In Liechtenstein sind bisher le-diglich zwei Totfunde von Einzeltieren aus Schaan und einemännliche Bechsteinfledermaus aus Balzers, die im Kuhstallan einer Fliegen-Klebefalle hängengeblieben war, bekannt(HOCH, schriftl. Mitteilung). Die einzigen Quartiernachweiseaus dem Alpenrheintal stammen aus der Region Werden-berg (GERBER 2003). So sind aus den Rheinauen bei Buchs dreibeieinander liegende Wochenstubenquartiere in Bäumennachgewiesen. Ein weiterer Fund aus der Region Werden-berg betrifft ein Männchen, das im Spätsommer an einerHöhle in Wartau gefangen wurde.

Lebensraum

Die Bechsteinfledermaus gilt als Charakterart der eu-ropäischen Laubmischwälder. Sie bevorzugt generellstrukturreiche Laubmischwälder mit einem hohen Altbaum-Anteil, insbesondere mit Eichen, bewohnt aber gerne auchHochstammobstgärten in Waldnähe. Im St. Galler Rheintalbefinden sich die bekannten Wochenstubenbäume in einemehemaligen Auenwald (GERBER 2003). Als Wochen-stubenquartiere dienen hauptsächlich Spechthöhlen,

Bechsteinfledermaus (Myotis bechsteinii)Ordnung: Fledermäuse (Chiroptera)Familie: Glattnasen (Vespertilionidae)

Foto: René Güttinger

Merkmale

Trotz der auffallend langen Ohren gehört die Bechsteinfle-dermaus zu den Mausohrverwandten (Gattung Myotis) undnicht zu den Langohren (Gattung Plecotus). So stehen ihreOhren im Gegensatz zu jenen der eigentlichen Langohrenan der Basis nicht zusammen. Die Ohren der Bechsteinfle-dermaus überragen beim Herunterklappen die Schnauzedeutlich. Im Vergleich zu den übrigen Myotis-Arten ist dieSchnauze ausserdem lang und schmal. Mit einem Normalge-wicht von sieben bis zehn Gramm und einer Flügelspann-weite von 25 bis 30 cm zählt sie zu den mittelgrossen Fle-dermausarten. Das relativ langhaarige und dichte Fell ist aufdem Rücken rötlich-braun oder braun, auf dem farblichdeutlich abgegrenzten Bauch gelb-grau oder beige gefärbt.Das helle Gesicht ist von rötlicher Farbe. Innerhalb der Gat-tung Myotis ist die Bechsteinfledermaus dank ihres Äussereneindeutig bestimmbar.

Biologie

Von April bis Mai beziehen Wochenstubenverbände ihreSommerquartiere. Die Kolonien zählen ein bis mehrere dut-zend Weibchen, die eng miteinander verwandt sind. Ein ty-pisches Verhalten ist ein reger Wechsel zwischen immer wie-derkehrendem Aufteilen und Zusammenschliessen einesVerbandes. Die Quartiere der Teilgruppen liegen dabei inengster Nachbarschaft. Ein kleinräumig hohes Quartieran-gebot, wie es in vielen Fledermauskastenrevieren vorhandenist, fördert dieses Verhalten massgeblich. Generell beziehendie Gruppen alle paar Tage ein neues Tagesquartier. Er-wachsene Männchen sind Einzelgänger und bleiben ihrenQuartieren über längere Zeit treu. Die Geburten finden vonAnfang Juni bis Anfang Juli statt. Im August lösen sich dieWochenstubenkolonien bereits wieder auf. Ähnlich wie an-dere Myotis-Arten zeigt im Spätsommer und Herbst auch dieBechsteinfledermaus ein ausgeprägtes Schwärmverhaltenan Höhlen. Hier finden sich Tiere aus verschiedenen Kolo-nien zur Paarung ein. Junge Weibchen siedeln sich meist inihren Geburtswochenstuben an, junge Männchen hingegen

Page 64: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

63

Abb. 78 In den ehemaligen Rheinauen – jenseits des Rheins bei Buchs –bewohnen Wochenstubengruppen der Bechsteinfledermaus natürlicheBaumquartiere, unter anderem auch Spalten hinter abblätternder Borke.(Foto: René Gerber)

Abb. 77 Die wenigen Zufallsfunde zeigen, dass die Bechsteinfledermaus, ähnlich wie in den benachbarten Regionen, eine «grosse Unbekannte» ist.

Bechsteinfledermaus

Freifund

2 01 Kilometer

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Verbreitung und Bestandessituation der Bechsteinfleder-maus in Liechtenstein sind unbekannt. Die bekannte Popu-lation in den Rheinauen des St. Galler Rheintals lässt dasVorkommen von Wochenstubenkolonien jedoch auch inLiechtenstein vermuten. Die Suche nach Quartieren undJagdgebieten dieser seltenen Fledermausart sollte daher in-tensiviert werden. Die Bechsteinfledermaus ist die «Waldfle-dermaus» schlechthin und an langfristig stabile Laubwälderangepasst. In Wirtschaftswäldern können vergleichbare Le-bensraumbedingungen nur durch eine mosaikartige, gezieltauf die Bechsteinfledermaus ausgerichtete Waldbewirt-schaftung erhalten oder neu geschaffen werden. Wesentli-che Massnahmen zur Förderung des Quartierangebots um-fassen den Schutz von Bäumen mit Spechthöhlen undanderen Spalträumen, das Ausscheiden von Altholzinselnsowie das Stehenlassen abgestorbener Bäume. Es bestehtzudem die Vermutung, dass alte Eichen im Waldesinnern,am Waldrand oder als Einzelbäume auf offenen Flächen vonerheblicher Bedeutung als Jagdlebensräume sind (GÜTTINGER

& BURKHARD, in Vorb.). Dem Schutz alter Eichen sowie derPflanzung junger Eichen sollte deshalb vermehrt Beachtunggeschenkt werden. Dies gilt ebenfalls für Hochstammanla-gen und lose Obstbaumgruppen, welche die Bechsteinfle-dermaus ebenfalls gerne zur Jagd aufsucht.

René Güttinger

Rindenaufrisse und Fledermaus-Rundkästen. Tagesquartierebefinden sich auch in Astfaullöchern und Vogelnistkästen.Wälder müssen die besonderen Ansprüche der Bechstein-fledermaus an Tagesquartiere und Jagdlebensräume aufengstem Raum erfüllen. So nutzt eine 20-köpfige Wochen-stubenkolonie eine Fläche von lediglich 250 Hektaren alsSommerlebensraum. Jagdgebiete liegen oft nur wenige 100m vom Tagesquartier entfernt, wobei diese Flugdistanzen inFichtenwäldern grösser sind als in Laubwäldern. In der Ost-schweiz, im Grenzgebiet der Kantone St. Gallen undThurgau, beträgt diese Distanz zum Jagdgebiet bis zu 8 km.Derart weite Flugdistanzen hängen sehr wahrscheinlich miteinem suboptimalen Lebensraumangebot zusammen.Tatsächlich sind in der intensiv bewirtschafteten Kulturland-schaft der Ostschweiz die von der Bechsteinfledermaus be-vorzugten Jagdlebensräume – alte Wälder mit Laubholz-anteil, alte Eichen und Obstbaumgruppen (Hochstamm) –relativ selten und weit verstreut (GÜTTINGER & BURKHARD, inVorb.). Die Bechsteinfledermaus überwintert vermutlich zueinem Grossteil in Baumhöhlen. Einzeltiere geben sich auchmit Felshöhlen und anderen unterirdischen Räumen zu-frieden.

Page 65: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

64

Verbreitung

Das Areal der Wasserfledermaus erstreckt sich über ganz Eu-ropa und Zentralasien bis nach Japan, wobei die südlicheVerbreitungsgrenze im Mittelmeerraum durch Mittelitalien,Nordgriechenland und den Norden der Türkei verläuft. In der Schweiz und Österreich ist die Wasserfledermaus inallen grösseren Flusstälern anzutreffen, wobei aus Vorarl-berg viele Detektoraufnahmen vorliegen. Im Rheintal sindaus dem Grenzgebiet Vorarlberg - St. Gallen zwei individu-enstarke Männchenkolonien in unterirdischen Kanaldurch-lässen, sowie mehrere Wochenstubenquartiere in Baumhöh-len aus den Werdenbergisch-Wartauischen Rheinauenbekannt. Herbstliche Netzfänge vor der Wartauer Ma-gletschhöhle geben Hinweise auf ein mögliches Winterquar-tier. Auch in verschiedenen Höhlen des Bregenzerwaldes,wie z.B. der Schneckenlochhöhle, können regelmässig Was-serfledermäuse im Winterschlaf beobachtet werden (WALSER

et al. 2009, eigene Beobachtungen).Im Liechtensteiner Talraum zählt die Wasserfledermaus zuden verbreitet vorkommenden Arten. Trotzdem wurde sieerst 1995 erstmals über dem renaturierten Binnenkanal beiRuggell nachgewiesen (HOCH 1996a). Während diese Artüber sämtlichen grösseren Stillgewässern und dem Binnen-kanal zwischen Balzers und Ruggell regelmässig beobachtetwerden kann, sind Nachweise über dem Rhein äusserst sel-ten. Dies dürfte in dessen äusserst geringer Biomasse be-gründet sein, was nach Expertenansicht eine Folge der star-ken Wasserstandsschwankungen ist, die von der Produktionvon Spitzenstrom herrührt (EBERSTALLER & HAIDVOGEL in HOCH &GERBER 1999). Der höchstgelegene Nachweis der Wasserfle-dermaus in Liechtenstein stammt vom Gänglesee im Steg(1300 m), wo diese Art mehrfach gehört und im Scheinwer-ferlicht bei der Jagd beobachtet wurde.Akustisch ist die Wasserfledermaus immer dann leicht nach-zuweisen, wenn sie in ihrer typischen Art knapp über derWasseroberfläche jagt. Die Signale zeigen dann in der Ana-lyse sogenannte Interferenzen, die durch Schallreflexionenan der Wasseroberfläche verursacht werden.

Abb. 79 Mit Hilfe ihre grossen Hinterfüsse fängt die Wasserfledermaus Insekten von der Wasseroberfläche.(Foto: Silvio Hoch)

Wasserfledermaus (Myotis daubentonii)Ordnung: Fledermäuse (Chiroptera)Familie: Glattnasen (Vespertilionidae)

Foto: René Güttinger

Merkmale

Die Wasserfledermaus ist eine kleine bis mittelgrosse Fleder-mausart. Sie ist leicht zu beobachten, wenn sie im Scheineiner starken Taschenlampe knapp über der Wasseroberflä-che nach Insekten jagt. Die Wasserfledermaus besitzt – ty-pisch für die kleinen Myotis-Arten – ein relativ kürzeres Ohrals ihre grösseren Gattungsverwandten und einen kürzeren,abgerundeten Tragus (Ohrdeckel). Gesicht und Ohrinnensei-te sind fleischfarben. Die weisslich-graue Unterseite kontras-tiert nach Myotisart mit der variablen braunen Farbe des Rü-ckenfells. Als besonderes Merkmal besitzt dieWasserfledermaus – gemeinsam mit den bei uns nicht vor-kommenden Teich- und Langfussfledermäusen – auffallendgrosse Füsse, die sie zum geschickten Abkeschern von aufder Wasseroberfläche treibenden Insekten benutzt.

Biologie

Wie der Name verrät, führt die Wasserfledermaus ein an Ge-wässer gebundenes Leben. Nur wenige Zentimeter über derWasseroberfläche fliegend, jagt sie typische Wasserinsektenwie Eintags- und Köcherfliegen, Zuck- und Stechmücken,Ufer- und Steinfliegen. Jedes Individuum nutzt in der Regelmehrere Gewässerabschnitte, die nacheinander aufgesuchtwerden. Wochenstubenquartiere befinden sich meist in ge-räumigen Baumhöhlen. Diese zählen selten mehr als 20-50Weibchen. Die meisten Geburten erfolgen Mitte Juni. Eswird in der Regel nur ein Junges geboren. Bereits AnfangAugust lösen sich die Wochenstuben allmählich auf. Ähnlichder Zweifarbenfledermaus können auch die Männchen derWasserfledermaus im Sommer kopfstarke Kolonien bilden.Als ortstreue Art unternimmt die Wasserfledermaus kaumgrössere Wanderungen. Somit finden sich auch die Winter-quartiere in nächster Nähe der Sommereinstandsgebiete. AlsWinterquartiere werden grössere Höhlen gewählt, wobeihier Wasserfledermäuse meist einzeln in Spalten und Vertie-fungen hängen. Auch tief im Bodengeröll sind schon win-terschlafende Wasserfledermäuse entdeckt worden.

Page 66: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

65

Abb. 81 Ruhige Abschnitte des Binnenkanals – hier an der Zollstrasse in Vaduz – sind bevorzugte Jagdlebensräu-me der Wasserfledermaus. (Foto: Silvio Hoch)

Abb. 80 Die Verbreitung der Wasserfledermaus konzen-triert sich entlang der Fliessgewässer.

rend der Wochenstubenzeit ihrem Quartier meist treu blie-ben. Diese Quartierwechsel erfolgten meist sehr kleinräu-mig. Die grösste Distanz von 2 km legte ein Männchen vonder Seveler Rheinau in den Vaduzer Schwefelwald zurück.Bis zu 10 km Entfernung lagen aber vereinzelt zwischenBaumquartier und Jagdgebiet. Als Jagdgebiete nutzten dieTiere Fliess- und Stillgewässer mit ruhiger Wasseroberfläche.Bei den Quartierwechseln, aber auch beim Aufsuchen derverschiedenen Jagdgebiete wurde immer wieder einmal dieRheinseite gewechselt. Dies erfolgte meist im Bereich derBrücken. Wasserfledermäuse benötigen eine strukturreicheLandschaft, die ihnen Leitlinien, wie Heckenreihen, Wald-ränder, Alleen und Bachläufe bietet. Diesen fliegen sie ent-lang, wenn sie die Distanzen zwischen dem Tagesquartierund den verschiedenen Jagdgebieten überbrücken. Fanger-gebnisse an verschiedenen Gewässerabschnitten mit sehrunterschiedlichem Geschlechteranteil lassen vermuten, dassin der Wochenstubenzeit die Weibchen die ergiebigerenJagdgebiete für sich beanspruchen, während die Männchenmit den suboptimalen Vorlieb nehmen müssen (HOCH 1999).

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Nach Meinung von Experten hat die Wasserfledermaus seitden 1950er Jahren von der Eutrophierung der Gewässer unddem damit verbundenen grösseren Nahrungsangebot profi-tiert und in ihren Beständen zugenommen. Ob durch diekonsequente Reinigung der Abwässer in den Abwasserreini-gungsanlagen und der dadurch erfolgten Verbesserung derWasserqualität in unseren Fliessgewässern die Wasserfleder-maus Bestandeseinbussen erlitten hat, kann aufgrund dervorliegenden Daten für Liechtenstein nicht beantwortetwerden. Wenn die geplante Revitalisierung weiterer Fliess-gewässer vorangetrieben, Leitlinien wie Windschutzstreifenoder Baum- und Heckenreihen entlang von Fliessgewässernerhalten bleiben und die Galeriewälder der Rheinauen keineintensivere Nutzung erfahren, wird die Wasserfledermausauch in Zukunft bei uns nicht gefährdet sein.

Silvio Hoch

Lebensraum

Zur Untersuchung der Lebensraumnutzung durch die Was-serfledermaus wurden in den Jahren 1996-2001 im RaumeLiechtenstein-Werdenberg-Wartau insgesamt 12 Tiere bei-derlei Geschlechts mit kleinen Sendern ausgestattet. Die sotelemetrierten Wasserfledermäuse nutzten in den Galerie-wäldern der Rheinauen und den angrenzenden Hangwäl-dern bis auf eine Höhe von 780 m rund 30 verschiedeneBaumhöhlenquartiere. Kopfstarke Wochenstuben in Dach-stöcken von Gebäuden wie beispielsweise in den KantonenSchwyz und Thurgau (MICHAEL ERHARDT, WOLF-DIETER BRUKHARD,schriftl. Mitteilung), oder Männchenkolonien mit bis zu 150Individuen, wie sie im nördlichen Rheintal in unterirdischenKanaldurchleitungen vorkommen, konnten bei diesen Un-tersuchungen allerdings keine nachgewiesen werden. Dievon den besenderten Tieren benutzten Baumhöhlen befan-den sich am häufigsten in Birken (Betula pendula), gefolgtvon Felben oder Silberweiden (Salix alba), Buchen (Fagus syl-vatica), sowie je einer Esche (Fraxinus excelsior), Grauerle(Alnus incana), Eiche (Quercus robur) und Schwarzpappel(Populus nigra). In sieben Quartieren waren die Wasserfle-dermäuse mit Grossen Abendseglern zusammen, einmalauch mit einer Bechsteinfledermaus (Myotis bechsteinii).Häufige, oft tägliche Quartierwechsel konnten bei denMännchen beobachtet werden, während die Weibchen wäh-

Page 67: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

66

ger wie in Wochenstubengruppen. Von August bis Oktoberund Februar bis April zeigt das Braune Langohr an Höhlenein ausgeprägtes Schwärmverhalten, das vermutlich mit derPaarung zusammenhängt. In Winterquartieren hängt dieArt meist einzeln. In Sommerquartieren bildet das BrauneLangohr sporadisch Mischgesellschaften mit dem GrauenLangohr sowie dem Alpenlangohr.Die Jagd beginnt erst bei völliger Dunkelheit. Dank seinerbreiten, an der Spitze abgerundeten Flügel kann das BrauneLangohr langsam und äusserst wendig fliegen. Beutetierefängt es fliegend in der Luft oder durch Ablesen von der Ve-getation, im Wald auch von stehenden oder liegendenBaumstämmen sowie vom Boden. Das Braune Langohr istauf der Jagd sehr flexibel und sucht seine Beute von der Bo-denoberfläche bis in den Baumkronenbereich. Beutetierewerden anhand ihrer Geräusche sowie optisch lokalisiertund im Rüttelflug oder durch Landen vom Untergrund ab-gelesen. Grosse Beutetiere werden im Hängen an sogenann-ten Frassplätzen verzehrt. Das Braune Langohr bevorzugtgrosse Nachtfalter (Eulenfalter, Hopfenspinner), Zweiflüglerund Käfer (ASHRAFI et al. 2011). Im Speiseplan ebenfalls ver-treten sind Heuschrecken und Wanzen sowie Raupen, Ohr-würmer, Spinnen und Weberknechte.Die als Einzelkinder, gelegentlich auch als Zwillinge gebore-nen Jungtiere kommen von Mitte Juni bis Juli auf die Welt.Sie sind mit sechs Wochen voll flugfähig. Die Paarungszeitbeginnt im August, wenn die Tiere allmählich ihre Sommer-quartiere verlassen und Schwärmquartiere in Höhlen aufsu-chen. Paarungen können in Winterquartieren noch bis Aprilstattfinden. Das Braune Langohr wird meist erst im zweitenLebensjahr geschlechtsreif. Während viele junge Weibchenihrem Geburtsort treu bleiben, wandern junge Männchenmehrheitlich ab. Die mittlere Lebenserwartung liegt bei vier,das bekannte Maximalalter bei 30 Jahren. Das Braune Lang-ohr ist ausgesprochen ortstreu. So betragen die Entfernun-gen zwischen Sommer-, Schwärm- und Winterquartierenhöchstens 30 km, meist jedoch weniger als 10 km.

Verbreitung

Das Braune Langohr ist in Europa weit verbreitet und kommtgegen Norden bis nach Grossbritannien und in Teilen Skandi-naviens bis zum 64° N vor. Im Süden verläuft die Verbrei-tungsgrenze durch die Iberische Halbinsel, Italien (inklusiveSardinien) und die südliche Balkanhalbinsel. Ostwärts reichtdas Verbreitungsgebiet bis zum Kaukasus und Ural.Im Alpenrheintal und den angrenzenden Regionen Graubün-dens, St. Gallens und Vorarlbergs ist das Braune Langohr ins-gesamt weit verbreitet (MÜLLER ET AL. 2010, GÜTTINGER & BARAN-DUN 2010, REITER mündl. Mitteilung). Allerdings ist zurzeit nochunklar, wie die kleinräumige Verteilung der Nachweise zu in-terpretieren ist. Ein 2008 angelaufenes Projekt, bei welchemin Liechtenstein sowie den Kantonen St. Gallen, AppenzellAusserhoden und Appenzell Innerrhoden bei zahlreichenLangohrquartieren mittels DNA-Analyse die Artzugehörigkeitbestimmt werden konnte, zeigt zwar erste mögliche Musterin der Verbreitung. Diese können aber noch nicht abschlies-send beurteilt werden, weil die Datenlage über Quartiere in

Braunes Langohr (Plecotus auritus)Ordnung: Fledermäuse (Chiroptera)Familie: Glattnasen (Vespertilionidae)

Foto: René Güttinger

Merkmale

Langohren (Gattung Plecotus) sind besonders attraktive Fledermäuse. Auffällig bei allen Arten sind die fast 5 cm langen, nahezu körperlangen Ohren. Im Wachzustand sinddiese weit aufgestellt, bei ruhenden Tieren hingegen gutversteckt zwischen Körper und Unterarm geklappt, sodassnur noch der frei abstehende Ohrdeckel (Tragus) sichtbarbleibt. Beim Winterschlaf schützt dieses Verhalten die zartenOhren vor Erfrierungen. Die Ohren stehen am Scheitel zu-sammen. Die Schnauze wirkt durch das markante, paarigeDrüsenfeld auf dem Nasenrücken gedrungen. Langohrenbesitzen vergleichsweise grosse Augen. Ortungslaute sen-den sie durch den Mund oder die Nasenlöcher aus. Miteinem Normalgewicht von sechs bis zehn Gramm und einerFlügelspannweite von 24-30 cm zählen Langohren zu denmittelgrossen Fledermausarten.Das Braune Langohr besitzt ein relativ dichtes und langesFell. Die Oberseite ist von brauner bis rötlich-brauner undgeht ohne scharfe Abgrenzung in die helle, gelblich bisgelb-graue Unterseite über. Gesicht und Ohren sind schwachpigmentiert und hell. Das Braune Langohr sieht dem Alpen-langohr (Plecotus macrobullaris) und Grauen Langohr (P.austriacus) sehr ähnlich. Aus diesem Grund ist die Unter-scheidung dieser nahe verwandten Arten nach äusserenMerkmalen nur für Spezialisten möglich. Anhand der DNAaus Kot- oder Gewebeproben kann jedoch die Artzugehö-rigkeit einwandfrei bestimmt werden.

Biologie

Wochenstubenverbände bestehen von April bis Oktober undzählen bis zu 80 Weibchen, die grösstenteils nahe miteinan-der verwandt sind. In Dachräumen verstecken sich die Tieremeist hinter Balken, Ziegeln und Unterdach. Einzig bei sehrheisser Witterung hängen sie frei an der Decke. WährendKolonien in Gebäuden ihre Hangplätze höchstens innerhalbdes Quartiers wechseln, ziehen in Bäumen wohnende Grup-pen alle paar Tage in neue, nur wenige hundert Meter ent-fernte Quartiere um. Männchen leben sowohl als Einzelgän-

Page 68: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

67

Abb. 82 An Bäumen mit Zwieselbildung – im Bild eineBuche – entstehen im Bereich der Stammgabelung durchHohlraumbildung wertvolle Fledermausquartiere.(Foto: René Güttinger)

Abb. 83 Das Braune Langohr lebt vor allem entlang derRheintalflanke und in den höher gelegenen Tälern.

Braunes Langohr

Sonstiges Quartier

Netzfang Freiland

Freifund

2 01 Kilometer

Als typische Waldfledermaus jagt das Braune Langohrhäufig in Wäldern (Nadel-, Misch- und Laubwälder) sowie anisolierten Bäumen. Im nördlichen Kanton St. Gallen be fin -den sich Jagdlebensräume hauptsächlich in unterholzfreienFichten- und Buchenmischwäldern, in Hochstamm-Obst-gärten sowie in Kronen grosser Laubbäume, die frei im Feldstehen oder in Baumhecken oder Waldränder eingebettetsind (GÜTTINGER & HOCH in Vorb.). Jagdgebiete liegen meistweniger als 2 km, zumindest in der Ostschweiz jedoch bis 6km vom Wochenstubenquartier entfernt.

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Erfahrungen aus einer Untersuchung im Kanton St. Gallenzeigen klar, dass das Braune Langohr regional im Rückgangbegriffen ist (GÜTTINGER 2006). Die erstaunlich geringe Zahlan Quartieren in Liechtenstein lässt eine vergleichbare Be-standesentwicklung vermuten. In Gebäuden lebende Kolonien des Braunen Langohres sinddurch Ausbau und Sanierung von Dachstöcken gefährdet.Hier gilt es als zentrale Massnahme zu beachten, dass sämt-liche Arbeiten im Winterhalbjahr auszuführen sind, wenndie Tiere im Winterquartier sind und das Sommerquartierverwaist ist. Wenn immer möglich sollte vor einer Renovie-rung durch Spezialisten abgeklärt werden, ob in einemDachstock überhaupt Fledermäuse vorhanden sein könnten.Denn tatsächlich ist in vielen Fällen den menschlichen Haus-bewohnern die Existenz ihrer Untermieter gar nicht be-kannt, weil sich Braune Langohren in den Dachräumen meistgut verstecken und deshalb oft übersehen werden. Im Wald kann dem Braunen Langohr geholfen werden,indem ein genügendes Angebot an Höhlenbäumen und Tot-holz bereit gestellt wird. In der offenen Kulturlandschaft, inFeldgehölzen und im ländlichen Siedlungsraum sollten gros-se alte Bäume, vor allem auch Obstbäume, als wichtige Jagd-lebensräume möglichst lange stehen gelassen und nach demFällen durch neue Bäume ersetzt werden.

René Güttinger

der Rheinebene und den Talflanken noch zu gering ist. In derTendenz scheint jedoch das Braune Langohr, im Gegensatz zuden beiden Geschwisterarten, schwerpunktmässig nicht dieRheinebene, sondern eher die Hanglagen und höher gelege-nen Seitentäler zu besiedeln (GÜTTINGER, HOCH & GSTÖHL inVorb.). Die einzigen bekannten Sommerquartiere in Liechten-stein befinden sich in der Pfarrkirche Eschen sowie in Triesen-berg in der Kapelle Steg.

Lebensraum

Wochenstubengruppen des Braunen Langohrs bewohnenGebäudequartiere und Baumquartiere sowohl im Wald wieim offenen Kulturland. An Bäumen werden Specht- undFäulnishöhlen, Spalträume unter loser Rinde sowie Vogel-nist- und Fledermauskästen angenommen. In Gebäuden besiedelt das Braune Langohr vor allem Dachstühle, ge le -gent lich aber auch Zwischendächer, Rollladenkästen undSpalträume hinter Wandverschalungen. Als Winterquartieredienen Höhlen, Stollen, Keller und Felsspalten sowieBaumhöhlen. Bei der Wahl des Winterquartiers scheint dasBraune Langohr recht flexibel zu sein, wurden doch schonTiere im Bodengeröll von Höhlen sowie in Holzbeigengefunden. Es gibt sogar Hinweise auf die mögliche Nutzungeines Dachsbaus als Winterquartier!

Page 69: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

68

Verbreitung

Die Kenntnisse über die Verbreitung des Alpenlangohrs sindnoch gering. Nachweise existieren aus den Pyrenäen unddem gesamten Alpenbogen, sowie in fragmentierter Formaus dem südlichen Balkan, einigen Mittelmeerinseln sowievon der Osttürkei bis zum Kaukasus und dem Nahen Osten. Auch im Bereich des Alpenrheintals sind in den wenigen Jahren seit Bekanntwerden der neuen Art erst einzelneNachweise des Alpenlangohrs gelungen. So sind im KantonGraubünden bisher zwei gesicherte Wochenstubennachwei-se aus dem Lugnez bekannt (MÜLLER ET AL. 2010). Im St. Gal-ler Rheintal sind aktuell ein Wochenstubenquartier aus demSeeztal sowie drei Wochenstubenquartiere und ein Einzel-tierfund aus dem Rheintal nachgewiesen (GÜTTINGER & BARANDUN 2010), während aus Vorarlberg bislang noch keineFunde vorliegen (REITER, mündl. Mitteilung).Ein 2008 gestartetes Projekt, bei welchem in Liechtensteinsowie den Kantonen St. Gallen, Appenzell Ausserhoden undAppenzell Innerrhoden bei zahlreichen Langohrquartierenmittels DNA-Analyse die Artzugehörigkeit bestimmt werdenkonnte, hat auch in Liechtenstein zu zwei Nachweisen ge-führt. So lebt jeweils eine Wochenstubenkolonie in Balzersin der Maria-Hilf-Kapelle sowie in der Pfarrkirche Ruggell. Esist zurzeit noch unklar, wie die kleinräumige Verteilung desAlpenlangohrs in Liechtenstein und den benachbarten Re-gionen zu interpretieren ist. Im Gegensatz zum BraunenLangohr scheint das Alpenlangohr nur tiefe Lagen zu besie-deln (GÜTTINGER, HOCH & GSTÖHL in Vorb.).

Alpenlangohr (Plecotus macrobullaris)Ordnung: Fledermäuse (Chiroptera)Familie: Glattnasen (Vespertilionidae)

Foto: René Güttinger

Merkmale

Das Alpenlangohr wird erst seit 2002 als eigene Art geführt.Die Unterscheidung der Art vom Braunen und Grauen Lang-ohr anhand von äusseren Merkmalen ist nur für Spezialistenmöglich. Das Alpenlangohr unterscheidet sich in der Farbedeutlicher vom Braunen Langohr, etwas weniger klar vomGrauen Langohr. So ist beim Alpenlangohr das Rückenfellgraubraun, das farblich deutlich abgesetzte Bauchfell dage-gen hell bis reinweiss gefärbt. Gesicht und Ohren sind dun-kelbraun pigmentiert. Charakteristisch ist ein dreieckigesFeld auf der Unterlippe, welches beim Braunen wie beimGrauen Langohr fehlt. Ebenfalls typisch ist bei männlichenAlpenlangohren ein auf der ganzen Länge nahezu gleich-breiter Penis. Eine sichere Artbestimmung im Feld stützt sichauf diese Merkmale sowie die Kombination verschiedenerKörpermasse ab. Trotzdem gelingt es auf diesem Weg nichtimmer, die Artzugehörigkeit eindeutig festzulegen. In sol-chen Fällen kann nur ein DNA-Test weiterhelfen.

Biologie

Zur Biologie des Alpenlangohrs ist noch sehr wenig bekannt.Wochenstubenverbände im Rheintal scheinen ihre Sommer-quartiere von April bis September-Oktober zu bewohnen.Die Kolonien umfassen bis zu 30 Alttiere und bestehen na-hezu ausschliesslich aus Weibchen. In Dachstühlen sind dieTiere tagsüber meist versteckt.Im Gegensatz zum Braunen Langohr fängt das Alpenlangohrseine Beute vor allem im Flug. Die Nahrung besteht zu fast90 Prozent aus Faltern (ASHRAFI et al. 2011). Weitere anteil-mässig wichtige Beutetiere sind Käfer und Zweiflügler.

Page 70: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

69

Abb. 85 Die Wochenstuben des Alpenlangohrs finden sich in der Pfarrkirche Ruggell (oben) und der Maria Hilf-Kapelle in Balzers (unten). (Fotos: Silvio Hoch)

Abb. 84 Die Wochenstubenquartiere liegen beide in wär-mebegünstigten Lagen in der Rheinebene.

Alpenlangohr

Wochenstube

Freifund

2 01 Kilometer

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Vom Alpenlangohr sind aus der Schweiz und Österreich bis-her nur wenige dutzend Wochenstuben bekannt geworden.Nach dem gegenwärtigen Wissensstand muss vermutet werden, dass die Art in weiten Teilen ihres Areals nicht sehr häufig ist. Den beiden Liechtensteiner Quartieren gebührtdeshalb höchste Schutzpriorität. Betreffend Gefährdungs-faktoren und Empfehlungen von Schutzmassnahmen inQuar tieren gilt dasselbe wie beim Braunen Langohr. Nach vorläufigen Befunden zur Verbreitung der drei Lang-ohrarten in Liechtenstein und der Region St. Gallen-Appen-zell beschränkt sich das Vorkommen des Alpenlangohrs aufdie Talsohle und untersten Hanglagen des Rhein- und Seez-tales (GÜTTINGER, HOCH & GSTÖHL in Vorb.). In diesem Gebietsollte die Suche nach weiteren Wochenstubenquartierendringend intensiviert werden. Ebenso wichtig wären Unter-suchungen zur Nahrungsökologie, insbesondere aber zu denbevorzugten Jagdlebensräumen des Alpenlangohrs.

René Güttinger

Lebensraum

Im Kanton St. Gallen ist mittlerweile bei 36, in Liechtensteinbei 14 Langohrquartieren eine auf DNA-Analysen basie -rende Artbestimmung durchgeführt worden. In dieser Stich-probe sind lediglich sechs Wochenstubenquartiere desAlpenlangohrs enthalten, deren Vorkommen sich aufklimatisch begünstigte Lagen des Alpenrheintals und desSeeztals konzentrieren. Alle sechs Quartiere liegen imHöhenbereich bis 600 m über Meer und befinden sich inKirchen. Auch in Tirol liegen die hauptsächlich im Inntalliegenden Wochenstubenquartiere des Alpenlangohrs imVergleich zu jenen des Braunen Langohrs in der Tendenz intieferen Lagen (WOHLFAHRT 2003). Allerdings erstreckt sichdie Höhenverbreitung von 560 bis 1450 m Meereshöhe. Von16 Wochenstubenquartieren befanden sich 15 in Kirchen.Auffallenderweise wiesen in der Untersuchung zwei Drittelder Dachstöcke ein blechbedecktes Dach auf, was auf die Bevorzugung hoher Quartiertemperaturen hinweisendürfte.In welchen Jagdlebensräumen die Liechtensteiner Alpen-langohren ihre Nahrung suchen, ist noch nicht bekannt.

Page 71: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

70

Zweiflügler und Hautflügler hinzu. Obwohl nur eine mittel-grosse Fledermausart, schafft es das Graue Langohr, selbstMaikäfer zu vertilgen.Die Jungen, meist Einzelkinder, werden in der zweiten Juni-hälfte geboren. Die Paarungszeit beginnt bereits im Juli unddauert vermutlich bis September-Oktober. Die Lebenserwar-tung beträgt fünf bis neun Jahre, das nachgewiesene Maxi-malalter 25 Jahre. Das Graue Langohr gilt wie das BrauneLangohr als ausgesprochen ortstreue Art. Die weiteste, bis-her nachgewiesene saisonale Wanderung erfolgte über eineDistanz von 62 km.

Verbreitung

Das Graue Langohr ist in Europa und im nördlichen Mittel-meerraum weit verbreitet. Im Norden verläuft die Verbrei-tungsgrenze durch Südengland, Norddeutschland, Polenund die Ukraine. Ein isoliertes Vorkommen liegt in Süd-schweden. Die Verbreitung gegen Osten ist wegen offenertaxonomischer Fragen noch unklar. Im Alpenrheintal fehlen gesicherte Nachweise aus dem St. Galler wie Bündner Rheintal (MÜLLER ET AL. 2010, GÜTTINGER

UND BARANDUN 2010). Aus Vorarlberg liegen lediglich zweiFunde zweifelsfrei identifizierter Einzeltiere vor (REITER

mündl. Mitteilung). Ein 2008 angelaufenes Projekt, bei wel-chem in Liechtenstein sowie den Kantonen St. Gallen, Appenzell Ausserhoden und Appenzell Innerrhoden beizahlreichen Langohrquartieren mittels DNA-Analyse die Art-zugehörigkeit bestimmt werden konnte, ergab für Liechten-stein ein überraschendes Resultat: So konnten 10 von 14Quartieren dem Grauen Langohr zugeordnet werden. Dieseverteilen sich über ganz Liechtenstein von Balzers bis Mau-ren (GÜTTINGER, HOCH & GSTÖHL in Vorb.). Erwähnenswert istdie Tatsache, dass im Liechtensteiner und St. Galler Teil desAlpenrheintals Graues Langohr und Alpenlangohr gemein-sam vorkommen. Erstaunlich ist dieser Befund deshalb, weilbeide Arten nach bisherigem Wissen nahrungsökologischsehr ähnliche Ansprüche zeigen.

Graues Langohr (Plecotus austriacus)Ordnung: Fledermäuse (Chiroptera)Familie: Glattnasen (Vespertilionidae)

Foto: René Güttinger

Merkmale

Beim Grauen Langohr ist das Rückenfell von bräunlich-grau-er, die scharf abgesetzte Unterseite von hellgrauer bis weiss-licher Farbe. Gesicht und Ohren sind, ähnlich wie beim Al-penlangohr, dunkel pigmentiert. Im Vergleich zu denübrigen einheimischen Langohrarten besitzt das GraueLangohr einen vergleichsweise breiten und fast bis zur Basisdunkel gefärbten Ohrdeckel (Tragus). Charakteristisch istzudem der an der Spitze keulenförmig verdickte Penis. Daumen, Daumenkralle und Hinterfüsse sind im Mittel klei-ner als bei den anderen beiden Arten. Das Graue Langohr sieht dem Braunen Langohr, vor allemaber dem Alpenlangohr, insgesamt sehr ähnlich. Aus diesemGrund ist die Taxierung nach äusseren Merkmalen nur fürSpezialisten möglich. Für eine zweifelsfreie Artbestimmungist ein DNA-Test nötig.

Biologie

Wochenstubenverbände besiedeln ihre Quartiere von Aprilbis September und zählen meist nur wenige dutzend Alttie-re. Selten umfassen die Kolonien bis zu 100 Individuen. Siesetzen sich aus erwachsenen Weibchen mit ihren Jungensowie noch nicht geschlechtsreifen Tieren beiderlei Ge-schlechts zusammen. Wird es im Quartier zu heiss, teilen sichdie Kolonien in verstreut hängende Kleingruppen auf. Ausder Schweiz und anderen Gebieten sind, wenn auch verein-zelt, Mischgesellschaften des Grauen und Braunen Langohrsbekannt. Das Graue Langohr ist im Flug sehr manövrierfähig. SeineBeute fängt es vor allem in der Luft, meist in Flughöhen vonzwei bis fünf Metern, gelegentlich aber auch wenige Zenti-meter über dem Boden. Deutlich seltener als das BrauneLangohr sammelt auch das Graue Langohr Beutetiere vonBlättern ab. Noch mehr als das Braune Langohr ist das GraueLangohr hingegen ein ausgesprochener Falterspezialist. Inder Schweiz beispielsweise machen Nachtschmetterlinge mitknapp 90 Prozent den Hauptanteil in der Nahrung aus(ASHRAFI et al. 2011). In geringen Mengen kommen Käfer,

Page 72: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

71

Abb. 87 In der Pfarrkirche Mauren lebt im Dachstock eine Wochen -stubenkolonie des Grauen Langohrs. (Foto: Silvio Hoch)

Abb. 86 Die Nachweise des Grauen Langohrs konzentrie-ren sich auf die Rheinebene sowie unteren Höhenlagenund weisen auf eine wärmebetonte Verbreitung hin.

Graues Langohr

Wochenstube

Sonstiges Quartier

Freifund

2 01 Kilometer

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Die Gefährdungslage in Liechtenstein ist beim Grauen Lang-ohr, wie bei allen drei Langohrarten, schwierig einzuschät-zen. So sind die faunistischen Kenntnisse nach wie vor un-genügend, um ein klares Verbreitungsbild zu zeichnen.Ebenso ist über die Biologie dieser Art nach wie vor sehrwenig bekannt. Betreffend Gefährdungsfaktoren und Emp-fehlungen von Schutzmassnahmen in Quartieren gilt nachbisherigem Wissensstand dasselbe wie bei den anderen bei-den Langohrarten (vergleiche Kapitel Braunes Langohr). Nach den bisherigen Befunden zur Verbreitung der dreiLangohrarten in Liechtenstein und der Region St. Gallen-Ap-penzell beschränkt sich das Vorkommen des Grauen Lang-ohrs, ähnlich wie beim Alpenlangohr, auf die Talsohle unduntersten Hanglagen das Rheintals (GÜTTINGER, HOCH & GSTÖHL

in Vorb.). Die Tatsache, dass die Art im St. Galler Rheintal(noch) nicht nachgewiesen ist, dürfte rein methodisch be-dingt sein, zeigt aber auch deutlich, dass in diesem Gebietdie Suche nach weiteren Wochenstubenquartieren intensi-viert werden sollte. Ebenso wichtig wären Untersuchungenzur Nahrungsökologie, insbesondere zu den bevorzugtenJagdlebensräumen des Grauen Langohrs.

René Güttinger

Lebensraum

In Mitteleuropa findet man Wochenstubenquartiere typi -scher weise in Dachstühlen von Kirchen und anderen Ge-bäuden. In Liechtenstein liegen die bisher erfassten Quartierefast ausschliesslich in Kirchen und Kapellen und nur in einemFall in einer Burg. Das bisherige Verbreitungsmuster zeigteine Konzentration der Quartiere im Talraum und weist aufeine Wärmepräferenz hin (GÜTTINGER, HOCH & GSTÖHL in Vorb.).Einzig das Quartier in Triesenberg liegt mit knapp 900 m Mee-reshöhe relativ hoch und fällt auch im mitteleuropäischenVergleich aus dem Rahmen, befinden sich die Wochenstuben-quartiere des Grauen Langohrs allgemein in tiefen Lagen un-terhalb 550 m über Meer. Männchen sind als Einzelgänger inder Quartierwahl flexibler und nutzen eine Vielzahl verschie-denster Spaltquartiere. Als Winterquartiere dienen Höhlen,Stollen, Keller und Felsspalten. Als Jagdlebensräume nutzt das Graue Langohr gehölzrei-ches Wiesland, Brachen, Streuobstwiesen und Gärten imländlichen Siedlungsraum. Die Tiere jagen sowohl über Flä-chen sowie stationär um Strassenlaternen, in Baumkronenund in landwirtschaftlichen Gebäuden. Es existieren ausser-dem wenige Hinweise, dass das Graue Langohr bei der Jagdauch Wälder aufsucht. Die Jagdgebiete liegen bis zu 5,5 kmvom Tagesquartier entfernt.

Page 73: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

72

Grenzlinienstrukturen wie Waldränder und Waldstrassen.Die Nahrung besteht aus Fluginsekten. Ihrem vergleichswei-se zarten Gebiss entsprechend stellen Kleinschmetterlingedie hauptsächliche Beute dar. In deutlich geringeren Antei-len ergänzen weitere Beutetiere wie Zweiflügler und kleineKäfer die Nahrung.Ab Mitte Juni gebären die Weibchen ihre Jungtiere, die alsEinzelkinder oder Zwillinge auf die Welt kommen. Diese wer-den rund sechs Wochen lang gesäugt. Im Spätsommer undHerbst ist Paarungszeit, doch finden Paarungen auch noch imWinter statt. Die Mopsfledermaus erreicht bereits im erstenLebensjahr die Geschlechtsreife. Das Durchschnittsalter wirdauf fünf bis zehn Jahre geschätzt. Das bisher registrierteHöchstalter beträgt 22 Jahre. Die Mopsfledermaus gilt alsortstreue Art, welche nur kurze saisonale Wanderungen un-ternimmt. So liegen Sommer- und Winterquartier in derRegel höchstens 40 km voneinander entfernt. Flüge über 100km sind nach bisherigem Wissen die Aus nahme.

Verbreitung

Die Mopsfledermaus ist in Europa weit verbreitet undkommt im Norden bis nach Schottland und Südschwedenvor. Im Süden erstreckt sich die Verbreitung über Teile Spa-niens, mehrere Mittelmeerinseln, Italien und Teile der Bal -kanhalbinsel. Hinzu kommen regionale Vorkommen in derTürkei sowie ein isoliertes Areal in Marokko. Die Ostgrenzeverläuft durch die Osttürkei und den Kaukasus.Im Alpenrheintal und seinen Nebentälern ist einzig im Kan-ton Graubünden je ein Wochenstubenquartier aus demRaum Ilanz und Thusis sowie aus dem Prättigau bekannt.Hinzu kommen vier Sommerquartiere sowie ein Winterquar-tier (MÜLLER ET AL. 2010). Im Kanton St. Gallen betreffen die

Mopsfledermaus (Barbastella barbastellus)Ordnung: Fledermäuse (Chiroptera)Familie: Glattnasen (Vespertilionidae)

Foto: Hans-Peter Stutz

Merkmale

Der Artname ist Programm: Mit ihrer kurzen und breitenSchnauze ist die Mopsfledermaus unverkennbar und bei unsmit keiner anderen Fledermausart zu verwechseln. Charak-teristisch sind ausserdem die kräftigen und breiten Ohren,welche sich auf der Stirn berühren. Mit einem Gewicht vonsieben bis zehn Gramm und einer Flügelspannweite von 25bis 28 cm zählt die Art zu den mittelgrossen Arten. Das dich-te, feine Fell ist von schwarzbrauner Farbe und mit hellenHaarspitzen durchsetzt. Die Haut ist ebenfalls markantschwarzbraun. Die Mopsfledermaus besitzt einen vergleichs-weise kleinen Mund und ein feines Gebiss. Ihre Ortungslau-te stösst sie je nach Ortungssituation durch den Mund oderdie beiden Nasenlöcher aus. Spezialisten können die Mops-fledermaus anhand der Ortungslaute eindeutig bestimmen.

Biologie

Wochenstubenverbände in Gebäudequartieren können bisüber 100 Weibchen zählen. Sie bewohnen den ganzen Som-mer über dasselbe Quartier. Baumbewohnende Kolonienhingegen bestehen aus ein bis zwei dutzend Weibchen undwechseln ihr Tagesquartier oft täglich. Dementsprechendgross ist der Bedarf an geeigneten Baumquartieren. Im Spät-sommer suchen die Tiere Schwärmquartiere an Höhlen auf.Dabei können schwärmende Individuen nachweislich vonJahr zu Jahr an derselben Höhle angetroffen werden. InWinterquartieren findet man oft nur einzelne Tiere. In Ost-europa kann die Mopsfledermaus erstaunlich grosse Winter-cluster von mehreren tausend Individuen bilden. Bis in die1970er Jahre wurden auch in Süddeutschland, auf derSchwäbischen Alb und in Bayern, vergleichbare Wintermas-senquartiere registriert. Als kälteresistente Art hängt dieMopsfledermaus in unterirdischen Winterquartieren oft imkühlen Eingangsbereich. Die Mopsfledermaus bricht bereits in der Dämmerung zurJagd auf. Die breiten und spitzen Flügel ermöglichen einenwendigen und schnellen Flug. Ihre Beute sucht die Mopsfle-dermaus nahe an der Vegetation. Dabei jagt sie über denBaumkronen, unter dem Kronendach sowie entlang von

Abb. 88 Die Mopsfledermaus wird regelmässig von gel-ben Ohrmilben (Trombicula russica) parasitiert.(Foto: Silvio Hoch)

Page 74: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

73

Abb. 90 Der Galeriewald bei Ruggell – ein zwischen revi-talisiertem Binnenkanal und dem Rheindamm eingeklemm-ter, ehemaliger Auenwald – dient der Mopsfledermaus alsJagdlebensraum. (Foto: Silvio Hoch)

Abb. 89 Die sporadischen Nachweise der Mopsfledermauskonzentrieren sich auf das Unterland.

Mopsfledermaus

Freifund

akustisch

2 01 Kilometer

Stollen, Tunnels und Felsspalten. Jagdlebensräume sindvielfältig strukturierte, aus verschieden alten Bäumen auf-gebaute Wälder. Bezüglich Baumartenzusammensetzung isteine Bevorzugung bestimmter Waldtypen nicht erkennbar.Die Jagdgebiete der Mopsfledermaus sind nicht weiter als 4,5km vom Wochenstubenquartier entfernt.

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Die spärlichen Funde erlauben für Liechtenstein keine klareAussage zur Gefährdung der Mopsfledermaus. Tatsächlichkann beim momentanen Wissensstand nicht beurteilt wer-den, ob die wenigen Nachweise auf eine tatsächliche Sel-tenheit der Art oder auf die methodische Unzulänglichkeitbei der Erfassung derart heimlich lebender Fledermausartenberuhen. Insbesondere im Wald muss man davon ausgehen,dass sich die Mehrzahl der Baumquartiere unserem Blickentzieht. Die Mopsfledermaus ist eine ausgesprochene «Waldfleder-maus». Ihre bevorzugten Quartiere unter Baumrinden zei-gen, dass die Art an das Zerfallsstadium des Waldes ange-passt ist. Das periodische Ausscheiden von Altholzinselnsowie das Stehenlassen toter Bäume jeglichen Alters stellendeshalb zentrale Massnahmen zur Erhöhung der Lebens-raumqualität dar. Das Angebot an geeigneten Jagdlebens-räumen kann ebenfalls gezielt verbessert werden, sei esdurch Fördern einer vielfältigen Waldstruktur mit Bäumenaller Altersklassen oder durch Fördern artenreicher Wald -ränder mit einem hohen Insektenangebot. An Gebäuden nutzt die Mopsfledermaus vor allem Spalträu-me als Quartiere, wie sie im ländlichen Siedlungsraum anWohnhäusern und Scheunen älterer Bauweise vorhandensind. Es ist denkbar, dass die Art in der Vergangenheit völligunbemerkt viele derartige Quartierstrukturen verloren hat.Wenn solche Gebäude bei Bedarf «fledermausfreundlich»saniert werden können, dient dies nicht nur der Mopsfle-dermaus, sondern auch zahlreichen anderen Spalten be-wohnenden Fledermausarten.

René Güttinger

wenigen Funde vier in unterschiedlichen Jahren am selbenHöhleneingang abgefangene Tiere in der Gemeinde Wartau(GÜTTINGER & BARANDUN 2010) sowie je einen akustischenNachweis in Sennwald (GERBER, mündl. Mitteilung) und Hei-ligkreuz (ZINGG & MAURIZIO 1991). Aus Vorarlberg liegen le-diglich zwei Winterquartiernachweise sowie wenige bio-akustische Nachweise vor (AMANN, schriftl. Mitteilung).Ähnlich dürftig ist die Datenlage in Liechtenstein. So stehteinem aktuellen Fund eines Einzeltieres von 2008 aus Schel-lenberg lediglich ein alter, von 1961 stammender Fund ausTriesenberg gegenüber (HOCH, schriftl. Mitteilung, WIEDEMEI-ER 1984). Bioakustische Nachweise aus den Rheinauen beiRuggell und dem Wald ob Schaanwald lassen erahnen, dassdie unscheinbare Mopsfledermaus vielleicht doch häufigervorkommt, als bisher angenommen.

Lebensraum

Wochenstuben- und übrige Sommerquartiere befinden sichin Spalträumen an Gebäuden und an Bäumen. Nachgewiesensind Quartiere in Wandverschalungen von Wohnhäusern undScheunen, hinter Fensterläden und Windbrettern, in Fleder-maus-Flachkästen sowie hinter loser Baumrinde undStammanrissen. Als Winterquartiere nutzt die Mopsfleder-maus ebenfalls Rindenquartiere, zudem aber auch Höhlen,

Page 75: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

74

ordnen sind. Auffallend ist dabei ihr äusserst wendiger Flug,mit abgewinkelten Flügeln und raschem Flügelschlag. AlsNahrung dienen der Zwergfledermaus vor allem Zweiflügler,wie Mücken aller Art oder Fliegen. Aber auch Hautflügler,kleine Falter oder Käfer, Köcher- und Eintagsfliegen. Sie er-scheint also einerseits als Generalistin, die alles jagt, was diegeeignete Grösse hat, andererseits aber kann sie sich beieinem hohen Nahrungsangebot auf wenige Beutearten be-schränken. Auch im Winterquartier bevorzugt die Zwergfledermausenge Spalten, teils in Höhlen, häufig aber auch in und anGebäuden. Typisch für diese Art ist ihr Schwärmverhaltenvor potentiellen Quartieren. Als Invasionen bezeichnet dieFachwelt die im August und September stattfindenden Ein-flüge oft grosser Gruppen von meist Jungtieren durch Kipp-fenster oder andere Öffnungen in Gebäude. Das Schwärmenvor Winterquartieren dient offensichtlich dazu, diese früh-zeitig kennen zu lernen.Die Zwergfledermaus gilt als sehr ortstreu. In Mitteleuropakönnen kaum Ortswechsel über grössere Distanzen beob-achtet werden. Das bislang nachgewiesene Höchstalter be-trägt gut 16 Jahre.

Verbreitung

Die Zwergfledermaus besiedelt ganz Süd- und Mitteleuropaund erreicht ihre Nordgrenze in Irland, Schottland, Mittel-dänemark, Südschweden und Südfinnland, wobei überderen genauen Verlauf vor allem in Skandinavien noch Unklarheit herrscht. Der überwiegende Teil der älterenNachweise stammt dort wohl von der neu entdeckten undim Norden viel häufigeren Mückenfledermaus. Eine ein-drückliche Dominanz als häufigste Art erreicht die Zwergfle-dermaus nur im südlichen und westlichen Mitteleuropa.In der Schweiz fehlt die Zwergfledermaus nur in den Berg-gebieten oberhalb 2000 m, im Engadin und in einigen Wal-liser Tälern. Auch aus Österreich und speziell Vorarlberg sindmehrere Wochenstuben bekannt und es liegen Detektor-nachweise aus dem ganzen Lande vor.

Zwergfledermaus (Pipistrellus pipistrellus)Ordnung: Fledermäuse (Chiroptera)Familie: Glattnasen (Vespertilionidae)

Foto: René Güttinger

Merkmale

Der Name Zwergfledermaus ist zutreffend, denn bis zur Ent-deckung der Mückenfledermaus war sie mit knapp 20 cmFlügelspannweite die kleinste einheimische Fledermausart.Gleichzeitig darf sie als «biologisches Erfolgsmodell» im Al-penvorland betrachtet werden. Keine andere Fledermausartist nur annähernd so häufig und in allen Lebensräumen undHöhenlagen zu finden wie dieser nur fünf Gramm schwereWinzling. Sie ist aber von den anderen drei Vertretern derGattung Pipistrellus nicht leicht zu unterscheiden, da sich dieKörpermasse mit diesen überschneiden können. GeringeGrösse, variable Fellfärbung in verschiedenen Brauntönen,kurze dreieckige Ohrform mit stumpfem, abgerundetemund nach vorne gerichtetem Ohrdeckel (Tragus) sind allenGattungsverwandten gemeinsam. Von allen Pipistrellus-Arten aber hat die Zwergfledermaus die dunkelste Gesichts-und Flughautfärbung. Diese ist meist schwarzbraun. Von derMücken- und Rauhautfledermaus unterscheidet sie sichzudem durch die fehlende Behaarung der Schwanzflughautund in der Ausgestaltung bestimmter Felder der Armflug-haut, die durch elastische Fasern gebildet werden (sieheAbb. 91). Zur Unterscheidung von Rauhaut- und Weissrand-fledermaus dienen auch Zahnmerkmale und der meist nurbei letzterer vorhandene, namengebende helle Rand derFlughaut.

Biologie

Fortpflanzungsquartiere befinden sich praktisch immer inSpalträumen von Gebäuden. Diese können bis zu mehrerehundert Weibchen umfassen. Die Geburt der 1-2 Jungtiereerfolgt meist in der ersten Junihälfte. Typisch für die Zwerg-fledermaus sind häufige Quartierwechsel auch während derSäugezeit. Flügge werden die Jungtiere mit rund vier Wo-chen, wobei sie aber noch zwei weitere Wochen gesäugtwerden.Zur Jagd fliegt die Zwergfledermaus gleich zu Beginn derDämmerung aus, so dass die vielen Meldungen von abendsums Haus fliegenden Fledermäusen meist dieser Art zuzu-

Abb. 91 Unterscheidungsmerkmale der Gattung Pipi -strellus anhand der Flughautfelder der Zwergfledermaus:Roter Pfeil: Dieser Steg fehlt bei der Mückenfledermaus.Blauer Pfeil: An dieser Stelle hat die Rauhautfledermauseinen weiteren Steg. (Foto: Silvio Hoch)

Page 76: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

75

Abb. 92 Die Zwergfledermaus ist die häufigste Fleder -maus art in Liechtenstein und bis in die Hochlagen verbrei-tet.

Zwergfledermaus

Wochenstube

Sommer- u. Winterquartier

Winterquartier

Sonstiges Quartier

Netzfang Freiland

Freifund

akustisch

2 01 Kilometer

Lediglich im untersten Bereich kann es Überlappungen mitder Rauhautfledermaus geben.

Lebensraum

Die Zwergfledermaus ist eine äusserst flexible Spaltenbe-wohnerin. Ob an Gebäuden im Zwischendach, hinter demStreichbalken, in Rollladenkästen, hinter der Wassernasevon Flachdächern, in Fassadenhohlräumen, ob in Baumhöh-len oder Fledermauskästen, überall findet sie geeignete Ta-gesschlaf- und die Männchen ihre Paarungsquartiere. Sämt-liche in Liechtenstein gefundenen Wochenstuben, Sommer-und Zwischenquartiere befinden sich an Gebäuden im Sied-lungsraum. 27 davon wurden in Mauerspalten, meistens hin-ter dem Streichbalken, also zwischen Hauswand und demersten Dachbalken gefunden. Acht Kolonien haben einenFassadenspalt in der Wandverkleidung, sechs das Zwischen-dach und fünf einen Rollladenkasten als Quartier gewählt.Lediglich Männchenquartiere wurden ausserhalb des Sied-lungsraumes meist in Fledermauskästen nachgewiesen. Zweidieser Männchenquartiere liegen auf über 1300 m in einemFerienhaus auf der Triesner Platta (1370 m) bzw. im Klein -steg (1305 m). Die höchstgelegene Wochenstube wurde inTriesenberg auf 980 m gefunden. Als Jagdhabitate nutzt die Zwergfledermaus alle Arten vonWäldern, Waldränder, Baum- und Heckenreihen, grosse Ein-zelbäume und besonders gerne Strukturen in Gewässernä-he. Im Siedlungsraum findet sie in Gärten, Alleen und vorallem um Strassenbeleuchtungen einen gedeckten Tisch. Bisin den Bereich der Baumgrenze jagt sie noch erfolgreichüber Alpweiden und um Alpgebäude. Der höchstgelegeneNachweis stammt dabei von der Alpe Guschgfiel auf 1765 m,wobei die Zwergfledermaus auf fast allen Alpen, wie Lawe-na, Sücka, Älpli, Valüna, Steg, Valorsch, Malbun, Sass undGuschgfiel gehört wurde.

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Die Zwergfledermaus ist in Liechtenstein aktuell nicht be-droht. Trotzdem muss auf den Erhalt der Quartiere geachtetwerden, nicht zuletzt deshalb, weil diese auch durch andereund seltenere Arten genutzt werden können. Durch ihreVorliebe für Spaltenquartiere an Wohngebäuden liefert siedem Fledermausschutz zudem willkommene Gelegenheitfür Kontakte zur Bevölkerung und somit Werbung in eige-ner Sache. Auch als Vorzeigeobjekte bei Besuchen in Schul-klassen sind Zwergfledermäuse oft mit von der Partie undlösen bei Schülerinnen und Schülern den bekannten «Jööh-Effekt» aus.

Silvio Hoch

In Liechtenstein sind in den letzten 20 Jahren 57 Quartiereder Zwergfledermaus erfasst worden. Davon sind 39 Wo-chenstuben, sieben Sommerquartiere ohne Fortpflanzungs-nachweis oder Zwischenquartiere sowie ein halbes DutzendMännchen- und damit potenzielle Paarungsquartiere in Fle-dermauskästen. Vier Wochenstubenquartiere erreichtendabei Maximalzahlen von knapp über hundert Tieren. In kei-nem Verhältnis zu den vielen Quartieren aus dem Sommer-halbjahr stehen die zwei Winterquartiere, die bislang ent-deckt werden konnten. Beide befinden sich in Mauerspaltenan Gebäuden und werden nur von einem Einzeltier bzw. voneiner kleinen Gruppe benutzt. Zu den Quartiernachweisenkommen noch über 120 Einzelnachweise, 46 davon durchNetzfänge, 18 wurden von Katzen gebracht, 33 verirrtensich in Wohnräume und 23 wurden draussen im Freien ge-funden. Die weitaus grösste Anzahl von Nachweisen aberbrachten mit über 950 Aufnahmen die Detektorbegehungenvon 2007-2010, wobei längst nicht alle gehörten Sequenzender Zwergfledermaus auch aufgezeichnet wurden. Mit demDetektor ist die Zwergfledermaus leicht und sicher nachzu-weisen. Ihre Hauptschallfrequenz liegt zwischen 42 und 52kHz. Sie verwendet also eine sehr grosse Bandbreite, wasnormalerweise zu starken Überschneidungen mit anderenArten führt. Glücklicherweise rufen aber keine weiteren ein-heimischen Arten in diesem 10 kHz umfassenden Spektrum.

Page 77: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

76

den. Der für die Weissrandfledermaus namengebende helleRand am hinteren Ende der Flughaut kann auch bei der Rau-hautfledermaus vorhanden sein.

Biologie

Die Rauhautfledermaus ist eine jener fünf einheimischenArten, bei denen Fortpflanzungs- und Überwinterungsge-biete weit voneinander entfernt liegen. Als typische Fort-pflanzungsgebiete gelten die neuen Bundesländer Deutsch-lands sowie Polen und das Baltikum. Überwintert wirdhauptsächlich in Mitteleuropa. In den letzten Jahrzehntenscheinen sich diese bislang klaren Strukturen aber immermehr zu verwischen. So konnten inzwischen auch in Mittel-und Süddeutschland und im Jahre 2000 auch im KantonThurgau Wochenstuben mit reproduzierenden Weibchenentdeckt werden (FMAZ 2001, BURKHARD & BURKHARD 2011).Auch werden immer häufiger erfolgreiche Überwinterun-gen in den nordöstlichen Fortpflanzungsgebieten beobach-tet. Grosse Wochenstubenquartiere können, ähnlich wie bei derZwergfledermaus, durchaus 100-200 Weibchen umfassen. Inder Regel werden wie bei allen wandernden Arten Zwillingegeboren. Überwintert wird, wie oben erwähnt, vorwiegend in Holz-stapeln, was der Rauhautfledermaus eine gewisse Kälte -härte bescheinigt. Daneben überwintert sie auch in Baum-höhlen und Spalten an Gebäuden. Das bisher festgestellteHöchstalter liegt bei 11 Jahren.Rauhautfledermäuse jagen Fluginsekten, darunter vieleZuckmücken entlang von Strukturen wie Waldrändern,Wegen, Wiesenrändern und Gewässern.

Verbreitung

Die Rauhautfledermaus ist eine europäische Art, deren Ver-breitungsgebiet vom Ural über den Süden Skandinaviens bisnach England und Irland reicht. Nur aus dem Süden Spaniensund Bereichen Mittelitaliens fehlen Nachweise. Um das Zug-verhalten der Rauhautfledermaus studieren zu können,wurden seit den 1930er-Jahren europaweit über 60’000Tiere beringt. Von erstaunlichen Flugleistungen zeugt einWiederfund einer im lettischen Pape beringten Rauhautfle-dermaus Ende Oktober 2009 im solothurnischen Dorf Sel-zach. Nur 28 Tage nach seiner Beringung und einer zurück-gelegten Flugstrecke von 1360 km wurde es hinter einerabmontierten Sonnenuhr entdeckt (Stiftung Fledermaus-schutz, schriftl. Mitteilung). Den absoluten Langstreckenre-kord aller wandernden Fledermausarten hält eine Rauhaut-fledermaus, die zwischen Lettland und Kroatien 1’905 kmzurückgelegt hat. Wiederfunde aus dem Südtirol und Nord-spanien belegen, dass auf dem Zug ins Winterquartier auchdie Alpen oder die Pyrenäen überquert werden. In Liechten-stein sind bislang vier beringte Rauhautfledermäuse gefun-den worden (Siehe Abb. 94).Bei einer Fledermauskartierung in den Jahren 1982/83 wer-den lediglich drei Nachweise der Rauhautfledermaus für

Rauhautfledermaus (Pipistrellus nathusii)Ordnung: Fledermäuse (Chiroptera)Familie: Glattnasen (Vespertilionidae)

Foto: René Güttinger

Merkmale

Brennholzstapel, in Liechtenstein «Scheiterbeigen» ge-nannt, stellen die typischen Winterquartiere dieser Art dar.Jedes Jahr wird eine grössere Anzahl Rauhautfledermäuse inden Pflegestationen abgegeben, die beim Einbringen vonFeuerholz entdeckt worden sind. Die Rauhautfledermaus istwie die drei anderen einheimischen Vertreter der GattungPipistrellus eine kleine Art, welche die Zwergfledermaus inallen Körpermassen nur leicht übertrifft. Von dieser unter-scheidet sie sich auch in der Behaarung der Schwanz -flughaut, die statt bis auf Höhe der Knie fast bis zu den Fussgelenken reicht. Dies gibt ihr ein optisch längeres Er-scheinungsbild. Sichere Bestimmungsmerkmale gegenüberihren nächsten Verwandten sind einerseits im Gebiss, wo derzweite Schneidezahn die kleine Spitze des ersten überragt,und andererseits in bestimmten Flughautfeldern zu finden,die durch elastische Fasern in der Flughaut gebildet werden.Hier tragen die beiden relevanten Felder jeweils einen Zwischensteg (siehe Abb. 93).Während diese Stege bei der Mückenfledermaus fehlen, istbei Zwerg- und Weissrandfledermaus nur der obere vorhan-

Abb. 93 Die Pfeile weisen auf die für die Rauhautfleder-maus typischen Stege in den Flughautfeldern. Bei der verwandten Mückenfledermaus fehlen beide, bei Zwerg-und Weissrandfledermaus nur der untere. (Foto: Silvio Hoch)

Page 78: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

77

Abb. 94 740 km, 690 km, 670 km bzw. 590 km liegen Beringungs- und Fundort der vier in Liechtenstein gefun-denen Rauhautfledermäuse von einander entfernt.

Abb. 95 Die Rauhautfledermaus ist im Winterhalbjahr inder Talebene und den unteren Hanglagen weit verbreitet.

Rauhautfledermaus

Winterquartier

Sonstiges Quartier

Freifund

akustisch

2 01 Kilometer

Liechtenstein beschrieben (WIEDEMEIER 1984). Inzwischenkonnten 35 Quartiere gefunden werden. Mit einer einzigenAusnahme, bei der es sich um ein Paarungsquartier handel-te, waren alles Winterquartiere. Von diesen wiederum be-fanden sich nur zwei in einer Baumhöhle bzw. in einemStammaufriss, alle übrigen in Brennholz- oder Brettersta-peln. Rekordverdächtig ist dabei ein Fund in einer kleinenHolzbeige auf dem Balkon einer Attikawohnung im VaduzerSchwefel, wo Anfang Februar 2009 nicht weniger als achtüberwinternde Rauhautfledermäuse zum Vorschein kamen.Akustisch ist die Rauhautfledermaus von der nahe verwand-ten Weissrandfledermaus kaum zu unterscheiden, da sichihre Frequenzbereiche stark überlappen: Weissrandfleder-maus 35-41 kHz, Rauhautfledermaus 37-42 kHz. Währenddie Weissrandfledermaus häufig arttypische Sozialrufe zwi-schen ihre Ortungsrufe mischt, sind solche von der Rauhaut-fledermaus viel seltener zu hören. Die wenigen dieser Artzugeordneten Rufsequenzen wurden im Bereich des Bin-nenkanals entlang von Baumreihen und Waldrändern zwi-schen Vaduz und Bendern und an hangseitigen Waldrän-dern in Triesen aufgenommen.

Lebensraum

In ihren nordöstlichen Sommereinstandsgebieten ist dieRauhautfledermaus auf naturnahe Waldgebiete angewie-sen. Bevorzugt werden Laubmischwälder in Gewässernähe,Auwälder und Parklandschaften. Gejagt wird vorwiegend inlichten Wäldern, entlang von Waldrändern, Hecken undBaumreihen, aber auch über Flüssen und im Uferbereich vonSeen, wobei ertragreiche Abschnitte immer wieder abgeflo-gen werden. Als Wochenstubenquartiere dienen der Rau-hautfledermaus natürliche Baumhöhlen, Stammaufrisse,Spalten an Jagdkanzeln, Wald- und Forsthütten sowie ande-ren Gebäuden in der Nähe von Wäldern, wobei Lagen über500-600 m gemieden werden. Auch rund ein Dutzend Ruf-aufnahmen aus Liechtenstein, die mit einiger Sicherheit die-ser Art zugeordnet werden können, stammen von Standor-ten unterhalb von 600 m ü. M.

Gefährdung und Schutz

Als Fernwanderer ist die Rauhautfledermaus auf ihrem Zugdurch Windkraftanlagen und stark befahrene Verkehrsaderngefährdet, wenn diese im Bereich ihrer Zugstrassen liegen.Auch wird sie häufig von Katzen aus ihrem Winterquartier in«Scheiterbeigen» gezogen und oft stark verletzt oder getö-tet. So stellen Rauhautfledermäuse – obwohl keineswegs diehäufigste Art in unserem Lande – in manchen Jahren diehöchste Anzahl von Pfleglingen und übertreffen so die vielhäufigere Zwergfledermaus. In Zeitungsartikeln wird zu Be-ginn des Winters jeweils auf den bevorzugten Überwinte-rungsort der Rauhautfledermaus hingewiesen und umsichti-ges Verhalten beim Holen von Brennholz empfohlen.

Silvio Hoch

Page 79: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

78

wurde ein in Sachsen-Anhalt beringtes Tier an der kroati-schen Adriaküste wieder gefunden. Ein in Prenzlau in derUckermark am 3.8.2007 beringtes Weibchen flog am6.10.2008 in der südfranzösischen Camargue ins Japannetz(DANILO RUSSO, schriftl. Mitteilung). Die beiden Überflüge von775 bzw. 1280 km belegen, dass auch die Mückenfledermaussüdlich gelegene Winterquartiere aufsucht.Die Weibchen der Mückenfledermaus können sich in denWochenstuben mit Zwergfledermäusen vergesellschaften.An Mischkolonien in Kreuzlingen TG konnte beobachtetwerden, dass die Mückenfledermäuse rund eine halbe Stun-de nach den Zwergfledermäusen ausfliegen und dass dieJungen zwischen Mitte und Ende Juni geboren werden(BURKHARD 2007). Oft sind es wie bei allen wandernden ArtenZwillingsgeburten.

