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Leseprobe Lavoisier, Antoine Laurent System der antiphlogistischen Chemie Kommentar von Jan Frercks © Suhrkamp Verlag Suhrkamp Studienbibliothek 12 978-3-518-27012-7 Suhrkamp Verlag

Suhrkamp Verlag file8 Antoine Laurent Lavoisiers Traite´e´le´mentaire de chimie erschien in Paris 1789. Die deutsche Übersetzung unter dem Titel System der

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Page 1: Suhrkamp Verlag file8 Antoine Laurent Lavoisiers Traite´e´le´mentaire de chimie erschien in Paris 1789. Die deutsche Übersetzung unter dem Titel System der

Leseprobe

Lavoisier, Antoine Laurent

System der antiphlogistischen Chemie

Kommentar von Jan Frercks

© Suhrkamp Verlag

Suhrkamp Studienbibliothek 12

978-3-518-27012-7

Suhrkamp Verlag

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Suhrkamp Studienbibliothek 12

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Die naturwissenschaftlichen Texte der Suhrkamp Studienbibliothekwerden herausgegeben von Olaf Breidbach

Dieser Band der Reihe Suhrkamp Studienbibliothek (stb) bietet einegekürzte Fassung von Antoine Laurent Lavoisiers System der anti-phlogistischen Chemie (Traite elementaire de chimie, Paris 1789). Diedeutsche Übersetzung stammt von Sigismund Friedrich Hermb-staedt; sie wurde von Jan Frercks durchgesehen und revidiert. Inhöchst lesbarer und informativer Weise erschließt der Kommentarvon Jan Frercks den historischen wie theoretischen Horizont desWerkes. Alle erforderlichen Informationen werden in kompakterund übersichtlicher Weise gebündelt. Der Band eignet sich dahernicht nur als erste Orientierung für Theorieeinsteiger, sondern stelltauch eine ideale Grundlage für Lektürekurse an Schule und Uni-versität dar.

Jan Frercks ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule fürGestaltung in Offenbach.

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Antoine Laurent LavoisierSystem der

antiphlogistischen Chemie

Aus dem Französischen vonSigismund Friedrich Hermbstaedt

Übersetzung durchgesehen von Jan Frercks

Kommentar vonJan Frercks

Suhrkamp

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Bibliografische Information Der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Datensind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Suhrkamp Studienbibliothek 12© Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2008

Erste Auflage 2008Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunkund Fernsehen, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in

irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andereVerfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert

oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet,vervielfältigt oder verbreitet werden.

Satz: pagina GmbH, TübingenDruck: Druckhaus Nomos, Sinzheim

Printed in GermanyUmschlag: Werner Zegarzewski

ISBN 978-3-518-27012-7

1 2 3 4 5 6 – 13 12 11 10 09 08

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Inhalt

I. Antoine Laurent Lavoisier: System derantiphlogistischen Chemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

II. Jan Frercks: Kommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1811. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1852. Historische Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2013. Präsentation des Textes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2674. Rezeptionsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3135. Positionen der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3396. Stellenkommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3497. Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3768. Biographischer Abriß und Zeittafel . . . . . . . . . . 3849. Auswahlbibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394

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I.

Antoine Laurent LavoisierSystem der antiphlogistischen Chemie

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Antoine Laurent Lavoisiers Traite elementaire de chimie erschien inParis 1789. Die deutsche Übersetzung unter dem Titel System derantiphlogistischen Chemie stammt von Sigismund Friedrich Hermb-staedt (Berlin und Stettin 1792). Für die vorliegende Ausgabe wur-den Teile dieser Übersetzung ausgewählt. Die Übersetzung wurdemit dem Original verglichen und an wenigen Stellen verbessert. ZurTextgestalt siehe die Hinweise am Ende der Einleitung (Seite 196-200). Am Rand findet sich eine Zeilenzählung für jede Seite. DiePfeile am Textrand verweisen auf Erläuterungen zu Namen, Begrif-fen, Apparaturen und chemischen Substanzen, auf den Nachweiszitierter Literatur sowie auf Hinweise zur Übersetzung im Stellen-kommentar (Seite 349-375).