Verbreitung

Unter allen vier in Europa vorkommenden Arten der Gat-tung Pipistrellus ist die Mückenfledermaus die am weitestenverbreitete Art. Sie besiedelt Südeuropa ebenso wie die bri-tischen Inseln und erreicht an der norwegischen Küste den63. Breitengrad. In der Schweiz ist die Mückenfledermaus inallen grösseren Flusstälern und an den Ufern der grösserenSeen nachgewiesen (SATTLER et al. 2007). In Vorarlberg konn-ten erstmals 2007 Detektornachweise erbracht werden(GEORG AMANN, schriftl. Mitteilung).Nach wie vor fehlt aus Liechtenstein ein Fortpflanzungs-nachweis der Mückenfledermaus, obwohl die meisten bis-lang bekannten Quartiere der Zwergfledermaus nachkon-trolliert worden sind. Die Nachweise der Mückenfledermausin Liechtenstein beschränken sich bis auf wenige Einzelfun-de auf die mehrfache Aufzeichnung von Ultraschallrufen,darunter auch arttypische Soziallaute.Bei den Einzelfunden handelt es sich um einen Einflug in eineWohnung in Triesen und um zwei Netzfänge über dem Bin-nenkanal in Vaduz im März bzw. April 2000. Beide Tierewaren Männchen. Ende November 2005 wurde nahe beimSchloss Vaduz eine Winterschlafgesellschaft in einer gefäll-ten Buche entdeckt. Neben Grossen und Kleinen Abendseg-

Mückenfledermaus (Pipistrellus pygmaeus)Ordnung: Fledermäuse (Chiroptera)Familie: Glattnasen (Vespertilionidae)

Foto: René Güttinger

Merkmale

«Nomen est omen», sagt das Sprichwort, das für die Mü-ckenfledermaus gleich in doppeltem Sinne zutrifft. Sie ist diekleinste unter den europäischen Fledermausarten und ent-sprechend ihrem bevorzugten Jagdgebiet, den gewässerna-hen Wäldern, sind Mücken ihre Leibspeise. Der seit Beginnder 1980er-Jahre aufgrund ihrer Ruffrequenz um die 55 kHzvermutete Artstatus konnte Mitte der 1990er-Jahre genetischbestätigt werden. Seither stellt die Bestimmung dieser Artdie Feldforscher und Fledermausschützer immer wieder vorProbleme. Es sind keine messbaren Bestimmungsmerkmalevorhanden, um die Art von der ähnlichen Zwergfledermausunterscheiden zu können. Die vergleichsweise kürzereSchnauze und die dadurch steiler erscheinende Stirn sind nurbei grosser Bestimmungserfahrung hilfreich. Meist hellereHautpartien vor allem ums Auge, am Ohrdeckel (Tragus) undder Ohrinnenseite sind weitere vage Unterscheidungsmerk-male zur Geschwisterart. Als sicherstes Merkmal haben sichbestimmte Flughautfelder erwiesen, die durch elastische Fa-sern in der Flughaut gebildet werden (Abb. 96). Die Behaa-rung der Schwanzflughaut reicht, ähnlich wie bei der Rau-hautfledermaus, bis fast auf Höhe des Hinterfusses.

Biologie

Als Spaltenbewohnerin besiedelt die Mückenfledermaushäufig vom Menschen geschaffene Strukturen. Insbesonde-re Wochenstubenquartiere befinden sich in Gebäudespal-ten. Fledermauskästen und natürliche Baumhöhlen werdenvor allem als herbstliche Balzquartiere angenommen, letzte-re auch als Winterquartiere. Gejagt werden kleine Schwarminsekten, wie Zuck- undStechmücken, aber auch kleine Haut- und Netzflügler sowieEintagsfliegen. Der grösste Teil der Beute besteht aus Insek-ten, die eine ans Wasser gebundene Larvenentwicklungdurchlaufen.In jüngster Zeit häufen sich die Anzeichen, dass die Mücken-fledermaus, ähnlich wie die Rauhautfledermaus und dieAbendsegler, grosse saisonale Wanderungen durchführt. So

Abb. 96 Nicht immer sind die Färbungsunterschiede derHautpartien im Gesicht und an den Ohren zwischenZwergfledermaus (links) und Mückenfledermaus (rechts) sodeutlich wie auf dieser Aufnahme. (Foto: René Güttinger).

Page 80: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

79

Abb. 98 Das Quartier der Mückenfledermaus befindet sichim Zwischendach eines Wohnhauses. (Foto: René Güttinger)

Abb. 97 Die akustischen Aufnahmen zeigen klar die be-vorzugten Jagdlebensräume der Mückenfledermaus: Ge-wässernahe Strukturen der Talebene und Waldränder derunteren Hanglagen.

Mückenfledermaus

Sonstiges Quartier

Netzfang Freiland

Freifund

akustisch

2 01 Kilometer

Wandverkleidungen, Rollladenkästen und Zwischendächer.Ihre Jagdgebiete muss sich die Mückenfledermaus mit derZwergfledermaus teilen, doch ist sie viel stärker als diese aufgewässernahe, reich strukturierte Wälder und Gehölze angewiesen. Parkähnliche, lockere Baumbestände und Laub-wälder sowie grosse Solitärbäume kommen als Jagdgebieteebenfalls in Frage. Landwirtschaftlich genutzte Flächen wer-den hingegen gemieden. Auch in Liechtenstein sind die Be -züge zu Wäldern, Baumreihen und grossen Einzelbäumen inGewässernähe deutlich festzustellen. So konnten jagendeMückenfledermäuse im Bereich des Binnenkanals und derRheinauen in Balzers, Triesen, Vaduz, Schaan und Gamprin verhört werden. Daneben scheinen auch der lockere Be-stand an alten Buchen auf dem Oksaboda bei Balzers undder angrenzende, teilweise ausgelichtete Buchenwald, fürdiese Art ebenso attraktiv zu sein, wie Baumreihen an deralten Landstrasse zwischen Triesen und Balzers. Im Bereichdes Vaduzer Friedhofs scheinen die Nähe zum Wald unddem Schlossfelsen in Kombination mit einer niedrigen, eng-stehenden Strassenbeleuchtung für ein attraktives Insekten-angebot nicht nur für die Mückenfledermaus verantwortlichzu sein. Im Ruggeller Riet konnten die Rufe einer Mücken-fledermaus bei der Jagd um eine einzelne hohe Pappel auf-genommen werden.

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Es bleibt zu hoffen, dass demnächst auch Wochenstuben,also Fortpflanzungsquartiere, dieser kleinsten einheimi-schen Fledermausart gefunden werden. Die geplante Revi-talisierung weiterer Bach- und Kanalabschnitte, wie aucheine höhere Anzahl stehender Wasserflächen könnte dieHäufigkeit dieser sehr seltenen und stark vom Insektenan-gebot in Gewässernähe abhängigen Art zweifellos fördern.Obwohl die wenigen Daten eine klare Festlegung des Ge-fährdungsgrades nicht erlauben, muss für die Mückenfle-dermaus als Spaltenbewohnerin, die auf vom Menschen ge-schaffene Quartierstrukturen angewiesen ist, zumindest voneiner möglichen Gefährdung ausgegangen werden.

Silvio Hoch

lern, sowie einer Rauhautfledermaus fand sich darunter auchein Männchen der Mückenfledermaus. Ein solches konnteauch im Spätsommer 2010 am Weiher beim Vaduzer Schlies-saweg gefangen werden. Es erhielt einen winzigen Sendervon nur 0.3 g. Das telemetrierte Tier zeigte einige bemer-kenswerte Verhaltensweisen. So überquerte es mehrmals inder Nacht den Rhein im Bereich der Rheinbrücke Vaduz-Se-velen, jagte über dem Liechtensteiner Binnenkanal zwischenVaduz und Triesen sowie über dem Werdenberger Pendantund bezog sein Tagesquartier abwechselnd im Stamm einerZwieselbuche im Vaduzer Schwefelwald und im Zwischen-dach eines Wohnhauses in der Seveler Rheinau (Abb. 98). Diebeiden Tagesquartiere stellen sowohl für Liechtenstein wiefür den Kanton St. Gallen den ersten Quartiernachweis fürdiese Art dar. Unter den 55 Rufaufnahmen, die von dieser Artvorliegen, enthalten 25 auch die arttypischen Sozialrufe. Alle Aufnahmen stammen aus der Talebene von Balzers bis Ruggell.

Lebensraum

Die Mückenfledermaus nutzt als Spaltenbewohnerin Quar-tiere an Gebäuden und Jagdkanzeln, wie Fassadenspalten,

Page 81: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

80

stärker kontrastiert als bei ihren Verwandten. Der namenge-bende weisse Rand an der Flughaut, meist zwischen Hinter-fuss und 5. Finger am deutlichsten ausgeprägt, muss nichtzwingend vorhanden sein und kann auch bei den anderenGattungsverwandten vorkommen. Sicherstes Bestimmungs-merkmal ist das Gebiss, wo die Weissrandfledermaus als ein-zige Pipistrellus-Art einen einspitzigen ersten Schneidezahnaufweist.

Biologie

Als ausgesprochener Kulturfolger findet die Weissrandfle-dermaus sowohl Quartiere wie Jagdgebiete hauptsächlichim Siedlungsraum und im vom Menschen gestalteten Um-land. Quartiere werden in Fassadenspalten, Wandverklei-dungen, Rollladenkästen und in Zwischendächern bezogen.Selbst die Winterquartiere befinden sich häufig in Gebäu-den. Die Weissrandfledermaus jagt Schwarminsekten wie Amei-sen, Zuck- und Stechmücken, sowie kleine Nachtfalter, Ein-tags- und Köcherfliegen.Die Weibchen der Weissrandfledermaus können sich in denWochenstuben mit Zwerg-, Alpen- und wohl auch Mücken-fledermaus vergesellschaften. Die Jungen, oftmals Zwillings-geburten, werden relativ früh schon Ende Mai oder AnfangJuni geboren. Das bisher festgestellte Höchstalter einerWeissrandfledermaus liegt bei acht Jahren.

Weissrandfledermaus (Pipistrellus kuhlii)Ordnung: Fledermäuse (Chiroptera)Familie: Glattnasen (Vespertilionidae)

Foto: Silvio Hoch

Merkmale

Die Weissrandfledermaus gehört sehr wahrscheinlich zu denProfiteuren des Klimawandels. Bei dieser eigentlich typischmediterranen Fledermausart kann seit Mitte der 1980erJahre eine sukzessive Ausbreitung nach Norden beobachtetwerden. Als kleine Fledermausart ist sie wenig grösser als dieZwergfledermaus. In ihrer Fellfärbung ist sie deutlich varia-bler als die anderen Pipistrellus-Arten. Neben einheitlichbraunen Individuen gibt es auch solche mit beigen, grauen,olivfarbenen und rötlichen Tönen, wobei die Unterseite oft

Abb. 99 Deutlich ist der namengebende helle Flughautrand zu erkennen. (Foto: René Güttinger).

Page 82: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

81

Abb. 100 Die Weissrandfledermaus bevorzugt als ursprünglich mediterrane Art die wärmebegünstigten Tal- und unteren Hanglagen.

Weissrandfledermaus

Freifund

akustisch

2 01 Kilometer

berg konnte durch Aufzeichnung der arttypischen Soziallau-te im Jahre 2007 der Erstnachweis erbracht werden (GeorgAmann, schriftl. Mitteilung).Am 6. Januar 2011 verirrte sich ein schon sehr betagtesWeibchen – die stumpfen, stark abgenutzten Zähne liessendarauf schliessen – in eine Wohnung im Triesner Sax. Die üb-rigen Nachweise der Weissrandfledermaus in Liechtensteinberuhen auf der mehrfachen Aufzeichnung von Ultraschall-rufen, aber auch von Soziallauten, die mit einer Frequenzvon rund 13 kHz im für Menschen hörbaren Bereich liegen.10 der insgesamt 25 Rufaufnahmen, die von dieser Art vor-liegen, enthalten diese arttypischen Soziallaute. Die erstenRufaufnahmen gelangen Mitte August 2007 in der Gemein-de Triesen im Oberdorf (HOCH 2009) und wenig später auchbeim Steinbruch. 2008 konnte die Art am oberen Dorfrandsowie hinter der Pfarrkirche von Vaduz gehört werden. ImApril und Mai 2009 kamen dann noch Nachweise in Schel-lenberg sowie in Ruggell und Ende Mai 2010 in Balzershinzu. Die Häufung der Nachweise seit 2007 hängt zweifel-los mit der damals begonnenen systematischen Aufzeich-nung und Auswertung von Ultraschallrufen zusammen.Heute kann von einer allgemeinen Verbreitung in allen Sied-lungsgebieten in noch geringer Häufigkeit ausgegangenwerden.

Lebensraum

Die Weissrandfledermaus findet nicht nur ihre Quartieresondern auch ihre Jagdhabitate im Siedlungsraum und inder vom Menschen gestalteten Landschaft. Dort jagt siehäufig um Strassenlampen, in Parks und Gärten sowie überGewässern und landwirtschaftlich genutzten Flächen. Ge-schlossene Waldgebiete hingegen meidet sie. Die liechten-steinischen Fundorte passen genau in dieses Bild. So jagtendie in Triesen, Vaduz und Ruggell gehörten Weissrandfle-dermäuse jeweils um Strassenlampen, in Schellenberg undBalzers im Bereich von Aussiedlerhöfen. Alle Nachweise lie-gen in Höhenlagen zwischen 430 und 650 m.ü.M.

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Als neu eingewanderte Art, die ihr Verbreitungsgebiet zu-nehmend nach Norden ausdehnt und in besonderer Weisean ein Leben im Siedlungsraum angepasst ist, dürfte dieWeissrandfledermaus in naher Zukunft in unseren Dörfernzahlreicher auftreten. Dass sie die omnipräsente Zwergfle-dermaus, zu der sie hier am ehesten in Konkurrenz tritt, teil-weise verdrängen kann und wie südlich der Alpen zur häu-figsten Art im Siedlungsraum wird, darf aber bezweifeltwerden. Dass bald auch in unserem Lande Quartiere undFortpflanzungsnachweise gefunden werden, ist wohl nureine Frage der Zeit. Eine potentielle Gefährdung bestehtwie bei allen Spaltenbewohnern im Siedlungsraum durchden Verlust von Quartieren bei Gebäuderenovierungen undUmbauten.

Silvio Hoch

Verbreitung

Die Weissrandfledermaus ist im gesamten Mittelmeergebietverbreitet und dort in vielen Gegenden – zumindest im Sied-lungsraum – wohl die häufigste Fledermausart. Auf ihrerdurch die Klimaerwärmung begünstigten Ausbreitung nachNorden hat sie an der Kanalküste bereits Nordfrankreich er-reicht, weiter östlich das Elsass und Süddeutschland. Alsstark an den menschlichen Siedlungsbereich angepasste (sy-nanthrope) Fledermausart tritt sie zuerst in den Wärmein-seln der Grossstädte auf, ehe sie dann auch in ländlicherenSiedlungen auftaucht. So ist sie inzwischen im süddeutschenRaum in München und Augsburg angekommen. Auf demBalkan geht ihre Verbreitung viel weniger weit nach Nordenund erreicht neben der gesamten dalmatischen Küste gera-de mal Mazedonien und Südbulgarien. In der Schweiz ist die Weissrandfledermaus naturgemäss inden Südkantonen Tessin, Genf und Wallis verbreitet, aberauch dem Jura entlang und aus den Kantonen Zürich undSchaffhausen sind zahlreiche Quartiere bekannt. Im KantonSt. Gallen konnte die Weissrandfledermaus 1998 durchFunde bei Buchs und Rorschach (HOCH 1999) erstmals belegtwerden. Auch im nördlichen Graubünden ist die Art aus demChurer Rheintal schon seit längerem bekannt. Für Vorarl-

Page 83: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

82

Alpenfledermaus (Hypsugo savii)Ordnung: Fledermäuse (Chiroptera)Familie: Glattnasen (Vespertilionidae)

Foto: Hans-Peter Stutz

Merkmale

Die Alpenfledermaus gleicht einer Miniaturausgabe derNordfledermaus: Dunkle, oft schwarze Hautpartien, relativlanges Rückenfell mit dunkler Haarbasis und gelblichen Spit-zen, helle kontrastreich abgesetzte Unterseite, kürzere undbreitere Ohren als die Pipistrellus-Arten. Der Tragus (Ohrde-ckel) ist kurz, abgerundet, stark nach vorn geneigt und nachoben verbreitert. Auffällig ist bei Männchen der rechtwink-lig abgeknickte Penis. Neuere genetische Untersuchungenbelegen eine nahe Verwandtschaft mit der Zweifarbenfle-dermaus (Vespertilio murinus), mit der sie die 1-2 freien, dieSchwanzflughaut überragenden Schwanzwirbel gemeinsamhat. Bis 1986 war die Alpenfledermaus der Gattung Pipi-strellus zugeordnet worden. Die Genetik bescheinigt ihreine Mittelstellung zwischen den Gattungen Eptesicus undPipistrellus.

Biologie

Ähnlich wie der Grosse Abendsegler fliegt die Alpenfleder-maus besonders im Frühjahr und Herbst oft lange vor Son-nenuntergang aus und jagt dann in grossen Höhen inschnellem, geradlinigem Flug. Mit Eintreten der Dämme-rung verlegt sie ihr Jagdhabitat aus dem freien Luftraumund jagt vor Felswänden, über Baumkronen, um Strassen-lampen und beleuchtete Gebäude. Erbeutet werden vor allem Schwarminsekten wie Nachtfal-ter, Wanzen, Haut- und Zweiflügler. Interessant ist in diesemZusammenhang die Beobachtung, dass Alpenfledermäuse ingeringer Höhe über einem Ameisenhaufen die zum Hoch-zeitsflug startenden Ameisen jagen. Die Weibchen der Alpenfledermaus bilden meist nur kleineWochenstuben mit selten mehr als 20 Individuen. Meist er-folgen Zwillingsgeburten. Die Alpenfledermaus gilt als ort-streu. Über Winterschlafquartiere ist kaum etwas bekannt. Jagen-de Alpenfledermäuse vor sonnenbeschienenen Felswändenim Winter deuten auf Felsspalten als Überwinterungsquar-tiere hin.

Verbreitung

Die Alpenfledermaus trägt einen Artnamen, der sich imNachhinein als wenig passend erwiesen hat. Zwar kommt sieauch in einigen klimatisch begünstigten Alpentälern wiedem Wallis und dem Churer Rheintal vor, doch liegt ihrHauptverbreitungsgebiet in Südeuropa, Nordafrika unddem Vorderen Orient. Die nördliche Verbreitungsgrenze zogsich bis zum Ende des vergangenen Jahrhunderts durch dasfranzösische Zentralmassiv, die Schweiz, Österreich, Ungarn,Bulgarien und die Krim. Seither aber häufen sich Nachweiseaus Tschechien, Süd- und Mitteldeutschland, die auf einestarke Arealausweitung nach Norden hindeuten. Als einerder Hauptgründe für dieses Vordringen, das Liechtensteinweg von der Verbreitungsgrenze beinahe ins Zentrum rü-cken lässt, wird bei mehreren Autoren die Klimaerwärmunggenannt (u.a. REITTER et al. 2010).Die Alpenfledermaus zählt im Tessin und im Wallis zu denhäufigen Arten. In Österreich konnte sie 1985 erstmals sichernachgewiesen werden. Inzwischen sind Nachweise aus denmeisten Bundesländern bekannt, so auch aus Vorarlberg. In Liechtenstein beschränken sich die Nachweise auf bio-akustische Aufnahmen. Die Frequenzen der Ultraschallrufekönnen sich zwar unterhalb von 32 kHz mit denjenigen derNordfledermaus und oberhalb von 35 kHz mit jenen derWeissrandfledermaus überschneiden, lassen sich aber imFrequenzbereich von 32-35 kHz relativ sicher der Alpen -fledermaus zuordnen. Da auch arttypische Soziallaute auf-gezeichnet werden konnten, gilt die Art als in Liechtensteinsicher nachgewiesen (HOCH 2010a). 30 Rufsequenzen, vierdavon mit Soziallauten, konnten an neun verschiedenenStandorten aufgenommen werden, in Balzers, Triesen,Vaduz und Planken. Weitere Aufnahmen aus Schaan undGamprin liegen im Überschneidungsbereich der Frequenzenmit der Nordfledermaus. Im August 2007 wurde in FläschGR, also unmittelbar an der liechtensteinischen Landesgren-ze, ein geschwächtes Jungtier der Alpenfledermaus gefun-den. Im sankt-gallischen St. Margrethen konnte 2009 mittelsDNA-Analyse einer Kotaufsammlung ein Sommerquartiernachgewiesen werden.

Page 84: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

83

Lebensraum

Als ursprünglich in felsigen Gebieten des Mittelmeerraumesbeheimatete Art findet sie auch in den Betonwüsten derStädte und Dörfer ihren bevorzugten Lebensraum. In Felsspalten, zwischen Dachziegeln, in Dehnungsfugen. Mau-erritzen oder hinter Fensterläden sucht sich diese ausge-sprochene Spaltenbewohnerin ihr Tagesschlaf- und Wochen-stubenquartier. Vor Wärme abstrahlenden Felswänden und Hochhäusernwird gerne nach Schwarminsekten gejagt. Diese Vorliebe fürfelsiges Gelände scheinen auch die liechtensteinischen Nach-weise am Burghügel von Gutenberg in Balzers und beimSteinbruch in Triesen zu bestätigen (Abb. 102). Aber auchder Luftraum über Waldrändern und landwirtschaftlich ge-nutztem Offenland wie das Balzner Anaresch oder das Tries-ner Bofel gehören zum Jagdhabitat der Alpenfledermaus.Dass sie auch das Insektenangebot um Strassenbeleuchtun-gen zu nutzen weiss, beweisen Aufnahmen vom Mai 2008vom Vaduzer Maree, wo diese gemeinsam mit Zwerg- undWeissrandfledermäusen um Strassenlaternen in der Näheeiner Magerwiese jagte.

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Da die Alpenfledermaus im Alpenraum – zumindest bis indie jüngste Vergangenheit – mit Liechtenstein ihre nördlicheVerbreitungsgrenze erreicht, muss von einer geringen Be-standesdichte ausgegangen werden, was durch die wenigenNachweise auch bestätigt wird. Die gegenwärtig dürftigeDatenlage erlaubt keine Aussagen zum Gefährdungsgradund zu notwendigen Schutzmassnahmen. Quartier- und ins-besondere Fortpflanzungsnachweise müssen deshalb alsmittelfristiges Ziel angestrebt werden. Sollte aber die obenerwähnte Tendenz zur Arealerweiterung nach Norden an-halten, so darf wohl zukünftig mit einer stärkeren Präsenzdieser Art in Liechtenstein gerechnet werden.

Silvio Hoch

Abb. 101 Während die Alpenfledermaus in ihrem süd -europäischen Verbreitungsgebiet ihren Lebensraum bis in die Felsregion ausdehnt, beschränkt sich bei uns ihr Vorkommen auf die wärmebegünstigten Lagen unterhalb900 m.

Alpenfledermaus

akustisch

2 01 Kilometer

Abb. 102 Von der Nachmittagssonne erwärmte Felspartien wie derSteinbruch in Triesen stellen ein beliebtes Jagdhabitat der Alpenfleder-maus dar. (Foto: Silvio Hoch)

Page 85: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

Breitflügelfledermaus (Eptesicus serotinus) Ordnung: Fledermäuse (Chiroptera)Familie: Glattnasen (Vespertilionidae)

Foto: René Güttinger

Merkmale

Die namengebenden breiten Flügel, verbunden mit einerSpannweite von rund 35 cm, ergeben für diese grosse Fle-dermaus eine stattliche Flügelfläche, die es der Breitflügel-fledermaus erlaubt, in gemächlichem, wendigem Flug aufInsektenjagd zu gehen. Mit ihren fast schwarzen Hautpar-tien im Gesicht und an den Flügeln, mit abgerundetenOhren und einem kurzen, stumpfen, nach vorne gerichte-ten Tragus gleicht sie einer überdimensionierten Zwerg-oder Rauhautfledermaus. Wie bei diesen kleinen Arten istauch bei der Breitflügelfledermaus das langhaarige Rü-ckenfell mittel- bis dunkelbraun, die Bauchseite etwas hel-ler gefärbt.

Biologie

Ihre Quartiere findet die Breitflügelfledermaus fast aus-schliesslich im Siedlungsraum. Obwohl Spaltenbewohner,benötigt sie für ihre Wochenstuben grossräumige Dachstö-cke, wo sie sich aber geschickt in Verstecke zurückzieht(Abb. 103). Die Weibchen der Breitflügelfledermaus bildenmeist nur kleine Wochenstubenkolonien mit 10-60 Individu-

en. Es wird in der Regel nur ein einzelnes Jungtier geboren.Oftmals sind Jungtiere deutlich dunkler gefärbt als Erwach-sene.Die Nahrung besteht aus Grossinsekten, wie Mai-, Mist- undDungkäfer, Nachtfalter, Blattwanzen, aber auch kleineren-Schwarminsekten wie Zuckmücken, Köcher- und Eintags -fliegen, die in Gewässernähe erbeutet werden. Die eingangserwähnte grosse Flügelfläche erlaubt der Breitflügelfleder-maus, die verschiedensten Jagdmethoden anzuwenden. Sogeht sie beispielsweise im freien Luftraum auf Beutefang,umkreist Baumkronen oder liest Insekten direkt von der Ve-getation ab. Sogar die Bodenjagd, die sonst vor allem vomGrossen Mausohr praktiziert wird, gehört zum Repertoiredieser Art.In den Jahren 2002-2004 wurden Kotproben aus der Wochenstube der Breitflügelfledermaus in der VaduzerPfarrkirche gesammelt und die Zusammensetzung des Beu-tespektrums bestimmt (BECK et al. 2006). Zwei Arten domi-nieren den Speisezettel der Vaduzer Kolonie: Der Maikäferund die Rotbeinige Baumwanze (Abb. 104) mit jeweils gut20 % Volumenanteilen.

Verbreitung

In ganz Mittel- und Südeuropa verbreitet, erreicht die Breit-flügelfledermaus in Mittelengland, Dänemark, dem äussers-ten Süden von Schweden und Lettland ihre nördliche Ver-breitungsgrenze. Ähnlich der Mückenfledermaus erreichtsie im Mittelmeerraum und in ihrem nördlichen Verbrei-tungsgebiet, speziell in der Norddeutschen Tiefebene, ihregrössten Bestandesdichten, während sie das südliche Mit-teleuropa eher schwach besiedelt. In der Zentral- und Ostschweiz sind nur im Bodenseegebietund im Alpenrheintal einige wenige Fortpflanzungskolo-nien dieser seltenen Art bekannt. Mit Diepoldsau, Eichberg,Vaduz und Balzers sind es gerade einmal vier Wochenstu-ben am st.gallisch-vorarlbergisch-liechtensteinischen Rhein-

84

Abb. 103 Nur selten verlassen die Breitflügelfledermäuseim alten Pfarrhof in Balzers ihr Versteck und zeigen sichdem Besucher. (Foto: René Güttinger)

Abb. 104 Mit 20 % Volumenanteilen stellt die RotbeinigeBaumwanze (Pentatoma rufipes) neben dem Maikäfer die häufigste Beuteart der Breitflügelfledermäuse aus derVaduzer Pfarrkirche dar. (Foto: Angela Schwarz)

Page 86: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

abschnitt. Dazu kommt noch eine Wochenstube in Nenzing,im voralbergischen Walgau, mit maximal 22 Weibchen.Die beiden liechtensteinischen Quartiere in der PfarrkircheVaduz und im alten Pfarrhof in Balzers zählen etwa 21 bzw.18 erwachsene Tiere. In den Jahren 2000 bis 2006 benutzteeine Gruppe von maximal sechs Breitflügelfledermäuseneinen Spalt hinter dem Streichbalken an der Aussenfassadeeines Einfamilienhauses in Gamprin als Zwischenquartier.Den gleichen Quartiertyp bewohnt auch ein Einzeltier imTriesner Grossen Bongert. Im Vaduzer Oberfeld befindet sichhinter einem Fensterladen das Paarungsquartier einesMännchens. Am 8.07.2001 gelang über dem Giessen bei derVaduzer ARA der Netzfang eines erwachsenen Männchensund am 9.08.2010 waren es drei postlaktierende Weibchen,die beim Weiher am Vaduzer Schliessaweg ins Netz gingen.Bioakustisch ist die Breitflügelfledermaus relativ schwierignachzuweisen, da wegen Frequenzüberschneidungen mitdem Grossen Mausohr, der Nordfledermaus, der Zweifar-benfledermaus und dem Kleinen Abendsegler gleich mehr-fache Verwechslungsmöglichkeiten bestehen. Trotzdemkonnten rund 150 Aufnahmen von 40 Standorten aus fastsämtlichen Gemeinden des Landes mit sehr hoher Wahr-scheinlichkeit dieser Art zugeordnet werden. Auch in Vor-arlberg konnten ihre Rufe im Rheintal und im Walgau auf-

genommen werden (Amann, schriftl. Mitteilung). Der Fre-quenzbereich der Breitflügelfledermaus liegt zwischen 24und 30 kHz.

Lebensraum

Die Breitflügelfledermaus bewohnt Spalten an und in Ge-bäuden, wie Fassadenhohlräume und Wandverkleidungen,versteckt sich aber auch hinter Fensterläden. Wochenstubenbefinden sich meist in Dachstöcken, wo sich die Tiere gerneim Giebelbereich hinter dem Firstbalken oder hinter Dach-sparren verkriechen. Der abendliche Ausflug erfolgt in derRegel durch Lücken im Ziegeldach. Wie bei den Quartierenverhält sich die Breitflügelfledermaus auch bei der Wahlihrer Jagdgebiete synanthrop: Sie ist auf die vom Menschengeschaffene Kulturlandschaft angewiesen. Mit Vorliebe jagtsie um hohe Einzelbäume oder Strassenlampen, entlang vonAlleen, Hecken und Waldrändern, in Streuobstwiesen undParks, sowie über extensiven Wiesen und Weiden. Die bioakustischen Nachweise dieser Art in Liechtenstein bestätigen die Angaben aus der Fachliteratur. So konntenbeispielsweise Ende Mai 2010 mehrere Breitflügelfleder-mäuse bei der Jagd nach Schwarminsekten über einem Holz-sammelplatz im Schaaner Wisele an der Kröppelröfi beob-achtet und ihre Ultraschallrufe aufgezeichnet werden. DieJagd um Strassenbeleuchtungen belegen Aufnahmen in derPalduinstrasse in Balzers, der St. Florinsgasse in Vaduz, imPlankner Häldele und im Lums in Gamprin.

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Der Landschaftswandel, besonders das Verschwinden derStreuobstwiesen und die Ausräumung der Landschaft, stelltdas zukünftige Vorkommen dieser Art im Alpenrheintalstark in Frage. Mit zwei Fortpflanzungskolonien trägt Liechtenstein für das Überleben dieser isolierten Populationin unserer Region eine besondere Verantwortung. Das gross-flächige Pflanzen von Hochstammobstbäumen auf Parzellender Bürgergenossenschaft Triesen und die Bemühungen desVereins «Pro Obstbaum» in Balzers sind in diesem Zusam-menhang sehr zu begrüssen. Auch andere Gemeindenschenken in Zusammenarbeit mit dem Verein «Hortus» demErhalt der alten Obstsorten und damit den Hochstämmernein besonderes Augenmerk. Die wenigen Quartiere müssenbei künftigen Renovierungen unbedingt erhalten bleiben.

Silvio Hoch

85

Abb. 105 Die Verbreitungskarte der Breitflügelfledermauszeigt ein Vorkommen von der Talebene bis in die mittlerenHöhenlagen mit einer Bevorzugung des urbanen Raumes.

Breitflügelfledermaus

Wochenstube

Sonstiges Quartier

Netzfang Freiland

akustisch

2 01 Kilometer

Page 87: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

86

Nordfledermaus (Eptesicus nilssonii)Ordnung: Fledermäuse (Chiroptera)Familie: Glattnasen (Vespertilionidae)

Foto: René Güttinger

Merkmale

Der Name Nordfledermaus bezeichnet eine ganz besondereEigenschaft dieser paläarktischen Art: Sie ist die einzige Fle-dermausart, die sich noch nördlich des Polarkreises fort-pflanzt. Als kleinere Schwester der Breitflügelfledermauswiegt sie nur rund halb so viel wie diese. Während sich diebeiden Arten in Ohr- und Tragusform, sowie Farbe der nack-ten Hautpartien kaum unterscheiden, sind sie dennochkaum zu verwechseln. Das Rückenfell der Nordfledermausist deutlich länger, und aus der dunkelbraunen bis braun-schwarzen Haarbasis ragen goldgelbe Haarspitzen hervor.Erwachsene Tiere weisen auch an den Stirnseiten gelbeHaarbüschel auf. Erstaunlich ist, dass die optisch so deutli-chen Unterschiede der beiden Arten sich in den bislang un-tersuchten DNA-Sequenzen nicht niederschlagen, so dassNord- und Breitflügelfledermaus genetisch (noch?) nicht ge-trennt werden können.

Biologie

Die Nordfledermaus ist unsere kälteresistenteste Fleder-mausart. Dies zeigt sich nicht nur durch ihre Verbreitung bisin den hohen Norden und ihr Vorkommen bis in die Felsre-gionen der Alpen. Sie wählt auch als Winterquartier kalteHöhlen und Stollen, wo sie, ähnlich wie die Mopsfleder-maus, in den kühleren Eingangsbereichen zu finden ist.Auch in Bodengeröll oder hinter Hausfassaden könnenNordfledermäuse ihr Winterquartier beziehen. Der Geburtstermin der Jungtiere hängt stärker als bei ande-ren Arten von den sehr wechselhaften Temperaturen in hö-heren Lagen ab. Diese haben starken Einfluss auf die Ent-wicklungsgeschwindigkeit des Embryos, bestimmen aberauch das Ende des Winterschlafes und damit den Beginn derTrächtigkeit. So können Geburten von Ende Mai bis MitteJuli beobachtet werden. Oft werden Zwillinge geboren. Gejagt wird meist in mittleren Höhen über Wäldern, Gewäs-sern, aber auch über dem Siedlungsraum nach Mücken allerArt, Käfern, Wanzen und in Gebirgstälern und über Kuppengerne auch nach ziehenden Faltern. Die Nordfledermaus gilt

allgemein als ortstreu und streift allenfalls nach Auflösungder Wochenstuben in einem etwas weiteren Umkreis umher.

Verbreitung

Die Nordfledermaus meidet den gesamten Mittelmeerraumund Westeuropa. Ihr Verbreitungsgebiet zieht sich vonNorditalien und Ostfrankreich in Richtung Osten und Nor-den über den Polarkreis hinaus bis zum 70. Breitengrad. IhrVerbreitungsschwerpunkt liegt in der Taiga und reicht ost-wärts über Sibirien, die Mongolei und Nordchina bis Kamt-schatka, Korea und Japan. Der Artstatus dieser nord- undostasiatischen Populationen ist allerdings noch nicht voll-ständig geklärt. In Mitteleuropa besiedelt die Nordfleder-maus vor allem die Gebirgslagen, ist aber regional auch intieferen Lagen anzutreffen.In der Schweiz konzentriert sich das Vorkommen der Nord-fledermaus auf den Jura, das Wallis, das Berner Oberlandund das Engadin. Vereinzelte Quartiere wurden auch im Tes-sin, in Zürich und Schaffhausen gefunden. Ein Totfund ausdem Jahre 1996 blieb lange Zeit der einzige Nachweis dieserArt in Vorarlberg. In jüngster Zeit aber konnten mehrere Detektornachweise erbracht werden (Georg Amann, schriftl.Mitteilung). Gerade die Funde aus Zürich und Schaffhausenbelegen, dass die Nordfledermaus nicht zwingend an Ge-birgsregionen gebunden ist. Offensichtlich bieten auch dieHäuserschluchten in Städten den Felsspalten ähnliche Quar-tiere.Ohne die Hilfe der Bioakustik wären die Nachweise derNordfledermaus für Liechtenstein äusserst dürftig. So sindlediglich zwei Männchenquartiere aus dem Malbun be-kannt. 1982 konnten Patrik Wiedemeier und Mario Broggiein solches im Zwischendach der Malbuner Friedenskapellenachweisen (Wiedemeier 1984). Im Jahre 2000 wurde beiDachdeckerarbeiten in der Malbuner Heita ein Männchenunter einem Firstziegel entdeckt. Ende Juli 2010 konnten beider Alphütte Guschgfiel drei Männchen mit Stellnetzen ge-fangen werden (Abb. 108).

Abb. 106 Schon bei Dämmerungsbeginn kann die Nord -fledermaus über dem Malbuner Siedlungsgebiet bei derJagd beobachtet werden. (Foto: Silvio Hoch)

Page 88: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

87

Ein besseres Bild über die Verbreitung und Häufigkeit derNordfledermaus in Liechtenstein geben die Ultraschallauf-nahmen. Bereits Wiedemeier konnte die Art im Malbun mitdem Ultraschalldetektor bei der Jagd um beleuchtete Stras-senlampen feststellen (Wiedemeier 1984). In den vergange-nen vier Jahren wurden 145 Rufe aufgezeichnet, die in derAnalyse dieser Art zugeordnet werden konnten. Davonstammen rund 60 Aufnahmen aus Lagen unterhalb von 1000m, also aus dem rheintalseitigen Gebiet vor dem Kulm. Dertiefste Nachweis gelang im Naturschutzgebiet Schwabbrün-nen-Äscher bei 465 m. Der höchstgelegene Aufnahmestand-ort ist die Balzner Alpe Gapfahl Obersäss auf 1865 m. Aberauch auf den Alpen Lawena, Sücka, Guschgfiel und vorallem im Winterkurort Malbun kann die Art regelmässig ge-hört werden. Bioakustisch ist die Nordfledermaus oftschwierig nachzuweisen, da wegen Frequenzüberschneidun-gen mit der Alpenfledermaus und der BreitflügelfledermausVerwechslungsmöglichkeiten bestehen. Dies gilt vor allemfür die Rheintalseite, denn im Alpengebiet dürften die bei-den anderen Arten kaum vorkommen. Der Frequenzbereichder Nordfledermaus liegt zwischen 27 und 32 kHz.

Lebensraum

Wochenstuben und Sommerquartiere werden meist in Spal-ten an Gebäuden, wie Fassadenhohlräume und Zwischendä-cher, bezogen. Solche unauffälligen Quartiere werden vonden Hausbewohnern meist übersehen. Das Vorkommen der Nordfledermaus ist an das Vorhanden-sein ausgedehnter Waldgebiete gebunden. Als schnell flie-gende Fledermaus jagt sie über den Baumkronen oder ent-lang der Waldränder, über Lichtungen und Waldwegen,aber auch entlang von Alleen und über Gewässern. Intensivgenutzte Agrarlandschaften hingegen meidet sie. Bis ober-halb der Baumgrenze sind extensive Alpweiden, besondersim Bereich der Alpgebäude, beliebte Jagdgebiete. In Sied-lungen scheint sich die Nordfledermaus auf die Jagd entlangvon Strassenbeleuchtungen spezialisiert zu haben. AlleNachweise in Liechtenstein lassen sich diesen Lebensräumenzuordnen. So kann die Nordfledermaus im Malbuner Sied-lungsraum noch vor Beginn der Dunkelheit in 5-10 m Höhebeim Jagdflug zwischen den Ferienhäusern und über denumliegenden Wiesen beobachtet werden (Abb. 106). Beiden Beleuchtungsmasten des grossen Parkplatzes beim Kur-haus jagt sie oft gemeinsam mit der Zwergfledermaus.

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Das zumindest im Alpenraum flächendeckende Vorkommender Nordfledermaus lässt im Augenblick kein aktuelles Ge-fährdungspotential erkennen. Als Spaltbewohnerin, diegerne in Gebäuden Quartier bezieht, ist sie aber potenziellgefährdet. Dem Erhalt von Spaltverstecken an Hausfassadenund in Zwischendächern muss Beachtung geschenkt werden,wobei die Bauweise im Walser Stil in den FeriensiedlungenSteg und Malbun den Bedürfnissen der Nordfledermaus ent-gegenkommen dürfte. In nächster Zeit muss die Quartier -situation unbedingt gründlich untersucht werden. Es mussdie Frage geklärt werden, ob und wo im Alpengebiet sichdiese Art fortpflanzt und wo andererseits die tiefstgelege-nen Wochenstuben zu finden sind. Wie oben erwähnt, sindQuartiere der Nordfledermaus sehr unauffällig und bleibenmeist unbemerkt.

Silvio Hoch

Abb. 107 Das Vorkommen der Nordfledermaus beschränktsich keineswegs nur auf die Alpgebiete.

Nordfledermaus

Sonstiges Quartier

Netzfang Freiland

akustisch

2 01 Kilometer

Abb. 108 Auf die mehrfachen akustischen Nachweise bei der Alphütte in Guschgfiel folgte ein erfolgreicher Netz-fang. (Foto: Silvio Hoch)

Page 89: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

88

Zweifarbenfledermaus (Vespertilio murinus)Ordnung: Fledermäuse (Chiroptera)Familie: Glattnasen (Vespertilionidae)

Foto: René Güttinger

Merkmale

Die Zweifarbenfledermaus ist eine unserer besonders kon-trastreich gezeichneten Fledermausarten. Die dunklen,braunschwarzen Hautpartien am Kopf und an den Flughäu-ten kontrastieren auffallend mit der weisslichen Unterseite.Das lange Rückenfell mit der dunklen Haarbasis und denweisslichen Spitzen lassen die Zweifarbenfledermaus wie bereift aussehen. Sie ist eine kräftige und mit rund 27 cmFlügelspanweite mittelgrosse Art mit kurzer, breiter Schnau-ze. Die Ohren sind kurz, breit und stark gerundet. Der brei-te Ohrrand läuft in einer Hautfalte bis zum Mundwinkel aus.Neuere genetische Untersuchungen belegen eine nahe Ver-wandtschaft zur Alpenfledermaus (Hypsugo savii), mit dersie auch die 1-2 freien, die Schwanzflughaut überragendenSchwanzwirbel gemeinsam hat. Als einzige europäische Fledermausart besitzen die Weibchen der Zweifarbenfleder-maus beiderseits zwei brustständige Zitzen. Alle vier Zitzensind voll funktionstüchtig.

Biologie

Ähnlich wie die Abendsegler besitzt die Zweifarbenfleder-maus lange schmale Flügel, die sie zu schnellem, geradlini-gem Flug bis in grosse Höhen befähigen. Im freien Luftraumjagt sie opportunistisch vor allem nach meist kleinenSchwarminsekten wie Zweiflügler (Zuck-, Kriebel- und Stech -mücken), Eintags- und Köcherfliegen, Netzflügler und klei-ne Nachtfalter. Zweifarbenfledermäuse sind ausgesproche-ne Spaltenbewohner, die ihr Quartier in Felsspalten oderauch an Gebäuden finden. Auch Winterquartiere werdenoft in Mauerspalten bezogen. Wenn diese nicht genügendFrostsicherheit bieten, mag dies der Grund sein, warum imWinter besonders viele Zweifarbenfledermäuse auf derSuche nach geeigneteren Winterquartieren in Gebäude ein-fliegen. Die Weibchen der Zweifarbenfledermaus bildenmeist nur kleinere Wochenstuben mit 20-50 Individuen. Inder Regel erfolgen Zwillings-, gelegentlich sogar Drillings-geburten. Als einzige europäische Fledermausart bildet dieZweifarbenfledermaus ab Mai grosse Männchenkolonien

von oft über 300 Tieren, die sich nach häufigen Quartier-wechseln ab August wieder auflösen. Während der dannbeginnenden Paarungszeit zeigen die Männchen – oftmalsvor städtischen Hochhäusern – ihre eleganten Balzflüge,verbunden mit langen, lauten Balzgesängen im hörbarenBereich. Die Zweifarbenfledermaus zählt wie die Rauhautfledermausund die Abendsegler zu den ziehenden Arten, wobei die Zugrichtung offensichtlich viel variabler sein kann als beiden anderen Arten, die fast ausschliesslich von Nordost nachSüdwest ziehen. Bei der Zweifarbenfledermaus wurden auchschon Überflüge in Ostwest- oder Nordwest-Südost-Rich-tung nach gewiesen. Wie alle ziehenden Arten erreichenZweifarbenfledermäuse ein für Fledermausverhältnisse ge-ringes Höchst alter von rund 12 Jahren.

Verbreitung

Das Areal der Zweifarbenfledermaus beginnt in den Westal-pen und Ostfrankreich und zieht sich von hier RichtungOsten und Norden. Mit Ausnahme des Balkans, wo sie inMittelgriechenland ihre südlichsten Ausläufer besitzt, fehltsie im gesamten Mittelmeerraum. Im Norden besiedelt sieDänemark und Südskandinavien bis etwa zum 62. Breiten-grad. Ostwärts erstreckt sich ihr Verbreitungsgebiet durchdie sibirische Taiga bis nach China und Korea. Die Fortpflan-zungsgebiete der europäischen Zweifarbenfledermäuse lie-gen mehrheitlich im Baltikum und in Russland. In Mittel-und Nordeuropa befinden sich die Überwinterungsgebiete.Allerdings sind Wochenstuben auch aus Skandinavien,Deutschland und der Schweiz bekannt. Hier ist es vor allem das Gebiet um den Neuenburger- undden Murtensee, wo grössere Fortpflanzungskolonien gefun-den werden konnten (JABERG 1996, SAFI 2006). GrössereMännchenkolonien finden sich auch im Genferseegebiet, imWallis, in der Zentral- und Nordschweiz. Aus Vorarlberg sindnur wenige Einzelfunde und Detektornachweise bekannt.Der Osten Österreichs hingegen gilt als wichtiges Überwin-terungsgebiet für osteuropäische Zweifarbenfledermäuse.In Liechtenstein beschränken sich die Nachweise auf wenigeEinzelfunde. Der Erstnachweis gelang am 10. Mai 1992durch den Fund eines toten Weibchens im Schaaner Rietle(HOCH 1996). Seither erfolgten weitere acht Funde in Balzers(1.12.2003), Triesen (12.10.2008, 21.9.2009, 22.12.2010),Vaduz (20.7.1999, 20.10.2001), Gamprin (22.11.2009) undMauren (13.5.2003). Insgesamt sechs Tiere wurden draussenam Boden oder an der Hauswand hängend gefunden unddrei hatten sich in Innenräume verirrt. Zweimal war diePfarrkirche Vaduz Schauplatz des Geschehens, als ein Tierteilweise mumifiziert in einem abgeschlossenen Raum desTurmes und eines geschwächt vor dem Haupteingang lie-gend gefunden wurde. Fünf Individuen waren Männchen,drei Weibchen. Mit Ausnahme des teilmumifizierten Tieresaus der Vaduzer Pfarrkirche, dessen Einflugsdatum nicht be-kannt ist, stammt keiner der Funde aus den Sommermona-ten Juni-August, so dass – trotz der geringen Datenmenge –vermutet werden darf, dass es sich bei allen Nachweisen umziehende oder überwinternde Tiere handelte.

Page 90: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

89

Akustisch ist die Zweifarbenfledermaus mit ihrer Hauptfre-quenz von 22 bis 27 kHz nur äusserst schwer nachzuweisen,da sich die Frequenzen der Ultraschallrufe mit denjenigender Breitflügelfledermaus und der beiden Abendsseglerar-ten überschneiden. Kaum ein halbes Dutzend der in Liech-tenstein aufgezeichneten Rufe können mit einiger Sicher-heit dieser Art zugewiesen werden. Bei rund 90 Rufen bleibtdies eine Option.

Lebensraum

Als ursprünglicher Lebensraum der Zweifarbenfledermausdürfen wohl die Taiga und die südlich daran anschliessendenSteppen angenommen werden. Hier sind Felsspalten undseltener Baumhöhlen ihre bevorzugten Quartiere. Aus die-sem eiszeitlichen Rückzugsgebiet hat sie sich nach dem an-thropogenen Öffnen der Wälder nach Westen verbreitet.Hier sucht sich diese ausgesprochene Spaltenbewohnerin ihrQuartier im Siedlungsraum, so im Zwischendach, in Fassa-denhohlräumen und Rollladenkästen oder hinter Fensterlä-den, in Dehnungsfugen und Mauerritzen an Gebäuden.Mit ihren langen schmalen Flügeln praktiziert sie in Abend-seglermanier die Jagd im freien Luftraum. Bevorzugt wird in

oft grosser Höhe und in schnellem, gradlinigem Flug überUfer- und Flachwasserzonen von Seen und Flüssen gejagt.Auch über landwirtschaftlich genutztem Offenland und umStrassenbeleuchtungen wird das Insektenangebot genutzt(SAFI 2006).

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Aufgrund der spärlichen Funde der Zweifarbenfledermausin Liechtenstein muss von einer geringen Bestandesdichteausgegangen werden. Die dürftige Datenlage in Liechten-stein erlaubt keine präzisen Aussagen zum Gefährdungs-grad und zu notwendigen Schutzmassnahmen. Wie allespaltenbewohnenden Fledermausarten im Siedlungsraum istsie durch Quartierverlust bei Umbauten und Renovierungenpotentiell gefährdet. Da – wie oben erwähnt – davon aus-gegangen werden darf, dass es sich bei den bei uns ange-troffenen Individuen um vom langen Zug erschöpfte oderaus einem schlecht geeigneten Winterquartier vertriebeneTiere handelt, kann wahrscheinlich kaum mit grossen Männ-chenkolonien oder gar Wochenstuben gerechnet werden.

Silvio Hoch

Abb. 109 Die bisherigen Nachweise der Zweifarbenfleder-maus zeigen einen starken Bezug zum urbanen Raum derunteren Höhenstufen, also zum Siedlungsgebiet und zumvom Menschen gestalteten Umland.

Zweifarbenfledermaus

Freifund

akustisch

2 01 Kilometer

Abb. 111 Auch Hohlblockziegel bilden für die Zwei farbenfledermaus ein geeignetes Spaltenquartier.(Foto: Silvio Hoch)

Abb. 110 Die Vaduzer Florinsgasse mit Pfarrkirche, Fried-hof, Waldrand und Schlossfelsen erweist sich als wahrer«Fledermaus-Hotspot», an dem nicht nur die Zweifarben-fledermaus gehört werden kann. (Foto: Silvio Hoch)

Page 91: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

90

Kleiner Abendsegler (Nyctalus leisleri)Ordnung: Fledermäuse (Chiroptera)Familie: Glattnasen (Vespertilionidae)

Foto: Silvio Hoch

Merkmale

Der Kleine Abendsegler, auch Kleinabendsegler genannt, isteine mittelgrosse Fledermausart und der kleinere Bruder desGrossen Abendseglers. Die langen schmalen Flügel erreicheneine Spannweite von rund 30 cm. Die Schnauze ist spitzerund zierlicher als beim Grossen Abendsegler. Das Rückenfellist etwas länger und besteht aus zweifarbigen Haaren mitschwarzbrauner Basis und mittelbraunen Spitzen. Mit demherbstlichen Haarwechsel wird die Färbung dunkler. Gesicht,Ohren und Flughaut sind schwarzbraun. GemeinsamesMerkmal aller Abendsegler sind kurze, breite, gerundeteOhren mit einem pilzförmigen Ohrdeckel (Tragus).

Biologie

Lange schmale Flügel befähigen den Kleinen Abendseglerzum schnellen, geradlinigen Flug. Im freien Luftraum jagt er– etwas tiefer als der Grosse Abendsegler – nach Nachtfal-tern, Zweiflüglern wie Schnaken, Zuck- und Stechmückensowie Köcherfliegen. Aber auch grössere Beutetiere wieMai- und Junikäfer stehen auf dem Speisezettel. Der abend-liche Ausflug erfolgt schon kurz nach Sonnenuntergang, imHerbst oft schon am Nachmittag.Der Kleine Abendsegler zählt zu den wandernden Arten, diezwischen den Fortpflanzungsgebieten im Nordosten undden Überwinterungsgebieten im Südwesten oft längereStrecken zurücklegen. Um die Zugrouten zu erforschen,wurden in Europa bis 2005 rund 5’000 Kleine Abendseglerberingt. Weniger als 1%, nämlich 36 Wiederfunde von be-ringten Kleinabendseglern belegen im Herbst eine allgemei-ne Zugrichtung von Nordost nach Südwest und im Frühlingin umgekehrter Richtung. Einer diese Wiederfunde betrifftein in Liechtenstein beringtes Weibchen. Es wurde Mitte No-vember 2001 stark dehydriert im Vaduzer Forsthaus gefun-den. Ende Januar 2002 konnte es gut erholt und mit derRingnummer V 085 versehen bei milden Temperaturen wie-der freigelassen werden. Mitte Juli 2002 wurde es in derNähe von Ansbach bei Nürnberg in einem Fledermauskastenmit mehreren säugenden Weibchen, also einer Wochenstu-

be, kontrolliert, wobei V085 selbst nicht säugend war. DieFlugstrecke betrug 256 km (HOCH 2005).Die Wochenstuben in den Fortpflanzungsgebieten in Ost -europa zählen selten mehr als 50 Weibchen, die meist Zwil-linge gebären. Die in Mitteleuropa verbliebenen Männchenbilden oft kleine Gruppen. In der herbstlichen Paarungszeitbeziehen die Männchen ihre Paarungsquartiere in Baum-höhlen oder Fledermauskästen und versuchen mit ihremSingflug oder auch mit Balzgesängen – sogenannten Sehn-suchtsrufen – vom Quartiereingang aus, die Weibchen in ihrQuartier zu locken. Winterquartiere werden in geräumigen,dickwandigen Baumhöhlen, oder seltener an Gebäuden bezogen. Von den sechs in Liechtenstein gefundenen Win-terquartieren befindet sich eines in einem Fassadenhohl-raum im Triesener Oberdorf, eines in einem Grossraum-Win-terschlafkasten an der Vaduzer Iraggellstrasse und vier inBaumhöhlen oder Stammaufrissen in der Schaaner Fanola,in der Quadretscha beim Schloss Vaduz und im VaduzerSchwefelwald. Teilweise waren die winterschlafenden Klei-nen Abendsegler mit Grossen Abendseglern, Rauhaut- undMückenfledermäusen vergesellschaftet. Alle Baumquartierewurden beim Holzschlag entdeckt und zerstört (HOCH 1999a,2009a, 2010b). Seit 1998 sind in Liechtenstein 86 Kleinabendsegler beringtworden. Wiederfunde belegen eine gewisse Quartiertreuedes Kleinen Abendseglers. 10 Männchen und zwei Weibchenkonnten, in den folgenden Jahren teils im gleichen Fleder-mauskasten kontrolliert werden. Ziehende Arten erreichenein deutlich geringeres Höchstalter als ortstreue. Beim Klei-nen Abendsegler ist ein solches von 11 Jahren nachgewiesen.

Verbreitung

Das Areal des Kleinen Abendseglers erstreckt sich von West-europa bis nach China und Indien. Die Verbreitung im Mittelmeerraum ist aufgrund von Bearbeitungslücken nochunklar. In Irland stellt der Kleinabendsegler eine der häu-figsten Arten dar, mit Wochenstuben in Gebäudequartierenmit bis zu 1000 Individuen. Während Nachweise aus Däne-mark und dem übrigen Skandinavien fehlen, bildet im Baltikum und in Russland der 57. Breitengrad die nördlicheVerbreitungsgrenze. Die Fortpflanzungsgebiete der euro-päischen Abendsegler liegen in den Neuen BundesländernDeutschlands, in Polen, Litauen, Weissrussland, der Ukraineund Russland. In Mittel- bis Südeuropa befinden sich dieÜberwinterungsgebiete. Die von Kleinabendseglern zurück-gelegten Distanzen liegen meist unter 1000 km. Der Stre-ckenrekord liegt bei über 1’500 km. Ausser einem fast flächendeckenden Vorkommen im KantonTessin zeigt die Verbreitungskarte des Kleinen Abendseglersin der Schweiz ein dürftiges Bild. Dies trifft in weit stärkeremMasse für Österreich zu, wo noch um die Jahrtausendwendekeine 50 Nachweise erbracht werden konnten. In Vorarlbergerstmals 2004 in Fledermauskästen nachgewiesen, konntenin der Zwischenzeit Ultraschallaufnahmen in verschiedenenLandesteilen gemacht werden (WALSER et al. 2009). In Liechtenstein wurde erstmals am 9. Dezember 1993 einverletztes Männchen des Kleinen Abendseglers beim Schloss

Page 92: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

91

Vaduz gefunden (HOCH 1996, HOCH 1997). Schon damalswurde die Vermutung geäussert, dass diese Art womöglichgar nicht so selten ist, wie die spärlichen Funde glauben machen. Dies hat sich in der Zwischenzeit bestätigt. Heutestehen je 18 Quartiernachweise und Einzelfunde rund 200Rufaufnahmen gegenüber. Die Quartiernachweise setzensich aus 12 Männchen- oder Paarungsquartieren in Fleder-mauskästen und sechs Winterquartieren zusammen. Die Fledermauskastenreviere befinden sich im Eggerswald inBalzers, auf der Matruela in Triesen, im Matteltiwald in Trie-senberg sowie im Baholz und im Krankis in Vaduz.Die meisten der 18 Einzelfunde hatten sich in Innenräumeverirrt oder wurden draussen am Boden oder an der Haus-wand hängend gefunden. Interessant ist der Fang eines sub-adulten Männchen am 4. August 1996 über dem VaduzerGiessen. Hier stellt sich natürlich die Frage, ob das Jungtierschon zu einem so frühen Zeitpunkt ins Überwinterungsge-biet geflogen ist oder ob sich Kleinabendsegler auch bei unsvereinzelt fortpflanzen. Akustisch zeigt auch der Kleine Abendsegler wie sein gros-ser Bruder im Idealfall einen charakteristischen Wechsel vontiefen und höheren Signalen. Dabei liegen die tieferen«plopp»-Rufe bei 22-26 kHz, die «plipp»-Rufe 2-3 kHz darü-ber. Diese Rufe mit wechselnden Frequenzen sind beim Klei-

nen aber seltener zu hören als beim Grossen Abendsegler. Eskonnten rund 200 Rufe aus sämtlichen Gemeinden des Lan-des mit hoher Wahrscheinlichkeit dieser Art zugeschriebenwerden. Vergleicht man diese Zahl mit den rund 50 Aufnah-men des Grossen Abendseglers und berücksichtigt auchnoch die Quartier- und Einzelfundnachweise, so wird deut-lich, dass der Kleine Abendsegler im direkten Vergleich weithäufiger sein dürfte.

Lebensraum

Als Sommer- wie Winterquartiere bevorzugt der KleineAbendsegler Baumhöhlen. Seltener werden Spaltenquartie-re an Gebäuden genutzt. Als Paarungsquartiere werdenauch gerne Fledermauskästen angenommen Die von Klein-abendseglern besetzten Fledermauskästen in Liechtensteinbefinden sich in den hangseitigen Buchenmischwäldern. An-dernorts werden auch Quartierangebote in Hochstamm-Obstgärten gerne angenommen. Das höchste Paarungsquar-tier liegt im Matteltiwald in Triesenberg auf 960 m, dashöchste Winterquartier in der Schaaner Fanola auf 630 m.Gejagt wird opportunistisch über Auwäldern, Gewässern,Parkanlagen, Steuobstwiesen, beleuchteten Flächen undentlang von Waldrändern. Sämtliche Aufnahmeorte von Ul-traschallrufen des Kleinen Abendseglers entsprechen einemdieser Jagdhabitate.

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Ähnlich dem Grossen ist auch der Kleine Abendsegler aufein grosszügiges Angebot an Altholzbeständen angewiesen.Überall dort, wo diese weitgehend fehlen, wie beispielswei-se im Matteltiwald, werden Fledermauskästen besser ange-nommen. Ein schwacher Fledermausbesatz in den Kästenkann also durchaus auch ein Indiz für einen nachhaltigenWaldbau mit einer günstigen Verteilung der Altersklassendes Baumbestandes sein. Wenn nicht nur wirtschaftliche,sondern ebenso Aspekte des Naturschutzes beachtet wer-den, so ist auch ein ausreichendes Angebot an natürlichenBaumhöhlen garantiert. Die Pflege der noch vorhandenenund das Anlegen neuer Hochstamm-Obstbaumkulturen, wiesie viele Gemeinden und Bürgergenossenschaften des Lan-des in Zusammenarbeit mit dem Verein «Hortus» umsetzen,nützen nicht nur dem Kleinen Abendsegler, sondern sind all-gemein ein wichtiger Beitrag zur Förderung der Lebens-raum- und damit auch der Artenvielfalt. Aufgrund seinerAbhängigkeit von einem ausreichenden Angebot an natürli-chen Baumquartieren besteht für den Kleinabendsegler einemögliche Gefährdung.

Silvio Hoch

Abb. 112 Die Nachweise des Kleinen Abendseglers zeigeneinen starken Bezug zu Wäldern und Waldrändern bis indie oberen Höhenlagen, häufig auch in Gewässernähe,wobei der Siedlungsraum aber keineswegs gemieden wird.

Kleiner Abendsegler

Winterquartier

Sonstiges Quartier

Netzfang Freiland

Freifund

akustisch

2 01 Kilometer

Page 93: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

92

Grosser Abendsegler (Nyctalus noctula)Ordnung: Fledermäuse (Chiroptera)Familie: Glattnasen (Vespertilionidae)

Foto: René Güttinger

Merkmale

Der Grosse Abendsegler ist eine unserer grössten Fleder-mausarten. Die langen schmalen Flügel erreichen eineSpannweite von bis zu 40 cm. Mit seiner kurzen Schnauzeund dem breiten Kopf ist der Grosse Abendsegler eine sehrkompakte Erscheinung. Das kurzhaarige, samtartige Rü-ckenfell ist im Sommer rostbraun und nach dem herbstlichenHaarwechsel länger und mittel- bis dunkelbraun. Gesicht,Ohren und Flughaut sind dunkel. Gemeinsames Merkmalaller Abendseglerarten sind kurze, breite, gerundete Ohrenmit einem pilzförmigen Tragus (Ohrdeckel).

Biologie

Die eingangs erwähnten langen schmalen Flügel befähigenden Abendsegler zum schnellen, geradlinigen Flug bis ingrosse Höhen. Im freien Luftraum jagt er nach meist kleinenSchwarminsekten wie Zuck- und Stechmücken, Eintags- undKöcherfliegen, Netzflüglern und kleinen Nachtfaltern. Grös-sere Beutetiere wie Mai- und Junikäfer oder Blattwanzenverfolgt er oft bis wenige Meter über dem Boden, wobeiaber stets ein Respektabstand zu Waldrändern oder Baum-gruppen eingehalten wird. Im Frühling und Herbst fliegenAbendsegler oft schon am Nachmittag aus und können dannmit Schwalben und Mauerseglern bei der gemeinsamenJagd beobachtet werden.Wie Zweifarben-, Rauhaut- und wahrscheinlich auch Mücken-fledermäuse legen die Abendsegler zwischen Fortpflanzungs-und Überwinterungsgebiet oft längere Strecken in Richtungnordost–südwest im Herbst und in umgekehrter Richtung imFrühling zurück. Um die Zugrouten zu erforschen, wurden inEuropa über 55’000 Grosse Abendsegler beringt. Die Wo-chenstuben in den Fortpflanzungsgebieten in Osteuropa zäh-len selten mehr als 50 Weibchen. Oft gebären diese Zwillinge.In dieser Zeit bilden die in Mitteleuropa gebliebenen Männ-chen meist kleine Kolonien. Die Wan derungen der Männchenbeginnen erst mit dem Ende der Jungenaufzucht und dem Be-ginn der Paarungszeit. Dann verteilen sie sich entlang derFlugrouten der Weibchen, die sich ab Mitte August in ihr

Überwinterungsgebiet aufmachen. Die Männchen beziehenhier ihre Paarungsquartiere und versuchen mit lautstarkenBalzgesängen die Weibchen in ihr Quartier zu locken. Mit Be-ginn des Winterschlafes, der beim Abendsegler sehr spät erstim November oder Dezember beginnt, finden sich auch dieMännchen wieder im Überwinterungsgebiet ein. Winterquar-tiere werden in geräumigen Baumhöhlen, in Spalten an Brü-cken oder an Gebäuden bezogen. Hier sind es Fassadenhohl-räume, Mauerspalten oder Rollladenkästen, die dieserwinterfesten Art Unterschlupf bieten. Dabei können Frost-temperaturen bis zu -10°C für kurze Zeit unbeschadet über-standen werden, führen aber auch oft zu Quartierwechseln.Wie alle ziehenden Arten erreichen Abendsegler ein für Fle-dermausverhältnisse geringes Höchstalter von rund 12 Jahren.

Verbreitung

Das Areal des Grossen Abendseglers erstreckt sich von West-europa bis nach Ostasien, wo er auch Japan und Taiwan be-siedelt. Im Mittelmeerraum nur lückenhaft verbreitet, fehlter in Schottland und im grössten Teil Irlands. In Südskandi-navien erreicht er den 60. Breitengrad. Die Fortpflanzungs-gebiete der europäischen Abendsegler liegen in Nord- undOstdeutschland, im Baltikum und in Russland. In Mitteleuro-pa befinden sich die Überwinterungsgebiete. In Teilen derNiederlande, Norddeutschlands und Südskandinaviens werden auch ortstreue Populationen vermutet. Dasselbe giltfür die Abendsegler in England. Die beim Zug zurückgeleg-ten Distanzen liegen meist unter 1000 km. Streckenrekordbedeutet ein Überflug von Woronesh am Don nach Südbul-garien mit rund 1’600 km.In der Schweiz ist der Grosse Abendsegler in allen grösserenFlusstälern und in der Nähe der grösseren Seen nachgewie-sen. Dies trifft auch für Österreich zu, wobei vor allem derOsten Österreichs und hier wiederum speziell die Stadt Wienals wichtiges Überwinterungsgebiet für grosse Populationendes Grossen Abendseglers gilt. In unmittelbarer Grenznähezu Liechtenstein sind mehrere Quartiere des Grossen Abend-seglers nachgewiesen, so in den Gerüstlöchern des Feldkir-cher Katzenturmes (WALDER 1994), im Lüftungsschacht einesBuchser Bürogebäudes mit ehemals bis zu 200 Tieren, inSpalten einer Autobahnbrücke bei Lienz und in mehrerenBaumhöhlen in den Wartauer und Werdenberger Rheinau-en, in denen diese Art oft mit Wasserfledermäusen (Myotisdaubentonii) vergesellschaftet ist (GERBER, schriftl. Mittlg.,HOCH & GERBER 1999).In Liechtenstein wurden erstmals Anfang August und Sep-tember 1982 zwei männliche Abendsegler in Balzers undVaduz gefunden. Mitte Mai 1983 gelang in Vaduz ein wei-terer Fund eines Männchens. Gleichzeitig konnten jagendeTiere mit dem Ultraschalldetektor in der gesamten Talebenegehört werden (WIEDEMEIER 1984). Seither sind lediglich dreiweitere Einzeltiere in Triesen nachgewiesen worden: Im Sep-tember 1995 lag ein vom Zug erschöpftes Weibchen in derNähe der Pfarrkirche auf der Strasse (HOCH 1997), im Novem-ber verirrte sich ein Männchen auf dem Spoerry-Areal in einZimmer und im September 2002 wurde ein solches auf St.Mamerta von einer Katze getötet.

Page 94: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

93

Hinzu kommen noch drei Sommer- oder Zwischenquartiereund drei Winterquartiere. Zwei der Sommerquartiere befin-den in Rollladenkästen in den obersten Stockwerken einesHochhauses im Vaduzer Schwefel. Hier kam im Mai 1996 eine28-köpfige Kolonie von Grossen Abendseglern zum Vor-schein (HOCH 1997). Im Rahmen einer Untersuchung an Was-serfledermäusen (Myotis daubentonii) wurde im Schwefel-wald bei Vaduz ein Abendseglermännchen mit mehrerenWasserfledermäusen aus einer Baumhöhle in einer Buche ge-fangen (HOCH 1999b, eigene Daten). Die drei Winterquartie-re verteilen sich auf zwei Baum- und ein Gebäudequartier.Bei der Holzernte am 20. November 1998 in der Schaaner Fa-nola wurden in einem ausgefaulten Astloch in ursprünglich18 m Höhe eine Winterschlafkolonie von 16 Grossen undeinem kleinen Abendsegler entdeckt (HOCH 1999a). Am 28.November 2005 musste oberhalb der Schlossstrasse in Vaduzeine dreistämmige Buche aus Sicherheitsgründen gefällt wer-den. Zwischen zwei Stämmen hatte sich durch Reibung undanschliessende Verwachsung ein rund 2 m hoher Hohlraumgebildet. Neben je einer Rauhaut-, einer Mückenfledermausund 12 Kleinen hatten darin auch zwei Weibchen des Gros-sen Abendseglers ihr Winterquartier bezogen. An einemHochhaus an der Vaduzer Schwefelstrasse befindet sich ineinem Rollladenkasten ein Winterquartier, das seit 2005 re-gelmässig von rund 30 Grossen Abendseglern benutzt wird.Die nicht sehr fachgerechte Bauweise erlaubt es den Winter-

schläfern, sich oberhalb des Rollladenkastens weiter ins zer-klüftete Betonmauerwerk zu verkriechen (HOCH 2006).Akustisch zeigt der Grosse Abendsegler im Idealfall einencharakteristischen Wechsel von tiefen Signalen um 18-21kHz und höheren mit ihrer Hauptfrequenz von 21 bis 25kHz, sog. «plipp-plopp»-Rufe, wobei «plipp» die hohen und«plopp» die tieferen Signale symbolisieren. Dies zeigt er amehesten beim Flug im freien Luftraum. Oft genug aber fol-gen sich diese unterschiedlichen Signale in sehr unregelmäs-sigem Rhythmus oder fehlen teilweise ganz. In der Nähe vonHindernissen steigen die Frequenzen aber an und Verwechs-lungen mit Kleinem Abendsegler und Zweifarbenfleder-maus sind dann möglich. Rufe unter 21 kHz können abereindeutig dem Grossen Abendsegler zugeschrieben werden.Bei rund 50 Aufnahmen aus der Talebene und den unterstenHanglagen von Balzers bis Ruggell ist dies der Fall.

Lebensraum

Als Sommerquartiere bewohnt der Grosse Abendsegler mitVorliebe ehemalige Spechthöhlen. Seiner geringen Wendig-keit entsprechend bevorzugt er Höhlen in lichten Wäldern,an Waldrändern oder Waldwegen. Im Siedlungsraum be-zieht er als Spaltenbewohner Quartier hinter Fassadenver-kleidungen und in Rollladenkästen. Mit seinen langen schmalen Flügeln ist der Abendsegler be-sonders angepasst für die Jagd im freien Luftraum. Bevor-zugt wird in oft grosser Höhe und in schnellem, gradlinigemFlug über fast sämtlichen Landschaftstypen gejagt, bevor-zugt über Auwäldern, Gewässern und beleuchteten Flächen.Dies zeigen auch Detektoraufnahmen vom Schaaner Sport-platz während des abendlichen Trainingsbetriebes, über derStrassenbeleuchtung im Gampriner Lums oder dem VaduzerFriedhof. Seltener geworden sind die Rufe über den Rhein-brücken, seit das weissblaue Licht der Quecksilberdampf-lampem dem für Insekten weniger attraktiven gelben Lichtder Natriumdampflampen weichen musste.

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Als ursprünglicher Baumhöhlenbewohner ist der GrosseAbendsegler auf ein grosszügiges Angebot an Altholzbe-ständen angewiesen. Spechthöhlen werden von Fledermäu-sen in der Regel erst angenommen, wenn sie weit nach obenausgefault sind. Da der Waldbau in Liechtenstein auf dieseForderung weitgehend Rücksicht nimmt, sollte für denAbendsegler zumindest im Wald ein ausreichendes Quar-tierangebot zur Verfügung stehen. Quartiere an Gebäudenverlangen von den Hausbewohnern einige Toleranz, da diegrosse Art, vor allem wenn sie noch in entsprechender Kopf-zahl in einen Rollladenkasten einzieht, eine beachtlicheMengen Kot produziert. Wie alle spaltenbewohnenden Fle-dermausarten im Siedlungsraum ist der Grosse Abendseglersomit durch Quartierverlust bei Umbauten und Renovierun-gen potentiell gefährdet.

Silvio Hoch

Abb. 113 Der Lebensraum des Grossen Abendseglers be-schränkt sich auf Lagen unterhalb von 700 Höhenmetern.

Grosser Abendsegler

Winterquartier

Sonstiges Quartier

Freifund

akustisch

2 01 Kilometer

Page 95: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

94

Familien

Hörnchen (Sciuridae)

Die Familie umfasst die in Bezug Lebensweise so unterschied-liche Arten wie das Alpenmurmeltier, ein Steppenbewohner,und das Eichhörnchen, eine typische Waldart. Beide sind tag-aktiv und darum sehr bekannt. Ihr gemeinsames Merk malsind der lange, zylindrische Körper, der lange Schwanz unddas ausgeprägte Sehvermögen. Im FL: 2 Arten

Biber (Castoridae)

Der Biber ist mit 10 bis 30 kg das grösste europäische Nage-tier. Er ist hervorragend an das Leben im Wasser angepasstund besitzt Schwimmhäute an den Hintergliedmassen undeinen Ruderschwanz. Der Biber ist ausgesprochen sozial undbaut grosse Dämme und Burgen. Im FL: 1 Art

Schläfer (Gliridae)

Die kleinen bis mittelgrosssen Nagetiere besitzen einen bu-schigen Schwanz. Sie sind hauptsächlich Baumbewohnerund machen einen Winterschlaf. Ihr typischer Lebensraumsind Wälder und Hecken. Im FL: 3 Arten

Langschwanzmäuse (Muridae)

Ihr auffälligstes Merkmal ist der lange, meist kaum behaar-te Schwanz. Dieser ist eine Balancierhilfe beim Klettern. Siebesitzen grosse Augen und Ohren. Die Hintergliedmassensind kräftiger ausgebildet als die Vordergliedmassen. Daherkönnen sie sich hüpfend fortbewegen. Tagsüber halten sichdie meisten Arten in unterirdischen Bodennestern auf.Nachts sie sind über dem Erdboden aktiv und klettern auchgerne. Sie sind vorwiegend Bewohner von Wäldern und Hecken. Im FL: 6 Arten

Wühlmäuse (Arvicolidae)

Die kleinen bis mittelgrossen Nagetiere sind dank ihrer ge-drungenen Gestalt und ihrer kurzen Beinen gut an dasLeben in unterirdischen Gängen angepasst. Augen undOhren sind sehr klein. Der kurze Schwanz erreicht nie dieKörperlänge. Wühlmäuse leben mehrheitlich im offenen Gelände, das heisst auf Wiesen, Weiden und Äckern. Hierlegen sie ausgedehnte Baue und Wechsel an. Im FL: 6 Arten

Jürg Paul Müller

Abb. 114 Der Liechtensteiner Biber bei Ruggell.(Foto: Xaver Roser)

Ordnung Nagetiere (Rodentia)

Merkmale

Alle Nagetiere besitzen ein ausgesprochen typisches Gebiss.Die Eckzähne fehlen und von den Schneidezähnen sind imOber- und Unterkiefer nur die beiden vordersten ausgebil-det. Sie wachsen dauernd nach. Die Vorderseite der Nage-zähne ist mit dickem Schmelz belegt. Durch das Nagen wirdder weichere hintere Zahnteil stärker abgenutzt, so dassständig eine scharfe Kante entsteht. Zwischen den Schnei-dezähnen und den breiten Backenzähnen besteht eineLücke. Die Schneidezähne dienen zum Abbeissen, die Ba-ckenzähne zum Zermahlen der meist pflanzlichen Nahrung.Nager sind eher kleine Tiere mit einem Gewicht ab fünfGramm und selten mehr als einem Kilogramm. Obwohl sichdie einzelnen Arten an die verschiedensten Umweltbedin-gungen angepasst haben, ist der Körperbau vergleichsweiseeinheitlich. Mit über 2000 Arten bilden die Nager weltweit die arten-reichste Säugetierordnung. Sie sind mit Ausnahme der Antarktis und Neuseelands überall auf der Welt vertreten.Nagetiere besiedeln in den Alpen die Lebensräume aller Höhenstufen. Nagetiere leben auf, über und in der Erde.Ihre Fortbewegung ist sehr vielfältig. Sie können rennen,hüpfen, klettern, graben und auch schwimmen.

Biologie

Die Hauptnahrung der Nagetiere besteht aus Pflanzenmate-rial. Viele Arten fressen in unterschiedlichem Ausmass auchwirbellose Tiere. Neben Samen und Früchten werden vonvielen Arten auch grosse Mengen von Sprossteilen verzehrt.Im grossen Blinddarm wird die Pflanzennahrung mit Hilfevon Mikroorganismen abgebaut. Nur die Schlafmäuse besit-zen keinen Blinddarm. Nagetiere spielen in vielen Ökosyste-men eine grosse Rolle. Arten wie etwa die Feldmaus sindwichtige Konsumenten 1. Ordnung. Sie setzen die im Prozessder Fotosynthese entstandene pflanzliche Biomasse in eige-ne Körpersubstanz um, die dann den Konsumenten 2. Ord-nung, den Fleischfressern zur Verfügung steht. Nagetierebilden eine wichtige Nahrungsgrundlage für viele kleinereRaubtiere sowie für Greifvögel und Eulen. Viele Arten haben eine hohe Reproduktionsfähigkeit, da dieGeschlechtsreife früh erreicht wird, die Würfe rasch aufei-nander folgen und die Anzahl Junge pro Wurf hoch ist.Nagetiere sind für den Menschen von grosser Bedeutung,z.B. als Schädlinge in der Land- und Vorratswirtschaft, alsVersuchstiere in der Forschung, als Heimtiere und seltenerals Krankheitsüberträger.

Page 96: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen
Page 97: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

96

rend dunklere Formen eher in Tannen- und Fichtenbestän-den (Gebirge) vorkommen (VON LEHMANN 1982).

Biologie

Das Eichhörnchen ist tagaktiv mit Hauptaktivität am Morgen, im Winter besteht eine reduzierte Aktivität konzentriert auf den späteren Vormittag. Es macht keinenWinterschlaf. Die Schlaf- und Ruhephasen verbringt dasEichhörnchen in seinen kugelförmigen mit Moos ausgepols-terten Reisignestern (Kobel). Meist werden mehrere Nestereng am Hauptstamm im Bereich von Astgabeln erstellt.Das Eichhörnchen ernährt sich von Baumsamen aller Art,Bucheckern, Eicheln, Fichtenzapfen, aber auch Früchte,Nüsse, Knospen, Pilze, Eier, Käfer oder Jungvögel (selten). ImSommer und Herbst werden Nahrungsvorräte durch Vergra-ben angelegt. Die Verstecke werden aber nicht mit dem Ge-dächtnis gefunden, sondern es wird systematisch wiedernach den möglichen Plätzen gesucht. Dabei orientiert sichdas Eichhörnchen auch an seinem Geruchssinn. Da nichtimmer alle Verstecke wiedergefunden werden, trägt dasEichhörnchen zur Verbreitung von Samen bei. Zur Frucht-und Nussreife können grössere Wanderungen an geeigneteStandorte stattfinden (VON LEHMANN 1962). Im Winter bildenFichtenknospen einen Hauptbestandteil der Nahrung.Die Paarung erfolgt im Januar/Februar. Im März/April wer-den die zwei bis fünf Jungen geboren. Diese sind, typisch fürNesthocker, mit ca. acht bis zehn Gramm sehr klein, blindund nackt. Nach rund 12 Wochen verlassen sie das Nest.Meist sind es zwei Würfe pro Jahr, wobei bei Nahrungsman-gel die Fortpflanzung auf einen Wurf reduziert sein kann.Die Geschlechtsreife wird nach ca. 8 bis 18 Monaten erreicht.Die Lebenserwartung beträgt bis 12 Jahre. Meist werden dieTiere jedoch nicht älter als fünf Jahre. Nur rund ein Viertelder Jungtiere erreicht die Geschlechtsreife.

Abb. 116 Die rote Variante kommt in Liechtenstein nur anvereinzelten Standorten vor. (Foto: Lubomir Hlasek)

Eichhörnchen (Sciurus vulgaris)Ordnung: Nagetiere (Rodentia)Familie: Hörnchen (Sciuridae)

Foto: Rainer Kühnis

Merkmale

Das Eichhörnchen ist mit seinem Körperbau ideal an dasLeben auf Bäumen angepasst. Sein buschiger Schwanz dientdem Gleichgewicht, der Flugsteuerung beim Springen vonBaum zu Baum und der Reduktion der Fallgeschwindigkeit.Die langen und kräftigen Hinterbeine und spitze Krallen er-möglichen ein flinkes Klettern an Baumstämmen. Seine Fell-farbe bietet Tarnung und reicht von hellrot bis schwarz, dieBauchseite ist heller bis weiss. Der bis 20 cm grosse, buschige Schwanz und seine Fellfarbemachen Eichhörnchen unverwechselbar und leicht zu be-stimmen. Markant sind auch die Ohrpinsel beim tendenzielldunkleren und dichteren Winterfell.Die Fellfarbe ist sehr variabel von rot über braun bisschwarz. Dabei kommen die verschiedenen Farbtöne inwechselnden Verhältnissen vor, wobei auch Übergänge vor-handen sind. Dabei dürfte ein Zusammenhang zwischen derFellfarbe und der Tarnung vor Fressfeinden bestehen. Sohaben rote Formen in Föhrenbeständen einen Vorteil, wäh-

Abb. 115 Die braune Eichhörnchenvariante ist für Liechtenstein typisch.Teilweise können Rotfärbungen oder Übergänge wie bei diesem Tier ausVaduz vorhanden sein. (Foto: Rainer Kühnis)

Page 98: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

97

Abb. 118 Abwechslungsreiche Wälder bieten ausreichend Nahrung.(Foto: Rudolf Staub)

Abb. 117 Das Eichhörnchen ist landesweit mit Ausnahmeder baumfreien alpinen Hochlagen verbreitet. Die selteneRote Variante konzentriert sich im Raum Balzers.

Eichhörnchen

Braune Variante

Rote Variante

2 01 Kilometer

Lebensraum

Das Eichhörnchen ist relativ anspruchslos und bewohnt Flä-chen mit genügend Bäumen und einem entsprechend gutenNahrungsangebot (Wald, Pärke, Gärten). Es kommt von denLaubmischwäldern der tiefen Lagen bis zu den Nadelwäl-dern in der montanen und subalpinen Zone vor. Mischbestände von Laub- und Nadelholz sind günstig für dasNahrungsangebot ebenso altersmässig gut durchmischteWälder mit genügend Samen tragenden Bäumen. Gleichalt-rige Baumbestände und Monokulturen bieten hingegen zu-wenig Nahrung. Gegen oben bildet die Baumgrenze eineVerbreitungslimite. Das Eichhörnchen lebt ausschliesslich auf Bäumen undkommt nur zur Nahrungssuche auf den Boden. Es bestehteine Tendenz zur Gewöhnung an den Menschen mit teilssehr zutraulichen Individuen. Der Aktionsradius von Eich-hörnchen beträgt mehrere Hektaren (bis 50), wobei sich dieBereiche von mehreren Eichhörnchen überlappen können.

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Das Eichhörnchen ist in Liechtenstein nicht gefährdet. Dierelativ abwechslungsreichen Waldbestände bieten hier ge-nügend geeigneten Lebensraum. Natürliche Feinde sindBaummarder und Habicht. Auch von den Hauskatzen gehteine Gefährdung in Siedlungsnähe aus.Problematisch ist die Habitatfragmentierung durch Strassen.Entsprechend häufig werden Eichhörnchen überfahren.

Rudolf Staub

Verbreitung

Als anspruchlose Art hat sich das Eichhörnchen ein grossesVerbreitungsgebiet zwischen Atlantik und Pazifik erschlos-sen. Es besiedelt die Paläarktis, in Europa von Grossbritan-nien und Nordskandinaven bis Spanien, Italien und Grie-chenland, von Frankreich bis Korea und Japan.In der Schweiz und in Österreich ist es in allen geeignetenWaldbeständen verbreitet.Das Eichhörnchen bewohnt in Liechtenstein flächendeckendalle Waldbestände vom Tal bis in die Hochlagen. Die Dar-stellung der Eichhörnchenverbreitung beruht auf Rückmel-dungen aus der Bevölkerung. Entsprechend häufen sich dieNachweise rund um die Siedlungsgebiete (Schaan, Vaduz,Malbun). Die rote Variante ist nur aus einzelnen Gebieten in Balzers,Triesen und von einem alpinen Standort bekannt.

Page 99: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

98

lassen, finden sie oft eine von grossen Firnfeldern bedeckteLandschaft vor, in der die nächste Nahrungsquelle weit ent-fernt sein kann. Auf diesem Weg sind sie besonders starkdem jagenden Fuchs und dem Steinadler ausgesetzt. Eineinzelner lauter Pfiff eines Murmeltieres warnt die Anderenvor einem Luftfeind. Eine anhaltende Serie von Warnpfiffengilt einem sich am Boden nähernden Feind. Gleich nach Ende des Winterschlafs pflanzen sich die Tierefort und gebären nach 33 Tagen drei bis sechs Junge, die alstypische Nesthocker blind, haarlos und zahnlos sind.Während des Sommers müssen die rund 30 Gramm schwerenNeugeborenen etwa 1,5 kg Körpergewicht zulegen, um fürden Winterschlaf gerüstet zu sein. Die in einem Bau zusammenlebenden Familienmitgliedersetzen sich aus dem Elternpaar und den Jungtieren derletzten Jahre zusammen. Mehrjährige Jungtiere verlassendas Territorium des Familienverbands, wenn sie eine eigeneFamilie gründen wollen. Aufgrund der führenden, domi nan -ten Stellung der Elterntiere sollte bei der Jagd darauf geachtet werden, dass möglichst Jungtiere anstelle derElterntiere erlegt werden. Dem aus dem Körperfett aus-gelassenen Murmelöl wird heilende Wirkung zugeschrieben.Das Wildbret gilt bei fachgerechter Zubereitung alsDelikatesse.

Abb. 119 Im Herbst werden die Erdbaue mit Heu ausgestopft und so für den Winterschlaf vorbereitet.(Foto: René Güttinger)

Alpenmurmeltier (Marmota marmota)Ordnung: Nagetiere (Rodentia)Familie: Hörnchen (Sciuridae)

Foto: René Güttinger

Merkmale

Das im Volksmund auch als «Mungg» bezeichnete Mur -meltier ist mit keinem anderen Tier zu verwechseln. In derJägersprache heisst das Weibchen Katze, das Männchen Bärund die verspielten Jungen heissen Äffchen. Ein plumpwirkender aber sehr beweglicher Körper; ein dicker, abge-rundeter Kopf; kleine, behaarte, abgerundete Ohren; dicke,kurze Beine und ein buschig behaarter Schwanz, der rundein Drittel der Körperlänge ausmacht, zeichnen das drei bissechs Kilogramm schwere, erdbaubewohnende Nagetieraus. Die mit vier Zehen versehenen Vorderbeine sind mit denstarken, stumpfen Klauen gut für das Graben in der Erdeausgebildet. Die Färbung des Fells kann je nach Jahreszeitund Herkunft etwas unterschiedlich ausfallen. Die grau brau -ne Farbe kann mit helleren oder dunkleren Schattierungendurchsetzt sein. Männchen und Weibchen sind äusserlich nurschwer zu unterscheiden. Männchen erscheinen in direktemVergleich mit den Weibchen etwas schwerer und grösser.Tasthaare, die über den ganzen Körper verteilt sind, er-leichtern die Orientierung im dunklen Erdbau.

Biologie

Die Nahrung besteht aus Kräutern und Gräsern derAlpweiden und Wiesen. Mit rund 1,5 kg Frischnahrung proTag und einer von einem grossen Blinddarm unterstütztenVerdauung vermag das Murmeltier bis zum Herbst grosseMengen an Körperfett anzulegen, von dem es sich währenddes rund sechsmonatigen Winterschlafs ernährt. Die inFamilienverbänden überwinternden Tiere unterbrechen inihren mit Heu ausgestopften Erdkesseln alle zwei bis dreiWochen synchron den Winterschlaf für kurze Zeit. Währenddieser Zeit verlieren sie rund 30 bis 50% ihres Körper-gewichtes.Die Baue bestehen aus mehreren zusammenhängendenRöhren und Kesseln mit mehr als einem Ausgang. Der Ein-gang zum Bau führt in der Regel zuerst steil nach unten umbei Gefahr das schnelle Eintauchen in den Schutz der Höhlezu erleichtern. Wenn Murmeltiere im April den Bau ver-

Abb. 120 Murmeltiere leben in Familienverbänden mit Dominanz der Elterntiere. (Foto: René Güttinger)

Page 100: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

99

Abb. 122 Murmeltiere im Vaduzer Täle. (Foto: Xaver Roser)

Abb. 121 Verbreitungsgebiet der Murmeltiere in Liechten-stein auf der Basis einer Umfrage aus den 50iger Jahrenergänzt mit aktuellen Nachweisen.

2 01 Kilometer

Lebensraum

Das offene, baumlose Grasland sagt dem Nager am bestenzu. Zum Graben der Baue sind zerklüftete, durch Bergstürzeentstandene Bodenstrukturen von Vorteil. Der harte Ge-birgswinter kann im Schutz der Baue im Winterschlaf über-dauert werden. Krautreiche Alpweiden und Bergheuwiesenbieten dem Mungg die erforderliche, energiereicheNahrung. Murmeltierbaue erschweren oft die Heuernteoder gefährden das Vieh auf Alpweiden (Beinbrüche). Des-halb wird die Bejagung der Murmeltiere hauptsächlich insolchen Gebieten betrieben.

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Das Murmeltier ist aufgrund seiner weiten Verbreitung unddes guten Bestands nicht gefährdet.

Michael Fasel

Verbreitung

Das Murmeltier ist in den Alpen und den Karpaten ver-breitet. In Liechtenstein finden wir es hauptsächlich im ge-samten Berggebiet hinter der Wasserscheide Drei Schwes-tern – Falknis und im Lawenatal. Dort kommt es oberhalbund unterhalb der Waldgrenze auf ausgedehntenAlpweiden und alpinen Rasen vor. Auf der Rheintalseiteleben Murmeltiere auf den Plankner Alpen Gafadura undAlpzinken sowie auf den Alpen Vorderbargella, Hinderpro-fatscheng-, Matu, Wang, Silum und Triesner Heuberge.Wälder und Gehölze werden gemieden. AbwanderndeJungtiere errichten während des Sommers kleinere Röhrenund suchen auf ihrer Wanderschaft neue, noch nicht vonFamilien besetzte Gebiete. Dabei können sie auch überweite Strecken Wälder durchqueren und neue, bisher nichtvon Murmeltieren besetzte Gebiete erschliessen. Diesekönnen mitunter auch auf tieferen Meereshöhen oder auchin Waldlichtungen liegen. So haben sich zwei Murmeltiereim Sommer 1992 im Gebiet «Gamander» der GemeindeSchaan (480 m ü.M.) aufgehalten. Von Lehmann schätzteden Bestand auf über 400 Tiere (von LEHMANN 1982). Genaue Angaben über den aktuellen Bestand und die heutige Verbreitung in Liechtenstein fehlen. Die Verbreitung undAnzahl dürfte sich aber ausgeweitet haben.

Page 101: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

100

Verbreitung

Der Europäische Biber war ursprünglich in Europa und wei-ten Teilen Asiens heimisch, wurde dann aber durch Bejagung(Fell, Fleisch als Fastenspeise) in weiten Teilen Europas aus-gerottet. Er kam auch einst im Alpenrheintal vor. Wir findenentsprechende Hinweise in den Abfällen auf den prähistori-schen Siedlungsplätzen des Eschner Lutzengüetle (HARTMANN-FRICK 1959) wie auch auf dem Borscht (Schellenberg), und diesbis in die frühe Bronzezeit (HARTMANN-FRICK 1964). Auch dieRömer jagten den Biber vor allem des Felles und des Biberg-eils willen, wie die Funde von Tierknochen im spätrömischenKastell in Schaan belegen (WÜRGLER 1958). In den ausgewer-teten Tierknochenfunden vom 13./14. Jahrhundert von derBurg Neu-Schellenberg sind hingegen keine Biber-Knochen-reste mehr belegt (SCHUELKE 1965). Angaben aus dem Mittel-alter gibt es noch von der Bodenseenähe (BRUHIN 1868, DALLA

TORRE 1887). In der «Embser Chronik» 1616 (Hystorischen Re-lation oder Eygendtliche Beschreibung der Landschaft un-derhalb St.Lucis Stayg und dem Schallberg beyerseits Rheinsbiss an den Bodensee von Johann Georg Schleh) wird derBiber nicht mehr als jagdbares Wild dargestellt. MÜLLER &JENNY (2005) meinen, dass der Biber bis ins 17. Jahrhundertdas Alpenrheintal besiedelte. GIRTANNER (1885) schreibt, dassder Biber bis ins 16. Jahrhundert ein uns allbekanntes Tier ge-wesen sei, wobei wir über sein allmähliches Verschwinden imLaufe der Jahrhunderte sozusagen nichts wüssten. In derNähe von Rheineck (SG) befände sich noch der Flurname «Bi-berhölzli». Die Ausrottung der Biber in der Schweiz wirdmeist mit anfangs des 19. Jahrhunderts angegeben. Seit 1956 wird der Biber in der Schweiz wieder angesiedelt,bis 1977 wurden insgesamt 141 Tiere ausgesetzt, vor allem inder Westschweiz und im Thurgau. Bei der Erhebung 1978fanden sich noch 130 Tiere, im Jahre 1993 wurde der Bestandauf 350 Tiere geschätzt, jetzt leben gemäss einer im Winter2007/2008 durchgeführten Erhebung in der Schweiz wieder1600 Tiere (www.news.admin.ch). Der Biber kommt heuteentlang der grossen Flüsse und Seen vom Genfer- bis zum Bo-densee fast im ganzen Mittelland sowie entlang der Rhôneim Wallis vor. Der Bestand entwickelte sich also äusserst posi-tiv. Heute sollen 1400 Kilometer Fliessgewässer besiedeltsein, wobei sich über 40% der Reviere an Bächen oder klei-neren Seen und Teichen mit einer Fläche von weniger alseiner Hektare befinden. Es war darum nur eine Frage der Zeit bis der expandierendeBiber ausgehend von der Schweizer Population wieder ins Al-penrheintal vordringt. Im Jahre 1968 wanderte das Biber-männchen «Haakon» die 120 Kilometer von Bottighofen(Thurgau) bis nach Grüsch (GR) im Prättigau und wurde dortam 18. Juni 1968 in der «Chlus» überfahren. In RAHM (1995)wird von einem Bibernachweis im Alten Rhein bei Rorschachgesprochen. Dort setzte sich beim «Eselschwanz» der Biberals erstes im Alpenrheintal fest. Mitte Mai 2008 wird erstmalsvon einem Biber im Binnenkanal berichtet (pers.Mitt. XaverRoser, Ruggell vom 3.8.2010). Am 15. Juni 2008 sieht GeorgWilli im untersten Liechtensteiner Binnenkanal einenschwimmenden Biber. Nagespuren an Gehölzen konntendurch den Autoren im Herbst/Winter 2008/2009 entlang desLiechtensteiner Binnenkanals unterhalb von Ruggell bestä-

Europäischer Biber (Castor fiber)Ordnung: Nagetiere (Rodentia)Familie: Biber (Castoridae)

Foto: Xaver Roser

Merkmale

Der lateinische Name Castor kommt vom Verb castrare, wel-ches schneiden bedeutet und somit den Biber als «Schnei-der» qualifiziert, was auf die Nagekunst des Tieres anspielt.Der Biber kann bis zu 1.4 m lang, 35 kg schwer und bis 20Jahren alt werden. Sein braunes Fell ist mit 23`000 Haarenpro Quadratzentimeter sehr dicht und schützt vor Nässe undAuskühlung. Der Pelz wird überdies mit einem fetthaltigenSekret, dem Bibergeil, gepflegt. Weiters ist der unbehaarteSchwanz - die Kelle -, welche als Steuer beim Abtauchendient, ein typisches Merkmal des Bibers. Biber können 15-20Minuten unter Wasser tauchen.

Biologie

Biber leben in Einehe. Das Revier einer Biberfamilie, dieaus dem Elternpaar und bis zwei Generationen von Jung-tieren besteht, umfasst 1-3 Kilometer Fliessgewässerstre-cke. In der Biberburg leben die Altbiber mit bis zu vier Jun-gen. Im Mai wird der behaarte und von Geburt an sehendeNachwuchs geboren. Sie werden von der Mutter zwei Mo-nate gesäugt und erlangen nach drei Jahren die Ge-schlechtsreife. Sie werden dann von den Eltern aus dem Re-vier vertrieben und können über 100 Kilometer weitwandern. Im Biberrevier finden sich in der Regel 2-4 Wohnbaue un-terschiedlicher Form. Dies kann in der Uferböschung alsHöhle angelegt sein, wobei der Eingang zum Wohnkesselimmer unter Wasser liegt. Die eigentliche Biberburg be-steht aus abgenagten Ästen; Zweigen und Schlamm. Auchhier liegt der Eingang meist unter Wasser, was gegen Fein-de schützt. Biber sind auch für den Dammbau bekannt, mitdenen sie Fliessgewässer aufstauen und Teiche anlegen.Dadurch ertränken sie den umgebenden Waldbestand, dieBäume sterben allmählich ab. Diese Regulierung gibt denBibern den geeigneten Wasserstand rund um die Burg. Sieholzen, indem sie die Bäume rundum benagen. Ein Biberkann in einer Nacht einen bis zu 50 cm dicken Baum fällen.Sie halten keinen Winterschlaf.

Page 102: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

101

Abb. 123 Die Verbreitungskarte zeigt die Ausbreitung desBibers entlang der Gewässer Liechtensteins.

2 01 Kilometer

Lebensraum

Die vorwiegend dämmerungs- und nachtaktiven Biber ruhentagsüber in ihrem Bau. Sie hinterlassen ihre typischen Spurenmit den Bauen, Nagespuren, Ausstiege, Dämme, Trittsiegel.Das semiaquatische Tier beansprucht neben Gewässern auchUferbereiche mit Nahrung in unmittelbarer Gewässernähe(bis ca. 20 m vom Gewässerrand). Die Gewässer sollten lang-sam fliessend sein. Am geeignetsten sind unverbaute, natur-nahe Uferbereiche, Auengebiete, Seen im Tiefland. Sind dieWeichhölzer übernutzt, so zieht der Biber weiter, bis sie viel-leicht wenige Jahre später einem Biber wieder als Lebens-grundlage dienen. Biber-Lebensräume erfahren einen deutli-chen Anstieg an Artenvielfalt. Für zahlreiche Tier- undPflanzenarten eröffnen sich erst nach Biberaktivitäten geeig-nete Lebensräume, beispielsweise amphibien- und fischrei-che Gewässer. In unseren Breiten profitieren davon auch derLaubfrosch, die Libellen und Eisvogel im besonderen Masse.

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Der Biber ist in der Schweiz durch das Jagdgesetz geschützt.Er ist dort auf der Roten Liste als «vom Aussterben gefähr-det» angegeben. Zumindest bis zur nächsten Revision behälter diesen Status. In der österreichischen Roten Liste 2005 gilter als nicht gefährdet, in der Vorarlberger Roten Liste gilt erals ausgestorben (SPITZENBERGER 2006). Bereits wird über Schäden an landwirtschaftlichen Kulturengeklagt. Doch sind nennenswerte Schäden bisher ausgeblie-ben, die Frassschäden in der Schweiz belaufen sich im lang-jährigen Durchschnitt auf rund 5‘000 Franken. Die Summeder Bagatellschäden wird auf ca. 50‘000 Franken im Jahr ge-schätzt (Gregor Klaus, Rückkehr eines Landschaftsarchitek-ten, NZZ 30. Juli 2010). Immerhin gab es im Thurgau Ende der1980er Jahren schon einen «Biberkrieg» mit Konflikten zwi-schen der Land- und Forstwirtschaft und dem Naturschutz. Ein beidseitiger 10-15 m breiter Uferstreifen reicht nach bis-heriger Kenntnis aus, um Konflikte zu minimieren. Allzuhäufig liegen heute aber landwirtschaftliche Kulturen direktneben dem Wasserlauf. Es braucht also – und nicht nur zumBiberschutz – mehr Raum für die Gewässer, damit diese ihreökologische Funktion erfüllen und bei Hochwasser den Ab-fluss auch wirksam bremsen können.

Mario F. Broggi

tigt werden. Der erste Pressehinweis stammt vom 5.11.2008(Liecht. Vaterland). Hinweise aus dem gleichen Jahr stammenauch aus dem Naturschutzgebiet Loo/Wichenstein in Ober-riet (SG) (Liechtensteiner Vaterland, 12. August 2008). Am 6.April 2009 meldet das liechtensteinische Presseportal, dassdem Wildhüter Wolfgang Kersting vom Amt für Wald, Naturund Landschaft ein ausgewachsener Biber in die Fotofalle ge-gangen sei (Liecht. Volksblatt und Liecht. Vaterland vom7.4.2009). Xaver Roser aus Ruggell schreibt im Ruggeller In-formationsblatt «Nordwind» vom Dezember 2009, dass er imBinnenkanal drei Biber gesehen habe, darunter ein Jungtier.Kurz darauf gelang es dem Grabser Wildhüter Peter Eggen-berger auf der Schweizer Seite im Bereich Haag-Buchs zweiExemplare zu fotografieren (Liechtensteiner Vaterland vom15. April 2009). Die Biberpopulation scheint sich an diesenbeiden Standorten zu stabilisieren. Spuren sind inzwischenauch im Schaaner Riet an der Grenze zu Gamprin und Eschenbis nach Vaduz entdeckt worden. Der Biber hat sich inzwi-schen in Ruggell auch fortgepflanzt, wobei Xaver Roser(pers. Mitt.) meint, dass die Jungen durch das Hochwasser imJahr 2009 umgekommen seien. Die gleiche Beobachtungwird auch von der Schweizer Seite gemacht. 2010 findet hin-gegen eine erfolgreiche Reproduktion mit zumindest einemJungtier in Ruggell statt (Xaver Roser pers. Mitt.).

Abb. 124 Erstnachweis des Bibers im Jahres 2009 in derFotofalle. (Foto: AWNL)

Page 103: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

102

Biologie

Obwohl er zur Familie der Nagetiere gehört, nimmt der vor-wiegend nachtaktive Gartenschläfer gerne auch tierischeNahrung wie Insekten, Spinnen, Schnecken und sogar kleineWirbeltiere zu sich. Daneben frisst er auch Samen, Obst, Bee-ren und Knospen. Im Sommer und Herbst wird besondersfleissig Nahrung aufgenommen, wenn es gilt, sich einenFettvorrat für den Winter anzufressen. Der Gartenschläferhält einen echten Winterschlaf, den er zwischen Ende Sep-tember und Mitte Oktober beginnt. Er sucht ein geeignetesVersteck auf, rollt sich zusammen und zieht den buschigenSchwanz wie eine Decke über die Nase. Indem er seine Le-bensfunktionen (Körpertemperatur, Herzschlag) stark redu-ziert, spart er viel Energie. Erst im März/April wacht er wie-der auf. Nach dem Winterschlaf beginnt die Fortpflanzungsphase.Die Lautäusserungen des Gartenschläfers, ein deutliches Ke-ckern, sind dann besonders gut zu hören. Nach einer Trag-zeit von 21 bis 23 Tagen bringen die Weibchen vier bis sechsJunge zur Welt, die wenig entwickelt und damit typischeNesthocker sind. Sie öffnen erst nach 18 Tagen die Augen.Nach einem guten Monat können sie der Mutter bereits gutfolgen. Oft bleiben sie bis zum Winterschlaf im Familienver-band und verbringen die kalte Jahreszeit gemeinsam. DieJungen werden erst im folgenden Frühjahr geschlechtsreif.Pro Jahr hat ein Weibchen meist nur einmal, selten zweimalJunge.

Abb. 125 Der Gartenschläfer ist äusserst kontrastreich gefärbt mit einer auffälligen schwarzen Augenbinde. (Foto: Lubomir Hlasek)

Gartenschläfer (Eliomys quercinus)Ordnung: Nagetiere (Rodentia)Familie: Bilche (Gliridae)

Foto: Jifií Bohdal

Merkmale

Der Gartenschläfer ist unter allen einheimischen Nagetierenam buntesten gefärbt und am auffälligsten gezeichnet. Erbesitzt ein auffälliges schwarzes Band von den Augen bisunter und hinter die stark hervortretenden Ohren. Nase undStirne sind rötlich gefärbt. Rücken und Flanken sind grau-braun bis braun. Der Bauch ist weiss bis grauweiss. DerSchwanz ist nur am Ende buschig. Die Schwanzquaste istoberseits schwarz und unterseits weiss. Der Siebenschläferund die Haselmaus, seine in Liechtenstein ebenfalls vorkom-menden Verwandten, sind nicht so kontrastreich gefärbt.

Page 104: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

103

Abb. 126 Der Gartenschläfer besiedelt vor allem dieHochlagen.

2 01 Kilometer

Lebensräume

Der Gartenschläfer kann die verschiedensten Waldtypen vonden Laubwäldern der Talebene bis hinauf zu den Legföh-rengebüschen besiedeln. Er bevorzugt Wälder mit felsigemUntergrund, wo er in Spalten und Hohlräumen gute Verste-cke, aber auch Überwinterungsplätze findet. Zu dichte Wäl-der werden gemieden.

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Der Gartenschläfer ist eine in den Alpen weit verbreiteteArt, die keines besonderen Schutzes bedarf. Sein Areal liegtzudem ausserhalb der intensiv genutzten Landschaftsteile.Eine naturnahe Forstwirtschaft erhält und fördert die für ihnwichtigen Lebensräume.Wie alle anderen Bilche ist auch der Gartenschläfer in Liech-tenstein über die Verordnung vom 13. August 1996 über be-sonders geschützte Pflanzen- und Tierarten geschützt.

Jürg Paul Müller

Verbreitung

Sein grosses Verbreitungsgebiet reicht von Westeuropa biszum Ural, wobei die geschlossenen Vorkommen im Westensich nach Osten immer mehr auflösen. Er fehlt auf den Briti-schen Inseln und auf Irland, besiedelt aber viele Mittelmeer-inseln. Er lebt in einem breiten Bereich von Lebensräumenvon den Tallagen bis in die Gebirge, bevorzugt aber meistfelsige, trockene Gebiete. Die vier Nachweise im Rahmendes Kleinsäugerprojektes 2007-2010 stammen aus Höhenla-gen zwischen 1250 m ü. M. (Steg) und 1450 m ü. M. (Plan-ken, Gafadura). VON LEHMANN (1982) fing den Gartenschläfervor allem in und oberhalb Silum. Der Gartenschläfer besie-delt die deutlich höheren Lagen als der Siebenschläfer, trifftaber in tieferen Lagen gelegentlich mit ihm zusammen.

Abb. 127 Der Gartenschläfer bevorzugt Wälder mit felsigem Unter-grund. (Foto: AWNL)

Page 105: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

104

Der Winterschlaf dauert in Mitteleuropa in der Regel vonOktober bis Mai. Dazu sucht der Siebenschläfer selbst ge-grabene Erdhöhlen, aber auch Baumhöhlen, Felsspalten undverschiedenste Verstecke in Gebäuden auf. Wenn diese er-heblichen Temperaturschwankungen ausgesetzt sind, bauter ein Nest aus isolierendem Material. Die normale Körper-temperatur passt sich der Umgebungstemperatur an undkann bis auf ca. 1 Grad Celsius sinken. Der Winterschlaf wirdimmer wieder unterbrochen. Der Gewichtsverlust währenddes Winterschlafes ist erheblich. Gross ist auch die Winter-sterblichkeit.Die Fortpflanzungsaktivität beginnt rund einen Monat nachdem Ende des Winterschlafes, also relativ spät. Meist brin-gen die Weibchen nach einer Tragzeit von 30 bis 32 Tagennur einen Wurf von vier bis sechs Jungen zur Welt, die nachetwa sechs Wochen, also erst etwa Mitte August selbststän-dig werden. VON LEHMANN (1982) berichtet von zwei Beob-achtungen in Liechtenstein, bei denen schon Ende Juni, respektive Anfang Juli weit entwickelte Jungtiere beobach-tet wurden. Geschlechtsreif werden die Jungtiere frühestensim Jahr nach der Geburt, gelegentlich auch erst nach zweiÜberwinterungen.

Siebenschläfer (Glis glis)Ordnung: Nagetiere (Rodentia)Familie: Bilche (Gliridae)

Foto: René Güttinger

Merkmale

Dem Siebenschläfer begegnet man im Gegensatz zu vielenanderen Kleinsäugern immer wieder. Er dringt regelmässigin den Siedlungsraum ein, vor allem bei der Suche nach Win-terquartieren. Manchmal richtet er erhebliche Schäden an.Vogel- und Fledermausschützer stellen bei Kontrollen öftersfest, dass die Nistkästen nicht von ihren Schützlingen, son-dern von Siebenschläfern besetzt werden. Die Bestimmungdes Siebenschläfers ist relativ einfach. Die Färbung des Tieresist im Grundton grau. Grau ist auch der buschige Schwanz.Der Bauch und die Unterseite des Kopfes sind weiss bis sil-bergrau gefärbt. Damit unterscheidet er sich vom Eichhörn-chen, dessen Oberseitenfärbung von rotbraun bis schwarzvariieren kann. Der Siebenschläfer ist auch wesentlich klei-ner. Um die Augen zieht sich ein dunkler Ring. Im Gegensatzzum Gartenschläfer fehlt ihm das lange schwarze Band, dassich vom Ansatz der Schnurrhaare bis unter und hinter dasAuge hinzieht. Der Siebenschläfer ist ein hervorragenderKletterer: An den Fusssohlen und Zehen besitzt er saugnapf-artige Ausbildungen. Er kann wie die anderen Schläferartenauch mit dem Kopf nach unten klettern, da seine Hinterfüs-se im Knöchel ausdrehbar sind.

Biologie

Das Nahrungsspektrum des nachtaktiven Siebenschläfers istausserordentlich gross und variiert mit den Jahreszeiten. DieBasis bildet die pflanzliche Nahrung mit Früchten, Nüssen,Knospen, Blattschossen und Pflanzenkeimlingen. Oft beisster auch die Rinde von Bäumen ab, um an den zuckerreichenPhloëmsaft zu gelangen. Auf tierische Nahrung kann derSiebenschläfer nur schlecht verzichten. Wie alle Schläferar-ten besitzt er keine Blinddärme, in denen sie mit Hilfe vonMikroorganismen die zellulosereiche Nahrung aufschliessenkönnten. Damit ist er auf leicht verdauliche Nahrung ange-wiesen. Neben den kohlehydrat- und pflanzenfettreichenFrüchten und Nüssen ist das die eiweissreiche tierische Nahrung. Der Siebenschläfer frisst regelmässig Insekten undandere Wirbellose, selten auch Vogeleier und Nestlinge.

Abb. 128 Siebenschläfer in einem Fledermauskasten in der Gemeinde Triesen (Forsthaus Matruela).(Foto: Monika Gstöhl)

Page 106: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

105

Abb. 130 Als Kulturfolger bewohnt der Siebenschläferauch gerne Gartenhäuschen und Dachböden. (Foto: AWNL)

Abb. 129 Der Siebenschläfer besiedelt vor allem die unte-ren Waldlagen mit hohem Laubholzanteil. Er ist auch imSiedlungsraum anzutreffen.

2 01 Kilometer

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Der Siebenschläfer ist nicht bedroht. Lokal kommt es immerwieder zu Problemen mit Tieren, die in Gebäude eindringen.Diese können meist mit Lebendfallen leicht weggefangenwerden. Da Siebenschläfer wie andere Kleinsäuger aberüber unbekannte Gebiete an den Fangort zurückfinden, istes ratsam, sie in mindestens 5 km Entfernung freizulassen,am besten auf der anderen Seite eines Flusses oder Baches. Wie alle anderen Bilche ist auch der Siebenschläfer in Liech-tenstein per Verordnung geschützt.

Jürg Paul Müller

Verbreitung

Das Verbreitungsgebiet des Siebenschläfers ist sehr grossund reicht vom Norden Spaniens nach Osten bis zum Mittel-lauf der Wolga, bis zum Schwarzmeergebiet, dem Kaukasusund sogar nach Palästina. Er fehlt in Skandinavien. In vielenRegionen kommt er gemeinsam mit dem Gartenschläfer vor.Dort besiedelt er die tieferen Lagen. In Liechtenstein ist er in den Tallagen häufig. Sehr vieleNachweise sind im Rahmen des Kleinsäugerprojektes 2007bis 2010 bei der Kontrolle von Fledermauskästen angefallen.Gelegentlich werden einzelne Tiere auch in deutlich höhe-ren Lagen beobachtet, so im Rahmen des genannten Projek-tes in Oberplanken (950 m ü. M.) und in Malbun (1650 m ü.M.).

Lebensräume

Der Schwerpunkt des Vorkommens liegt in Liechtenstein imLaubmischwald. Der Siebenschläfer bevorzugt dabei Wäldermit alten Bäumen, die viele Höhlen aufweisen, aber auchsolche mit fruchttragenden Bäumen wie Eichen und BuchenDer Siebenschläfer dringt regelmässig auch ins Siedlungsge-biet ein. Er ist ganz klar ein Kulturfolger.

Page 107: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

106

vorwiegend nachtaktive Haselmaus viel stärker vegetarisch.Sie frisst neben Früchten und Samen auch Blüten und Knos-pen. Im Frühjahr und Sommer werden gerne Insekten undandere Wirbellose verzehrt. Im Herbst bilden die energierei-chen Nüsse von Hasel und Hainbuche, aber auch Bucheckernund Eicheln die Hauptnahrung. So baut sie sich die Reservenfür den Winterschlaf auf. Der Winterschlaf dauert von Oktober bis April. Die Winter-schlafplätze befinden sich im Boden: unter Laub, in Asthau-fen oder an Baumwurzeln. Die Haselmaus baut dazu ein ei-gentliches Winterschlafnest. Die Körpertemperatur sinkt imWinterschlaf auf einige Grade über Null. Unmittelbar nach dem Winterschlaf beginnt die Paarungs-zeit. Die Weibchen bringen meistens nur einen, seltenerzwei Würfe mit drei bis fünf Jungen zur Welt. Diese entwi-ckeln sich langsam und öffnen die Augen erst mit 18 Tagen.Nach rund eineinhalb Monaten werden sie selbstständig.Geschlechtsreif sind sie nach dem ersten Winterschlaf.Im Gegensatz zu den übrigen einheimischen Schläferartenbaut die Haselmaus regelmässig freistehende Nester. NebenNestern in Baumhöhlen und Nistkasten erstellt sie regel-rechte Kugelnester mit einem seitlichen Einschlupfloch, diesie meist nur etwa einen Meter über Boden anlegt. Sie legtim Sommer immer wieder neue Nester an und benutzt oftgleichzeitig drei bis sechs Nester.

Verbreitung

Die Haselmaus ist in Süd- und Mitteleuropa weit verbreitet.Sie fehlt in Spanien und im Süden Frankreichs. Vorkommengibt es auch in England und Dänemark, ja sogar in Süd-schweden. Im Osten erreicht sie die Wolga und Teile Klein-asiens. Die Nachweise aus Liechtenstein liegen alle weit zu-rück (VON LEHMANN 1962 und 1982). Mario F. Broggi sah am28.12.1985 mehrere Kugelnester in einem Weissdornge-büsch auf dem «Hennewiblis Boda» auf 650 m ü.M. in Trie-sen (BROGGI, mündl. Mitteilung).Das Kleinsäugerprojekt 2007 bis 2010 erbrachte keine neuenNachweise, obwohl potentielle Lebensräume befangen wur-den. Daneben wurde auch gezielt nach den typischen Frass-

Haselmaus (Muscardinus avellanarius)Ordnung: Nagetiere (Rodentia)Familie: Bilche (Gliridae)

Foto: Lubomir Hlasek

Merkmale

Die kleinste und zierlichste Art der einheimischen Schlaf-mäuse (Bilche) wäre eigentlich leicht zu bestimmen. Sie istaber in Liechtenstein genau so wie in den angrenzendenLändern so selten, dass sie kaum jemand zu Gesicht be-kommt. Die Färbung des Oberkörpers und des Kopfes istauffallend rotbraun bis orange. Die Unterseite ist gelblich-weiss. Der Schwanz ist dicht behaart, ohne so buschig zu seinwie beim Siebenschläfer. Der Kopf mit den grossen Augenund den runden, kurzen, aber gut sichtbaren Ohren ist auf-fallend rundlich. Die Haselmaus hält sich hauptsächlich aufBäumen und Büschen auf. Sie klettert ausgezeichnet undkann wegen ihres geringen Körpergewichtes von 15 bis 40Gramm dünne Zweige besteigen und so zu Nahrungsquellengelangen, die anderen Nagern verwehrt sind. Nur selten be-wegt sie sich auf dem Erdboden.

Biologie

Im Vergleich mit ihren grösseren Verwandten, dem Sieben-schläfer und dem Gartenschläfer, ernährt sich die ebenfalls

Abb. 131 Eine Haselmaus im Winterschlaf.(Foto: Lubomir Hlasek) Abb. 132 Das Nest der Haselmaus. (Foto: René Güttinger)

Page 108: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

107

Abb. 133 Laubwälder wie der Schlosswald in Vaduz sind mögliche Lebensräume der Haselmaus. (Foto: AWNL)

Lebensraumangebot erhält. Als strauch- und baumbewoh-nende Art leidet sie vor allen unter der Verinselung des Le-bensraumes, da sie offenes Gelände kaum überquert. Wie alle anderen Bilche ist auch die Haselmaus in Liechten-stein per Verordnung geschützt.

Jürg Paul Müller

spuren an Haselnüssen gesucht. Auch in Vorarlberg und inder südöstlichen Schweiz sind in den letzten Jahren nur we-nige Vorkommen bekannt geworden.Im September 2011 gelang in Vaduz im Rahmen einer Akti-on zur Erfassung der Haselmaus ein sicherer Nachweis derArt am Nest (Abb. 134).

Lebensräume

Vorzugsweise kommt die Haselmaus in stufig aufgebautenLaubmischwäldern mit einem hohen Bestand an fruchtra-genden Sträuchern vor. Die Sträucher sollten so dicht stehen,dass sich die Haselmaus möglichst ohne Bodenkontakt fort-bewegen kann. Gerne lebt sie auch an Waldrändern. Wennin einem Wald der Kronenschluss zu dicht wird, wandert sieaus. Lokal kann sie in den Alpen auch in relativ hohen Lagenbeobachtet werden.

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Die Haselmaus muss in Liechtenstein und den anschliessen-den Gebieten als gefährdet eingestuft werden. Es ist denk-bar, dass sie dank einer Forstwirtschaft, die sich um eine star-ke Verjüngung der Wälder bemüht, wieder ein höheres

Abb. 134 Nach längerer Zeit gelang 2011 wieder einNachweis einer Haselmaus in Vaduz. Im Bild ein Jungtier.(Foto: AWNL)

Page 109: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

108

Die kurzen Ohrmuscheln ragen kaum aus dem Fell. Derlange Schwanz ist als Greifschwanz ausgebildet. DieSchwanzhaut reisst nicht leicht ab wie etwa bei den Wald-mäusen. Vor allem die Hinterbeine sind hervorragend zumKlettern ausgebildet. Die fünfte Zehe am Fuss kann nachhinten bewegt werden und ermöglicht das Festhalten anglatten Pflanzenstängeln.

Biologie

Die Hauptnahrung besteht aus Samen, Blüten und Blätternvon Gräsern und Kräutern, aber auch aus Beeren und Früch-ten. Besonders im Winter werden regelmässig Insekten ge-fressen. Wegen ihrer geringen Körpergrösse und der damitenergetisch ungünstigen grossen Körperoberfläche benöti-gen Zwergmäuse relativ viel und hochwertige Nahrung. Die Sommernester, die ausschliesslich aus Gras bestehen,können erst geflochten werden, wenn die Halme, an denensie aufgehängt werden, kräftig sind. Dies ist in Mitteleuropain der Regel erst gegen Ende Mai der Fall. Gelegentlich be-nutzt die Zwergmaus auch die Nester der Haselmaus oderbaut sogar Vogelnester um. Die Fortpflanzung beginnt im Mai und dauert bis zum Ok-tober. Nach einer Tragzeit von 21 Tagen werden pro Wurfzwei bis sechs Tiere geboren. Die Weibchen werden mit 40bis 50 Tagen geschlechtsreif, jene der frühen Würfe könnensich noch im gleichen Sommer fortpflanzen. In ihrem Le-bensraum, dem «Halmenwald», hat sie nur wenige Feinde.

Zwergmaus (Micromys minutus)Ordnung: Nagetiere (Rodentia)Familie: Langschwanzmäuse (Muridae)

Foto: René Güttinger

Merkmale

Das kleinste europäische Nagetier ist schwer zu entdecken,nicht nur wegen der geringen Grösse, sondern auch wegenseinem Lebensraum. Die Zwergmaus ist eine Bewohnerindichter Bestände von Pflanzen mit kräftigen, harten Stän-geln wie Schilf oder auch Getreide. Sie klettert hervorra-gend. Von den Langschwanzmäusen der Gattungen Apodemusund Mus kann die Zwergmaus relativ leicht unterschiedenwerden und dies nicht nur wegen der geringen Körpergrös-se. Die Zwergmaus wiegt nur zwischen 3.5 und 13 g, wobeidie Höchstwerte von trächtigen Weibchen erreicht werden.Auffallend ist das oberseits ockerfarbige, rotgelb oder gelb-lich braune Sommerfell. Die Unterseite ist meist scharf ab-gesetzt weiss. Das Winterfell ist deutlich länger und dichter.Die Unterseite unterscheidet sich weniger von der Oberseiteals im Sommerfell.

Abb. 135 Die Zwergmaus ist eine hervorragende Kletterin.(Foto: Jifií Bohdal)

Abb. 136 Das Nest einer Zwergmaus.(Foto: Miloš Andera)

Page 110: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

109

Abb. 137 Das Ruggeller Riet stellt einen möglichen Lebensraum für die Zwergmaus dar. Der genaue Status dieser Art fürLiechtenstein ist aber unklar. (Foto: AWNL)

Lebensräume

Im Sommerlebensraum ist eine dichte Halmvegetation diewichtigste Voraussetzung für ein Vorkommen, da die Zwerg-maus nur hier ihre Nester bauen kann. Solche Lebensräumewie Riedgras, Schilf-, Rohrglanzgürtel, Hochstaudenflurenund hochwüchsige Feuchtwiesen sind in Liechtenstein nichtselten, aber zum Teil relativ wenig vernetzt. Die Zwergmauswanderte mit der Ackerbaukultur von Süden her sowie vonAsien über Osteuropa bis nach Mitteleuropa ein. Sie lebtealso auch in Getreidefeldern, die aber wegen den modernenBewirtschaftungsmethoden keinen günstigen Lebensraummehr darstellen. Im Winter wird die Art vermehrt in Wäl-dern und Hecken beobachtet.

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Die tatsächliche Verbreitung kann auf Grund der bisher nurungenügenden Erfassung nicht abschliessend beurteilt wer-den. In der Schweiz und Vorarlberg gilt die Art als gefähr-det. (SPITZENBERGER 2006, NIEVERGELT et al. 1994)Es ist aber davon auszugehen, dass die Zwergmaus in Liech-tenstein sehr selten ist. Ein Projekt zur Erfassung des Art -status ist dringend. Davon unabhängig ist es angezeigt, allegeeigneten Lebensräume (Röhricht- und Grosseggenbestän-de) zu erhalten und die Feuchtgebiete zu vernetzen.

Jürg Paul Müller

Verbreitung

Das Verbreitungsgebiet der Zwergmaus besteht aus zweiTeilen. Eines erstreckt sich von Westeuropa bis Japan, daszweite liegt südlich des Himalajas in Assam und Südchina. InEuropa fehlt die Zwergmaus auf der Iberischen Halbinselund der Apenninhalbinsel. Im Balkan ist sie offenbar nurlokal verbreitet. Im Norden reicht die Verbreitung bis Schott-land und Finnland. In den Westalpen scheint sie zu fehlen. InBezug auf Liechtenstein liegt das nächste Vorkommen imuntersten Alpenrheintal, wo die Art aber stark gefährdet ist (SPITZENBERGER 2006). In der Schweiz wurde die Art nur ver-einzelt, vor allem in der westlichen Landeshälfte nachge-wiesen. Für Graubünden liegt kein Nachweis vor.In Liechtenstein wurde die Art nur ein einziges Mal direktnachgewiesen, als VON LEHMANN (1968) im Jahre 1956 in derVaduzer Rheinau ein sehr altes Weibchen fing, das mit achtEmbryonen trächtig war. Verschiedene Nestfunde wiesenbereits früher auf ein Vorkommen der Art in den TallagenLiechtensteins hin. Heute scheint ein Vorkommen immernoch denkbar. Beim Abmähen von Schilffeldern müsste mansehr sorgfältig nach Nestern suchen.KNECHT (1969) führt Funde mehrerer Nester in 1320 m ü. M.zwischen Masescha und Silum auf. VON LEHMANN (1982) kom-mentiert diese Nachweise nicht. Vermutlich hielt er ein Vorkommen in dieser Höhenlage für unwahrscheinlich. Ausder Literatur sind mehrere Fundorte von oberhalb 1000 m ü.M. bekannt (SPITZENBERGER 2001).

Page 111: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

Abb. 138 Balgserie der Waldmaus. (Foto: Sven Beham)

110

bis 2010 wurden die Waldmäuse fast ausnahmslos mit mole-kularbiologischen Methoden bestimmt.

Biologie

Die Waldmaus frisst grundsätzlich Pflanzenmaterial in denverschiedensten Formen, verschmäht vor allem im Kultur-land auch tierische Nahrung nicht. Sie trägt das Futter an ge-schützte Orte und verzehrt es dort. Durch das Anlegen vonVorräten trägt sie zur Samenverbreitung bei. Im Freiland findet die Fortpflanzung zwischen März undSeptember statt. In Gebäuden wie Scheunen, Tierstallungenetc. mit einem reichen Nahrungsangebot können fast dasganze Jahr über Jungtiere beobachtet werden. Die Tragzeitbeträgt zwischen 23 und 26 Tagen und kann bei grossen Em-bryonenzahlen im Wurf sogar noch etwas länger dauern.Die Wurfgrösse liegt zwischen zwei bis acht, meistens etwa

Waldmaus (Apodemus sylvaticus)Ordnung: Nagetiere (Rodentia)Familie: Langschwanzmäuse (Muridae)

Foto: René Güttinger

Merkmale

Sie ist allgegenwärtig, die unscheinbare Waldmaus. Manfängt sie in den Siedlungen, wo sie immer mehr die Haus-maus verdrängt, sowie in Feld und Wald. Die Unterschei-dung von den Schwesterarten, der Gelbhalsmaus und der Alpenwaldmaus, ist schwierig. Die Waldmaus ist kleiner alsdie Gelbhalsmaus. Sie besitzt selten – nach einigen Autorensogar nie – ein durchgehendes ockergelbes Kehlband, son-dern im Halsbereich Flecken, weniger markante oder garkeine Zeichnungen. Der Bauch ist weniger weiss und weni-ger scharf von der Oberseite abgesetzt. Im Vergleich zur Alpenwaldmaus ist der Schwanz viel kürzer. Dasselbe giltauch für die Hinterfüsse. Es wundert nicht, dass bei so geringen Unterschieden sehr viele Fehlbestimmungen vor-kommen, wie Kontrollen durch genetische Untersuchungenergeben haben. Im Projekt Kleinsäuger Liechtenstein 2007

Abb. 139 Die Waldmaus ist immer häufiger auch im Sied-lungsgebiet anzutreffen. (Foto: Paul Marchesi)

Page 112: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

111

Abb. 141 Ein hochgelegener Fundort wurde oberhalb Silum nachgewie-sen. (Foto: AWNL)

Abb. 140 Die Waldmaus hat ihren Verbreitungsschwer-punkt in den Tallagen, kommt aber bis zur Waldgrenze vor.

2 01 Kilometer

In Graubünden (MÜLLER et al. 2010) wurde die Art an ver-schiedenen Orten bis hinauf zur Waldgrenze festgestellt.

Lebensräume

Den häufigsten Kleinsäuger Europas findet man in sehr un-terschiedlichen Lebensräumen. Entgegen ihrem Namen istsie keine reine Waldart, sondern kommt auch in der Feldflurund in Siedlungsgebieten vor. Vor allem in West- und Mit-teleuropa lebt sie in den verschiedensten Habitaten, in Ost-europa vermehrt im Wald und im äussersten Osten des Ver-breitungsgebietes sogar in der Steppe. Da sie in der Lage ist,auch kleinste geeignete Lebensräume erfolgreich zu besie-deln, findet man sie oft an Standorten, wo man sie vorerstnicht erwarten würde. Auch in Liechtenstein besiedelt dieWaldmaus ein grosses Spektrum an Lebensräumen, wie imKleinsäugerprojekt 2007 bis 2010 bestätigt werden konnte.

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Die Art ist in Liechtenstein weit verbreitet und bedarf keinesbesonderen Schutzes. Sie ist heute in Siedlungen viel häufi-ger als die Hausmaus, da sie nach einer lokalen Bekämpfungund Ausrottung aus dem Freiland wieder einwandern kann,während die Hausmaus viel stärker an Siedlungen gebundenist.

Jürg Paul Müller

fünf Jungen. Diese wachsen rasch heran und sind nach etwaeinem Monat selbständig, wenn die Mutter oft schon dennächsten Wurf zur Welt bringt. Ab dem dritten Lebensmo-nat sind sie selber geschlechtsreif. Die Weibchen könnenzwei bis drei Würfe pro Saison zur Welt bringen, überlebenmeistens nur eine Saison, so dass die spät geborenen Jung-tiere im Frühjahr den Kern der neuen Population bilden. Diehäufige Art ist eine wichtige Nahrungsquelle für Raubtiereund Eulen. Sie ist, wie auch die Untersuchungen von WIEDE-MEIER (1990) im Ruggeller Riet ergeben haben, ausgespro-chen nachtaktiv.

Verbreitung

Die Waldmaus ist über ganz Europa verbreitet und fehlt ei-gentlich nur im nördlichen Skandinavien. Sie kommt er-staunlicherweise auch auf Island, Irland und sämtlichen Mit-telmeerinseln vor. In Liechtenstein war sie während denUntersuchungen von DAVID (2010) im Projekt 2007 bis 2010mit 39 Fängen deutlich seltener als die Gelbhalsmaus, wel-che 195 mal nachgewiesen wurde. Sie besiedelt vor allemden Talbereich des Landes, kommt aber bis in eine Höhenla-ge von 1500 m ü. M. (Jugendheim Malbun) vor. VON LEHMANN

(1982) fing die Art in durchaus vergleichbaren Höhenlagen.

Page 113: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

112

Lebensraum ist grundsätzlich nie für die Bestimmung beizu-ziehen und dies ist bei den Vertretern der Gattung Apode-mus im Alpenraum besonders wichtig. Die drei Arten können nämlich ab 500 m ü. M. in jeder Höhenstufe mitei-nander vorkommen.

Biologie

Das Nahrungsspektrum kennzeichnet die Gelbhalsmaus alsPflanzenfresserin, die immer wieder auch tierische Nahrung,d.h. Wirbellose der verschiedensten Gruppen zu sich nimmt.Besonders schätzt sie Samen von Bäumen. Für den Winterlegt die Gelbhalsmaus Depots aus Haselnüssen, Eicheln undBuchnüssen an. Die Fortpflanzungsphase dauert vom Februar bis zum Sep-tember, kann aber unter günstigen Bedingungen das ganzeJahr über erfolgen. Die Tragzeit beträgt 21 Tage. Die Wurf-grösse schwankt zwischen zwei und sieben Jungtieren. Diesesind nach zwei bis drei Monaten geschlechtsreif und pflan-zen sich damit teilweise schon im Jahr der Geburt fort. EinWeibchen kann pro Jahr zwei bis drei Würfe hervorbringen.Nach einem Herbst mit Buchenmast kann es auch in einemmilden Winter zur Vermehrung kommen. Auch bei Gelb-halsmäusen, die in Gebäuden leben, kommt Wintervermeh-rung vor.Die Gelbhalsmaus ist sehr bewegungsaktiv. Sie kann schnelllaufen, weit springen und gut klettern. Gelegentlich beob-achtet man sie hoch oben in einer Baumkrone. Männchenund Weibchen besitzen relativ grosse Aktionsräume, derenabsolute Grösse allerdings je nach Lebensraum und Bestan-desdichte stark schwankt. Sie ist vor allem nachtaktiv. Eulenund Raubtiere sind ihre grössten Feinde. Sie wird auch häu-fig von Katzen gefangen.

Gelbhalsmaus (Apodemus flavicollis)Ordnung: Nagetiere (Rodentia)Familie: Langschwanzmäuse (Muridae)

Foto: Jifií Bohdal

Merkmale

Es ist auch für die Spezialisten unangenehm, dass mit denWaldmäusen der Gattung Apodemus die häufigsten einhei-mischen Kleinsäuger schwierig zu bestimmen sind. Die Gat-tung ist in den Alpen mit drei Arten (Gelbhalsmaus, Wald-maus, Alpenwaldmaus) vertreten. Die Gelbhalsmaus ist diegrösste und kräftigste der drei und besitzt fast immer eindeutliches ockergelbes Kehlband und eine relativ weisse Un-terseite, die von der rotbraunen Oberseitenfärbung deutlichabgesetzt ist. Allerdings zeigen viele Tiere auch nur einenKehlfleck. Vor allem noch nicht ausgefärbte Jungtiere sindschwer von der Waldmaus und der Alpenwaldmaus zu un-terscheiden. Genetische Untersuchungen und auch sorgfälti-ge Auswertungen der Schädelmasse zeigen deutlich, dassimmer wieder Tiere falsch bestimmt werden, wenn man sichnur auf Färbungsmerkmale und Körpermasse verlässt. Der

Abb. 142 Balgserie der Gelbhalsmaus. (Foto: Sven Beham)

Page 114: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

113

Abb. 146 Im Gebiet Lawena Altsäss wird ausnahmesweiseauch ein offener Wald mit grösseren Steinblöcken besie-delt. (Foto: AWNL)

Abb. 144 Die Gelbhalsmaus zählt neben der Rötelmaus zuden häufigsten waldbewohnenden Kleinsäugern in Liech-tenstein.

2 01 Kilometer

das Vorkommen auf der Alp Lawena (1500 bis 1600 m ü. M.),die durch eine wilde Schlucht von den tieferen Lagen getrennt ist. Das höchste Vorkommen wurde in Malbun auf1860 m ü. M. festgestellt. Vorkommen oberhalb von 1000, jasogar 1500 m ü. M. sind nicht selten.

Lebensraum

Die Gelbhalsmaus ist europaweit stark an den Wald und anHecken gebunden. Beim Kleinsäugerprojekt 2007 bis 2010war die Art in den Buchenwäldern Liechtensteins vergleichs-weise übervertreten. 64 % der Fänge lagen in Buchenwäl-dern, die aber nur einen Anteil von 45 % an den Wald-standorten ausmachen. Im Gegensatz zur Waldmaus meidetsie in der Regel offene Flächen. Bemerkenswert ist die Si-tuation auf der Alp Lawena, wo sie eine lockere Hecke mitgrösseren Steinblöcken mitten in einer Alpweide besiedelt.

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Die Art ist weit verbreitet und bedarf keines besonderenSchutzes.

Jürg Paul Müller

Abb. 143 Der Schädel einer Gelbhalsmaus zeigt das typische Nagergebiss. (Foto: Sven Beham)

Verbreitung

Die Gelbhalsmaus ist in Europa weit verbreitet. Sie fehlt nurin grossen Teilen der Iberischen Halbinsel, im Westen Frank-reichs, im Norden Englands, in Irland, auf den Mittelmeerin-seln und im nördlichen Skandinavien.In Liechtenstein ist die Art weit verbreitet. Im Rahmen desKleinsäugerprojektes 2007 bis 2010 wurden nicht wenigerals 195 Fänge gemacht. Bei der Mehrzahl der Fänge wurdenGewebeproben zur exakten Artbestimmung genommen. DieArt ist in Liechtenstein in allen Höhenstufen zu finden. Regelmässig kommt sie in der Talebene vor. Erstaunlich ist

Abb. 145 Die Art ist für Waldgebiete typisch. Häufig istsie in Buchenwäldern zu finden. (Foto: Rudolf Staub)

Page 115: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

114

sorgfältigen Studien am Gebiss und am Schädel zur eigenenArt. Sie hatten die drei Schwesterarten in Vorarlberg sympa-trisch, das heisst am gleichen Standort vorgefunden. Späterkonnte mit molekularbiologischen Untersuchungen der Art-status bestätigt werden. Immer noch schwierig bis unmög-lich ist die Bestimmung aufgrund von äusseren Merkmalen.Typisch ist der sehr lange Schwanz. Die Halszeichnung ist oftzu einem langen Strich, einer Krawatte, ausgezogen. Die imRahmen des Kleinsäugerprojektes 2007 bis 2010 untersuch-ten Alpenwaldmäuse wurden mehrheitlich mit molekular-biologischen Methoden bestimmt.

Biologie

Da die Art erst relativ kürzlich neu beschrieben wurde,schwierig zu bestimmen ist und offenbar nur in den Alpenvorkommt, liegen über die Biologie nur wenige gesicherteAngaben vor. Es ist davon auszugehen, dass das Nahrungs-spektrum ähnlich ist wie bei den beiden Schwesterarten.Gesicherte Angaben über die Fortpflanzung stammen ausden Untersuchungen von SPITZENBERGER & ENGLISCH (1996), dieein umfangreiches Sammlungsmaterial im NaturhistorischenMuseum Wien auswerten konnten. Im Mai beteiligten sichbereits diesjährige Tiere an der Fortpflanzung. Die Männ-chen stellten die Fortpflanzung Ende August ein. Die letztenEmbryonen wurden am 28. Juli, das letzte säugende Weib-chen am 17. August nachgewiesen. GÜMPEL (2010) unter-suchte auf der Alp Flix im Sommer 2009 eine Alpenwald-mauspopulation an einem Standort zwischen 2100 und 2200m ü. M., der über der potentiellen Waldgrenze lag. SchonEnde Juni, kurz nach der grossflächigen Ausaperung, konn-

Alpenwaldmaus (Apodemus alpicola)Ordnung: Nagetiere (Rodentia)Familie: Langschwanzmäuse (Muridae)

Foto: Paul Marchesi

Merkmale

Nicht nur im Tropenurwald, auch in den Alpen können nochheute neue Arten entdeckt werden. Bis vor 20 Jahren unter-schieden die Zoologen in Mitteleuropa zwei Arten der Gat-tung Apodemus, nämlich die Gelbhalsmaus (Apodemus fla-vicollis) und die Waldmaus (Apodemus sylvaticus). Immerwieder wurden Tiere gefangen, die Merkmale beider Artenaufwiesen und nicht exakt bestimmt werden konnten. Mandachte an Kreuzungstiere zwischen den beiden Arten, wasaber nicht zutraf. Besonders schwierig war die Bestimmungder noch nicht ausgefärbten Jungtiere. Im Jahre 1989 erho-ben die Zoologen G. Storch und O. Lütt die früher als alpineUnterart angesehene Alpenwaldmaus auf Grund von sehr

Abb. 147 Balgserie der Alpenwaldmaus. (Foto: Sven Beham)

Page 116: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

115

Abb. 148 Die für die Alpen endemische Alpenwaldmausist in Höhenlagen über 1000 m ü. M. verbreitet.

2 01 Kilometer

Lebensräume

Max David führt in seiner Diplomarbeit (DAVID 2010) die Le-bensräume auf, an denen im Projekt 2007 bis 2010 die Al-penwaldmaus gefangen wurde. Diese werden im folgendenim Detail aufgeführt, da diesbezügliche Angaben in der Li-teratur noch sehr spärlich sind. Es sind dies: ein Bachbett mitangrenzenden Legföhrenbeständen; eine Alpweide mitStaudenflächen und Geröllfeldern; eine Alpweide mit einemkleinen Weiher, Bachläufen, an einen Legföhrenbestand an-grenzend; zwei Mal ein Fichten-Altholzgürtel, der an eineWeide angrenzt; ein Bachbett in einem Alpendost-Fichten-Tannenwald. Angaben zu ähnlichen Lebensraumpräferen-zen (Ufervegetation, Waldrand, Fichten-Tannen-Buchenwäl-der) finden sich auch in JERABEK et al. (2002) in einerUntersuchung aus dem Gadental in Vorarlberg.

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Weil die Alpenwaldmaus eine endemische Art für die Alpendarstellen dürfte, kommt Liechtenstein zusammen mit denanderen Alpenstaaten eine Verantwortung für ihre Erhal-tung zu. Da die Lebensräume der Alpenwaldmaus in Gebie-ten mit geringer Nutzung durch den Menschen liegen, sindbesondere Massnahmen zu ihrem Schutz derzeit nicht ange-zeigt.

Jürg Paul Müller

te er diesjährige Jungtiere beobachten, kürzlich geworfeneJungtiere auch noch Anfang August.

Verbreitung

Bisher wurde die Art nur im Alpenraum nachgewiesen. Es istdavon auszugehen, dass sie ein echter alpiner Endemit ist,der den ganzen Alpenbogen besiedelt. In Liechtensteinwurde die Art im Rahmen des Kleinsäugerprojektes 2007 bis2010 bei Scherris, Gemeinde Triesen in 1060 m ü. M. festge-stellt, sonst aber nur oberhalb von 1500 m ü. M. Der höchs-te Fangplatz liegt bei 1820 m ü. M. In Graubünden ist die Artweit verbreitet (MÜLLER et al. 2010).