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Des Herrn Lavoisier

der Königl. Akademie der Wissenschaften, der Königl. Socie-tät der Aerzte, wie auch der Societät der Ackerbaukunst zuParis und Orlean; der Königl. Großbritt. Societät zu London;des Instituts zu Bologna; der Helvetischen Societät zu Basel; 5

der Societäten zu Harlem, Manchester, Padua u.s.w. Mitglied

Systemder

antiphlogistischen Chemie

aus dem Französischen übersetzt 10

undmit Anmerkungen und Zusätzen versehen

von

D. Sigismund Friedrich Hermbstädt

Professor der Chemie und Pharmacie, bei dem Königl. Col- 15

legio Medico Chirurgico; und Königl. Preuß. Hofapothekerzu Berlin; der Römisch. Kaiserl. Akademie der Naturforscher;der Churfürstl. Maynzischen Akademie der Wissenschaften;der Gesellschaft naturforschender Freunde zu Berlin, und der

naturforschenden Gesellschaft zu Halle Mitglied. 20

Mit zehn Kupfertafeln.Erster Band.

Berlin und StettinBei Friedrich Nicolai.

1792. 25

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Lavoisier’sSystem

der antiphlogistischen Chemie �

Erster Theil

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Einleitung.

Da ich diese Arbeit unternahm, war es bloß meine Absicht, diein der öffentlichen Sitzung der Akademie im April 1787 von �

mir vorgelesene Abhandlung, über die Nothwendigkeit, die �

chemische Nomenklatur zu verbessern und sie zu vervoll- 5

kommnen, mehr auseinander zu setzen. Bei der Arbeit selbst,fühlte ich aber mehr wie jemals die Evidenz derjenigen Grund-sätze, welche der Abt von Condillac in seiner Logik, und in ��

einigen andern seiner Werke gegründet hat; indem er an-nimmt: daß wir nur mit Hülfe der Worte denken; daß die 10

Sprachen wahre analytische Methoden sind; daß die Algebra,welche unter allen Ausdrucksarten, die einfachste, bestimm-teste, und ihrem Gegenstande angemessenste ist, zugleich alsSprache und als analytische Methode betrachtet werden kann;kurz daß die Kunst zu räsoniren, sich auf eine wohl geordnete 15 �

Sprache zurückführen läßt. Und in der That, da ich mich nurmit der Nomenklatur zu beschäftigen glaubte; da es bloßmeine Absicht war, die chemische Sprache zu vervollkomm-nen, entstand unvermerkt unter meinen Händen, ohne daßich es zu hindern vermochte, dieses chemische Elementar- 20 �

werk.Die Unmöglichkeit, die Nomenklatur von einer Wissen-

schaft, und die Wissenschaft von der Nomenklatur abzuson-dern, hat ihren Grund darin, daß jede physische Wissenschaft,nothwendig aus drei Stücken zusammengesetzt ist, 1) aus einer 25

Reihe Thatsachen, die die Wissenschaft bilden, 2) aus Vor- �

stellungen, welche sie uns ins Andenken bringen; und 3) ausWorten, welche die Thatsachen ausdrücken: denn das Wortmuß die Vorstellung erzeugen, und die Vorstellung muß dieThatsache mahlen. Dieses sind drei Abdrücke eines und eben 30

desselben Siegels; da aber durch die Worte, die Vorstellungen

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aufbewahrt und mitgetheilt werden, so folget daraus, daß mandie Sprache nicht vervollkommnen kann, ohne zugleich dieWissenschaft vollkommener zu machen; so wie man gegen-seitig nicht die Wissenschaft vervollkommnen kann, ohne dieSprache zu verbessern; folglich, möchten auch die Thatsachen5

noch so gewiß, und die durch sie erzeugten Vorstellungen,noch so richtig seyn, so würden sie doch nur falsche Eindrückemachen, wenn wir nicht genaue Ausdrücke hätten, um siewieder darzustellen.