Abb. 149 Alpweiden stellen in Verbindung mit Geröll flächen ideale Lebensräume dar, wie hier im Gebiet Guschgfiel Küematta, GemeindeBalzers. (Foto: AWNL)

Page 117: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

116

der beiden Rattenarten. Die Wanderratte ist gedrungenerals die Hausratte und hat eine stumpfe Schnauze. Sie besitzt im Vergleich kleinere Ohren und kleinere Augen.Der Schwanz ist meist etwas kürzer als der Körper. Das Fellist rauer und weniger glänzend als bei der Hausratte. DerRücken ist graubraun, der Bauch weisslich-grau gefärbt. DieWanderratte ist mit 230 bis 500 Gramm Körpergewicht auchdeutlich schwerer als die Hausratte mit 75 bis 230 Gramm.

Biologie

Die Wanderratte ist eine ausgesprochene Allesfresserin, dieneben pflanzlicher immer gerne auch tierische Nahrung zusich nimmt. Sie ist eine typische Opportunistin und frisst vorallem, was leicht erreichbar ist. Da sie praktisch immer inmenschlichen Siedlungen oder Anlagen lebt, sind Schädenan Nahrungsvorräten für Mensch und Tier vorprogrammiert.Die moderne Vorratshaltung mit rattensicheren Silos undSpeichern und rattensicher abgepackten Handelsgütern hatden Rattenarten die Nahrungsgrundlagen immer mehr ent-zogen. Weltweit sind die Schäden, welche Ratten an derNahrungsmittelproduktion und -lagerung anrichten, aberimmer noch sehr bedeutend.Wenn die Ernährungsgrundlage stimmt, ist die Wanderrattesehr erfolgreich, sowohl als Einzeltier wie im Rudel, das voneinem dominanten Männchen angeführt wird. Die Wander-ratte ist sehr lernfähig, was auch ihre Bekämpfung schwierigmacht. Die Fortpflanzung kann das ganze Jahr über stattfin-den, vorzugsweise aber vom Frühjahr bis zum Herbst. DieTragzeit beträgt 22 bis 24 Tage. Pro Wurf werden sechs bis

Wanderratte (Rattus norvegicus)Ordnung: Nagetiere (Rodentia)Familie: Langschwanzmäuse (Muridae)

Foto: Miloš Andera

Merkmale

Schon das Wort «Ratte» löst bei vielen Menschen vorerst ein-mal Abscheu aus. Dabei sind vor allem Hausratten (Rattusrattus) eigentlich recht hübsche Tiere. Auch ihre Verwandte,die Wanderratte ist in den letzten Jahrzehnten seltener ge-worden. Dabei waren beide Arten erfolgreiche Einwanderer,die ursprünglich aus Asien stammen und vor allem mit demGetreideanbau nach Europa kamen und sich schliesslich überdie ganze Welt ausbreiten konnten. Beide Arten sind leichtvon anderen Langschwanzmäusen wie etwa der Hausmausund der Waldmaus zu unterscheiden, da sie viel grösser undkräftiger gebaut sind. Schwieriger ist die Unterscheidung

Abb. 150 Die Wanderratte ist sehr lernfähig. Im Gefolge des Menschen konnte sie sich über die ganze Welt ausbreiten.(Foto: Pröhl/fokus-natur.de)

Page 118: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

117

Abb. 152 Die Wanderratte ist nur in den Tieflagen, wie hier am Spiers -bach, Ruggell anzutreffen. (Foto: AWNL)

Abb. 151 Von der Wanderratte liegen nur vereinzelteNachweise vor.

2 01 Kilometer

Lebensräume

Die Wanderratte ist relativ stark an das Vorkommen vonWasser gebunden. Sie schwimmt sehr gut. VON LEHMANN

(1982) fing sie beispielsweise im Schilf unmittelbar am Ab-flusskanal des Gampriner Seeli. WIEDEMEIER (1990) nennt eineBeobachtung vom Mai 1983 an einem Wassergraben im Rug-geller Riet, wo sie allerdings nicht häufig war. Die Kleinsäu-geraktion 2007 bis 2010 ergab Nachweise aus Vaduz (WeiherOberau), Schaan und Eschen.

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Die Wanderratte wurde seit jeher vom Menschen aufsSchärfste verfolgt und konnte nur dank einer geschicktenStrategie im Umfeld des Menschen überleben. Sie ist lernfä-hig und äusserst vorsichtig. Zur Vernichtung von Ratten wer-den Stoffe verwendet, welche die Blutgerinnung verhin-dern. Damit tritt der Tod erst nach Tagen ein. Die Tiere einesRudels erkennen dann keinen Zusammenhang zwischendem Giftköder und dem Tod des Rudelmitgliedes. Es ist er-staunlich, dass im Rahmen der aktuellen Tierschutzbestre-bungen der Einsatz von Giftmitteln gegen Kleinnager in deröffentlichen Diskussion kein Thema ist.

Jürg Paul Müller

neun Junge geboren. Mit zwei bis drei Würfen pro Weib-chen und Jahr ist die Wurfzahl nicht besonders hoch. DieWeibchen werden mit drei bis fünf Monaten, also relativspät geschlechtsreif. Da die Wanderratte aber von relativwenigen Räubern (Fuchs, Uhu) erfolgreich gejagt wird, kannsie lokal hohe Bestände aufbauen. Die Lebensdauer derWanderratte beträgt meist weniger als ein Jahr. Sie ist vor-wiegend in der Dämmerung aktiv.

Verbreitung

Die Wanderratte ist heute über ganz Europa verbreitet. Al-lerdings gibt es verschiedene Verbreitungslücken. So ist dieWanderratte nur in den Tieflagen der Alpen anzutreffen(MARCHESI & LUGON-MOULIN 2004, MÜLLER et al. 2010). Nach VON

LEHMANN (1982) war sie früher in Liechtenstein an den Müll-plätzen häufig, aber schon zur Zeit seiner Untersuchungennicht mehr. Heute dürfte sie nur noch lokal in Abwassersys-temen, bei grossen Futterlagern und im Keller alter Gebäu-de vorkommen. Auch das Projekt 2007 bis 2010 brachte nurwenige effektive Nachweise im Talboden des Landes.

Page 119: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

118

Biologie

Die Hausratte klettert sehr gut und bewohnt deshalb vorallem obere Stockwerke und Dachböden von Gebäuden. Sieist wärmeliebend und lebt in Gruppen aus einem domi -nanten Männchen und einigen Weibchen. Die Fortpflan-zung kann das ganze Jahr stattfinden und die Tragzeit beträgt 21-23 Tage. Pro Wurf werden 8-15 blinde und nack-te Junge geboren, die sich bereits nach sechs Wochen verselbständigen und die Geschlechtsreife nach 4-6 Wochenerreichen. Die Hausratte ist Allesfresser, bevorzugt aberpflanzliche Kost.

Hausratte (Rattus rattus)Ordnung: Nagetiere (Rodentia)Familie: Langschwanzmäuse (Muridae)

Foto: Miloš Andera

Merkmale

Die Hausratte hat eine Kopf-Rumpflänge von 16-24 cm undeine Schwanzlänge von 18-25 cm. Der Schwanz ist etwas län-ger als der Körper, sie wirkt damit schlanker als die Wander-ratte und ist auch leichter. Die Schnauze ist spitz, Augen undOhren sind verhältnismässig grösser als bei der Wanderrrat-te. Die Hauptfarbe ist häufig ganz grauschwarz.

Abb. 153 Die Bestände der Hausratten sind heute in ganz Europa rückläufig. Auch aus Liechtenstein liegen keine Nach-weise mehr vor. (Foto: Paul Marchesi)

Page 120: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

119

Verbreitung

Die Hausratte kam ursprünglich als Bewohner von wärme-ren Felslandschaften in Süd- und Ostasien vor und passtesich als Kulturfolger dem Leben des Menschen an. Die Ver-breitung in unsere Breiten geschah wahrscheinlich schon zurRömerzeit mit dem Gewürzhandel auf Schiffen. In Europasind die Hausratten-Populationen in der neueren Zeit starkrückläufig. Möglicherweise wurde sie durch die Wanderrat-ten verdrängt, die anfangs des 19. Jahrhundert in dieSchweiz vordrang. In der Schweiz soll die Art vor allem imMittelland und in den Tieflagen der Alpen noch vorkom-men, wobei sie im benachbarten Nordbünden seit 50 Jahrennicht mehr nachgewiesen ist (MÜLLER et al. 2010). VON LEH-MANN (1962) kennt keinen Hinweis der Hausratte in Liech-tenstein. Eben so wenig gibt es spätere Hinweise. Nach SPIT-ZENBERGER (2006) ist sie lokal noch im westlichenBodenseegebiet in Baden-Württemberg vorhanden, aus Vor-arlberg gibt es keine Hinweise mehr. Für Vorarlberg gibt esnur einen gesicherten Hinweis auf ein Vorkommen in Feld-kirch, der von BRUHIN (1868) stammt.Frühe Berichte über mittelbar durch Ratten ausgelöste Pest-epidemien werden als indirekten Beweis für die Anwesen-heit von Hausratten genutzt, da zu diesem Zeitpunkt dieWanderratten noch nicht eingewandert waren. Die Pest wü-tete auch in Liechtenstein besonders in der Zeit des Dreissig-jährigen Krieges im 17. Jahrhundert. VON LEHMANN (1962) er-achtete die relativ warmen rheintalseitigen Hanglagen alsmögliche geeignete Lebensräume für die Hausratten.

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Die wenig spezialisierten und sehr anpassungsfähigen Tieregelten gemeinhin als Nahrungsmittelschädlinge. Da dieHausratte bei uns im 19. oder zu Beginn des 20. Jahrhundertverschwunden ist und in Mitteleuropa sehr selten gewordenist, wird sie in der Roten Liste gefährdeter Arten der IUCN2006 aufgeführt.

Mario F. Broggi

Page 121: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

Hausmaus (Mus domesticus)Ordnung: Nagetiere (Rodentia)Familie: Langschwanzmäuse (Muridae)

Foto: Paul Marchesi

Merkmale

Die Hausmaus gilt als einheimische Art. Streng genommengehört auch sie zu den frühen Einwanderern oder Archäo-zoen. Sie konnte sich nur im Gefolge des Menschen auch imAlpenraum ansiedeln. Bei den Tieren aus Liechtenstein, Vor-arlberg und der Schweiz handelt es sich um die WestlicheHausmaus (Mus domesticus), die heute von der ÖstlichenHausmaus (Mus musculus) als eigene Art abgegrenzt wird.Die Verbreitungsgrenze führt vom Norden nach Südendurch ganz Europa. Im Österreich findet man die westlicheForm nur im Vorarlberg, während alle übrigen österrei-chischen Populationen zur östlichen Art gezählt werden.

Man ist heute der Ansicht, dass die Westliche Hausmaus mitder Ausbreitung der Ackerbaukulturen bereits in der Neu-steinzeit von Kleinasien, von Nordafrika und dem Mittel-meergebiet herkommend Mitteleuropa besiedelte.Von den Langschwanzmäusen der Gattung Apodemus un-terscheidet sich die Hausmaus vor allem durch die graubrau-ne bis schwarze, aber nie gelblich-braune Färbung auf demRücken und die ebenfalls recht graue Körperunterseite, diebei den Waldmäusen weisslich bis fast rein weiss ist. DieAugen und Ohren sind kleiner als bei den Waldmäusen.

Biologie

Die ursprüngliche Nahrung der Hausmaus bestand vor allemaus Samen von Kräutern, Gräsern, eingeschlossen Getreide,und Ölfrüchten. Im Freiland lebende Tiere legen Vorräte an.Dieses Verhalten ist den Hausmäusen, die als Begleiter desMenschen leben, weitgehend verloren gegangen. Sie fres-sen buchstäblich sämtliche menschlichen Nahrungsmittelund natürlich auch Tierfutter. Die Verfügbarkeit der Nahrung ist entscheidend für die Fort-pflanzung. Ist sie das ganze Jahr über reichlich vorhanden,so kann sich die Hausmaus in jedem Monat des Jahres fort-pflanzen. Normalerweise findet die Fortpflanzung in denMonaten Mai bis Oktober statt. Nach einer Tragzeit von 21bis 23 Tagen werden vier bis acht Junge geboren. Die Weib-chen werden unmittelbar nach der Geburt erneut begattet.Maximal sind 10 Würfe pro Weibchen und Jahr möglich. DieGeschlechtsreife erreichen die Weibchen nach rund sechsWochen. Damit ist das Fortpflanzungspotential sehr hoch.

120

Abb. 154 Die Hausmaus scheint in Liechtenstein selten geworden zu sein. (Foto: Paul Marchesi)

Page 122: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

Allerdings kann die Vermehrung beim Erreichen einer be-stimmten Populationsdichte durch eine hormonell bedingteSterilität kontrolliert werden. Die Sozialstruktur der Haus-maus ist sehr stark von der Dichte der Populationen abhän-gig. Typisch sind Familienverbände, die von einem Männ-chen dominiert werden.Neben frei lebenden Raubvögeln und -säugern, welche sichin den Siedlungsraum wagen, wird die Hausmaus vor allemdurch Katzen erfolgreich bejagt. Der Mensch stellt ihnen seitjeher mit allen erdenklichen Methoden nach.Hausmäuse sind das ganze Jahr über vor allem in der Däm-merung und in der Nacht aktiv.

Verbreitung

Heute ist die Hausmaus über die ganze Welt verbreitet. Aus-ser dem Menschen besitzt kein einziges Säugetier ein sogrosses Verbreitungsgebiet wie die Hausmaus. Allerdingsgibt es in vielen Regionen erhebliche Verbreitungslücken, soauch in den Alpen. In Graubünden kommt die Hausmaus nurselten oberhalb von 1000 m ü. M. vor. Immer wieder werdenTiere durch Transporte von Heu und Stroh in neue Gebieteverfrachtet (MÜLLER et al. 2010). In Vorarlberg (SPITZENBERGER

2001) ist die Hausmaus zwischen 400 und 1013 m ü. M. weit

verbreitet. Die Nachweise aus Liechtenstein sind sehr spärlich. VON LEHMANN (1982) wies in all den Jahren seinerForschertätigkeit nur vier Tiere nach, die Fangaktion 2007bis 2010 ergab einen einzigen Fang in Balzers. Es erstaunt,dass nicht auch Tiere gemeldet wurden, die durch Katzengefangen worden waren. Offenbar ist der Hausmausbestandin Liechtenstein auf einem absoluten Tiefpunkt.

Lebensräume

Im Alpenraum ist die Hausmaus vor allem in Siedlungsnäheoder auf Abfallhalden mit einem erheblichen Nahrungsan-gebot zu erwarten. Die aktuelle Lagerung von Lebens- undFuttermitteln und die kompakte Bauweise der Wohnhäuser,Schuppen und Ställe machen es für die Hausmaus ausseror-dentlich schwer, wie früher an das notwendige Futter zu ge-langen. In südlichen Gebieten kommt die Hausmaus auch imFreiland vor.

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Es ist damit zu rechnen, dass die Hausmaus demnächst inLiechtenstein ausstirbt. Wie bei der Wanderratte ist kaum anMassnahmen zu ihrer Erhaltung zu denken. Damit ver-schwindet eine Art, die während Jahrhunderten eng mitdem Menschen zusammen lebte.

Jürg Paul Müller

121

Abb. 155 Die Hausmaus ist ausgesprochen selten geworden,wie der einzige Nachweis im Rahmen des Kleinsäugerprojek-tes belegt.

2 01 Kilometer

Abb. 156 Der einzige Nachweis einer Hausmaus für Liech-tenstein gelang in Balzers. (Foto: AWNL)

Page 123: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

122

Rötelmaus (Myodes glareolus)Ordnung: Nagetiere (Rodentia)Familie: Wühlmäuse (Arvicolidae)

Foto: René Güttinger

Merkmale

Die häufigste einheimische Wühlmaus ist zugleich die unty-pischste! Während die übrigen Wühlmausarten das offeneGrünland bewohnen, lebt die Rötelmaus fast in jedem Wald,von den Auwäldern der Tallagen bis hinauf zu den Legföh-rengebüschen. Die Rötelmaus, die gut klettert, besitzt einenlangen Schwanz, der ihr als Balancierhilfe dient. Die Augensind für eine Wühlmaus erstaunlich gross. Die Ohren ragendeutlich aus dem Fell hervor. Von den Wühlmäusen besitztnur die Rötelmaus die typische rotbraune Färbung des Rü-ckens. Die Flanken sind graubraun, die Unterseite ist grau-weiss. Der Schwanz ist deutlich zweifarbig, oben schwarzund unten weiss.

Biologie

Die Rötelmaus ernährt sich vor allem von pflanzlicher Kostwie Kräuter, Gräser und Pilze. Gelegentlich frisst sie auchwirbellose Tiere. Auf ihren Streifzügen klettert sie auchhoch hinauf in die Bäume und Sträucher. Manchmal benagtsie auf der Suche nach dem zuckerreichen Saft des Bastesauch die Rinde der Bäume. Der angerichtete Schaden ist innaturnahen Wäldern relativ gering. Die Rötelmaus leisteteinen wichtigen Beitrag an die Verbreitung von Samen. Sielegt Vorräte an – die sie gelegentlich vergisst oder die nachihrem Tod verloren gehen.Das Grabvermögen der Rötelmaus ist ausgezeichnet. Sie legtein System von unterirdischen Gängen an, die an der Ober-fläche in ein ausgedehntes «Wegnetz» übergehen, das inder Streuschicht sowie unter Totholz und Wurzeln ausge-baut wird. Die Rötelmaus ist vor allem dämmerungsaktiv.Die Fortpflanzung dauert in den Alpen vom April bis Sep-tember. Nach einer Tragzeit von 18 bis 20 Tagen werden dreibis fünf Junge geboren, die rasch heranwachsen. Die Weib-chen sind schon nach einem guten Monat fortpflanzungsfä-hig, die Männchen etwas später. Ein Weibchen bringt in sei-nem Leben zwei bis drei Würfe zur Welt. Ausserhalb der Fortpflanzungszeit bestehen zwischen deneinzelnen Tieren kaum soziale Bindungen, sodass der glei-che Lebensraum zeitlich und räumlich gestaffelt von ver-schiedenen Tieren genutzt werden kann. Während der Fort-pflanzungsphase beanspruchen die Weibchen ihr eigenesTerritorium. Bei den Männchen, die grössere Reviere besit-zen, besteht offenbar eine deutliche Rangordnung.Die Dichte der Rötelmaus kann in Jahren mit einem gutenNahrungsangebot und günstiger Witterung stark ansteigen.

Abb. 157 Die Rötelmaus ist die einzige einheimische Wühlmaus, welche Wälder besiedelt. (Foto: Xaver Roser)

Page 124: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

123

Die Rötelmaus ist für viele Raubsäuger und Greifvögel vonden Marderartigen über Fuchs und Dachs bis zu Eulen undTagraubvögeln eine wichtige Nahrungsquelle. Selbst derIgel und das Wildschwein stellen ihr nach.

Verbreitung

In Eurasien ist die Rötelmaus sehr weit verbreitet und häu-fig. Sie besiedelt den gesamten Waldgürtel der westlichenPaläarktis von Nordspanien und Frankreich, der Apennin-und Balkanhalbinsel bis zum Baikalsee und Altaigebirge. InSüdeuropa ist ihr Areal etwas aufgesplittert: sie bevorzugtdort höhere Lagen und Wälder mit mitteleuropäischemCharakter. Sowohl bei der Kleinsäugerforschung durch Ernstvon Lehmann in den Jahren 1953 bis 1962 wie auch im kürz-lich durchgeführten Projekt von 2007 bis 2010 war die Rö-telmaus mit einem Anteil von über 20 % am Gesamtfang inLiechtenstein die zweithäufigste Art. Sie wurden bei beidenAktionen von der Talebene bis hinauf zur Waldgrenze fest-gestellt. Der Schwerpunkt der Verbreitung liegt bei 1000 mü. M.

Lebensräume

Die Rötelmaus ist eine typische Waldart, die im feuchten Au-wald genauso vorkommt wie im trockenen Föhrenbestand.Allerdings werden Wälder mit vielen Strukturen wie Ast-haufen oder einem dichten Pflanzenbewuchs bevorzugt. InHochlagen findet man sie auch in Zwergstrauchbeständenund unter Gesteinsblöcken, wo sie zur Konkurrentin derSchneemaus wird.

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Die überaus häufige Art ist nicht gefährdet und bedarf kei-nes besonderen Schutzes.

Jürg Paul Müller

Abb. 158 Die Rötelmaus gehört zu den häufigsten Klein -säugern in Liechtenstein und ist in den Waldgebieten desganzen Landes verbreitet.

2 01 Kilometer

Abb. 159 Wälder mit vielen Strukturen wie hier im Fuxwinkel bei Triesenbieten einen idealen Lebensraum für die Rötelmaus (Foto: AWNL)

Page 125: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

124

Schermaus (Arvicola terrestris)Ordnung: Nagetiere (Rodentia)Familie: Wühlmäuse (Arvicolidae)

Foto: René Güttinger

Merkmale

Abgesehen von der eingeschleppten Bisamratte, die aus Nord-amerika stammt, ist die Schermaus mit Abstand die kräftigsteund grösste einheimische Wühlmaus. Sie ist hervorragend andas Leben im Boden angepasst. Ihr Körper ist gedrungen. DieSchnauze ist kurz. Die Schneidezähne, die zum Graben derGangsysteme eingesetzt werden, sind kräftig. Die Ohren sindkaum sichtbar. Das Fell ist lang und dicht. Der Rücken istbraungrau, die Flanken sind deutlich braun, der Bauch ist grauvermischt mit beige. Viel öfter als die Wühlmaus selber siehtman ihre Haufen, die leicht mit jenen des Maulwurfs verwech-selt werden können. Maulwurfshaufen sehen aus wie kleineVulkane und enthalten immer grobe Schollen, weil der Maul-wurf die Erde hinauf stösst und nicht wie die Erdmaus hinausscharrt. Diese beisst die Erde mit den Zähnen ab und scharrt siedann Richtung Ausgang. Bei ihren Haufen liegt der Ausgangimmer seitlich, beim Maulwurf direkt unter dem Hügel. DieBau – und Gangsysteme liegen meist zwischen 20 und 60 cmim Boden und sind oft sehr weitläufig. Sie variieren je nach Po-pulationsdichte, Jahreszeit und Standort sehr stark.

Biologie

Die Schermaus ernährt sich ausschliesslich von pflanzlicherNahrung. Sie frisst je nach Jahreszeit die verschiedenstenPflanzenteile wie Blüten, Samen, Früchte, Stängel und Blät-ter. Dank ihrer Grabtätigkeit gelangt sie an Wurzeln, Knol-len und Zwiebeln. In ihren Gängen legt sie auch Vorräte an.Der Nahrungsbedarf ist gross: Eine Schermaus frisst pro Tagbis zu 80 % des eigenen Körpergewichts. Gelegentlich wirddie Schermaus auch zum Schädling. Sie kann in Kulturen vonGemüse und Feldfrüchten sowie in Obstplantagen erhebli-chen Schaden anrichten, ebenso in Forstbaumschulen. Einehohe Schermauspopulation kann lokal auch die Grasnarbeeiner Wiese oder Weide zerstören, in dem der gesamteBoden völlig durchlöchert wird. Früh im Jahr beginnt die Paarungszeit der Schermaus. IhreFlankendrüsen sondern ein spezielles Sekret ab, das Männ-chen und Weibchen zusammenführt. Die ersten Würfe sind

bei der Schermaus ab dem Monat März zu beobachten. DieFortpflanzungsphase dauert bis in den Herbst. Ein Weibchenbringt in einem Jahr bis zu fünf Würfe zur Welt. Meist um-fasst ein Wurf vier bis fünf Jungtiere. Die Spanne der Wurf-grösse reicht von einem bis zu 14 Tieren und ist damit ex-trem weit. Die Jungen kommen nach einer Tragzeit von 20bis 22 Tagen zur Welt und sind hilflose Nesthocker. Nachetwa 10 Tagen öffnen sie die Augen und entwickeln sich re-lativ schnell. Bald fressen sie Grünzeug und nach einemknappen Monat sind sie selbstständig. Etwa ein Fünftel derJungtiere pflanzt sich noch im gleichen Jahr fort. Schermäu-se überleben selten mehr als einen Winter. Doch sind auchim Freiland schon gut drei Jahre alte Tiere festgestellt wor-den. Die Schermaus ist tag- und nachtaktiv und ist ein guter Tau-cher und Schwimmer.Sie ist für viele Säugetiere und Vögel eine fette Beute, ist siedoch etwa fünf Mal so schwer wie eine Feldmaus. Besonderserfolgreiche Schermausjäger sind das Hermelin und sogardas kleine Mauswiesel. Nach WIEDEMEIER (1990) wurden west-lich des Ruggeller Riets öfters Hermeline mit erbeutetenSchermäusen beobachtet.

Abb. 160 Diese Schermaus hat die Begegnung mit einemGraureiher im Ruggeller Riet nicht überlebt.(Foto: Xaver Roser)

Page 126: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

125

Verbreitung

Das Verbreitungsgebiet der Schermaus reicht vom Nordender Iberischen Halbinsel bis nach Grossbritannien und vondort über Skandinavien bis zum Baikalsee. Sie besiedelt auchItalien und den Balkan, beide allerdings in etwas geringererDichte. Die Schermaus ist lokal entweder stark an die Ge-wässer oder an das Grünland gebunden. Verschiedene Fach-leute sind der Ansicht, dass es sich sogar um zwei verschie-dene Arten handelt. An einigen Standorten ist aber einAustausch zwischen amphibischen und landlebenden For-men beobachtet worden. Offenbar hat die Art eine unge-wöhnlich grosse ökologische Breite.In Liechtenstein kommt die Schermaus vor allem in derRheintalebene vor. VON LEHMANN (1982) berichtet, dass dieSchermausfänger in den siebziger und achtziger Jahren injeder Talgemeinde aktiv waren und hohe Tagesfänge von biszu 20 Schermäusen realisieren konnten. Die Art wurde aberauch in Hochlagen, zum Beispiel oberhalb Sükka festge-stellt. Das Projekt Kleinsäuger 2007 bis 2010 erbrachte keineneuen Ergebnisse. In der Schweiz besiedelt die Schermausvor allem das Mittelland und den Jura. Sie dringt im Unter-wallis und im Alpenrheintal (übrigens auch im vorarlbergi-

schen Teil) und in Mittelbünden in den Alpenraum vor. Er-staunlicherweise findet man sie in den besiedelten Regionender Alpen auch in höheren Lagen bis zum Waldgrenzenbe-reich, während sie in angrenzenden Gebieten auch in dentieferen Lagen fehlt.

Lebensraum

Die Schermaus ist in Liechtenstein eine ausgesprochene Be-wohnerin des Kulturlandes der Ebene. Wichtig für ihr Vor-kommen sind tiefgründige Böden, in denen sie ihre Bau-und Gangsysteme graben kann. Im Gegensatz zu anderenLokalitäten in Europa wurde die Schermaus in Liechtensteinnie direkt am Wasser beobachtet.

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Wenn Grünland stark beweidet oder oft gemäht und ge-düngt wird und auf intensiv bewirtschaftetem Ackerlandnimmt die Schermausdichte ab. Die Bodenverdichtung durchschwere Fahrzeuge verhindert einen genügenden Luftaus-tausch. Aus dem Nitrat der Gülle oder dem chemischen Dün-ger entwickeln sich im Boden unter Sauerstoffmangel fürKleinsäuger ungünstige Konzentrationen von Distickoxidund Stickstoff. In sehr intensiv genutzten Gebieten ist dieSchermaus lokal vom Aussterben bedroht. In Liechtensteinist zumindest im Talraum noch von einer guten Bestandes-dichte auszugehen.

Jürg Paul Müller

Abb. 161 Die Schermaus hat ihren Verbreitungsschwer-punkt in den Liechtensteiner Tallagen. Es gibt auch ältere,hier nicht dargestellte Nachweise aus den Berglagen u.a.vom Triesenberg.

2 01 Kilometer

Page 127: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

126

Kleinwühlmaus (Pitymys subterraneus)Ordnung: Nagetiere (Rodentia)Familie: Wühlmäuse (Arvicolidae)

Foto: René Güttinger

Merkmale

Sie ist ausgesprochen unscheinbar, die Kleinwühlmaus.Leicht würde man sie für eine junge Feld- oder Erdmaus hal-ten, wenn da nicht die sehr kleinen Augen wären. Klein sindauch die Ohren. Von Vertretern der Gattung Microtus un-terscheidet sie sich ausserdem durch die Anzahl der Zitzen(sechs anstelle von acht bei Microtus) und die AnzahlSchwielen oder Tuberkel am Hinterfuss (fünf anstelle vonsechs bei Microtus). Das Fell ist einheitlich graubraun ge-färbt. Die zierliche, kugelig wirkende Wühlmaus wird in denAlpen nur 13 bis 23 Gramm schwer. In Liechtenstein wieüberhaupt in den Alpen findet man die Kleinwühlmaus vor-wiegend in Randbiotopen, die nicht durch die anderenWühlmausarten besetzt sind, mit denen die Kleinwühlmausder Gattung Pitymys in Konkurrenz steht. Es scheint sich beidieser Gattung um eine stammesgeschichtlich alte Wühl-mausgruppe zu halten, die in Mitteleuropa von später entstandenen Wühlmausarten in ungünstigere Biotope ab-gedrängt wurde.

Biologie

Die Kleinwühlmaus ist eine ausgesprochene Pflanzenfresse-rin, die alle Teile von Pflanzen von den Wurzeln und Knollenüber Sprosse und Blättern bis zu den Blüten, Samen undFrüchten zu sich nimmt. Es ist erstaunlich, welche Pflanzen-massen diese kleine Wühlmaus pro Tag verzehrt. Der Verfas-ser konnte das Fressverhalten der Kleinwühlmaus an zwei ineinem Terrarium gehaltenen Tieren selber beobachten. DieKleinwühlmaus frisst wenn immer möglich im Schutz dichterVegetation oder im Bau selber. Sie trägt kleine Futterstückevorwärts in den Bau ein und versucht, grössere Pflanzen teilerückwärts in den Bau zu ziehen. Gelegentlich frisst die Klein-wühlmaus auch Insekten und Schnecken. Die Kleinwühlmaus zeigt ein ausgesprochenes Grabverhal-ten. Sie legt ein unterirdisches Gangsystem an, das dichtunter der Oberfläche verläuft. Oft erkennt man ihre ober-flächennahen Gänge an kleinen Bodenerhebungen. Im stei-len Gelände entstehen kleine Auswurfhalden aus feinerErde. In dichter Vegetation legt sie auch oberirdische Wech-sel, Frass- und Kotplätze an. Mit diesem Verhalten schütztsich die Kleinwühlmaus vor der Verfolgung durch Vögel undSäugetiere.Die Kleinwühlmaus lebt in kleinen Familiengruppen, die oftungleichmässig über einen an sich geeigneten Lebensraumverteilt sind. Wie bei vielen Wühlmäusen mit Koloniebil-dung hat jede Kolonie auch ihre eigene Geschichte undihren Standort, der nicht nur über das Lebensraumangebot,sondern auch über soziale Bindungen bestimmt wird.In Mitteleuropa pflanzt sich die Kleinwühlmaus von März bisSeptember fort. Nach einer Tragzeit von 21 Tagen werdenwegen der kleinen Zitzenzahl der Weibchen pro Wurf nurzwei bis drei Junge geboren. Diese geringe Anzahl Jungepro Wurf konnte VON LEHMANN (1982) auch bei den unter-suchten Weibchen aus Liechtenstein bestätigen. Es wird angenommen, dass ein Weibchen mehrere Würfe pro Jahrgebären kann. Die Jungtiere sind mit gut drei Wochen selb-ständig und nach sieben bis acht Wochen auch geschlechts-reif. Daher beteiligen sich die Jungtiere der frühen Würfenoch im gleichen Jahr an der Fortpflanzung. Es wird davonausgegangen, dass fast alle Weibchen, die geboren haben,den kommenden Winter nicht überstehen. Die nächste Fort-pflanzungsgeneration baut sich dann aus den Jungtierender späten Würfe auf, die im Frühjahr ihre sexuelle Reife erlangen.

Abb. 162 Kleine Ohren und Augen zeichnen die unscheinbare Klein-wühlmaus aus. (Foto: Paul Marchesi)

Page 128: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

127

Verbreitung

Das Verbreitungsgebiet der Kleinwühlmaus beschränkt sichauf einen nicht sehr breiten Gebietsstreifen, der sich überMittel- und Westeuropa hinzieht. Er reicht von der Bretagnebis zum 40. Längengrad im Osten und erstreckt sich in derNord-Südrichtung etwa vom Südabfall der Alpen und vomPindusgebirge in Griechenland bis zum 59. Grad nördlicherBreite. In der Schweiz fehlt die Art nur im östlichen Mittel-land. Sie kommt in den Alpen regelmässig bis in eine Höhevon etwa 2400 m ü. M. vor, ist aber nirgends häufig. VON

LEHMANN (1982) fand die Kleinwühlmaus erst oberhalb von1450 m ü. M., allerdings an verschiedenen Standorten(Silum, Bargella-Seebi, Sareis). Das Projekt Kleinsäuger 2007bis 2010 ergab neue Fundorte in Planken/Gafadura und imGebiet Mattaförkle. Alle Nachweise aus Liechtenstein liegendamit in Hochlagen. Im benachbarten Graubünden (MÜLLER

et al. 2010) liegt der Verbreitungsschwerpunkt zwischen1400 und 1800 m ü. M.

Lebensräume

Entsprechend ihrer weiten horizontalen und vertikalen Verbreitung besiedelt die Kleinwühlmaus in Europa – aberauch speziell in den Alpen – die verschiedensten Grünland-lebensräume. VON LEHMANN (1955, 1961, 1968, 1982) fand siein Liechtenstein auf flachgründigen und steinigen Alpwie-sen, auf durchwurzeltem Boden im Waldgrenzenbereich, ineinem Legföhrenbestand, aber auch im Zwergstrauchgürtel,unter Horsten der Steinrose und in vegetationsreichen Bach-und Quellschluchten.

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Die Datenlage ist für die Beurteilung der Gefährdung dieserArt ungenügend. Da die Verbreitung der Art sehr starkdurch die Konkurrenz mit der Feldmaus und allenfalls auchmit der Erdmaus bestimmt wird, ist es schwierig, eine besse-re Verbreitung durch den Biotopschutz zu erhalten. Der gegenwärtige Trend zur Aufgabe wirtschaftlich wertloserMähwiesen und Weiden schafft für die Kleinwühlmaus wenigstens temporär, d.h. bis zum Einwachsen, günstigereLebensmöglichkeiten. Ein periodisches Offenhalten von Gehölzen kann diesen Lebensraum längerfristig erhalten.

Jürg Paul MüllerAbb. 163 Von der Kleinwühlmaus konnten nur vereinzelteNachweise erbracht werden. Die geringe Fundortzahl dürftemit einer lückigen Verbreitung der Art zusammenhängen.

2 01 Kilometer

Abb. 164 Ein Nachweis der Kleinwühlmaus gelang auf der Alp Gapfahl(Foto: AWNL)

Page 129: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

128

Feldmaus (Microtus arvalis)Ordnung: Nagetiere (Rodentia)Familie: Wühlmäuse (Arvicolidae)

Foto: René Güttinger

Merkmale

Die weitaus häufigste Wühlmaus des europäischen Grünlan-des war einst – als die Mehrheit der Bevölkerung noch Land-wirtschaft betrieb – jedermann bekannt. Die Feldmaus isteine typische Steppenform, also eine Art des offenen, ehertrockenen Grünlandes. Sie war in den eiszeitlichen Gras-landschaften weit verbreitet und fand rund 10’000 Jahrespäter auch im Kulturland des Menschen einen ihr zusagen-den Lebensraum. Die Feldmaus sieht ihrer nächsten Ver-wandten, der Erdmaus, sehr ähnlich. Im Vergleich zur kräfti-geren Erdmaus hat die Feldmaus einen schlanken Körper,einen feinen Kopf und ein insgesamt graziles Aussehen. Daskurzhaarige Fell ist auf der Oberseite hell graubraun, esgeht auf der Unterseite in graubeige über. Das Fell der Erd-maus ist langhaariger und dunkler. Ihre Ohren sind behaart,besonders auch der obere Rand und die Innenseite der Ohrmuschel. Um diese Unterschiede am lebenden Tier zu erkennen, braucht es einige Übung. Am Gebiss hingegensind die beiden Arten leicht zu unterscheiden.

Biologie

Die Feldmaus ernährt sich vorwiegend von pflanzlicher Kost,phasenweise verschmäht sie auch Insekten nicht. Da dieFeldmaus in den verschiedensten Grünland-Lebensräumenvon den Tallagen bis hinauf in die alpine Stufe vorkommt,frisst sie die verschiedensten Kräuter und Gräser. Im Kultur-land der Ebene bevorzugt sie Löwenzahn und Klee. Gele-gentlich kommt es hier auch zu Frassschäden an Rüben undanderen Gemüsepflanzen sowie Getreidesaaten. In Hochla-gen ist sie besonders im Winter oft weniger wählerisch.Unter der Schneedecke frisst sie gelegentlich auf recht klei-nen Flächen praktisch das ganze Angebot an Pflanzen auf.Entsprechend der Regenerationsfähigkeit der einzelnenArten ändert dies die Zusammensetzung der Flora punktuellsehr stark. Interaktionen mit der Pflanzenwelt entstehenauch durch das Absetzen des Kotes ausserhalb der Baue unddurch das Durchmischen des Erdmaterials. Beides schafftgünstige Bedingungen für das Gedeihen der Pflanzen. In

trockenen, nährstoffarmen Wiesen und Weiden sind dieBau- und Gangsysteme der Feldmaus oft schon von weitemals grüne Flecken zu erkennen. Die Baue der Feldmaus sind typischerweise durch ein Systemvon ober- und unterirdischen Laufgängen verbunden. Be-sonders die Laufgänge, die wie kleine «Schützengräben»aussehen, sind für die Art sehr typisch. Das Nest befindetsich meistens etwa 20 cm unter der Erdoberfläche.Generell sagt man den Mäusen ein grosses Fortpflanzungs-potential nach. Dies gilt nicht für die vielen Arten mit nurwenigen Würfen pro Jahr, trifft aber bestimmt auf die Feld-maus zu, wenigstens in den optimalen Habitaten. Die Fort-pflanzung beginnt im Alpenraum im April und dauert biszum Oktober. Ein Weibchen bringt pro Jahr zwei bis dreiWürfe mit drei bis acht Jungen zur Welt. Dies ist noch nichtbesonders viel. Entscheidend für das grosse Fortpflanzungs-potential ist, dass die Weibchen bereits am 13. Lebenstagbegattet werden können und auch trächtig werden. DieTragzeit beträgt 19 bis 21 Tage. Die Entwicklung der Jungenverläuft extrem rasch: am 14. Tag nehmen sie die erste festeNahrung auf, um den 20. Tag werden sie entwöhnt und mit34 Tagen sind sie selbständig. So können lokal rasch sehrhohe Populationsdichten entstehen. Da Feldmäuse beihohen Dichten ihre Reviere verkleinern und Gemeinschafts-nester anlegen ist das Verdichtungspotential extrem hoch.Wenn keine anderen Faktoren wie spezielle Witterungsbe-dingungen den Aufbau hoher Bestände stören, erreichendiese nach etwa drei Jahren ein Maximum, um dann wiederzusammenzubrechen. Viele Faktoren führen zu einer Regu-lation des Bestandes: die generell kurze Lebenserwartungder Feldmaus, Nahrungsknappheit, Stress und dann die Prädation, die Verfolgung durch Räuber. Feldmäuse sindeine wichtige Nahrungsgrundlage der verschiedenstenRaubsäuger und Vögel vom Graureiher über den Mäusebus-sard und den verschiedenen Eulenarten bis zu Hermelin,Mauswiesel und Fuchs.

Abb. 165 Die Feldmaus lebt in unterirdischen Bausyste-men. (Foto: Aleksander Niwelinski)

Page 130: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

129

Verbreitung

Auch die Feldmaus besitzt ein sehr grosses Verbreitungs -gebiet, das von der französischen Atlantikküste und Nord-spanien über ganz Mitteleuropa bis nach Zentralrusslandreicht. Sie fehlt in Irland, in England, Skandinavien und inweiten Teilen Südeuropas. Sie kommt vom Meeresniveau bisin hohe Gebirgslagen vor. In Liechtenstein fand VON LEHMANN (1967) die Feldmaus vorerst nur in den Tallagen bis etwa 700 m ü. M., später ent-deckte er auch ein Vorkommen in Sareis. Heinz-Josef KNECHT

(1971) fing die Feldmaus auch in Masescha und belegtedamit, dass in Liechtenstein wie in anderen Teilen der Alpeneine Hochlagenpopulation vorkommt. Gross ist diese Hoch-lagenpopulation nicht, denn im Kleinsäugerprojekt 2007 bis2010 wurde in diesen Lagen nur eine einzige Feldmaus ge-fangen. Im benachbarten Graubünden (MÜLLER et al. 2010)lebt die Feldmaus in allen Höhenstufen von den Tallagenüber die Wiesen der montanen und subalpinen Stufe bishoch hinauf in das Grünland oberhalb der natürlichen Wald-grenze. Ältere Nachweise liegen auch aus dem RuggellerRiet vor (WIEDEMEIER 1990).

Die relativ geringe Fundortzahl in Liechtenstein deutet aufeine heterogene Verteilung der Bestände im Talraum hin.Nur an zwei Standorten konnten mehrere Tiere in der glei-chen Fallenreihe gefangen werden. Damit sind von der Feld-maus keine grösseren Schäden an den landwirtschaftlichenKulturen zu erwarten.

Lebensräume

Die Vorkommen in Liechtenstein belegen die ausserordentli-che ökologische Breite der Feldmaus. Immer wieder wird siein der Rheinebene in relativ feuchten Gebieten angetroffen,so im Vaduzer Riet, einem Lebensraum mit grossflächigemGebüsch und Unterholz. Die Weiden der Hochlagen sindauch in Liechtenstein eher trockene Standorte. VON LEHMANN

(1982) war der Ansicht, dass in Liechtenstein zwei unabhän-gige Populationen bestehen, die Tieflandform, die sich anfeuchte, waldfreie Gebiete angepasst hat und die Hochland-form, die auf den Wiesen und Weiden im Waldgrenzen -bereich und darüber lebt.

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Damit die Feldmaus im Kulturland als Folge der Intensivie-rung der Nutzung nicht ausstirbt, ist sie auf Brachflächenverschiedenster Art wie Ackerrandstreifen, angelegte Bunt-brachen etc. angewiesen. Im Gebirge sind ihre Vorkommenoft stark von der Art und der Intensität der Beweidung abhängig. Mässige Beweidung fördert ihr Vorkommen, in-tensive Beweidung führt zu Nahrungskonkurrenz und zurZerstörung der Baue durch den Tritt des Weideviehs.

Jürg Paul Müller

Abb. 166 Zur Verbreitung der Feldmaus liegen nur weni-ge Nachweise vor. Einerseits schliessen sich Erd- und Feld-maus gegenseitig aus, anderseits dürften die Beständeeher klein sein.

2 01 Kilometer

Abb. 167 Die Ebene zwischen Schaan und Eschen bietet einen

möglichen Lebensraum für die Feldmaus. Nachweise gelangen im Vaduzer Riet. (Foto: AWNL)

Page 131: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

130

Erdmaus (Microtus agrestis)Ordnung: Nagetiere (Rodentia)Familie: Wühlmäuse (Arvicolidae)

Foto: René Güttinger

Merkmale

Sie wird leicht übersehen, die Erdmaus! Da sie versteckt imdicht bewachsenen Grünland lebt, bekommt man sie seltenzu Gesicht. Im intensiv genutzten Kulturland kommt sie nurspärlich vor und in die Siedlungen dringt sie auch nicht ein.Wer sie schon einmal fängt oder tot auffindet, wird sie meis-tens für eine Feldmaus halten. Im Vergleich zu dieser ist sieetwas grösser und massiger. Das Fell ist insgesamt langhaari-ger und dunkler und wirkt etwas struppig. Die Oberseite istdunkel graubraun, die Unterseite weisslich. Die Ohren sindbehaart, besonders auch die Innenseite und der obere Randder Ohrmuschel. Zudem werden sie von den langen Haarendes Fells teilweise zugedeckt. Der Schwanz ist zweifarbig.Am Gebiss können die beiden Arten leicht unterschiedenwerden. Für die sichere Unterscheidung am lebenden Tierbraucht es einige Erfahrung. Im Vergleich zu anderen

Kleinsäugern ist die Erdmaus «stimmgewaltig» und gibt einganzes Repertoire verschiedenster Laute von sich. Hinweiseauf ihr Vorkommen sind die in der Pflanzendecke ausge -nagten und ausgetretenen Wechsel, die zu unterirdischenGängen hinführen. An Frassplätzen findet man auch abge-bissene Pflanzenreste und Kot. Das kugelförmige Nest derWeibchen wird oft an der Basis von Grasbulten angelegt.

Biologie

Die Erdmaus ernährt sich fast ausschliesslich von pflanzlicherNahrung. Es gibt nur wenige Hinweise auf den Verzehr vonwirbellosen Tieren. Besonders im Winter nimmt die Erdmausauch Baumrinde, Samen und Wurzeln zu sich. Bei hoherSchneedecke gelangt sie, obwohl sie schlecht klettern kann,auch an deutlich über dem Boden gelegene Teile von jungenBäumen und Büschen. Lokal richtet sie einen gewissen Scha-den an jungen Forstpflanzen an, der aber in Liechtensteininsgesamt nicht ins Gewicht fällt.Die Erdmaus ist im Sommer vorwiegend nachtaktiv, im Winter kann sie auch am Tag angetroffen werden. Die Fort-pflanzungsphase der Erdmaus dauert erstaunlich lange,nämlich vom März bis in den November. VON LEHMANN (1982)fand in Liechtenstein im Mai im gleichen Jahr geboreneTiere, die bereits trächtig waren. Auch im November warennoch trächtige Weibchen anzutreffen. Die Tragzeit beträgtetwa 20 Tage. Pro Wurf werden drei bis sechs Junge gebo-ren. Oft sind die weiblichen Jungtiere schon nach 30 Tagenträchtig. Ein Weibchen gebärt pro Jahr zwei bis siebenWürfe. Massenvermehrungen sind weniger ausgeprägt alsbei der Feldmaus. Lokal können auch im Alpenraum rechthohe Dichten vorkommen (MÜLLER et al. 2010). Die Erdmausist ein wichtiges Beutetier vieler Raubtiere, Greifvögel undEulen.

Abb. 168 Die Erdmaus hat ein struppiges Fell und behaarte Ohren. (Foto: Josef Hlasek)

Page 132: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

131

Verbreitung

Das Verbreitungsgebiet der Erdmaus ist sehr gross. Es erstreckt sich von der Atlantikküste bis zum Baikalsee. ImGegensatz zur Feldmaus kommt die Erdmaus auch in Eng-land und Skandinavien vor. Sie fehlt in weiten Teilen Südeu-ropas. Ihr bevorzugter Lebensraum sind feuchte und kühleGebiete. Daher ist sie auch im atlantisch geprägten, nieder-schlagsreicheren Westen häufiger als im kontinentalen, trockenen Osten. Im schweizerischen Mittelland und in Vor-arlberg ist sie verbreitet, ebenso im nördlichen und mittle-ren Graubünden. In Liechtenstein wurde sie sowohl bei früheren Aktionen(VON LEHMANN 1982) wie auch im Rahmen des Projektes Klein-säuger 2007 bis 2010 in der Rheinebene nur selten gefan-gen, häufiger hingegen in den Hanglagen bis hinauf zum Silumer Kulm, im Saminatal und dann auch bei Malbun. WIEDEMEIER (1990) stellte die Erdmaus regelmässig und ingrösserer Zahl im Ruggeller Riet fest.

Lebensräume

Die Erdmaus besiedelt vorwiegend feuchte, nicht bewaldeteStandorte. Bestimmend sind ein dichter Pflanzenbewuchssowie eine hohe Luft- und Bodenfeuchtigkeit. Oft werdendie Tunnel und Nester oberirdisch in der Streuauflage ausabgestorbenen Gräsern angelegt. Dies ist in Biotopen mitStaunässe, wie z.B. Mooren, von Vorteil. Entscheidend istauch die direkte Konkurrenz mit der Feldmaus, da sich diebeiden Arten praktisch ausschliessen. VON LEHMANN (1968)wies die Art in den verschiedensten Wiesentypen, aber auchin Hochstaudenfluren und in einer Grauerlenau nach. WIEDE-MEIER (1990) konnte zeigen, dass die Erdmaus im RuggellerRiet mit Ausnahme von Busch- und Baumbeständen und vonMähwiesen keinen bestimmten Lebensraumtyp bevorzugte,sondern ziemlich regelmässig vertreten war. Oft findet mansie auch auf grösseren Schlagflächen im Wald.

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Für die Erdmaus ist es wichtig, dass sie Lebensräume mitdichter Vegetation vorfindet. Das sind Feuchtgebiete, aberauch Kleinstandorte der verschiedensten Art. Nicht gemähteKleinparzellen, Waldlichtungen, Wegränder, Deponien mitstarker Streuauflage etc. sehen in unseren Augen oft unor-dentlich aus, sind aber wichtige Habitate der Erdmaus.

Jürg Paul Müller

Abb. 169 Die Erdmaus bevorzugt feuchtere und kühlere Lebensräume und ist häufiger an den Hanglagen anzu -treffen. Nicht eingezeichnet ist eine starke Population imRuggeller Riet.

2 01 Kilometer

Abb. 170 Ein typischer Lebensraum der Erdmaus befindet sich im EschnerRiet. (Foto: AWNL)

Page 133: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

132

Schneemaus (Chionomys nivalis)Ordnung: Nagetiere (Rodentia)Familie: Wühlmäuse (Arvicolidae)

Foto: Miloš Andera

Merkmale

Eigentlich müsste sie «Klettermaus» heissen, denn dieSchneemaus ist weniger an das Leben im Schnee als vielmehran das Leben in spaltenreichen Felsgebieten angepasst. MitHilfe der grossen Fussschwielen, die der besseren Haftungdienen, und dem langen Schwanz, der zum Stützen und Balancieren eingesetzt wird, turnt sie geschickt durch dasSpaltenlabyrinth. Dank den kräftigen Krallen kann sie besonders gut klettern. Die langen Tasthaare an der Schnau-ze setzt sie zur Orientierung im Dunkel der Felsspalten und-höhlen ein. Sie wechselt ihr Fell im Winter nicht wie Hermelin und Schneehase, sondern zeigt jahraus jahreineinen schiefergrauen Pelz. Die Ohren treten deutlich ausdem Fell hervor. Man kann die kräftige und relativ grosseSchneemaus mit keiner anderen einheimischen Wühlmausverwechseln. Die Schneemaus zeigt wenig Scheu vor demMenschen und kann auf Bergwanderungen immer wiederbeobachtet werden.

Biologie

Die Schneemaus ist ein reiner Pflanzenfresser und frisst allePflanzenteile von den Wurzeln und Knollen über die Spross-teile bis zu den Samen, Früchten und Blüten. Im Winter fin-det sie auch unter dem Schnee relativ grünes Pflanzenmate-rial. Öfters nagt sie auch an der Rinde der Zwergsträucher.Gelegentlich legt sie auch Vorräte von Zwiebeln und Knollenan, so zum Beispiel vom Krokus. Wenn sie diese nicht mehroder nicht mehr vollständig findet, leistet sie einen gutenBeitrag an die Verbreitung der Pflanzen.Die Fortpflanzung beginnt nach der Schneeschmelze. Nacheiner Tragzeit von 20 bis 22 Tagen bringt das Weibchen zuBeginn der Vegetationsperiode drei bis vier, später nur nochzwei Junge pro Wurf zur Welt. Die meisten Weibchen gebä-ren pro Sommer ein bis zwei und nur einige wenige dreiWürfe. Wiegen die Jungen bei der Geburt etwa drei bis vierGramm, so sind es nach vier Wochen 20 bis 30 Gramm undnach acht Wochen 40 bis 50 Gramm. Die Jungtiere entwi-ckeln sich im Vergleich zu anderen Wühlmäusen langsam.Sie wagen sich in den ersten Lebenswochen aus Angst voreinem Absturz kaum aus dem Nest heraus. Aktuelle Freilandstudien von Peter Wandeler, Universität Zürich (pers. Mitteilung) zeigen, dass die Weibchen relativortstreu sind und sich nahe verwandte Weibchen (Mutter,Tochter, Tante) im gleichen Umfeld aufhalten. Die Männ-chen besitzen grössere Territorien (2000 m2) als die Weibchen (900 m2). Besonders junge Männchen zeigen einestarke Abwanderung.Grundsätzlich verhält sich die Schneemaus mit einer ge -ringeren Zahl von Nachkommen mit höheren Überleben-schancen als K-Strategin (Fortpflanzungsstrategie mit einerPopulationsgrösse nahe der Kapazitätsgrenze eines Le -bensraumes). Der Turnover in der Population ist für eineWühlmaus relativ gering. Die Fortpflanzungsleistung ist mitwenigen Würfen pro Jahr und einer kleinen Jungenzahl proWurf niedrig. Dafür überleben einige Tiere sogar einen 2.

Abb. 171 Die Schneemaus ist ein reiner Pflanzenfresser. (Foto: Paul Mar-chesi)

Abb. 172 Das von schwarzen Leithaaren durchsetzte graubraune Rückenfell ist ein weiteres typisches Merkmalder Schneemaus. (Foto: Paul Marchesi)

Page 134: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

133

Winter. Die Schneemaus hat u.a. mit Kreuzotter, Hermelin,Mauswiesel, Rotfuchs, Turmfalke und Raufusskauz auch imGebirge einige Feinde, von denen sie allerdings nur dasMauswiesel und stellenweise das Hermelin bis weit hinein indie Spaltensysteme verfolgen können.Die Schneemaus gräbt keine grossen Erdbaue wie andereWühlmäuse, sondern lebt in zerklüfteten Felsgebieten undin Blockhalden. In diesen Kluftsystemen ist es bei Tempera-turen um 0 Grad Celsius sommerkühl und winterwarm. Sieist auch in der kalten Jahreszeit aktiv und hält keinen Win-terschlaf. An Schneemäusen, die in Terrarien gehalten wur-den, konnte Arlette Niederer (2008) beobachten, wie dieTiere ihre Umgebung selber gestalteten, indem sie Stein-chen wegräumten oder auftürmten und damit die Wechsel-systeme verbesserten oder Aufenthaltsorte abschirmten.

Verbreitung

Die Schneemaus lebt in Mitteleuropa und auch in Kleinasienvor allem in Gebirgen wie zum Beispiel den Alpen, demApennin und den Karpaten. In Südfrankreich, Slowenienund Istrien wurde sie in felsigen Hügellandschaften auch inHöhen zwischen 30 bis 100 Meter über dem Meeresspiegel

gefunden. In den Alpen kommt sie meistens in Höhenlagenzwischen 1000 und 2500 m ü. M. vor, doch findet man sieauch hier in tieferen Lagen, besonders an Talausgängen. InLiechtenstein fand VON LEHMANN (1982) die Schneemaus zwischen Silum und Bargella-Seebi, unterhalb der Goldlochspitze und am Augstenberg. Im Rahmen des Klein-säugerprojektes 2007 bis 2010 wurde die Schneemaus anverschiedenen Standorten in der Bergregion des Landes ge-fangen. Es ist bemerkenswert, dass praktisch an jedem Fang-platz eine grössere Zahl und damit ein guter Bestand fest-gestellt werden konnte.

Lebensräume

Auch in Liechtenstein besiedelt die Art die typischen Lebensräume, nämlich zerklüftete Felspartien sowie Block-und Schutthalden. Es scheint, dass sie unter einer dichtenSchneedecke auch in offeneres Gelände vordringt. DieSchneemaus ist nicht auf tiefgründige Böden angewiesenwie andere Wühlmausarten. Gelegentlich dringt sie auch inBerghütten und Ställe ein.

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Die Schneemaus ist weit verbreitet und nicht gefährdet. Einspezieller Schutz drängt sich daher nicht auf.

Jürg Paul Müller

Abb. 173 Im Liechtensteiner Berggebiet ist die Schnee-maus weit verbreitet und häufig.

2 01 Kilometer

Abb. 174 Im Gebiet Lawena-Altsäss (Gemeinde Triesen)schaffen Steine und Gehölze den notwendigen Struktur-reichtum für die Schneemaus. (Foto: AWNL)

Page 135: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

134

leib geboren sind (Superfötation). Die frisch geborenenJungen sind fertig entwickelte Nestflüchter. Die Hasen sinddie kleinsten Säugetiere unserer Breiten, die ohneschützenden Erdbau und ohne Winterschlaf das ganze Jahrüber im Freien leben, wofür hoch entwickelte Anpassungenim Körperbau, bei der Ernährung und im Verhalten er-forderlich sind. Betrachtet man die Spurenabdrücke, dieHasen z.B. im Schnee hinterlassen, so sieht man zwei Abdrücke von Füssen hintereinander liegend, und zwei weitere, die nebeneinander liegen. Die nebeneinander-liegenden Abdrücke stammen von den Hinterbeinen, diebeim Aufsetzen die Vorderbeine überholen. Dadurch ergibtsich eine Körperhaltung beim Rennen, durch die die grosseSchnelligkeit und Reichweite zu erklären ist.

Familien

Hasen (Leporidae)

Auffallend lange Ohren und Hinterbeine, grosse körperlicheBeweglichkeit und hochentwickelte Verdauungsorgane mitriesigen Blinddärmen sind wichtige Merkmale der arten rei -chen Familie der Hasen. In Asien und Nordamerika kommteine weitere Familie der Hasenartigen vor, die Pfeifhasen.Deren Ohren und Beine sind deutlich kürzer. Im FL: 2 Arten

Michael Fasel

Abb. 175 Feldhase (Foto: René Güttinger)

Ordnung Hasenartige (Lagomorpha)

Merkmale

Die Hasenartigen sind mit rund 70 bis 80 Arten nahezu welt-weit verbreitet. Ursprünglich gab es sie nicht in Australien,Neuseeland, Madagaskar und Südamerika. Die beiden in Liechtenstein lebenden Hasenarten gehörenzur gleichen Familie und zur gleichen Gattung. Der Schnee-hase besiedelt vor allem Gebiete an der oberen Waldgrenzeund im Gebirge. Der Feldhase lebt, wie es sein Name sagt,vor allem in offenen Feldgebieten und steigt in halboffenenWaldlagen und Maiensässen bis an die untere Verbreitungs-grenze des Schneehasen auf. Die Erdhöhlen grabenden Ka -nin chen kommen in Liechtenstein nicht vor. Das Gebiss ist demjenigen von Nagetieren ähnlich, weshalbdie Hasen in der zoologischen Systematik auch lange Zeit indiese Ordnung eingeteilt waren. Die Hasen sind jedochkeine Nagetiere und bilden eine eigene Ordnung. Ein artspezifisches Merkmal der Hasen ist ein zweites Paar stift-artige Schneidezähne im Oberkiefer, die hinter den gutsichtbaren vorderen Schneidezähnen liegen und bei Nage -tieren nicht Vorkommen. Die zwei langen Schneidezähnedes Unterkiefers gelangen mit ihren Spitzen zwischen diezwei vorderen und die zwei dahinterliegenden Schneide -zähne des Oberkiefers und werden dadurch laufend ge-schliffen. Dadurch bleiben sie scharf und eignen sich zumAbbeissen von zäher, zellulosereicher Pflanzennahrung, diedann von den Mahlzähnen im Backenkiefer zermahlenwerden. Ein kurzer, buschiger Schwanz (die Blume), einedurch die Oberlippe verlaufende Sinnesgrube, auffälliglange Ohren und überlange Hinterläufe sind weitere äussereHasenmerkmale. Als ausgesprochenes Fluchttier, versehenmit einem gut tarnenden Fell haben Feld- und Schneehaseneine hoch entwickelte Strategie der Feinderkennung und -vermeidung. Dies wird unterstützt durch die relativ weit ausdem Schädel hervorstehenden Augen, die ein Rund-umgesichtsfeld von 360° ergeben. Bei Gefahr ducken sichHasen mit an den Körper angelegten Ohren möglichst flachan die Erdoberfläche, starten im letzten Moment mit Hilfeder langen Hinterbeine blitzschnell zu einem rasanten Spurtund schlagen spitzwinklige Haken um dem Feind zu ent-kommen. Im Gegensatz zum Kaninchen graben unsereHasenarten keine Erdbaue.

Biologie

Hasen sind spezialisierte Pflanzenfresser mit riesigen Blind -därmen. Dort kann zellulosereiche Nahrung durch spezielleMikroorganismen effizient verdaut werden und nach Ab-gabe von kugelförmigen Kotpillen erneut gefressen und imMagen-Darm-System ein zweites Mal verdaut werden(Coecotrophie). Eine relativ grosse Anzahl von Jungen proJahr kann durch mehrere Würfe in der Regel den Verlustdurch Feinde oder schlechte Witterung wettmachen. Hä-sinnen sind in der Lage eine zusätzliche Schwangerschaft zubeginnen, bevor die heranwachsenden Jungen im Mutter -

Page 136: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen
Page 137: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

136

geschlechtsreif. Das bisher bekannte Höchstalter liegt bei 12Jahren, wird in freier Wildbahn aber sehr selten erreicht. DerFeldhase gilt als Feinschmecker. Er ernährt sich ausschliess-lich von pflanzlicher Kost wie Gräsern, Kräutern und Kultur-pflanzen (Rüben, Kohl, Getreide), aber auch von Wurzeln,Rinde und Knospen der Bäume und Sträucher. Durch die unmittelbare Aufnahme des eigenen Blinddarmkotes direktnach der Ausscheidung (Coecotrophie), wird die Nahrungein zweites Mal verdaut und wichtige Nährstoffe (z.B.Vitamine) verwertet. Die Hauptaktivitätszeit ist die Dämmerung und die Nacht,aber auch am Tage ist der Feldhase anzutreffen. Durch seine seitlich liegenden Augen kann der Feldhase nurbeschränkt räumlich sehen, hat aber eine 360° Rundumsicht,um Gefahren schnell erkennen zu können. Wird ein Räubergesichtet, drängt er sich ganz dicht an den Boden und ver-traut auf seine Tarnung. Entdeckt ihn der Feind dennoch,bleibt ihm nur die Flucht. Er versucht den Gegner durch Ha-cken schlagen zu verwirren und abzuschütteln. Als Aus-dauerläufer kann der Feldhase Spitzengeschwindigkeitenvon 60-70 km/h erreichen.

Abb. 176 Typische Feldhasenfährte im Schnee. Vorder -läufe hintereinander, Hinterläufe nebeneinander. (Foto: René Güttinger)

Feldhase (Lepus europaeus)Ordnung: Hasenartige (Lagomorpha)Familie: Hasen (Leporidae)

Foto: René Güttinger

Merkmale

Der Feldhase gehört zur Ordnung der Hasenartigen undwird nicht mehr wie früher zu den Nagetieren gestellt. ImGegensatz zu den Nagetieren besitzt er hinter den zweiSchneidezähnen im Oberkiefer zwei zusätzliche Stiftzähne.Feldhasen wiegen zwischen 3 und 6 kg. Die Fellfarbe unter -scheidet sich individuell stark und variiert von hellbraun bisbräunlichgrau mit ocker und rötlichen Tönen. Die Bauch -seite ist immer weiss gefärbt, genauso die Schwanz-unterseite. Die Schwanzoberseite ist immer schwarz. Das Fellwird zweimal jährlich gewechselt (April und Oktober). Eskann im Winter etwas heller sein, was jedoch von der geo-graphischen Lage abhängt (im Norden heller). Markant sinddie bis 15 cm langen Ohren, die an der Spitze schwarzgefärbt sind. Da der Feldhase ein Lauftier ist, sind die Hin-terfüsse lange und stark entwickelt. Die Geschlechter lassensich rein äusserlich nicht unterscheiden.

Biologie

Feldhasen sind Einzelgänger. Bei höheren Dichten könnensie in lockeren Gruppen zusammen leben und immer wiederden Kontakt zu Artgenossen suchen. Während der Ramm-lerzeit können sich vorübergehend Paare bilden. Paarungs-zeit ist von Januar bis September. Nach einer Tragzeit von 42Tagen bringt die Häsin ein bis vier Junge zur Welt, wobei dieWurfgrösse saisonabhängig ist. Die Jungtiere werden wederin einem Nest, noch in Erdbauen wie die Wildkaninchengebo ren, sondern auf dem offenen Feld in einer kleinenMulde, der Sasse. Die Jungen werden sehend und behaartgeboren (Nestflüchter). Für die nächsten drei bis vierWochen werden die Jungen einmal pro Tag gesäugt undhalten sich die restliche Zeit versteckt. Eine Häsin kann dreibis vier Würfe pro Jahr haben und dabei bis zu zehn Jungegebären. Dieser hohen Zahl steht eine beträchtliche Jungen-sterblichkeit entgegen. Noch vor dem Werfen (gebären)kann die Häsin erneut befruchtet werden (Superfötation).Dieses Phänomen ist für frei lebende Feldhasen aber nochwenig erforscht. Mit etwa fünf Monaten sind die Feldhasen

Page 138: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

137

Abb. 177 Der Feldhase vertraut auf seine Tarnung.(Foto: Rainer Kühnis)

Lebensraum

Als ursprünglicher Steppenbewohner bewohnt der Feldhasein Mitteleuropa offenes, übersichtliches Gelände und land-wirtschaftlich genutzte Flächen. Hecken, Waldränder, Büscheoder Brachland nimmt er als Tageslager sowie Deckungs- undRückzugsmöglichkeit an. Lichte Wälder werden ebenfallsgenutzt, genauso wie Hügellandschaften und gebirgige Ge-biete. Feldhasen gelten als standorttreu. Offene Feldgebietemit genügend grossen, unzerschnitte nen Flächen (> 1 km2)und mit wenig intensiver maschineller Bearbeitung desBodens sind die wichtigsten Voraussetzungen für die Ent-wicklung eines Feldhasenbestands (PFISTER et al. 2002). SolcheFlächen sind im Liechtensteiner Talraum aufgrund hoherSiedlungs- und Strassendichte selten.

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Seit den 1950iger Jahren haben die Feldhasenbestände inder Schweiz und auch in Liechtenstein stark abgenommen.(PFISTER et al. 2002). Der Feldhase ist in Liechtenstein miteiner Schusszeit vom 15. Oktober bis 31. Dezember jagdbar,die Liechtensteiner Jäger verzichten aber aufgrund dergeringen Bestandsdichten fast vollständig auf die Bejagung. Neben den natürlichen Räubern (Wildschwein, Fuchs, Greif-und Rabenvögel, Hauskatze), stellen vor allem die intensiveLandwirtschaft und der massive Maschineneinsatz die gröss-te Gefährdung dar. In Vorarlberg ist der Feldhase in derRoten Liste aufgeführt (Gefährdung droht) (SPITZENBERGER

2006). Fördermöglichkeiten bestehen durch die Schaffungvon Extensivflächen und Deckungsstrukturen. Besonderswertvoll sind landwirtschaftliche Buntbrachen in Ackerbau-gebieten, Krautsäume und aufgelockerte Feldgehölze.Dabei ist eine gewisse Mindestdichte an ökologischen Aus-gleichsflächen sowie eine gestaffelte Mahd der Heuwiesennotwendig.

Denise Camenisch

Verbreitung

Wahrscheinlich ist der Feldhase nacheiszeitlich von Ostenher nach Mitteleuropa eingewandert, begünstigt durchWaldrodungen und die Verbreitung des Ackerbaus (Kultur-folger). Heute ist er in ganz Europa verbreitet, ausser auf Is-land, im schottischen Hochland, Nordskandinavien, Nord-russland und einem Grossteil der Iberischen Halbinsel. InAsien kommt er von Israel bis in den Iran vor, weiter nörd lichvon der Ukraine bis nach Kasachstan. In verschie dene Län derwurde der Feldhase eingeführt (Irland, Grossbritannien,Südamerika, Vereinigte Staaten, Australien und Neusee-land), meist zur jagdlichen Nutzung. In Liechtenstein wurden die Feldhasenbestände im Rahmeneiner Zählung im Jahre 1996 im Talraum erfasst. Im Rug -geller Riet lag die Dichte bei 4-5 Hasen/km2, im Riedzwischen Eschen und Schaan zwischen 1-2 Hasen/km2 und inBalzers bei 2 Hasen/km2. Diese Bestandsdichten können alssehr tief, beinahe als bestandsgefährdend be zeichnet wer -den. Im Talraum zwischen Triesen und Schaan konnten keineHasen nachgewiesen werden. In wiesennahen, offe nenWaldbereichen kommt er bis Prufatscheng (1200 m ü. M.)vor, wo sich sein Verbreitungsgebiet mit dem des Schnee-hasen überschneidet. Am 4.8.1980 wird gar ein Feldhase inder Heita Malbun auf 1700 m ü.M. gesichtet (Mario F.Broggi, pers. Mitteilung).

Abb. 178 Der Feldhase wird im offenen Feld in einer kleinen Mulde(Sasse) geboren. (Foto: Otto Holzgang)

Page 139: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

138

Auffällig ist sein dreimaliger Fellwechsel pro Jahr, um sichoptimal der sich ändernden Umgebung anzupassen. ImWinter ist er weiss, mit schwarzen Ohrspitzen, im Frühlinggescheckt und im Sommer graubraun. Schneehasen tarnensich gut und sind nur schwer zu beobachten. Häufig siehtman aber deren Fährten im Schnee oder findet die typische,kugelförmige, hellbraune Losung als Nachweis seines Vor-kommens. Er ist dämmerungs- und nachtaktiv.

Biologie

Der Alpenschneehase legt keine Erdbaue an und istwährend des ganzen Jahres aktiv. Er verbringt die Tageszeitin seinem Lager zwischen Steinen, unter Wurzelstöcken,Legföhren, Zwergsträuchern u.ä. Bei Schneefall lässt er sichvollständig einschneien. Seine Nahrung besteht aus Gräsern und Kräutern, Rinde,Blätter und Knospen von Zwergsträuchern. Bei hohenSchnee lagen gelangt er auch an die oberen, aus der Schnee-decke ragenden Teile junger Bäume, an denen er emp-findliche Verbissschäden anrichten kann. Ende April bis Mai können bereits die ersten Junghasen be-obachtet werden. Meist folgt ein zweiter und bei günstigenBedingungen auch ein dritter Wurf im gleichen Sommer. Ineinem Jahr kann eine Häsin insgesamt drei bis vierzehn Jun-ge gebären. Als Nestflüchter werden die Jungen sehend ge-boren, hoppeln schon am zweiten Tag der Mutter nach undernähren sich relativ schnell auch von pflanzlicher Nahrung.

Abb. 179 Der Schneehase im Frühling im Fellwechsel. Typisch sind die kleinen Ohren. (Foto: Markus Stähli)

Schneehase (Lepus timidus)Ordnung: Hasenartige (Lagomorpha)Familie: Hasen (Leporidae)

Foto:Markus Stähli

Merkmale

Der Schneehase gehört zu jenen Tieren, die am besten andie harten Winterbedingungen des alpinen Lebensraumsangepasst sind. Allerdings ist diese Tierart aufgrund seinerschwierigen Beobachtbarkeit noch wenig untersucht. Mitrund 3 kg Körpergewicht ist der Schneehase etwas kleinerund rundlicher gebaut als sein Verwandter der Feldhase.Seine Pfoten sind etwas grösser als die des Feldhasen, starkbehaart, mit tiefen Zehenspalten und wirken wie einSchneeschuh gegen das Einsinken in den Schnee. Die Ohrenund der Schwanz sind zum Schutz vor Wärmeverlust kürzer.

Page 140: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

139

Abb. 180 Der Schneehase besiedelt das Berggebiet ab rund 1300 m ü. M. (Foto: Markus Stähli)

Lebensraum

Der Alpenschneehase ist ein sogenanntes Eiszeitrelikt undan tundraähnliche Verhältnisse optimal angepasst. Er gehörtwährend der letzten Eiszeit zum Faunabestand des eisfreienGürtels in Mitteleuropa und wanderte mit dem zurückwei -chenden Gletschereis nach Norden wie nach Süden, wo er inden Alpen bis heute überlebt hat. Der Schneehase meidetgeschlossene Waldbestände und ist am häufigsten in Leg -föhrenbeständen oder im offenen, strukturreichen alpinenGelände zu finden, wo genügend Unterschlupfe vorhandensind.

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Wir wissen noch nicht sehr viel über die Biologie des Alpen-schneehasen. Er gehört in Liechtenstein zu den jagdbarenArten (Schusszeit vom 15. Oktober bis 30 November), DieJäger verzichten in der Regel freiwillig auf die Erlegung vonSchneehasen. Natürliche Feinde sind Luchs, Fuchs und Stein-adler. Angaben über Bestandsdichten und die genaue Verbreitungsind wichtig, da die fortschreitende Klimaerwärmung denLebensraum des Schneehasen weiter nach oben schiebenkönnte, was in Liechtenstein durch die maximale Meeres-höhe von 2600 Meter längerfristig auch zum Verschwindendieser Tierart führen könnte. Kurzfristig ist der Schneehasenicht gefährdet.

Michael Fasel

Verbreitung

Schneehasen kommen in grossen Teilen des nördlichen Eu-rasiens vor. In Europa leben sie in Skandinavien, Schottlandund Irland, im Alpenraum sowie im Baltikum und nördlichenOsteuropa, in Asien in ganz Sibirien bis in die Mongolei undin das nördliche China sowie auf der japanischen Insel Hok-kaido. Die einzelnen Vorkommen sind teils räumlich von-einander getrennt und entwickelten sich unabhängigweiter. Dabei ist die systematische Unterteilung in ver-schiedene Arten oder Unterarten noch nicht abschliessendgeklärt. In England und auf den Färöer-Inseln wurde die Arteingeführt. In Liechtenstein ist der Schneehase im gesamten Berggebietvon einer Höhe ab 1300 m ü. M. bis auf die höchsten hiervorkommenden alpinen Rasen (2500 m ü. M.) verbreitet. An-gaben über die exakte Verbreitung und Bestandsdichtenfehlen. Vor allem im Winter ist er auch auf tiefer gelegenenWiesen und Weiden und auf offenen Waldstandorten zufinden, wie z.B. auf Prufatscheng (1100 m ü. M.), Alpe Rütti/Planken (1050 m ü. M.). Am 31.12.1970 konnte ein Schnee-hase im Bauwald ob Schaanwald (ca. 700 m ü. M.) beobach -tet werden (Mario F. Broggi, pers. Mitt.). In der Regel über -schneidet sich in diesen Höhenlagen das Vorkommen desAlpenschneehasen mit dem des Feldhasen.

Page 141: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

140

munikation erfolgt bei einzelnen Arten über Duftmarkie-rungen (Markierung von Reviergrenzen).

Familien

Bären (Ursidae)

Ihr Körper ist stämmig, die Gliedmassen eher kurz und sehrkräftig. Der Kopf ist relativ gross mit kleinen Augen undrunden Ohren. Bären sind meist Allesfresser. Im FL: 1 Art

Kleinbären (Procyonidae)

Kleine bis mittelgrosse Säugetiere mit langem, meistgeringeltem Schwanz. Das natürliche Verbreitungsgebiet derKleinbären erstreckt sich von Nord- bis Südamerika. Im FL: 1 Art

Marder (Mustelidae)

Der Schädel ist durch eine kurze Schnauze und relativ kleineOhren charakterisiert. Marder sind eher einzelgängerischeund territoriale Tiere, die ihre Reviergrenzen mit dem Sekretihrer Analdrüsen mit Urin oder Kot markieren. Im FL: 7Arten.

Hunde (Canidae)

Die Hunde sind unter den Raubtieren besonders gute undausdauernde Läufer. Sie weisen eine typische, relativ langeund schlanke Schädelform («Hundeschnauze») auf. VieleArten leben in Rudeln mit hoch entwickelten Sozialstruk -turen. Im FL: 3 Arten

Katzen (Felidae)

Sie haben geschmeidige Körper, ein weiches Fell, kurzeGesichter und relativ kleine Schädel. Als Besonderheit ver-fügt das Katzenauge über eine reflektierende Schicht hinterder Netzhaut, die jene Lichtanteile, die die Netzhaut durch-drungen haben, zurückspiegelt, so dass diese noch einzweites Mal auf die Netzhaut treffen. Diese Schicht bewirkteine verbesserte Dämmerungssicht. Im FL: 1 Art

Rudolf Staub

Ordnung Raubtiere (Carnivora)

Merkmale

Die Raubtiere haben mit weltweit 270 Arten eine hoheFormen- und Artenvielfalt entwickelt. Ihr Gewicht reichtvom rund 30 Gramm leichten Mauswiesel bis zum 3,5Tonnen schweren See-Elefanten.Die bei uns vorkommenden Landraubtiere weisen im Ober-und Unterkiefer neben sechs eher kleineren Schneide -zähnen zwei grosse, dolchartige Eckzähne (Fangzähne) auf.Diese können die Haut durchstechen und die Beutetierefesthalten. Daneben bildet der letzte Vorbackenzahn imOberkiefer mit dem ersten Backenzahn im Unterkiefer dasso genannte Reisszahnpaar, das wie eine Brechschere funk-tioniert und zum Zerteilen von Fleisch besonders geeignetist. Die Kiefer erlauben nur die Bewegung in einer Richtung,von oben nach unten, und keine mahlende, zerkleinerndeBewegung wie bei den Pflanzenfressern. Bei allen Raubtieren sind die Augen nach vorne gerichtetund ermöglichen durch eine grosse Überlappung desGesichtsfeldes ein gutes dreidimensionales Formensehen.Dieses bewirkt ein gutes Einschätzen von Distanzen und hilftso bei der Jagd.Pro Fuss sind je nach Art vier bis fünf Zehen vorhanden. DieKrallen können bei manchen Arten eingezogen werden (Kat -zen). Es gibt verschiedene Laufarten mit den stabil und eherlangsam gehenden Sohlen- oder Halbsohlengängern (Bären,Kleinbären, Marder) und den auf schnelle Verfol gungs jagdenoder Sprints ausgelegten Zehengängern (Kat zen, Hunde).Mit Ausnahme Australiens und der Antarktis wurden alleKontinente von Landraubtieren besiedelt.

Biologie

Die Raubtiere haben relativ grosse Gehirne, die auf einehohe Sinnesleistung hindeuten. Viele Arten besitzen einenstark ausgeprägten Geruchssinn (Hunde, Marder). EinzelneArten sind zudem sehr intelligent und lernfähig (Marder,Waschbären, Hunde). Die meisten Raubtiere sind wie ihr Name sagt Fleischfresser(Carnivora steht lateinisch für Fleischverzehrer). Sie weiseneinfache Mägen und einen kurzen Darm auf. Ein grosser Teilnimmt aber auch andere Nahrung wie Beeren, Gräser undPilze zu sich. Ein typisches Beispiel hierfür ist der Braunbär. Die meisten Raubtierarten haben einmal pro Jahr Nach-wuchs, kleinere Arten wie das Mauswiesel auch mehrmals.Bei grossen Arten wie den Bären vergehen meist zwei bisdrei Jahre zwischen zwei Würfen. Die Jungen sind Nest -hocker und kommen in der Regel klein, blind und unfähigzum eigenständigen Überleben zur Welt. Bei einigen Mar-derartigen und Bären tritt eine verzögerte Entwicklung desEmbryos auf. Dieser als Keimruhe bezeichnete Mechanismusverlängert die Tragzeit und stellt sicher, dass die Jungen zueiner möglichst günstigen Jahreszeit geboren werden. Das Sozialverhalten der Raubtiere ist unterschiedlich undreicht von Familiengruppen bis zu Einzelgängern. Die Kom- Abb. 181 Eurasischer Luchs. (Foto: Markus Stähli)

Page 142: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen
Page 143: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

142

dauert. Die Geburt fällt in die Winterruhe, die Wurfgrössebeträgt ein bis vier Jungtiere. Mindestens bis zum zweitenJahr, allenfalls auch länger können die Jungtiere bei derMutter bleiben. Das Höchstalter von Tieren wird in freierNatur auf 20-30 Jahre geschätzt.

Verbreitung

Das ursprüngliche Verbreitungsgebiet der Braunbären um-fasst weite Teile Nordamerikas, Eurasiens und Nordafrikas. InEurasien kamen sie von Westeuropa bis zur sibirischenOstküste und zum Himalaja vor. Durch Bejagung und Lebens-raumzerstörung wurde dieses Verbreitungsgebiet starkeingeschränkt. Heute leben noch etwa 50’000 Bären in Eu-ropa, davon aber nur rund 14’000 ausserhalb Russlands.Diese finden sich in Nordosteuropa und zwar in Finnland,Schweden, Nordnorwegen und dem Baltikum, in den Kar-paten und dort in der Slowakei, Polen, Rumänien und derUkraine, im Dinarischen Gebirge und den Rhodopenzwischen Griechenland und Bulgarien hinauf bis nach Italienund Österreich. Weiters gibt es noch sehr isolierte Vor-kommen in zwei getrennten Populationen im KantabrischenGebirge in Nordspanien, in den Pyrenäen sowie in Italien inden Abruzzen und im Trentino.Der Braunbär scheint bereits im 17. Jahrhundert in unsererGegend nicht mehr allzu häufig aufgetreten zu sein. Wirfinden ihn allerdings in zahlreichen Flurnamen in montanenund alpinen Gebieten des Landes und in der weiteren Regionvertreten. In der vor- und frühgeschichtlichen Zeit war er hierallgemein verbreitet und eine häufige Jagdbeute. Er ist dennauch in den neolithischen Stationen Lutzengüetle undBorscht am Eschnerberg bis in die Eisenzeit nachgewiesen(HARTMANN-FRICK 1959, 1965). Auch in den Tierresten desspätrömischen Kastells in Schaan ist er vertreten (WÜRGLER

1958), ebenso in den Tierknochenfunden von der Burg Neu-Schellenberg (SCHÜLKE 1965).Er erscheint ebenso in den Auszahlungen von Schussprämien.So hat der Unterländer Landammann an zwei Jäger eine Ab-schussgebühr im Jahre 1782 bezahlt (GOOP 1973). Ein Jahrspäter findet die letzte erfolgreiche Bärenjagd im Gamper-donatal statt (ULMER 1937, Vorarlberger Volkskalender 1970,SCHALLERT 1992), wobei der Erlegungsort zwischen dem Burg-stall und der Alpe Gamp gewesen sei. Darauf verweist eineInschrift «den 27. August 1783 ist der Behr geschossenworden» auf einer Votivtafel in der Wallfahrtskapelle Küh-bruck auf halbem Weg zwischen dem Ort Nenzing und derAlp Gamperdona. In der zweiten Hälfte des 19. Jh. wurden einige Male Bärenim Gamperdonatal gespürt und auch mit grossem Aufwandbejagt, doch nicht mehr zur Strecke gebracht. In den Jahren1868-69 soll der Bär im Alpgebiet von Nenzing grossenSchaden unter den Ziegen- und Schafherden angerichtet ha -ben. Auch ein erhöhtes Schussgeld konnte nichts ausrich ten.Eine dieser Treibjagden führte mit 30 Jägern ins Saminatal(HÄFELE 1920). Noch einmal wurde der Bär im Sep tem ber 1870aufgespürt (Vorarlberger Tagblatt 30.9.1870). Neun Jahrespäter wurde 1879 eine «Heimstkuh» auf der Alp Valscherinabei Nenzing von einem Bären derart angefallen, dass sie not-

Braunbär (Ursus arctos)Ordnung: Raubtiere (Carnivora)Familie: Bären (Ursidae)

Foto: Markus Stähli

Merkmale

Braunbären haben einen stämmigen, kraftvollen Körperbaumit einem muskulösen Buckel über den Schultern und einemkurzen Stummelschwanz. Bären besitzen zudem einenmassiven Kopf, kleine, unauffällige Ohren und Augen. DieKopfrumpflänge liegt zwischen 100-280 Zentimetern, dieSchulterhöhe beträgt rund 90-150 Zentimeter. Sie können einGewicht bis 780 kg (Kodiakbären) erreichen, während inunseren geographischen Breiten der Bär durchschnittlich140-320 kg wiegt. Seine Füsse sind gross und haben auf derUnterseite schwere, behaarte Ballen. Die Krallen sind nichteinziehbar, der Bär tritt mit seiner ganzen Sohle auf. Das Fellder Bären ist üblicherweise dunkelbraun gefärbt. SeinGeruchssinn ist sehr ausgeprägt, weniger der Gesichtssinn.

Biologie

Braunbären leben in der Regel einzelgängerisch. Die einzigedauerhafte Bindung ist diejenige der Mutter zu ihrem Nach-wuchs. Sie halten eine Winterruhe ein, üblicherweisezwischen Oktober-Dezember bis März-Mai. Die Reviergrösseist je nach Nahrungsangebot variabel, es ist beim Männchengrösser als beim Weibchen. Saisonale Wanderungen zu Ortenmit grösserem Futterangebot sind üblich. Braunbären sindAllesfresser, wobei die pflanzliche Kost überwiegt. ImSommer und Herbst machen Beeren einen wichtigen Be-standteil der Nahrung aus. An fleischlicher Nahrung reichtdie Palette von Insekten und deren Larven bis zu grösserenSäugetieren. Bären sind keine spezialisierten Jäger, sie ver-fügen aber über erhebliche Kräfte. Huftiere werden durchPrankenhiebe auf Kopf oder Nacken getötet. Die Öffnungder Bauch- und Brusthöhle und das Fressen der Innereien giltals geeignetes Indiz zur Identifizierung von Schadensfällen.Manchmal wird die Nahrung auch vergraben. Braunbärensind polygam, wobei die Paarungszeit in die Monate Mai bisJuli fällt. Erst zu Beginn der Winterruhe beginnt die Ein-nistung der Eizelle und somit die eigentliche Tragzeit, die180-270 Tage zwischen Fortpflanzung und Geburt dauernkann, während die eigentliche Trächtigkeit nur 6-8 Wochen

Page 144: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

143

Abb. 182 Der Braunbär dringt derzeit aus Italien wiedernach Norden vor. (Foto: Markus Stähli)

Bärin ab und hatten deren Verhalten erlernt. JJ1 wurde zumRisikobär deklariert und zum Abschuss freigegeben, obwohler nie einem Menschen gefährlich wurde. Ein gleiches Schick-sal erlebte ein weiterer Bruder JJ3. Er trieb sich in der Gegendum Lenzerheide, Savognin und Albula herum und zeigte sichebenfalls wenig scheu. Er wurde am 14. April 2008 in Mittel-bünden erlegt. Der menschenscheue MJ4, der ebenfalls wieJJ3 im Sommer 2007 in Graubünden einwanderte, verliess dieSchweiz wieder im Frühling 2008 in Richtung Italien. Im 2010wanderte erneut ein Bär in die Schweiz ins Val Müstair ein.Seit dem 24. Juni 2010 ist er wieder verschwunden. DieseInvasion von Einzeltieren aus der Trentiner Population dürftewohl anhalten.

Lebensraum

Der Bär bewohnt eine Vielzahl von Habitaten. Die ver-bliebenen Tiere in Europa leben hautsächlich in bewaldetenGebirgsregionen. Solange genügend Nahrung und Plätze fürdie Winterruhe vorhanden sind, sind sie nicht wählerisch inBezug auf den Lebensraum. Sie gelten als dämmerungs- undnachtaktiv, insbesondere in vom Menschen besiedelten Ge-bieten. Bären können gut schwimmen und die Jungtierekönnen gut klettern.

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Die Berner Konvention zum Schutz von wildlebenden Artenund Lebensräumen in Europa führen den Braunbären in An-hang II, d.h. jede Form von Fang, Haltung oder Tötung istverboten. Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie der Eu-ropäischen Union bezeichnet den Bären als prioritäre Art,wobei ausser in Schweden und Finnland besondere Schutz-gebiete auszuweisen sind. Es sind Kontrollmassnahmen wiedie Entnahme einzelner Individuen unter besonderenVoraussetzungen erlaubt (vgl. Abschüsse Bayern undGraubünden). Im Kanton Graubünden wurden inzwischengeeignete Schutzmassnahmen bei der Müllentsorgung, fürBienenhäuschen und dem Schutz von Kleinvieh getroffen.

Mario F. Broggi

geschlachtet werden musste (Vorarlberger Volksblatt29.7.1879). Damit verbleibt die Votivtafel die letzte Zeugineiner erfolgreichen Bärenjagd in Vorarlberg. Die letzte Bärensichtung im Grenzbereich zu Liechtensteinwird wie folgt festgehalten: Dr. Karl Blodig, Augenarzt inBregenz (1885-1956) war ein grosser Alpinist und Natur-freund und auch schriftstellerisch tätig. Er veröffentlichte inder Zeitschrift des deutschen und österreichischen Alpenver-eins in den Jahren 1900/1901 folgende Begebenheit: «Um14.30 h (am 2. Juni 1888) kamen wir zur Garsella-Alpe undstiegen zum gewählten Sattel an. ... Da fielen unsere Blickeauf Spuren eigentümlicher Art, welche im feinen Sande, dersich auf dem Sattel befindet, zahlreich sichtbar waren. Eswaren 25-28 cm lange und 8-10 cm, breite Fussstapfen nebendenen andere, etwa 7 cm lang und 5 cm breit, einherliefen.Vorne waren entsprechend tiefe Eindrücke von Krallen aus-geprägt. Wir riefen sofort wie aus einem Munde: das sindBären und zwar eine Alte und das Junge. Die Spuren liefenvom Rheintal nach dem Saminatal. Die Bärin wurde tatsäch-lich 4 Tage später im Fläscher Tälchen, am Falknis(Graubündner Seite) zur Strecke gebracht. Traurig aberwahr». In METZ (1990) findet sich hierzu über den Abschuss imFläscher Tälchen allerdings keine Bestätigung. Im Herbst1892 streifte nochmals ein Bär im Nenzinger Gebiet umher. Ersoll auch im Saminatal gesehen worden sein. Damals wurdenauf der Ochsenalp die Überreste von fünf ge ris se nen Schafengefunden (Vorarlberger Volksblatt 25.9.1892). Es wird ver-mutet dass der Bär nach Graubünden wechselte. Dort wurdeder letzte Bär am 1. September 1904 im Scarltal bei Schuls imUnterengadin geschossen. Die letzte Sichtung eines Bären inder Schweiz stammt aus dem Jahre 1923. Lange hielt sich eine letzte kleine Bärenpopulation im west-lichen Teil der Provinz Trentino in den italienischen Alpen.Diese Population brach in den 1990-er Jahren zusammen undwurde mit slowenischen Bären aufgestockt. Heute leben inder Brenta/Adamello Gruppe rund 25 Bären, wovon einigedurch markante Weitwanderungen bis nach Österreich, dieSchweiz und Bayern aufmerksam machten. Parallel dazu gabes auch einen Vorstoss von Bären in die öster reichischennördlichen Kalkalpen, wo ebenfalls eine Bestan des stützungrund um den berühmten Ötscher Bären stattfand. Allerdingszeigte die dortige kleine Population auffallende Verluste vonJungbären, was man auf Wilderung zurückführt. Das westliche Trentino wird heute in einem Ausmass von ca.3600 km2 besiedelt, wobei die Population einen deutlich positiven Trend zeigt. Allerdings sind auch dort einige In di vi -duen auf zum Teil ungeklärte Weise verschwunden. Im Jahre2006 stattete mehr als 110 Jahre nach der letzten Beobachtung ein Bär wieder einen kurzen Besuch in Vorarl-berg ab. «JJ1», genannt Bruno, stammte aus der Populationder Adamello-Brenta Gruppe (SPITZENBERGER 2006). Er wan-derte am 5. Mai 2006 vom Tiroler Oberinntal ins VorarlbergerKlostertal. Und von hier wechselte er ins Montafon. Späterpendelte er zwischen Tirol und Bayern und wurde dort am26. Juni 2006 in der Gemeinde Bayrischzell erlegt. DerBraunbär JJ1 stammte aus einem von der EU mitfinanziertenWiederansiedlungsprogramm. Seine Mutter Jurka galt alsProblembärin, da sie sich gerne in der Nähe von Menschenund Bauernhöfen aufhielt. JJ1 und JJ2 stammten von dieser

Page 145: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

144

Schlupfwinkel unter der Erde oder zwischen den Wurzeln,da der Baummarder kaum über Fettreserven verfügt und dasFell auch nur eine unzureichende Isolierung bietet. DerBaummarder hält wie der Steinmarder keinen Winterschlaf. Der Speiseplan des Baummarders ist umfangreich und be-inhaltet saisonabhängig sowohl tierische wie auchpflanzliche Kost. Gefressen werden Kleinsäuger, Insekten(v.a. Laufkäfer, aber auch Bienen), Vögel (v.a. verschiedeneDrosselarten), Pflanzen, Waldbeeren und Früchte. Kotana-lysen wiesen ebenfalls Überreste von Reh und Fuchs auf, dievermutlich als Aas aufgenommen wurden. Hasen, Re-genwürmer, Amphibien, Reptilien und Vogeleier ergänzendas Nahrungsspektrum. Die Jagd auf Eichhörnchen ist sehrenergieaufwändig und macht, entgegen früheren Be-hauptungen, nur einen geringen Anteil der Nahrung aus.Grössere Beute wird auf einen Baum geschleppt und dort inRuhe verzehrt. Gejagt und gesammelt wird vorwiegend amBoden. In einer Nacht werden je nach Nahrungsangebot imDurchschnitt fünf bis sieben Kilometer weite Strecken zu-rückgelegt, wobei die Männchen viel weiter herumstreifenals die Weibchen. Um Energie zu sparen lassen sich die Tieremeist dort nieder, wo sie sich am Ende der Nacht befinden.Der Ruheplatz wird folglich fast jeden Tag gewechselt, mitAusnahmen während der Jungenaufzucht und im Winter.Ausserhalb der Paarungszeit sind Baummarder Einzel-gänger. Vereinzelt werden Männchen und Weibchen imWinter zusammen beobachtet. Da eine Befruchtung zudieser Zeit sehr unwahrscheinlich ist, wird dieses Phänomenals «falsche Paarung» bezeichnet. Die Ranzzeit liegtzwischen Juni und August, wobei das Weibchen an wenigenTagen empfänglich ist. Die Embryonen durchlaufen eineKeimruhe, die zwischen Mitte Januar und Mitte März durch

Baummarder (Martes martes)Ordnung: Raubtiere (Carnivora)Familie: Marderartige (Mustelidae)

Foto: Markus Stähli

Merkmale

Der Baummarder wird aufgrund seines wertvollen Pelzesauch Edelmarder genannt. Er ist knapp hauskatzengross, mit0.8-1.8 kg aber wesentlich leichter. Sein Fell ist weich, dichtund glänzend und von kastanien- bis dunkelbrauner Farbemit gelbgrau bis rötlichen Wollhaaren. Die Körperseiten undder Bauch sind gelblichbraun, der buschige, lange Schwanz(etwa halbe Körperlänge) und die Beine sind schwarzbraun.Die Fellfarbe variiert je nach Jahreszeit und Klima. Das Fellwird zweimal jährlich gewechselt (April/Mai und August),wobei das Sommerfell dünn und kurzhaarig ist, dasWinterfell dicht und lang. Die schwarz bis schwarzgraueNase sowie die ganzjährig behaarten Fusssohlen, sind ein-deutige Unterscheidungsmerkmale zum Steinmarder. DerKehlfleck ist meist gelb bis orangefarben (selten weiss) miteiner grossen Variationsbreite (von Einzelflecken bis mitdunkelbraunen Flecken durchsetzt), jedoch selten nachunten hin gegabelt wie beim Steinmarder. Der Kehlfleck istkein hundertprozentiges Unterscheidungsmerkmal zumSteinmarder. Die Ohren sind leicht dreieckig mit abge-rundeter Spitze und gelben bis weisslichen Rändern. DerBaummarder ist höher (längere Extremitäten) und schlankergebaut als der Steinmarder und ebenfalls ein sehr guterKletterer. Die gute Nase sowie die Tasthaare am Kopf unddie Borsten an den Innenflächen der Vorderextremitäten er-möglichen die Orientierung in der Nacht.

Biologie

Die Dämmerung und Nacht sind die Hauptaktivitätszeit desBaummarders. Er ist zeitweise auch am Tage unterwegs, wasvor allem vom Nahrungsangebot abhängt. Die Tagesruhewird vorwiegend in den Bäumen verbracht. Die Schlafplätzewerden meist nicht selber gebaut, sondern von anderenTieren übernommen und gegebenenfalls angepasst.Typische Schlafplätze sind Nester von Rabenkrähen, Specht-höhlen, hohle Bäume oder Eichhörnchenkobel. Am Bodenkönnen Felsspalten oder Steinblock-, Erd- und Wurzelhöh-lungen als Unterschlupf dienen. Im Winter befinden sich die

Tab. 4: Eine Unterscheidung zwischen Baum- und Stein-marder ist in freier Wildbahn oft nicht möglich, da die meisten Unterscheidungsmerkmale nur auf kurze Distan-zen, wenn überhaupt, ersichtlich sind. Nachfolgend sindeindeutige (Punkt 1-4) und weniger eindeutige Unterschei-dungsmerkmale (5-7) zwischen Baum- und Steinmarderaufgeführt.

Baummarder Steinmarder1 Schwarz-schwarzgraue Hell fleischfarben-rosa

Nase Nase2 Behaarte Fusssohlen Unbehaarte Fusssohlen

3 3. Vorbackenzahn mit 3. Vorbackenzahn mitBuchtung nach innen; Buchtung nach aussen;1. Backenzahn ohne Rille, 1. Backenzahn mit Rilleabgerundet an der Aussenseite

4 Penisknochen max. 46 mm Penisknochen 56-61 mm

5 Meist gelb-orangefarbener, Meist weiss, gegabelter ungegabelter Kehlfleck Kehlfleck

6 Fell weich, lange, dicht Fell grob, weniger dicht

7 Ohren länger und Ohren breit, kurzdreieckig geformt, mit und abgerundet, mitgelb-weissem Rand weissem Rand

Page 146: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

145

Abb. 183 Typisch für den Baummarder ist die schwarz-graue Nase. (Foto: Markus Stähli)

ein geschossenes Exemplar. Dieses Fell stammt von einemBaummarder, der in den 1980er Jahren im «Foppi» in der Ge-meinde Triesen von Jagdaufseher Gebi Schurti erlegt wurde.Aus Vorarlberg gibt es ebenfalls nur zwei aktuelle Fund -meldungen (SPITZENBERGER 2006).

Lebensraum

Naturnah aufgebaute, strukturreiche Nadel-, Laub- undMischwälder sind der Hauptlebensraum des Baummarders.Diese sind idealerweise geschlossen und weitläufig. Eherselten hält er sich an Waldrandbereichen auf. Er benötigtDeckungsmöglichkeiten wie Hecken oder dichte Wald-strukturen und ist daher kaum im offenen Gelände an-zutreffen. Besiedelte Gebiete werden im Gegensatz zumSteinmarder in der Regel gemieden. Trotz seines Namenslebt der Baummarder nicht ausschliesslich auf Bäumen.

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Aufgrund der relativen Seltenheit des Baummarders inLiechtenstein dürften die meisten Beobachtungen auf denSteinmarder fallen. Da beide im Feld zudem kaum unter -scheidbar sind, ist über den Baummarder nur wenig be -kannt. Er ist schwierig zu beobachten und kommt in derRegel nur in geringen Dichten vor, wahrscheinlich aufgrunddes hohen Raumanspruchs. Der Baummarder ist in Liechtenstein geschützt. Eine Be-drohung besteht jedoch durch eine Verwechslung bei derJagd auf den Steinmarder. Ein langfristiges Monitoring fehltbisher für Liechtenstein. Weitere Studien sind nötig, ummehr über sein Vorkommen und seine Biologie zu erfahrenund um seine Gefährdung beurteilen zu können.

Denise Camenisch

die Einnistung der befruchteten Eizelle endet. Die ei-gentliche Tragzeit beträgt einen Monat. Im März/Aprilkommen zwei bis fünf, im Durchschnitt drei Junge zur Welt.Als typische Nesthocker sind die Jungen zunächst blind undtaub, besitzen aber schon einen dichten Pelz. In dennächsten fünf bis sieben Wochen werden die Jungtiere imNest gesäugt. Im September/Oktober verlassen sie dieMutterfamilie. Die Geschlechtsreife wird im 2.-3. Lebensjahrerreicht. Baummarderweibchen haben nicht zwingend jedesJahr Junge. Jedes Tier hat sein eigenes Streifgebiet, wobei die Grössevom Nahrungsangebot, der Jahreszeit und der Umgebungs-struktur abhängt. Das Männchengebiet kann das vonmehreren Weibchen einschliessen. Das eigene Gebiet wirdmarkiert, aber nicht aggressiv gegenüber Artgenossen ver-teidigt oder an den Grenzen intensiver markiert, wie esterritoriale Arten tun.

Verbreitung

Der Baummarder kommt in fast ganz Europa vor. Er fehlt inIsland, in Spanien südlich der Pyrenäen und im Süden vonGriechenland und Grossbritannien. In Asien reicht das Ver-breitungsgebiet bis nach Westsibirien und im Süden vonKleinasien bis nach Irak und Iran. Für Liechtenstein sind nur Einzelnachweise bekannt. DerBaummarder kommt aber wahrscheinlich auf derrheintalseitigen Abdachung im ganzen Waldgürtel vor,wobei der Schwerpunkt in der unteren Bergstufe liegendürfte (VON LEHMANN 1955). In der Sammlung des PrinzenHans von Liechtenstein ist ein von ihm im Jahre 1951 beiPrufatscheng (Triesenberg) erlegter Baummarder vor-handen. Im Dezember 1981 wird ein Exemplar bei Triesenerlegt und im Februar 1982 wird im Gamswald (Steg) einExemplar von Dr. Markus Hasler geschossen. Es liegen zudemnicht bestätigte Beobachtungen vom Eschnerberg vor, sowie

Page 147: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

146

Die sehr laute Paarungszeit mit dem weithin hörbarenKreischen der Männchen geht von Ende Juni bis MitteAugust. Steinmarderweibchen sind nur an wenigen Tagenbrünstig und werden wiederholt gedeckt. Eine «falsche Paarung» kann wie beim Baummarder im Januar/Februarbeobachtet werden, bei der sich Weibchen und Männchengelegentlich treffen, aber nicht paaren. Wie der Baum mar -der weist auch der Steinmarder eine verlängerte Tragzeitaufgrund einer Keimruhe auf, die zwischen Ende Januar undMärz endet. Nach einer effektiven Tragzeit von einemMonat werden im März/April zwei bis sieben, im Durch-schnitt drei Junge, in einem Nest geboren. Die Jungenweisen typische Nesthockermerkmale auf. Die Augen öffnensich erst spät, nach 34-38 Tagen. In den ersten sechs Wochenwerden die Jungen nur gesäugt, ab dann erfolgt eine Zufütterung mit Fleisch, bis sie mit etwa 16 Wochen selb-ständig auf Nahrungssuche gehen. In der Regel löst sich dieMutterfamilie im September auf, z.T. erst im nächsten Früh-jahr. Die Geschlechtsreife wird meistens im 2. Lebensjahrerreicht. Marder gelten als lernfähig, neugierig und verspielt. Das An-beissen von Autokabeln widerspiegelt diese Eigenschaften.Dieses Verhalten kann auch mit aggressiver Revierver-teidigung zu tun haben, vor allem wenn ein Auto zuvor voneinem Artgenossen benutzt und markiert wurde. Steinmarder leben ausser zur Paarungszeit einzelgängerisch.Zumindest die Männchen scheinen territorial zu sein und dieGebiete der Weibchen liegen ganz oder teilweise in denender Männchen. Marder orientieren sich mittels Duftspuren(Urin, Kot sowie Duftdrüsensekrete). Einmal markierteUnterschlüpfe, wie Estriche, werden folglich immer wiederbesetzt und man wird den Störenfried nur schwer wiederlos.

Steinmarder (Martes foina)Ordnung: Raubtiere (Carnivora)Familie: Marderartige (Mustelidae)

Foto: Pröhl/fokus-natur.de

Merkmale

Der Steinmarder ist bei uns häufig als Kabelbeisser odernächtlicher Störenfried ein Begriff. Mit seinem Gewicht von0.8-2.5 kg ist er etwas schwerer als der Baummarder und vonsehr ähnlicher Gestalt. Das Fell des Steinmarders besteht ausdichten, grauweissen Unterwollhaaren, die zwischen dengraubraun bis schwarzbraunen Grannenhaaren durch-schimmern. Zweimal jährlich (Frühling und Herbst) wird dasFell gewechselt. Der Kehlfleck ist typischerweise bis zum An-satz der Vorderbeine gegabelt und weiss. Es existierengrosse individuelle Unterschiede, die gar zu Verwechslungenmit Baummardern führen können. Die Nase ist hell fleisch-farben-rosa gefärbt, was ein hundertprozentiges Unter -schei dungsmerkmal zum Baummarder ist (für weitere Merk -male siehe Beitrag zum Baummarder). Die Ohren habeneinen schmalen, weissen Rand, sind abgerundet, breiter undkürzer als die des Baummarders. Die Fusssohlen sind kaumbehaart, so dass die Ballen gut ersichtlich sind. Der Schädelist mit etwa 5 cm die breiteste Stelle des Körpers und wo erdurchgeht, geht auch der Rest des Körpers durch.Der Geruchssinn sowie die Ohren und Augen sind besondersgut ausgebildet. Tasthaare am Kopf und an den Vorder-extremitäten dienen der Orientierung im Dunkeln. Stein -marder sind gute Kletterer: Sie können sich via Bäume oderstrukturierte Hauswände mühelos Zugang zu Dachstöckenverschaffen.

Biologie

Der Steinmarder schläft tagsüber oft in menschlichen Be-hausungen und ist vorwiegend dämmerungs- und nacht-aktiv. Er hält sich meistens am Boden auf, klettert aber zurNahrungssuche auch auf Bäume. Als Allesfresser ernährt sich der Steinmarder von Klein -säugern bis Kaninchengrösse, Beeren und Früchten, Vögelnund deren Eier sowie Aas. Seltener wurden Insekten, Re-genwürmer, Hühner oder Küchenabfälle im Kot nachge -wiesen.

Abb. 184 Der Kot des Steinmarders dient an auffälligenStandorten der Markierung seines Territoriums.(Foto: René Güttinger)

Page 148: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

147

Lebensraum

Ursprünglich ist der Steinmarder ein Felsbewohner. AlsKulturfolger lebt er heute auch in Dörfern und Grossstäd -ten. Er benötigt gut strukturierte Lebensräume mit vie lenVerstecksmöglichkeiten, ist aber sehr anpassungsfähig undwechselt regelmässig zwischen seinen verschiedenen Schlaf-plätzen. Verstecke findet er in Bauern höfen, Scheunen, Stal-lungen oder Häusern. Beliebte Unter schlüpfe sind unteranderem Heuböden, Dachstöcke, Reisighaufen, Brennholz-stapel, Wurzelteller umgestürzter Bäume, sowie Hecken-und Dornendickichte. Felsspalten, Steinhaufen und hohleBäume sind seine natürlichen Verstecke. Diese werdenniemals selber gebaut und so werden auch Erdbaue vonFüchsen genutzt. Marder lieben enge Nischen und richtenihr Nest im Estrich daher oft zwischen Dach und Isolationein. Zahlreiche Meldungen aus der Bevölkerung überMarderlärm in den Dachstöcken belegen die landesweiteVerbreitung innerhalb der Siedlungen.

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Früher wurde der Steinmarder wegen seines Fells gejagtoder weil er dem Hausgeflügel nachstellte. Sein Fell war al-lerdings weniger gefragt als das eines Baummarder, da esgrober und weniger dicht ist. Heute fallen Steinmarderimmer wieder dem Strassenverkehr zum Opfer, auch inLiechtenstein. Er wird bejagt, doch liegen keine genauenZahlen vor. Da ein Monitoring für Liechtenstein fehlt,können keine exakten Angaben über den Bestand gemachtwerden.

Denise Camenisch

Verbreitung

Der Steinmarder ist in Europa seit der letzten Eiszeit nach-gewiesen. Das heutige Vorkommen beschränkt sich aufMittel- und Südeuropa. Er fehlt auf den Britischen Inseln, Ir-land, Skandinavien, Island, im Norden Russlands sowie aufden meisten Mittelmeerinseln. Das Verbreitungsgebiet inAsien erstreckt sich von der Türkei südwärts bis Israel, gegenOsten hin von Iran bis nach China und wird im Norden vonKasachstan und der Mongolei begrenzt. Die Verbreitung istallerdings nicht flächendeckend. Gewisse Regionen werden sowohl von Stein- als auchBaummardern besetzt, jedoch werden oft unterschiedlicheLebensraumtypen genutzt. In diesen Gebieten ist derSteinmarder dem Baummarder zahlenmässig meist deutlichüberlegen.Der Steinmarder kommt in Liechtenstein fast flächen-deckend vor und wurde in allen Höhenlagen bis über dieWaldgrenze hinauf beobachtet. Aus Graubünden liegen Be-obachtungen von über 2400 m ü. M. vor (MÜLLER et al. 2010).

Page 149: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

148

Zur Paarungszeit von April bis Juli streifen die Männchen aufder Suche nach paarungsbereiten Weibchen weit umher.Durch eine Keimruhe bringt das Hermelinweibchen jedocherst im Frühling des darauf folgenden Jahres drei bis maximalzwölf Junge zur Welt. Diese wiegen nur drei Gramm undwerden rund sechs Wochen lang gesäugt. Die Weibchen sindnach rund drei Monaten geschlechtsreif, die Männchen erstnach etwa einem Jahr.

Hermelin (Mustela erminea)Ordnung: Raubtiere (Carnivora)Familie: Marderartige (Mustelidae)

Foto: Markus Stähli

Merkmale

Wie alle Marderartigen hat das Hermelin, auch Grosses Wieselgenannt, einen lang gestreckten Körper mit kurzen, kräftigenBeinen. Der kleine dreieckige Kopf mit den grossen, rundenOhren und schwarzen Knopfaugen und der lange Hals wer -den häufig senkrecht nach oben gehalten, und bilden mitdem Rest des Körpers einen rechten Winkel. Wohl ambekann testen ist das Hermelin in seinem reinweissen Winter -fell mit der schwarzen Schwanzspitze. Im Sommer hingegenfärbt sich das Fell in ein helles Braun um, ledi glich dieBauchseite bleibt hell gefärbt. Die Fellverfär bung ist somiteine Tarnanpassung an klimatische Lebensraumbedingungen,weshalb in milderen Gebieten Europas Hermeline ganzjährigbraunes Fell tragen, die hochnor dischen Populationen hin-gegen immer weiss gefärbt sind. Obwohl das Hermelin nichtselten ist, wird es aufgrund seiner geringen Körpergrösse undversteckten Lebensweise leicht übersehen. Unter den Marder-artigen ist nur das Mauswiesel kleiner als das Hermelin.Männchen sind mit bis zu 33 cm Kopf-Rumpflänge und rund360 g grösser und schwerer als Weibchen. Innerhalb desgrossen Verbreitungsgebiets variiert die Grösse des Herme linsbeachtlich. So sind Hermeline aus einigen alpinen Gebietennur halb so gross wie ihre Verwandten im Flachland.

Biologie

Das Hermelin ist vorwiegend tagaktiv, lediglich im Winterbevorzugt es nachts auf Beutezug zu gehen. Die Hauptnah -rung besteht aus Feld- und Schermäusen, wobei gele gent -lich auch ein junger Vogel oder grössere Insekten erbeutetwerden. Das Hermelin jagt bevorzugt entlang vonDeckungsstrukturen. Es schleicht sich an die Beute an undschlägt überraschend zu. Dabei verlässt es sich auf seinenguten Gehör- und Geruchssinn und stellt sich oft witterndauf die Hinterbeine. Aufgrund der starken Abhängigkeit desHermelins von Mäusen als Nahrung kann es lokal bei einemEinbruch oder einer Zunahme der Mäusepopulation zuerheblichen Bestandsschwankungen beim Hermelinkommen.

Abb. 185 Das Hermelin mit der typischen schwarzenSchwanzspitze. (Foto: Rainer Kühnis)

Page 150: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

149

Lebensraum

Das Hermelin ist in der Wahl seines Lebensraums nicht an-spruchsvoll. Es bevorzugt offene Landschaften mit hoherVege tation und reichlich Kleinstrukturen die Deckung bie -ten, wie Gräben, Stein- und Asthaufen, Hochstauden,Brachen, Altgrasbestände, Trockenmauern, Hecken und Ge-büschen. Nebst ausreichend Deckung ist ein hohes Nah -rungs angebot in Form von Scher- und Feldmäusen wichtig.

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Obwohl das Hermelin selbst ein Raubtier ist, hat es aufgrundseiner geringen Grösse zahlreiche natürliche Feinde. Greif-vögel, vom Bussard bis zum Adler, stellen dem Hermelintagsüber nach, während Uhu und Waldkauz nachts Gefahrbedeuten. Füchse und Dachse können ebenfalls Hermelineerbeuten. Der Strassenverkehr fordert schon heute zahlreiche Opferwobei durch die fortschreitende Zersiedlung der Landschaftdiese Gefahr noch zunehmen wird. Als Bewohner traditioneller Kulturlandschaften leidet es un-ter dem Verlust an Kleinstrukturen und einer grossflächigeinheitlichen landwirtschaftlichen Nutzung. Die intensiveLandwirtschaft und die daraus resultierende niedrige Wühl-mausdichte führen zudem zu einer ebenfalls niedrigen Her-melinpopulation.In Liechtenstein wird das Hermelin ganzjährig geschont, so-dass die Jagd, im Gegensatz zu früheren Zeiten in denen dasweisse Hermelinfell zur Pelzverarbeitung begehrt war, kei-nen Einfluss mehr auf die Populationsgrösse hat.

Rudolf Staub

Verbreitung

Das Hermelin ist holarktisch von Europa über Russland bisNordamerika einschliesslich Grönland verbreitet. Die Alpenund Pyrenäen bilden in Europa die südlichste Verbreitungs-grenze, während es im Norden weit über die Grenze desPolarkreises vorkommt. In Neuseeland wurde die Art zurMäusebekämpfung ausgesetzt und ist dort nun ein weit ver-breiteter Neozon mit schwerwiegenden negativen Aus-wirkungen auf die einheimische Fauna.In der Schweiz ist das Hermelin in allen geeigneten Lebens-räumen von der Talebene bis 3000 m ü. M. anzutreffen. Eskonnte in den letzten Jahrzehnten immer seltener beobach -tet werden. Genauere Untersuchungen dazu fehlen jedoch(www.wieselnetz.ch).Liechtenstein wird ebenfalls flächendeckend in geeigneten,offenen Gebieten besiedelt. Sowohl an Siedlungsrändernder Tallagen, als auch in Gebirgsregionen ist das Hermelin zubeobachten. Lediglich geschlossene Wälder werden ge mie -den.

Abb. 186 Das Aufstellen ist eine auffällige Verhaltens-weise des Hermelins. (Foto: Rainer Kühnis)

Abb. 187 Das Hermelin besiedelt alle geeigneten Lebens-räume von den Tief- bis in die Hochlagen.

2 01 Kilometer

Page 151: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

150

weisses Fell. Aufgrund dieser Umfärbung und einesunterschiedlichen Pigmentmusters zwischen Bauch- und Rü-ckenfärbung werden diese Tiere als Unterart Mustela nivalisnivalis anerkannt und Zwergwiesel genannt. Wohingegendie nicht umfärbenden Mauswiesel im Flachland undrestlichen europäischen Festland der Unterart M. n. vulgarisangehören. Wie bei allen Marderartigen sind auch beimMauswiesel die Männchen mit bis zu 19 cm Kopf-Rumpf -länge und bis 100 g Gewicht grösser und kräftiger als dieWeibchen. Südliche Populationen des Mauswiesels sindzudem noch weitaus grösser und schwerer als nördliche, undsie übertreffen teilweise sogar das Hermelin an Länge undGewicht.

Biologie

Das Mauswiesel ist weitgehend tagaktiv, nur während derWintermonate wechselt es in einen nachtaktiven Aktivitäts-rhythmus. Der hohe Energiebedarf, durch die Körperformund sehr aktive Lebensweise bedingt, zwingt die Mauswieselauch im Winter regelmässig aktiv auf Mäusejagd zu gehen.Das Mauswiesel ist ein spezialisierter Feldmausjäger(Microtus-Arten) und kann seiner Beute aufgrund desschlan ken, lang gestreckten Körpers sogar in deren Bauefolgen. Diese werden anschliessend häufig als eigene Ruhe-stuben genutzt. Da sich Mauswiesel oft unterirdisch auf-halten und fortbewegen, sind sie seltener zu beobachten alsdas Hermelin. Nebst Feldmäusen werden gelegentlich auchandere Mausarten, sowie Reptilien, junge Vögel und Insek -ten gefressen.

Mauswiesel (Mustela nivalis)Ordnung: Raubtiere (Carnivora)Familie: Marderartige (Mustelidae)

Foto: Pröhl/fokus-natur.de

Merkmale

Das Mauswiesel oder Kleines Wiesel ist das kleinste Raubtierder Erde. In Körperform und Verhalten ähnelt es demHermelin, bleibt jedoch meist kleiner und hat einenkürzeren Schwanz ohne schwarze Spitze. Bis auf die Farbeder Schwanzspitze ist das Sommerfell des Mauswiesels mitdem des Hermelins vergleichbar. Im Gegensatz zumHermelin färbt sich ein Teil der Population des Mauswieselsvor allem in den Niederungen jedoch im Winter nicht um,sondern ist ganzjährig hellbraun mit weisser oder gelblicherUnterseite. Ein Teil der Populationen in alpinen sowie jenein arktischen Regionen wechseln im Winter in ein rein

Abb. 188 Die geringe Grösse erlaubt dem Mauswiesel die Jagd in Mausgängen. (Foto: Pröhl/fokus-natur.de)

Page 152: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

151

Abb. 190 Das Mauswiesel hat zahlreiche Feinde und istsehr scheu. Entsprechend ist es nur schwer zu beobachten.Über seine Verbreitung ist in Liechtenstein daher nur wenig bekannt. (Foto: Pröhl/fokus-natur.de)

Abb. 189 Das Mauswiesel ist schwierig zu beobachten und es liegen daher kaum Nachweise vor. Es dürfte aber ingeringerer Dichte im ganzen Land vorkommen.

2 01 Kilometer

Lebensraum

Das Mauswiesel ist in der Wahl seines Lebensraums weniganspruchsvoll. Sowohl Tallagen als auch alpine Gebietewerden besiedelt, sofern ausreichend deckungsreichesGelände vorhanden ist. Lichte Wälder, Waldränder, Hecken-landschaften, Wiesen, Weiden und sogar grössere Gärten imSiedlungsbereich werden bei ausreichender Beutedichte be-wohnt. Bei der Beutesuche werden oft Kleinstrukturen wieTrockenmauern, Hecken, Gräben, Asthaufen oder Wiesen-streifen genutzt.

Gefährdung und Schutzmassnahmen

In vielen Regionen scheint der Bestand rückläufig zu sein.Hauptgefährdungsursache ist die intensive, flurbereinigen-de Landwirtschaft und der damit einhergehende Lebens-raumverlust. Aufgrund seiner geringen Grösse hat das Maus-wiesel zahlreiche natürliche Feinde wie Greifvögel, Eulen,Störche, Reiher, Schlangen, Füchse, Hauskatzen, Dachse undandere Marderartige. In der Schweiz gilt das Mauswiesel als gefährdet. Für Liech-tenstein ist die Datenlage für eine Beurteilung ungenügendund eine gezielte Erforschung der Mauswieselbestände not-wendig. Die Unterscheidung vom Hermelin ist zudem imFeld nicht einfach.

Rudolf Staub

Im Gegensatz zu den anderen Marderartigen hat das Maus -wiesel ganzjährig Paarungszeit. In Jahren mit hoher Feld-oder Wühlmausdichte kann es somit auch zu zwei Würfenvon je vier bis sechs Jungen kommen. Das Mauswiesel istdaher in der Lage, Bestandsreduktionen in schlechtenMäusejahren rasch auszugleichen. Die durchschnittliche Lebenserwartung beträgt aufgrundvon Parasiten, Krankheiten, Nahrungsmangel und natür li -chen Feinden nur rund ein Jahr. Das Höchstalter liegt beifünf bis sechs Jahren.

Verbreitung

Das Mauswiesel hat weltweit ein grosses Verbreitungsgebietvon der Nordostspitze Afrikas über ganz Europa, Nordasienund Russland bis Nordamerika. Es fehlt auf Grönland, Island,und Irland.In der Schweiz werden alle geeigneten Lebensräume bis in2500 m ü. M. besiedelt. Die wenigen Beobachtungen aus Liechtenstein stammen ausRuggell, Schaan, Balzers und Malbun, wobei auch hier an-genommen werden kann, dass das Mauswiesel in geringerDichte flächendeckend in geeigneten Gebieten im ganzenLand vorkommt.

Page 153: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

152

Iltismännchen, die weitaus grösser werden als die Weibchen,können ein Gewicht von 1.7 kg erreichen und damit ähnlichschwer wie Baum- und Steinmarder werden. Der Körper desIltis ist mit bis zu 46 cm jedoch kürzer, wodurch er plumperwirkt als andere Marderartige. Die typische Körperhaltungmit gekrümmtem Rücken und die verhältnismässig langsameFortbewegungsweise unterscheiden ihn zusätzlich vonWiesel und Marder.

Biologie

Der einzelgängerische Iltis ist vorwiegend dämmerungs- undnachtaktiv. Den Winter verbringt er in einem warmen Ver-steck, häufig in Gebäuden, Kellern oder Bauten andererTiere.Iltisse ernähren sich von kleinen Wirbeltieren wie Wühl -mäusen, Spitzmäusen, jungen Vögeln, Reptilien und totenFischen. Hauptbeutetiere sind vielerorts jedoch Frösche undKröten. Gelegentlich werden auch Vogeleier, Insekten undAbfälle gefressen. Typisch für den Iltis ist, dass er sich inner-halb eines Teilgebiets seines Reviers zeitlich begrenzt auf-hält, dort die Nahrungsressourcen ausschöpft und an-schliessend in ein neues Gebiet weiterzieht. Auch legt derIltis Nahrungsdepots in seinen Verstecken an. Findet manAmphibienlaich ausserhalb des Wassers, so ist der Prädatorhäufig der Iltis, der den Laich liegenlässt und nur die «bes-seren Stücke» frisst.Die Paarungs- oder Ranzzeit findet von April bis Juni statt.Während der ruppigen Paarung verbeisst sich das Männchenim Nacken des Weibchens. Nach etwa 40 bis 42 Tagen Trag-zeit werden drei bis zehn Junge geboren die zunächst nackt

Iltis (Mustela putorius)Ordnung: Raubtiere (Carnivora)Familie: Marderartige (Mustelidae)

Foto: Leo/fokus-natur.de

Merkmale

Der Iltis ist durch seinen domestizierten Verwandten, demFrettchen, weit bekannt. Von allgemein Marder-ähnlicherGestalt fällt der Iltis durch seinen kürzeren Schwanz und diekleineren Ohren auf. Zudem ist er aufgrund seiner auffäl-ligen Fellfärbung und Gesichtsmaske mit keinem anderenMarderartigen zu verwechseln. Das Fell ist dunkelbraungefärbt, jedoch mit heller Unterwolle die vor allem an denFlanken einen gut sichtbaren Kontrast zum dunklen Deck-haar bildet. Noch kontrastreicher und unverwechselbarer istder Kopf des Iltis. So hat er eine dunkle Augenbinde dieoberhalb, seitlich, und zur Nasenspitze von weissem Felleingerahmt ist. Die Ohrspitzen sind ebenfalls weiss.

Abb. 191 Die helle Unterwolle und die Gesichtsmaske machen den Iltis unverwechselbar. (Foto: Pröhl/fokus-natur.de)

Page 154: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

153

Abb. 192 Vom Iltis gibt es nur wenige Zufallsbeobachtun-gen.

2 01 Kilometer

Tessin und in den Alpen bis 1300 m Höhe. Hochgelegene Gebiete werden nur besiedelt, wenn Gebäude als Winter -ruhe plätze zur Verfügung stehen. Beobachtungen aus Liechtenstein deuten darauf hin, dassder Iltis in den Tallagen von Ruggell bis Balzers vorkommt. InTriesenberg ist der Iltis selten, bei Beobachtungen aushöheren Lagen handelt es sich wahrscheinlich um um-herziehende Einzeltiere. Noch in den Jagdstatistiken zwischen 1955 und 1970 wurdeninsgesamt 30 Tiere erlegt, 1971 allein sechs Exemplare. DerSchwerpunkt der erlegten Tiere lag in Balzers und inRuggell. 1928 werden drei Exemplare auf Gaflei-Gafadurageschossen. Am 22.8.1977 wurde ein Iltis mit Jungtieren inder Naturanlage im Haberfeld (Vaduz) gesehen (mündl.Mitt. Viktor Amann, Vaduz).

Lebensraum

Wie der Name «Waldiltis» vermuten lässt, lebt der Iltis gernein feuchten Wäldern. Häufig bewohnt er jedoch auch grosseGärten, Parks, Waldränder und Heckenlandschaften inGewäs ser nähe und Feuchtgebiete mit reichen Amphibien-vorkommen. Offene, strukturlose Landschaften werdengemieden.Da der Iltis im Gegensatz zu Baum- und Steinmarder schlechtklettert, sucht er sich seine Tages- und Winterverstecke amBoden. Dies können Stein- und Asthaufen, Bauten andererTiere oder dichte Hecken sein.

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Wie bei den meisten Marderartigen fallen viele Iltisse demStrassenverkehr zum Opfer. Der Verlust von Feuchtgebietenund das damit einhergehende Verschwinden von Amphibienhaben in der Vergangenheit zu einem bedeutenden Bestan-desrückgang geführt. Seit Feuchtgebiete besser geschütztund teils revitalisiert werden, erholten sich auch der Amphi-bien- und damit der Iltisbestand. Umweltgifte, die sich inden Beutetieren des Iltis anreichern, können zu Sterilitätführen und daher ebenfalls bestandsbedrohlich sein.Natürliche Feinde des Iltis sind vor allem Uhu, Fuchs, Dachs,und grosse Greifvögel. Hauskatzen und Hunde können zu-dem vor allem jungen Iltissen gefährlich werden. Der Iltis gilt in der Schweiz aufgrund abnehmender Bestän-de als gefährdet. Für Vorarlberg liegen nur ungenügend Da-ten für eine Beurteilung vor (SPITZENBERGER 2006). Für Liech-tenstein reichen die Daten für eine Beurteilung ebenfallsnicht aus, ein Projekt zur Erfassung des Bestandes wäre ent-sprechend notwendig.

Rudolf Staub

und blind sind, aber nach etwa 30 Tagen die Augen öffnenund mit drei Monaten selbstständig werden. Obwohl Iltisseein A<lter von sieben Jahren erreichen können, liegt diedurchschnittliche Lebenserwartung bei zwei bis drei Jahren.Die Sterberate bei Jungiltissen im ersten Lebensjahr ist mit70-90% beachtlich hoch. Der Iltis wurde schon vor über 2’000 Jahren zur Jagd aufKaninchen eingesetzt. Durch selektive Zucht entstand so diedomestizierte Form des Iltis, das Frettchen, das als eigeneUnterart (Mustela putorius furo) anerkannt wird. Nochheute wird das Frettchen gelegentlich zur Jagd auf Kanin-chen genutzt, indem es in einen bewohnten Bau einge-schleust wird und die Kaninchen zur Flucht bewegt. Ebensoist das Frettchen heutzutage als Haustier mit verschiedenenZuchtformen beliebt.

Verbreitung

Der Iltis ist in fast ganz Europa, von Portugal im Westen biszum Ural im Osten, verbreitet. Er fehlt in Nordskandinavien,Irland, dem südlichen Balkan und den Mittelmeerinseln. Einisoliertes Vorkommen existiert im Norden von Marokko.In der Schweiz befinden sich regelmässige Vorkommen imMittelland zwischen Genf und Bodensee, sowie im Jura,

Page 155: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

154

die Ansatzfläche der Kaumuskeln. Zusammen mit einemfesten Scharnier am Kiefergelenk ermöglicht dies eineenorme Beisskraft.Der Dachs ist mit seinen kleinen Augen und Ohren sowieden kräftigen Vorderpfoten bestens an ein Leben unter demBoden angepasst. Zwischen den Geschlechtern gibt es keineauffälligen äusserlichen Unterschiede.

Biologie

Von Februar bis Mai dauert die Paarungszeit, oft verlängertvon Juli bis Oktober. Dachse weisen eine verlängerte Trag-zeit auf, bedingt durch eine Keimruhe und eine verzögerteEinnistung des Keims in die Gebärmutterschleimhaut imDezember/Januar. Die effektive Tragzeit beträgt lediglich 45Tage. Im Februar/März bringt die Fähe zwei bis fünf blindeJunge zur Welt. Deren Fell ist schmutzigweiss und weistnoch eine undeutliche Kopfzeichnung auf. Nach etwa achtWochen verlassen die Jungen den Bau zum ersten Mal. Abder 10.-12. Woche beginnt die Mutter die Jungen zu ent-wöhnen und ab dem 5. Monat ernähren sich die Jungtiereselbständig. Im Alter von 12-15 Monaten sind die Tiere ge-schlechtsreif. Das bisher festgestellte Höchstalter beträgt 16Jahre, das Durchschnittsalter etwa vier Jahre. Der Dachs ist ausschliesslich dämmerungs- und nachtaktiv,wobei der genaue Zeitpunkt des Verlassens des Baues derTageslänge angepasst wird. Den Tag über ruht oder schläfter im selbst gegrabenen Bau, «Dachsburg» genannt. Dieserzeichnet sich durch mehrfache geräumige Höhlengänge undWohnkammern, deutliche Auswurfhügel und durch fest-getretene, regelmässig benutzte Eingänge aus. Er kann überGenerationen hinweg genutzt und ausgebaut werden.Grosse Erdbaue werden oft gemeinsam mit Füchsen be-

Dachs (Meles meles)Ordnung: Raubtiere (Carnivora)Familie: Marderartige (Mustelidae)

Foto: Markus Stähli

Merkmale

Der Dachs ist der grösste Vertreter der Marderartigen in Eu-ropa mit einer Kopf-Rumpf Länge von bis zu 90 cm. Seinmarkantestes Merkmal sind die kontrastreichen schwarz-weissen Längsstreifen am Kopf. Die rüsselartige Schnauzeunterstützt das Stochern nach Nahrung im Boden. DerKörper ist kräftig und wirkt plump. Ein Dachs kann je nachAlter und Jahreszeit 9 bis 18 kg schwer werden. Sein Fellsetzt sich aus borstigen, schwarz-weiss gestreiften Grannen-haaren und weissen Wollhaaren zusammen. Kehle, Bauchund Beine sind gänzlich schwarz. Im April/Mai und Sep tem -ber/Oktober findet der Fellwechsel statt. Die Extremitätensind kurz und stämmig und die Vorderfüsse sind mit starkenKrallen zum Graben und für die Nahrungssuche bestückt.Ein Knochenkamm entlang des Hinterschädels vergrössert

Abb. 193 Markant ist die Kopfzeichnung des Dachses und der gedrungene Körperbau. (Foto: Xaver Roser)

Page 156: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

155

Abb. 194 Angaben zur Lage von Dachsbauten in Liechten-stein nach Umfrage bei Jägdpächtern und Jagdaufsehern2010 sowie Sichtungen.

Dachs

Dachsbauten

Sichtungen

2 01 Kilometer

Mittelmeerinseln) und im gemässigten Asien bis Japan. Inder Schweiz wurden Dachse bis in einer Höhe von 2300 m ü.M. nachgewiesen. Die Kenntnis über die Verbreitung in Liechtenstein beruhtauf Angaben gebietskundiger Jäger und Jagdaufseher. DerDachs kommt über das ganze Land verteilt vor, vom Eschner-berg im Norden über die Landwirtschaftsgebiete imTalraum, die rheintalseitigen Hanglagen bis in den Bereichder oberen Waldgrenze. Noch in den 1960er-Jahren wurden 10 bis 20 Tiere jährlichgemäss Jagdstatistik erlegt. Insbesondere die Begasung derBauten gegen die Tollwut zu Beginn der 1970er Jahre hatteden Dachs stark betroffen.Dachsbaue wurden im Talraum in ausgetrockneten ehe -maligen Entwässerungsgräben mit Begleitgehölzen, in Feld-gehölzen, Windschutzstreifen und Auenwaldbeständen vorgefunden. In günstigen Lebensräumen, wo landwirt-schaftliche Kultur und Alpwirtschaft in der Nähe sind (z.B.Eschnerberg), sind 1-2 Baue/km2 vorhanden. Im Gebirge sindDachsbaue in geringerer Häufigkeit als in Talnähe. Derhöchste Dachsbau wurde im Guschgfieler Täle in einer Höhevon rund 1800 m ü. M. nachgewiesen.

Lebensraum

Der Dachs ist relativ anspruchslos und gut anpassungsfähigund findet seinen Lebensraum überall wo Gehölzbeständeund landwirtschaftliche Kulturen oder Weiden neben-einander liegen. Die Erdbaue werden am Waldrand oder inder Nähe von Wiesen und Feldern errichtet (oft an einemHang), an Standorten mit trockenem, sandigem Boden undoft durchklüftetem Blockschutt. Feuchtgebiete werden inder Regel gemieden. Auf offenen Ackerflächen werden hinund wieder Sommerbaue in der Form von Fluchtröhren an-gelegt.

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Der Dachs ist in Liechtenstein nicht gefährdet. Er wird wederwegen seines Felles gejagt, wie der Fuchs, noch wegen desFettes oder des Fleisches. Dachs- und Fuchsfleisch sindgeniessbar und schmackhaft und wurden nach Aussageälterer Liechtensteiner Jäger in früheren Zeiten auch hinund wieder zubereitet («Fuchs- oder Dachsschmaus»), heuteist dieses Fleisch jedoch aus der Mode gekommen. Ausserdem Menschen hat der Dachs kaum Feinde, lediglich Jung-tiere können von anderen Raubtieren und dem Steinadlererbeutet werden. Die zur Bekämpfung der Tollwut durch-geführten Begasungsaktionen in den Jahren 1984 - 1988haben damals auch die Dachsbestände dezimiert. Heutewerden die Bestände vereinzelt durch den Strassenverkehrund die Jagd und in neuster Zeit durch den Staupevirus (7 bestätigte Todesfälle im Jahr 2009) beeinflusst. Genau Bestandesaufnahmen sowie eine nachgeführte Jagdstatistikfehlen für Liechtenstein.

Denise Camenisch

wohnt. Dachse halten keinen echten Winterschlaf, sonderneine Winterruhe mit nur mässig reduziertem Stoffwechsel,das heisst, dass er bei milder Witterung immer wieder aktivwird und den Bau verlässt. Der Dachs ist ein Allesfresser, wobei der Speiseplan je nachGebiet und Jahreszeit variiert. Die Nahrung setzt sich aus Re-genwürmern, Insekten wie Käfern und Wespenlarven,Schnecken, Amphibien, reifen Früchten, Beeren, Wurzelnund gelegentlich auch Feldfrüchten wie z.B. Mais zusam -men. Regelmässig raubt der Dachs Mäuse- oder Vogel nesterbodenbrütender Arten aus. Territorien werden besetzt, aber nur bei hohen Be-standesdichten verteidigt. Territorien und Baue werden mitKot markiert, der in kleine offene bis zu 15 cm tiefe Grubengelegt wird. Dachse wurden lange als Einzelgängerbezeichnet, was aber nur für die Nahrungssuche zutrifft. Inden Bauen leben sie in Familienverbänden. Die Gruppen-grösse und das Sozialverhalten werden stark von Habitat-verhältnissen und dem Nahrungsangebot beeinflusst.

Verbreitung

Unser Dachs ist in ganz Europa verbreitet (ausser im nörd -lichen Teil Skandinaviens und Russland, sowie den meisten

Page 157: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

156

men ragen Kopf und Hals aus dem Wasser, der restlicheKörper liegt unter Wasser. Der Fischotter frisst das, was amleichtesten erbeutet werden kann. Das sind Fische, Vögel,Ratten, Frösche, Krebse. Die Hauptpaarungszeit liegt imFebruar/März und die Tragzeit beträgt 58-62 Tage. Dannwerden ein bis vier Junge geboren, die bei Geburt blind sind.Die ersten Schwimmversuche unternehmen sie ab der sechs -ten Lebenswoche. Sie bleiben in der Regel vierzehn Monatein der Nähe der Mutter, um von ihr die Jagd zu lernen.Weibliche Fischotter pflanzen sich in ihrem dritten Lebens-jahr fort. Sie leben durchschnittlich acht bis dreizehn Jahre.

Verbreitung

Der Fischotter findet sich fast in ganz Europa und er kommtauch in Asien inkl. Japan sowie in Nordafrika vor. Im Gebirgeerreicht er Höhen bis 2‘500 m. Innerhalb des Verbreitungs-gebietes ist er jedoch in vielen Gebieten ausgestorben oderbedroht. Der Fischotter hatte lange einen schlechten Ruf. Als Fisch-räuber wurde er überall verfolgt. Seine Ausrottung wurdedurch staatliche Prämien gefördert. So steht in den Wald-amtskosten des Fürstentums Liechtenstein für das Jahr 1814,dass ein «Schuslohn» von drei Gulden für Lux, Fischotter undBiber ausgegeben wurde. Das Jahrbuch des Fischereivereins für Vorarlberg vermerkt inder Zeit von 1888-1916 die Erlegung von Fischottern, wobeials Fangort gelegentlich Bludesch und Bregenzerwald ge-nannt werden (SPITZENBERGER 2006). Nach der gleichen Quellesoll noch 1928 ein Fischotter im Montafon erlegt wordensein. Der liechtensteinische Rechenschaftsbericht des Jahres

Fischotter (Lutra lutra)Ordnung: Raubtiere (Carnivora)Familie: Marder (Mustelidae)

Foto: Markus Stähli

Merkmale

Der Fischotter ist ein an das Wasserleben angepasster Mar -der. Er wird einschliesslich Schwanz etwa 130 Zentimeterlang und bis zu 12 kg schwer. Der Körper wirkt gestreckt undwalzenförmig und die Beine sind kurz. Die Zehen sind mitSchwimmhäuten verbunden. Der Pelz bietet eine besonderswirkungsvolle Isolation gegen Kälte und Nässe.

Biologie

Der Fischotter ist anpassungsfähig, tag- und nachtaktiv, undein ausgezeichneter Schwimmer und Taucher. Beim Schwim -

Abb. 195 Der langgestreckte Körper erlaubt dem Fischotter die schnelle Unterwasserjagd. (Foto: Leo/fokus-natur.de)

Page 158: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

157

Abb. 196 Spuren des Fischotters.(Foto: Pröhl/fokus natur.de)

im Wald- und Mühlviertel und in Ostösterreich. Aus diesenKernpopulationen heraus besiedelt der Fischotter zuneh-mend wieder alle Bundesländer, mit bisheriger Ausnahmevon Vorarlberg.

Lebensraum

Sein bevorzugter Lebensraum sind flache Flüsse und Über-schwemmungsebenen. Er kommt in allen Arten von Süss-wasser-Lebensräumen zurecht, solange die Gewässer klarund fischreich sind und ausreichend Versteckmöglichkeitenentlang der Ufer bieten. Seine Anwesenheit verrät er amehesten durch gut getarnte Ausstiege am Ufer, demOtternkot sowie Beuteresten. Auf schlammigem Untergrundoder im Schnee sieht man die Trittsiegel wie auch die Schleif-spur des Schwanzes.

Gefährdungssituation und Schutzmassnahmen

Die massive Verfolgung des Fischotters als «Fischerei schäd -ling», die einsetzenden Flussregulierungen und die Melio ra -tion der Feuchtgebiete schränkten den Lebensraum des Ottersmassiv ein. Die Belastung der Nahrung mit polychlo rier tenBiphenylen wirkte sich nachteilig auf die Reproduk tion aus. Die Revitalisierung von Fliessgewässern kann dazu bei tra -gen, dass sich die Fischbestände in den Gewässern wiedererhöhen. Denn nur fischreiche Gewässer können eine Otter -popu lation ernähren. Das Beuteangebot ist die entschei den -de Lebensraum-Ressource. Eine Studie im Auftrag derStiftung Pro Lutra 2007/2008 zeigt, dass sich die Liechten-stein am nächsten liegenden Fischotter popu la tio nen in derSteiermark (A) und in der Region Lyon bis Hochsavoyen amAusbreiten sind. Zwei Populationen im Piemont im Ticinotalund im Elsass sind auf illegale Aussetzungen zurückzuführenund scheinen stabil zu sein. Die Beobachtungen in denOstalpen zeigen, dass sich Fischotter entlang der Verbrei -tungs achsen sprunghaft mit Überspringen wenig geeigneterGewässer bewegen. So konnte im Jahre 2007 ein Fischotterim Raum Innsbruck beobachtet werden. Im Rahmen einer automatischen Videoüberwachung desFischaufstiegs in der Fischtreppe des Kraftwerkes Reichenauam Alpenrhein wurde anfangs Dezember 2009 mehrmals einFischotter festgestellt. Ob es sich beim beobachteten Fisch-otter um ein natürlich zugewandertes Individuum oder umein aus einer Haltung entflohenes Tier handelt, kann nichtgesagt werden. Eine natürliche Fischotter-Einwanderung inunsere Gegend wird am ehesten über den Inn erwartet (ProLutra Otterpost Juli 2008). Es gibt Experten, die behauptendie Art sei in der Schweiz wieder heimisch. Damit werdennicht nur die auftauchenden Einzeltiere im Neuenburger Seeund Murtensee gemeint, es leben auch drei Fischotter in derAare und im Wohlensee. Sie sind teils Nachkommen einesOtterpärchens, welches 2005 aus dem Tiergarten Dählhölzlientfloh (Andreas Six, NZZ am Sonntag 23. Mai 2010, Fisch-otter zurück in der Schweiz? CH-Wildinfo Nr.3/Juni 2010).