Der erste Theil dieses Werks, wird jedem, der darüber recht10

nachdenken will, von der Wahrheit jener Sätze, zahlreiche Be-weise ablegen. Da ich mich indessen genöthiget sehe, in die-sem Werke eine Ordnung zu befolgen, die wesentlich vonderjenigen abweicht, welche bisher in allen chemischen Lehr-büchern angenommen worden ist; so ist es meine Pflicht, die15

Gründe zu rechtfertigen, welche mich dazu bewogen haben.Es ist ein ausgemachter Grundsatz, dessen Allgemeinheit,

sowohl in der Mathematik, als in allen übrigen Arten vonKenntnissen, anerkannt ist, daß wir, um uns zu belehren, nurvon dem Bekannten zum Unbekannten fortschreiten können.20

In der ersten Kindheit, entstehen unsere Vorstellungen, ausunsren Bedürfnissen. Die Empfindung unsrer Bedürfnisse er-�

zeugt die Vorstellung von den Gegenständen, welche geschicktsind, die erstern zu befriedigen. Durch eine Folge von Emp-findungen, bilden sich Beobachtungen, Analysen und succes-25

sive Ideenverbindungen, davon ein aufmerksamer Beobach-ter, sogar bis auf einen gewissen Punkt, den Faden und dieVerkettung auffinden kann; und sie allein sind es, welche dasGanze unsers Wissens ausmachen.

Wenn wir uns zum erstenmal dem Studio einer Wissen-30

schaft ergeben, so sind wir in Rücksicht dieser Wissenschaft ineinem Zustande, der dem sehr analog ist, worin sich die Kin-der befinden; und der Weg dem wir folgen müssen, ist gradeder, welchen die Natur in der Bildung ihrer Vorstellungeneinschlägt. Eben so wie dem Kinde die Vorstellung eine Wir-35

kung der Empfindung ist, die Empfindung aber die Vorstel-

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15Einleitung

lung bei ihm erzeugt; eben so müssen auch für denjenigen,welcher die Physik zu studiren anfängt, die Vorstellungen nur �

eine Consequenz, eine unmittelbare Folge einer Erfahrung, �

oder einer Beobachtung seyn.Hier erlaube man mir noch beizufügen, daß derjenige, wel- 5

cher die Laufbahn der Wissenschaften antritt, sich in einerweniger vortheilhaften Lage befindet, als das Kind, das seineersten Vorstellungen erhält; denn wenn das Kind sich in denheilsamen oder schädlichen Wirkungen der Gegenstände, diees umgeben, irrt; so giebt ihm die Natur eine Menge Mittel an 10

die Hand, sich wieder zurecht zu helfen. In jedem Augenblickkommt seiner Beurtheilung die Erfahrung zu Hülfe; Berau-bung oder Schmerz folgen gleich einem falschen Urtheilenach; Genuß und Vergnügen dagegen, einem richtigen; undunter solchen Lehrern, bei denen man, bei Strafe der Berau- 15

bung oder des Duldens, nicht falsch urtheilen darf, wird manbald consequent, und man urtheilt bald richtig.

Dies ist aber nicht der Fall beim Studiren, und in der Aus-übung der Wissenschaften. Die falschen Urtheile die wir fäl-len, interessiren weder unsre Existenz noch unser Wohlseyn; 20

kein physisches Interesse fordert uns auf, uns zu berichtigen;dagegen die Einbildung, die uns unaufhörlich über die Wahr-heit zu erheben sucht; die Eigenliebe, und das Zutrauen in unsselbst, das sie uns so schön einzuflößen weis, uns gemein-schaftlich zwingen, Schlüsse zu machen, die nicht unmittelbar 25

aus Thatsachen folgen; so daß wir gewissermaßen dabei inter-essirt sind, uns selbst irre zu führen. Man darf sich daher garnicht wundern, daß man in der Physik, statt zu urtheilen,Voraussetzungen machte; daß diese Voraussetzungen, die einZeitalter dem andern überlieferte, durch das Gewicht ihres 30

erhaltenen Ansehns, noch mehr täuschen, und endlich sogarvon guten Köpfen, als Grundwahrheiten angesehen, und auf-genommen wurden.