Mario F. Broggi

1926 ist der letzte, der einen erlegten Fischotter ausweist.Seitdem dürfte der Fischotter nur mehr Durchzügler imLande gewesen sein und wir haben seit dieser Zeit nur mehrungesicherte Angaben. So sollen 1946 seine Spurenzwischen Sevelen und Balzers am Rhein gesehen wordensein (VON LEHMANN 1956). KREBSER (1959) erwähnt eine letzteBeobachtung im Jahre 1951 bei Bad Ragaz. Am 12. Januar1963 fand Prinz Hans von Liechtenstein (briefl. Mitt. an vonLehmann) einen frischen Austritt eines Fischotters aus demGampriner Seelein. 1968 soll er von einem Ruggeller Jägeram Mühlbach beim Zollhaus gesehen worden sein (BROGGI

1970). Der Botaniker Dr.Josef Aregger, Konservator am Na -tur museum in Luzern, meinte zwei Exemplare im Sep tember1974 im Ruggeller Riet gesehen zu haben (damals persönl.Mitt. an den Autoren). Eine mediale Umfrage der Stiftung Pro Lutra und desBündner Naturmuseums im Jahre 2001 zeigte, dass bis in die1960-er Jahre Fischotterbeobachtungen am Bündner Vor-derrhein vorkamen. Eine letzte Beobachtung stammte ausdem Vorderrhein zwischen Ilanz und Disentis aus dem Jahre1975. Bis in die jüngste Zeit sollen Beobachtungen aus demRaum Schynschlucht/Lenzerheide gemeldet worden sein.Der ursprünglich in ganz Mitteleuropa beheimatete Fisch-otter starb somit in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundertsan den meisten Orten aus, der letzte offizielle Nachweis derSchweiz am Neuenburgersee datiert auf das Jahr 1989. InMitteleuropa gibt es noch grössere Bestände in Tschechien,im Osten Deutschlands und Restpopulationen in Nord-hessen, im Bayerischen Wald sowie in Österreich, vor allem

Page 159: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

158

Verbreitung

Der Wolf war in ganz Europa und Asien bis nach Nordafrikasowie in Nordamerika beheimatet. In weiten Teilen diesesVerbreitungsgebietes, besonders im westlichen Europa undin Nordamerika, wurde die Art durch Verfolgung aus-gerottet. In Osteuropa und auf dem Balkan gibt es noch zu-sammenhänge Populationen. Ansonsten ist der Wolf heutein Europa nur mehr in isolierten Beständen anzutreffen. Der Wolf war in früheren Zeiten auch in unserer Gegendflächendeckend vertreten. In den neolithischen Stationen imAlpenrheintal tritt der Wolf auf, weil ihm schon damalsnachgestellt wurde. Man nimmt allerdings an, dass der Wolfdamals kein eigentliches Jagdtier war, sondern er nur ge tö -tet wurde, wenn er zur Winterszeit «lästig wurde» (HART -MANN-FRICK 1959). In den ausgewerteten Tierresten der BurgHohensax bei Sennwald (SG) von anfangs 13. bis Mitte 15. Jh(WÜRGLER 1956) wurden Reste von vermutlich sechs Indivi -duen gefunden. Der Wolf wird in der Embser Chronik 1616für die Gegend von Bludenz als Standwild erwähnt. Auch fürden Wolf werden Schussgelder ausbezahlt, so beispielsweisegemäss Seveler Gemeinderechnung erhielt ein Nolly Forerim Jahre 1650 als «Wolfsköstig Schussgeld von fl.6.10batzen» (WÜRGLER 1956). Aber bereits STEINMÜLLER (1821)schreibt «Die Wölfe flössten in den älteren Zeiten in allennördlichen Gegenden durch ihre grosse Menge, durch ihrereissende Art und Stärke, durch den unter Herden undMenschen erregten grossen Schaden vorzügliche Furcht undSchrecken ein». Er erwähnt auch, dass zu Conrad GessnersZeiten (im 16. Jh.) im Rheintal des Kantons St.Gallen nebender gewöhnlichen Art auch noch schwärzliche, grössere undstärkere als die Gemeinen vorgekommen seien. «Wahr-scheinlich ist keine Art von Raubthieren so lange durch dieganze Schweiz verbreitet gewesen, und nachdem es mit sei -ner Vertilgung Ernst galt, aus dem grössern Theile desSchweizerlandes so schnell vertilget worden, als - der Wolf.»Noch in der Mitte des 18. Jahrhunderts fand er sich in deröstlichen Schweiz überall (Nachtrag von G.L.Hartmann inStein müller, 1821). Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts werden die Nach-richten über den Wolf sehr spärlich. TIEFENTHALER (1941)erwähnt die Klagen der Alpgenossen der Alpen Formarin,Radona und Taunleger, zu Nüziders gehörend, aus demJahre 1821, dass dort ein Wolf sein Unwesen treibe. Einen alten Wolfs-Hinweis erhalten wir auch aus Liechten-stein. Im Vertrag zwischen Kaiser Maximilian I und GrafRudolf von Sulz anno 1515, in welchem die Grenze zwischender Grafschaft Sonnenberg und der Herrschaft Vaduz fest-gesetzt wurde, findet auch die Jagd Erwähnung (LEUPRECHT

1917). Da heisst es «Dann der Hirsch halben, so vor etlichenJahren in Schanwald von Wölfen niederlegen ist... ». Den vor-läufig letzten Hinweis für Liechtenstein erhalten wir durcheinen im Liechtensteiner Landesarchiv aufgefundenen Briefaus dem Jahre 1812 des Landgerichtes Sonnenberg an dasbenachbarte Oberamt in Vaduz (SCHALLERT 1992): «in demSaminathal des Gemeindebezirkes Frastanz diesseitigenLandgerichts wird seit einiger Zeit ein Wolf verspürt, derschon dermalen dem Wilde schädlich wird, und in der Folgebey dem Auftribe des Viehs in den Alpen noch gefährlicher

Wolf (Canis lupus)Ordnung: Hunde (Canidae)Familie: Raubtiere (Carnivora)

Foto: Markus Stähli

Merkmale

Der Wolf ähnelt einem Deutschen Schäferhund, wobei derRumpf etwas länger ist. Der Kopf ist relativ markant und dieStirn breit, die Ohren sind eher kurz. Die Färbung istvariabel, von weissen bis zu schwarzen Wölfen, in unserenBreiten ist er am ehesten grau. Die grössten Wölfe erreicheneine Kopfrumpflänge von bis zu 160 cm, wobei der Schwanzzusätzlich 50 cm lang ist. Wölfe können ein Gewicht bis zu80 kg haben. In einigen Fällen ist die Unterscheidung zumHaushund schwierig. Wölfe tragen den Schwanz meistwaagrecht, Hunde oft aufrecht. Am Schädel lassen sich diemeisten Unterschiede erkennen, dies betrifft die Augen-höhle, die Ohrmuschel, die Form des Unterkiefers etc.

Biologie

Im Gegensatz zu Haushunden bekommen Wölfe nur einmaljährlich Nachwuchs. Die Paarungszeit fällt in den Spätwinter,wobei die Tragzeit rund 65 Tage beträgt. Vor der Geburt derJungen wird im Normalfall eine Erdhöhle gegraben. In einemWurf befinden sich ein bis zwölf, in der Regel vier bis sechsJunge. Die Augen öffnen sich nach elf bis zwölf Tagen, siewerden bis in die 6.-8. Woche gesäugt. Die normale Sozial-ordnung des Wolfes ist das Rudel. Es besteht aus den Eltern-tieren und deren Nachkommen. Sie werden mit zwei Jahrengeschlechtsreif und verbleiben bis dann bei den Eltern. MitErreichen der Geschlechtsreife wandern die Jungwölfe ausdem Territorium ab und suchen ein eigenes Revier. Die Grössedes Reviers definiert sich über das Beuteangebot und reichtvon einigen Dutzend bis zu 10’000 Quadratkilometern. AusMitteleuropa liegen bisher Werte aus Polen vor, wo die Re-viergrössen 150-350 km2 umfassen, was ein- bis zweimal derGrösse Liechtensteins entspricht. Grundnahrung des Wolfes bilden mittelgrosse bis grossepflanzenfressende Säugetiere. Auch kleinere Säugetiere wer -den erbeutet. In der Nähe des Menschen schlagen sie auchSchafe, allenfalls junge Rinder, Haushunde und Hauskatzen.Der Wolf nimmt auch Aas und Abfälle an. Freilebende Wölfefressen vier bis acht Kilogramm Fleisch täglich.

Page 160: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

159

französischen und schweizerischen Wölfe Abkömmlinge deritalienischen Population sind. Inzwischen sind jeweilseinzelne Wölfe im Wallis, Tessin, Berner Oberland, Zentral-schweiz und Graubünden nachgewiesen worden. Die nächs -ten Nachweise stammen aus dem Prättigau im Gebiet derSchesaplana vom Sommer 2009. Bereits im Frühling 2009 sollauf dem Äbigrat auf der Maienfelder Alp Wolfkot gefundenworden sein. Diese Beobachtungen sind nur 10-15 km vonder liechtensteinischen Grenze entfernt. Diese Tiere unternehmen auch weite Wanderungen. Es ist al-so wahrscheinlich, dass auch in Liechtenstein bald einmal einWolf auf der Wanderung vorbeischaut.

Lebensraum

Aufgrund seiner grossen Anpassungsfähigkeit kann derLebensraum nicht eindeutig beschrieben werden. Die meis -ten Wölfe bewohnen Grasland und Wälder. Wichtig für denBeutegreifer ist ein genügend grosses Nahrungsan ge bot. Siekönnen so in unmittelbarer Nähe von Men schen leben, wo -bei ein idealer Lebensraum auch ungestörte Rückzugsräumeaufweist. Sie leben meist unter 1500 m ü. M.

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Der Wolf gilt in gewissen Kreisen als Erzfeind des Menschenund wird teils gnadenlos verfolgt. Es ist dadurch sehr schwie -rig, ein friedliches Nebeneinander zwischen Viehzüchternund dem Wolf zu erreichen. Wölfe werden als umso gefähr-licher eingestuft, je weiter entfernt die befragte Bevöl ke -rung vom Wolfsgebiet wohnt (Italien) (EHRENBOLD 2006).Natur schutzarbeit kann auf Dauer nicht gegen die Inte res -sen der heimischen Bevölkerung arbeiten. Sie muss ver-suchen, die Mehrheit der Bevölkerung auf ihre Seite zubringen. Dies kann durch Vorlage alternativer Entwicklungs-pläne, durch Aufklärung, Entschädigung oder Prä ven tiv -mass nahmen erreicht werden (ZIMEN 1979). Der Wolf ist in Liechtenstein kein jagdbares Tier und damit istsein Abschuss nicht erlaubt. Er ist nach der Berner Kon-vention zur Erhaltung der europäischen wild lebendenPflanzen und Tiere europaweit in 45 Staaten rechtlich strenggeschützt, so auch in Liechtenstein. Ebenso erscheint er inder Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie der EU, wo sein beson de -rer Schutz und die Ausweisung geeigneter Lebensräume ver-langt werden. Die Schweiz hat im Jahre 2009 seine Rück-stufung in der Berner Konvention verlangt, mit derBegründung seiner grossen Schadwirkung in Schafherden.Auch wir in Liechtenstein haben eine unkontrollierte Schaf -be weidung, z.B. in den oberen Lagen des Lawenatals. Eineunkontrollierte Schafweide ist auch aus ökologischenGründen sehr fragwürdig. Wo die Behirtung und Be wach ungdurch Hunde vollzogen wird, sind Schadfolgen weitausgeringer. Liechtenstein muss sich entsprechend auf dieAnkunft des Wolfes vorbereiten. Die Studie über die «Söm -me rung von Schafen im Fürstentum Liechtenstein» (STADLER

2003) ist im Hinblick auf mögliche Wolfspräsenzen zu über-arbeiten.

Mario F. Broggi

werden kann. Nach der Angabe des in Frastanz aufge stell tenBaron Sternbachischen Grossjägers soll dieses Raubthier be-ständig über die Grenzen zwischen dies- und jenseitigen Ge-biete wechseln, wodurch seine Vertilgung erschwert wird.Nur durch ein gemeinsames Zusammenwirken kann den wei-teren Verherungen dieses Thiers vorgebeugt werden, undman sieht sich daher aufgefordert, das Wohllöbliche Ober-amt geziemend zu ersuchen, auf den 21ten dies, auf welchenTag die diesseitigen Forstjäger und Schützen zu einem Streif-zug auf das Raubthier nach Frastanz beordert sind, auch jen-seits gleiche Anstalten zu treffen, und eine Anzahl Schützenauf bemerkte Gegend auf den Grat abzuschicken.» Schon blosse Vermutungen über ein letztes Auftreten desWolfes lösten umfangreiche Papierkriege aus. Im April desJahres 1821 glaubte man beispielsweise in Nenzing auf derSpur eines Wolfes zu sein (SCHALLERT 1992). Doch trotz desvom Landgericht Sonnenberg ausgeschriebenen Schussgel -des konnte er nicht zur Strecke gebracht werden. Anfangsder 1830-er Jahren – unfern Bludenz beim Hängenden Stein– wurde schliesslich der vermutlich letzte Wolf in Vorarlberggeschossen (BRUHIN 1868). Damit stirbt der Wolf als erstes derdrei Grossraubtiere in der Region aus. Seit den 1970-er Jahren nehmen die Bestände in Spanien,Italien, Slowenien, Kroatien und der Slowakei durch Schon-zeiten und Schutzmassnahmen wieder zu. Seit ca. 1985breitet sich auch die italienische Wolfspopulation in dennördlichen Apenninen wieder aus, nachdem sie in den1970er Jahren ihren tiefsten Stand von rund 100 Tierenhatte. Sie erreichte 1987 die französische Grenze und 1992wurden die ersten Wölfe im Mercantour Nationalparkgesichtet. Sie wanderten weiter bis in die Schweizer Alpen,wo sie erstmals 1995/96 im Val Ferret im Wallis beobachtetwurden. Genetische Untersuchungen beweisen, dass die

Abb. 197 Der Wolf wurde als erstes Grossraubtier im 19.Jahrhundert in der Region ausgerottet. (Foto: Markus Stähli)

Page 161: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

Rotfuchs (Vulpes vulpes)Ordnung: Raubtiere (Carnivora)Familie: Hundeartige (Canidae)

Foto: Markus Stähli

Merkmale

Der Rotfuchs ist der einzige heute ständig vorkommendeVertreter der Hundeartigen in Liechtenstein. Es gibt neunverschie dene Arten von Füchsen weltweit. Die Kopfrumpf-Länge beträgt 50-80 cm, Schwanzlänge meist über 40 cm.Das Durch schnittsgewicht erwachsener Männchen liegt bei 7kg, Weibchen sind rund 20% leichter. Rote Grannenhaaremit weiss-grauen Spitzen ergeben ein rötliches Fell mitschwar zen Stellen an der Ohrhinterseite, der Oberlippesowie auf der Vorderseite der Extremitäten. Rötlich übergrau bis weiss variieren Kehle, Brust und Bauch. Zweimaliger

Haarwechsel pro Jahr. Die typischen Canidenmerkmale sindbeim Rot fuchs gut erkennbar: Verlängerter Gesichtsschädel;grosse und sehr bewegliche Ohrmuscheln; ein in Aufbau undFunktion vielseitiges Allesfressergebiss; niedriger, schmal ge-bauter und gut beweglicher Körper mit langem, buschig be-haartem Schwanz und unbeweglichen, stumpfen Krallen.Der Fuchs kann sehr vielfältige Habitate besiedeln. Dieschmale Kopfform und Figur zum Beispiel ermöglichen dasunauffällige Durchschlüpfen von dichtem Buschwerk undengen Stellen von nur 12 Zentimeter Durchmesser.

Biologie

Der Rotfuchs ist eine territorial lebende Art mit hoch ent-wickeltem Geruchs-, Hör- und Sehsinn. Der Familienverbandsetzt sich aus ein bis zwei Fähen, den Jungen des laufendenJahres und einem Rüden zusammen. Junge werden blindund als Nesthocker geboren. Ein bis zwölf Junge werdennach 50 bis 53 Tagen Tragzeit «gewölft» und in Dachsbauen,natürlichen Höhlen, unter Feldschobern, trockenen Erd -rohren und ähnlichem aufgezogen. Die mangelhaft aus-gebildete selbsttätige Thermoregulation der Jungtiere ver-langt nach einem geschützten, trockenen Geburtsort undständiger Präsenz der Fähe in den ersten zwei bis dreiWochen. In dieser Zeit versorgt der Rüde die Familie mitNahrung. Die erste feste Nahrung nehmen die Jungen in dervierten Woche auf. Zwischen September und November ver-lassen die Jungen das Elternterritorium, werden EndeDezember geschlechtsreif und paaren sich im Januar und

160

Abb. 198 Jungfüchse in Ruggell. (Foto: Xaver Roser)

Page 162: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

Februar. Wenn möglich bleibt ein Fuchs sein Leben lang imgleichen Territorium, wenn er es nach der Geschlechtsreifeeinmal bezogen hat. Die grosse Anpassungsfähigkeit desRot fuch ses zeigt sich auch in seiner Nahrungswahl und derweiten Verbreitung. Neben fressbaren Abfällen der mensch-lichen Zivilisation sind Mäuse, Rehe und Hasenartige, Vögel,Früch te, Insekten, bei nassem Wetter vor allem Regen wür -mer die Hauptnahrung. Ein fuchstypisches Verhalten ist das«Beuteverstecken», das bei in Rudeln lebenden Carnivorennicht beobachtet wird. Füchse sind wie die meisten Carni-voren hauptsächlich dämmerungs- und nachtaktiv und sindbei jeder Witterung unterwegs.Der Fuchs hat als aktiver Räuber einen wesentlichen Einflussauf die Vorkommen der Beutetiere. So ist er ein wichtigerRegulator der Feldmauspopulationen. Eine hohe Bestandes -dichte des Fuchses reduziert auch die Erfolgschancen beiden Bodenbrütern unter den Vögeln und Feldhasen.Er ist auch der Träger des Fuchsbandwurms, der zwar aufden Menschen übertragbar ist, jedoch nur eine geringe An-steckungsgefahr aufweist.

Verbreitung

Die grosse Anpassungsfähigkeit an Nahrungsquellen undLebensraumbedingungen erlaubt eine weite, flächen -decken de Verbreitung: Auf der gesamten nördlichen Erd -hälf te, von Küstengebieten bis über die Waldgrenze, nörd -lich bis an die polare Grenze, im Süden bis Nordafrika,arabische Halbinsel, in Australien eingeführt und heute mitAusnahme der Wüstengebiete verbreitet. In Liechtenstein kann man dem Rotfuchs auf der gesamtenLandesfläche begegnen. Auffallend ist die zunehmendeNähe des Fuchses zu den Siedlungen in allen Gemeinden desLandes.

Lebensraum

Grösse und Struktur des Lebensraums hängen von der Verfügbarkeit der nötigen Ressourcen und der Populations-dichte ab. Fuchsreviere können dementsprechend von ei-nigen dutzend Hektaren bis mehrere QuadratkilometerFläche umfassen. Siedlungsgebiete können dabei genau soattraktiv sein wie Feld- und Waldgebiete. Fuchsspuren sindin Liechtenstein bis über eine Höhe von 2000 Meter fest-zustellen. Vor allem in den Sommermonaten sind in Liech -ten stein Meldungen aus der Bevölkerung häufig, die sichüber halbzahme Füchse in den Gärten beklagen. Dies ist ei-nerseits darauf zurückzuführen, dass Jungfüchse von Privat-personen gefüttert werden, anderseits finden Füchse sehrhäufig verwertbare Speisereste auf den privaten Kompost-haufen.

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Der Fuchs ist in Liechtenstein weit verbreitet und nichtgefähr det. Die Abschüsse durch Jäger und zahlreicheVerkehrsunfälle beeinflussen den Bestand am meisten. ImJagdjahr 2008/2009 wurden 330 Füchse erlegt. Danebenhaben Seuchen wie früher die Tollwut oder die Räude einengrösseren Einfluss auf den Bestand. Die natürlichen Feindewären Bär und Wolf. Dem Steinadler fallen immer wiedervor allem unerfahrene Jungfüchse zum Opfer. Durch Jagdallein kann der Fuchsbestand nicht wesentlich reduziertwerden. Der Pelz hat für den Menschen an Attraktivität ver-loren und wird für einige Franken das Stück gehandelt.Noch vor rund 50 Jahren konnte ein guter Fuchspelz bis zu100 Franken einbringen. Die jährlichen Bau-Begasungs-aktionen in den Jahren 1984-1988 zur Bekämpfung der Toll-wut liessen den Fuchs nach Aussagen der Jäger damalsselten werden. Die jährlichen Abschusszahlen gingen zu-rück. Durch Impfaktionen in den Jahren 1990, 1992 und1993 konnte die Tollwut bis heute verdrängt werden, wasdie Entwicklung des Bestands sehr positiv beeinflusste. ImJahre 2009 wurden 12 bestätigte tote Füchse durch Staupebekannt.

Michael Fasel

161

Page 163: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

162

Eurasischer Luchs (Lynx lxnx)Ordnung: Raubtiere (Carnivora)Familie: Katzen (Felidae)

Foto: Markus Stähli

Merkmale

Nach dem Bär und dem Wolf ist diese Katze das grössteRaubtier, das in Mitteleuropa heimisch ist. Mit einer Kopf-rumpflänge zwischen 80 und120 cm und einer Schulterhöhevon 50 bis 70 cm ist der Luchs die grösste europäischeKatzenart. Die Pranken sind gross und verhindern im Winter,dass der Luchs tief im Schnee einsinkt. Bei Luchsfährtenfehlen Krallenabdrücke, da diese während des Laufens zu-rückgezogen sind. In Mitteleuropa wiegt der Kuder, dasmänn liche Tier, 20 bis 25 kg, die Weibchen sind ca. 15%leich ter. Der Luchs hat Pinselohren und einen sehr kurzenSchwanz und zeichnet sich durch einen Backenbart aus.Luchse hören und sehen ausgezeichnet. Das Fell ist auf derKörperoberseite im Sommer rötlich- bis gelbbraun, imWinter gräulich. Die Fleckung ist im Sommer ausgeprägter,kann aber auch fehlen.

Biologie

Das Luchsweibchen wird mit zwei Jahren, der Luchskudermit drei Jahren geschlechtsreif. Die Paarungszeit ist März bisanfangs April. Nach 68-72 Tagen kommen ein bis vier Jungezur Welt. Die Aufzucht geschieht alleine durch die Mutter.Junge bleiben zehn Monate beim Weibchen. Nur jedes zwei-te Jungtier überlebt den ersten Winter. Das Nahrungs-angebot und die Sozialstruktur bestimmen die Luchsvor-kommen. Vor allem männliche Jungluchse durchkämmen einweites Vorgelände ausserhalb der bestehenden Popu la tio -nen. Der Luchs lebt als Einzelgänger und jagt vor allem inder Dämmerung oder nachts. Der Luchs ist ein Über-raschungsjäger. Die Jagd erfolgt nach Katzenart durch Auf-lauern oder Anschleichen mit abschliessendem Anspringenbzw. einem kurzen Spurt. Die Jagdbeute wird durch einengezielten Biss in die Kehle erstickt. Das Beutespektrum um-fasst alle im jeweiligen Lebensraum vorhandenen kleinenund mittelgrossen Säuger und Vögel sowie Fuchs, Marder,junge Wildschweine, Mäuse und Murmeltiere. Die bevor-zugte Beute sind kleine und mittelgrosse Huftiere, also inunserem Raum Reh, Gämse und Rothirschkälber. Sie können

80% des Beutespektrums ausmachen. Der Luchs ist kein Aas-fresser, im Gegensatz zu Wolf und Bär.

Verbreitung

Das europäische Verbreitungsgebiet des Luchses reichtenoch in der Neuzeit von den Pyrenäen in einem breitenGürtel bis zum Ural. In Asien erstreckt es sich von Sibirien biszum Pazifik. Der Luchs war bis ins 18. Jahrhundert neben Bärund Wolf in unserer Gegend verbreitet. TIEFENTHALER (1941)gibt beispielsweise für 76 Berichtsjahre in der Periode 1518bis 1690 an, dass Schussgelder im Einzugsbereich der Ill für251 Luchse, 40 Bären und 48 Wölfe in Vorarlberg bezahltwurden. Diese Zahlen weisen darauf hin, dass die Siedlungs-dichte des Luchses in seiner grossräumlichen Verbreitung imOstalpenraum in Vorarlberg, im Allgäu und in Graubündenhoch war. Dabei wurden den Luchsen in unserem Raum vorallem erfolgreich mit Fallen nachgestellt. Darauf weist aucheine Grenzmarkierung in einem Kaufbrief aus dem Jahre1615 unweit von Gaflei am Triesenberg, wo von einer Flur«bei der Luxfalle» die Rede ist (VON LEHMANN 1962). Heute istnoch im Gebiet ein «Luggsabödali» beim Gaflei-Aussicht-sturm belegt (BANZER et al. 1988), während der «Fallaboda»und das «Fallloch» unterhalb davon liegen. In der Rentsabrechnung des Jahres 1783 (AMBROSI 1783) überdie vergangenen sechs Jahre werden unter den Einnahmenverkaufte Luchsbälge aus den Jahren 1777 und 1780erwähnt, wobei für das Jahr 1780 festgehalten wird «In derTrappen verdorben und unbrauchbar, die übrigen Jahrnichts».Ab 1800 schränkte sich das Luchsareal auf die nördlicheNadelwaldzone und die grossen Gebirgsmassive ein. SeineAusrottung geschah in unserer Region etwa Mitte des 19.Jahrhunderts. Die letzten Luchs-Erwähnungen aus der Re-gion lassen sich wie folgt resümieren: «1830 fing Schlegel imliechtensteinischen Nendeln einen Luchs im Eisen und 1873wurde der letzte Luchs in Nauders (Tirol) erbeutet» (RIET MANN

1907). Hier wird der letzte bekannte Nachweis für Liech -tenstein angesprochen. Auf der Schweizer Rhein tal seite be-richtet uns Johann Rudolf STEINMÜLLER (1821) in der «NeuenAlpina» von einer Luchsjagd aus dem Jahre 1791 im RaumeKamor-Gais in Richtung Bündnerland. Im Kanton St.Gallendürfte vermutlich der letzte Luchs 1861 im Weisstannentalerlegt worden sein (EIBERLE 1972). Noch länger hielt sich derLuchs in Vorarlberg. 1831 wird ein Luchs im Kleinen Walsertalgeschossen, dessen Präparat im Walser museum in Riezlernsteht. Im Jahre 1834 hat ein Luchs auf der Alp Pitschi imKlostertal mehrere Schafe gerissen (TIEFENTHALER 1941). 1837,1845 und 1852 konnten nochmals Luchse in Vorarlberg erlegtwerden. EIBERLE (1972) bringt ein Verzeichnis der Ver-breitungsangaben über den Luchs. Im Oktober 1853 teilteder Nenzinger Vorsteher Moritz Jussel dem BezirksamtBludenz mit, es halte sich in der Gamperdona ein Luchs auf,man habe drei gerissene Schafe gefunden. Am 30. Januar1854 wird wohl der gleiche Luchs nochmals in einemSchreiben erwähnt, wobei er auf «einer aufrecht stehendenabgedorrten Tanne lüstern» gesehen worden sei, dies in derTschalenga bei Nüziders (SCHALLERT 1992). Die letzten Daten

Page 164: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

163

verlagern sich in Richtung Allgäuer Alpen, so 1855 bei Tann-heim (Tirol) und im Bregenzerwald, 1857 im Tiroler Lechtalund 1866 noch einmal bei Tannheim. Der letzte Luchs soll imBalderschwanger Tal im Bregenzerwald nahe des Allgäus imJahre 1918 erlegt worden sein (HOFRICHTER & BERGER 2004). Inder Schweiz wurde offiziell der letzte Luchs 1894 am Weiss-thornpass im Wallis geschossen, die letzte Sichtung stammtgemäss EIBERLE (1992) aus dem Jahre 1904 beim Simplonpass.Zwischen 1918 und etwa 1960 war der Luchs somit im west-lichen Mitteleuropa ausgerottet. In Teilen Nordost- und Süd-osteuropas sowie im asiatischen Vorkommengebiet konntesich die Art halten. Die westlichsten Vorkommen lagen da beiin Ostpolen und in der östlichen Slowakei in den Karpaten. Für die Wiederansiedlung des Luchses in Zentraleuropa wardie Schweiz führend, wo am 23. April 1971 im Jagdbann-gebiet Huetstock bei Engelberg (OW) die ersten beidenLuchse aus den Karpaten ausgesetzt wurden. Bis 1976wurden in der Schweiz weitere Luchse ausgesetzt. 1991waren in den schweizerischen Nordwest- und Zentralalpen10’000 km2 und im Jura 5’000 km2 mit Luchsen besiedelt. Inder Nordostschweiz wurden ab 2001 ebenfalls Luchse mitdem Programm LUNO (Luchsumsiedlung Nordostschweiz)ausgewildert, die sich später auch in Liechtenstein bemerk-bar machen sollten. Nachdem auch im Bayerischen Wald,Slowenien, Tschechien und in Österreich Wiederein-bürgerungsprojekte mit slowakischen Karpatenluchsendurchgeführt wurden, hat sich der Luchs seit anfangs der1980-er Jahre wieder ausgebreitet, wobei aber nur dieSchweizer Population sich etablierte. Die Vorboten einer Besiedlung Vorarlbergs traten ab 1985im südlichen Verwall, Rätikon und Bregenzerwald auf undab 2002 häuften sich die Beobachtungen vor allem im Südendes österreichischen Bundeslandes. SPITZENBERGER (2006) gibtin einer Tabelle 20 Vorarlberger Hinweise zwischen 1985-2006 an. Die meisten Angaben stammen aus dem benach-barten Frastanz und Nenzing, wo auch Rehrisse, Sichtbeob-achtungen und Spuren vorliegen. Es wurden allerdings bereits in den 1970-er Jahren ersteLuchse in der Region gesichtet, deren Herkunft unbekanntist (illegale Aussetzungen?). So wurde 1972 ein Luchs imPrättigau bei Schuders gesichtet, ebenfalls 1975/76 gar einLuchs in Felsberg bei Chur fotografiert (pers. Mitt. Jürg P.Müller, in BROGGI 1981). Anlässlich der liechtensteinischenWaldvegetationskartierung wurde im Jahre 1986 ebenfallseine Luchsspur im Sand des Saminabaches festgestellt. Am Abend des 3. Januar 2004 konnte in Liechtenstein dererste Luchs beobachtet werden. Dies ist der erste gesicherteNachweis seit der Ausrottung vor mehr als 150 Jahren. Beigutem Mondlicht sah der Jagdpächter Guntram Matt im Ge-biet Rütti-Bauwald in Schaanwald bei seinem Nachtansitzauf Füchse einen Luchs auf einer Waldlichtung. Nochmalswurde hier durch Jagdpächter Oswald Bühler im Januar2005 ein Luchs gesehen (FASEL 2006). Mit grosser Wahr-scheinlichkeit handelte es sich um einen Luchs aus dem Aus-setzungsgebiet des Kantons St.Gallen. Anfangs Dezember2007 wurde wieder eine Luchsfährte mit Fotobeleg im RaumGafadura in der Gemeinde Planken durch den JagdpächterDavid Falk fotografiert (M. Fasel, Pressemeldung Amt fürWald, Natur und Landschaft, 17.12.2007). Schliesslich wurde

in der Nacht auf den 10. Dezember 2008 in der Ganda imBündner Landquart ein Jungluchs von einem Auto über-fahren und getötet. Es war dies der erste Luchs, der seitseiner Ausrottung 1872 in Graubünden tot aufgefundenworden ist (Medienmitteilung Amt für Jagd und FischereiGraubünden, 11.12.2008). Der Luchs steht damit kurz davorwieder Standwild in unserer Region zu werden. Das Ziel derflächendeckenden Besiedlung ist allerdings noch nichterreicht. Hierfür setzen sich u.a. KORA (Koordinierte For-schungsprojekte zur Erhaltung und zum Management derRaubtiere in der Schweiz) mit der Initiative SCALP (Statusand Conservation of the Alpine Lynx Population) ein. DerLuchs belegt derzeit wieder etwa 20% des Alpenareals inFrankreich, Italien, Schweiz, Österreich und Slowenien.

Lebensraum

Der Luchs bevorzugt grosse Waldareale mit dichtem Unter-holz und nutzt offene Landschaften nur randlich undtemporär. Ideale Voraussetzungen für die Jagd bilden starkstrukturierte Gliederungen mit Altholz, Lichtungen, felsigenHängen. Die durchschnittliche Reviergrösse beträgt 250 km2,wobei weibliche Tiere einen kleineren Aktivitätsradius be-sitzen. Als Überraschungsjäger schlägt er vor allem Beute tie -re, die sich unvorsichtig verhalten.

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Ende des 19. Jahrhunderts überlebten die letzten Luchse nurmehr in gebirgigen Rückzugsgebieten und auch dort ver-schwand er anfangs des 20. Jahrhunderts. Gründe für dasVerschwinden waren die direkte Verfolgung, die Übernut-zung des Wildes durch die Jagd und die Beeinträchtigungder Lebensräume durch Raubbau am Wald. Inzwischen istdie Waldfläche gewachsen und auch die Bestände von Reh,Gämse und Rotwild haben wieder markant zugenommenbzw. die Arten sind wieder natürlicherweise eingewandert. Der Luchs ist in Liechtenstein kein jagdbares Tier und damitist sein Abschuss nicht erlaubt.

Mario F. Broggi

Abb. 199 Luchs mit erlegtem Reh. (Foto: Markus Stähli)

Page 165: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

164

Ordnung Paarhufer (Artiodactyla)

Merkmale

Die einheimischen Paarhufer umfassen drei Familien. Diespezialisierten Pflanzenfresser der Horn- und Geweihträgerunterscheiden sich dabei von den nichtwiederkäuenden undwenig spezialisierten Allesfressern, den Wildschweinen. DieHorn- und Geweihträger weisen im Oberkiefer keine Schnei-dezähne auf und besitzen einen vierteiligen Magen. DerenBeinmuskulatur ist körpernah angeordnet. Sie haben durchdie stark verlängerten Mittelhand- und Mittelfussknochenlange, schlanke Beine, was sie zu schnellen Läufern machtund sie zu rascher Ortsänderung befähigt. Dadurch könnensie relativ gut vor Raubtieren flüchten und schnell zu gutenNahrungsräumen gelangen. Sie sind in unterschiedlich ho-hem Masse klettergewandt und damit auch gut an das Lebenim Gebirge angepasst.Alle Paarhufer zeichnen sich durch ausserordentlich guteRiechorgane aus, was sich jeweils durch den mit Nase undMund nach vorn verlängerten Schädel zeigt. Alle vier Läufe(Beine) stehen auf den äussersten Spitzen der 3. und 4. Zehe(Zehenspitzengänger). Die 2. und 5. Zehe ist als sogenannteAfterklaue ausgebildet. Sie ist deutlich kleiner, rückwärtig er-höht angelegt und berührt den Boden in der Regel nicht, aus-ser bei festem Tritt durch schnelle Flucht oder bei Schweinenim nassen Untergrund. Bei Schweinen sind die Mittelhand-knochen noch getrennt, bei Hirschen und Hornträgern sindsie zu einem festen Knochen verwachsen. Die erste Zehe istbei allen Paarhufern im Laufe der Evolution mit den anderenHand- oder Fussknochen verwachsen und nicht mehr sichtbar.

Biologie

Paarhufer leben häufig in Sozialverbänden, die je nach Artunterschiedlich aufgebaut sein können. Ausserhalb der Paarungszeit leben junge männliche Tiere oft in gleich -geschlechtlichen Gruppen, während alte Männchen Einzel-gänger sein können. Männchen sind sowohl bei den Wie-derkäuern als auch bei den Echten Schweinen bedeutendgrösser, kräftiger, und schwerer gebaut als weibliche Tiere.Wiederkäuende Paarhufer gebären in der Regel nur ein biszwei Jungtiere pro Jahr. Diese sind jedoch auf Grund der langen Tragzeit weitentwickelt und daher Nestflüchter, dieschon nach wenigen Stunden laufen können. Schweine haben mit vier bis acht Jungen mehr Nachwuchs. Alle Paarhufer, mit Ausnahme der Echten Schweine, sindWiederkäuer und besitzen spezialisierte vierkammerige Mägen und einen verlängerten Darm. Diese Anpassungenbieten den Vorteil, dass die schwer verdauliche zellulosehal-tige Pflanzennahrung besser aufgeschlossen wird.Zahlreiche Feinde wie Fuchs, Wolf, Luchs, Bär, und Stein -adler stellen den Paarhufern nach. Der Gehörsinn und der Geruchsinn ist bei allen Arten hervorragend ausgeprägt. Dievor allem auf Bewegungen empfindlich reagierenden Augen befinden sich seitlich am Kopf, um eine nahezuRundumsicht zu gewährleisten.

Familien

Echte Schweine (Suidae)

Die Schweine sind stämmig gebaut und gehen auf relativkurzen, kräftigen Beinen. Sie sind Paarhufer, Allesfresser,aber keine Wiederkäuer. Die langen Eckzähne sind bei unse-rem einzigen Vertreter, dem Wildschwein, als Waffen undGrabwerkzeuge ausgebildet. Im FL: 1 Art

Hirsche (Cervidae)

Bei den Hirschartigen tragen, mit Ausnahme des Rentieresnur die Männchen Geweihe auf einem Knochenfortsatz amScheitelpunkt des Schädels (Stirnzapfen). Beim Hirsch- oderRehgeweih handelt es sich um totes Knochenmaterial, dasmehrfach verzweigt ist und jährlich abgeworfen und neugebildet wird. Nur während des jährlichen Wachstums sinddie Geweihe durchblutet und mit Nervenbahnen versehen.Den Knochen umgibt eine schützende, behaarte Haut (Bast).Dieser vertrocknet nach Erreichen des Wachstumsendstadi-ums und wird abgestreift. Geweihe entspringen aus demKnochenskelett. Die Anzahl der Geweihsprossen ist nicht mitdem Alter des Tieres gleich zu setzen. Im FL: 3 Arten (davoneine ausgestorben)

Hornträger (Bovidae)

Weibchen und Männchen der Boviden tragen Stirnwaffen.Die Hörner der Boviden sind je nach Tierart mehr oder we-niger gekrümmt, nie verzweigt, bestehen aus Hornmaterial,entstammen aus der Haut und sitzen auf einem durchblute-ten Knochenzapfen am Scheitel des Schädels. Hörner wer-den nicht abgeworfen und wachsen jedes Jahr ein Stückweiter, wobei der Wachstumsstillstand im Winter einensichtbaren Jahrring bildet, der die genaue Altersanspracheerlaubt. Im FL: 4 Arten (davon zwei ausgestorben)

Michael Fasel

Abb. 200 Rothirsch. (Foto: Markus Stähli)

Page 166: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen
Page 167: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

166

Wildschwein (Sus scrofa)Ordnung: Paarhufer (Artiodactyla)Familie: Echte Schweine (Suidae)

Foto: Markus Stähli

Merkmale

Der Körper des Wildschweins wirkt von der Seite betrachtetgedrungen und massig. Der Kopf scheint im Verhältnis zumKörper überdimensioniert und er läuft keilförmig aus. DieOhren sind klein. Das gibt ihm den Habitus des «Brechers»und nicht des «Schlüpfers» wie etwa das Reh. Die Körper-höhe nimmt zu den Hinterbeinen hin ab. Der Schwanz istsehr beweglich und signalisiert die Gemütslage. Diekräftigen männlichen Eckzähne dienen auch als Imponier-organe. Sie können bis max. 30 cm erreichen. Das Fell istdunkelgrau bis braun-schwarz mit langen borstigen Deck-haaren. Ausgewachsene Wildschweine haben eine Kopf-Rumpflänge von 130 bis 180 cm und das Lebendgewicht be-trägt rund 100 bis max. 200 kg in unsere Breiten.

Biologie

Weibliche Jungtiere können, sofern ausreichend Nahrungzur Verfügung steht, bereits nach acht bis zehn Monaten ge-schlechtsreif werden. Männliche Tiere sind in der Regel erstim 2. Jahr fortpflanzungsfähig. Die Paarungszeit beginnt inMitteleuropa meist im November und endet im Januar/Februar. Die Tragezeit beträgt 114-118 Tage, wobei die Jung -tiere meist in der Zeit von März bis Mai zur Welt kommen.Das Weibchen trennt sich dann von der Rotte. Weibchen ver-teidigen ihre Jungtiere energisch und können dann auch fürden Menschen gefährlich werden. Zu den natürlichen Feinden des Wildschweines gehören derWolf, Braunbär und Luchs. Wildschweine sind Allesfresser.Eine besondere Bedeutung haben Eicheln und Buchennüsse.Sie fressen von Pflan zen wurzeln, Feldfrüchten bis zuInsekten. Dabei werden gerne auch landwirtschaftliche Nutz-flächen durchwühlt.

Verbreitung

Das Wildschwein hat ein grosses Verbreitungsgebiet in ganzEurasien sowie in Japan. Ebenso kam es in Nordafrika nörd -

lich der Sahara vor. Spuren von der Existenz des Wild-schweines lassen sich in unserem Rheintal in den frühestenmenschlichen Siedlungsplätzen feststellen. HARTMAN-FRICK

(1964) weist entsprechende Knochenfunde auf dem neo-lithischen Siedlungsplatz des Borscht am Schellenberg nach. Die Wildsau war dann zu mal sicher ein wichtiges Jagdtier.Die Römer betrieben die Eberjagd mit Hilfe schwerer Hunde,mit Netzen oder unwaidmännisch mit Fallen, Schlingen undFangeisen, die man an die Wechsel stellte. Auch im spätrö-mischen Kastell in Schaan wurden Wildschwein-Knochengefunden (WÜRGLER 1958). Auch in den Tierknochenfundender Burg Neu-Schellenberg (SCHÜLKE 1965) und in derbenachbarten Burg Hohensax bei Sennwald (WÜRGLER 1956)tauchen Wildschweinknochen auf. Unser einst in grossen Teilen versumpftes Rheintal muss demWildschwein einen günstigen Aufenthaltsort geboten ha -ben. BRUHIN (1868) zitiert aus «Pruggers Veldkirch-Chronik»u.a. das Vorkommen von Wildschweinen im Mittelalter:«Anno 1363 in den Herbst, seynd 16 wilde Schwein durchden Fluss biss nach Veldkirch geschwummen und haben indes Reichen Veld hinausgesetzt, allwo acht Stück erlegt undgefangen worden.» (Pruggers Veldkirch S. 23).Das Schwarzwild wurde zur Hohen Jagd gezählt, wohlwegen des schmackhaften Fleisches. Neben den Auen beiBozen und Meran diente Vorarlberg als zweites bedeu ten -des Wildschweinrevier zur Belieferung des InnsbruckerHofes. Um die Mitte des 16. Jh. müssen sich die Wild-schweine stark vermehrt haben, richteten doch 1559 dieUntertanen der Herrschaften Bludenz und Sonnenberg andie Regierung in Innsbruck eine Bittschrift, worin sie sagen,dass sie ungebührlich grossen Nachteil durch die Wild-schweine hätten (TIEFENTHALER 1941). Ohne Hilfe müssten sie«vom land ins elend umb das hailig almusen zu ziehen».Weder Wachen, Schreien und Hüten noch Feuer würdenhelfen, da sie dieses schon gewohnt seien. Bereits im Früh -sommer 1560 gab die Regierung dem Landvogt wieder denAuftrag zu einer Streife, wobei das Fleisch einzusalzen undnach Innsbruck zu liefern sei. Diese Klagen über die Schädendurch Wildschweine setzten sich auch noch in den 1570erJahren fort. Im 17. Jh scheint es mit dem Massenauftretender Wildschweine in der Gegend vorbei zu sein. Sie scheinenin den folgenden Jahrhunderten nicht mehr im Rheintal hei-misch gewesen zu sein. Erstmals hört man wieder etwas im 20. Jahrhundert im Al-penrheintal von Wildschweinen. Damals stiessen im Juli desJahres 1926 Tiere bis nach Ruggell vor. Nachdem im benach-barten Raume Gisingen-Bangs Spuren gesehen wurden,wurde zur Treibjagd aufgeboten. 50 Jäger und etwa 30Treiber beteiligten sich an der Jagd auf die berühmte «NoflerWildsau» und sie waren mit zwei Schüssen auf ein Tiererfolgreich. Am 16. Dezember 1928 bläst man erneut mit 40Jägern und 20 Treibern zum Halali und es wird ein Eber von139 kg Gewicht geschossen, wobei das Tier vier Tage in derStadthalle zu Feldkirch ausgestellt wird (WIN SAUER 1937). DerKopf wird ausgestopft und hängt noch heute in derHubertusstube auf der Feldkircher Schatten burg.Erst im Verlaufe des Zweiten Weltkriegs dringt das Wild-schwein invasiv wieder in unseren Raum vor. Vom Senn undHüterbuben auf der Alp Valüna (Triesen) wird im Sommer

Page 168: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

167

1946 ein «riesiger» Dachs gesehen. Dieser Dachs entpupptsich einige Zeit später am 14. November 1946 als zweijäh-riger Keiler. Der Jäger Alois Schädler, Triesen, sah bei einemReviergang unterhalb des Rappensteins einen Adler undKolkraben kreisen. Er findet dort einen leicht verwesten undvon den Vögeln bearbeiteten Keiler. Am 22.10.1947 wurdeein Keiler noch weiter südlich in Haldenstein bei Chur auf-gefunden und im Jahre 1951/52 halten sich zwei Wild-schweine am Heintzenberg auf (LIECHTENSTEIN, H. o.D.). Als die ersten lebenden Wildschweine – eine Bache mit fünfFrischlingen – ob Nendeln gesichtet wurden, findet am22.10.1947 seit Menschengedenken wieder die erste Wild-schweinjagd in Liechtenstein statt (Volksblatt vom 25.10.1947). Die Regierung des Fürstentums Liechtenstein stellteam 5.5.1948 mittels Verordnung das Wildschwein unter diejagdbaren Tiere und in den Zeitungen häufen sich nun be-sorgte Aufrufe. Im Volksblatt vom 19.6.1948 ist zu lesen: Mitdem Erlegen von drei Frischlingen unterhalb von Schaanglaubte man nach den verschiedenen Beobachtungen nochzwei ausgewachsene Wildschweine auf liechtensteinischemGebiet zu haben. «Wenn nicht Zugang erfolgt, könnte manden schädlichen Vierbeinern am Ende noch Herr werden»: InLiechtenstein wurden von 1946 bis 1955 insgesamt 23 Wild-schweine erlegt. Sie kamen meist aus dem nördlich benach-barten Vorarlberg, aber auch schwimmend über den Rhein.Es handelte sich meist um jüngere Tiere, vor allem auch vieleKeiler. Das schwerste Stück hatte 120 kg, die meisten warenLeichtgewichte um 60 kg (LIECHTENSTEIN, H. o.D.). Die dama -ligen Hauptaufenthaltsorte waren der Maurerberg, derBrunnenbüchel unterhalb von Planken und anschliessend imSchwabbrünner Riet, aber auch die Rheinauen bei Schaan.Das letzte Wildschwein wurde am 4.1.1955 im JagdrevierGafadura durch den Weinhändler Hans Ritter aus Schaanerlegt. Mit diesem Abschuss war es mit der Wildsau-Invasionim Alpenrheintal zu Ende. Prinz Hans von Liechtenstein hatüber diese Wildschweinvorkommen der Jahre 1946-1955eine Doku men ta tion erstellt, die als Grundlage für einendiesbezüglichen Beitrag diente (BROGGI 1974). 15 Jahre später, nämlich 1970/71 wird erstmals wieder eineSau im Lande Vorarlberg gespürt und im Jagdjahr 1971/72 imBezirk Bregenz ein Exemplar geschossen. Im Dezember 1971taucht das Wildschwein an unserer Landesgrenze auf undeine Bache wird bald drauf in der Gisinger Au geschos sen. ImFebruar 1974 beobachtet der Grenzwächter Anton Meng inder Ruggeller Weienau nahe der österreichischen Grenze ei -nen Keiler und im Sommer dieses Jahres wird in der GisingerAu im nahen Vorarlberg ein Keiler geschossen (BROGGI 1974). Der nächste bekannte Vorstoss stammt aus dem Jahr 1988,wo am 4.12.1988 am Maurerberg beim «Leckete Stein» einStück Schwarzwild von Peter Roth aus einem Achterrudel ge -schossen wurde. Am 6. Dezember 1988 wurde die Fährte ei-ner Sau im «Dachseck» ob Planken gesehen. Fünf Jahre vor-her soll es dort auch schon Spuren gegeben haben, ebensoauf der Ställawies nördlich von Schaan (pers. Mitt. ManfredWanger, 14.12.1988). Gemäss Liecht. Vaterland vom 27. Fe-bruar 1999 sollen sich nach Aussagen von Jägern rund einDutzend Wildschweine im benachbarten St.Galler Rheintalaufhalten. Dort sollen die Wildschweine seither auch Stand-wild sein. In Liechtenstein wurde ein zwei- bis dreijähriger

Keiler auf einer Treibjagd im Schaaner Riet an der Grenzezum Vaduzer Riet von Hermann Pfefferkorn geschossen, aufeiner Treibjagd der Vaduzer Jagdgesellschaft im Dezember2000 beim Wildschloss ebenfalls ein Überläufer durch Chris-toph Wachter erlegt. Wolfgang Kersting hat Fährten vonSauen im Ruggeller Riet im Winter 2004/2005 gesehen, eben-so im Mai 2005 direkt über der Grenze in Bangs. 2011 werdenim Frühjahr regelmässig Fährten in der Rheinau südwestlichvon Bendern festgestellt (Michael Fasel, mündliche Mittg.)

Lebensraum

Der Lebensraum des Wildschweines ist ausserordentlich viel-gestaltig. Wo das Schwarzwild Deckung und Nahrungfindet, lebt es im Flachland wie in dichtbesiedelter Land-schaft (z.B. in Berlin), wo es zu einem eigentlichen Kultur-folger werden kann.

Gefährdungen und Schutzbestrebungen

Aus der Sicht des Naturschutzes ist es zu bedauern, dassjedes Stück Schwarzwild, welches sich im 20. Jahrhundert insAlpenrheintal vorwagte, unerbittlich verfolgt wurde. Es giltheute nach dem liechtensteinischen Jagdgesetz als jadbareWildart mit einer Schusszeit vom 1. August bis 31. Dezember.Die wenige Stücke Schwarzwild, die sich gelegentlich inunseren Raum verirren, stellen eine Bereicherung der ein-heimischen Fauna dar. Bei einigen Tiergruppen, wie bei-spielsweise den Greifvögeln, hat sich jedenfalls die Erkennt-nis durchgesetzt, dass ihr Nutzen einen allfälligen Schadenüberwiegt. Vielleicht lässt sich dieser Meinungsumschwungauch einmal für das Schwarzwild erreichen. In der Forstwirt-schaft werden sie als Nützlinge erachtet, in der Landwirt-schaft können sie beispielsweise in Maiskulturen Schädenanrichten. Diese sind umso grösser, je mehr solche Kulturendirekt an das Waldareal grenzen.

Mario F. Broggi

Abb. 201 Das erste Wildschwein konnte am 26.2.1948oberhalb von Triesen durch Metzgermeister Anton Mährerlegt werden.

Page 169: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

168

Rothirsch (Cervus elaphus)Ordnung: Paarhufer (Artiodactyla)Familie: Hirsche (Cervidae)

Foto: Markus Stähli

Merkmale

Das charakteristischste Merkmal des Rothirsches ist seinGeweih. Es besteht aus Knochenmaterial, wird jährlich imSpätwinter abgeworfen und bis Mitte Sommer wieder neuaufgebaut. Weibchen und Kälber tragen kein Geweih, wiedas bei allen Cerviden, mit Ausnahme des Rentiers, der Fallist. Die Anzahl der Geweihsprossen eines Rothirsches hängtnicht mit der Höhe des Alters zusammen. Hirsche tragen imOberkiefer keine Schneidezähne, die Eckzähne sind inreduzierter Form als «Grandeln» bei beiden Geschlechternausgebildet. In Liechtenstein liegt das Durchschnittsgewichtder erwachsenen männlichen Rothirsche im Spätsommerzwischen 130 und 220, das der erwachsenen Hirschkühezwischen 100 und 130 Kilogramm. Hirsche sind also rundfünfmal so schwer wie ein Reh. Im Sommer tragen die Tieredas namensgebende rotbraune Fell («Rotwild»), im Wintersind sie graubraun gefärbt. Die Kälber tragen in den erstenLebensmonaten zu ihrer Tarnung weisse Flecken auf hell-braunem Untergrund. Rotwild ist als «Fluchttier» mit grosserFluchtdistanz charakterisiert. Es sind ausdauernde Läufer,hochbeinig, mit gerade verlaufender Wirbelsäule, und miteinem ausgeprägtem Gesichtssinn und gut ausgebildetenRiech- und Hörorganen.

Biologie

Rothirsche leben wie die Gämse im Rudelverband und sindim Gegensatz zum Rehwild nicht territorial. Die Rudelsetzen sich aus Muttertieren mehrerer Generationen, denKälbern sowie den ein- und teilweise auch den zweijährigenmännlichen Hirschen zusammen. Die drei- und mehrjährigenmännlichen Hirsche leben zusammen in kleinen Gruppenoder als Einzelgänger und treffen nur zur Brunftzeit EndeSeptember und Anfang Oktober zu den Familienrudeln. Dasim Mai und Juni nach 34 Wochen Tragzeit geborene Kalb istein Nestflüchter und vermag schon nach ein paar Tagen pro-blemlos der Mutter zu folgen. Es wird während der erstendrei bis fünf Lebensmonate gesäugt und bleibt bis nach demzweiten Lebensjahr unter der Führung des Muttertieres.Nach der Geburt des Kalbes stösst das letztjährige Kalb, dasjetzt Schmaltier heisst, zum Verband dazu und bleibt biszum kommenden Frühjahr. Oft können deshalb im SommerHirschkuh-Kalb-Schmaltier zusammen beobachtet werden.Das grössere Rudel folgt in der Regel dem erfahrendstenAlttier (Leittier), das die besten Einstands- und Nahrungs-gebiete und die günstigsten Wanderrouten kennt und dieseals Tradition an jüngere Tiere weitergibt. Dieses traditionelleWissen ist in Rotwildgebieten wie Liechtenstein, wo starkemenschliche Störungen und eine fast flächendeckende Er-schliessung der Landschaft im Talraum vorliegen, von be-sonders grosser Bedeutung. Die Nahrungswahl dieses Wiederkäuers ist wenig spezia li siertund reicht von Gräsern, Kräutern über Stauden, Strauch- undBaumtrieben bis zu Baumrinden, abhängig vom Störungs-grad, der Waldbauform, der Höhenlage und Jahreszeit. Einekünstliche Fütterung im Winter wird in Liechtenstein nur inForm einer Notfütterung mit Heu während extremerWetterbedingungen betrieben (KERSTING & NÄSCHER 2008). Die auffälligsten Lautäusserungen sind die Brunftschreie derMännchen, von den Jägern als «Röhren» bezeichnet.Weibchen verständigen sich mit ihren Kälbern durch ein na-sales und wenig auffälliges «Mahnen».

Abb. 203 Hirschrudel am Schönberg. (Foto: Franz Fasel)

Abb. 202 Hirschkuh mit Kalb. (Foto: Markus Stähli)

Page 170: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

169

Verbreitung

Der Rothirsch ist als eurasische Tierart in ganz Europa (mitAusnahme von Island, Grönland und einigen Mittelmeer-gebieten) in West- und Zentralasien und in Nordafrika ver-breitet. In seinem Verbreitungsgebiet wird die Art Cervuselaphus in mehrere Unterarten unterteilt. Der asiatischeMaral hirsch, der grosse Ähnlichkeiten mit dem Rothirschaufweist, ist eine Unterart des nordamerikanischen Wapiti -hirsches (Cervus canadensis). Während der Rothirsch in derSchweiz im Laufe des 18. und 19. Jahrhunderts praktischvollständig ausgerottet wurde, hat sich im benachbartenVorarlberg und im Liechtensteiner Berggebiet ein geringerBestand erhalten können. Dieser wurde um 1866 durch zu-sätzliche Aussetzungen von wahrscheinlich bayerischemRotwild durch den Feldkircher Unternehmer Carl Ganahl ge-stützt (HALLER 2002). Heute besiedelt das Rotwild in Liechten-stein vor allem das Berggebiet und die rheintalseitigenHanglagen auf einem Areal von rund 8‘000 Hektaren. ImTalraum kommt es nur noch sporadisch vor. Im Sommer 2011standen einige Stücke in der deckungsreichen Umgebungdes Schwabbrünner Rietes und im Bannriet. Der Sommer-Herbstbestand liegt aktuell bei ca. 600, der Winterbestandbei knapp 300 Stück. Aufgrund intensiver Winterfütterungin den benachbarten Vorarlberger Tälern wandert ein Teildes Rotwildes im Winter in diese Gebiete ab.

Lebensraum

Rothirsche sind aufgrund ihres Körperbaus gekennzeichnetals ausdauernde Läufer und Bewohner weiträumiger, teil-weise offener oder halboffener Lebensräume. Geländeun -eben heiten und dichte Vegetationsstrukturen sind als Deckung beliebt. Die Abwechslung zwischen grossen Frei -flächen erlauben gleichzeitig die optische Absicherung unddie benötigte Deckung während der Wanderung. Eine mög-lichst geringe Zerschneidung durch Strassen ist wichtig. DieLebensraumgrösse (Areal) für weibliches Rotwild reicht beiuns bis rund 200, für männliches Rotwild bis rund 120 Qua-dratkilometer (RUHLÉ & LOOSER 1991). In der Dämmerungs-und Nachtzeit ziehen die Tiere in der Regel zur Äsung aufWiesen ausserhalb des Waldes. Tagsüber werden abgelege-ne, ungestörte Waldgebiete, meist in steilen Hang- undBerglagen, als Einstand bevorzugt.

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Rotwild wird in Liechtenstein von Mai bis Dezember bejagt.Die natürlichen Feinde wie Bär und Wolf fehlen, Steinadlerund Luchs können höchstens den frisch geborenen Kälberngefährlich werden. Der Bestand an Rothirschen ist nicht ge -fähr det. Ein Teil der durch intensive Winterfütterung in Vor-arlberg geförderten Bestände wandert im Frühjahr in Liech -tensteiner Gebiete und führt vor allem in den nördlichenHang- und Berglagen zu überhöhten Beständen und den da-mit zusammenhängenden Schäden am Wald. Rund 100Stück beträgt der jährliche Zuwachs des in Liechtensteinüberwinternden Rotwildes. Bei einer langjährigen jagdli -chen Nutzung zwischen 200 und 250 Stück pro Jahr undtrotzdem gleichbleibendem Bestand wird die Grössen-ordnung der jährlich einwandernden Rothirsche deutlich.Eine Einwanderung von Westen über die Talebene ist durchdie bestehenden Barrieren von Autobahn, Rhein und Sied -lungs gürtel fast vollständig auszuschliessen. Auf SchweizerSeite wurden drei durch die Autobahn A13 unterbrochene,national bedeutsame Wildtierkorridore für den Rothirschausgewiesen (Schollberg-Fläscherberg, Wartau-Cholau,Buch ser Rheinau) (RICHTPLAN KANTON ST. GALLEN). Um die Lebensbedingungen des Rotwildes zu verbessern,sind aufgrund der grossräumlichen Lebensansprüche unddes hohen Nahrungsbedarfs für das Rotwild beruhigte, vonMenschen ungestörte Einstandsgebiete und der freie Zu-gang zu Äsungsflächen auch während der Tagesstunden zugewährleisten. Auf Liechtensteiner Seite sind Leitstrukturenfür einen rheintalquerenden Wildkorridor vom SchaanerRiet bis an den Rhein vorgesehen.Die zur Zeit laufenden Untersuchungen mit Sender-mar kier -tem Rotwild in Vorarlberg, Liechtenstein und Graubündenwerden wichtige Erkenntnisse über die Verbreitung und dasWanderverhalten liefern.

Michael Fasel

Abb. 204 Das Verbreitungsgebiet des Rothirsches konzen-triert sich auf die bewaldeten Hanglagen.

2 01 Kilometer

Page 171: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

170

Reh (Capreolus capreolus)Ordnung: Paarhufer (Artiodactyla)Familie: Hirsche (Cervidae)

Foto: Markus Stähli

Merkmale

Das Europäische Reh ist als kleinster Vertreter der euro -päischen Cerviden knapp ein Fünftel so gross wie der Rot -hirsch und mit 18 bis 35 kg Lebendgewicht um ein Drittelleichter als die Gämse. Rehe sind im Sommer glänzend rotund im Winter hell- bis dunkelgrau gefärbt. Nur die männ-lichen Tiere tragen ein Geweih. Im Winter ist die Geiss vomBock, wenn dieser das Geweih abgeworfen hat, durch die«Schürze» zu unterscheiden, einem zugespitzten Haar-büschel unter dem Spiegel (weisser Fleck am Hinterteil). DerBock schiebt als Einjähriger sein erstes Geweih. Es wird jähr-lich im Spätherbst abgeworfen und im Laufe von rund vierMonaten neu gebildet. Bockkitze können bei starker kör-perlicher Verfassung bereits im ersten Lebens-Halbjahr

knopf artige Geweihe ausbilden. Alte Geissen mit relativgeringen Geweihbildungen kommen vor, sind aber äusserstselten. Die Körpergestalt des Rehes ist ein «Ducker» oder«Schlüpfer», wo die vordere Körperhälfte etwas tiefer liegtals die hintere. Der kurze, dreieckige Schädel unterstreichtdie beinahe keilförmige Körperform, die dem Reh das Lebenim Unterholz erleichtert. Die Gangart erinnert an einenStechschritt, bei dem die Läufe hoch angehoben werdenund keine ziehenden Spuren hinterlassen wie z.B. beimRotwild. Das Wiederkäuergebiss weist im Oberkiefer keineSchneidezähne auf, Grandeln (reduzierte Eckzähne) wiebeim Rotwild kommen beim Reh nur sehr selten vor.

Biologie

Rehe sind territorial und leben nicht in Rudeln wie derRothirsch oder die Gämse. Sie leben mit Ausnahme derHoch winterzeit als Einzelgänger oder im Geiss-Kitz-Ver-band. Böcke beginnen im Frühjahr mit der Abgrenzung vonfesten Territorien, die sie gegen männliche Artgenossen ver-teidigen. Böcke ohne Territorium sind zum Abwandern oderHerumstreifen gezwungen und sind ein Zeichen eines über-höhten Bestands. Geissen beziehen feste Standplätze, dieihnen genügend Einstand, Deckung und Nahrung bieten.Mehrere Aufenthaltsorte von Geissen können innerhalbeines Bockterritoriums liegen oder sich mit anderenTerritorien überschneiden. Die Brunftzeit dauert von MitteJuli bis Mitte August. Nach einigen Wochen Tragzeitbefindet sich der weniger als ein Millimeter grosse Embryoin einer Keimruhe bis Ende des Winters. Die im Mai ge-borenen Kitze, in der Regel Zwillinge, folgen der Ricke

Abb. 205 Das Reh ist mit seinem guten Geruchsinn immer auf der Hut vor möglichen Fressfeinden. (Foto: Markus Stähli)

Page 172: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

171

während einem Jahr. Die Fluchtdistanz der Rehe vor demMenschen ist relativ gering, wenn genügend dichteDeckung vorhanden ist. Mit Duftdrüsen an der Stirn, an denFersen und zwischen den Hinterklauen markieren Reheindividuell ihr Revier oder ihre Fährte. Rehe gelten als Verdaulichkeits- oder Konzentratselektierer. Das heisst, siewählen jene Nahrungspflanzen oder Pflanzenteile gezieltaus, die zu dieser Zeit die richtige Konzentration an Wirkstoffen enthalten, um eine möglichst schnelle Ver dau -ung und optimale Ernährung zu gewährleisten. Rehe ernäh -ren sich hauptsächlich von krautigen Pflanzen und meidenGräser aufgrund der schweren Verdaulichkeit und wegendes hohen Zelluloseanteils. Der Pansen des Rehes ist im Ver-hältnis zu seiner Fleischmasse nur halb so gross wie der desRothirsches. Deshalb füllen Rehe öfter den Pansen und sindauf eine schnelle Verdauung angewiesen.

Verbreitung

Kaum eine andere wildlebende Huftierart ist so weit und all-gemein verbreitet wie das Reh. Seine enorme Anpassungs-fähigkeit an sehr verschiedene, auch durch den Menschentiefgreifend beeinflusste Lebensräume ist für ein Wildtierdieser Grössenordnung, zudem noch als spezialisierter

Wiederkäuer, einzigartig. Es ist von Westasien bis über ganzEuropa verbreitet, mit Ausnahme von Irland, Island, Grön-land und der meisten Mittelmeerinseln. Aufgrund seinerhohen Anpassungsfähigkeit ist das Reh bei uns sowohl einTal- als auch Bergbewohner und kommt in der halboffenenRiedlandschaft ebenso vor wie im Wald. In Liechtenstein be-siedelt das Reh den gesamten Gebirgsraum bis über dieWaldgrenze hinauf. In den Tallagen ist es zwischen Schaanund Triesen verschwunden. In den Landwirtschaftsgebietenzwischen Schaan und Eschen konnte der rückgängige Be-stand durch die Anpflanzung von verbuschten Remisen inden 1980er und 1990er Jahren wieder angehoben und sodas Reh vor dem Verschwinden bewahrt werden. Die höchs-ten Rehbestände des Talraumes leben im Ruggeller undSchellenberger Riet, wo neben den Landwirtschaftsflächengenügend Einstandsflächen mit Deckungsstrukturen vor-handen sind.

Lebensraum

In erster Linie benötigen Rehe dichte Unterholz- oderStreue flächen als Schutz und Versteck und in deren Näheartenreiche Vegetation als Nahrung. In Liechtenstein wur -den in den letzten 20 Jahren grosse, geschlossene Nadel-waldflächen der unteren und mittleren Höhenlagen aufge -lichtet. Die neu heranwachsenden Mischwälder mit reicherBodenvegetation bieten dem Reh günstigen Lebensraum in-nerhalb des Waldes. Naturnahe, stufige Waldränder aberauch offene Flächen mit Feldgehölzen und Hecken schaffenebenfalls optimale Lebensräume. Dagegen finden Rehe ingrossflächigen Waldgebieten mit geschlossenem Kronen -dach und knapper Bodenvegetation nicht ausrei chend Nah -rung.

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Das Reh ist eine der häufigsten Wildarten in Liechtensteinund in seinem Bestand nicht bedroht. Rund 600 Tiere dürftedie Population in unserem Land umfassen. Rehe sind, vorallem in waldreichen Gebieten, nicht zählbar. Anhaltspunkteüber die Bestandsgrösse geben die jährlichen Abschuss-zahlen und die Entwicklung des Verbisses an Bäumen imWald. Freilaufende und wildernde Hunde sowie menschlicheStörungen in sonst ruhigen Waldgebieten stellen die gröss-te Gefährdung dar. Das Reh gehört zur Hauptnahrung derLuchse. Steinadler, Fuchs, aber auch das Wildschwein ver-mögen junge Rehkitze zu erbeuten. Die Zerschneidung derLebensräume durch Strassen fordert zahlreiche Strassen-opfer. Daneben können Rehkitze auch landwirtschaftlichenMähmaschinen zum Opfer fallen. In offenen Riedgebietenund in der landwirtschaftlich genutzten Talebene sindgenügend dichte Einstandsflächen erforderlich, wo Reheund viele andere Tierarten Schutz vor menschlichen Ak-tivitäten finden.

Michael Fasel

Abb. 206 Das Reh ist auch noch in den Tallagen mit genü-gend Deckungsstrukturen anzutreffen.

2 01 Kilometer

Page 173: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

172

Alpensteinbock (Capra ibex)Ordnung: Paarhufer (Artiodactyla)Familie: Hornträger (Bovidae)

Foto: Markus Stähli

Merkmale

Der gedrungene Körperbau mit stämmigen, kurzhufigenBeinen, kurzem Schwanz, verhältnismässig kurzem Kopf mitaufgewölbter Stirn zeigt deutlich die Ziegenverwandtschaft.Steintiere sind ausgesprochen gut angepasst an das Klettern insteilem Fels. Die hartrandigen und gut spreizbaren paarigenHufe ermöglichen einen guten Halt auf abschüssigem Fels undwirken wie Schneeschuhe im tiefen Schnee. Die Geissenwerden 40 bis 50 kg, die Böcke bis zu 140 kg schwer. Bei allenBovidenarten tragen sowohl Weibchen wie Männchen Hörner.Die des Steinbockes können bis zu einem Me ter, die der Stein-geiss bis etwa 30 Zentimeter lang werden. Weil Hörner nichtwie bei Cerviden jährlich abgeworfen werden, sondern lebens-lang weiterwachsen, bilden sich während des Wachstumsstill-stands im Winter Jahrringe, die die genaue Altersbestimmungermöglichen. Beim Bock kann aufgrund der markantenKnoten des Gehörns, von denen in der Regel zwei pro Jahr ge-bildet werden, das Alter auch auf Distanz relativ genau ge-schätzt werden (Anzahl Knoten dividiert durch 2 plus 1=Alter).Das im ersten Lebensjahr gebildete Kitzgehörn wird mit zu-nehmendem Alter immer mehr abgeschabt und ist an den

Hörnern alter Tiere kaum mehr feststellbar. Das aus 32 Zähnenbestehende Dauergebiss trägt im Oberkiefer wie bei allenWiederkäuern keine Schneidezähne. Bau, Form und Stellungder Zähne sind grundsätzlich gleich wie bei der Gämse. Dasdichte, raue Fell trägt im Winter längere Haare und einedichtere Unterwolle als im Sommer. Während des Frühlingsfallen die Haare in grossen Büscheln aus, wenn der Steinbocksich an Zwergsträuchern und am Boden kratzt und schürt. DieNeubildung des Haarkleides erfolgt einmal im Jahr und be-ginnt im Sommer. Bis in den Spätherbst wachsen auch dieWoll- und Deckhaare des Winterfells durch die Sommerhaarehindurch. Im Sommer ist das Fell braun- bis rötlichgrau, imWinter etwas heller, fast gelblichgrau.

Biologie

Beim Alpensteinbock dauert die Jugendentwicklung längerals bei Gämse oder Rothirsch. Steingeissen erreichen die vollekörperliche Entwicklung mit etwa fünf Jahren, Stein böckemit etwa acht Jahren. Die zehn- bis zwölfjährigen Böckedominieren das Brunftgeschehen. Der Zeitpunkt der Ge-schlechtsreife ist keine fixe Grösse und hängt von der Popu -la tionsgrösse und den herrschenden Umweltbe din gun genab. Sie kann aber bereits mit eineinhalb Jahren eintre ten. DieBrunftzeit liegt von Ende November bis Anfang Januar. Nacheiner Tragzeit von durchschnittlich 167 Tagen wird zwischenEnde Mai und Mitte Juni ein Kitz mit einem Gewicht vonrund 3 kg gesetzt. In dem felsigen, steilen Ge län de klettertdas Kitz bereits nach wenigen Tagen seiner Mutter nach.Böcke leben das Jahr über in gesonderten Bockrudeln. Die nahe Verwandschaft von Steinbock und Ziegen zeigtsich auch darin, dass Hausziegen-Alpensteinbock-Hybridenlebens- und fortpflanzungsfähig sind. Steinwild ernährt sichzu jeder Jahreszeit zu über 80% von Gräsern, Binsen undSeggen, ist also ein ausgeprägter Raufutterfresser. AlpineZwergsträucher, Flechten sowie Nadelbäume werden auchim Winter beäst, Rindenschälung an Waldbäumen ist vomSteinwild nicht bekannt. Der Steinbockpansen ist wie beiallen Gras-Wiederkäuern verhältnismässig gross und vermag

Abb. 207 Die Grafik zeigt die Bestandsentwicklung und die Abschüsse in der Steinwildkolonie Falknis auf Graubündnerund Liechtensteiner Seite. Der Steinwildbestand in der Falkniskolonie wuchs bis 1989 aufgrund guter natürlicher Bedin-gungen und fehlender Bejagung stetig an bis auf den gewünschten Bestand von gut 100 Tieren. Um einen überhöhtenBestand zu verhindern, wurde durch eine zuerst vorsichtige, danach gesteigerte Bejagung der Bestand reguliert und da-mit der Kapazität des Lebensraumes angepasst. (Amt für Jagd und Fischerei Graubünden)

0.0

5.0

10.0

15.0

20.0

25.0

30.0

0

20

40

60

80

100

120

140

160

180

77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10

Bestand

Abschüsse

Prozent

Anz

ahl T

iere

Proz

ent

Page 174: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

173

rund 30 Liter zu fassen. Der Verdauungstrakt ist auf schwerverdauliche Zellulosenahrung eingerichtet. Eingetrocknete,mit Haaren verfilzte Bestandteile bilden im Labmagengelegentlich die sogenannten Bezoar kugeln, ovale, leichtabgeflachte Gebilde. Diesen wie auch den Lungen, Herz-knochen (verknöcherten Sehnen der Herzmuskulatur), denHörnern und anderen Körperteilen wur den früher Heil-kräfte zugeschrieben, was hauptsächlich zur Beinaheaus-rottung dieser Wildart beigetragen hat.

Verbreitung

Die heutige Verbreitung des Alpensteinbockes umfasst den ge-samten Alpenbogen von den südfranzösischen Alpen über dieSchweiz, Norditalien, Liechtenstein, Österreich und Slowenien.Bis zum 19. Jahrhundert führte die übermässige Bejagung zurBeinahe-Ausrottung dieser Tierart. Nur im Gebiet des heutigenNationalparks Gran Paradiso in Italien überlebte unter demSchutz des damaligen Königs eine Population, von derenGrösse keine genauen Überliefe rungen vorliegen. Ab 1906erfolgten die ersten Lieferungen von Steinkitzen aus diesemGebiet in die Schweiz in den St. Galler Tierpark «Peter undPaul» – auf nicht immer offi ziel len Wegen. 1911 erfolgte mitzwei Böcken und drei Geissen die erste Koloniegründung der

Schweiz im Gebiet «Graue Hörner» im St. Gallischen Weiss-tannental (MEILE ET AL. 2003). Ab 1920 konnten die erstenSteinböcke innerhalb der Schweiz eingefangen und in andereGebiete versetzt wer den. Die in Liechtenstein vorkommendenSteinböcke sind Tiere aus der bündnerischen Falkniskolonie.Diese wurde durch verschie dene Aussetzungen zwischen 1958und 1972 im angren zen den Graubünden und Vorarlberg be-gründet. Im ersten Bericht der Botanisch-Zoologischen Gesell-schaft Liechtenstein-Sargans-Werdenberg wurden unab hän gigvon einander die ersten Exemplare auf Liechtensteiner Bodengemeldet und zwar durch Andreas Frommelt, Vaduz (zweiExemplare am 13.8.1971) und Walter Wachter, Schaan (vier bissechs Exemplare ca. drei Wochen vorher) (BZG-Bericht 1971).Vor allem im Sommer steht ein Teil der Falknispopulationauf Liechtensteiner Gebiet zwischen Mittagspitz und Naaf-kopf. Das übrige Berggebiet Liechtensteins ist wenig ge-eignet als Steinwildlebensraum. Im Herbst 1989 wurde zumersten Mal ein Steinbock auf der offiziellen Jagd in Liechten-stein (Lawenatal) erlegt. Seither erfolgt die Bestandser fas -sung und Abschussplanung in Absprache mit den Behördendes Kantons Graubünden.

Lebensraum

Im Sommer hält sich das Steinwild gerne in Hochgebirgs-gegenden auf, die eine weit hinaufreichende Zone alpinerMatten und schutzbietender Felsgebiete aufweisen. DieseLebensraumqualitäten müssen möglichst grossräumig vor-handen sein und den Zusammenschluss zwischen benachbar -ten Populationen ermöglichen und optimalerweise zwischen2500 und 3000 m ü. M. liegen. Für diese Qualitäten eignetsich in Liechtenstein gerade noch die nördliche Gebirgsketteam Falknis. Liegen die Steinwildgebiete unterhalb dieserHöhe wird der alpine Weidegürtel bis zur Waldgrenze hinabzu schmal und es entsteht eine Konkurrenz mit dem Alpviehund den Gämsen. Die Wintereinstände liegen in der Regel intieferen Lagen als die Sommereinstände. Im Winter überlebtdas Steinwild vor allem durch das Einsparen von Energie,wofür ruhige, nach Süden exponierte Flanken erforderlichsind, an denen der Schnee schnell schmilzt oder abrutschtund immer Nahrung bereit hält und die gleichzeitig Wärmeund Schutz bieten. Im ausapernden Frühjahr zieht das Stein -wild gerne in tiefer gelegene aufgelockerte Nadelwälderund Maiensässe und zieht mit der zurückweichendenSchneegrenze hinauf in die Sommereinstände.

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Steinwild wird in Liechtenstein zurückhaltend und in Ab-sprache mit dem Kanton Graubünden bejagt. Die Falknis-population ist nicht gefährdet und entwickelt sich gut. Aussetzungen von Steinwild in anderen Landesteilen wärenauf grund ungeeigneter Lebensräume nicht sinnvoll.Durch die wissenschaftlich begründete Jagdplanung ist derBestand des Steinwildes einfach zu regulieren.

Michael Fasel

Abb. 208 Das Verbreitungsgebiet des Alpensteinbocks beschränkt sich auf das Gebiet zwischen Mittagsspitze undNaafkopf.

2 01 Kilometer

Page 175: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

174

Gämse (Rupicapra rupicapra)Ordnung: Paarhufer (Artiodactyla)Familie: Hornträger (Bovidae)

Foto: Markus Stähli

Merkmale

Gämsen sind sehr robust, ertragen auch hohe Schneelagengut und waren in der Vergangenheit im Alpengebiet nie sostark reduziert oder fast ausgerottet worden wie dieanderen Huftierarten. Die Gämse ist wie der Alpensteinbockein Rudeltier und eine Charakterart des Hochgebirges, hältsich aber in der Regel in tieferen Lagen auf als der Stein -bock, wobei sich deren Aufenthaltsgebiete je nach Jahres-zeit überschneiden. Ein kurzer, kräftiger Körperbau mit rela -tiv langen, kräftigen Beinen und stumpfen paarigen Hufen(«Schalen») zeichnet die Gämse aus. Die Hufe weisen scharfeKanten und weiche Sohlenpolster auf, die einen optimalenHalt im steilen Fels ermöglichen und durch starke Spreiz-fähigkeit das Versinken im tiefen Schnee verhindern. DieBeingelenke bilden spitze Winkel, was das weite Springenund Abfedern in steilem Gelände unterstützt. Bei allen Bovi -den arten tragen sowohl Weibchen wie Männchen Hörner(«Kruken»). Die des Gamsbockes sind etwas stärker gebautund an der Spitze stärker gekrümmt als diejenigen derGams geissen. In der Länge der Hörner bestehen kaumUnter schiede. Weil Hörner nicht wie bei Cerviden jährlichabgeworfen werden sondern lebenslang weiterwachsen,bilden sich während des Wachstumsstillstands im WinterJahrringe, die die genaue Altersbestimmung am toten Tierermöglichen. Der Bock ist rund 10% bis 20% grösser als dieGeiss. Das Körpergewicht eines lebenden Bockes beträgt 35bis 50 Kg bei der Geiss sind es 25 bis 40 Kg. Vor allem imdunkelgrauen bis fast schwarzen Winterfell mit den langen«Bart»-Haaren am Rücken, wirkt der Bock sehr imposant.Das von Juni bis August getragene kurzhaarige Sommerfellvon Geiss und Bock ist gelblich-braungrau. Stirne undWangen bis zum Halsansatz sind gelblich-weiss gefärbt.Zwischen Stirne und Wangen zieht sich ein dunkles Haar -band vom Krukenansatz bis zum Mund. Das Gamsfell mitseiner dichten Unterwolle isoliert im Winter so gut, dassdarauf liegender Schnee durch die Körperwärme nichtschmilzt. Eine Besonderheit des Gamsgebisses ist die Härteund Dauerhaftigkeit der Backenzähne. Während bei Cer -viden mit zunehmendem Alter eine starke Abnützung derZahnkronen deutlich sichtbar ist, wird bei Gämsen mit zu-

nehmendem Alter die Zahnkrone im Kieferknochen an-gehoben, sodass die Zähne praktisch immer gleich hoch er-scheinen und auch in hohem Alter eine gute Nahrungsauf-nahme und damit einen Fortpflanzungsvorteil ergeben. Dasaus 32 Zähnen bestehende Dauergebiss trägt im Oberkieferwie bei allen Wiederkäuern keine Schneidezähne.

Biologie

Gämsen bewohnen felsdurchsetzte Gebiete oberhalb undunterhalb der Waldgrenze. Sie sind Wiederkäuer und er-nähren sich ähnlich wie der Steinbock zur Hauptsache vonGräsern. Der Unterschied zwischen den beiden Wildarten be-steht darin, dass die Nahrung der Gämsen im Sommer mehrKräuter enthält und deutlich eiweisshaltiger ist als beimSteinbock, welcher mehr rohfaserhaltige Nahrung aufnimmt.Im Winter nimmt der Gehalt an Nadel- und Laub bäumen inder Nahrung des Gamswildes zu, was je nach Waldgesell-schaft zu Schäden führen kann. Bezoarkugeln – unver-dauliche, mit Haaren verfilzte ovale Gebilde – können ähn-lich wie beim Steinwild auch im Labmagen des Gamswildesvorkommen. Gämsen verteidigen für sich selber immer einengewissen Freiraum von einigen Metern, weshalb Einzeltiereauch innerhalb des Rudels immer einen bestimmten Minimal-abstand zueinander einhalten, der nur zwischen Kitz undMuttertier unterschritten wird. Die Rudel bestehen ausser-halb der Brunftzeit vorwiegend aus Weib chen, Jährlingenund Kitzen, die von einer Leitgeiss an ge führt werden.Der hohe Anpassungsgrad an das Gebirgsleben wird unter-strichen durch die hohe Dichte roter Blutkörperchen, diebeim Gams 12 Millionen pro mm3 Blut betragen, beim Men -schen sind es 4,5 Millionen pro mm3. Die Brunftzeit findet imSpätherbst von Ende Oktober bis Anfang Dezember statt.

Abb. 209 Die Gämse ist ein ausgezeichneter Kletterer.(Foto: Markus Stähli)

Page 176: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

175

Die Böcke, die den Sommer über in Bockrudeln vereintwaren, bekämpfen sich während der Brunft in kräfte zeh -renden langen Verfolgungsjagden, die auch tödlich endenkönnen. Während der Brunftzeit markieren die Böcke mitden sogenannten «Brunftfeigen», zwei hinter den Krukenliegenden Drüsen ihr Territorium.

Verbreitung

Das Gamswild hat in den Alpen sein grösstes zusam men hän -gen des Verbreitungsgebiet. Im Schweizer Jura existieren ei-nige eingesetzte kleinere, isolierte Populationen. In an dereneuropäischen Gebirgsgegenden und auf dem Bal kan lebenverschiedene Unterarten der alpinen Nominat form. In Neu-seeland wurde die Alpengämse vom Menschen eingeführt. Das Berggebiet Liechtensteins liegt an der nördlichen Ver-breitungsgrenze der Gämse in den Alpen. Rund 600 bis 700Gämsen besiedeln das Liechtensteiner Berggebiet. Der Ver-breitungsschwerpunkt liegt entlang der Gebirgskämme imBereich der Waldgrenze, die grösstenteils durch die Schaf -fung von Alpweideflächen deutlich unter die natürlicheWaldgrenze abgesenkt worden ist. Tiefer gelegene Weide-und Mähwiesengebiete wie z.B. auf Profatscheng oder fels-durchsetzte Waldgebiete der Tieflagen wie am Leckata Steinam Maurerberg und an der Mittagspitz, werden ebenfallsgerne vom Gamswild aufgesucht.

Lebensraum

Sicherheit, Nahrung und Temperatur sind wichtige Faktoren,die ein guter Gamslebensraum erfüllen muss. Alp weide -flächen, Zwergstrauch- und Legföhrengebiete werden vomFrühling bis in den Spätherbst bevorzugt. Schattige Fels-gebiete und spät ausapernde Schneefelder werden imSommer zur Kühlung aufgesucht, weil aufgrund der Rau -futteräsung eine intensive Wärme produzierende Verdau-ungstätigkeit vorhanden ist, die die Gämse bei som mer li -chen Aussentemperaturen in einen Hitzestress versetzenkann. Im Winter stehen die Gämsen meist in den oberenWaldlagen ein. Sonnige, steile Lagen, wo der Schnee schnellausapert oder abrutscht, sind beliebt.

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Da die durchschnittliche Gipfelhöhe der LiechtensteinerBerge nur rund 200 bis 300 Höhenmeter über der natür li chenWaldgrenze liegt, steht den Gämsen bloss ein relativschmales Band alpiner Wiesenflächen zur Verfügung, daszudem vom Alpvieh und vom Rotwild genutzt wird, was zueiner ungenügenden Nahrungsversorgung führen kann.Gleichzeitig konzentriert sich in diesen Gebieten der alpineWandertourismus, was sich zeitweise als Störfaktor äussertund das Gamswild in seinem Tagesablauf beeinflusst oder esin die tiefer liegenden Waldflächen vertreibt, was zuSchäden führen kann. Schneeschuhläufer und Variantenski -fahrer können die Tiere im Winter in ihren Einstandsge bie tenaufscheuchen und zu einer Energie zehrenden Flucht füh ren. Die Einrichtung von Ruhezonen oder Jagdverbotsflächen indafür geeigneten Gebieten sind in einer solchen Situationwichtig. Natürliche Feinde wären vor allem Luchs, Bär undWolf. Die Gämse wird heute jagdlich reguliert. Dazu wirdder Bestand in Liechtenstein jährlich überwacht und daraufaufbauend die zum Abschuss freigegebene Zahl der Tiere er-mittelt. Bei der Jagd muss darauf geachtet werden, dassnicht die dominanten Leitgeissen der Rudel erlegt werden,die meist auch attraktive Trophäen tragen.

Michael Fasel

Abb. 210 Die Gämse ist in den ganzen Hochlagen verbreitet.

2 01 Kilometer

Abb. 211 Zähldaten (gesehene Stücke) der Gamsbeständeim Liechtensteiner Berggebiet (Bargella, Guschgfiel, Lawena,Malbun, Sass, Valüna) (Quelle: Gamswilderhebungen AWNL).

Page 177: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

176

Historisch nachgewiesene Arten

Mehrere grosse Paarhuferarten sind historisch für Mittel-europa nachgewiesen. Für einzelne davon liegen auchKnochenfunde für Liechtenstein oder die benachbarten Ge-biete vor. Diese Arten werden nachfolgend beschrieben.

Elch (Alces alces)Ordnung: Paarhufer (Artiodactyla)Familie: Hirsche (Cervidae)

Foto: Markus Stähli

Merkmale

Der Elch ist der grösste heute vorkommende Hirsch. Er hateinen langen Kopf mit riesiger Oberlippe und einem Schau -felgeweih beim Männchen. Er hat eine Kopf-Rumpf-Länge

bis drei Meter und eine maximale Schulterhöhe von 2.30Meter und wiegt bis 800 kg. Charakteristisch sind der relativkurze massige Rumpf und die langen Beine, was beim Auf-enthalt in Sümpfen und allgemein im Wasser ein Vorteil ist.Eine Besonderheit sind hier auch die Schwimmhäute, die dasEinsinken vermindern. Dies ist eine Eigenart, die bei anderenHirschen nicht vorkommt. Das Geweih wird jedes Jahr imZeitraum Januar/Februar abgeworfen, wobei die männ-lichen Tiere erstmals das Geweih im zweiten Lebensjahr ent-wickeln.

Biologie

Elche fressen am Tag überwiegend energiereiche Nahrung,wie junge Baumtriebe und Wasserpflanzen, da frisches Laubprotein- und mineralreicher ist als Gras. Sie bevorzugenhierbei Pappeln, Birken und Weiden. Bei der Nahrungssuchesind sie einzelgängerisch und durchstreifen eher kleine Ge-biete. An den herbstlichen Brunftplätzen finden sich oft weiblicheRudel bis zu 15 Tieren. Da Elche solitär leben, verlassen dieWeibchen die Bullen nach der Paarung wieder. Die Tragzeitbeträgt 226-264 Tage, also etwa acht Monate und meist wirdnur ein Tier geboren. Nach der Geburt gelten Elchkühe alsgefährlich. Junge Elche werden nach 16 bis 17 Monaten ge-schlechtsreif. Die maximale Lebensdauer liegt bei 27 Jahren,wobei in Freiheit selten 15 Jahre überschritten werden dürf -ten. Natürliche Feinde des Elches sind Braunbären undWölfe.

Abb. 212 Der Elch ist heute noch in Nordeuropa verbreitet (Foto: Markus Stähli)

Page 178: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

177

Verbreitung

Sein Lebensraum erstreckt sich über Eurasien und Nordame-rika. Die heutigen grösseren europäischen Elchpopulationenfinden sich in Norwegen, Schweden, Finnland, den Bal ti -schen Staaten und Russland. Kleinere Ansiedlungen gibt esin Polen, Weissrussland und Tschechien. Der Elch wird inMitteleuropa in den Abfalllagern der älteren Pfahlbautenallgemein angetroffen. Wann er aus der Gegend verschwun -den ist, erscheint unsicher, da keine Notizen aus historischerZeit über ihn vorliegen. Zu dieser Zeit kam der Elch jeden -falls auch in Westeuropa vor. Um die Zeitenwende war ernoch in ganz Germanien verbreitet. Informationen zu Elch-Vorkommen im früheren Germanien wurden unter anderemvon Caesar, Strabo und Pausanias überliefert. Caesar schreibtin seinem Bellum gallicum lib. VI, 26, «der Elch habe keineGelenke, infolgedessen er nicht imstande sei, sich nieder-zulassen oder aufzustehen, daher das Tier sich an die einenBaum lehne, so es der Ruhe pflegen wolle» (BÄCHLER 1911). Auch wir in Liechtenstein haben einen diesbezüglichen Hin-weis auf ein früheres Elch-Vorkommen, und zwar in Formeines Knochenfundes aus dem spätrömischen Kastell zuSchaan im 4. Jahrhundert n.Chr. (WÜRGLER 1958). Die Kno -chen wurden im Innern des Kastells mitten unter Nahrungs-überresten gefunden. Im frühen Mittelalter dürfte also derElch noch im Alpenrheintal vorgekommen sein. BÄCHLER

(1911) schildert alle damals bekannten Elchknochenfunde inder Ostschweiz, die sich auf die Spät- und Nacheiszeit be zie -hen.Mit dem Verschwinden der grossen Wälder und der Aus-weitung des Kulturraumes ging der Elchbestand zurück.Noch im 8. Jahrhundert n.Chr. soll es in Bayern grössere Be-stände gegeben haben. Nach dem heutigen Forschungs-stand ist der Elch in der Schweiz bis ins 10. Jahrhundert(BAYERISCHES STAATSMINISTERIUM FÜR LANDWIRTSCHAFT UND FORSTEN

2008) nachgewiesen. Eine scharfe Bejagung der Rest popu -lationen scheint im frühen Mittelalter die zentrale Rolle fürdas Verschwinden gewesen zu sein. Ausdauernd erhielt sichder Elch in Ostpreussen.Das heutige Verbreitungsgebiet des Elchs ist im 20. und 21.Jahrhundert sehr dynamisch, vor allem auch in RichtungMitteleuropa. Nach dem 2. Weltkrieg erholte sich der Elch-bestand in Osteuropa wieder. Einzeltiere und kleine Grup -pen begannen sich langsam in Richtung Süden und Südwesten auszubreiten. So kehrten nach 400 Jahren Ab we -senheit Elche in den späten 1950-er Jahren wieder nachMitteleuropa zurück. Der Weg der Elche führte von Polenausgehend über den Biosphärenpark Trebon, nördlich derWaldviertler Stadt Gmünd, in den Böhmerwald. Am Beginnder 1970-er Jahre werden hier erste Jungtiere beobachtet.Seither gibt es regelmässige Beobachtungen im nördlichenMühlviertel in Österreich. In Bayern wurde wegen der zu-nehmenden Einwanderung der Tiere aus Tschechien sogarein «Elchplan» im Mai 2008 (BAYERISCHES STAATSMINISTERIUM FÜR

LANDWIRTSCHAFT UND FORSTEN) zum Umgang mit Elchen heraus-gegeben. Bereits im Jahre 1976 ist ein Elch bis in die Isarauenvorgestossen. Inzwischen ist der Elch im Bayerischen Waldund in den östlichen Regierungsbezirken regelmässigerGast.

Lebensraum

Der Elch ist anpassungsfähig, stellt aber doch Lebensraum-ansprüche, die in Mitteleuropa nicht mehr leicht zu findensind. Das sind Äsungsgebiete mit Laub- und vor allem Weich-holzarten, die gross genug sind, dass eine Regenerationmöglich ist. Ebenso braucht er störungsfreie Rückzugsge -biete, die vor allem für die Jungenaufzucht bedeutsam sind.Wasser ist ein weiterer wichtiger Faktor, da Elche an einkühles Klima angepasst sind und während der SommerhitzeWasser zum Abkühlen suchen. Er ist relativ ortstreu, wobeier ein Territorium von bis zu 1500 ha nutzt. Elche sind in derbaumlosen Arktis, auf alpinen Matten, in der Prärie und inSumpfwälder zu finden.

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Der Elch dürfte bei uns im frühen Mittelalter ausgestorbensein, wobei die grossflächigen Rodungen und der Jagddruckeine Rolle gespielt haben dürften. Auch beim Elch zeigt sicheine Wiederausbreitungstendenz aus seinen Rückzugs-gebieten im Baltikum in Richtung Westen. Die nächstenElchvorkommen finden sich im östlichen Bayern ca. 350 Kilo-meter von Liechtenstein entfernt.

Mario F. Broggi

Abb. 213 Der Elch weist ein eindrückliches Geweih auf. Wie bei allenHirschartigen üblich wird dieses jedes Jahr erneuert. (Foto: Markus Stähli)

Page 179: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

178

Wisent (Bison bonasus)Ordnung: Paarhufer (Arctiodactyla)Familie: Hornträger (Bovidae)

Foto: Markus Stähli

Merkmale

Der Wisent ist eine europäische Wildrindart. Er ist seit derAusrottung des Auerochsen Europas schwerstes und grösstesLandsäugetier und zudem der letzte Vertreter derwildlebenden Rinderarten des europäischen Kontinents. DieBullen können maximal 900 Kilogramm wiegen, wobei dieKopf-Rumpflänge bis drei Meter beträgt. Ihre Widerristhöhekann ähnlich dem Menschen bis zu 1.90 m betragen. DieWisentkühe sind entsprechend kleiner. Auffällig sind beiWisenten die vom Widerrist nach hinten abfallende Rücken-linie und die sehr starke muskulöse Vorderpartie. Beide Ge-

schlechter tragen Hörner, wobei diejenigen der Kühe im Ver-gleich zu den Bullen kürzer und dünner sind. Wisentekönnen schnell galoppieren und erreichen bis zu 60 km/h.

Biologie

Wisente sind Herdentiere. Lediglich ältere Bullen lebeneinzelgängerisch, während junge Bullen sich zu kleinenGruppen zusammenschliessen. Die typische Wisentherde isteine gemischte Gruppe, die aus Kühen, zwei- bis dreijäh-rigen Jungtieren, Kälbern und während der Brunftzeit aucherwachsenen Bullen besteht. Eine Herde wird von einerLeitkuh angeführt. Die Paarungszeit fällt in den ZeitraumAugust bis Oktober. Zur Fortpflanzung kommen in der RegelBullen zwischen dem 6. und 12. Lebensjahr, freilebendeKühe gebären ihr erstes Kalb im vierten Lebensjahr. Siebleiben bis ins hohe Alter von 20 Jahren fruchtbar. Es werden zwei Wisent-Unterarten anerkannt, der Flach-landwisent, der die einzige nicht ausgestorbene Unterartumfasst sowie der Bergwisent, der nicht mehr reinblütig vor-kommt.

Abb. 214 Der Wisent lebt in Herden. (Foto: Markus Stähli)

Page 180: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

179

Verbreitung

Die ursprüngliche Verbreitung des Wisents umfasste einengrossen Teil des europäischen Kontinents, vom NordenSpaniens über Mitteleuropa und den Süden Skandinaviensbis ans Schwarze Meer und dem Kaukasus. Der Lebensraumbegann bereits während des Neolithikums vor etwa 6000Jahren zu schrumpfen. Mit dem Übergang von Jäger- undSammlerkulturen zu sesshaften Bauern ging eine immerstärkere menschliche Nutzung und Abholzung von Wälderneinher. Wisente kamen auch im Alpenrheintal einst vor. Soliefert die Auswertung der steinzeitlichen Knochenfundeauf dem Lutzengüetle (HARTMANN-FRICK 1959) am Eschner-berg einen Wisentbeleg in der Michelsbergerschicht. Aufdem nahen Borscht (HARTMANN-FRICK 1965) ist nichts nach-gewiesen. Wisente sollen noch bis in das frühe Mittelalter in denUrwäldern von West-, Zentral- und Südosteuropa vorge kom -men sein. «Wisent, Ur und Elch kamen übrigens im 10. Jahr-hundert auch in der Schweiz noch vor, wie es aus denBenedictiones ad mensas, den Tischgebeten und Speiseseg-nungen des Mönchs und Dichters Ekkehard IV hervorgeht, inwelchem die Thiere aufgezählt werden, welche auf die Tafeldes damals so mächtigen und in voller Blüte stehendenSt.Galler Klosters kamen» (MÜHLBERG 1887). Auf dem Gebietdes heutigen Deutschland verschwand der Wisent zwischendem 14. und 16. Jahrhundert. «In Ostpreussen gab es zu Be-ginn des 18. Jahrhunderts noch so viele Wisente, dass manim Königsberger Hetztheater anlässlich der Krönungs-feierlichkeiten von Friedrich I im Januar 1701 mehrereWisente gegen Bären und Wölfe kämpfen liess» (Wikipedia).Besondere Bedeutung für den Erhalt des Wisents hatte derWald von Bialowieza. Bereits im Mittelalter war dieseentlegene Region im Grenzgebiet zwischen Weissrusslandund Polen ein privilegiertes Jagdgebiet der polnischenKönige. Ab 1795 stand das Gebiet unter strengem Schutzdes russischen Zaren, wobei auf Wilderei die Todesstrafestand. Von 1837 bis zum Ende des ersten Weltkriegeswurden hier die Wisente jährlich gezählt, wobei der Höchst-bestand im Jahre 1857 mit 1900 Wisenten angegeben wur -de. Im Herbst 1917 waren es noch 150 Tiere, nach dem Kriegfielen die meisten Tiere marodierenden Soldaten undWilderern zum Opfer. Die letzten Tiere wurden dort am 4.April 1919 gesehen. Da während des 19. Jahrhunderts ausden Wisentbeständen dieses Gebietes immer wieder Tiereentnommen und an Zoos und Gehege verschenkt wurden,konnte auf diese Nachkommen zurückgegriffen werden, alsin den 1920-er Jahren die Bemühungen die Art zu erhalteneinsetzten. Nach Anstrengungen seitens der Zoos und Pri-vatpersonen konnten die ersten freilebenden Wisente 1952im Gebiet des heutigen Nationalparks an der polnisch-weiss-russischen Grenze wieder ausgewildert werden. Im Jahre2004 existierten 31 freilebende Populationen in einerGesamtstärke von knapp 2000 Tieren in Polen, Weissruss-land, Ukraine, Russland, Litauen und Slowakei. Das ent-spricht rund 60 Prozent des Weltbestandes. Auch in Deutsch-land sollen bald erste freilebende Tiere ausgesetzt werden(Wikipedia).

Lebensraum

Der Lebensraum der Wisente sind ausgedehnte Laub- undMischwälder mit Mosaiken unterschiedlich dichter Vege ta -tions strukturen. Sie zeigen eine Vorliebe für Erlenbrüche.Die jahreszeitlich unterschiedliche Entwicklung der Kraut-schicht prägt das Nutzungsverhalten der Tiere. Die Revier-grösse einer Gruppe von Wisenten beträgt etwa 5 000 ha.Der Wisent ist ein typischer Raufutterverwerter. Es bestehtein Nahrungsbedarf von 30-60 kg pro Tag (Wikipedia).

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Am 25./26. Augsut 1923 wurde die internationale Gesell-schaft zur Erhaltung des Wisents gegründet, wobei das pri -märe Ziel darin bestand alle in Gehegen und Zoos gehal te -nen Wisente ausfindig zu machen und mit diesen eineErhaltungszucht zu begründen. Man fand insgesamt 29Wisentbullen und 25 Kühe. Letztlich stammen aber alleheute lebenden Wisente von nur 12 Tieren ab. Die niedrigegenetische Variabilität gilt als einer der wesentlichstenGefahren für den langfristigen Erhalt der Art. Das Zucht-buch für Wisente gilt als das älteste Zuchtbuch für eineWildtierart. Heute wird das Zuchtbuch in Bialowieza ge -führt. Im Jahre 2006 standen etwa 3200 reinrassige Wisenteim Zuchtbuch. Seit einigen Jahren versucht man bevorzugtWisente in solchen Lebensräumen anzusiedeln, in denen diejeweilige Population eine Mindestgrösse von 100 Tierenerreichen kann. Seit einigen Jahren geben Forst- und Natur-schutzbehörden in Weissrussland, Russland, Polen und derUkraine jährlich wieder freilebende Wisente zum kom-merziellen Abschuss frei (Wikipedia).

Mario F. Broggi

Page 181: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

180

Auerochse (Ur) (Bos primigenius)Ordnung: Paarhufer (Artiodactyla)Familie: Hornträger (Bovidae)

Merkmale

Der Auerochse ist eine ausgestorbene Art der Wildrinder.Sein Aussehen lässt sich anhand von Höhlenmalereien (z.B.Höhle von Lascaux, Frankreich), Beschreibungen und Ab-bildungen sowie Knochenfunden rekonstruieren. Mit einerKopfrumpflänge von über drei Metern, einer Schulterhöhevon 1.75 bis 1.88 m bei den Bullen und einem Gewicht bis zueiner Tonne war der Ur bis zur letzten Eiszeit eines dermächtigsten Landtiere Europas, vergleichbar mit demWisent. Die Hörner wurden bis zu 80 cm lang und waren intypischer Weise nach vorn geschwungen. Die Weibchenwaren um einen Viertel kleiner. Die Fellfarbe war schwarz-braun. Nach der Eiszeit nahm der Auerochse in seiner Grössedeutlich ab.

Biologie

Der Ur lebte in kleinen Herden unter Führung eines älterenWeibchens, während die Bullen jeweils ihr eigenes Terri to -rium besetzten und dieses gegen andere Bullen ver-teidigten. Es sind drei Unterarten bekann: der europäische,indische und afrikanische Auerochse. Die modernen eu-ropäischen Hausrinder sind keine direkten Nachkommen deseuropäischen Auerochsen. Der Ort ihrer Domestizierungwird im Nahen Osten bzw. Indien vermutet.

Verbreitung

Der Ur war einmal vom Pazifik über Asien und Europa ver-breitet, ausserdem besiedelte er auch die Gebiete zwischennördlicher Tundra und Nordafrika. Sein erstmaliges Auf-treten in Mitteleuropa wird vor etwa 250’000 Jahren an-genommen. Der Ur starb wohl im Mittelmeerraum und inAsien bereits um die Zeitenwende aus, während er in Mittel-europa sehr viel länger beheimatet war.Der Ur wurde vielfach am Bodenseeufer in der Stein- undBronzezeit festgestellt. Man kann sich den Ur gut in denehemaligen Rheinauen des Alpenrheintales vorstellen. Er istdenn auch in den Knochenresten des prähistorischen Sied -lungsplatzes auf dem Eschner Lutzengüetle in Liechtensteinin der Michelsberger- und Horgener Zeit vertreten (HART -MANN-FRICK 1959). Es sind dies Zeiträume um 3’000 bis 2000v.Chr. Zur gleichen Datierung gehört ein Knochenfund imEschner Riet (BECK 1957). Auch auf der befestigten Höhen -sied lung auf dem nahen Borscht (Schellenberg) findetHARTMANN-FRICK (1965) Knochen des Ur, hier auch noch in derfrühen Bronzezeit (ab 1800 v.Chr.) und sehr deutlich alshäufigste Wildart in der Eisenzeit (ab 800 v.Chr.). 1974wurde in Goldach (St.Gallen) ein gut erhaltenes Skelett einesAuerochsen gefunden, dessen Alter auf 12’000 Jahre ge-schätzt wird. Es liegt in den Sammlungen des NaturmuseumsSt. Gallen.

In der Schweiz soll es um das Jahr 1000 noch so viele Ur-rinder gegeben haben, dass es in der Wildpretliste derBenedictiones ad mensas des St.Galler Mönches Ekkehard IV(ca. 980-1060) zusammen mit Wildpferd und Wisent Aufnah -me fand. In Mitteleuropa ist der Ur durch die fortschrei -tende Landwirtschaft und die wirkungsvolleren Waffen um1400 verdrängt worden, überlebte zunächst aber in Polen,Litauen und Ostpreussen, wo er für die Jagd des Adels gehegt worden war. Der letzte bayerische Auerochse soll um1470 im Neuburger Wald geschossen worden sein(www.waldwildnis.de/cd/archiv/scherzinger2/index.htm).Gegen Ende des 16. Jahrhunderts wurden die allerletztenExemplare im Wald von Jaktorow, 55 Kilometer südwestlichvon Warschau unter den Schutz des Landesherren gestellt.Danach zählte man 1564 acht alte und drei junge Stieresowie 22 Kühe und fünf Kälber. 1599 gab es noch 24 Exem-plare, 1602 noch vier, 1620 war noch eine Kuh übrig, die 1627starb. Im polnischen Jaktorow steht hierfür ein Denkmal.

Lebensraum

Der Ur lebte als tagaktives Tier in offenen Wäldern und er-nährte sich von Gräsern, Laub und Eicheln.

Gefährdung und Schutzmassnahmen

Mit der Ausrottung des Ur im Jahre 1627 ist diese Tierart un-wiederbringlich verloren. In den 1920-er Jahren versuchten die Zoodirektoren Heinzund Lutz Heck in Hellabrunn-München und in Berlin durchRückzuchten ein ähnliches Tier wieder zu erhalten. Siekreuzten hierfür spanische und französische Kampfrinder,das Schottische Hochlandrind und das Ungarische Steppen-rind. Wohl etwas kleiner als der ursprüngliche Ur leben nunverschiedenenorts physiognomisch ähnliche «Heckrinder».

Mario F. Broggi

Abb. 215 Die Heckrinder ähneln äusserlich am ehestendem ausgestorbenen Auerochsen. (Foto: Franz Beer)

Page 182: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

181

Eingewanderte Arten (Neozoen)

Seit der Entdeckung Amerikas 1492 hat der Austausch vonArten zwischen den Weltregionen eine grosse Dimensionerreicht. Die seither eingeführten oder unbewusst einge-schleppten Arten werden als Neozoen bezeichnet. Unterden Säugetieren Liechtensteins sind verschiedene Neozoen-vertreter vorhanden. Eine Art, die Bisamratte, hat sich etab-liert. Der amerikanische Waschbär und der Marderhundtreten derzeit nur sporadisch auf.

Bisamratte (Ondatra zibethicus)Ordnung: Nagetiere (Rodentia)Familie: Wühler (Cricetidae)

Foto: Rainer Kühnis

Merkmale

Die aus Nordamerika stammende Bisamratte ist mit der ein-heimischen Schermaus verwandt und ist damit keine Ratten-art. Die Bezeichnung Bisam verdankt sie dem stark nachMoschus duftenden Sekret, das Männchen absondern. DieBisamratte wirkt mit einer Kopf-Rumpflänge von 30-36 cmund zusätzlichem 20-25 cm langen Schwanz etwas plumpund gedrungen. Mit etwas mehr als einem Kilogramm Ge -wicht kann sie allenfalls mit einem jungen Biber verwechseltwerden. Sie ist zugleich grösser als eine Wanderratte. Cha-rakteristisch ist der seitlich abgeplattete Schwanz, der abernicht breit und flach wie beim Biber ist. Das sehr weiche unddichte Fell ist dunkel- bis schwarzbraun.Anzeichen für Bisam-Vorkommen lassen sich durch Spuren inder Uferböschung (z.B. eingefallene Kessel und Gänge vonälteren Bauten), Frassspuren mit schrägen Abbissstellen undregelmässig benutzte Fressplätze, Kotspuren auf Gegen-ständen deponiert und Wechsel und Kanäle in der Vege ta -tion erkennen. Das Fell der Bisamratte ist für die Pelzindus-trie wertvoll.

Biologie

Die Bisamratte ist ein Dämmerungs- und Nachttier undganz jährig aktiv. Es werden Erdbaue und Burgen errichtet.Erdbaue werden in die Uferböschungen angelegt und die -nen als Unterkunft in der Vegetationszeit. Burgen werden

im Herbst gebaut und vor allem im Winter als Wohnquartierbenutzt. Ihr Standort befindet sich am Ufer oder in seinerNähe. Als Baumaterial werden Schilf, Schachtelhalme undandere Pflanzen verwendet. Die Höhe beträgt etwa 60-100cm, der Durchmesser 150-200 cm. Im Alter von sieben bisacht Monaten sind die Bisamratten bereits geschlechtsreif.Die Paarungszeit ist von April bis Oktober, die Trächtigkeitdauert etwa vier Wochen. Es werden zwischen drei und zehnJungen geboren, wobei die Jungen ihre Augen am 9. Tagöffnen und den Bau nach etwa zwei Wochen das erste Malverlassen. Ein Weibchen kann drei bis vier Würfe im Jahrhaben und erreichen ein Alter von drei bis fünf Jahren. Sie ernährt sich hauptsächlich von Wasserpflanzen, als Zu-satznahrung dienen Muscheln, Schnecken und Krebse.

Verbreitung

Die ursprüngliche Heimat der Bisamratte sind die USA undKanada. Die Bisamratte eroberte sich Mitteleuropa in zweiStossrichtungen. Der Einmarsch in die Nordwestschweiz hatseinen Ursprung in einer Bisamrattenfarm in der Nähe deselsässischen Belfort, wo 1928 rund 500 Tiere entwichen sind.Bereits 1935 wurden die ersten Tiere bei Boncourt im Juraund im Raum Basel festgestellt. Die Tiere besiedelten in derFolge etliche Wasserläufe der Nordwestschweiz. Die zweiteInvasionswelle erreichte die Schweiz vom Osten. Sie wurde1905 nahe Prag vom Fürsten Colloredo-Mansfeld begründet,der die Bisamratte von einer Jagd in Alaska mitbrachte undzur Pelzzucht ansiedelte. Sie breiteten sich entlang derWasserläufe rasch aus. Man nimmt an, dass ein Grossteil derheute in Mitteleuropa beheimateten Bisamratten aus diesem«Reisegepäck» stammt. 1914 erreichte die Bisamratte bereitsdas österreichische Mühlviertel. Über Deutschland folgte an-fangs der 1980-er Jahre die Einwanderung in die Ostschweizund den Bodenseeraum. Die Bisamratte ist heute von derNordschweiz (Jura) bis in die Ostschweiz verbreitet.In den Vorarlberger Nachrichten vom 10. August 1979 istvon einer Bisamjagd am Bodensee die Rede, nachdem dieRatten vorerst den Untersee entdeckt hätten. Im Juli 1980wurden drei Bisamratten bei Hard am VorarlbergerBodensee gefangen. Anfangs der 1980-er Jahre wird die Bi-samratte das Alpenrhein-System hinaufgewandert sein.

Abb. 216 Junge Bisamratte (Rainer Kühnis)

Page 183: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

KRÄMER (2006) hält in einem Kartenausschnitt die Invasionder Bisamratte am Bodensee und im Alpenrheintal fest. Da-nach hätte der Bisam 1977 den Bodensee erreicht. 1980/81soll er bereits bis zum Illspitz vorgedrungen sein. Chur wirdschliesslich um 1991 erreicht.Am 31. März 1985 wird die erste Bisamratte beim ZollamtSchaanwald durch Oswald Bühler geschossen (Rechen-schaftsbericht der Regierung 1985, S. 201). Der damalig er-scheinende Gross-Anzeiger vom 27. Januar 1987 macht aufdie Bisam-Einwanderung im St.Galler Rheintal aufmerksam,nachdem die erste Bisamratte im Kanton St.Gallen 1986erlegt wurde.Das FL-Landesforstamt schrieb am 13. Oktober 1987 an dieJagdleiter und ersuchte um Abschuss von Bisamratten. Siewurde ganzjährig bejagdbar, seit 2004 allerdings nur nochvom 1.6. bis 28.2. 1988 wurden im St.Galler Gebiet Rheintal-Werdenberg bereits 84 dieser Tiere gefangen ohne dass derBestand merklich abnahm. Die liechtensteinischen Abschüsse konzentrierten sich bisherauf die Gemeindegebiete von Ruggell (Mölibach, Spiers-bach) und Balzers (St.Katharinenbrunnen). Im Jagdjahr1990/91 war die Bisamstrecke in Liechtenstein acht Tiere undim Folgejahr bereits vierzehn. Persönlich sah ich die Bisamratte bisher im Ruggeller Riet, amBinnenkanal unterhalb von Ruggell, im Gampriner Seelein, imSchlammsammler des Naturschutzgebietes Schwabbrünnen-

Äscher und im Heilos-Triesen. Die Bisamratte gehört heute zuunserer einheimischen Fauna und wird uns erhalten bleiben.

Lebensraum

Die Bisamratte ist eng an das Wasser gebunden und lebt anstehenden Gewässern und an Fliessgewässern, derenStrömung nicht stark ist. Die Hauptnahrung besteht ausSchilf und weiteren Wasserpflanzen. Neben den krautigenPflanzen werden auch gerne kleinere Weidenzweige abge-bissen und entrindet. Xaver Roser, Ruggell, hat beobachtetwie eine Bisamratte einem Biber Weidezweige gestohlenhat (persönl. Mitt. 3.8.2010). Gelegentlich können Bi-samratten auch landwirtschaftliche Kulturen mit Rüben,Kohl und Mais besuchen. Auch tierische Nahrung wieMuscheln, Schnecken werden verzehrt.

Gefährdungen

Die rege Wühltätigkeit der Bisamratte kann erheblicheSchäden an Dämmen verursachen. Sie können untergrabenwerden, was zu Dammbrüchen führen kann. Die Erosion anden Ufern wird zudem beschleunigt. Ebenso sind Frassschä -den an landwirtschaftlichen Kulturen bekannt. Die Bisam -ratte ist als Neueinwanderer kein gern gesehener Gast.

Mario F. Broggi

182

Abb. 217 Die Bisamratte ist vor allem entlang der Gewäs-ser verbreitet.

2 01 Kilometer

Abb. 219 Schwimmende Bisamratte am Irkales in Vaduz.(Fotos R. Kühnis).

Abb. 218 Bisamratten können mit ihren Erdbauen dieDammstabilität verringern. (Fotos Rainer Kühnis).

Page 184: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

der heimischen Fauna» zu sein. Wurde der Bestand 1956 mit285 Tieren angenommen, sollen es um 1970 bereits 20‘000gewesen sein. Der heutige Bestand in Deutschland wird aufmehrere hunderttausend Tiere geschätzt. Trotz diesesgenetischen Flaschenhalses sind keine negativen Auswir kun -gen auf die Gesundheit der Tiere bekannt. Ein zweites Aus-breitungszentrum ergab sich durch ein Bombardement aufeine Waschbäranlage in Brandenburg, wo 1945 zwei Dut -zend Tiere entwichen sind. Weitere erfolgreiche Ansied-lungen erfolgten 1966 in der Nähe des NATO-StützpunktesCouvron in Nordfrankreich durch amerikanische Soldaten,die sich dort ihrer Maskottchen entledigten. Der Waschbär ist einer der erfolgreichsten Neozoen des eu-ropäischen Kontinents, da er sich innerhalb von Jahrzehntenüber weite Teile Deutschlands ausgebreitet hat. Im Jahre1965 soll erstmals ein Waschbär von Süddeutschlandschwim mend über den Rhein in den Schweizer Kanton Aar -gau vorgestossen sein. Seit 1975 sind sie dort regelmässignachgewiesen. Sie folgten den Hauptflussystemen inRichtung Bern (1977) und besiedelten weite Teile desschweizerischen Mittellandes. Im Osten stiessen sie zumBodensee vor. Im Gegensatz zu Teilen Deutschlands dürftenaber die Populationen keine hohe Dichte aufweisen. CERUTTI

(2006) schätzte sie auf etliche hundert Tiere. Damit dürftenoch keine flächendeckende Population vorliegen.

183

Abb. 220 Der Waschbär ist ein guter Kletterer. Als nacht aktives Tier bleibt er oft lange unentdeckt.(Foto: Markus Stähli)

Waschbär (Procyon lotor)Ordnung: Raubtiere (Carnivora)Familie: Kleinbären (Procyon)

Foto: Markus Stähli

Merkmale

Der nordamerikanische Waschbär ist ein katzengrossesSäugetier zwischen 40-70 cm lang und einem Gewichtzwischen 4-9 Kilogramm. Charakteristisch für diese Tierartist die markante Gesichtsmaske, die sich deutlich vomgrauen bis schwärzlichen Fell abhebt. Die häufig am Wasserlebenden Tiere tasten dabei ihre Nahrung zuerst sorgsamvon allen Seiten, und da dies häufig am Wasser stattfindetassoziieren die Menschen dies mit dem Waschen. Der fürden Waschbären wichtigste Sinn ist denn auch der Tastsinn.Waschbären sind nachtaktiv und zudem geschickteKletterer. Sie können sich in erstaunlichem Masse an denSiedlungsraum anpassen.

Biologie

Entgegen früherer Annahmen leben die Waschbären kaumeinzelgängerisch. Sie treffen sich zum gemeinsamen Fressen,Schlafen und Spielen. Sie sind Allesfresser, deren Speiseplanzu ungefähr 40 Prozent aus Wirbellosen, zu einem Drittelaus pflanzlicher Nahrung und dem Rest aus Wirbeltieren be-steht. Die Tiere paaren sich meist im Februar. Nach etwa 65Tagen Tragzeit bringt das nach der Paarung wieder alleinelebende Weibchen zwei bis drei Junge zur Welt. Im Alter vonsechs bis neun Wochen verlassen diese die Wurfhöhle undim Herbst erfolgt die Trennung von der Mutter. Die meistenTiere leben nur wenige Jahre, in Gefangenschaft können sieüber 16 Jahre alt werden. Sie fallen häufig dem Strassenver-kehr zum Opfer.

Verbreitung

Das ursprüngliche Verbreitungsgebiet des Waschbären er-streckt sich von Panama bis zum Süden Kanadas. In Europavorkommende Tiere sind aus Zoos und Pelztierfarmen ent-wichen. Das für die heutige Verbreitung wichtigste Ereignisscheint das Aussetzen von zwei Waschbärpärchen imFrühling 1934 am nordhessischen Edersee zur «Bereicherung

Page 185: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

Es klang wie Jägerlatein als Mitte Februar 1977 im Eschner -riet in Liechtenstein erstmals ein Waschbär erlegt wurde(Liechtensteiner Vaterland vom 18. Februar 1977, Volksblatt19. Februar 1977). Am 29. Februar des gleichen Jahres wurdeerneut ein Waschbär oberhalb von Eschen geschossen(Liechtensteiner Vaterland 1. März 1977). Ein Foto im Liech -ten steiner Vaterland vom 9. März 1977 zeigte die erfolg-reichen Schützen Josef Goop aus Schellenberg und FranzOehri aus Mauren. Im Winter 1980/81 wird von einemWaschbär im Villenviertel von Vaduz berichtet. Am 28. Juni1985 soll gemäss Aussage des örtlichen Jagdaufsehers undeines Grenzwärters im Ruggeller Riet ein Waschbär gesehenworden sein. Anfangs November 1988 wird schliesslich erst-mals auf der St.Galler Seite ein Waschbär überfahren(Werdenberger und Obertoggenburger vom 3. November1988). Unter dem Drei Schwestern-Massiv wurde gemäss An-gaben der Vorarlberger Zeitschrift Jagd und Fischerei vomMai/Juni 1991 auf der grenznahen Alp Saroja ein Rauhaar -dackel in einen Kampf mit einem Waschbären verwickelt.Mit einem Knüppelhieb des Jägers wurde das Tier er-schlagen, welches sich als Waschbär entpuppte. Der bisherletzte Nachweis gelang am 21. Oktober 2001 in Balzers. DemBalzner Jagdaufseher Hans-Peter Frick war ein Waschbär ineine Kastenfalle (Lebendfalle) geraten. An diesem Standortsoll dann noch ein zweites Tier gesehen worden sein. Dergefangene Waschbär wurde eingeschläfert und ist nun alsBeleg in die Naturkundliche Sammlung Liechtensteins in-tegriert (NIEDERKLOPFER 2002).

Lebensraum

Von verstädterten Tieren abgesehen – in der Stadt Kasselsollen ungefähr 100 Waschbären pro Quadratkilometer vor-kommen, was zehnmal so viel ist, wie natürlicherweise imWaldareal nachgewiesen wird – sind gewässerreiche Misch-und Laubwälder der bevorzugte Lebensraum des Wasch-bären. Hier findet er geeigneten Unterschlupf, Waschbärensind zudem gute Schwimmer.

Gefährdungssituation und Schutzmassnahmen

Viele Förster und Jäger sind der Meinung, dass die als un-kontrolliert bezeichnete Ausbreitung negative Auswirk un -gen auf das Ökosystem habe. Es wird von Verdrängung hei-mischer Raubtiere und von Beeinträchtigung geschützterVogelarten gesprochen. Dem wird nach langjährigen Unter-suchungen (HOHMANN et al. 2001) widersprochen. Eine starkeBejagung in geeigneten Lebensräumen erhöhe zudem ihreFortpflanzungsraten bzw. lasse Einwanderungen aus derUmgebung zu. Die Waschbären sind dem LiechtensteinerJagdrecht unterstellt und vom 1. Juni bis 28. Februar jagd-bar. Eine Bejagung kann somit erfolgen, ein Jagderfolg wirdwohl eher zufällig bleiben.

Mario F. Broggi

Marderhund (Nyctereutes procynoides)Ordnung: Raubtiere (Carnivora)Familie: Wildhunde (Canidae)

Foto: Biopix JC Schou

Merkmale

Der Marderhund wird auch Enok oder Waschbärhund ge-nannt, da er mit seinen kurzen Beinen, dem dichten langenHaarkleid und der schwarz-weissen Gesichtsmaske demWaschbären ähnelt. Er besitzt jedoch nicht die für Wasch-bären typische schwarze Schwanzbinde. Ein dunklesSchulterband zieht sich bis zu den Vorderläufen. Das Gesichtist weisslich-grau mit grossen schwarzen Augenringen. DerMarderhund ist in seiner Gestalt bei einer Mischform ausMarder und Hund anzusiedeln. Die Kopfrumpflänge beträgt50-65 cm, bis zur Schulter steht ein Marderhund 20-30 cmhoch und sein Gewicht beträgt 8 bis 9 kg.

Biologie

Die Ranzzeit liegt im Februar/März und die Welpen kommennach einer Tragzeit von 60-64 Tagen im April/Mai zur Welt.Seine Wurfrate ist mit sechs bis sieben Jungen relativ hochund gehört zur Überlebensstrategie in seiner östlichen Hei-mat, wo er Feinde hat. Die Welpen sind in den ersten zehnTagen blind. Sie verlassen nach ca. zwei bis drei Wochen denBau und nach acht bis zehn Monaten sind sie geschlechts-reif. Die Neigung zum eigenen Graben von Bauen ist gering,gerne werden Dachsbauten genutzt, aber auch Reisighaufenund Schilf werden angenommen. Der Marderhund ist einAllesfresser und eher Sammler als Räuber. Er nutzt Nage -tiere, Amphibien, Insekten, Fische, Eier von Bodenbrütern,Aas, aber auch einen hohen Anteil pflanzlicher Stoffe (Mais,Obst, Pilze, Beeren). Er kann sich auf Müll spezialisieren, istaber wenig klettertauglich. Feinde – wie Luchs, Bär und Wolf- hat er im westlichen Europa praktisch keine. DerMarderhund ist monogam und bleibt als Paar zusammen.Als einziger Vertreter der Hunde halten Marderhunde eineWinterruhe, aber wohl keinen eigentlichen Winterschlaf,wobei er nur gelegentlich im Winter den Bau verlässt.

184

Page 186: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

Verbreitung

Das ursprüngliche Verbreitungsgebiet des Marderhundesliegt in Asien und erstreckt sich von Sibirien bis China undJapan. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und in derersten Jahrhunderthälfte des 20. Jahrhunderts wurden ausdem Amur stammende Marderhunde in den europäischenRepubliken der ehemaligen Sowjetunion ausgewildert. Siewurden dort auch in Pelztierfarmen gezüchtet. Diese Popu -la tionen entwickelten sich in breiter Front in RichtungWesten. Es handelt sich also bei ihnen um sog. Neozoen(griechisch Neutiere). 1951 gab es die ersten Marderhundein Rumänien, 1955 in Polen und seit 1960 ist der Marder -hund zu einem Teil der deutschen Fauna geworden. Er ist in-zwischen auch in Bayern vertreten. 98% aller erlegten Tierefallen in den neuen Bundesländern an. In Brandenburgwurden allein im Jagdjahr 1999/2000 2‘500 Tiere erlegt, imJahr 2006 betrug die Zahl der erlegten Marderhunde in derBundesrepublik Deutschland bereits über 27‘000 Stück(Quelle Deutscher Jagschutzverband). In Österreich ist er seit1954 bekannt, wo er das Wein-, Wald- und Mühlviertel biszum Salzkammergut kolonisierte. Aus der Schweiz werden inzwischen sechs Marderhundvor-kommen gemeldet, der erste im Jahre 1997 bei Leuggern imKanton Aargau, weitere Beobachtungen stammen aus derAjoie im Kanton Jura, wo ein Marderhund überfahren wur -de. Am 1. Oktober 2003 wurde ein Marderhund auf derGöschenenalp in Uri erlegt, weitere Angaben stammen ausdem Jura und zwei aus dem Kanton Aargau (der vorletztevom Klingnauer Stausee) ergänzen diese sehr dispersen Beobachtungen. In der Neozoen-Publikation Liechtensteinsdes Jahres 2006 haben wir geschrieben, dass eine Einwan-derung aus Bayern ins Alpenrheintal in den nächsten Jahrenmöglich sei (BROGGI 2006). Dies bewahrheitete sich inzwi -schen eher schneller als erwartet. Am 27. April 2009 habenzwei Balzner Jogger auf den Steigwiesen unterhalb derSt.Luziensteig (Graubünden) unweit der Grenze zu Balzerseinen toten Marderhund gefunden (M. Fasel im Vaterlandvom 6. Juni 2009). Das Tier wurde vermutlich durch einenHund gerissen. Es dürfte von Bayern über Vorarlberg einge-wandert sein. In Vorarlberg wurde bereits im Jahre 2001 einMarderhund im Rheindelta geschossen (UMG UMWELTBÜRO

GRABHER).

Lebensraum

Der Marderhund ist ein scheuer und nachtaktiver Bewohnervon Wäldern. Er bevorzugt strukturierte Lebensräume imFlachland, in landwirtschaftlich genutzten Flächen mit Ge -wäs sern mit schilfbestandenen Ufern. Beim Marderhundscheint weniger das Klima als die Ausstattung seines Lebens-raumes die Besiedlungsgeschwindigkeit zu beeinflussen.

Gefährdungssituation und Schutzmassnahmen

Nach der Berner Konvention von 1999 soll die Ausbreitunginvasiver Arten streng kontrolliert werden. In Liechtensteinunterliegt er noch nicht dem Jagdrecht. Eine Bejagungs-notwendigkeit wegen erwiesener Schäden aus der Sicht desNaturschutzes ist wissenschaftlich noch nicht nachgewiesen.Die heimische Fauna muss sich wohl inskünftig mit ihm wiemit Fuchs und Dachs arrangieren.

Mario. F. Broggi

185

Page 187: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

7 Prioritäten des Schutzes heimischer Säugetiere:Empfehlungen und Massnahmen

Liechtenstein ist hinsichtlich seiner bestehenden Naturwertegut dokumentiert. Wir wissen relativ viel über die möglicheAuswahl und Abgrenzung von schützenswerten Lebens-räumen dank Konzepten, Inventaren sowie bisher er-forschter Artengruppen. Der liechtensteinische Naturschutzhat deshalb ein geeignetes Instrumentarium zur Verfügung,um entsprechend handeln zu können. Die Bearbeitung der Säugetierfauna zeigt andererseits, dasswir erstaunlich wenig über die Verbreitung und den Statusder Kleinsäuger wissen. Die Kenntnisse über die Fledermäusewurden inzwischen zwar massiv erweitert. Dennoch kannauch hier teils nur gesagt werden, dass gewisse Arten imLand vorkommen. Bei vielen Kleinsäugern liegen nur spora-dische und zufällige Nachweise vor. Generell sind die meistnachtaktiven Säugetiere – dabei vor allem die Kleinsäuger –nur schwer zu beobachten und oft im Feld kaum oder nurvon wenigen Spezialisten bestimmbar. Teilweise sind für dieArtbestimmung genetische Tests erforderlich. Die Folge ist,dass es viele Arten gibt, deren Bestandessituation wir man-gels Daten nicht bewerten können. Entsprechend wurde inder vorliegenden Arbeit auf eine Gefährdungsbeurteilung imSinne einer Roten Liste verzichtet.Es ist darum zur Beurteilung des Setzens von Prioritäten zumSchutz heimischer Säugetierarten im Rahmen einer Na-tionalen Strategie zur biologischen Vielfalt legitim sich anden umgebenden Ländern zu orientieren.

Geeignete Beurteilungskriterien bilden:– Die entsprechenden Roten Listen der Schweiz (DUELLI et

al. 1994) und Vorarlbergs (SPITZENBERGER 2006), weil dieseden Zustand der biologischen Vielfalt als Ergebnis der his-torischen Entwicklungen beschreiben.

– Der Erhaltungszustand der Arten der Flora-Fauna-Habitatrichtlinie (FFH) in der EU gemäss nationalen FFH-Berichten, weil die europäische Politik ihre Bemühungenzur Erhaltung der biologischen Vielfalt im Wesentlichenauf die FFH-Richtlinie stützt und die entsprechendenFortschritte an den Anhangs-Arten (und -Lebensraum-typen) bemisst.

– Schliesslich kann daraus die Verantwortlichkeit Liechten-steins für die Erhaltung bestimmter Arten analysiertwerden.

7.1 Rote Listen

Als gefährdet gelten in den Nachbarländern verschiedeneSpitzmausarten. Die insektenfressenden Spitzmäuse weiseneinen hohen Nahrungsbedarf auf und bevorzugen meistLebensräume mit einer reich strukturierten Oberfläche vonfeucht (Wasser- und Sumpfspitzmaus) bis trocken-warm(Garten-, Feld- und Hausspitzmaus). Spitzmäuse sind guteStrukturindikatoren und von den entsprechenden Verlustenin der Landschaft besonders betroffen. Einen generell hohen Gefährdungsstatus weisen dieFledermäuse auf. In der Schweiz vom Aussterben bedroht

sind die beiden Mausohrarten, die Breitflügel- und Mops-fledermaus sowie die beiden Hufeisennasenarten. Auch inLiechtenstein ist die Situation für die Grosse und Kleine Huf-eisennase kritisch, liegen doch die letzten Beobachtungen30 Jahre und mehr zurück. Bei den Schläfern und Langschwanzmäusen werden dieschwierig nachzuweisenden Arten Haselmaus und Zwerg-maus als verletzlich eingestuft. Ihr Status in Liechtensteinlässt sich aufgrund fehlender bzw. geringer Nachweise nichtbeurteilen.Bereits als stark gefährdet (Schweiz) oder gar regional aus-gestorben (Vorarlberg) gilt die Hausratte. Auch für Liechten-stein liegen keine rezenten Nachweise mehr vor. Wiederangesiedelte Arten wie Luchs und Biber gelten alsvom Aussterben bedroht, während verschiedene Gross-raubtiere (Wolf, Bär) noch in der Kategorie ausgestorbengeführt werden. Schwierig zu beurteilen ist die Situation beim scheuenMauswiesel. Neben dem Mauswiesel gilt in der Schweiz auchder Iltis als verletzlich. In Graubünden breitet sich der Iltisstark aus.Die Rote Liste der Säugetiere der Schweiz wird aktuell über-arbeitet. Die Beurteilung in Vorarlberg (SPITZENBERGER 2006)beruht teils auf nur wenigen Nachweisen.

186

Tab. 5: Übersicht der Rote Liste-Einstufung der in Liech-tenstein nachgewiesenen Säugerarten. Rote Liste Schweizin Duelli (Red.) (1994), Rote Liste Vorarlberg aus Spitzen-berger (2006). Es werden nur Arten mit einer Gefährdungs-einstufung oder defizitärer Datenlage aufgelistet.

Ordnung/Art Art (wissen- RL CH RL V

schaftlich)

Ordnung Insektenfresser

Schabrackenspitzmaus Sorex coronatus VU

Zwergspitzmaus Sorex minutus NT

Sumpfspitzmaus Neomys anomalus VU VU

Wasserspitzmaus Neomys fodiens VU

Gartenspitzmaus Crocidura suaveolens VU CR

Feldspitzmaus Crocidura leucodon VU VU

Hausspitzmaus Crocidura russula VU

Braunbrust- oder Westigel Erinaceus europaeus NT

Ordnung Fledermäuse

Kleine Hufeisennase Rhinolophus CR EN

hipposideros

Grosse Hufeisennase Rhinolophus CR

ferrumequinum

Bartfledermaus Myotis mystacinus VU NT

Fransenfledermaus Myotis nattereri NT DD

Grosses Mausohr Myotis myotis CR NT

Kleines Mausohr Myotis oxygnathus CR DD

Bechsteinfledermaus Myotis bechsteinii NT RE

Wasserfledermaus Myotis daubentonii VU NT

Braunes Langohr Plecotus auritus VU NT

Graues Langohr Plecotus austriacus NT

Mopsfledermaus Barbastella barbastellus CR CR

Zwergfledermaus Pipistrellus pipistrellus NT

Rauhautfledermaus Pipistrellus nathusii VU NT

Page 188: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

7.2 FFH-Berichte

In der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie der EU sind im AnhangII prioritäre Arten von gemeinschaftlichem Interesse aus-geschieden, für deren Erhaltung besondere Schutzgebieteausgewiesen werden müssen. In dieser Liste sind ver-schiedene Säugetierarten mit geringen Bestandesdichtenoder kleinflächiger Verbreitung in Europa enthalten. Da-neben haben zahlreiche Fledermausarten Aufnahmegefunden, sowie Arten, denen durch den Menschen nach-gestellt wurde, wie Wolf, Luchs, Bär, Fischotter oder Biber.

Für Liechtenstein relevante FFH-Anhang II-Arten:– Bechsteinfledermaus– Kleine Hufeisennase– Grosse Hufeisennase– Kleines Mausohr– Grosses Mausohr– Mopsfledermaus

– Biber– Wolf– Bär– Fischotter– Luchs– (Wisent)

Im Anhang IV der FFH-Richtlinie sind streng zu schützendeArten von gemeinschaftlichem Interesse aufgelistet. Hierzugehören neben den Anhang II-Arten auch alle anderen Fle -der mausarten sowie die Haselmaus.

187

Ordnung/Art Art (wissen- RL CH RL V

schaftlich)

Breitflügelfledermaus Eptesicus serotinus EN EN

Nordfledermaus Eptesicus nilssonii NT DD

Zweifarbenfledermaus Vespertilio murinus NT

Kleiner Abendsegler Nyctalus leisleri NT DD

Grosser Abendsegler Nyctalus noctula VU

Alpenfledermaus Hypsugo savii NT RE

Ordnung Nagetiere

Gartenschläfer Eliomys quercinus NT

Haselmaus Muscardinus VU NT

avellanarius

Zwergmaus Micromys minutus VU VU

Hausratte Rattus rattus EN RE

Biber Castor fiber CR RE

Ordnung Hasenartigen

Feldhase Lepus europaeus VU NT

Ordnung Raubtiere

Luchs Lynx lynx CR CR

Wolf Canis lupus RE RE

Braunbär Ursus arctos RE RE

Baummarder Martes martes DD

Iltis Mustela putorius VU DD

Mauswiesel Mustela nivalis VU

Fischotter Lutra lutra RE RE

Ordnung Paarhufer

Elch Alces alces RE

Wisent Bison bonasus RE

Auerochse Bos primigenius EX

Erläuterung:

EX - Extinct ausgestorben

RE - regionally extinct, regional ausgestorben

CR - critically endangered, vom Aussterben bedroht

EN - endangered, stark gefährdet

VU - vulnerable, verletzlich

NT - near threatened, potenziell gefährdet

DD - data deficient, ungenügende Datengrundlage

Abb. 221 Der Biber hat sich wieder spontan in Liechten-stein angesiedelt. Aufgrund seines Verschwindens aus weiten Teilen Europas gilt er als streng zu schützendeTierart. Im Bild der Ruggeller Biber mit Nachwuchs.(Foto: Xaver Roser)

Abb. 222 Erste Luchse konnten in Liechtenstein nach über 150 Jahren wieder beobachtet werden.(Foto: Markus Stähli)

Page 189: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

7.3 Verantwortlichkeit

Aufgrund ihrer internationalen Stellung und Gefährdungkommt der Kolonie der Grossen und Kleinen Mausohren inTrie sen sowie den Quartieren der Breitflügelfledermaus inVaduz und Balzers eine besondere Bedeutung zu.Daneben ist die Ausbreitung und spontane Wieder-ansiedlung des Bibers positiv zu sehen. Für den Biber stelltdas Vorkommen in Liechtenstein einen wichtigen Trittsteinin seiner möglichen Ausbreitung im Alpenrheintal dar.Aus der geografischen Lage Liechtensteins ergibt sich eineVerantwortung für die Erhaltung der Alpenwaldmaus, einerendemischen Art der Alpen. Grundsätzlich sind derenLebensräume und Bestände aktuell jedoch nicht gefährdet. Die Verbreitungsgebiete der Arten sind nicht statisch zusehen. Neu für Liechtenstein ist die Hausspitzmaus. Diesedürfte sich auf Kosten der Feldspitzmaus in Liechtensteinausbreiten. Auch die Schabrackenspitzmaus scheint sich zuetablieren. Die Nachweise am Schellenberg sind die süd lich -sten dieser Art im Alpenrheintal. Hausspitzmaus und Schab -racken spitzmaus bevorzugen warme Standorte. Hier kanndie Klimaerwärmung die Konkurrenzsituation zugunsteneiner Art verändern.

7.4 Folgerungen für den Säugetierschutz

Aktuell sind verschiedene Säugetierarten per Verordnunggeschützt. Wesentliche Grundlage ist die Naturschutz-Ver-ordnung Nr. 136 vom 13. August 1996 über besonders ge-schützte Pflanzen- und Tierarten. Darin werden alle Spitz -mäuse, Schläfer, Fledermäuse sowie der Igel genannt. ImJagdgesetz sind die jagdbaren Arten erwähnt. Die Re-gierung legt dabei die Jagdzeiten fest, wobei verschiedeneArten eine ganzjährige Schonung aufweisen. Um die Ver-antwortlichkeiten und den Schutz der Säugetiere wahr-zunehmen, bedarf es neben dem rechtlichen Schutz jedochauch konkreter Massnahmen.Die zu ziehenden Folgerungen werden in die Bereiche For-schungslücken und Monitoring, allgemeine Massnahmenzur Reduktion von Gefährdungsursachen sowie in spezielleArtenhilfsprogramme gegliedert.