Das einzige Mittel solche Irrwege zu meiden, bestehetdarin, daß wir unser Räsonnement, das allein uns irre führen 35

kann, soviel wie nur möglich ist, zurückhalten, oder wenig-

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stens simplificiren; daß wir dasselbe zur Probe immer mit derErfahrung vergleichen; daß wir nur Thatsachen aufbewahren;�

denn sie sind das allein von der Natur Gegebene, und könnenuns nicht trügen; daß wir endlich die Wahrheit nur in dernatürlichen Verkettung der Erfahrungen und Beobachtungen5

suchen; eben so wie die Mathematiker zur Auflösung einerAufgabe, nur durch die einfache Stellung der Sätze gelangen,und in dem sie das Räsonnement auf ganz sinnliche Opera-tionen, auf ganz kurze Schlüsse zurückbringen, die Evidenznie aus den Augen verlieren, die ihnen zur Führerin dient.10

Von dieser Wahrheit überhaupt, habe ich mir das Gesetzaufgelegt, nie anders als vom Bekannten zum Unbekanntenfortzugehen; keinen Schluß zu ziehen, der nicht unmittelbaraus Erfahrungen und Beobachtungen fließt; und die Thatsa-chen und chemischen Wahrheiten, in einer solchen Ordnung15

zusammen zu ketten, in welcher sie dem Anfänger verständ-lich werden.

Da ich mir diesen Plan entwarf, so war es unmöglich, michnicht von dem gewöhnlichen Wege zu entfernen. In der Thatist es ein Fehler, der allen chemischen Lehrbüchern gemein ist,20�

daß sie gleich bei dem ersten Schritt Kenntnisse voraussetzen,die der Schüler oder der Leser, erst in den folgenden Lektionenerhalten soll. Fast alle fangen damit an, daß sie die Grundstoffe�

der Körper abhandeln; und die Tabellen der Affinitäten er-�

klären, ohne zu bedenken, daß man gleich vom ersten Tage an25

dabei genöthigt ist, die Haupterscheinungen der Chemie zuüberschauen, und sich solcher Ausdrücke zu bedienen, dienoch nicht erklärt worden sind; und bei denen die Wissen-schaft als bekannt vorausgesetzt werden muß, die ihnen erstgelehrt werden soll. Auch ist es bekannt, daß man beim ersten30

Vortrage der Chemie nur wenig lernt; daß kaum ein Jahr hin-reichend ist, das Ohr mit der Sprache, die Augen mit denOperationen, vertraut zu machen: und daß es fast unmöglichist, einen Chemiker, in weniger als drei oder vier Jahren zubilden.35

Diese genannten Schwierigkeiten, liegen nicht so sehr in

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der Natur der Dinge, als in der Form des Unterrichts; undeben dieses hat mich bewogen, der Chemie einen Weg anzu-weisen, der der Natur am angemessensten zu seyn scheint. Esist mir dabei nicht entgangen, daß ich, wenn ich eine Schwie-rigkeit vermeiden wollte, in eine andere gerieth, und daß es 5

unmöglich seyn würde, sie alle zu übersteigen. Allein ichglaube, daß die noch zu hebenden Schwierigkeiten gar nichtzu der Ordnung gehören, die ich mir vorgeschrieben habe; daßsie vielmehr eine Folge des unvollkommenen Zustandes sind,worin sich die Chemie noch jetzt befindet. Diese Wissenschaft 10

weiset zahlreiche Lücken auf, welche die Reihe der Thatsachenunterbrechen, welche mühsame und schwierige Verbindun-gen erheischen. Sie hat nicht wie die Elementar-Geometrie, �

das Glück, eine vollständige Wissenschaft zu seyn, derenZweige untereinander alle genau zusammenhängen; zugleich 15

ist aber ihre wirkliche Laufbahn so schnell, die Thatsachenlassen sich in der neuen Lehre auf eine so glückliche Art zu-sammen stellen, daß wir selbst in unsern Tagen hoffen kön-nen, sie um ein merkliches dem Grade der Vollkommenheitnäher bringen zu sehen, den sie zu erreichen fähig ist. 20

Das strenge Gesetz, das ich nicht übertreten durfte, niemalsmehr zu folgern, als die Versuche aufweisen, und niemals dasStillschweigen der Thatsachen zu ersetzen, erlaubte mir nicht,in diesem Werke, den Theil der Chemie aufzunehmen, dervielleicht am fähigsten ist, dereinst eine genaue Wissenschaft 25

zu werden; ich meine den Theil, welcher von den chemischenAttraktionen oder Wahlanziehungen handelt. Die Herren ��

Geoffroy, Gellert, Bergmann, Scheele, Morveau, Kirwan und ������

viele andere, haben schon eine Anzahl besondrer Thatsachengesammelt, die nur noch auf einen Standpunkt warten, der 30

ihnen angewiesen werden soll; allein die Hauptsätze fehlen,oder wenigstens sind die welche wir haben, weder bestimmtnoch gewiß genug, um die Grundlage zu werden, worauf einso wichtiger Theil der Chemie ruhen soll. Die Lehre von denAttraktionen, ist überhaupt für die gewöhnliche Chemie das, 35

was die transcendentelle Geometrie, für die Elementargeo- �

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metrie ist, und ich glaubte nicht, durch so große Schwierig-keiten, einfache und leichte Anfangsgründe, compliciren zu�

müssen, die wie ich hoffe, einer sehr großen Anzahl von Lesernbegreiflich seyn werden. Vielleicht hat ein Gefühl von Eigen-liebe, ohne daß ich es mir gestanden habe, diesen Bemerkun-5

gen Gewicht gegeben. Hr. v. Morveau steht im Begriff, denArtikel der Attraktion, der Encyclopedie methodique heraus-�

zugeben, und ich hatte mancherlei Bewegungsgründe, warumich mir es nicht zutraute, mich mit ihm in einen Wettstreiteinzulassen.10

Man wird vielleicht erstaunen, in diesem chemischen Ele-mentarwerke, kein Kapitel über die uranfänglichen Bestand-�

theile und Elemente der Körper zu finden: allein hier muß ichbemerken, daß dieser Hang zum Verlangen, daß alle Natur-körper nur aus drei oder vier Elementen zusammengesetzt15

seyn sollen, von einem Vorurtheile abstammt, das wir ur-sprünglich den griechischen Philosophen zu danken haben.Die Voraussetzung von vier Elementen, welche durch ihremannichfaltigen Verhältnisse, alle uns bekannten Körper bil-den, ist eine bloße Hypothese, die lange Zeit vorher erdacht20

worden ist, bevor man noch die allerersten Kenntnisse, derExperimentalphysik und Experimentalchemie, erlangt hatte.Man hatte noch keine Thatsachen, und machte Systeme; undjetzt da wir Thatsachen gesammelt haben, scheint es, als woll-ten wir sie zurückstossen, wenn sie nicht mit unsern Vorur-25

theilen übereinstimmen; so sehr ist es wahr, daß das Gewichtdes Ansehens dieser Väter der menschlichen Philosophie, sichnoch fühlen läßt, und daß es ohne Zweifel, noch künftigeGenerationen drücken wird.

Ein sehr merkwürdiger Umstand ist es, daß wenn man die30

Lehre von den vier Elementen vortrug, es keinen Chemikergab, der nicht durch die Kraft der Thatsachen dazu gebrachtworden wäre, eine größere Anzahl festzusetzen. Die ersten�

Chemisten, welche seit der Erneuerung der Wissenschaftengeschrieben haben, sahen den Schwefel und das Salz als Ele-35

mentarsubstanzen an, die mit einer großen Anzahl von Kör-

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19Einleitung

pern in Verbindung ständen; sie erkannten also die Existenzvon sechs Elementen, anstatt von vieren. Becher nahm drei �

Erden an, und seiner Meinung nach, entstand aus ihrer Ver-bindung in verschiedenen Verhältnissen, die Verschiedenheit,welche unter den Natursubstanzen statt findet. Stahl modi- 5 �

ficirte dieses System, und alle Chemiker nach ihm, erlaubtensich; darin Aenderungen zu machen, ja sogar andere Systemezu ersinnen; allein alle ließen sich von dem Geiste ihres Zeit-alters hinreißen, der mit Behauptungen ohne Beweise zufrie-den war, oder doch oft sehr geringe Wahrscheinlichkeiten, als 10