7.5 Forschungslücken und Monitoring

Bestandeserfassung von Fledermäusen zur Beurteilung des Parameters «Population und Schutzbedürfnisse»

Bei verschiedenen Fledermausarten ist über ihren Status inLiechtenstein noch wenig bekannt (z.B. Alpenfledermaus).Die computergestützte Auswertung aufgezeichneter Ultra-schallaute ergibt hier neue Beobachtungs- und Nachweis-möglichkeiten. Damit lassen sich Häufigkeiten und Jagd-habitate eruieren. Zusammen mit Nahrungsanalysen sind soAussagen zu geeigneten Nahrungsräumen möglich.Der Schutz vieler Fledermausarten kann daneben nur über dieErhaltung der Quartiere erfolgen. Von zentraler Bedeutungist die Ermittlung der Wochenstubenquartiere. Diese können

oft nur aufwändig über Telemetrierung gefangener säu gen -der Weibchen gefunden werden. Daneben sind Zu falls beo -bach tungen möglich. Beobachtungsmeldungen kön nendurch eine geeignete Öffentlichkeitsarbeit gefördert wer den.

Bestandesüberwachung von kleinen Säugetierarten

Mit dem aufwändigen Fallenprogramm im Rahmen desKleinsäugerprojektes konnten umfangreiche Nach weis da -ten für verschiedene «fallengängige» Arten erarbeitet wer -den. Daneben lieferte der Aufruf in der Bevölkerung zahl -reiche Nachweise vor allem zu Spitzmäusen (Katzen fän ge)und zu eindeutig bestimmbaren Arten (Igel, Eichhörnchen).Mehrere Arten konnten damit jedoch nicht oder nicht re-präsentativ nachgewiesen werden. Entsprechend sind Methoden zur Bestandeserfassung und -überwachung von Spitzmäusen und ausgewählten Nage tie -ren mit Ermittlung der Bestandestrends zu entwickeln. Diesgilt insbesondere für Gartenschläfer, Haselmaus, Zwergmausund Zwergspitzmaus sowie alle Arten von Weisszahn-spitzmäusen. Unklar ist der Status der Birkenmaus, die für die österrei-chischen Alpen und für Vorarlberg belegt ist, für die aberkein Nachweis aus Liechtenstein oder der Schweiz vorliegt.Liechtenstein liegt an einer allfälligen westlichen Ver-breitungsgrenze der Art in den Alpen.Weiter zu verfolgen sind die Entwicklung und allfällige Ver-drängungseffekte unter den Crocidura-Arten (Gartenspitz-maus, Hausspitzmaus und Feldspitzmaus) sowie die Aus-breitung der Schabrackenspitzmaus in Richtung Süden.Unklar und nur schwierig zu bearbeiten ist der Status derHausratte in Liechtenstein. Es muss wohl von einem Ver-schwinden ausgegangen werden. Auch die Hausmaus ist an-scheinend selten geworden. Eine Bestandesüberwachung istbei diesen Arten schwierig, bzw. nur durch Mithilfe derBevölkerung möglich.

188

Abb. 223 Das zeitaufwändige Stellen der Fallen ist dieein zige Möglichkeit für die systematische Erfassung derKleinsäuger. David Amann beim Aufstellen der Fallen imRahmen des Klein säugerprojektes 2007-2010. (Foto: AWNL)

Page 190: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

Programm zur Förderung ausgewählter Marderarten

Die kleinen Karnivoren (Fleischfresser) Hermelin, Maus wie -sel, Iltis und Baummarder scheinen in letzter Zeit stark abge-nommen zu haben. Es sind dies oft vergessene Vertreter desSäugetier-Artenschutzes, wohl weil deren Beobachtung infreier Natur selten und zufällig ist. Diese Lücke sollte ge-schlossen und eruiert werden, insbesondere was für die ent-sprechende Lebensraumaufwertung getan werden kann.Entsprechende Vorarbeiten über die nötige Methodik liegenmit dem schweizerischen Programm «WIN-Wieselnetz» vor.

Programm Bestandeserholung für den Feldhasen

Seit 1991 wird in der Schweiz ein Feldhasen-Monitoringdurch geführt, so letztmals 2010 (ZELLWEGER-FISCHER 2010). ImJahre 1996 beteiligte sich auch Liechtenstein an einer al-penrheintalweiten Erhebung. Danach wurden die Beständenur noch lokal 2004 im Schaaner- und Eschnerriet sowie inRuggell erfasst. In Vorarlberg gibt es einen eigenständigenBericht über die nochmals erfolgten Erhebungen im Jahr2005 (HEYNER et al. 2008). Gemäss FL-Erhebungen sind dieHasenpopulationen in Liechtenstein im Rheintalraum nurmehr schwach ausgeprägt, am relativ besten im RuggellerRiet. Es ist in verschiedenen europäischen Ländern generellein Feldhasenrückgang festzustellen. Die Grösse eines Hasen-bestandes wird von verschiedenen Faktoren bestimmt. Einigedieser Faktoren sind mit der Raumstruktur und der Landnut-zung verbunden. Dem Hasen fehlt es in flächig inten siv bewirtschafteten Feldfluren insbesondere an Deckung. DieBestandesdynamik wird weiters durch Klima und Witterungüberprägt. Die Phasen der Zu- und Abnahmen müssen des-halb über längere Zeiträume beobach tet werden. Für dieErfolgskontrolle von Fördermassnahmen (z.B. in Zusammen-hang mit dem ökologischen Ausgleich in der Landwirtschaft)wäre der Feldhase als Indikator von In te resse.

Biber-Monitoring

Der in der frühen Neuzeit einst im Alpenrheintal behei-matete Biber hat seinen Weg zurück nach Liechtenstein ge -funden. Aus der Wiederbesiedlung im Kanton Thurgauhaben sich die Biber auch ins Alpenrheintal ausgebreitet. Siewerden seit dem Jahr 2008 in Liechtenstein beobachtet,wobei hier inzwischen bereits eine Vermehrung statt-gefunden hat. Ein beidseitiger 10-15 m breiter Uferstreifenentlang der Fliessgewässer reicht nach bisheriger Kenntnisaus, um Konflikte mit der Landwirtschaft zu minimieren. Esbraucht demnach – nicht nur für den Biber – mehr Raum fürdie Gewässer, damit diese ihre ökologische Funktion erfüllenund bei Hochwasser den Abfluss aufnehmen können. EinBibermonitoring und flankierende Biotopaufwertungs mass -nahmen werden empfohlen. Entsprechende Fliessgewässer-Revitalisierungen könnten auch der wohl anstehenden Wie -der be sied lung des Fischotters dienen.

Bestandesüberwachung der Neozoen

Aktuell sind Waschbär und Marderhund am einwandern inLiech tenstein. Vorerst gibt es nur sporadische Nachweise.Die Bisamratte hat sich bereits etabliert. Die Einwirkung die -ser Neozoen auf die Ökosysteme ist umstritten. Eine wirk-same Bekämpfung, ausser Gelegenheitsabschüsse, ist wohlnicht möglich. Eine gewisse Gelassenheit zu diesen Neuein-wanderern ist angebracht. Eine längerfristige Bedrohung geht vom amerikanischenGrauhörnchen aus. Dieses breitet sich aktuell von Italien heraus und dürfte in den nächsten Jahrzehnten Mitteleuropabesiedeln. Bereits hat es in Grossbritannien das Eichhörn-chen erfolgreich verdrängt. Bei den Neozoen ist es sinnvoll,die weitere Entwicklung zumindest zu dokumentieren.

189

Abb. 224 Über die Situation des nur schwer zu beobach tenden Baum-marders in Liechtenstein ist nur sehr wenig bekannt. (Foto: Jirí Bohdal)

Abb. 225 Nagespuren zeigen an verschiedenen Orten in Liechtenstein die Ausbreitung des Bibers entlang der Gewässer.(Foto: Rudolf Staub)

Page 191: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

7.6 Allgemeine Biotopmassnahmen für den Säugetier-schutz

Massnahmen im Waldareal

Das Waldareal umfasst 43% der Landesfläche. Darum sindim relativ naturnahesten flächigen Ökosystem auch viele ge-eignete Massnahmen zu eruieren. In Liechtenstein wurden1280 ha als Waldreservate ausgeschieden und weitere 555ha als Sonderwaldreservate. Damit haben 27% derliechtenstei ni schen Wälder einen Naturschutzvorrang. DasWaldareal leistet somit auch einen wichtigen Beitrag zumSäugetierschutz. Nach folgende Massnahmen können diesenBeitrag erhöhen:

Zur Bedeutung der Galeriewälder entlang des Alpenrheins Die Galeriewälder entlang des Rheins wurden in den ver-gangenen Jahrzehnten kaum forstlich genutzt und habenheute einen hohen Alt- und Totholzanteil und sind durch dienatürliche Dynamik grösstenteils auch naturnah aufgebaut.Sie leisten damit einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung von Lebensräumen für Fledermäuse und weiterer Kleinsäuger.Ebenso sind sie Einstandsgebiet für grössere Säuger, z.B. fürdas wahrscheinlich wieder einwandernde Schwarzwild. Daes sich um ehemalige Auen des Rheines handelt, sind hierwenn immer möglich Auwald-Revitalisierungen, wie im un-tersten Bereich des Liechtensteiner Binnenkanals praktiziert,weiter zu entwickeln. Diese Bereiche sind auch für allfälligeAusweitungen des Alpenrheins als Wiederbelebungsmass-nahmen von Bedeutung. Dies kommt dem Biber und po-tentiell dem Fischotter zu Gute.

Benennung der Zielsetzungen und Massnahmen in Sonder-waldreservatenDie 555 ha ausgewiesenen Sonderwaldreservate verlangennach individuell benannten Zielsetzungen und daraus ab -zuleitenden Massnahmen. Diese enthalten bereits mass geb -liche Aspekte des Schutzes grosser Säugetierarten. Hier können auch Erhaltungsbemühungen für weitere Säugetier-arten einfliessen.

AltholzzellenAusserhalb der Wald-Naturschutzflächen ist es bedeutsam,wie die forstlich bewirtschafteten Flächen inskünftig ge -nutzt werden sollen. Es wird hier wichtig sein auch Altholz-zellen und tote Bäume zu belassen, die für die Fle der mäuse,Bilche und Marder bedeutsam sind.

Massnahmen im Landwirtschaftsgebiet

Grosse Nutzungsschläge in der Landwirtschaft erweisen sichals massive Barrieren für Säuger. Die Landwirtschaftsbe trie -be haben zur Auslösung von Förderungen mindestens 7%ökologische Ausgleichsflächen auf dem Betrieb auszu wei -sen. Diese sind allerdings nicht nur dort anzusiedeln, wo dieFlächen am ehesten betriebswirtschaftlich uninteressantsind. Sie sollen auch der nötigen Vernetzung undStrukturierung in der Landschaft dienen. Entsprechend sind

die Interessen der Landnutzung mit denjenigen des Natur-schutzes aufeinander abzustimmen, um den übergeord-neten Zielsetzungen dieser starken Leistungen des Steuer -zahlers zu entsprechen. Hilfreich für Säuger ist die Vernetzung durch Leitstrukturenund die Schaffung von Deckungen, wie Hecken, Brachenoder Altgrasstreifen. Insektenreiche Wiesen können durchextensive Bewirtschaftung und kleintierschonende Landnut-zungstechniken (Messerbalken, Verzicht auf Mähaufbe rei -ter) gefördert werden. Auch Hochstammobstbäume glie -dern die Landschaft und werden selber von zahlreichenInsek ten besiedelt. Das bedingt allerdings, dass die Unter -nutzung der Grünflächen nicht intensiv erfolgt. Das fördert

190

Abb. 226 Die Galeriewälder entlang des Alpenrheins bilden wichtige Einstandsgebiete und Lebensräume für die Säugetiere. (Foto: Rudolf Staub)

Abb. 227 Altholzzellen erhöhen die Biodiversität im Wald.(Foto: Mario Broggi)

Page 192: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

das Nahrungsangebot, welches vor allem von Fle der mäusengenutzt wird.Hohe Dichten an Insekten, wie der Maikäfer, liefern vorallem für die grossen Fledermausarten wie Breitflügelfleder-maus und Mausohren einen massgeblichen Anteil an derNahrung. Durch eine starke Bekämpfung des Maikäfers wirddie Nahrungssituation verschlechtert.Aktuell wird in verschiedenen Gemeinden die Bejagung vonKleinsäugern durch «Mäuseschwanzprämien» gefördert.Angesichts der relativ geringen Problematik ist diese Sub-ventionierung nicht mehr zeitgemäss. Die Kontrolle derMäuse populationen soll primär über die Förderung dernatürlichen Feinde (Mauswiesel, Greifvögel) erfolgen.

Revitalisierungsprogramm für Fliessgewässer

Der liechtensteinische Talraum unterhalb von 700 m ü. M. um-fasst gemäss der Fliessgewässerinventarisierung rund 50%stark beeinträchtigte bis naturferne Gerinne. Besser ist dieSituation an den Hanglagen und inneralpin (RENAT 2006). Mitdem Fischereigesetz von 1990 und dem Gewässerschutzgesetzvon 2003 besteht zudem ein klarer Auftrag für die ökolo -gische Aufwertung der Fliessgewässer. Gemäss der erwähntenökomorphologischen Fliessgewässer-Analyse sind bei 77% dererfassten Fliessgewässer im Talraum Struk turverbesserungenangebracht, wofür sich ein Bodenbedarf von ca. 130 ha er -gibt. Basierend auf einer Zielsetzung innert 30 Jahren rund 90Kilometer Gewässer zu revitalisieren (= 3 km pro Jahr),müssten jährlich rund 2.3 Mio Franken bereitgestellt werden.Derzeit wird allerdings höchstens ein Viertel dieses Betragesaufgewendet. Vergleicht man den Aufwand für Revitali sie -rungen mit den laufenden Kosten für die Abwassersanierung,so beträgt das Verhältnis derzeit 3:97. Es wurde deshalbangeregt diesen Anteil auf 10% zu erhöhen.Bei den Umsetzungen ergeben sich vor allem Probleme mitder Bodenbereitstellung, dies obwohl die landwirtschaft -lichen Abgeltungen für Gewässerrandstreifen je nach Ver-tragsdauer 2-3000 Franken pro ha und Jahr angesetzt sind.Die Akzeptanz dieser Entschädigungszahlungen seitens derLandwirtschaft muss noch weiter gefördert werden. Diese Revitalisierungen kämen dem Säugetierschutz massivzu Gute. Profitieren würden dabei vor allem ans Wasser ge-bundene Arten wie die Wasserspitzmaus oder der Biber. Da-neben bieten die extensiv genutzten Ufersäume wichtigeVerbindungsachsen und Lebensräume in der intensiv ge -nutz ten Landschaft.

Aufwertung der Siedlung als Lebensraum

Siedlungen besitzen ein hohes Artenpotenzial. Durch die zu-nehmende Verstädterung und Bebauung des Talraums inLiechtenstein kommt der Arterhaltung in der Siedlung eineimmer wichtigere Bedeutung zu. «Unordentliche» Gärtenund verwilderte Hinterhöfe bieten ein gutes Potenzial fürKleinsäuger. Auch für viele Fledermausarten stellen die Siedlungen einenunverzichtbaren Lebensraum dar. Vor allem spalten- und ge-

bäudewohnende Arten sind auf vom Menschen geschaffeneQuartierstrukturen angewiesen. Die heute beabsichtigtegute Wärmedämmung bedingt eine dichte Bauweise. Sofehlen Lückenräume und offene Zugänge zu Dachstöckenund Zwischendächern. Vorhandene Öffnungen gehen beienergetischen Isolierungen verloren. Bei Neubauten könn tenbewusst Lückenräume und Fledermausquartiere geschaffenund bereits in der Planungsphase integriert wer den. ImRahmen von öffentlichen Bauten (Brücken, Gebäude) solltedies Standard werden.Die zunehmend dichten Häuser und Keller haben auch dieHausmaus selten werden lassen. Auch heute noch werdenKleinsäuger in der Siedlung vergiftet. Darauf sollte grund-sätzlich verzichtet werden.

191

Abb. 228 Die Ufersäume der Gräben bilden Kleinlebens räume und wichtige Vernetzungsachsen. Zusätzlich vorgelagerte Extensivwiesen -flächen erhöhen deren Wirkung. (Foto: Rudolf Staub)

Abb. 229 Von Revitalisierungen profitieren vor allem ans Wasser gebundene Arten. Gleichzeitig kann die Siedlung an Wohnqualität gewinnen wie hier am Giessen in Vaduz. (Foto: Mario F. Broggi)

Page 193: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

Verbesserung der Durchgängigkeit

Funktionierende Verbindungen zwischen den verschiedenenLebensräumen sind eine wesentliche Voraussetzung für denAustausch von Individuen. Sie ermöglichen die Wieder be -sied lung wie auch den Genaustausch. Sie erlauben auch dieNutzung von verschiedenen Räumen zu unterschiedlichenZeitpunkten durch eine Tierart.Wesentlich sind die Verbindungen bei Arten mit hohem Ak-tionsradius, wie z.B. bei den Fledermäusen zwischen denWochenstuben und den Nahrungsquartieren. Viele Artenorien tieren sich dabei an Leitstrukturen wie Hecken oderBaumreihen. Fehlen solche Strukturen ist das Aufsuchen derNahrungsräume erschwert.Strassen und Siedlung behindern zunehmend auch diesaisonale Wanderung vieler Huftiere. Problematisch ist dasFehlen von Wildtierkorridoren zwischen den Hanglagen unddem Alpenrhein und der entsprechenden Fortsetzung aufSchweizer Seite. Defizite bestehen auf Liechtensteiner Seitederzeit vor allem im Schaaner Riet. Hier soll eine funk-tionierende Verbindung hergestellt werden.

7.7 Artenhilfsprogramme

Erhalt von Fledermausquartieren

Fledermäuse sind auf verschiedene Quartierstrukturen (Ta -ges-, Winterquartiere, Wochenstuben) angewiesen. DieseQuartierstrukturen können auf natürliche Weise z.B. durchden Erhalt von Baumhöhlen sichergestellt werden, teils kannauch künstlich nachgeholfen (Fledermauskästen) werden.Vor allem die gebäudebewohnenden Arten sind auf ent-sprechende Strukturen (Spalten, Zwischendächer, grossräu-mige Dachstöcke) und deren Erhaltung (z.B. im Rahmen vonRenovationen) angewiesen.

7.8 Öffentlichkeitsarbeit

Sensibilisierung für Gross-Regulatoren Wolf, Luchs, Bär

Der Luchs wurde bereits in Liechtenstein beobachtet, Wolfund Bär hielten sich ihrerseits bereits im Nahbereich desLandes auf. Damit ist nicht ausgeschlossen, dass diese Gross-regulatoren auch Liechtenstein wieder mitbesiedeln können.Das verlangt einerseits nach einer Sensibilisierungskampagnebei der breiten Bevölkerung für diese Grossregulatoren,anderseits braucht es auch präventive Massnahmen im Al -pen gebiet. Es wird inskünftig nicht mehr möglich sein Schaf -her den im Alpengebiet unbewacht, d.h. ohne Behir tung, freilaufen zu lassen. Dies ist im Übrigen auch aus ökologischerSicht äusserst problematisch. Im Kanton Graubünde werdenentspre chende Präventionen vorgesehen (z.B. Behirtung,Hirten hunde). Ähnliches muss auch für Liechtenstein einge-führt werden.

Zukunft des Wildschweins in Liechtenstein?

Das Schwarzwild dürfte einst im Alpenrheintal bis in die Neu-zeit Standwild gewesen sein. Später fanden invasive Wel lender Wiedereinwanderung statt, so eine ausgeprägte nachdem Zweiten Weltkrieg. Diese lösten jeweils eine Unruhe inder Jägerschaft aus und die Tiere wurden geschos sen. Für dieForstwirtschaft gelten Wildschweine als Nütz lin ge, in derLandwirtschaft werden sie weniger gerne gese hen, da sieFlur schäden anrichten können. Im Bereich Gams-Grabs und inFeldkirch soll das Schwarzwild regelmässig vorkom men. Da-mit sind Wiedereinwanderungen ins Liechtensteinische an-zunehmen. Es empfiehlt sich für diese Wildart eine gewisseGelassenheit zu entwickeln und nicht auf jedes Tier zuschiessen, das sich zeigt.

7.9 Fördermassnahmen – Übersicht

Durch folgende Massnahmen können Säugetiere in Liech -ten stein gefördert werden:– Sicherung von Altholzbeständen und Unterholz im Wald– Naturnahe Fliessgewässer mit deckungsreichen Ufer säu -

men– Hohe Strukturdichte im Landwirtschaftsgebiet (Gehölze,

Hecken, Buntbrachen, Altgrassstreifen, Ufersäume, Alt-schilf, Hochstauden)

– Hohe Insektendichte (kleintierschonende Bewirtschaf -tungs formen, Extensivwiesen)

– Deckungsstrukturen durch geeignete Umgebungsge stal -tung in der Siedlung

– Sicherung und Förderung der Quartiere von Fleder mäu -sen

– Stärkung der Toleranz gegenüber Grossregulatoren undWildschwein

– Vertiefung der Kenntnisse zur Verbreitung verschiedenerArten als Grundlage für eine Gefährdungsbeurteilungund Schutzmassnahmen

– Schaffung und Aufwertung von Wildtierkorridoren

Mario F. Broggi und Rudolf Staub

192

Abb. 230 Luchsfährte vom Dezember 2007 aus dem RaumGafadura. (Foto: David Falk)

Page 194: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

8 Dank

Wir danken folgenden Personen für Informationen und Text -hinweise:Georg Amann, SchlinsJonas Barandun, St. GallenWolf-Dieter Burkhard, LandschlachtRené Gerber, GrabsMonika Gstöhl, BalzersWolfgang Kersting, AWNL, VaduzDennis Lorenz, GrabsMiriam Lutz, RhäzünsGuido Reiter, LeondingJosef Schädler, AWNL, VaduzHans-Peter B. Stutz, ZürichStephanie Wohlfahrt, Frauenstein

Zahlreiche Personen arbeiteten aktiv im Kleinsäugerprojektmit:David Amann; Max Berchtold; David Bösch; Thomas Briner;Denise Camenisch; Max David; Michael Fasel; Holger Frick;Thomas Gerner; Olivier Nägele; Peter, Andreas und SamuelNiederklopfer; Rudolf Staub.Max David führte im Zusammenhang mit seiner Diplomar-beit über die Gattung Apodemus besonders viele Fangaktio-nen durch.

Aus der Öffentlichkeit kamen zahlreiche Nachweise vonSäugetierarten. Viele lieferten Zufallsfunde und Katzen -fänge ab. Ohne diese Mithilfe wären die detaillierten Dar-stellungen nicht möglich gewesen.Christian Banzer Triesen; Andreas Batliner Schellenberg; Li-nus Batliner Schellenberg; Norbert Batliner Nendeln; UrsulaBatliner Nendeln; Walter Beck Schaan; Rudolf BerliatSchaan; Heinz Biedermann Ruggell; Michael BiedermannSchaan; Christina Binder Bendern; Dietmar Büchel Ruggell;Irmgard Büchel Triesen; Sibylle Büchel Schellenberg; TheresBüchel Balzers; Walter Büchel Ruggell; Markus Bürgler Va-duz; Barbara Caminada Vaduz; Rocco Carello Schaan; Wolf-gang Caspers Mauren; Christina Dobler Balzers; Silvia Es-thermann Mauren; Dieter Flad Schellenberg; Martin FrickBalzers; Hansjörg Frommelt Triesen; Thomas Gerner; ErikaGertsch Triesenberg; Monika Gstöhl Balzers; Maria Heim Bal-zers; Brigitte Hoffmann Balzers; Wilfried Imberg Buchs; Kirs-ten Imelmann Planken; Eberhard Jäger Schaan; Beata KaiserVaduz; Christine Klingler Mauren; Berthold Konrad Vaduz;Günther Kühnis Triesen; Jürgen Kühnis Vaduz; Rainer KühnisVaduz; Fidel Lampert Schellenberg; Hildegard Lampert Trie-sen; Marianne Lörcher Triesenberg; Barbara Marxer Eschen;Monika Marxer Schaan; Andrea Matt Mauren; Emmi MattRuggell; Arthur Meier Mauren; Hanno Meier Mauren; OliverMüller Schaan; Trudy Müller Schaan; Beatrix Nipp Balzers;Eugen Nutt Triesen; Johannes Oehri Triesen; Nadine OehriBalzers; Sofie Oehri Schaanwald; Simon Öhri Ruggell; UrsulaPayer Schaan; Norbert Penninger Schellenberg; Karin PfisterEschen; Peter Rheinberger Vaduz; Andy Risch Schaan; Ka-tharina Risch Triesen; Heinz Ritter Ruggell; Silvia Ritter Mau-ren; Georg Schädler Triesenberg; Myrtha Schädler Triesen-berg; Marianne Schneider Vaduz; Rose Schnidrig Schaan;

Doris Sele Schaan; Georg Sele Vaduz; Margerethe SuhnerTriesen; Susanne Suter-Hasler Vaduz; Philip Thöny Vaduz;Franz Traub Schaan; Kurt Vedana Triesenberg; Barbara VogtBalzers; Günter Vogt Balzers; Helmuth Vogt Triesen; Eduardvon Falz-Fein Vaduz; Christoph Wachter Vaduz; Sabine Wei-chart Balzers; Roswitha Winkler Schaan; Isolde WohlwendNendeln

Zahlreiche Hinweise und Nachweisdaten kamen auch vonMitarbeitern des:Tiefbauamts VaduzTierschutzhauses SchaanWerkhofs BalzersWerkhofs EschenWerkhofs MaurenWerkhofs PlankenWerkhofs Schaan

Bildmaterial haben bereitgestellt:Miloš Andera, Prag (CZ)Franz Beer, Markdorf (DE)Sven Beham, Ruggell Jirí Bohdal, Budweis (CZ)Mario F. Broggi, SchaanDavid Falk, SchaanMichael Fasel, VaduzRené Gerber, Grabs Monika Gstöhl, BalzersRené Güttinger, NesslauLubomir Hlasek, Pisek (CZ)Silvio Hoch, TriesenOtto Holzgang, BallwilWolfgang Kersting, AWNL, VaduzRainer Kühnis, VaduzFrank Leo, fokus-natur.de Jürg Paul Müller, ChurPaul Marchesi, BexPeter Niederklopfer, AWNL, VaduzAleksander Niwelinski, Plock (PL)Thorsten Pröhl, fokus-natur.deXaver Roser, Ruggell Josef Schädler, AWNL, VaduzAngela SchwarzMarkus Stähli, Grabs Rudolf Staub, SchaanHans-Peter Stutz, Zürich

Allen Mitwirkenden und Bereitstellern von Daten und Bil -dern, die zum Gelingen der vorliegenden Säugetiermono -grafie beigetragen haben, sei sehr herzlich gedankt.

193

Page 195: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

9 Literatur

9.1 Allgemeine Literatur

Die Liste umfasst im Text nicht zitierte, allgemeine Bücherund Quellen über Säugetiere Europas, welche als haupt-sächliche Grundlage für die Arttexte verwendet wurden.DIETZ, C., VON HELVERSEN, O. & D. NILL (2007): Handbuch der Fleder-

mäuse Europas und Nordwestafrikas. Biologie, Kennzeichen, Ge-fährdung. Franck-Kosmos Verlags GmbH Stuttgart. 399 S.

HARRIS, S. & D.W. YALDEN, Ed. (2008): Mammals of the British Isles:Handbook, 4th Edition. Published by The Mammal Society, Sou-thampton.

JENRICH, J., P.-W. LÖHR, F. MÜLLER (2010): Kleinsäuger. Körper – undSchädelmerkmale. Ökologie. Beiträge zur Naturkunde in Osthes-sen. Michael Imhof Verlag, Petersberg. 240 S.

LUGON–MOULIN N. (2003): Les musaraignes: Biologie, écologie, répar-tition en Suisse. Collection „La nature dans les Alpes“, EditionsPorte –Plumes, Ayer, 280 S.

MARCHESI, P. & N. LUGON-MOULIN (2004): Landsäugetiere des Rhone-tals. Wallis/ Waadtländer Alpen. Rotten Verlags AG, Visp, 207 S.

MARCHESI, P., M. BLANT, S. CAPT (HRSG.), (2009): Säugetiere der Schweiz– Bestimmungsschlüssel. Fauna Helvetica 22, CSCF & SGW, Neu-châtel, 289 S.

MARCHESI, P., MERMOD, C. & H.C. SALZMANN (2010): Marder, Iltis, Nerzund Wiesel. Haupt-Verlag. 192 S.

MESCHEDE, A. & B.-U. RUDOLPH (2004): Fledermäuse in Bayern. Heraus-gegeben vom Bayerischen Landesamt für Umweltschutz, demLandesbund für Vogelschutz in Bayern e.V. (LBV) und dem BundNaturschutz in Bayern e.V. (BN). Verlag Eugen Ulmer GmbH & Co.Stuttgart. 411 S.

MÜLLER, J.P, H. JENNY, M. LUTZ, E. MÜHLETHALER, T. BRINER (2010): Die Säu-getiere Graubündens – eine Übersicht. Stiftung Sammlung Bünd-ner Naturmuseum und Desertina Verlag, Chur, 184 S.

NEUWEILER, G. (1993): Biologie der Fledermäuse. Georg Thieme VerlagStuttgart New York. 350 S.

SIEMERS, B. & D. NILL (2000): Fledermäuse. Das Praxisbuch. BLV Ver-lagsgesellschaft mbH München Wien Zürich. 127 S.

WIKIPEDIA (2011): Fledermäuse. http://de.wikipedia.org/wiki/Fleder-mäuse - 10.3.2011.

9.2 Spezielle Literatur

ALKA WILDLIFE (2008): Zum Potential der natürlichen Wiederbesied-lung der Schweiz durch den Fischotter Lutra lutra, Stiftung ProLutra, Graz, S. 23.

AMBROSI, M.F.J. (1783): Entwurf des Reichs-Fürstenthums Liechten-stein, was selbiges Jährlich deductis deducendis abwerfe, samt ei-nigen Wirtschafts-Anmerkungen und oeconomischen Tabellenverfasst anno 1783 und ausgezogen aus sechsjährigen Raitungenvom Rentmeister Mi.Fr. Joseph Ambrosi. Original im Haus-Archivder Regierenden Fürsten von Liechtenstein, copiert im März 1948von Fr. Tschugmell, Pfarr-Resignat, Trisen 32.

AMT FÜR RAUMENTWICKLUNG UND GEOINFORMATION (2009): Natur und Land-schaft im Kanton St.Gallen, Raumbeobachtung Kanton St.Gallen,Themenheft 3, 31 S.

AMT FÜR WALD, NATUR UND LANDSCHAFT. Jahresberichte 1984 bis 2010.Landesverwaltung des Fürstentums Liechtenstein, Vaduz

ANDERSEN, R. (ed.) (1998): The european Roe Deer: The Biology ofsuccess. Scandinavian University Press. Oslo. 1-376.

ARLETTAZ, R., BECK, A., GÜTTINGER, R., LUTZ, M., RUEDI, M. & P. ZINGG

(1994): Où se situe la limite nord de répartition géographique deMyotis blythii (Chiroptera: Vespertilionidae) en Europe centrale?Zeitschrift für Säugetierkunde 59, 181-188.

ASHG – ARBEITSGRUPPE ZUM SCHUTZ DER HUFEISENNASEN GRAUBÜNDENS

(1994): Jagdhabitatwahl und nächtliche Aufenthaltsgebiete derGrossen Hufeisennase (Rhinolophus ferrumequinum) im RaumCastrisch/GR. Grundlagen zum Schutz der letzten grossen Wo-chenstubenkolonie dieser Art in der Schweiz. Projekbericht 102Seiten.

ASHRAFI, S., BECK, A., RUTISHAUSER, M., ARLETTAZ, R. & F. BONTADINA (2011):Trophic niche partitioning of cryptic species of long-eared bats inSwitzerland: implications for conservation. Eur. J. Wildl. Res. (7February 2011): 1-7 (online).

BÄCHLER, E. (1911): Der Elch und fossile Elchfunde in der Ostschweiz,Jahrbuch der St.Gallischen Naturwissenschaftlichen Gesellschaft fürdas Vereinsjahr 1910. Fehrsche Buchhandlung, St.Gallen, S. 72-181.

BAMERT, M. (1957): Das Murmeltier, Bergheimat, Jahresschrift desLiechtensteiner Alpenvereins, S. 61-68.

BANZER, A., BANZER, R. & M. OSPELT (1988): Flurnamen der GemeindeTriesenberg, Begleitheft Liechtensteiner Namenbuch, Hist. Vereinfür das Fürstentum Liechtenstein.

BAUER, K., KRAPP, F. & F. SPITZENBERGER (1967): Säugetiere aus Vorarl-berg. Ann. Naturhist. Mus. Wien, 70:55-71.

BAUMANN, P. (2004): Die Alpen-Gämse. Ein Leben auf Gratwande-rung. Ott Verlag Thun. 144 S.

BAYERN, VON A. U. J. (1992): Über Rehe in einem steirischen Gebirgs-revier. BLV. 248 S.

BAYERISCHES STAATSMINISTERIUM FÜR LANDWIRTSCHAFT UND FORSTEN (2008):Elchplan für Bayern. Strategien zum Umgang mit wandernden El-chen. München. Nr. 2008/16.

BECK, A. & B. SCHELBERT (1999): Neue Nachweise der Grossen Hufeisen-nase im Kanton Aargau. Untersuchungen zum Lebensraum undKonsequenzen für den Schutz. Aarg. Naturf. Ges. Mitt. 35: 93-113.

BECK, A., HOCH, S. & GÜTTINGER, R. (2006): Die Nahrung der Breitflü-gelfeldermaus (Eptesicus serotinus) in Vaduz, Fürstentum Liech-tenstein. Ber. Bot.-Zool. Ges. Liechtenstein-Sargans-Werdenberg32: 175-180.

BECK, D. (1957): Fundberichte: Neolithikum, Eschen. Jahrbuch desHist. Vereins für das Fürstentum Liechtenstein, S. 273-275.

BIBIKOW, D.I. (1996): Die Murmeltiere der Welt. Neue Brehm-Büche-rei Bd. 388. Spektrum Akademischer Verlag. 228 S.

BLOCH, I.A. (1948): Über das Vorkommen und die Verbreitung desSchwarzwildes (Sus scrofa L.) im Kanton Solothurn und in derübrigen Schweiz in Vergangenheit und Gegenwart.

BONTADINA, F., HOTZ, T. & K. MÄRKI (2006): Die Kleine Hufeisennase imAufwind. Ursachen der Bedrohung, Lebensraumansprüche undFörderung einer Fledermausart. Haupt Verlag Bern StuttgartWien. 79 Seiten.

BROGGI, M.F. (1970): Zoologische Raritäten Liechtensteins. Mensch,Natur und Landschaft, Aktionskomitee zur Aktivierung des Natur-und Landschaftsschutzes in Liechtenstein, S. 70-71.

BROGGI, M.F. (1973): Die freilebende Fauna im Lichte der liechten-steinischen Flurnamen. Hist. Verein für das Fürstentum Liechten-stein, Jahrbuch.

BROGGI, M.F. (1974): Über das Vorkommen des Schwarzwildes (Sus scrofa L.) im Alpenrheintal – in Vergangenheit und Gegenwart,Hist. Verein für das Fürstentum Liechtenstein, Jahrbuch 74:157-172.

BROGGI, M. F. (1977): Neue Festlegung jagdlich nutzbarer Tierartenim Fürstentum Liechtenstein. Natur und Landschaft, Bonn-BadGodesberg, 52, Heft 10.

BROGGI, M.F. (1981): Zur Ausrottungsgeschichte des Grossraubwildes,im speziellen des Luches, im nordwestlichen Ostalpenraum. Jahr-buch des Hist. Vereins für das Fürstentum Liechtenstein, 79: 197-210.

BROGGI, M.F. (1988): Landschaftswandel im Talraum Liechtensteins.Hist. Verein für das Fürstentum Liechtenstein. Jahrbuch, 86:7-326.

BROGGI, M.F. (1990): Die Säugetiere, Schwerpunktnummer Naturmo-nografie Ruggeller Riet, Ber. Bot.-Zool. Ges. Liechtenstein-Sar-gans-Werdenberg, 18:153-156.

194

Page 196: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

BROGGI, M.F. & G. WILLI (1996): Inventar der Naturvorrangflächen. Na-turkundliche Forschung im Fürstentum Liechtenstein 15:108pp.

BROGGI, M.F. (2006): Säugetierneozoen im Fürstentum Liechtenstein,Ber. Bot.-Zool. Ges. Liechtenstein-Sargans-Werdenberg, 32:113-118.

BRUHIN, P.TH.A. (1867): Zur Wirbelthierfauna Vorarlbergs, Der Zoolo-gische Garten, Frankfurt S. 394-397.

BRUHIN, P.TH.A. (1868): Die Wirbeltiere Vorarlbergs, Verhandlungender zool.-bot. Gesellschaft in Wien, 18:223-262.

CERUTTI, H. (2006): Der Immigrant - vor 30 Jahren wanderte derWaschbär von Deutschland in die Schweiz ein. NZZ Folio 04/2006:86-87.

DALLATORRE, K.W. (1887): Die Säugthierfauna von Tirol und Vorarl-berg. Ber. nat-med. Ver. Innsbruck 17, 103-164.

DAVID, M. (2010): Höhenverteilung der Apodemus-Arten A. flavicol-lis, A. sylvaticus und A. alpicola im Fürstentum Liechtenstein. Di-plomarbeit Hochschule für Forstwirtschaft Rottenburg, 46 S.

EHRENBOLD, A. (2006): Der Wolf in der Schweiz – Wiederbesiedlungund Akzeptanz in der Gesellschaft. Semesterarbeit 2006 Haupt-fach Biologie, Universität Bern 12 S.

EIBERLE, K. (1972): Bedeutung und Lebensweise des Luchses in derKulturlandschaft. Parey, Hamburg und Berlin.

EIBERLE, K. & J.-F. MATTER (1985): Bestandesregulierende Einflüsse vonWetterfaktoren beim Dachs (Meles meles L.), Ber. Bot.-Zool. Ges.Liechtenstein-Sargans-Werdenberg, 14:59-70.

EIBERLE, K. & H. NIGG (1986): Verbiss durch die Gemse (Rupicapra ru-picapra) an Fichte (Picea abies). Ber. Bot.-Zool. Ges. Liechtenstein-Sargans-Werdenberg, 15:15-36.

EIBERLE, K. (1992): Lebensweise und Bedeutung des Luchses in derKulturlandschaft, dargestellt anhand der Ausrottungsgeschichtein der Schweiz. Mammalia depicta-Beihefte zur Zeitschrift fürSäugetierkunde, Verlag Paul Parey, 65 S.

FACH, W. (1938): Landeskunde für das Fürstentum Liechtenstein.Sonderheft Vorarlberger Tagblatt, Dornbirn, vom 18.10.1938.

FASEL, M. (1990): Gamswild – Betrachtungen über eine einheimischeWildart. Bergheimat 1990, Organ des Liecht. Alpenvereins, S. 61-70.

FASEL, M. (1994): Prinz Hans von und zu Liechtenstein 1910-1975 -Der Jäger, Künstler und Naturkundler. Eintracht, Adventsausgabe1994.

FASEL, M. (2006): The lynx in Liechtenstein. Acta Biologica Slovenica49:53-54.

FASEL, M. (2009): Wildtiere und Wildtier–Lebensräume in Liechten-stein, Terra Plana, Mels, 4:1-3.

FASEL, M. (2010): Die Vielfalt der Tierarten und der Wildlebensräu-me, Bergheimat 2010, Organ des Liecht. Alpenvereins, Schaan, S.20-34.

FRICK, A. (1983): Das Vogelmahl bzw. Vogelmolken, Vogelrecht, Alp-molken etc. Jahrbuch des Hist. Vereins für das Fürstentum Liech-tenstein 83:43-70.

GERBER, R. (2003): Bechsteinfledermäuse im Werdenberg. InfoblattVerein Fledermausschutz St. Gallen Appenzell Liechtenstein Nr. 3:1.

GIACOMETTI, M. (Hrsg.) (2006): Von Königen und Wilderern. Die Ret-tung und Wiederansiedlung des Alpensteinbocks. Salm Verlag.224 S.

GIRTANNER, A. (1885): Geschichtliches und Naturgeschichtliches überden Biber (Castor fiber L.) in der Schweiz, in Deutschland, Nor-wegen. Bericht über die Thätigkeit der St.Gallischen naturwissen-schaftlichen Gesellschaft während des Vereinsjahres 1883/84.St.Gallen, Zollikofer `sche Buchdruckerei, S. 115-262.

GÜMPEL, C. (2010): Charakterisierung und Habitatnutzung der Klein -säugerfauna eines alpinen Lebensraumes in den Schweizer Alpenzwischen 2100 und 2500 mNN, oberhalb der Hochebene der AlpFlix (Sur, Graubünden). Diplomarbeit Eberhard Karls UniversitätTübingen. 32 S.

GÜTTINGER, R. & MÜLLER J.P. (1988): Zur Verbreitung von «Zwergwie-sel» und «Mauswiesel» im Kanton Graubünden (Schweiz). Jber.Natf. Ges. Graubünden 105 (1988), 103-114.

GÜTTINGER, R., WIETLISBACH, H., GERBER, R. & S. HOCH (1994): ErfolgreicheMassnahmen zum Schutz der Wochenendstubenkolonie des Gros-sen Mausohrs während der Renovation der Pfarrkirche Triesen(FL). Ber. Bot.-Zool. Ges. Liechtenstein-Sargans-Werdenberg,21:75-88.

GÜTTINGER, R. (1997): Jagdhabitate des Grossen Mausohrs (Myotis my-otis) in der modernen Kulturlandschaft. BUWAL-Reihe Umwelt,Nr. 288. Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft, Bern. 140Seiten.

GÜTTINGER, R., LUSTENBERGER, J., BECK, A. & U. WEBER (1998): Traditional-ly cultivated wetland meadows as foraging habitats of the grass-gleaning lesser mouse-eared bat (Myotis blythii). Bonn. Myotis,36:41-49.

GÜTTINGER, R. (2006): Umfangreiche Besatzkontrollen von Langohr-quartieren in öffentlichen Gebäuden. Infoblatt Verein Fleder -mausschutz St. Gallen Appenzell Liechtenstein Nr. 8: 1.

GÜTTINGER, R., HOCH, S. & A. BECK (2006a): Die Nahrung und poten-ziellen Jagdhabitate des Grossen Mausohrs (Myotis myotis) inTriesen, Fürstentum Liechtenstein. Ber. Bot.-Zool. Ges. Liechten-stein-Sargans-Werdenberg 32:165-174.

GÜTTINGER, R., LUTZ MÜHLETHALER, M. & E. MÜHLTHALER (2006b): Förde-rung potenzieller Jagdhabitate für das Kleine Mausohr (Myotisblythii) - Ein grenzüberschreitendes Konzept für das nördliche Al-penrheintal. - Interreg IIIB Lebensraumvernetzung. - Im Auftragdes Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt, Gesundheit undVerbraucherschutz, München. 76 Seiten.

GÜTTINGER, R., PFUNDER, M., WÜST, M. & O. HOLZGANG (2008): Die Ver-breitung von Feldspitzmaus Crocidura leucodon und Hausspitz-maus C. russula in der Ostschweiz – eine spezielle Situation in ih-rer zoogeografischen Kontaktzone - Ber. der St.GallischenNaturwissenschaftlichen Gesellschaft, 91:179-194.

GÜTTINGER, R. & J. BARANDUN (2010): Faunadatenbank NaturmusuemSt. Gallen – Fledermäuse (Stand 31.12.2010).

GÜTTINGER, R. & S. HOCH (2010): Erst-Nachweis des Kleinen MausohrsMyotis blythii in der Pfarrkirche Triesen. Projektbericht im Auf-trag der BZG Liechtenstein-Sargans-Werdenberg. 3 Seiten.

HÄFELE, F. (1920): Verschollene Gestalten der heimischen Tierwelt.HEIMAT Jg. 1 (1920) Heft 4/8, S. 38-43.

HALLER, H. (2002): Der Rothirsch im Schweiz. Nationalpark und dessenUmgebung. Eine alpine Population von Cervus elaphus zeitlichund räumlich dokumentiert. Nat.park-Forsch. Schweiz 91. 144 S.

HARTMANN-FRICK, H.-P. (1959): Die Tierwelt des prähistorischen Siel-dungsplatzes auf dem Eschner Lutzengüetli im Fürstentum Liech-tenstein, Jahrbuch des Hist. Verein für das Fürstentum Liechten-stein, S.5-224.

HARTMANN-FRICK, H.-P. (1965): Die Fauna der befestigten Höhensied-lung auf dem Borscht. Jahrbuch des Hist. Vereins für das Fürsten-tum Liechtenstein, 63. S.189-250.

HAUSSER, J. (1995): Säugetiere der Schweiz. Verbreitung, Biologie,Ökologie. Denkschriften der Schweizerischen Akademie der Na-turwissenschaften (DSANW). Mémoires de l’Académie Suisse desSciences Naturelles 103, 1-501.

HESCHELER, K. (1930): Aus der Vorgeschichte der Säugetiere derSchweiz. Jahrbuch der St.Gallischen Natuwissenschaftlichen Ge-sellschaft, Vereinsjahre 1929 und 1930, St.Gallen, Zollikofer & Cie,65: 17-46.

HESPELER, B. (1989): Rehwild heute – Lebensraum und Jagd. BLV, 231 S.HOCH, S. (1996a): Ergänzungen zur Fledermausfauna von Liechten-

stein. Ber. Bot.-Zool. Ges. Liechtenstein-Sargans-Werdenberg 23,S. 209-218

HOCH, S. (1996b): Jahresbericht der Arbeitsgruppe für Fledermaus-schutz 1995. Ber. Bot.-Zool. Ges. Liechtenstein-Sargans-Werden-berg, 23:375-380 und alle folgenden Jahre.

195

Page 197: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

HOCH, S. (1997a): Jahresbericht der Liechtensteiner Arbeitsgruppefür Fledermausschutz für das Jahr 1996. Ber.Bot.-Zool. Ges. Liech-tenstein-Sargans-Werdenberg 24, S. 337-347

HOCH, S. (1997b): Die Fledermäuse im Fürstentum Liechtenstein. Berg-heimat, Jahresschrift des Liechtensteiner Alpenvereins, S. 27-62.

HOCH, S. (1999): Erstnachweis der Weissrandfledermaus (Pipistrelluskuhlii) für unsere Region. Ber. Bot.-Zool. Ges. Liechtenstein-Sar-gans-Werdenberg 26: 351-360.

HOCH, S. & R. GERBER (1999): Fledermäuse, Monografie Alpenrhein,Ber.Bot.-Zool.Ges. Liechtenstein-Sargans-Werdenberg, 26: 107-124.

HOCH, S. (2001a): Die Mückenfledermaus (Pipistrellus pygmaeus/me-diterraneus) auch für Liechtenstein nachgewiesen – Der bisherige55-kHz-Ruftyp der Zwergfledermaus soll Artstatus erhalten. Ber.Bot.-Zool. Ges. Liechtenstein-Sargans-Werdenberg. 28: 245-250.

HOCH, S. (2001b): Nachweise seltener Fledermausarten für das Für-stentum Liechtenstein. Ber. Bot.-Zool. Ges. Liechtenstein-Sargans-Werdenberg 28: 251-254.

HOCH, S. (2002): Jahresbericht der Liechtensteiner Arbeitsgruppe fürFledermausschutz für das Jahr 2001. Ber. Bot.-Zool. Ges. Liechten-stein-Sargans-Werdenberg 23, S. 209-218.

HOCH, S. (2006): Jahresbericht der Liechtensteiner Arbeitsgruppe fürFledermausschutz für das Jahr 2005. Ber. Bot.-Zool. Ges. Liechten-stein-Sargans-Werdenberg 32: 187-192.

HOFRICHTER, R. & E. BERGER (2004): Der Luchs – Rückkehr auf leisen Pfo-ten. Stocker, Graz.

HOFMANN, R.R. (2007): Wildtiere in Bildern zur vergleichenden Ana-tomie. M.&H. Schaper. 167 S.

HOHMANN, U., VOIGT, S. & U. ANDREAS (2001): Quo Vadis Raccoon? Newvisitors in our backyards - on the urbanization of an allochthonecarnivore in Germany. - Naturschutz und Verhalten, UFZ-Berichte2: 143-148.

HOLZGANG, O. & H.P. PFISTER (2003): Der Feldhase im Alpenrheintal.Rheticus, Feldkirch, 25: 21-34.

HUTTERER, R., IVANOVA, T., MEYER-CORDS, CH. & L. RODRIGUES (2005): BatMigrations in Europe - A Review of Banding Data and Literature.Naturschutz und Biologische Vielfalt, Bonn, 28.

JERABEK, M. & G. REITER (2001a): Die Kleinsäuger im Naturwaldreser-vat Gadental, Grosses Walsertal: Teil 1 - Spitzmäuse, Wühlmäuseund Schläfer (Insectivora, Rodentia). Vorarlberger Naturschau,Band 9: 135-170.

JERABEK M., REITER G. & B.A. REUTTER (2002): Die Kleinsäuger im Natur-waldreservat Gadental, Grosses Walsertal: Teil 2 - Waldmäuse(Muridae, Rodentia). Vorarlberger Naturschau, Band 11: 123-142.

KERSTING, W. & NÄSCHER, F. (2008): Der Rothirsch im Winter. Das Liech-tensteiner Notfütterungskonzept. Amt für Wald, Natur und Land-schaft, Fürstentum Liechtenstein (Hrsg.). 24 S.

KNAUS, W. & W. SCHRÖDER (1983): Das Gamswild. Paul Parey. 232 S.KNECHT, H.-J. (1971): Beitrag zur vertikalen Verbreitung einiger Säu-

getiere in Liechtenstein. Jahrbuch des Historischen Vereins für dasFürstentum Liechtenstein, 71, 185 - 190

KRÄMER, A. (2006): Die Ausbreitung der Bisamratte in der Nordost-schweiz, in: der Rhein – Lebensader einer Region, Neujahrsblattder Naturforschenden Gesellschaft in Zürich, S. 257-262.

KREBSER, W. (1959): Die Bestandesaufnahme des Fischotters (Lutra l.lutra) in der Schweiz, 1951-1953. Säugetierkundl. Mitt. 7, 2. Mitt.Natf. Ges. Solothurn, Heft 15 1942-1947.

KURT, F. (1991): Das Reh in der Kulturlandschaft. Sozialverhalten undÖkologie eines Anpassers. Paul Parey, 284 S.

LABHART, F. (1990): Der Rotfuchs. Paul Parey. 158 S.LEUPRECHT, A. (1917): Manuskript vom Okt. 1917 als Ergänzung zu:

Klaar, Karl (1917): Die Jagdgeschichte in den Herrschaften Blu-denz und Sonnenberg im Jahre 1610, Forschungen und Mittei-lungen zur Geschichte Tirols und Vorarlbergs, 14. Jg. S. 100.

LIECHTENSTEINER VOLKSBLATT (1977): Kein Jägerlatein: Waschbär imEschnerriet erlegt. Liecht. Volksblatt vom 19. Februar 1977.

MEILE, P., GIACOMETTI, M. & P. RATTI (2003): Der Steinbock - Biologieund Jagd. Salm Verlag, Bern. 272 S.

MENTZEL, K. (2008): Hege und Bejagung des Rehwildes. Kosmos. 139 S.METZ, CH. (1990): Der Bär in Graubünden. Desertina Verlag. Disentis.MÜHLBERG, F. (1887): Ausgestorbene und aussterbende Tiere. Bericht

über die Tätigkeit der St.Gallischen naturwissenschaftlichen Ge-sellschaft während des Vereinsjahres 1885/86. St.Gallen, Zolliko-fer`sche Buchdruckerei, S. 284-320.

MÜLLER, J.P. & H. JENNY (2005): Der Alpenrhein – Ausbreitungslinie undAusbreitungshindernis für Wirbeltiere. In: der Rhein – Lebensadereiner Region. Naturforschende Gesellschaft in Zürich, S. 212-217.

MYERS, P. (2001): «Artiodactyla», Animal Diversity Web. Accessed Ju-ne 16, 2011 http://animaldiversity.ummz.umich.edu/site/accounts/information/Artiodactyla.html.

NÄSCHER, F. (2009): Markierung und Telemetrierung von Rothirschenim Dreiländereck. Vortrag anlässlich der Informationsveranstal-tung am 6. Februar in Bludenz. 19 S.

NERL, W., MESSNER, L. & P. SCHWAB (1995): Das grosse Gamsbuch. Hu-bertusverlag Klosterneuburg. 293 S.

NIEDERER, A. (2008): Das Verhalten der Schneemaus (Chionomys niva-lis). Dissertation Universität Basel. 279 S.

NIEDERKLOPFER, P. (2002): Ein illegaler Einwanderer. Balzner Neujahrs-blätter 2003, S. 43-44.

NIEVERGELT, B., J. HAUSSER, A. MEYLAN, U. RAHM, M. SALVIONI, P. VOGEL

(1994): Rote Liste der gefährdeten Säugetiere der Schweiz (ohneFledermäuse). In Duelli P. (1994): Rote Listen der gefährdetenTierarten der Schweiz. S. 20-21.

NIGSCH, N. (2009): Der Schutzwald in Liechtenstein Konzept zur Erhal-tung und Verbesserung der Schutzleistung des Waldes. Amt fürWald, Natur und Landschaft, Fürstentum Liechtenstein. (Hrsg.) 54 S.

ONDERSCHENKA, K. (1989): Integrale Schalenwildbewirtschaftung imFürstentum Liechtenstein, unter besondere Berücksichtigunglandschaftsökologischer Zusammenhänge, Naturkundliche For-schung im Fürstentum Liechtenstein, Band 11, 265 S.

OSPELT, J. (1945): Zwei Landschafts-Rechnungen aus dem 18. Jahr-hundert, Hist. Jb. 45: 5-51.

PFISTER, H.P., KOHLI, L., KÄSTLI, P. & S. BIRRER (2002): Feldhase. Schluss-bericht 1991-2000. Schriftenreihe Umwelt 334, BUWAL & Schwei-zerische Vogelwarte, Bern & Sempach.

RAHM, U. (1995): Castor fiber L., 1758. In: Hausser, J. Säugetiere derSchweiz, Birkhäuser, Basel, 501 S. 239-243.

R.SCH. (1991): Waschbär auf der Alpe Saroja. Vorarlberger Jagd undFischerei, Mai/Juni 1991, S. 11.

REIMOSER, F. (1990): Integrale Schalenwildbewirtschaftung im Für-stentum Liechtenstein unter besonderer Berücksichtigung land-schaftsökologischer Zusammenhänge. Bergheimat 1990, Organdes Liecht. Alpenvereins, S. 47-60.

REITER, G., VORAUER, A. & H. WALSER (2006): Vorkommen, Populations-entwicklung, Gefährdung und Schutz der Kleinen Hufeisennase,Rhinolophus hipposideros (Chiroptera: Rhinolophidae) in Vorarl-berg. Vorarlberger Naturschau 19: 85-98.

REITER, G., WEGLEITNER, S., HÜTTMEIR, U. & M. POLLHEIMER 2010. Die Al-penfledermaus, Hypsugo savii (Bonaparte, 1837), in Mitteleuro-pa. Nyctalus 15: 158-170.

RIETMANN, R. (1907): Die Beziehung der Jagd zur Forstwirtschaft,Schweiz. Z. für das Forstwesen, Januar 1907: 300-309.

ROSER, X. (2009): Biberfamilie in Ruggell, Nordwind, Gemeinde Rug-gell, Dezember 2009, Nr. 129, S. 28-29.

RUHLÉ, CH. & B. LOOSER (1991): Ergebnisse von Untersuchungen über dieWanderung von Rothirschen (Cervus elaphus L.) in den Kantonen St.Gallen und Graubunden (Schweiz) und der Nach bar-Kantone sowieim Land Vorarlberg (Österreich) und im Fürstentum Liechtenstein. -Zeitschrift für Jagdwissenschaft 37: 13-23. (In German).

SAFI, K. (2006): Die Zweifarbfledermaus in der Schweiz. Status undGrundlagen für den Schutz. Bristol-Stiftung, Haupt Verlag, Bern,100 S.

196

Page 198: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

SATTLER, T., et al (2007): Ecological niche modelling of two cryptic batspecies calls for a reassessment of their conservation status. Jour-nal of Applied Ecology 44(6): 1188-1199.

SCHALLERT, E. (1992): Jagdgeschichte von Nenzing. Schriftenreihe derRheticus-Gesellschaft 29, Feldkirch, 387 S.

SCHERZINGER, W. (1996): Die versunkene Grosstierfauna der BöhmischenMasse. www.waldwildnis.de / Der Bayerische Wald - Zeitschrift fürnaturwissenschaftliche Bildung und Forschung im BayerischenWald, Mitteilungen des Naturkundlichen Kreises Bayerischer Wald(gegr. 1975) e.V., der Botanischen Arbeits- und SchutzgemeinschaftBayerischer Wald (gegr. 1984) und des NaturwissenschaftlichenVereins Passau (gegr. 1857) e.V. 10. Jg. Morsak, Grafenau.

SCHÜLKE, H. (1965): Tierknochenfunde von der Burg Neu-Schellen-berg im Fürstentum Liechtenstein, Jahrbuch des Hist. Vereins fürdas Fürstentum Liechtenstein, 64.

SCHWEIZERISCHES WILDTIERBIOLOGISCHES INFORMATIONSBLATT (2010): Fisch otterzurück in der Schweiz? CH-Wild-INFO, Nr. 3/Juni 2010, S. 1-2.

SPITZENBERGER, F. & H. ENGLISCH (1996): Die Alpenwaldmaus (Apodemusalpicola Heinrich, 1952) in Österreich. Mammalia Austriaca 21.Bonner Zool. Beiträge 46 (1-4): 249-260.

SPITZENBERGER, F. (2001): Die Säugetierfauna Österreichs. Grüne ReiheBundesminist. Land- u. Forstwirtschaft, Umwelt u. Wasserwirt-schaft. Bd. 13, Wien, 895 S.

SPITZENBERGER, F. (2006): Rote Liste gefährdeter Säugetiere Vorarl-bergs, INATURA Dornbirn, 87 S.

STADLER, F. (2003): Sömmerung von Schafen im Fürstentum Liechten-stein. Ökologische Grundlagen. Bericht zu landschaftsökologi-schen Abklärungen in den Jahren 2001/02 über die Möglichkeiteiner Ausdehnung der Schafalpung im Fürstentum Liechtenstein.Report: S. 1-40.

STEINMÜLLER, J. R. (1821): Anmerkungen und Zusätze zu Joh.Jak. Römersund Heinr. Rud. Schinzens Naturgeschichte der in der Schweiz ein-heimischen Säugethiere. Zürich 1809, Neue Alpina I, 1821.

STORCH, G. & O. LÜTT, (1989): Artstatus der Alpenwaldmaus, Apode-mus alpicola Heinrich 1952. Z. f. Säugetierkunde 54: 337-346

STUBBE, C. (1990): Rehwild. Deutscher Landwirtschaftsverlag Berlin.TIEFENTHALER, M. (1941): Von der Jagd, Wilderern und wilden Tieren

im Vorarlberger Oberland vom 16. bis zum 19. Jahrhundert. Jahr-buch des Vorarlberger Museumsvereins 1941, Bregenz, S. 65-87.

TSCHIRKY, R. (2003): Der Alpensteinbock (Capra ibex L.) – eine Er-folgsgeschichte. Ber. Bot.-Zol. Ges. Liechtenstein-Sargans-Wer-denberg, Nr. 30, S. 91-109.

ULMER, U. (2000): Liechtensteinisches Waldinventar. Ergebnisse derzweiten Erhebung 1998. AWNL (Hrsg.), Vaduz, 56 S.

UMG UMWELTBÜRO GRABHER: Neozoen in Vorarlberg. http://www.neo-biota.at/neozoen/saeugetiere/marderhund.html - 15.3.2011.

VON LEHMANN, E. (1954): Zur Kleinsäugerfauna des Fürstentums Liech-tenstein, Bonn. Zool. Beitr. 5:1-2, 17-31.

VON LEHMANN, E. (1955): Etwas über die Kleinsäugetierfauna Liech-tensteins. Jahrbuch des Hist. Vereins für das Fürstentum Liechten-stein 55, S. 117-137.

VON LEHMANN, E. (1961): Ergänzende Mitteilungen über die Säuge-tierfauna Liechtensteins. Jahrbuch des Hist. Vereins für das Für-stentum Liechtenstein 61, S. 209-224.

VON LEHMANN, E. (1962): Die Säugetiere des Fürstentums Liechten-stein, Jahrbuch des Hist. Vereins für das Fürstentum Liechtenstein62, S. 157-362.

VON LEHMANN, E. (1967): Die hochmontane Feldmaus (Microfus arva-lis rufescentefuscus Schinz, 1845) vom Sareis. Hist. Jb. des Für-stentums Liechtenstein 69, S. 199-204.

VON LEHMANN, E. & H.-J. KNECHT (1969): Die alpine Gelbhalsmaus (Apo-demus flavicollis alpicola Heinrich, 1951) in Silum. Jahrbuch desHist. Vereins für das Fürstentum Liechtenstein 69, S. 275-281.

VON LEHMANN, E. (1980): Beitrag zur Fledermaus-Erforschung des Für-stentums Liechtenstein, Ber. Bot.-Zool. Ges. Liechtenstein-Sar-gans-Werdenberg, BZG-Bericht 79: 82-85.

VON LEHMANN, E. (1982): Fauna Liechtensteins - Säugetiere 1 (Insek-tenfresser, Fledermäuse, Nagetiere). Ber. Bot.-Zool. Ges. Liechten-stein-Sargans- Werdenberg, 11: 61-126.

VON LIECHTENSTEIN, H. (o.D.): Schwarzwild-Dokumentation 1946-1955(unveröffentlicht).

WALDER, CH. (1994): Die Fledermäuse von Feldkirch. Stadt Feldkirch44 S.

WIEDEMEIER, P. (1984): Die Fledermäuse des Fürstentums Liechten-stein, Ber. Bot.-Zool. Ges. Liechtenstein-Sargans-Werdenberg,13:61-106.

WIEDEMEIER, P. (1990): Kleinsäuger, Schwerpunktnummer Naturmo-nografie Ruggeller Riet, Ber. Bot.-Zool. Ges. Liechtenstein-Sar-gans-Werdenberg, 18:157-176.

WIKIPEDIA (2011): Wisent. http://de.wikipedia.org/wiki/Wisent -10.3.2011.

WIKIPEDIA (2011): Paarhufer. http://de.wikipedia.org/wiki/Paarhufer -16.6.2011.

WILLI, G. (2006): Die Vögel des Fürstentums Liechtenstein. Natur-kundliche Forschung im Fürstentum Liechtenstein, Bd. 22.

WINSAUER, G. (1937): Die Nofler Wildsau, Bodenseegeschichtsverein,heimatkundliche Mitteilungen l, Jg. Nr.2, Friedrichshafen.

WOHLFAHRT, S. (2003): Morphologie und Verbreitung der Schwestern-arten Braunes Langohr, Plecotus auritus & Alpenlangohr, Plecotusalpinus (Chiroptera, Vespertilionidae) in Tirol. Diplomarbeit Uni-versität Innsbruck. 71 S.

WOTSCHIKOWSKY, U. (1996): Die Rehe von Hahnebaum. WGM, Ettal. 46 S.WÜRGLER, F. (1956): Beitrag zur Kenntnis der mittelalterlichen Fauna

der Schweiz, Bericht über die Tätigkeit der St. Gallischen Natur-wissenschaftlichen Gesellschaft während der Vereinsjahre 1953bis 1955. St.Gallen, Zollikofer & Co., S. 1-90 (betr. Burg Hohensax:S: 23-32).

WÜRGLER, F. (1958): Die Knochenfunde aus dem spätrömischen Kastell Schaan. Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürsten-tum Liechtenstein, 58. Band, S. 253-282.

ZEILER, H. & H. FLADENHOFER (2009): Rehe im Wald. ÖsterreichischerJagd- und Fischerei-Verlag. 303 S.

ZIMEN, E. (1979): Wolf – Mythos und Verhalten. Meyster, Buchclub ExLibris, 332 S.

ZINGG, P.E. & R. MAURIZIO (1991): Die Fledermäuse (Mammalia: Chir-optera) des Val Bregaglia, GR. Jber. Natf. Ges. Graubünden 106:43-88.

197

Page 199: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

10 Index Arten

10.1 Deutsch

Alpenfledermaus 82Alpenlangohr 68Alpenmurmeltier 98Alpenspitzmaus 34Alpensteinbock 172Alpenwaldmaus 114Auerochse 180Bartfledermaus 54Baummarder 144Bechsteinfledermaus 62Biber 100Bisamratte 181Braunbär 142Braunbrust- oder Westigel 26Braunes Langohr 66Breitflügelfledermaus 84Dachs 154Eichhörnchen 96Elch 176Erdmaus 130Europäischer Maulwurf 46Feldhase 136Feldmaus 128Feldspitzmaus 44Fischotter 156Fransenfledermaus 56Fuchs 160Gämse 174Gartenschläfer 102Gartenspitzmaus 42Gelbhalsmaus 112Graues Langohr 70Grosse Hufeisennase 50Grosser Abendsegler 92Grosses Mausohr 58Haselmaus 106Hausmaus 120Hausratte 118Hausspitzmaus 40Hermelin 148Iltis 152Kleine Hufeisennase 52Kleiner Abendsegler 90Kleines Mausohr 60Kleinwühlmaus 126Luchs 162Marderhund 185Mauswiesel 150Mopsfledermaus 72Mückenfledermaus 78Nordfledermaus 86Rauhautfledermaus 76Reh 170Rötelmaus 122Rothirsch 168

Schabrackenspitzmaus 30Schermaus 124Schneehase 138Schneemaus 132Siebenschläfer 104Steinmarder 146Sumpfspitzmaus 38Waldmaus 110Waldspitzmaus 28Wanderratte 116Waschbär 183Wasserfledermaus 64Wasserspitzmaus 36Weissrandfledermaus 80Wildschwein 166Wisent 178Wolf 158Zweifarbenfledermaus 88Zwergfledermaus 74Zwergmaus 108Zwergspitzmaus 32

198

Page 200: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

10.2 Wissenschaftlich

Alces alces 176Apodemus alpicola 114Apodemus flavicollis 112Apodemus sylvaticus 110Arvicola terrestris 124Barbastella barbastellus 72Bison bonasus 178Bos primigenius 180Canis lupus 158Capra ibex 172Capreolus capreolus 170Castor fiber 100Cervus elaphus 168Chionomys nivalis 132Crocidura leucodon 44Crocidura russula 40Crocidura suaveolens 42Eliomys quercinus 102Eptesicus nilssoni 86Eptesicus serotinus 82Erinaceus europaeus 26Glis glis 104Hypsugo savii 82Lepus europaeus 136Lepus timidus 138Lutra lutra 156Lynx lynx 162Marmota marmota 98Martes foina 146Martes martes 144Meles meles 154Micromys minutus 108Microtus agrestis 130Microtus arvalis 128Mus domesticus 120Muscardinus avellanarius 106Mustela erminea 148Mustela nivalis 150Mustela putorius 152Myodes glareolus 122Myotis bechsteini 62Myotis daubentonii 64Myotis myotis 58Myotis mystacinus 54Myotis nattereri 56Myotis oxygnathus 60Neomys anomalus 38Neomys fodiens 36Nyctalus leisleri 90Nyctalus noctula 92Nyctereutes procyonoides 185Ondatra zibethicus 181Pipistrellus kuhlii 80Pipistrellus nathusii 76Pipistrellus pipistrellus 74Pipistrellus pygmaeus 78Pitymys subterraneus 126

Plecotus alpinus 68Plecotus auritus 66Plecotus austriacus 70Procyon lotor 183Rattus norvegicus 116Rattus rattus 118Rhinolophus ferrumequinum 50Rhinolophus hipposideros 52Rupicapra rupicapra 174Sciurus vulgaris 96Sorex alpinus 34Sorex araneus 28Sorex coronatus 30Sorex minutus 32Sus scrofa 166Talpa europaea 46Ursus arctos 142Vespertilio murinus 88Vulpes vulpes 160

199

Page 201: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

11. Anschrift der Autoren

Mario F. BroggiIm Bretscha 22LI-9494 [email protected]

Denise CamenischFranz-Josef-Oehri-Strasse 36LI-9493 [email protected]

Michael FaseleconatLandstrasse 40LI-9495 [email protected]

Silvio HochSaxweg 29ALI-9495 [email protected]

René GüttingerBiologe und NaturfotografBühl 2288CH-9650 [email protected]

Jürg Paul MüllerScience & Communication GmbHQuaderstrassee 7CH-7000 [email protected]

Peter NiederklopferAmt für Wald, Natur und LandschaftNaturkundliche SammlungMessinastr. 5LI-9495 [email protected]

Rudolf StaubRENAT AGIm Bretscha 22LI-9494 [email protected]

200

Page 202: Säugetiere - llv.li · 3 Vorwort Konstante Körpertemperatur, Haare, intensive Jungenbe-treuung und Aufzucht mit Milch. Die Säugetiere verbindet sehr viel mit uns Menschen

Seit dem Verschwinden der Dinosaurier konn-ten Säugetiere die meisten Lebensräume anLand, in der Luft und im Wasser besiedeln.Rezent zählt man etwa 5500 Säugetierartenweltweit. In unserer Wahrnehmung spielen vorallem grosse Huftiere wie der Hirsch und dasReh oder Raubtiere wie der Wolf und Bär eineRolle, während die artenreichsten Gruppen wieInsektenfresser, Fledermäuse und Nagetierekaum in unserem Bewusstsein sind. Dies wider-spiegelte sich auch im bisherigen Wissensstandüber die heimische Säugerfauna. Die vorliegen-de Arbeit baut auf den bereits vorhandenenArbeiten zu den Säugetieren Liechtensteins aufund fasst die bekannten Nachweise zusammen.Der Kenntnisstand wurde zudem durch aktuelleUntersuchungen und Bevölkerungsumfragenergänzt. Das Resultat ist eine umfassende undreich illustrierte Darstellung der SäugetierfaunaLiechtensteins mit Informationen zur Erken-nung, Biologie, Verbreitung, Lebensraum undGefährdung der nachgewiesenen Arten. Eben-falls diskutiert werden Schutzmassnahmen undaktuelle Probleme.

In Liechtenstein sind 76 Arten historisch undrezent nachgewiesen und werden jeweils aufzwei Seiten im Detail beschrieben: 11 Insekten-fresser, 22 Fledermäuse, 20 Nagetiere, 2 Hasen-artige, 13 Raubtiere und 8 Paarhufer.

Für die kompetente Bearbeitung konnte einachtköpfiges Fachautorenteam aus Liechten-stein und dem nahen Ausland gewonnen wer-den. Dies garantierte die optimale Bearbeitungaus nationaler wie internationaler Sicht.

ISBN 3-9523234-5-4ISBN 978-3-9523234-5-8