solche ansahe.Alles was man über die Anzahl und die Natur der Elemente

sagen kann, schränkt sich meiner Meinung nach, bloß aufmetaphysische Untersuchungen ein: es sind unbestimmteAufgaben, die man aufzulösen sich vornimmt, und die einer 15

unendlichen Art von Auflösungen fähig sind; von denen esaber sehr wahrscheinlich ist, daß keine insbesondre, mit derNatur übereinstimmt. Ich werde mich also damit begnügen,zu sagen, daß wenn wir mit dem Namen Elemente, die ein-fachen untheilbaren Theilchen belegen, aus welchen die Kör- 20

per zusammengesetzt sind; so ist es wahrscheinlich, daß wir sienicht kennen. Verbinden wir im Gegentheil mit dem Aus-druck Element oder Grundstoff der Körper den Begriff deshöchsten Ziels, das die Analyse erreicht, so sind alle Substan-zen, die wir noch durch keinen Weg haben zerlegen können, 25

für uns Elemente; nicht als könnten wir versichern, daß dieseKörper, die wir für einfach halten, nicht aus zwei, oder sogaraus einer größern Anzahl von Stoffen zusammengesetzt wären; �

sondern weil diese Grundstoffe sich nie trennen, oder viel-mehr weil wir kein Mittel haben sie zu trennen; sie wirken vor 30

unsern Augen als einfache Körper, und wir dürfen sie nichteher für zusammengesetzt halten, als in dem Augenblick, woErfahrungen und Beobachtungen, uns davon Beweise gegebenhaben.

Diese Bemerkungen über den Gang der Ideen, lassen sich 35

natürlicherweise auf die Wahl der Worte anwenden, welche sie

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20 Einleitung

ausdrücken sollen. Geleitet durch die Arbeit, welche die Her-�

ren von Morveau, Berthollet, von Fourcroy und ich, im Jahre1787 gemeinschaftlich unternahmen, bezeichnete ich einfacheSubstanzen, so oft als es angieng, mit einfachen Worten, undeben diese mußte ich erst erfinden. Man wird sich erinnern,5

daß wir uns Mühe gaben, allen diesen Substanzen diejenigenNamen zu lassen, welche sie im gemeinen Leben erhalten hat-ten; nur in zwei Fällen erlaubten wir uns sie zu ändern: 1) inRücksicht derjenigen Substanzen, welche erst kürzlich ent-deckt worden sind, und die man noch nicht benannt hatte,10

oder wenigstens bei denen, die seit kurzem benannt, und de-ren neue Namen noch nicht durch allgemeinen Beifall sanc-tionirt worden waren. 2) Wenn die von den Alten oder Neuerneingeführten Namen, augenscheinlich zu falschen Begriffen�

veranlasseten, wenn sie zur Verwechselung einer Substanz An-15

laß gaben, indem sie ihre wahren, ganz entgegengesetzte Ei-genschaften dadurch bezeichneten. In solchen Fällen machtenwir keine Schwierigkeit, andre Namen an ihre Stelle zu setzen,die wir hauptsächlich aus dem Griechischen entlehnt haben:wir richteten sie so ein, daß sie die gemeinste und charakteri-20

stische Eigenschaft der Substanz ausdrückten; und wir fanden�

dabei den Vortheil, dem Gedächtniß der Schüler zu Hülfe zukommen, (welche nur mit vieler Mühe ein neues Wort, dasdurchaus sinnlos ist, behalten) um sie frühzeitig zu gewöhnen,kein Wort anzunehmen, ohne einen Begriff damit zu verbin-25

den.Was die Körper betrift, welche durch die Verbindung meh-

rerer einfacher Substanzen entstehen, so haben wir diese, mitzusammengesetzten Namen belegt; da aber die Anzahl derzweifachen Verbindungen, schon sehr ansehnlich ist, so muß-30

ten wir Klassen machen, um dadurch allen Verwirrungen undUnordnungen vorzubeugen. Der Name, Klasse und Gattung,�

ist in der natürlichen Ordnung der Begriffe diejenige, welchedie, vielen Individuen gemeine Eigenschaft, ins Gedächtnißbringt; die Ordnung der Arten hingegen führt den Begriff auf35

Eigenschaften zurück, welche einigen Individuen besonderszukommen.